Die Seelenpfuscher - Heike Dierbach - E-Book

Die Seelenpfuscher E-Book

Heike Dierbach

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Würden Sie Ihren Körper bei jemandem unters Messer legen, der nicht Medizin studiert hat, sondern aus spiritueller Eingebung zu wissen glaubt, wo er schneiden muss? Wohl kaum. Aber viele Menschen tun dies mit ihrer Seele: Sie suchen Hilfe bei selbsternannten Psychoheilern. Heike Dierbach hat neun populäre «Pseudo-Therapien», die die Patienten schwer schädigen können, genauer untersucht: die Atemtechnik Rebirthing, das Familienstellen nach Hellinger, die Festhaltetherapie, das Channeln/Engeltherapie, die Reinkarnationstherapie, den Hoffman-Quadrinity-Prozess, Fernheilung sowie die Techniken «The Work» und «The Secret». Sie warnt vor den Risiken dieser Methoden und zeigt auch, wie sinnvolle therapeutische Hilfe aussehen kann und wo man sie findet.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 255

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Heike Dierbach

Die Seelenpfuscher

Pseudo-Therapien, die krank machen

Einleitung: DIE LEBENSGEFÄHRLICHE LEBENSHILFE

Eine junge Mutter will klären, was nach der Trennung von ihrem Mann für ihre vier Kinder das Beste ist. Sie versucht es mit einer Familienaufstellung, von der sie schon viel Gutes gehört hat. Während der öffentlichen Sitzung beschimpft der Aufsteller die Frau derart, dass sie weinend hinausläuft. Noch am selben Tag schreibt sie einen Abschiedsbrief. Sie will, dass ihre Tat «für die Kinder die Ordnung wiederherstellt», sagt sie, und nimmt sich das Leben. Eine andere Frau hat Asthma. Rebirthing, hat man ihr gesagt, hilft da mit Sicherheit. Nachdem sie die Atemtechnik probiert hat, gerät sie in eine Atemnot, die die Ärzte nicht mehr stoppen können. Sie stirbt, die Rebirtherin wird wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Eine Frau möchte wissen, ob sie früher schon einmal gelebt hat. Während einer Reinkarnations«therapie» erlebt sie sich als Scharfrichter im 15.Jahrhundert. Im Anschluss ist sie wegen heftiger Schuldgefühle so suizidgefährdet, dass sie für ein halbes Jahr in die Psychiatrie muss.

Diese Fälle sind alle so passiert. Menschen haben ihr Leben, ihre geistige Gesundheit oder auch nur ihr Wohlbefinden verloren, nachdem sie an esoterischen oder «alternativen» Psycho-Techniken teilgenommen haben. Techniken, die in keiner Weise fundiert oder erprobt waren. Durchgeführt von Personal, das weder Psychologie noch Medizin studiert hatte. Viele meinten es durchaus gut, andere wollten nur Geld machen. Würden Sie Ihren Körper bei jemandem unters Messer legen, der nicht Medizin studiert hat? Sondern aus Wochenendseminaren oder spiritueller Eingebung zu wissen glaubt, wo er schneiden muss? Tausende Menschen tun dies mit ihrer Seele. Oft enttäuscht von den herkömmlichen Psychotherapien sind Menschen bereit, sich auf «unkonventionelle» Methoden einzulassen – zumal, wenn diese sich mit Beschreibungen wie «ganzheitlich» oder «sanft» schmücken. Schaden kann’s ja nicht? Das ist leider ein Irrtum: Die Seele ist eines der verletzlichsten Teile des Menschen. Pfusch daran kann gravierende Folgen haben. Manchmal tödliche.

Natürlich kann auch ein Therapeut einer anerkannten psychotherapeutischen Methode Fehler machen. Aber bei vielen esoterischen Psycho-Techniken liegt der Fehler bereits in der Methode. Etwa, wenn Techniken körperlich riskant sind, wenn massive Grenzüberschreitungen als notwendig dargestellt werden oder Anbieter es sich zur Aufgabe machen, einem Patienten die Lösung seiner Probleme vorzugeben. Und wenn sie schlicht keine Ausbildung haben, um seelische Notfälle aufzufangen.

Warum aber wagen sich überhaupt so viele Menschen an Methoden, die in keiner Weise wissenschaftlich gesichert sind? Nach einem Bericht des Enquete-Kommission «Sekten und Psychogruppen» des Bundestages gibt es mittlerweile über 1000 verschiedene Verfahren in Deutschland. Die Zahl der alternativen Anbieter liegt dabei mit schätzungsweise 10000 bis 20000 etwa genau so hoch wie die der seriösen niedergelassenen Fachärzte und psychologischen Psychotherapeuten (17000). Dazu muss man wissen, dass die Zahl der seelischen Beschwerden in der Gesellschaft insgesamt steigt: Die Fehlzeiten wegen psychischer Erkrankungen haben seit 1995 um 80Prozent zugenommen (laut Bericht der AOK vom Februar 2009). Nach einem Bericht des Bundesministeriums für Bildung und Forschung erleidet knapp jeder dritte Deutsche einmal in seinem Leben eine psychische Erkrankung, etwa eine Depression oder unerklärliche Panikanfälle. Viele der Betroffenen haben Scheu, eine echte Psychotherapie zu beginnen. Da klingt das Angebot, es doch erst mal mit einem Wochenendseminar zu versuchen, verlockend. Dass dies nicht sanfter, sondern in vielen Fällen härter ist als eine Therapie, sagen die Anbieter nicht.

Den Teilnehmern ist dabei keinerlei Vorwurf zu machen. Ihre Energie und auch der Mut, etwas verändern zu wollen, verdienen Respekt. Wie riskant die Techniken sind, ist für sie oft nicht erkennbar. Vielleicht haben Freunde damit gerade gute Erfahrungen gemacht. Oder sie verlassen sich zu Recht darauf, dass die Volkshochschule, die das Seminar anbietet, die Qualität prüft. Oft lässt sie auch der versprochene Erfolg die Bedenken in Kauf nehmen. Denn nicht selten sind die Teilnehmer verzweifelt. Weil ihr Hausarzt sie in zehn Minuten abgefertigt und nur ein Beruhigungsmittel verschrieben hat. Weil sie dringend Hilfe brauchen, aber die öffentliche Erziehungsberatungsstelle sechs Wochen Wartezeit hat. Weil es ihnen so schlechtgeht, dass sie etwas suchen, was schnell hilft. Oder weil sie todkrank sind. Die Anbieter nutzen diese Verzweiflung aus, um ihre Kurse und ihr Portemonnaie zu füllen und ihrem Ego zu schmeicheln. Das ist in etwa so, als würde man einem Verdurstenden in der Wüste eine Flasche Essig für 20Euro verkaufen.

Denn eine echte Therapie haben die Rebirther, Engelseher und Familienaufsteller nicht anzubieten. Ihre Techniken schaffen zwar oft intensive Erlebnisse, aber sie leisten nicht, was eine Psychotherapie kann: alte Verletzungen zu heilen, destruktive Verhaltensmuster zu überwinden, neue auszuprobieren, damit der Betroffene am Ende stärker durchs Leben geht. All dies ist in der Kürze der Zeit nicht möglich – und die allermeisten Anbieter sind auch nicht qualifiziert dafür. Deshalb sind sie auch keine Therapeuten, und ihre Techniken sind keine Therapien, sondern bestenfalls «Pseudo-Therapien». Sie gaukeln dem Teilnehmer vor, er habe etwas bearbeitet. Oft hat er es aber nur aufgerissen und kann selbst sehen, wie er nun damit zurechtkommt.

Bei den meisten hier vorgestellten Techniken geht es nicht nur um potenzielle Risiken, sondern es gibt bereits Geschädigte oder Tote. Ihre genaue Zahl kennt niemand, da nur die Fälle überhaupt bekanntwerden, die anschließend professionelle Hilfe suchen, und auch diese werden nicht systematisch erfasst. Sicher ist aber: Immer mehr Menschen geht es nach der Teilnahme an Pseudo-Therapien schlechter als vorher. Allein bei der Sekten-Info Nordrhein-Westfalen haben sich von 2005 bis 2008 die Anfragen wegen Problemen mit esoterischen Methoden verdoppelt, von rund 60 auf 120 im Jahr. Die bundesweite Dunkelziffer liegt sicherlich um einiges höher.

Nun werden Befürworter einwenden, dass es doch aber auch viele begeisterte Teilnehmer der Methoden gibt. Dabei muss man aber drei Punkte bedenken: Erstens ist gar nicht sicher, ob es wirklich so viele sind. Es mag den Anschein haben, wenn sich auf der Website eines Anbieters viele entsprechende Berichte finden. Aber wirklich aussagekräftig ist es nicht – dazu müsste man systematisch und mit wissenschaftlichen Methoden alle Teilnehmer einer Technik aktiv befragen. Erfahrungsgemäß melden sich nämlich jene, die enttäuscht sind, hinterher nicht zu Wort. Die Geschädigten schon gar nicht.

Zum Zweiten kann eine unseriöse Technik durchaus den ersten Eindruck vermitteln, sie habe «viel gebracht». Schließlich geht der Teilnehmer oft durch intensive Gefühlserlebnisse, und entsprechend fühlt er sich hinterher anders als vorher, so wie man sich auch am Ende eines Urlaubs besser fühlt. Entscheidend ist aber, ob der Effekt anhält – oder ob nach zwei Monaten wieder alles beim Alten ist. Seriöse Psychotherapien prüfen das genau, wie am Ende des Buches erläutert wird. Unseriöse interessieren sich, wenn überhaupt, nur für den kurzfristigen Effekt.

Der dritte Punkt ist der entscheidende und der Grund, warum dieses Buch geschrieben wurde. Eine Therapie soll nicht nur relativ sicher helfen, sie darf auch nicht schaden. Dem Patienten darf es hinterher nicht schlechtergehen als vorher. Die Verantwortung dafür trägt nicht der Patient, sondern ausschließlich der Therapeut. Und genau dies ist bei den vorgestellten Techniken nicht gegeben. Sie enthalten Elemente, die Patienten schädigen können, zum Teil sogar schwer. Die meisten haben bereits Menschen geschädigt. Das ist nicht akzeptabel, egal, wie viele andere angeblich geheilt wurden. Drei begeisterte Teilnehmer wiegen nicht die eine auf, die nach der Familienaufstellung eine Psychose entwickelt hat. Das wäre ein «survival of the fittest» in der Psychotherapie.

Natürlich steht es jedem frei, eine solche Technik dennoch auszuprobieren. Doch dieses Buch liefert kein Pro und Kontra. Das würde bedeuten, dass man diese Techniken aus psychologischer Sicht ernst nimmt und sie mit den fundierten Psychotherapien auf eine Stufe stellt. Dieses Buch stellt neun Techniken vor, die erwiesenermaßen für Patienten gefährlich werden können: mit theoretischer Grundlage, Technik, erhoffter Wirkung – und Risiken. Es liefert Argumente, sich diesen Techniken nicht auszusetzen, sie aus dem Kursprogramm der Volkshochschule zu streichen, den Partner, die Freundin davor zu schützen.

Dieses Buch wäre nicht möglich gewesen ohne den Sachverstand und das Engagement vieler Fachleute: Professoren, die wissenschaftliche Standards verteidigen, Beraterinnen, die sich um das Wohlbefinden von Ratsuchenden sorgen, Juristen, die sich gegen die Misshandlung Schutzbefohlener einsetzen, Psychotherapeutinnen und Ärzte, die geschädigte Patienten behandeln, Vorsitzende von Berufsverbänden, die sich gegen die Vereinnahmung durch Scharlatane wehren. Sie alle finden in diesem Buch deutliche Worte über die Gefahren von Pseudo-Therapien. Ihnen gilt mein Dank, denn sie zeigen zugleich, wie hoch die Qualität psychotherapeutischer Versorgung in Deutschland ist. Zwar ist das Angebot noch nicht überall ausreichend und sind die Wartezeiten oft zu lang. Aber qualitativ haben wir heute wirklich gute Methoden und Fachleute, um psychische Beschwerden zu behandeln und oft sogar zu heilen. Wir brauchen keine Seelenpfuscher.

Anmerkung zur Wortwahl:

Aus Gründen der Lesbarkeit wurde auf die durchgehende Verwendung von weiblicher und männlicher Form verzichtet. Wenn sehr überwiegend von Frauen die Rede ist, wird die weibliche Form verwendet.

Niedergelassene Psychotherapeuten bezeichnen behandelte Personen nicht als Patienten, sondern als Klienten. In Kliniken wird jedoch bei denselben Störungsbildern von Patienten gesprochen. Da dieser Begriff auch in der Öffentlichkeit bekannter ist, wird er in diesem Buch durchgehend verwendet.

Spiritualität und Psychotherapie?

Dieses Buch zeigt ausführlich, welche Gefahren darin liegen, wenn Psychotherapie mit einer bestimmten Glaubensrichtung oder übersinnlichen Elementen vermischt wird. Nichtsdestotrotz sind aber viele Menschen auf der Suche nach einem tieferen Sinn, nach etwas, in das sie eingebunden sind. Diese Suche, offenbar ein urmenschliches Bedürfnis, ist zu respektieren, und die seriöse Psychotherapie muss ihm Rechnung tragen. Denn der Glaube kann zugleich eine wichtige Ressource für seelische Gesundheit und auch für Heilung sein (er ist aber nicht allein bereits die Heilung). So sind etwa gläubige Menschen weniger suizidgefährdet.

Wie kann die seriöse Psychotherapie Spiritualität respektieren und als Unterstützung der Therapie nutzen, ohne absolutistischen Glaubensrichtungen Tür und Tor zu öffnen? Einige Vorschläge hat der britische Psychiaterverband «Royal College of Psychiatrists». (RCP) vorgelegt, der eine eigene Arbeitsgruppe zu dem Thema hat. Zuerst müssten Psychotherapeuten klarstellen, was Spiritualität eigentlich genau sein soll. Die RCP definiert sie als «ein tiefes Gefühl von Sinn und Ziel des Lebens, verbunden mit einem Gefühl von Zugehörigkeit». Spiritualität muss also nicht notwendigerweise bedeuten, an Übersinnliches zu glauben oder erleuchtet zu sein. Sie kann auch darin liegen, dass sich jemand am Ufer eines Waldsees geborgen fühlt oder dankbar ist für alles Gute, das ihm schon widerfahren ist.

Der RCP empfiehlt, dem Patienten Raum zu geben, seine ganz persönliche Spiritualität zu leben, eventuell auch zu entdecken. Kliniken und Therapeuten könnten dies unterstützen, etwa durch ausreichende Pausen, Ausflüge in die Natur, Möglichkeiten für Patienten, sich kreativ auszudrücken. Patienten sollten ermutigt (aber nicht verpflichtet!) werden, einen Sinn in den verschiedenen Lebensereignissen zu finden, auch in Krankheit. Sie sollten das Gefühl haben, dass der Therapeut es gutheißt, wenn sie etwa ihre Beziehung zu Gott entwickeln. Therapeuten können diesen Prozess auch aktiv fördern, etwa durch Fragen wie «Was gibt Ihnen Hoffnung?» oder «Kennen Sie Situationen, in denen Sie sich wirklich zugehörig fühlten?». Dabei sind dies aber immer nur Angebote an den Patienten, sich selbst auf die Suche zu machen. Und: Spirituelle Erlebnisse können eine fundierte Psychotherapie unterstützen, aber nicht ersetzen.

Die Vorschläge der britischen Psychiater machen klar, wo der Unterschied zu Pseudo-Therapien liegt. Denn diese ermutigen den Patienten eben nicht, sich selbst auf die Suche zu machen, und damit ja auch eigene Stärken zu entwickeln, sondern geben ihm eine fertige Spiritualität quasi in der Packung vor. Wobei sich nach der obigen positiven Definition die Frage stellt, ob Pseudo-Therapien überhaupt wirklich spirituell sind – zielen doch viele de facto darauf ab, Menschen auszuschließen und Hierarchien aufzustellen (etwa Erleuchtete versus Menschen, die «noch nicht so weit sind»).

Die Vorschläge der RCP zeigen, wie auch spirituelle und gläubige Menschen in der seriösen Psychotherapie (wieder) eine Heimat finden könnten, damit sie nicht bei Seelenpfuschern ihre Gesundheit riskieren.

Wieder glücklich an einem Wochenende! TYPISCHE EIGENSCHAFTEN VON PSEUDO-THERAPIEN

Die vorgestellten Methoden erscheinen auf den ersten Blick sehr unterschiedlich. Bei genauerer Betrachtung haben sie jedoch viel gemeinsam. Dies sind auch genau die Punkte, in denen sie sich von seriösen Psychotherapien unterscheiden – und die für Ratsuchende gefährlich werden können.

Die Technik soll alle seelischen Beschwerden in kurzer Zeit und ein für alle Mal beheben.

Anbieter von Pseudo-Therapien wollen potenzielle Kunden überzeugen, eine Behandlung oder einen Kurs bei ihnen zu buchen oder ihr Buch zu kaufen. Dazu locken sie mit sehr weitreichenden Versprechen: Mit der Technik soll es jeder schaffen, alle seine Probleme schnell und für immer zu lösen. Aber mit diesen Versprechen ist es wie mit den Blitzdiäten: Sie sind reine Marketingtricks. Sie nutzen die Hoffnungen Ratsuchender aus. Denn der Wunsch nach schneller Hilfe ist weit verbreitet. Und er ist ja auch verständlich und legitim, wenn es jemandem gerade sehr schlechtgeht.

In diesen Versprechen liegt die größte Anziehungskraft unseriöser Techniken und auch der Grund, warum sie sich immer wieder gegen seriöse Therapien durchsetzen. In einer kassenfinanzierten tiefenpsychologisch orientierten Therapie plant die Therapeutin vielleicht mit einem, zwei Jahren Dauer. Eine Garantie auf Heilung gibt es nicht, aber eine sehr gute Chance. Die Therapeutin betont, dass nicht sie die Klientin heilt, sondern dass beide gemeinsam arbeiten wollen. Das klingt anstrengend (ist es auch, aber nicht nur)! Wie viel attraktiver ist da etwa eine Reinkarnationstherapie, die sagt: Du legst dich einmal hin, reist in ein früheres Leben, und deine Probleme sind gelöst! Aber so funktioniert die Seele nicht. Veränderungen brauchen Zeit, wenn sie von Dauer sein sollen. Ein sexueller Missbrauch etwa ist eine schwere Verletzung. Die kann und muss nicht an einem Wochenende heilen. Manches ist auch so schwer, dass es auch mit der besten Therapie nie ganz «verschwinden» wird. Der Patient kann aber einen Umgang damit entwickeln und trotzdem ein gutes Leben führen.

Viele Betroffene geben den Glauben dennoch nicht auf, einmal die richtige Blitz-Technik zu finden. Sie absolvieren dann hintereinander eine Familienaufstellung, Rebirthing, den Quadrinity-Prozess und schicken Bestellungen ans Universum. Immer in der Hoffnung: Diesmal klappt’s!

Der Nachweis der angeblichen Wirkung stützt sich nur auf Fallberichte, die ausführlich und dramatisch geschildert werden.

Auf den Webseiten der Anbieter finden sich erstaunliche Berichte von Erfolgen (obwohl dies Heilpraktikern verboten ist). Das macht natürlich neugierig und weckt Hoffnungen: Wenn es dieser Betroffenen doch geholfen hat, ist es vielleicht auch etwas für mich? Wo sie doch genau die gleichen Beschwerden hat! Aber erstens haben Sie keine Garantie, dass es diese Fälle wirklich gibt und sie sich tatsächlich so abgespielt haben. Zweitens wissen Sie nicht, wie viele negative Fälle es gab, die natürlich nicht auf der Website stehen. Und drittens sagen ein oder mehrere Fälle noch nichts über die Methode an sich aus. Seriöse Psychotherapien stellen viel höhere Anforderungen. Grundsätzlich gilt: Erst Untersuchungen mit mehreren Tausend Patienten zeigen, ob eine Technik wirklich systematisch etwas verändert – oder ob es sich nur um Zufallserfolge handelt. Solche Untersuchungen gibt es für die hier vorgestellten Techniken nicht. Ihre angebliche Wirkung ist in keiner Weise bewiesen.

Die Anbieter sind mangelhaft oder gar nicht therapeutisch ausgebildet.

Psychotherapeut zu werden, ist eine der aufwendigsten Ausbildungen in unserer Gesellschaft. Es erfordert ein abgeschlossenes Studium und mehrere Jahre Zusatzausbildung. Die Anbieter von Pseudo-Therapien haben hingegen oft gar keine entsprechende Ausbildung – sie sind eigentlich Sekretärinnen, Betriebswirte oder Techniker. Wenn überhaupt, haben sie ein paar Wochenendkurse besucht. Manche beziehen ihre Qualifikation auch nur aus angeblichen übersinnlichen Erlebnissen. Einige Institute werben zwar mit «Standards» und einem «Diplom». Aber das sind keine geschützten Begriffe, solange die Anbieter sie nicht für tatsächliche Diplomfächer wie Psychologie oder Ingenieurwissenschaften verwenden. Jeder kann zu einer von ihm erfundenen Technik ein Institut eröffnen, sich Standards ausdenken und Diplome vergeben, auch wenn er von dem Fach gar keine Ahnung hat. Selbst wenn die «Ausbildung» für eine bestimmte Technik genau festgelegt ist, so ist dies kein Zeichen für Qualität. Denn die Methode, in der ausgebildet wird, ist eben keine Psychotherapie, sondern oft nur eine selbstausgedachte Technik, die noch dazu gefährliche Nebenwirkungen hat. Achtung: Auch verwandte Ausbildungen wie Lehrer oder Krankenschwester reichen nicht, um Psychotherapie zu betreiben.

Nicht selten werben die Anbieter damit, wie sehr ihnen die Technik selbst geholfen habe. Da wird ausführlich berichtet, dass man selbst depressiv war oder gar suizidgefährdet. Zwar darf auch ein Psychotherapeut durchaus psychische Probleme haben oder selbst eine Therapie machen. Dies allein qualifiziert ihn aber in keiner Weise, andere zu behandeln. Bei nicht wenigen Anbietern zeigen sich zudem problematische, narzisstische Persönlichkeitszüge. Sie glorifizieren ihre Erfindung, lassen sich von Patienten bewundern und benutzen diese, um ihr eigenes Ego aufzubessern.

Die Technik reißt in kurzer Zeit viel auf.

Hier liegt eine der größten Gefahren von Pseudo-Therapien. Die Anbieter vermitteln den Teilnehmern, es sei günstig, möglichst alle Verletzungen aufzudecken. Nur dann werde man sie los – eine Art Frühjahrsputz für die Seele. Teilnehmer werden zuweilen regelrecht gedrängt, schnell alles zu erzählen, schlimmste Momente nochmal zu durchleben oder Gefühle ins Extreme zu steigern. Dies ist ein grober therapeutischer Fehler. Verdrängung ist keine Fehlfunktion, sondern ein Schutzschild der Seele. Der Mensch bewahrt sich damit erst mal vor Überforderung. Denn wenn Schmerz zu stark wird, kann der Geist kollabieren – der Mensch gleitet in einer Psychose, eine Wahnvorstellung ab. Das heißt nicht, dass man an Verdrängungen nicht arbeiten kann. Auch seriöse Psychotherapien nähern sich traumatischen Erlebnissen, aber immer sehr langsam und vorsichtig. Sie respektieren auf jeden Fall, wenn jemand eine Grenze (noch) nicht überschreiten möchte.

Die Technik arbeitet mit übersinnlichen Elementen.

Dies trifft nicht auf alle, aber auf die meisten der vorgestellten Pseudo-Therapien zu. Sie enthalten ein Element, das mit der Vernunft nicht zu erklären ist: ein «wissendes Feld», Engel, Botschaften aus früheren Leben. Kurz: Dinge, deren Existenz sich nicht beweisen lässt, sondern an die man glauben muss (damit die Technik wirkt). Das mag auf den ersten Blick entlastend sein – eine «höhere Macht» kümmert sich um den Patienten. Tatsächlich aber räumt er dieser höheren Macht Einfluss auf sein Leben ein, und der Ausgang der Technik wird für ihn unkontrollierbar. Besonders gefährlich wird es, wenn der Anbieter als Vermittler dieser Macht auftritt, wie etwa bei der Familienaufstellung. Denn dann kann er seine eigenen Ansichten als therapeutisch notwendig verkaufen – etwa, dass der Onkel, der ein Kind missbraucht hat, nicht angezeigt werden soll. Oder dass die Kinder nach einer Trennung beim Vater leben müssen. Für den Patienten ist es sehr schwer, solche Ratschläge abzulehnen, denn er möchte ja eine Verbesserung erreichen. Nicht wenige Anbieter missbrauchen ihre Position auch dazu, Patienten zu beschuldigen oder zu beschimpfen – alles unter dem Deckmantel der höheren Macht.

Die Technik gibt konkrete Ratschläge.

Für seriöse Psychotherapeuten gibt es eine goldene Regel: Sage niemals einem Patienten, wie er sein Leben gestalten soll. Unterstütze ihn dabei, es selbst herauszufinden. Du kannst durchaus einen Vorschlag machen, aber wenn der Patient ihn ablehnt, ist es auch o.k., denn es gibt viele Wege zum Glück. Da die allermeisten Anbieter von Pseudo-Therapien keine Psychotherapeuten sind, kennen sie diese Regel nicht. Und praktizieren das genaue Gegenteil: Sie geben Patienten ungefragt Ratschläge, ja regelrecht Anweisungen, was sie tun und lassen sollen. Manchmal ist dies zentraler Bestandteil der Technik, wie etwa bei der Familienaufstellung. Aber auch die Anbieter anderer Techniken, die erst weniger direktiv wirken, nutzen die Ratlosigkeit von Patienten, um ihnen eine konkrete Lebensgestaltung vorzugeben oder doch zumindest nahezulegen.

Die Technik vermittelt ein konservatives, enges Weltbild.

Manche Leser werden an dieser Stelle stutzen. Sind Pseudo-Therapien nicht alternative Angebote und als solche fortschrittlich, tolerant und offen? Auf den ersten Blick vermitteln sie diesen Eindruck, und viele der Teilnehmer dürften auch eher zum sozialdemokratischen bis grünen oder linken Spektrum gehören. Untersucht man aber genauer, welches Welt- und Menschenbild hinter den Techniken steht, so ist dies oft weit rechts von der Christdemokratie einzuordnen und passt kaum zur Realität des 21.Jahrhunderts. Da wird etwa vermittelt, dass für die Erziehung von Kindern vor allem die Frauen zuständig seien. Dass ein gewalttätiger Ehemann für sein Handeln nicht selbst verantwortlich ist, sondern durch die Frau dazu getrieben wird. Dass man Homosexuelle «heilen» müsse. Dass Mütter besser nicht arbeiten sollten. Manchmal wird dies nicht so deutlich ausgesprochen. Es wird dann nur gesagt, dass die Bindung «Schaden nehme», wenn die Mutter «ihre Karriere» verfolge. Man kann sich vorstellen, was dies in einer verzweifelten berufstätigen Mutter auslöst, die mit ihrem hyperaktiven Kind in die Behandlung kommt.

Zudem beinhalten vor allem die esoterischen Techniken oft elitäre Ansprüche: Die «Meister» oder «Erleuchteten» stehen moralisch über den anderen, die «noch nicht so weit sind». Der Ratsuchende erlebt sich dadurch vor allem als schwach und fehlerhaft, die «Therapeuten» hingegen wirken perfekt und allmächtig. In vielen Dankesschreiben, mit denen sich die Anbieter brüsten, ist dieses Gefälle deutlich erkennbar.

Wenn die Technik doch nicht hilft, ist der Patient schuld.

Viele Techniken garantieren dem (zahlenden) Kunden die hundertprozentige Heilung und geraten natürlich in akute Erklärungsnot, wenn es ihm nachher kein Stück besser-, sondern sogar schlechtergeht. Bei praktisch keinem Anbieter habe ich erlebt, dass er durch die Berichte über geschädigte Teilnehmer ins Nachdenken gekommen ist. Stattdessen schlug der bislang supersanfte Ton urplötzlich in Feindseligkeit gegen den Betroffenen um: «Der war einfach noch nicht reif.» – «Er hat sich nicht drauf eingelassen.» – «Sie wollte gar nicht gesund werden.» – «Sie macht es sich in ihrer Verdrängung gemütlich.» – «Wie hätte ich erkennen sollen, dass sie suizidgefährdet ist?» Oft werden auch andere Teilnehmer zu einer solchen abwertenden Haltung gegenüber den «Versagern» ermuntert.

Patienten derart zu beschimpfen, ist immer ein grober therapeutischer Fehler – egal, aus welchem Grund. Denn ein Patient hat das Recht, schwierig zu sein, mit einer Technik Probleme zu haben oder sie gar ganz abzulehnen. Dass er dennoch keinen Schaden davonträgt, ist die Verantwortung des Therapeuten.

Die Anbieter kontern Berichte über geschädigte Patienten auch gern damit, vielen anderen habe die Technik aber geholfen – also trage der Erfolglose selbst die Verantwortung. Ein solches Aufrechnen ist nicht nur unwissenschaftlich, sondern auch menschlich zynisch. Sollen vier angeblich geheilte Depressive wiedergutmachen, dass die fünfte einen Suizidversuch unternommen hat? Weil der Heilpraktiker die Gefahr nicht erkannt hat, gar nicht erkennen konnte, weil ihm schlicht die Ausbildung fehlt? Bei Medikamenten reichen oft wenige ungeklärte Komplikationen, damit ein Mittel wieder vom Markt genommen werden muss. Ebenso ist es bei der staatlichen Prüfung von Psychotherapien: Schon wenn nur zehn Prozent der Studien schädliche Effekte nachweisen, wird die Anerkennung versagt. Und das ist gut so.

Der Patient muss sicher sein können, dass es ihm durch Psychotherapie nicht schlechter geht als vorher.

Wer nutzt Pseudo-Therapien – und warum?

Natürlich lassen sich die Nutzerinnen und Nutzer von Rebirthing, Channeln oder Rückführung nicht wie Versicherte bei den Krankenkassen systematisch erfassen. Einen Eindruck gibt aber eine Befragung im Auftrag der Enquete-Kommission «Sogenannte Sekten und Psychogruppen» des Deutschen Bundestages von 1998.Befragt wurden rund 200Personen, die insgesamt 104 verschiedene Angebote genutzt hatten (darunter allerdings auch sehr viele Techniken wie Yoga oder Bach-Blüten, die ungefährlich sind und daher hier nicht aufgeführt werden). Zwei Drittel waren Frauen. Insgesamt hatte die Gruppe ein überdurchschnittliches Bildungsniveau und war häufiger aus der Kirche ausgetreten als der Bevölkerungsdurchschnitt. Jede/​r Zweite hatte bereits eine reguläre Psychotherapie gemacht – und war vermutlich davon enttäuscht. Durchschnittlich wurden pro Jahr 1000Euro (2000DM) für alternative Methoden ausgegeben. Der häufigste Grund, warum Menschen sich diesen Methoden zuwenden, sind psychische Probleme (28Prozent), gefolgt von psychosomatischen (22Prozent), körperlichen (22Prozent) und sozialen Problemen (14Prozent). 14Prozent waren auf der Suche nach Selbsterfahrung, und 13Prozent wünschten sich eine Bewusstseinserweiterung. Auf die Frage, warum es gerade eine alternative Technik sein sollte, war die häufigste Antwort: «Unzufriedenheit bzw. Enttäuschung bezüglich schulmedizinischer Behandlung». Diese Enttäuschung erklärt wahrscheinlich auch einen großen Teil des scheinbaren «Erfolgs» von Pseudo-Therapeuten: Viele bieten tatsächlich mehr Zeit, mehr Zuwendung, mehr Interesse am ganzen Leben des Patienten als Ärzte – im Gegensatz zu diesen bekommen sie sie ja auch bezahlt. Verwunderlich ist aber, dass das Misstrauen gegenüber der Schulmedizin offenbar auch auf den Bereich der kassenfinanzierten Psychotherapie übertragen wird, obwohl diese auch Zeit und Zuwendung bietet. Viele Pseudo-Therapeuten schüren dieses Misstrauen auch gezielt, indem sie behaupten, Psychotherapien wirkten nicht oder würden «ewig dauern».

Hinweis:

Die in diesem Buch zu Beginn jedes Kapitels geschilderten Szenen sind, wenn nicht anders angegeben, fiktive Beispiele, die den typischen Verlauf einer Technik illustrieren sollen.

Aber… DIE HÄUFIGSTEN ARGUMENTE DER ANHÄNGER VON PSEUDO-THERAPIEN

Jeder kann doch selbst entscheiden, ob eine Technik für ihn das Richtige ist!

Grundsätzlich steht es natürlich jedem frei, eine Technik als Teilnehmer auszuprobieren. Um sich aber wirklich dafür oder dagegen entscheiden zu können, braucht er oder sie genügend Informationen über den genauen Ablauf und auch darüber, welche Risiken bei bestimmten psychischen Maßnahmen bestehen. Beides hat der Laie meist nicht. Die Anbieter der Techniken selbst informieren entweder gar nicht (wie der Quadrinity-Prozess, der die Geheimhaltung als therapeutisch notwendig darstellt) oder nur einseitig. Oft wird nur die positive Seite einer Technik geschildert, die negative aber verschwiegen. So klingt es natürlich verlockend, dass man sich alle Wünsche durch Bestellungen ans Universum erfüllen kann. Dass man aber sein Unglück angeblich auch selbst herbeigedacht hat, wird erst im zweiten Schritt verraten. Zu dem Zeitpunkt ist der Patient meist schon so überzeugt von der Technik, dass ein Widerspruch schwerfällt und er verletzbar ist. Würde man die negativen Seiten, die brutalen Szenen der Pseudo-Therapien, als Erstes nennen, würden wohl die meisten Ratsuchenden davon Abstand nehmen.

Das eigene psychische Risiko ist für Laien noch schwerer einzuschätzen. Denn es gehört nicht unbedingt zum Allgemeinwissen, wie die Seele schwere Belastungen verarbeitet, welche Probleme dabei auftreten können und wie schnell man sie auch schädigen kann, wenn man einen wunden Punkt trifft. Suizidforscher können ein Lied davon singen, dass etwa die allgemeine Suizidgefahr drastisch unterschätzt wird. Natürlich ist nicht jeder, der Hilfe sucht, potenziell suizidgefährdet. Aber es reicht schon die Gefahr, dass er in der Technik beschuldigt wird und Wochen braucht, um sich davon innerlich wieder zu befreien.

Die Anbieter der Pseudo-Therapien nutzen diese Unwissenheit aus, indem sie Maßnahmen als sinnvoll verkaufen, bei denen jeder seriöse Psychotherapeut aufschreien würde – etwa, in kurzer Zeit viele tiefe Verletzungen «durchzuarbeiten». Oft argumentieren sie dabei so geschickt, dass der Laie keinen Verdacht schöpfen kann. Oder sie schreiben die Technik fälschlich seriösen Therapeuten zu (wie die Familienaufstellung «nach Hellinger und Satir»), die sich oft dagegen nicht mehr wehren können, weil sie nicht mehr leben.

Oft wird die Entscheidung für oder gegen eine Pseudo-Therapie auch recht spontan getroffen, weil ein Bekannter damit gerade gute Erfahrungen gemacht hat. Bei vielen anderen Entscheidungen mag es auch richtig sein, sich an seinem Umfeld zu orientieren. Psychotherapie ist aber etwas sehr Persönliches. Was für den einen das Richtige ist, kann für den anderen überhaupt nicht passen, auch in der seriösen Therapie. Hier können Freunde oder Bekannte nur bedingt weiterhelfen. Denn entscheidend ist auch der Grad der Beeinträchtigung: Wer nur ein bisschen Selbsterfahrung sucht, mag eine Rückführung «ganz interessant» finden. Wer dasselbe aber macht, weil er an Depressionen leidet und als Kind missbraucht worden ist, hat ein viel höheres Risiko, dass etwas schiefgeht. Man sollte daher niemals, auch wenn man selbst gute Erfahrungen gemacht hat, jemand anderem zur Teilnahme an einer Pseudo-Therapie raten oder ihn gar dazu drängen.

Für begeisterte Teilnehmer ist es aber oft schwer, Kritik an der Technik zu hören. Sie fühlen sich dadurch persönlich angegriffen, nach dem Motto «Ich lasse mir nicht erzählen, was ich gut oder schlecht finden soll – ich habe es doch selbst erlebt!». Subjektiv ist das sehr verständlich. Es ist auch nicht so, dass alle, die eine Technik gut finden, nur verblendet sind, ihre Schilderungen sind teilweise durchaus glaubhaft. Nur: Es ist eben eine rein subjektive Meinung. Und es gibt zahlreiche andere Personen, die mit Pseudo-Therapien negative Erfahrungen gemacht haben. Diese wiegen für die generelle Bewertung der Technik schwerer als die positiven.

Die Geschädigten, muss man bedenken, haben sich ja ebenfalls selbst «frei» entschieden, an der Pseudo-Therapie teilzunehmen. Und hier wird deutlich, warum man die Einschätzung, ob eine Technik gut ist oder nicht, eben nicht jedem Einzelnen überlassen kann. Denn das hieße ja im Umkehrschluss, dass ja auch jeder Geschädigte selbst schuld ist, wenn ihm etwas passiert. Hier ist auch die Gesellschaft in der Verantwortung, die Gefahren unseriöser Therapien deutlich zu machen und jeder Vermischung zwischen echter Psychotherapie und Esoterik und Scharlatanen entgegenzutreten.

Ist an den Techniken bei aller Kritik nicht etwas Wahres dran?

Die meisten Pseudo-Therapien sind eine Mischung aus Humbug, Halbwahrheiten und solchen Elementen, die tatsächlich therapeutisch wirken können. Das erklärt auch, warum manche Teilnehmer überhaupt von Pseudo-Therapien profitieren. Die positiven Anteile sind meist aus der seriösen Therapie übernommen worden. Man könnte sie also auch dort nutzen. Die Pseudo-Therapeuten haben diese positiven Elemente aber oft ins Extreme verzerrt oder mit anderen, oft übersinnlichen Elementen vermischt. Und genau dadurch werden sie gefährlich. So ist etwa der Anstoß, doch einmal zu prüfen, ob die Kollegen wirklich so feindselig sind oder ob man dies nur befürchtet, durchaus positiv. Wenn man aber wie The Work daraus macht, dass immer nicht die Kollegen, sondern man selbst feindselig ist, wird es absurd und riskant. Ein weiteres Beispiel: Auch die seriöse Therapie geht davon aus, dass es heilend wirken kann, seinen Eltern zu vergeben. Es wird aber auch akzeptiert, wenn der Patient dies nicht kann oder möchte, weil die Verletzung zu groß war. Der Quadrinity-Prozess macht daraus, dass der Betroffene in jedem Fall vergeben muss.

Stabile Teilnehmer können die positiven Elemente für sich nutzen und die anderen ignorieren oder gar zurückweisen. Ihr Risiko, geschädigt zu werden, ist entsprechend geringer (aber nicht gleich null, denn jeder hat irgendwo einen wunden Punkt). Teilnehmer, die wirklich Hilfe brauchen, können das aber nicht mehr. Sie entwickeln oft schnell eine Nähe zu der Technik und zum Anbieter, die sie «offen für alles» macht – auch für Angriffe und Schuldzuweisungen.

Den meisten Anbietern geht es doch um die gute Sache.

Die Pseudo-Therapeuten betonen das und suggerieren, dass sie keinerlei persönliches Interesse hätten. Tatsächlich geht es aber auch um viel Geld. Nicht wenige Erfinder von Pseudo-Therapien sind durch ihre Technik wohlhabend oder sogar reich geworden. Dies gilt auch für einige Anbieter. Für viele andere ist es zumindest eine Möglichkeit, Geld in einem Bereich zu verdienen, für den sie eigentlich nicht qualifiziert sind. Nicht umsonst drängen gerade Menschen mit einer ansonsten geringen Qualifikation auf den Heilpraktikermarkt. Zum Vergleich: Ein Heilpraktiker nimmt für eine vierstündige Beratung zu The Secret 399Euro. Für einen vergleichbaren Stundenlohn muss eine seriöse Psychotherapeutin fünf Jahre studieren und eine mehrjährige, selbstbezahlte Zusatzausbildung machen.