Die Sehnsucht, der Junge und das Meer - Thomas Baschab - E-Book

Die Sehnsucht, der Junge und das Meer E-Book

Thomas Baschab

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Beschreibung

Ein Junge und seine große Sehnsucht – Pablos Geschichte weist uns den Weg zur Verwirklichung unserer Träume

Seit seiner Kindheit träumt Pablo davon, ein Entdecker zu werden, und doch sitzt er bis heute in seinem Heimatdorf fest und soll nun sogar heiraten. Aber will er das überhaupt? Wäre er dann nicht für den Rest seines Daseins an diesen Ort gefesselt? Zweifellos hätte er ein gutes, sicheres Leben – doch soll das wirklich schon alles gewesen sein?
Als er sich eines Morgens aufmacht, um zum Fischen aufs Meer hinauszufahren, begegnet ihm ein alter Mann. »Was hindert dich daran, deinen Traum zu verwirklichen?«, fragt er ihn. Die Frage lässt Pablo nicht mehr los. Doch so einfach ist das nicht. Soll er jede Sicherheit aufgeben? Die Erwartungen seiner Eltern, seiner künftigen Frau enttäuschen? In eine ungewisse Zukunft gehen? Und das alles nur um einer fixen Idee willen?
Die Sehnsucht, der Junge und das Meer erzählt auf gleichnishafte Weise, wie es gelingt, seine Träume zu leben. Wie durch einen Zauber weckt dieses Buch die Sehnsucht, endlich aufzubrechen, um Sinn und Glück im Leben zu finden.
Eine frühe Fassung dieses Buches erschien 2006 unter dem Titel »Pablos Traum«.

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Seitenzahl: 190

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Das Buch

Seit seiner Kindheit träumt Pablo davon, ein Entdecker zu werden, und doch sitzt er bis heute in seinem Heimatdorf fest und soll nun sogar heiraten. Aber will er das überhaupt?

Wäre er dann nicht für den Rest seines Daseins an diesen Ort gefesselt? Zweifellos hätte er ein gutes, sicheres Leben – doch soll das wirklich schon alles gewesen sein?

Die Sehnsucht, der Junge und das Meer erzählt auf gleichnishafte Weise, wie es gelingt, seine Träume zu leben. Wie durch einen Zauber weckt dieses Buch die Sehnsucht, endlich aufzubrechen, um Sinn und Glück im Leben zu finden.

Der Autor

Thomas Baschab, geboren 1960, ist Mentaltrainer für renommierte Unternehmen (u.a. Audi, BMW, Lufthansa, Bosch, Siemens, Microsoft, Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken) und zahlreiche Spitzensportler (u.a. VfB Stuttgart, Hamburger SV, Karlsruher SC, Olympiasieger und Weltmeister verschiedener Sportarten). Zehntausende besuchen Jahr für Jahr seine Seminare und entdecken so für sich den Erfolg. Der Autor lebt in Weilheim in der Nähe von Lüneburg.

Eine Erstfassung dieses Buches erschien 2006 unter dem Titel »Pablos Traum« im Knaur Verlag, einem Imprint der Droemer Knaur Verlagsgruppe GmbH & Co. KG, München.

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Gekürzte und bearbeitete Neuauflage

Copyright © 2021 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München Dieses Werk wurde vermittelt durch die AVA international GmbH Autoren und Verlagsagentur München.

www.ava-international.deRedaktion: Bettina Traub

Umschlaggestaltung: © Guter Punkt, München

Umschlagmotiv: © Christl Glatz, Guter Punkt, unter Verwendung von Motiven von iStock/Getty Images Plus

Satz: Sabine Dunst, Guter Punkt, München

E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN:978-3-641-26431-4V001

www.heyne.de

Kapitel 1

Die Entscheidung

Kapitel 2

Aller Anfang ist schwer

Kapitel 3

Das Glück der Bestimmung

Kapitel 4

Von Tiefen und Höhen

Kapitel 5

Die eigene Wirklichkeit

Kapitel 6

Äußere Hindernisse und innere Grenzen

Kapitel 7

Die Veränderung

Kapitel 8

Mit ganzer Kraft

Kapitel 9

Das Leben selbst in die Hand nehmen

Für meine Eltern, Rita und Arthur Baschab

KAPITEL 1

Die Entscheidung

An diesem Morgen blieb Pablo auf der Bank vor dem Ofen sitzen und rührte sich nicht. Sein Vater stand schon in der Tür der kleinen Fischerhütte und sah ihn auffordernd an.

»Was ist mit dir, Pablo?«, fragte seine Mutter besorgt.

»Ich weiß auch nicht«, sagte er mit matter Stimme. »Ich fühle mich wie jemand, der sich im Nebel verirrt hat.«

»Aber Junge!«, rief die Mutter und blickte ihn erschrocken an. »Du wirst doch nicht etwa krank – drei Tage vor deiner Vermählung?«

»Krank, ach was!«, meinte der Vater. »Angst hat der Kerl – wie jeder Mann, wenn er seine Hochzeitsglocken läuten hört!«

Pablo legte die Arme auf den Tisch und ließ den Kopf hängen. »Du hast ja recht, Vater«, sagte er leise. »Olivia ist ein nettes Mädchen, und ich sollte glücklich sein, dass ich sie zur Frau bekommen darf.« Plötzlich sprang Pablo von der Bank auf und ging in der engen Hütte auf und ab. »Aber ich wollte mit einem Schiff übers Meer fahren, bis an ferne Küsten, neue Länder entdecken, die vor mir noch niemand gesehen hat.«

»Flausen«, knurrte der Vater. »Komm jetzt endlich. Oder willst du, dass unsere Netze heute leer bleiben?«

Gerade ging die Sonne auf, und die ersten Ruderboote fuhren aus dem Hafen hinaus. Pablo lief den Kai entlang, sprang in sein Boot und löste das Seil. Erst vor wenigen Monaten hatte ihm sein Vater den Ruderkahn geschenkt.

Ganz in Gedanken, ruderte er weit hinaus. Alles ist längst beschlossen: Ich werde mein Leben als Fischer verbringen und Olivia heiraten. Als er umherblickte, sah er nur noch das endlose, in der Morgensonne glitzernde Meer. Pablo warf sein Netz aus, nahm dann die vier kleinen Lederbälle, die er immer in seinen Hosentaschen trug, und begann zu jonglieren. Während er die Bälle in die Luft warf und wieder auffing, konnte er am besten nachdenken.

Als kleiner Junge hatte er diese Kunst vom alten Pepe gelernt, dem Gaukler und Zauberer, der jeden Herbst mit seinem Eselskarren zu ihnen ins Dorf kam und ihn vom ersten Augenblick an faszinierte. Seit damals jonglierte Pablo bei jeder Gelegenheit mit allem, was ihm in die Finger kam – und wenn er sich unbeobachtet glaubte, sogar mit Fischen.

Olivia, die Wirtstochter, war wirklich ein nettes Mädchen, hübsch und von ruhiger, zufriedener Wesensart. Lange hatte sich Pablo sein zukünftiges Leben an ihrer Seite ausgemalt. Aber was ist nur los mit mir, fragte er sich selbst, warum bin ich denn nicht glücklich?

Plötzlich wurde sein Boot von einem heftigen Ruck erschüttert. Beinahe wäre Pablo über Bord gegangen, doch im letzten Moment konnte er sich am Bootsrand festklammern. Die Bälle prasselten auf ihn herab, aber glücklicherweise landete keiner von ihnen im Wasser. Da muss mir aber ein gewaltiger Fisch ins Netz gegangen sein, dachte Pablo. Doch es hatten sich nur ein paar Dutzend kleine Fische zwischen den Maschen verfangen. Gerade wollte er das Netz wieder auswerfen, da bemerkte er die Kugel. Sie war fast gänzlich von schimmernden Fischleibern bedeckt. Pablo zog sie heraus und drehte sie in der Hand hin und her. Ein silbern glitzernder, kleiner Ball. Wundersamerweise klopfte sein Herz ganz aufgeregt.

Das Boot schaukelte auf den Wellen, und im gleichen Rhythmus schien sich etwas im Innern der Kugel zu bewegen. Wie umherwabernde Nebelschwaden. Plötzlich formten sie sich wie von Zauberhand zu einem Gesicht, das mit den zerfurchten Zügen und dem weißen Bart wie das eines alten Mannes wirkte. Zwei schwarze Augen glühten Pablo erwartungsvoll entgegen.

»Was machst du hier?«, fragte da der Alte in der Kugel.

»Was … ich …?«, stotterte Pablo und biss sich auf die Zunge. Das konnte doch nicht sein, dass in dieser Kugel ein alter Mann hauste, der ihn auf einmal ansprach?

»Was machst du hier in diesem Boot?«, fragte der Alte erneut.

»Ich … ich bin Fischer«, stammelte Pablo. »Und ich fahre jeden Morgen mit meinem Boot hinaus aufs Meer.«

»Macht dir das Spaß? Bist du ein guter Fischer?«

»Na ja«, antwortete Pablo. »Es ist meine Arbeit.« Er setzte sich auf die Ruderbank. Unablässig schien ihn der Alte aus dem Innern der Kugel anzusehen. »Wenn ich die Wahl hätte«, sagte er, »würde ich nicht den ganzen Tag hier sitzen und darauf warten, dass mir ein paar Fische ins Netz gehen.« Er seufzte. »Und in den Netzen der anderen Fischer aus dem Dorf sind am Abend auch immer mehr Fische als in meinem Netz.«

»Was würdest du denn lieber tun?«

Pablo seufzte. »Mein Traum wäre es, übers Meer zu fahren, die Welt zu erforschen und Abenteuer zu erleben.«

»Und warum fährst du nicht einfach los?«, fragte der alte Mann forsch. »Wer weiß, ob du da draußen in der Welt nicht viel mehr ausrichten könntest als in deinem Dorf?«

Wie meinte er das?, fragte sich Pablo.

»Wie wäre es, etwas zu tun, das dich viel mehr erfüllt, als den lieben langen Tag darauf zu warten, dass dir ein paar Fische ins Netz gehen? Wie wäre es zum Beispiel, auf Menschen zu treffen, von denen du etwas lernen könntest?«

Der Alte hörte gar nicht mehr auf. In Pablos Kopf drehte sich alles.

»Was hindert dich daran, deinen Traum zu leben?«, setzte er nach.

»Alles hindert mich daran«, fing Pablo an zu erklären. Ich brauche ein Auskommen. Brauche …« Und während er nach den passenden Worten suchte, begann das Gesicht in der Kugel wieder zu verschwimmen, und im spiegelnden Metall waren nur noch seine eigenen Züge zu erkennen. Pablo sah sich um. Hatte er sich das alles nur eingebildet? Sein Boot schaukelte auf den sanften Wellen, die Sonne brannte vom Himmel, Möwen schossen wie gefiederte Pfeile ins blaue Wasser hinab. Alles war wie immer. Außer dass in seinem Kopf nun die Fragen des Alten rumorten.

Was hindert mich eigentlich daran, in die Welt hinaus zu ziehen? Oft malte sich Pablo aus, wie er als kühner Entdecker durch die Lande zog oder auf einem großen Schiff über die Meere kreuzte. Pablo drehte die Kugel abermals in seiner Hand, doch das Gesicht des Alten wollte nicht wieder erscheinen. Stattdessen dachte Pablo über seine Fragen nach. Was wäre, wenn er wirklich machen könnte, was er wollte? Er warf die Kugel in die Luft und fing sie wieder auf. Was der alte Pepe wohl dazu gesagt hätte? Zum Jonglieren war sie zu schwer, und mit einer einzigen Kugel konnte man sowieso keine Kunststücke vollführen. Aber die Silberkugel hatte seine Gedanken ins Rollen gebracht, wie die kleinen Lederbälle.

Für seinen Vater, dachte Pablo, war es ganz selbstverständlich, dass sein Sohn Fischer wurde, so, wie er selbst sein ganzes Leben lang als Fischer aufs Meer hinausgefahren war. Ein Tag glich dem anderen, doch zumindest gab es stets genug zu essen und ein Dach über dem Kopf. Und schließlich war da noch Olivia, bei deren liebem Lächeln ihm immer ganz warm ums Herz wurde. In drei Tagen wollten sie heiraten! Wie könnte er das alles so einfach aufgeben? Und selbst wenn – er würde nicht weit kommen, mit seinem kleinen Ruderkahn.

Pablo beschirmte die Augen mit der flachen Hand und blickte auf den Ozean. Auf einmal wurde ihm ganz sonderbar zumute. Fühlte er tief in seinem Innern nicht plötzlich ein abenteuerlustiges Kribbeln? Ob er es doch wagen sollte? Ach was, ganz unmöglich, sagte sich Pablo dann wieder und ließ die Hand sinken. Der Vater würde mich verfluchen, der Mutter würde ich das Herz brechen – und Olivia? Sie wird einen anderen finden, flüsterte ihm da eine Stimme zu, die aus der Kugel zu dringen schien. Einen jungen Fischer, der sich nichts anderes wünscht, als sein Leben hier im Dorf und in der kleinen Bucht zu verbringen. Pablo überlegte hin und her. Noch ist es nicht zu spät. Noch kann ich mein Glück in die eigenen Hände nehmen. Ich muss mich nur trauen und mir einen Ruck geben, der mich aus allem herausholt, was mich hier festhalten will. Wieder nahm er die Kugel und drehte sie zwischen den Händen. Der bärtige Alte ließ sich einfach nicht mehr blicken.

Mit einem Mal erschien vor Pablos geistigem Auge ein anderes Gesicht, das gütige Antlitz seines Großvaters. Er hatte ihm einige Lebensweisheiten mit auf den Weg gegeben, deren Sinn sich Pablo erst heute erschloss. »Du wirst in deinem Leben immer wieder Entscheidungen treffen müssen«, hatte der Großvater gesagt, »und es ist unvermeidlich, dass du dich manchmal auch falsch entscheidest. Aber aus Fehlern kannst du lernen.« Mit seinen wasserhellen Augen hatte ihn der alte Mann liebevoll angesehen. »Viel folgenschwerer als falsche Entscheidungen sind die, vor denen du dich drückst, mein Junge. Wer sich zwischen zwei Wegen für keinen entscheidet, engt sich selbst ein. Ich könnte dir von Menschen erzählen, die am Ende verbittert oder gar krank wurden, weil sie einer lebenswichtigen Entscheidung ausgewichen sind.«

Pablo rieb sich über die Schläfen und starrte vor sich hin. Das soll mir nicht passieren, dachte er und fasste sogleich einen Entschluss: Zumindest heute würde er sein Netz nicht noch einmal auswerfen. Wie gern wäre er jetzt zum Großvater gegangen, um mit ihm zu sprechen. Aber der alte Mann war letztes Jahr verstorben.

Während er langsam zum Hafen zurückruderte, sprach er in Gedanken: Könnte ich mich denn für ein anderes Leben entscheiden? Habe ich überhaupt eine Wahl? Die berühmten Abenteurer waren bestimmt reiche, gebildete Männer. Was soll ein Fischerjunge wie ich schon entdecken? Meine Welt ist nicht größer als das Dorf, in dem ich geboren wurde und aufgewachsen bin.

Endlich erreichte er wieder die kleine Bucht, sprang an Land und machte sein Boot an der Mole fest. Die Silberkugel hatte er zu den kleinen Lederbällen in die Hosentasche gesteckt. Was hätte der Großvater ihm jetzt wohl geraten? Natürlich war er weder reich noch gebildet, und von der Welt hatte er noch nichts gesehen. Aber wichtiger als alles andere war doch, ein Ziel für sein Leben zu haben, oder etwa nicht? Ein Ziel, um das es sich zu kämpfen lohnte – war das nicht mehr wert als ein voller Bauch und ein weiches Bett für die Nacht? Wer nichts besaß, hatte auch nichts zu verlieren, dafür aber alles zu gewinnen. Und plötzlich spürte Pablo in sich die gebieterische Kraft, alles hinter sich zu lassen und in die Fremde zu ziehen. Doch im selben Moment fiel ihm ein, was seine Eltern und Olivias Vater beschlossen hatten. Aber bin ich denn auf der Welt, um die Hoffnungen meiner Eltern zu erfüllen? Geht es denn nicht vielmehr darum, dass ich mein eigenes Leben lebe?

Mittlerweile fühlte er sich wie ein Boot im Sturm, so sehr schwankte er zwischen Hoffen und Bangen hin und her. Er holte seine vier Bälle aus den Hosentaschen und ging jonglierend weiter die Mole entlang. Und würde Olivia ein Wort verstehen, wenn er ihr von seinen Träumen erzählte? Bei dir würde Olivia nicht glücklich werden, flüsterte Pablos innere Stimme, so wenig wie du bei ihr. Denn du liebst sie nicht so, wie man die Frau lieben sollte, mit der man sein Leben verbringen will.

Er sprang von der niedrigen Hafenmauer zum Strand hinunter, ließ die Bälle in den warmen Sand fallen und hockte sich daneben. Beinahe hätte er sich auf die Silberkugel gesetzt. Er holte sie aus der Hosentasche und hielt sie gegen die Sonne. Pablo schüttelte den Kopf – eine völlig normale Kugel. Er verstand überhaupt nicht, was da mit ihm vorging. Doch eines war ihm klar geworden: Er musste sich entscheiden. Der Großvater hatte recht. Sich nicht zu entscheiden war schlimmer, als eine falsche Entscheidung zu treffen.

In der folgenden Nacht träumte er von einem Schiff, das größer als das ganze Dorf war, ein riesiger Leib, der durch den Ozean stampfte. In einem prächtigen Gewand stand Pablo hoch oben auf der Offiziersbrücke. Ein Matrose reichte ihm ein Fernrohr: Er erkannte einen Landstrich, der sich weit vor ihnen aus den Fluten erhob. Eben ging dort drüben die Sonne auf, und in ihrem Schein funkelte die ganze Bucht, als ob sie aus purem Gold wäre. Eine gewaltige Stadt erhob sich dort, mit fantastischen Türmen und Zinnen. Pablo stieß einen Jauchzer aus, so laut, dass er davon erwachte.

Alles war nur ein Traum, und er spürte die herbe Enttäuschung. Doch sein Herz klopfte immer noch stark und schnell von der Freude, die er eben empfunden hatte. Der Mond kam hinter einer Wolke hervor und schien durch das Fenster in die Hütte. Mitten in der Stube auf dem Tisch lag die Kugel, die im Mondschein geheimnisvoll schimmerte. Pablo saß auf seinem Strohlager, die Hände zu Fäusten geballt. Aber der einzige Gegner, mit dem er sich hätte prügeln können, war sein eigener Schatten, der neben ihm über die Wand geisterte. Er legte sich wieder hin und schloss die Augen. Aber wie er sich auch hin und her wälzte, in dieser Nacht fand er keinen Schlaf mehr. Wieder und wieder sah er das Schiff vor sich, auf dessen höchster Brücke er gestanden hatte, von Glück und Stolz erfüllt. Dann wieder erblickte er sich selbst, wie er in seinem kleinen Ruderboot saß, das Netz auswarf und sehnsüchtig auf das Meer hinaussah. Aber die märchenhafte Bucht mit der goldenen Stadt würde er mit seinem Fischerkahn niemals erreichen.

Am nächsten Morgen brummte Pablo der Schädel, und sein ganzer Körper fühlte sich schwer und hölzern an, als er bei Sonnenaufgang hinter dem Vater aus der Hütte stolperte. Die Bucht war schon übersät mit den Fischerbooten aus dem Dorf. Lustlos ruderte Pablo hinaus und hoffte nur, dass keiner ihn ansprechen würde. Nicht selten machten sich die anderen Fischer über ihn lustig, wenn er wieder mal mit offenen Augen träumte oder mit seinen Bällen jonglierte, anstatt sich wie die anderen um nützliche Dinge zu kümmern. Und gerade heute, das spürte Pablo genau, würde er ihren Spott nicht ertragen.

In der kommenden Nacht hatte Pablo wieder einen Traum. In seinem kleinen Fischerboot ruderte er aufs Meer hinaus. Weit draußen warf er an einer ruhigen Stelle sein Netz aus. Scheinbar war alles wie immer, aber Pablo hatte sich kaum auf die harte Ruderbank gesetzt, als sein Kahn einen gewaltigen Stoß erhielt. Er staunte nicht schlecht, als er in den Maschen seines Netzes einen riesigen Fisch zappeln sah. Obwohl er niemanden gerufen hatte, kamen die anderen Fischer von allen Seiten herbeigefahren und riefen einander mit aufgeregten Stimmen zu: »Pablo hat den größten Fisch aller Zeiten gefangen!«

Unterdessen hatte Pablo das Netz mitsamt dem riesigen Fisch schon halbwegs an Bord gezogen. Als er hörte, was die anderen Fischer einander zuriefen, bekam er einen gewaltigen Schreck. Was mache ich hier eigentlich? Blitzschnell zog er sein Messer aus dem Gürtel, schnitt das Netz entzwei, und der Fisch verschwand in der Tiefe des Meeres. Die anderen Fischer schimpften und fluchten, doch Pablo fühlte sich so erleichtert, als ob er selbst gerade aus seinem eigenen Netz entkommen wäre. Er lachte im Traum, und als er erwachte, spürte er immer noch das Lächeln in seinem Gesicht.

Wieder schimmerte die Silberkugel, die drüben auf dem Tisch lag, in der dunklen Nacht. »Jetzt ist es entschieden«, sprach Pablo laut aus. »Ich kann nicht bleiben. Es ist mir bestimmt, die Welt zu entdecken. Das ist mein Schicksal. Das majestätische Schiff aus meinem Traum weist mir den Weg. Und der riesige Fisch aus dem zweiten Traum hat meine letzten Zweifel beseitigt: Ich will und kann nicht als Fischer leben.«

Am nächsten Morgen fühlte er sich leicht und frei. Wie recht der Großvater doch hatte. Man muss sich entscheiden, auch auf die Gefahr hin, die falsche Wahl zu treffen. Aber Pablo wusste, dass er sich richtig entschieden hatte. Eine Zentnerlast war von ihm abgefallen, wenngleich ihm die Gespräche mit seinen Eltern und Oliva noch bevorstanden.

»Liebe Eltern«, begann er und sah von der Mutter zum Vater. »Ich kann nicht länger bei euch bleiben. Ich muss hinaus in die Welt.«

Unter zusammengezogenen Augenbrauen sah ihn der Vater an. »Geträumt hast du, Junge, geträumt und nicht nachgedacht! Ja glaubst du denn, ich hätte mir in meiner Jugend nicht auch die prächtigsten Luftschlösser in die Wolken gemalt? Aber jetzt ist es Zeit, erwachsen zu werden.«

»Es ist mir nicht bestimmt, als Fischer zu leben«, sagte Pablo mit fester Stimme.

»Natürlich ist es dir bestimmt! Was denn sonst? Dein Vater ist ein Fischer, und dein Großvater war auch ein Fischer. Und du selbst bist längst einer, da hilft kein Sträuben mehr.«

»Nein, Vater«, sagte er, »ich bin kein Fischer, und ich werde auch niemals einer sein. Es tut mir leid.«

Hilfe suchend sah sein Vater zur Mutter hinüber. Die aber schüttelte nur ganz leicht den Kopf, und in ihren Augen schimmerten Tränen.

»Aber wie stellst du dir das denn vor, Junge!«, fing der Vater wieder an. »Du kannst doch Olivia nicht einfach sitzen lassen, um einem kindischen Traum nachzujagen!«

Pablo stieß einen leisen Seufzer aus. »Vater, Mutter, ich bitte euch, lasst uns nicht im Zorn voneinander scheiden. Ich möchte euch keinen Kummer bereiten, aber ich glaube fest, dass es mir bestimmt ist, die Welt zu entdecken. Wenn ich diesem inneren Ruf nicht folge, werde ich mein Glück nicht finden. Und das kann doch nicht euer Wunsch sein.«

»Das Glück ist ein launisches Ding.« Der Vater schien noch immer zu grollen. »Wer ihm nachjagt, fällt auf die Nase. Zufriedenheit sollte dein höchstes Lebensziel sein.«

Pablo sah zur Mutter hin. Ihre Augen glänzten noch feucht, aber ihr Gesicht wirkte jetzt beinahe heiter. »Zufriedenheit ist nicht zu verachten«, sagte sie. »Aber das Höchste, das wir im Leben erreichen können, ist Glück.« Sie lächelte ihren Sohn an.

Der Vater zögerte kurz, dann drückte er kräftig Pablos Rechte. »Mögest du vom Schlimmsten verschont bleiben.«

»Viel Glück, mein Junge«, sagte die Mutter.

Da sprang Pablo auf und umarmte die beiden. Er fühlte sich wie berauscht vor Erleichterung, ja wie vom Bann der Schwerkraft befreit.

Am Ende der Bucht lag das Wirtshaus, es war das prächtigste Haus im ganzen Dorf. Olivia schläft bestimmt noch, dachte Pablo, als er vor der mit Schnitzereien verzierten Gasthaustür stand und von drinnen das dröhnende Lachen des Wirts hörte. Er wollte bereits die Klinke herunterdrücken, doch ließ er die Hand wieder sinken und schlich um das Haus herum. Dort lag eine Holzleiter zwischen Rechen und Besen am Boden. Pablo hob sie auf und lehnte sie unter dem Fenster an die Hauswand. Wie oft war er auf diese Weise bei dem Mädchen eingestiegen, und wie wild hatte sein Herz geklopft, als sie ihn zum ersten Mal heimlich empfangen hatte. Heute aber fühlte er nur ein wenig Wehmut und vor allem den Wunsch, in Frieden von ihr zu scheiden.

Kaum stand er in ihrer Kammer, da öffnete Olivia die Augen. Verschlafen lächelte sie ihren Liebsten an und streckte die Hände nach ihm aus. »Bald, Pablo«, murmelte sie, »bald erwachen wir jeden Morgen Arm in Arm.«

Ihre Kammer war so eng, dass er sich kaum bewegen konnte, ohne sie zu berühren, ohne gegen irgendetwas zu stoßen. Ihre Truhe, ihr Waschtisch, der Schemel, auf dem ihre Kleider sorgsam übereinanderlagen, alles war ihm vertraut.

»Ich muss mit dir reden, Olivia«, sagte er und musste sich zwingen, ihr in die Augen zu sehen.

Sie hörte auf zu lächeln und richtete sich auf, die Decke bis zu den Schultern hochgezogen. Fragend sah sie Pablo an.

»Ich … ich kann dich nicht heiraten, Olivia«, sagte er leise und musste schlucken. »Ich gehe weg. Für immer.« Er hielt ein wenig inne, um dann weiterzusprechen: »Ich wünsche mir so sehr, dass du einen anderen findest, der dich glücklich macht. Glücklicher, als ich es jemals könnte«, fügte er hinzu und sah sie schweigend an.

»Du verlässt mich, Pablo«, sagte sie endlich. »Das macht mich sehr traurig, überrascht mich jedoch weniger, als du anzunehmen scheinst. Komm her zu mir.« Sie streckte die Hand nach ihm aus.

Pablo setzte sich auf die äußerste Bettkante, und Olivia streichelte seine Hand. »Ich habe es seit Langem geahnt«, sagte sie. »Wie oft haben wir so beisammengesessen – dein Körper ganz nah bei mir, doch in deinen Gedanken und Träumen warst du weit von mir weg.«

Pablo spürte, wie er errötete. »Nein … nein, Olivia, so war das nicht«, stammelte er.

»Lass gut sein, Lieber«, sagte sie dann. »Keine Bange, ich werde dich nicht anflehen, bei mir zu bleiben. Niemals habe ich deine Augen heller leuchten, niemals das Glück stärker aus dir hervorstrahlen sehen, als wenn du von deinen Träumen und Hoffnungen gesprochen hast.« Sie drückte seine Hand wie zum Abschied.

Pablo senkte den Kopf.

Olivia schien zu spüren, wie ihm zumute war. »Gib mir einen letzten Kuss, Pablo«, sagte sie, »auf die Wange, wie ein Bruder seine Schwester küsst.«

Pablo hauchte einen Kuss auf ihre Wange.

»Geh jetzt. Ich bin dir nicht böse, Pablo, ich gebe dich frei.«

KAPITEL 2