Die sieben Zeichen des Zorns: Zepter und Schwert - Alexandra Balzer - E-Book

Die sieben Zeichen des Zorns: Zepter und Schwert E-Book

Alexandra Balzer

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Beschreibung

„Gebt dem Herrscher, was sein ist. Ein König wird ohne Krone regieren, doch der Richter nicht ohne seine Zeichen der Macht.“ Um das dritte Zeichen des Zoi’ron zu initiieren, müssen die Gefährten Schwert und Zepter der Gerechtigkeit finden. Zugleich gilt es, Anash zuvorzukommen, der ein Blutbad unter Menschen und Halbelfen anrichtet, um Sayid und seine Freunde mit Fluchmagie zu belegen. Und wie immer halten diverse Feinde, Maondny und das Schicksal einige Überraschungen bereit … Ca. 51.000 Wörter Im gewöhnlichen Taschenbuchformat hätte dieser Roman ca. 255 Seiten Teil 1: Todfeinde Teil 2: Magiesuche

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„Gebt dem Herrscher, was sein ist. Ein König wird ohne Krone regieren, doch der Richter nicht ohne seine Zeichen der Macht.“

Um das dritte Zeichen des Zoi’ron zu initiieren, müssen die Gefährten Schwert und Zepter der Gerechtigkeit finden. Zugleich gilt es, Anash zuvorzukommen, der ein Blutbad unter Menschen und Halbelfen anrichtet, um Sayid und seine Freunde mit Fluchmagie zu belegen. Und wie immer halten diverse Feinde, Maondny und das Schicksal einige Überraschungen bereit …

 

 

Ca. 51.000 Wörter

Im gewöhnlichen Taschenbuchformat hätte dieser Roman ca. 255 Seiten

 

 

 

 

 

von

Alexandra Balzer

 

 

 

Inhalt

 

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Epilog

 

 

 

Kapitel 1

 

„Menschen sind die verachtenswertesten Kreaturen Tan’aaras, werter Herr Elf. Was dem einen zum Schaden gereicht, bereitet dem Nächsten pure Freude. Schändlich ist das, ich schäme mich für mein Volk!“

„Verzweifelt nicht, werter Herr Mensch. Wir Elfen sind nicht ein Haar besser, und so gilt es für jedes Volk, das die Götter mit Intelligenz schlagen mussten.“

Zitat aus: „Die letzte Schlacht“, Drama, uraufgeführt 179 vor dem Krieg; Verfasser unbekannt

 

önnen wir nicht noch mal zurück? Es war wirklich schön dort!“

„Shilauty schenke mir Geduld! Zum letzten Mal, Illoziz: Nein, können wir nicht!“

Maondnys Stimme hatte einen unduldsamen Unterton, doch Sayid sah das Lächeln in ihren Augenwinkeln. Es fiel tatsächlich schwer, bei Illoziz’ Quengelei ernst zu bleiben. Zumal er in seiner Dunkelelfengestalt auf den Händen lief, wodurch er in die nahezu einmalige Lage kam, zu Maondny aufblicken zu müssen – und er bewegte sich dabei rückwärts. In diesem unebenen Gelände, in dem sie sich gerade befanden, vermutlich nicht einmal für einen Dämon eine Kleinigkeit.

Sayid konnte es Illoziz nicht verübeln, dass er zurück auf die ferne Insel wollte, wo sie die letzten beiden Wochen zugebracht hatten. Das Wetter war dort deutlich milder und beständiger gewesen als hier im Nordernreich, wo der Hochsommer mit unerträglich schwül-heißen Temperaturen und beinahe täglichen Gewittern ausgebrochen war. Sie hatten jede Menge Nahrung, bequeme Unterkünfte und jeder sein eigenes Schlafquartier gehabt. Für die Behausung hatte Illoziz magisch gesorgt, was der Idylle jedoch keinen Abbruch tat. Sie konnten täglich baden, sowohl im Meer als auch einem ausgedehnten Süßwasserteich in der Nähe ihrer Hütten. Ihre Tage waren mit ausruhen, lesen, Gesprächen, Spielen, faul vor sich hindösen und gelegentlichem Unfug ausgefüllt gewesen; die Ausrüstung hierfür erhielten sie ebenfalls von Illoziz. Es war dringend benötigte Auszeit für ihre gefolterten Körper und gequälten Seelen gewesen. Außer ihnen hatten lediglich seltsam bunte Vögel, Insekten und Kleingetier auf dieser Insel gelebt, wodurch sie angenehm ungestört blieben. Khun hatte sich auf Fischfang spezialisiert, um sich zu ernähren, während Sayids Greif in unregelmäßigen Abständen zu den Nachbarinseln flog, wo es Beute in ausreichender Größe und Menge für ihn gab.

Sayid und Yllanya hatten unter Anthanaels Anleitung geübt, ihre mühsam erworbenen magischen Fähigkeiten zu kontrollieren. Nicht allzu eifrig, zugegebenermaßen, da sie wenig Erfolg ernteten und keine Lust auf Frust und Rückschläge hatten. Vielleicht hätten sie sich ein bisschen mehr anstrengen sollen, denn jetzt war die schöne Zeit des Nichtstuns vorbei. Maondny hatte Illoziz Anweisungen gegeben, wo genau er sie abzusetzen hatte und seit einigen Stunden marschierten sie nun wieder. Es fühlte sich an, als hätten sie nie damit aufgehört …

Zepter und Schwert der Gerechtigkeit sollten sie finden. Die Herrschaftsinsignien des Zoi’ron. Maondny verriet ihnen nicht, wo genau diese Artefakte versteckt sein sollten. Gewiss waren sie sowohl bestens versteckt als auch scharf bewacht oder mit magischen Fallen versehen; andernfalls hätte irgendjemand sie in den vergangenen Jahrtausenden aufgespürt, und sei es aus Versehen. Aus leidvoller Erfahrung befürchtete Sayid, dass auch diese Aufgabe nicht einfach und schnell zu erledigen sein würde.

Anthanael kannte als einziger von ihnen die Gegend, die sie gerade durchwanderten. Er schien überhaupt jedes bisschen Gegend im gesamten Nordernreich zu kennen. Anscheinend waren Elfen zu damaligen Zeiten fleißige Wandersleute gewesen. Immer dann, wenn sie nicht gerade phantastische Städte erbaut, sich mit Drachenreitern verbrüdert oder anderweitig seltsame Dinge getrieben hatten. Womöglich war es auch bloß Anthanaels persönliche Leidenschaft gewesen. Die hegte er heutzutage jedenfalls nicht mehr. Er sprach nicht darüber, doch Sayid sah ihm an, dass er das wochenlange Wandern von früh bis spät wenig schätzte und schlecht damit zurechtkam, wenn die Erinnerungen an früher nicht mehr mit der Gegenwart übereinstimmten. Das waren die Momente, in denen sich das wahre Alter hinter dem jugendlichen Gesicht seines Bruders offenbarte.

Sayid jedenfalls mochte diesen Landstrich sehr. Gewaltige Berge ragten in der Ferne empor – nicht das allgegenwärtige Upakani-Gebirge, sondern die Achallinnen weit im Süden des Kontinents. Bislang war das lediglich ein Name für ihn gewesen, der auch aus einem Märchen hätte stammen können, da er keinen Menschen oder Halbelfen kannte, der jemals dort gewesen war. Man sagte, dass die höchsten Gipfel der Achallinnen bis zu sechs Meilen hoch in den Himmel ragen sollten. Kaum vorstellbar! Aber wenn er die schneebedeckten Riesen dort vor sich betrachtete, könnte es tatsächlich der Wahrheit entsprechen.

Sie folgten gerade einem Fluss, der recht breit, dafür eher flach war und von den Elfen mit dem klangvollen Namen Jomichar belegt worden war. Glasklares Wasser strömte rasch über Felsbrocken und weißes Gestein, das auch den Boden übersäte, über den sie gerade liefen. Sie befanden sich auf einem gewaltigen Hochplateau, das sich laut Maondny bereits mehr als zweitausend Schritt über dem Meeresspiegel erhob. Es gab vereinzelt dicht gedrängte Gruppen windverkrüppelter Bäume, in erster Linie Tannen und Fichten. Ansonsten wuchsen hier niedrige Büsche, Kräuter und Gräser, die Sayid allesamt noch nie zuvor erblickt hatte. Seine bisherige Überlebenstaktik, sich in großen Menschenstädten vor den Pashatvas zu verstecken, hatte ihm einiges vorenthalten, wie er zugeben musste. Die Welt war so viel größer und schöner, als er jemals für möglich gehalten hatte!

In dieser Höhe war es auf angenehme Weise kühl, trotz des starken Windes, während man in den Städten vermutlich gerade vor Hitze regelrecht verdampfte. Die Luft war klar und roch würzig. Insekten summten vereinzelt um die violetten und weißen Blüten, die vorherrschend waren. Ja, auf der namenlosen Insel war es schöner gewesen. Sie alle sehnten sich dorthin zurück, wollten noch ein Weilchen länger faul sein. Halbe Tage verschlafen. Lachen. Die Gesellschaft der anderen genießen oder sich zurückziehen, wie es ihnen in den Sinn kam. Faul sein würde sie nicht retten, Schönheit sie nicht vor Schmerz, Leid und Mühsal bewahren. Spaß konnte nicht die sieben Zorneszeichen initiieren. Darum genoss Sayid, was sich ihm darbot und dachte nicht an das, was zweifellos in naher Zukunft lauerte. Bisher verlief ihre Reise ruhig und friedlich, wer wusste schon, wie lange das noch vorhielt?

„Seht mal!“, rief Yllanya in diesem Moment und zeigte in die Ferne. Zwischen zwei Gipfeln, die den Himmel regelrecht zu teilen schienen, erhob sich ein etwas niedrigeres Felsmassiv, das im Gegensatz zu seinen Flankenwächtern frei von Schnee und Eismassen war. Darüber schoben sich nun in rasantem Tempo weiße Wolkenschichten. Staunend blieben sie stehen und beobachteten das Schauspiel – ein Wasserfall aus Wolken! Das sah imposant und auf seltsame Weise unwirklich aus.

„Man nennt diese Felswand den Wolkenfall“, sagte Anthanael mit einem schmalen Lächeln. „Schwer zu verkennen, warum das so ist. Auf der anderen Seite tobt gerade sicherlich ein schweres Gewitter, während wir trocken bleiben werden. Dieses Plateau ist eines der regenärmsten Gebiete des Nordernreiches und lediglich der von Gletschern gespeiste Jomichar sorgt dafür, dass es nicht zur Steinwüste verkommt.“

„Dann können wir uns glücklich schätzen. Meine erste Nacht zurück in der Wildnis hätte ich ungern mit Flucht vor einem Gewitter zugebracht.“ Yllanya zuckte nach dieser Feststellung mit den Schultern, bevor sie sich erneut ihren Weg durch Geröll und Findlingen suchte. Auf Maondnys Bitte hin hatte sie darauf verzichtet, Pfeile und Bogen mitzunehmen. Sie fühlte sich sichtlich unwohl damit, Sayid beobachtete, wie sie gelegentlich an ihre Schulter griff; ein Zeichen, wie sehr sie das vertraute Gewicht ihrer Waffe vermisste. Selbstverständlich hatte Maondny diese Bitte nicht erklärt, genauso wenig wie sie begründet hatte, warum Anthanael den Bogen dabeihaben durfte. Illoziz hatte derweil Quengeln und Betteln aufgegeben, es kurz mit Schmollen versucht, was sie allesamt ignoriert hatten, und vertrieb sich nun die Zeit während des Laufens damit, sich unentwegt mit Essen vollzustopfen. Er zauberte irgendwelche Lebensmittel herbei, wahllos zwischen Obst, Käse, Räucherwaren und süßem Gebäck wechselnd, und aß gierig, ohne sich viel Mühe mit Kauen zu geben.

„Du könntest teilen“, meinte Sayid nach einer Weile. Er war zu abgebrüht in dieser Hinsicht, um sich den Appetit von Schmatzen und herabfallenden Brocken verderben zu lassen.

„Könnte ich“, brummte Illoziz mit vollem Mund. „Ich verzichte allerdings besser. Ich bekomme sowieso gleich Ärger mit unserer göttlichen Prinzessin.“ Er wies mit einer gebratenen Hähnchenkeule auf Maondny, die mit aufrechter Anmut auf Khuns Rücken saß und dabei wie eine äußerst hübsche und lebensechte Puppe wirkte. Goldene Schimmer umgaben sie und bezeugten, dass sie geistig zwar in dieser Welt, jedoch in einer anderen Zeit weilte.

„Das stimmt“, sagte sie, ohne sich zu ihnen umzublicken. „Dein beständiges Zaubern ohne jeden Sinn oder Zweck stört meine Visionen.“

„Ja, ja, ich weiß. Ich hör ja schon auf. Tut mir wirklich leid, mein Freund, ich hätte dir wahnsinnig gerne etwas von den herrlichen Leckereien abgegeben.“

Sayid seufzte bloß über diese Lüge und das jungenhafte Lächeln, das Illoziz ihm bot. Ein gelangweilter Schadensdämon konnte selbst dann noch sehr, sehr anstrengend sein, wenn er keinen böswilligen Schabernack trieb.

Eine vertraute Präsenz streifte sein Bewusstsein. Über dem Wolkenfall erschien ein winziger Punkt, der rasch größer wurde. Sayid erhaschte die Gedanken und Empfindungen seines Seelenvertrauten. Ca’urté, der Greif, war in das Gewitter hineingeflogen, von dem Anthanael zuvor gesprochen hatte. Für ihn war das nicht gefährlich, weder Blitze noch rasch wechselnde Winde konnten ihm etwas anhaben. Er liebte es, sich von der Gewalt der Elemente durchschütteln zu lassen, dem Sturm zu trotzen, sich lebendig und frei zu fühlen, nachdem er vier Jahrzehnte lang in einem winzigen Käfig eingesperrt dahinvegetieren musste. Sayid war beunruhigt, denn der Greif könnte allzu leicht ein Opfer der Elementargeister werden. Die hatten sich seit dem Angriff vor zwei Wochen nicht mehr gerührt, soweit er wusste. Ob es dabei blieb, könnte ihm ausschließlich Maondny verraten, und die würde es nicht tun.

Er hörte den schrillen Ruf des Greifs, diese unnachahmliche Mischung aus Adlerschrei und Löwengebrüll. Ca’urté glitt majestätisch über ihren Köpfen hinweg, während der Wolkenfall in seinem Rücken zu kochen schien und der Himmel über den Berggipfeln mit einem Mal beinahe nachtschwarz wirkte. Auf ihrer Seite hingegen schien weiterhin die Sonne und ließ den Fluss erstrahlen, als wäre er erfüllt von Gold und Diamanten.

„Lasst uns rasten“, sagte Maondny unvermittelt. Nicht mehr, kein Wort der Erklärung, warum sie mitten am Tag eine Pause einlegen wollte. Sie wechselten allesamt skeptische Blicke, sogar Illoziz und Khun beteiligten sich daran. Keiner machte sich die Mühe, Maondny zu befragen. Sie würde sowieso in einer beliebigen Variante von „Jedes Wort zu viel würde die Zukunft verändern, in erster Linie zum Schlechteren, tut mir leid“ antworten.

„Äußerste Vorsicht!“, raunte Sayid an Hojin gewandt. Der junge Magier nickte stumm. Er sprach selten und hielt sich stets etwas abseits von der Gruppe. Lange Zeit hatte Sayid gedacht, dass er lediglich Schwierigkeiten hatte, sich in die Gruppe zu integrieren, weil er nun einmal ein Pashatva war. Ein Angehöriger jenes Volkes, das die Götter dazu getrieben hatte, Zoi’rons Erweckung zu verlangen. Die Vernichtung der Tyrannen, um alle anderen zu beschützen. Hojin war jedoch traumatisiert von Folter und schweren Verlust, von Verrat durch jene, die seine besten Freunde gewesen waren. Darin lag wohl eher der Grund für sein zurückhaltendes Wesen. Sayid konnte das gut verstehen. Darum bedrängte er ihn nicht, gab ihm lediglich von Zeit zu Zeit kleine Zeichen, dass er zu ihnen gehörte.

„Ich gehe Wasser für uns holen“, verkündete er, während seine Gefährten sich am Boden niederließen, noch verwirrt von Maondnys Befehl. Jeder nickte ihm zu, Erklärungen waren nicht notwendig. Wenn ihnen irgendeine Gefahr drohte und Maondny darum eine Rast befahl, dann war es am sichersten, sich still auf eben jenem Fleck Erde niederzuhocken, wo man bislang gestanden hatte. Jeder Schritt könnte Tod und Verderben bringen. Sayid war derjenige, der die größten Risiken auf sich nehmen konnte, weil der Tod keine große Bedeutung für ihn hatte; abgesehen von Ärgernis und Zeitverlust. Er schnappte sich sämtliche Wasserschläuche, die seine Gefährten ihm entgegenstreckten, und marschierte zum Flussufer hinüber.

Alles war ruhig. Der Greif war zurück ins Gewitter geflogen, das anscheinend mit unverminderter Gewalt auf der anderen Seite des Wolkenfalls tobte. Sayid konnte fernes Donnergrollen hören und als er im richtigen Moment hochblickte, sogar Wetterleuchten erkennen. Er lauschte und beobachtete seine Umgebung intensiv, während er nacheinander die Schläuche ausspülte und neu befüllte. Insekten, Vögel, kleine Nagetiere – keines der Geschöpfe in der Nähe benahm sich in irgendeiner Weise auffällig. Das schloss eine Gefahr in Form normaler Naturgewalten aus. Erdbeben, schwere Stürme, Feuersbrünste und sogar das Nahen eines Elementargeistes würde sich vorankündigen und damit die Tierwelt aufscheuchen. Demnach musste es eine magische Attacke sein, die ihnen drohte. Höchste Zeit, zurück zu den anderen zu gehen! Rasch beendete Sayid seine Aufgabe, erhob sich – und glitt auf einem flachen Stein aus. Ein Teil der Wasserschläuche fiel ihm aus der Hand, landete allerdings am Ufer und nicht im Fluss. Glück gehabt! Mit rudernden Armen schaffte er es, den Sturz zu verhindern. Kopfschüttelnd über seine Ungeschicklichkeit bückte er sich, um die Schläuche einzusammeln. Anscheinend war seine kleine Einlage von den Gefährten unbemerkt geblieben, sie sahen jedenfalls nicht in seine Richtung und lachten ihn auch nicht verstohlen aus. Maondny sagte gerade etwas zu ihnen. Sayid griff nach dem letzten Schlauch. Plötzlich gab der Stein nach, auf dem er sich abgestützt hatte, schmerzhaft landete er auf den Knien. Verflucht! Das war nicht normal, oder? Behutsam legte er seine Last vor sich ab. Irgendetwas sagte ihm, dass er sie heute nicht mehr unbeschadet transportieren konnte, auch wenn es keine dreißig Schritt bis zu seinen Freunden war.

„Falls du dahinterstecken solltest, Illoziz, wäre ich dir sehr verbunden, solltest du jetzt umgehend damit aufhören“, murmelte er. Langsam richtete er sich auf. Nichts geschah. Illoziz starrte zu ihm herüber, denn selbstverständlich hatte er ihn gehört. Er schien aber nicht zu wissen, was Sayid mit seinen Worten gemeint hatte. Natürlich könnte der Ausdruck blanker Verwirrung auf dem dunklen Elfengesicht reine Täuschung sein; sein Instinkt warnte ihn dennoch, die Schuld beim Dämon zu suchen.

Misstrauisch suchte Sayid den Boden vor sich ab, entdeckte eine Stelle, die ihm geeignet vorkam, um dort unbeschadet seinen Fuß abzusetzen. Einen Moment später landete er mit einem Aufschrei im Fluss.

Eisiges Wasser schlug über ihm zusammen, sofort wurde er in rasanter Geschwindigkeit abgetrieben. Ihm war bewusst, dass er jetzt in echten Schwierigkeiten steckte. Seine Kraft reichte nicht aus, um sich selbst zu retten, dafür war die Strömung zu stark. Keine halbe Meile von hier entfernt begannen Stromschnellen, die in einem zwanzig Schritt hohen Wasserfall mündeten. Wenn jetzt kein Wunder geschah, würde er also mal wieder sterben. Verdammt …

 

Anthanael benötigte keine drei Herzschläge, um seinen Schreck abzuschütteln, nachdem er den Schrei gehört hatte. Sein Bruder trieb hilflos im Fluss und brauchte ihn. Jetzt! Maondnys eindringliche Warnung, dass niemand sich bewegen durfte, Illoziz eingeschlossen, ignorierte er und sprang ohne weiter nachzudenken auf Khuns Rücken. Die gewaltige Magierbestie hatte offenbar auf ihn gewartet, ohne Verzögerung hetzte Khun los – womit auch er Maondnys Gebot brach. Es war beinahe ironisch zu nennen. Vor nicht allzu langer Zeit war Sayid losgerannt, um Khun zu retten, der auf einen Wasserfall zugetrieben war. Diese unter umgekehrten Vorzeichen Wiederholung der Ereignisse gehörte zu den seltsamen Dingen, die einem an Maondnys Seite ständig widerfahren konnten.

Khuns Pranken fanden mühelos Halt auf dem unebenen Boden. Er holte Sayid ein, doch es gab keine Möglichkeit, ihn hier aus dem Wasser zu ziehen. Ohne eine Anweisung zu benötigen, hetzte Khun weiter. Auf Illoziz hoffte Anthanael nicht. Natürlich könnte der Dämon Sayid mit weniger Aufwand als einem Fingerschnippen retten, aber das würde Maondny zweifellos nicht zulassen. Dem Schicksal durfte sich niemand in den Weg stellen …

Khun tauchte zwischen einigen Bäumen ein. Anthanael sah mehrere niedrige Äste auf sich zukommen, duckte sich hastig – und wurde mit einem heftigen Ruck vom Rücken des Magierhundes gefegt. Halb bewusstlos landete er auf Steinen und Moos, blinzelte verwirrt in die Baumkronen über sich und versuchte zu begreifen, was da gerade geschehen war. Er war ein Elf, verflucht! Geschicklichkeit und schnelle Reflexe gehörten zu seinem Geburtsrecht! Elfen fielen nirgends herunter!

„Lauf weiter“, rief er Khun zu, der ihn irritiert anstarrte. Mühsam rappelte er sich auf und schaute dem Hund hinterher. Sayid brauchte Hilfe, Khun war seine größte Chance. Er musste jetzt erst einmal seine Knochen sortieren. Und seinen Stolz. Fluchend stand er auf und folgte leicht humpelnd dem Flusslauf. Wie gerne wäre er wieder auf der schönen, namenlosen Insel …

 

 

Es krachte übelkeitserregend, als Sayid gegen einen Felsen prallte. Er blutete aus zahllosen tiefen Wunden, die er den Steinen im flachen Flussbett zu verdanken hatte. Benommen klammerte er sich an dem glattpolierten, algenüberzogenen Felsbrocken fest. Lange würde er sich nicht halten können, dazu war die Strömung hier direkt an der Bruchkante des Wasserfalls zu stark. Das Donnern und Rauschen erfüllte seine Ohren, die Kälte lähmte seine Muskeln. Die Lungen brannten von dem vielen Wasser, das er verschluckt hatte. Es wäre sinnvoll, sofort loszulassen. Das Ding mit dem Sterben rasch hinter sich zu bringen, statt sich weiter zu quälen. Wirklich hoch war der Wasserfall nicht, womöglich überlebte er verletzt und konnte sich von seinen Gefährten heilen lassen. Andererseits war es ungewöhnlich starkes Pech gewesen, das ihn in den Fluss hatte stürzen lassen. Der Todesfluch, der auf ihm lastete, würde ihn vermutlich nicht heil davonkommen lassen.

Sayid stöhnte gepeinigt, als sein Körper langsam über die Bruchkante gespült wurde. Sein linker Arm hatte sich in einer Spalte des Steins eingeklemmt, er hing fest. Die Strömung packte ihn mit voller Gewalt, das Wasser raubte ihm den Atem, drang in Mund und Nase ein. Sein Bewusstsein schwand, er versuchte verzweifelt, loszukommen. Er konnte nicht mehr. Er würde …

Reißender Schmerz durchzuckte sein rechtes Handgelenk, er wurde ein kleines Stück in die Höhe gezogen. Khun! Der treue Hund hatte seine Fänge in Sayids Arm geschlagen. Gleichgültig, wie stark er war, er würde ihn nicht aus dem Wasserfall herausziehen können. Vielleicht gelang es ihm allerdings, seine eingeklemmte Hand zu befreien? Nein, bei der Strömung war er chancenlos.

„Lass ab, sonst fällst du mit mir!“, brüllte Sayid. Die Schmerzen wurden stetig unerträglicher. Über die Bisswunde drang Khuns Gift in seine Adern. Es lähmte ihn, brannte zugleich wie Feuer und es wurde mit jedem Atemzug schlimmer. Der gesamte Fluss zerrte ihn in die Tiefe. Es würde Khun töten, wenn er fiel. Nicht der Sturz selbst, sondern das Wasser, in dem er ertrinken würde. Das hatte er nicht verdient!

„Lass mich los, bitte!“, flehte Sayid verzweifelt und verfluchte sich selbst, weil er nicht aufgegeben hatte, als noch Zeit dafür gewesen war. Ihr Götter, eines seiner Handgelenke würde gleich abreißen. Vielleicht auch beide. Und diese Kälte … Warum wurde es plötzlich so furchtbar kalt?

 

 

Anthanael kniete am Ufer. Er hatte beide Fäuste in den Fluss getaucht und murmelte magieträchtige Silben. Wasser gehörte nicht zu seinem stärksten Element und dieser Fluss war ausgesprochen mächtig. Dennoch fiel es ihm merkwürdig leicht, sein Vorhaben zu verwirklichen: Eine dicke Eisbarriere bildete sich, ausgehend von seinen Fäusten. Die Strömung wurde mit jedem Herzschlag langsamer.

„Isthkya na’kay ulynma shelo!“, wisperte er unentwegt. Endlich spürte er, dass der Zauber vollendet war. Bedächtig richtete er sich auf, darauf gefasst, von Schwäche übermannt und in die Knie gezwungen zu werden. Stattdessen fühlte er sich gut, darum betrat er vorsichtig die Eisplatte, die den gesamten Wasserfall und etwa zehn Schritt davor umfasste. Hinter ihm staute sich der Fluss, doch nicht so rasch, dass er das Land überschwemmen und seine Gefährten in Bedrängnis bringen würde, bevor er alles wieder in die natürliche Ordnung zurückversetzt hatte.

Khun kauerte auf einem Felsen und mühte sich, Sayid mit den Reißzähnen festzuhalten. Der hing regungslos im Griff der Bestie, da sein Unterleib teilweise im gefrorenen Wasserfall gefangen war. Dennoch brauchte er den Halt, konnte weder vor noch zurück. Blut strömte über seinen rechten Arm, er zuckte schwach, von Schmerz und Kälte gequält. Anthanael wollte sich beeilen, aber gerade deswegen setzte er bedächtig einen Fuß vor dem anderen und rutschte schließlich auf Knien und Ellenbogen voran. Es war ungewohnt, seinem eigenen Körpergeschick misstrauen zu müssen. Kein gutes Gefühl …

„Es tut mir leid“, sagte er entschuldigend, sobald Sayid ihn bemerkte und mit großen Augen das mühselige Vorankommen verfolgte.

„Muss es nicht.“ Sein unverwüstlicher Bruder setzte ein schiefes Grinsen auf. „Der Anblick ist spektakulär! Einen solch großen Wasserfall einzufrieren, welch ein schönes Stück Magie. Hätte nicht gedacht, dass ein einzelnes Spitzohr das draufhat.“

„Ich ehrlich gesagt auch nicht“, murmelte Anthanael, schlang einen Arm um Sayids Brust und ließ sehr bedächtig seine Magie fließen. Gerade genug, dass das Eis um Sayids Körper zu tauen begann. Es knackte und knisterte, endlose Minuten verstrichen langsam wie das Vergehen eines Weltzeitalters. Anthanael hielt seinen Bruder an sich gepresst, der zwar wie verrückt zu zittern begann – zumal Khun nicht daran dachte, den halb zerfleischten Arm freizugeben – aber dennoch nicht aufhören wollte zu plappern.

„Könnte eigentlich fast gemütlich sein, nicht wahr? Ein Lagerfeuer wäre nett. Ich würde schrecklich gerne mal wieder Undyassinische Süßkürbisse braten. Man steckt sie auf einen angespitzten Stock und hält sie ins Feuer, bis die dicke grüne Schale vollständig schwarz ist und aufplatzt. Ein bisschen abkühlen lassen, dann kann man das Fruchtfleisch im Inneren essen. Und bei Vaneshas lieblichem Lächeln, es schmeckt süßer als der Kuss einer Jungfrau.“ Ein schwerer Krampf schüttelte ihn durch und ließ ihn stocken. Khuns Gift setzte ihm zu, seine Augen waren bereits glasig und seine Gesichtsfarbe irgendwo zwischen grau und violett.

„Ich habe sie auch mal gekostet und stimme dir zu“, erwiderte Anthanael und tätschelte ihm beruhigend den Rücken.

„Undyassinische Jungfrauen sind ganz besonders süß. Sie binden beim Sonnenwendfest jedem unverheirateten Mann weiße Blumengebinde an den Gürtel. Für jede Blume darf er beim großen Feuer nach Einbruch der Dunkelheit mit einer von ihnen tanzen … und mit etwas Glück bekommt man anschließend einen Kuss. Man muss bloß aufpassen, nicht mehr als Tanz und Küsse einzufordern.“

„Hm ja. Die verheirateten Brüder und Väter der Jungfrauen stehen mit Knüppeln Wache. Ich erinnere mich.“ Anthanael war zu abgelenkt, um das sinnlose Gespräch zu führen. Er musste sich konzentrieren, damit er seiner Magie unter Kontrolle behielt. Sollte zu viel Eis schmelzen, würden sie alle drei schlagartig fortgerissen werden. Als er sah, dass sich vereinzelte Risse um Sayids Beine herum bildeten, zerrte er probehalber an ihm. Es knackte bedrohlich, sein Bruder stöhnte vor Schmerz, doch noch hing er fest. Lediglich seinen linken Arm konnte er befreien.

„So kalt war mir nicht mehr seit dem großen Eissturm vor rund sechzig Jahren“, stieß Sayid lallend hervor. Der Kopf fiel ihm in den Nacken, er war bereits sehr geschwächt.

„Siebenundsechzig Jahre ist das her, wenn du jenen Winter meinst, in dem das Westmeer eingefroren ist“, korrigierte Anthanael geistesabwesend.

„So lange ist das her? Wie die Zeit vergeht, wenn man sich nicht mal amüsiert … Bei dem Sturm sind mir sechs Zehen abgefroren. Es heißt immer, Elfen und ihre Abkömmlinge erfrieren nicht. Falsch. Wir brauchen bloß deutlich länger dafür. So wie in deutlich länger. Deutlich …“ Sayid schüttelte sich leicht, vermutlich, um seinen trüben Verstand zu klären. „War im Eis gefangen. Blöde Geschichte. Wollte mich in einen Lagerraum am Hafen schleichen, um außer einem Dach überm Kopf auch Essen zur Hand zu haben, bis der Sturm vorübergezogen wäre. Leider kamen ein paar Pashatvas vorbei, um die Waren zu kontrollieren. Mitten im Sturm, dieses Pack! Konnte zwar fliehen, aber der Wind hat mich ins Hafenbecken geweht, wo ich ertrunken bin. Sehr lästig. Als ich aufwachte, war ich festgefroren. Genau wie jetzt. Drei Tage hab ich damals gebraucht und als ich mich befreit hatte, waren sechs Zehen abgefroren. Musste sie abschneiden, damit sie hübsch nachwachsen konnten.“

„Sayid?“

„Hm?“

„Könntest du bitte den Mund halten? Ich muss mich irgendwie konzentrieren, um nicht den gesamten Wasserfall, sondern nur dich aufzutauen.“

Sein Bruder schenkte ihm ein trunkenes Grinsen und nickte mit halb geschlossenen Lidern.

„Bin ein gesegneter Mann“, murmelte er, statt Anthanaels Bitte zu erfüllen. „Ich hab einen echten Bruder. Und einen Seelenbruder. Der kommt gerade. Dabei hatte der Gute solchen Spaß damit, Blitze zu haschen.“

Anthanael blickte verwirrt in die Höhe und zuckte zurück, als er kaum einen Schritt über Sayid den gewaltigen Körper des Greifs bemerkte. Was war los mit ihm, dass er nicht bemerkt hatte, wie sich dieses imposante Geschöpf näherte? Eine der mächtigen Klauen schloss sich um Sayids Leib. Khun und Anthanael wichen hastig zurück. Ein Ruck, und sein Bruder kam frei, während Eissplitter in sämtliche Richtungen aufstoben. Ein seltsam schöner Anblick.

„Bring dich in Sicherheit!“, rief er Khun zu, der folgsam über das Eis in Richtung Ufer schlitterte. Der Greif schlug träge mit den Flügeln, wodurch er seine Position hielt und auf ihn herabstarrte.

„Rettest du mich auch?“, fragte Anthanael vorsichtshalber.

„Gib den Fluss frei und spring. Ich werde dich sicher auffangen“, versprach der Greif.

Er kauerte sich nieder, legte die Handflächen flach auf das Eis.

„Ya munau’r!“, rief er und ließ der Magie freien Lauf, bevor er in die Höhe schnellte, um die eigene Achse wirbelte und mit aller Kraft ins Leere sprang, den Wasserfall hinab. Unheilvolles Krachen begleitete ihn, Eissplitter regneten auf ihn nieder. Noch während der Greif ihn mit der freien Klaue umklammerte, ohne ihn zu verletzen, befreite sich der Fluss von seinem eisigen Korsett, das ihn umschnürt hatte. Das Wasser begann sich erneut über die Klippen zu wälzen. Völlig erschöpft von dem gewaltigen magischen Akt überließ sich Anthanael dem Greif. Er würde ihn und seinen mittlerweile bewusstlosen Bruder sicher zu Maondny bringen. Und vielleicht würde sie erklären, was genau da gerade geschehen war …

 

 

„Illoziz, wenn du so freundlich wärst …?“, sagte Maondny in einem herrischen Ton, der keine Diskussion zuließ. Der Dämon zuckte kurz, und in einer anderen Version der möglichen Realität würde er nun hinterfragen, ob dieser Eingriff in das Schicksal gerechtfertigt war. Schließlich würde Sayid auch ohne Magie überleben und war mehr als kampferprobt genug, um sich an einigen Stunden Schmerzen nicht weiter zu stören. Doch im Hier und Jetzt schätzte er den jungen Mathór viel zu sehr, um ihn leiden sehen zu wollen und wusste, dass es Maondny genauso erging. Darum schwieg er, kniete neben Sayid nieder, der klatschnass, bewusstlos, vergiftet, ernstlich verwundet und insgesamt übel zugerichtet war, und heilte ihn. Mit einem Augenzwinkern reparierte er außerdem den Schaden, den Sayids Kleidung genommen hatte. Anthanael hatte lediglich leichte Blessuren von seinem unrühmlichen Sturz davongetragen und war erschöpft von seinem magischen Werk. Da es nichts weiter ändern würde, hinderte Maondny den Dämon nicht daran, dass er den Elf dennoch in einen magischen Heilschlaf versetzte, genau wie dessen Bruder. Die Wasserschläuche schnipste er lässig herbei, jeder landete bei seinem Besitzer.

„Was hat das alles zu bedeuten?“, fragte Yllanya besorgt. Sie hatte mit Hojin zurückbleiben müssen, gebannt von Maondnys Befehl, dass niemand sich bewegen durfte. In einer Vision hatten die beiden an Sayids Überlebenskampf am Wasserfall teilgenommen. Maondny überprüfte sämtliche visionären Verzweigungen des Schicksalsstroms, ob sie ihren Freunden tatsächlich die geplanten Informationen zukommen lassen durfte, bevor sie mit einem stilvollen Seufzen erwiderte:

„Es bedeutet, dass Anash nicht untätig geblieben ist. Er hat dutzende Menschenleben in einem Ritual geopfert, um unsere Gruppe mit einem Schicksalsfluch zu belegen.“ Sie ließ ihre Worte magisch in Sayids und Anthanaels Bewusstsein eindringen, damit die beiden nicht unwissend blieben.

„Was ist ein Schicksalsfluch?“, fragte Hojin stirnrunzelnd. Der Ärmste, er fühlte sich nach wie vor schuldig für jede böse Tat, die ein Pashatva gegen ein Fremdvolk verübte …

„Schadensfluch wäre der treffendere Name, aber den würde Illoziz persönlich nehmen“, sagte Maondny. „Dieser Fluch hat keinerlei Macht über unseren Lieblingsdämon und mich und weder Khun noch der Greif wurden mit eingeschlossen. Grob gesagt wird der Fluch dafür sorgen, dass euer Schicksalsweg von nun an stets zum Schlimmsten führen wird. Was schief gehen kann, wird auch schief gehen. Sayid ist mal wieder am stärksten betroffen, da dieser Fluch sich mit seinem Todesfluch ergänzt. Darum war bei Anthanael Konzentration und Sorgfalt ausreichend, um ihn unbeschadet über das Eis zu bringen, während Sayid nicht einmal mehr in der Lage war, aufrecht einen Fuß vor den anderen zu setzen, als er von dem Fluch erfasst wurde.“

„Und warum im Namen der Niederhölle hast du ihn dann überhaupt noch zum Fluss gehen lassen?“, rief Yllanya anklagend.

„Damit es mich trifft und keinen von euch, um zu zeigen, was da passiert ist. Absolut offensichtlich“, brummte Sayid. Er lag nach wie vor flach auf der Erde und hielt die Augen geschlossen, doch die kurze Ruhephase hatte bereits genügt, damit er sich vollständig erholen konnte. Maondny verzichtete darauf, seine Gedanken über sie und ihr Tun in Erfahrung zu bringen. Manchmal gönnte sie sich den Luxus feiger Unwissenheit.

„Selbstverständlich hat er Recht“, sagte sie stattdessen. „Euch vorzuwarnen hätte zu Komplikationen geführt. Bei Sayid konnte ich sicher sein, dass er überlebt, selbst wenn er gestorben wäre. Wofür die Wahrscheinlichkeit immerhin bei 98,7 Prozent lag und siehe – du lebst. Der Fluch ist machtlos gegen Freundschaft, Heldenmut, Opferbereitschaft und schieres Talent.“

„Maondny, wie soll das weitergehen?“, mischte sich Anthanael ein, der ebenfalls erwacht war und sich langsam aufrichtete. „Wenn wir nicht einmal mehr weiterlaufen dürfen, weil uns sonst der Himmel auf den Kopf fallen könnte, sind wir handlungsunfähig und Anash gewinnt.“

„Nicht so voreilig!“, rief Maondny. „Ja, genau dieses Szenario hat Anash vor Augen.

---ENDE DER LESEPROBE---