Die Siedlung - Auguste Hauschner - E-Book

Die Siedlung E-Book

Auguste Hauschner

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Beschreibung

"Ich sage - eine Mischung von sonderbaren Elementen hast du da in einen Topf geworfen. Beschränkte Bauern, Judenjungen, Landstreicher, Verbrecher, unzureichende Talente, eine Frau, die man zu viel geliebt hat, eine, die dabei zu kurz gekommen ist. Merkwürdige Grundlagen zu einem Weltverbesserungsgebäude." Am Vorabend des Ersten Weltkriegs zieht eine Schar von Idealisten in die urwüchsige Landschaft Ostpreußens, um eine utopische Kommune aufzubauen, die sich der Herzlosigkeit des Kapitalismus und den "mörderischen Grundsätzen der Arbeitsteilung" entgegenstellen soll. Aber auch an der masurischen Seenplatte bleibt der Mensch nur ein Mensch ...

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Das Buch:

Am Vorabend des ersten Weltkriegs zieht eine Schar von Eigenbrötlern und Idealisten in die urwüchsige Landschaft Ostpreußens, um eine utopische Kommune aufzubauen, die sich der Herzlosigkeit des Kapitalismus und den »mörderischen Grundsätzen der Arbeitsteilung« entgegenstellen soll. „Die Siedelung“ (1918), Auguste Hauschners poetische Hymne an den Menschheitstraum einer gerechten und gleichberechtigten Gesellschaft, in der der Mensch wahrhaftig Mensch werden kann, erinnert an eine zutiefst idealistische Epoche, deren Erfüllung in immer weitere Ferne rückt.

Die Autorin:

Die Prager Autorin Auguste Hauschner (1850-1924) verbrachte den größten Teil ihres Lebens in Berlin, wo sie sich hauptsächlich mit der Stellung der Frau und der Identität der Juden befasste. Neben ihrer eigenen regen publizistischen Tätigkeit wurde sie vor allem als Betreiberin eines renommierten Berliner Literatursalons weit über die Grenzen der damaligen Reichshauptstadt berühmt.

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Nachwort

Literatur

Erstes Kapitel

Es war die Stunde vor Geburt des Tages, Dämmerung und nicht mehr Nacht. Der Mond verblasste schon am Himmel, die Sonne hatte den Horizont noch nicht erreicht; und zwischen Auf- und Niedergehen der Gestirne lag die Masurenlandschaft blass und farblos da und wartete des Schöpferwortes: es werde Licht. Etwas Unwirkliches hastete dem welligen Gelände an, die geheimnisvolle Stimmung der Natur, die, vom Laut der Kreatur verlassen, noch nicht ganz vollendet scheint. Menschenleer hoben sich die Frucht und Halm bestandenen Hügel, müßig liegen die grauen Wege zwischen ihnen her, und die öffentliche Straße, als fürchte sie den Schlummer seiner Insassen zu stören, ging schweigsam an dem Gehöft der Siedlung „Gemeinsamkeit“ vorüber.

Die Siedlung bestand aus zwei Gebäuden, das größere kehrte der Chaussee die Rückenseite zu, schmale Fenster in einer glatten Mauer, an der die weiße Tünche vielfach abgefallen war. Es wies auch in seinen anderen Teilen keine völkische Besonderheit; ein Landhaus, wie es in jeder deutschen Gegend stehen konnte. Eingeschossig, rot bedacht, in seiner Einförmigkeit seitlich durch einen verglasten Erker unterbrochen und in der Vorderansicht durch die kurze freie Treppe, die von der Diele ins Freie führte, flankiert von zwei grün gestrichenen Kästen, in denen Rhododendronbüsche blühten. Großblättriger Efeu kletterte bis zur Höhe des ersten Stockwerks an der Wand hinauf, und in den schmalen Beeten, die das Erdgeschoss umrandeten, mischte sich mit Stiefmütterchen, Levkoien, Goldlack und Reseden die bunte Pracht der Sommerrosen.

Einen scharfen Gegensatz zu dieser freundlichen Alltäglichkeit bildete die Eigenart des Gegenübers. Ein schmales altersschwaches Holzhaus schickte seinen Dachsims, unter der Schindeldecke, um zwei Armlängen in die Luft hinaus und stützte es auf ein paar plumpe viereckige Pfosten. Greisenhaft bog es sich nach vorn, die Verzierungen seiner von Wind und Wetternarben kraus zernagten Oberfläche glichen Runenzeichen aus einer heidnischen Epoche.

An Vergangenheit und Neuzeit schoss sich das Rund des Wirtschaftshofes, die Vermittlung zwischen beiden übernahm ein Rasenplatz, blumenlos, nur geschmückt durch die vermorschte Tafel einer Sonnenuhr, und die arm- und nasenlose Sandsteinstatue einer Flora, auf einem zersprungenen und abbröckelnden Postament. Hinter dieser Anlage fing der eigentliche Garten an, auch er mehr den Ertrag bedenkend wie die Schönheit, reichlicher mit Obstbäumen als mit Zierpflanzenbestanden. Sein besonderes Gepräge erhielt er durch den See, in den er sich gleich einer Zunge streckte, ihn so unmittelbar begrenzend, dass eine dickstämmige Linde die Fülle und den Duft der Blüten aus ihren weittragenden Zweigen in das Schilf verstreute, das den Wasserspiegel gleich einem Wall umsäumte. Über seine glatte Fläche ging jetzt eine kräuselnde Bewegung; raschelnd bogen sich die Schachtelhalme zueinander, sanfte Wellen schlugen plätschernd dem Ufer an. Ein leichter Wind war ausgesprungen, der Vorreiter der Sonne; flatternd wehten die siebenfach gefärbten Fahnen ihrer Morgenröte, und nun taucht sie selbst, im Purpurmantel einer Königin, hinter dem Rücken eines Hügels auf. Sie schien dort triumphierend zu verweilen, ehe sie den Halbkreis ihres Siegeslaufs betrat. Die Welt begann für sie zu klingen und zu leuchten, alle Vögel zwitscherten ihr einen Lobgesang, alles Gewachsene neigte sich ihr entgegen, die Stille rief ihr tausend Huldigungen zu.

Auch das Getier des Gutshofs verlangte danach, ihre Auskunft zu begrüßen. Mit vielstimmigem Muh meldeten die Kühe, dass sie aus dem Stall heraus und auf die Grasweide verlangten, grunzend drängten sich die Schweine in den engen Koben, das Federvieh schickte sich gurrend, schnatternd, piepsend zur Morgenunterhaltung an, und das freche Krähen eines Hahnes zerriss die Luft wie ein Trompetenstoß.

Man hätte glauben können, sein Schrei habe Sabine Urbschad aus dem Haus gelockt, sie hüpfte die kurze Freitreppe hinunter und wollte sich zum Wasser wenden, als sie von Brick, dem Schäferhund und Wolf, der Bulldogge, die das Gehöft bewachten, mit einer so stürmischen Begrüßung überfallen wurde, dass sie Mühe hatte, sich ihres Angriffs zu erwehren. Auch Tyras, ein mächtiger Neufundländer, der nicht mehr recht beweglich war, schleppte sich schwerfällig herbei und stieß die Schnauze in Sabines Hände. Sie musste ihre Liebkosungen gleichmäßig an alle drei verteilen, ehe ihr der Weg von ihnen freigegeben wurde. Nach den ersten Schritten hielt sie wieder inne, um einem unerwarteten Geräusch zu lauschen. Kam der gedämpfte Ton, der sich in kurzen Abstand wiederholte, aus den Wirtschaftsbaulichkeiten? Wer arbeitete dort um diese frühe Zeit?

Mit ihren nackten Füßen, die in ledernen Sandalen steckten, lief sie dem Schall nach, den Hof hinein; als sie den Schlüssel in dem Schloss der linken Ecktür drehte, sah sie mitten in dem Schuppen ihren Bruder Hubert stehen. Er hatte seinen Kittel abgeworfen und war über einen Gegenstand gebeugt, gegen den er vorsichtig den Hammer führte. Er tat jeden Schlag als hebe er die Hand zu einer Zärtlichkeit, eine knabenhafte Freude kicherte dabei aus seinen Augen und sprang ihm in leisem Singen aus dem Mund. Sabines Anruf überraschte und bestürzte ihn. Sein Klopfen hatte doch nicht etwa die Hausbewohner aus dem Schlaf gestört? Sie beruhigte ihn lachend, nur sie sei durch die Hitze aus der Kammer und zu einem Bade in den See getrieben. Dann unterbrach sie sich und staunte Huberts Arbeit, einen großen Lehnstuhl an.

„Hast du das selbst gefertigt?“

Er nickte, schon wieder eifrig bei seiner Tätigkeit. Jetzt, da er den letzten Nagel eingeschlagen hatte, zog er den Sessel prüfend ein wenig von sich ab und umging ihn dann zur Musterung, ob sich etwa noch irgendwo ein Fehler zeige. Sabine folge ihm, lobte den bequemen breiten Sitz, die gute Firn der Seitenlehnen, und ganz besonders entzückte sie der Stoff, mit dem die Kissen überzogen waren, ein etwas ausgeblasster graurosa Brokat, der gut zur Farbe des hellgeheizten Holzes passte. Sie wollte Probe sitzen und die Polsterung untersuchen, die sie weich und mollig fand. „Wie der Pelz von unserer weißen Katze“, und da sie meinte, es sei noch reichlich Platz für Hubert übrig, zog sie ihn neben sich damit auch er Köstlichkeit des kühlen Seidenstoffes genieße.

Die nahe Nachbarschaft es Paares hob seine Ähnlichkeit hervor. Beider Glieder waren gefestigt und doch schlank, beider Haare, die ihren eng gezöpft, die seinen kurz geschoren, standen, gleich reifem Korn auf dunkler Erde, gelb über dem Bronzeton der Stirnen, der seine Abkunft der Sonne und den Elementen dankte; das verriet das helle Schimmern ihrer Körper, sobald sein aufgeknöpftes Hemd oder ihr weites umgürtetes Gewand ihnen unversehens tiefer von den Schultern glitten. Doch während des Mädchens Augen noch den hellen, willenlosen Blick der jungen frohen Tiere zeigten, glomm in seinen dunklen Pupillen eine traumhafte Versonnenheit, und das Beben seiner Nasenflügel, die Linien seines kühn geschwungenen Mundes redeten eine Sprache, deren Bewusstwerden noch in ihm schlief. Augenblicklich war er jedenfalls nichts als ein harmloser, vergnügter Junge, dessen Gedanken sich ausschließlich um ein Fest bewegten, das morgen, Sonntag, abgehalten werden sollte.

Auf der Ebene des Hügels, der am jenseitigen Seeufer aus dem Wasserspiegel stieg, hatten die Siedler alle miteinander eine Halle aufgerichtet, die Feier aber mit der das Bauwerk morgen der Benutzung übergeben werden sollte, war von der Jugend in Heimlichkeit ersonnen worden, Hubert und Sabines Eltern zur Überraschung.

Flüsternd, obgleich kein Lauscher sie bedrohte, tauchten die Geschwister ihre Sorgen aus:

Wird sich das Wetter halten?

Wird niemand vorzeitig den Plan verraten?

Hubert äußerte Bedenken.

„Glaubst du nicht, dass Vater nur so tut, als ob er gar nichts merkt? Albert Krelle, der die Halle ausmalt, hat doch so oft am Feld gefehlt, sollte das Wetter gar nicht aufgefallen sein?“

Sabine verteidigte den Vater; der und sich verstellen! „Er hat eben das Vertrauen, dass von uns jeder seine Pflicht tut und redet darum keinem etwas drein.“

Hubert gab ihr Recht und war trotzdem sehr zufrieden, über seine Pflichten die Anfertigung des Lehnstuhls nicht versäumt zu haben.

Mit Stolz erzählte er: von Beginn bis zur Vollendung des Geschenkes sei er ganz allein dabei am Werk gewesen. Seine Zeichnung habe er entworfen, alle Teile selbst gehobelt und gedreht.

Sie geizte nicht mit Loben, und wollte eben den Gedanken äußern: man müsste Kornelien mit in das Vertrauen ziehen, da erschien, wie von Sabines Wunsch hergeleitet, die Ersehnte in der Schuppentür. Sabine, begierig der Base Urteil einzuholen, ging ihr entgegen, und Huberts Mienen spannten sich, als sei diese Entscheidung auch für ihn von besonderem Belang.

Kornelie Urschads Züge trugen, ungeachtet ihres ostpreußischen Namens, den Stempel eines fremdländischen Stammes. Von einer Südamerikanerin geboren, hatte sie der Mutter dunkles Kolorit geerbt und das schwarze Haar, das den Schädel wie ein Helm umschloss; und es waren vielleicht die dichten, zu einem schwarzen Strich geeinten Brauen, die ihren Blicken, auch jetzt da sie auf dem ihrer Beachtung anempfohlenen Sessel ruhten, etwas Finsteres verlieh. Sie entdüsterten sich auch nicht, als Sabine, Huberts Enttäuschung in der eigenen mitempfindend, immer lebhafter um Anerkennung für ihn warb. Nun schwieg sie, und in die Pause hinein tönte Korneliens tiefklingendes Organ: „Woher kommt dir dieser kostbare Brokat?“

Hubert verzögerte sekundenlang die Antwort: „Vera Petroff hat ihn mir gegeben.“ Ganz schnell, um Korneliens Erwiderung abzuschneiden: „Sie hat ihn auf dem Grunde eines ihrer Koffer aufgefunden, ein altes, halb verschlissenes Überbleibsel ihrer Vergangenheit.“

Noch einmal verhinderte er Korneliens Zwischenrede und erzählte, wie lange er die Absicht zu dieser Schenkung an die Mutter in sich trage. Weihnachten bereits, zur Zeit des Gänserupfens, habe er Miete Sodählen vier Wochen lang bei der Latrinensäuberung vertreten und sich dadurch ein Anrecht auf die Federn erworben, deren er zur Kissenpolsterung bedurfte.

Die Geschwister lachten, aber Kornelie macht den Sprung ins Scherzhafte nicht mit. Ihr Augen funkelten, da sie Vera Petroff schmähte, und durch Sabines Besänftigungsversuche noch mehr aufgebracht, schalt sie die Russin eine Scheinheilige, eine Verderberin, die noch immer irgendwo ein Häuflein Schlamm verborgen halte, um die Reinheit der Gemeinde damit zu beschmutzen. Sie ließ sich hinreißen, Hubert der Lauheit zu bezichtigen, der Hinneigung zur Üppigkeit.

Zorn unterlief mit einer Purpurwelke des Angeklagten Haut, auch ihm entfuhr ein Wort der Heftigkeit.

Mathias Urbschad, gewohnt, als erster den Gutshof zu betreten, vernahm befremdet, dass ihm heute ein Unfrieden zuvorgekommen sei, und dass es gar die Seinen waren, die im Streite miteinander lagen. Doch er vergaß nach seinem Grund zu fragen, so bestechend fiel ihm seines Sohnes Erschöpfung auf. Was ihn zuerst daran erfreute, war die Entwicklung von Huberts Geschicklichkeit; als er dann erfuhr, für wen sein Junge so manche Stunde seines Schlafs geopfert hatte, schloss er ihn gerührt in seine Arme.

Kornelie benagte ihre Unterlippe, ihr Gerechtigkeitsgefühl empörte sich. Sie hob den Arm wie zur Beschwörung; auch der einfachsten ihrer Gebärden haftete eine übermäßige Bedeutung an.

„Und du missbilligst nicht, dass der Stuhl mit einem von Vera Petroffs Sündenkleidern überzogen worden ist?“

Ein gutes Lächeln teilte Urbschads Lippen.

„Du vergisst, dass wir uns hier vereinigt haben, nicht um zu richten, sondern um zu lieben, und dass es vor der Liebe keine Sünde gibt.“

Die dunkle Linie ihrer Brauen stand gleich einer Wolke über Korneliens blass gewordenem Gesicht. Sie kämpfte mit den Worten. „Es ist nicht gut, mein Vater so gut zu sein, wie du“, stieß sie mit Leidenschaft hervor. Zu hochmütig, um mehr von ihren Gefühlen preiszugeben, stürzte sie von dannen.

Sabine macht Miene, ihr zu folgen, doch ihr Vater hielt sie davon ab, indem er sie an ihre Pflichten mahnte. Es fehle nicht mehr viel zu fünf, gleich werde die Glocke zum Frühstück und zum Arbeitsanfang läuten, die Kühe verlangten aus dem Stall und müssten vorher noch gemolken werden.

„Ach Vater, “ bettelte Sabine, „lass es mich doch, wie am Mittag und am Abend, draußen auf der Wiese tun.“

Sie gestand ihm, sie würde sehr glücklich durch die Erfüllung dieses Wunsches werden und bemühte sich, ihn zu begründen. Jedes Lebendige bedürfe doch der Freiheit und Bewegung. Und dann: das Stallmelken sei ein praktisches Geschäft, draußen verkläre es sich ihr zu einem dichterischen Vorgang. Sie versuchte zu beschreiben, wie ihr zumute sei, wenn sie, auf ihrem Schemel sitzend, die vollen Euter der großen sanften Tiere zwischen ihren Händen halte und sie in den Kübel leere. Jedes Mal glaube sie ihnen eine stumme Wohltat zu erweisen, und jedes Mal empfinde sie das Wunder, dass sich Blut in Milch verwandele, als etwas tief Geheimnisvolles, etwas, sie überwand die Scheu es auszusprechen, Religiöses. Und sie meinte, am Stärksten müsse die Empfindung am frühen Morgen wirken, dann schiene ihr die Natur noch ganz unschuldig zu sein und zwischen Baum und Gras und Vieh und Menschen keinen Unterschied zu machen.

„Kleine Heidin“, schalt der Vater und sah sie zärtlich dabei an, da er durch sie erfüllt sah, wonach er strebte: Die Heiligung der Arbeit, und mochte sie als niedrig gelten, durch das Einssein mit der Natur.

„Ich will es morgen in der Sitzung zur Beratung bringen“, versprach er ihr.

Im Haupthause öffneten sich Fenster, Stalltüren kreischten in den Angeln.

Die Bewohner des Masurenhäuschens traten in den Garten.

„Kikeriki!“ krähte, an Stelle eines „Guten Morgen“ Peter Vogtherr, ein hochaufgeschossener blondhaariger Junge; gleich einem Gummiball schnellte er unter dem Holzaltar hervor und warf sich ausgelassen gegen Huberts Brust.

Auch der etwas zur Beleibtheit neigende schwarzhäutige Ephraim Lewicki bewillkommnete Hubert und Sabine, als habe er sie lange Zeit entbehren müssen.

Helene Vogtherr, Peters Mutter, bastelte im Gehen an den letzten Knöpfen ihrer Jacke, und in den Wimpern Albert Krelles, ein Dreißiger, die weichen Züge wie verwelkt unter der Sonnenbräune, schienen noch die Nachtträume zu hängen.

Trapp, trapp, marschierten feste Tritte näher; sie kamen aus dem kleinen Anwesen, das von der Siedlung aus, über die Straße weg, mit einem Steinwurf zu erreichen war. Die Familie Sodählen beherbergte dort noch zwei Genossen, den Caspar Hucke und den Klemens Hassenkamp.

Voran schritt Karl Sodählen, dürr wie ein Stecken, in seinen Kleidern hängend, als habe er darin geschlafen, das mit grauen Bartstoppeln bestandene Gesicht von Luft und Licht zu Pergament gegerbt, hinter ihm ging Hermann, sein Ältester, das verjüngte Ebenbild des Vaters, und der geschmeidigere Otto.

Caspar Hucke, klein, behänd, einen braunen Bartkranz um den genießerischen Mund, und ein spitzbübisches Blinken in den kleinen Augen, versäumte sich mit Fie Sodählen, einer sommersprossenreichen, drallen Magd. Am weitesten blieb das letzte Paar zurück: Miete Sodählen mit Klemens Hassenkamp, der, hühnenhaft, einen roten Haarwald auf dem Schädel und um den eigensinnig vorgeschobenen Kiefer, sich im Gespräch weit zu dem üppigen flachsblonden Mädchen herunterbeugen musste; es war dabei nicht festzustellen, ob sie miteinander scherzten oder stritten.

Die kleine Diele des Haupthauses, in dem die Siedler ihre Mehlsuppe verzehrten, war durchschwirrt von Stimmen, wie ein Vogelkäfig. Man pflegte die bevorstehende Arbeit des Morgens niemals zu bereden, ein jeder von den Siedlern hatte sich immer schon am vorhergehenden Abend seine Verrichtung freiwillig gewählt. Heute aber rissen die Erwägungen der Aufgaben nicht ab, die in den nächsten Stunden zu erfüllen seien.

„Ich habe auf dem Hügel drüben das Stückchen Wiese zwischen unserer Waldung abzumähen“, sagte Hubert. „Albert, komm doch mit, um mir zu helfen.“

„Selbstverständlich“, erwiderte ihm Krelle mit etwas matter Lustigkeit bei einem so wichtigen Geschäft. „Ein paar Maulvoll Heu für unsere Ziegen kommt doch wohl dabei heraus?“

Hubert schauspielerte Entrüstung.

„Mach‘ unser Bergheu nicht so schlecht. Pass auf, wir werden noch Pferd und Wagen haben müssen, um es heim zu schaffen. Weißt du“, wendete er sich mit einem jähen Einfall zu Lewick, „es ist am besten du ladest die letzten Hallenmöbel auf und kommst uns nach. Dann sind wir umso eher alle wieder unten.“

„Recht“, mischte sich Sabine ein und prustete beim Kichern beinahe ihre Morgensuppe aus, „Ich klettere nach den Melken ebenfalls nach oben, mir macht das Mähen auf dem Hügel einen ganz besonderen Spaß.“

„Kruppzeug, kindliches“, brummte Karl Sodählen in sich hinein, „meint, Landarbeit ist Spielerei“,

Er ging hinaus, um den Glockenklöppel gegen die metallene Umhüllung anzuschlagen. Weit dröhnte es ins Land: „Fangt an! Fangt an!“

Die Diele wurde leer; Otto Sodählen half der Schwester Miete den Brunnenschwengel zu regieren, die gefüllten Eimer aus der Tiefe hochzuwinden und in die Waschküche zu tragen, wo Fie schon dabei war, die Wäsche in dem großen Zober einzuseifen. Karl Sodählen, sein Sohn Hermann und, als etwas lässiger Gehilfe, Caspar Hucke machten sich mit ihren Forken an den großen Misthaufen heran, um die fruchtbringende übelriechende Masse einem bereite gestellten Wagen aufzuladen. Der Alte spannte dann den Schecken und die braune Stute vor, Hermann striegelte das Fohlen, das seiner Mutter stets zur Seite trabte, und Sohn und Vater nebeneinander auf dem Kutschbock sitzend, lenkten das Gefährt mit „Hüh“ und „Hoh“ und „Werscht Ihr Ludersch machen, dass Ihr weiterkommt“ zur Straße. Noch in Hörweite vom Gutshof begegnete ihnen ein von einem Pferd gezogener kleiner Karren, und der Alte schrie zurückgewendet in das Haus hinein:

„He, Frau Lena, Milch parat stellen, der Christian ist all da und will sie holen.“

Er nahm noch wahr, dass die blasse, weißlichblonde Lena Vogtherr die blanken Kannen vor den Hintereingang stellte, dann bog er um die Ecke und sah nicht mehr, wie Peter, Lenas elfjähriger Sohn, dem Karrenführer beim Aufschichten der Fracht behilflich war und dann aus dem Flur einen Stoß von Weidenkörben brachte, hinter deren Mauer er fast verschwand. Es waren runde und längliche dabei, offene mit Henkelgriffen, andere von Deckeln zugeschlossen und sie waren mannigfaltig in der Flechtart und der Größe.

Mathias Urbschad trat an das Fenster seiner im Erdgeschoss gelegenen Arbeitsstube und lobte den Fleiß der Frauen und das Ergebnis ihrer Schaffenskraft.

Da hob die blonde, stillverhärmte Frau die treuen demütigen Hundeaugen zu ihm auf und sagte: „Ach Herr, mein Verdienst daran ist das Geringste. Aber Vera Petroff, das ist eine Künstlerin.“ Sie deute auf ein paar Stücke, die durch den Reiz der Farben und der Umrisslinien eigenartige Wirkungen erzielten. „Die bringen mehr, als der ganze Vorrat miteinander.“

Peter hatte inzwischen die Geflechte ineinander aufgestapelt und gestülpt und suchte auf dem vollbepackten Karren ein Plätzchen für seine eigene schmächtige Gestalt.

Urbschad fragte: „Bist du es, der sie heute zum Verkaufen in die Stadt zu bringen hat?“

Peter bejahte, und die Bedenken des Mathias, ob der Rückweg für ihn nicht zu sehr ermüdend sein und ihn verhindern werde, pünktlich in der Schule zu erscheinen, verlacht er mit strahlendem Gesicht. Den Heimweg von der Stadt beliefe er in kaum zwei Stunden und die Schule finge erst um neun Uhr an.

„An der Schule ist nicht so viel gelegen“, meint Frau Lena. „Die Hauptsache ist doch deine Lehre, Herr.“ Es war, als neige ihre Stimme stich in Ehrerbietung. Es ging noch ein hastiges Gelispel zwischen ihr und ihrem Sohne hin und her, wobei Peters Blicke sehr verschmitzt zu Mathias Urbschad flogen, dann knallte der Karrenführer mit der Peitsche und das Pferdchen zottelte davon.

Mathias vergönnte sich noch eine kurze Muße, eher er sich an den Schreibtisch setzte. Er beobachte, wie nahe die mit Tannenwald bestandenen Erhebungen des jenseitigen Seeufers heranzurücken schien und dass der Wind nach Westen umgesprungen war, doch seine Furcht vor herannahendem Regen beruhigte sich wieder durch einen Blick in die sonnenklare, helle Luft. Mit allen seinen Sinnen nahm er das Bild der lieben grünen Landschaft in sich auf. Die Brust durch einen tiefen Atemzug geweitet, die Seele von einem warmen Dankgefühl geschwellt, wendete er sich seinen Wirtschaftsbüchern zu. Er wusste seine Einsamkeit in vertrauteste Gemeinschaft eingeschlossen, von der jede Lebensäußerung von außen her ihm Kunde gab.

Die Richtung, aus der ein helles Jünglingslachen zu ihm drang, sagte deutlich: da Vera Petroff, trotzdem das Amt sie heute traf, das Geflügel zu versorgen, noch nicht erschienen sie, nehme sich Hubert des mit Scharren, Glucksen, Flügelschlagen sich anmeldenden Völkchens an. Ein Zweiter redete dazwischen mit einer Sprache, die sich etwas singend dehnte und die letzten Silben des Satzes stets wie fragend in die Höhe warf und Mathias dachte: natürlich, wo Hubert sich befindet, ist Ephraim Lewicki niemals weit.

Ein Hobel kreischte und verstummte. Beides verstand Mathias sich zu deuten. Klemens Haßenkamp mochte in der Werkstatt das letzte Brett gehobelt haben, jetzt dröhnte seine Schritte, er strängte wohl den Fuchs an die Deichsel des kleinen Erntewagens, lud die fertigen Geräte auf und holte Hubert, um mit ihm und Ephraim Lewicki in die Halle auf den Berg zu fahren.

Otto Sodählen und Kaspar Hucke, ihr Handwerkzeug geschultert, schritten an den Schreibenden vorbei, auf ihrem Weg, die Futterrüben zu behacken.

Nun meldete sich noch nur das Echo hausfraulicher Tätigkeiten. Die geräuschvolle Behandlung nasser Wäsche unter den Händen der weiblichen Sodählen, das Reinigen der Wohnung, von Kornelie Urbschad und Helene Vogtherr ausgeführt; und da sich in die tiefen Frauenstimmen nun ein helles Kinderplappern mischte, durfte Mathias schließen, Evelyn Kennel habe wieder einmal ihren Stolz daran gesetzt, zeitiger aufzustehen als ihr Zwillingsbruder, um den Erwachsenen zu helfen. Die leichten Tritte, die, von oben kommend den Boden kaum berührten, Sie gehörten Vera Petroff an. Urbschad sah sie gesenkten Hauptes an sich vorüberschreiten und beobachtete, wie verführerisch sie sich in den Hüften wiegte, und es rauschte um sie, als knistere Seide unter ihrem nonnenhaft geschnittenen dunklen Gewand. Sie ging in den Gemüsegarten, um das Unkraut auszujäten; aber würde sie nicht in einer halben Stunde wiederkommen, so viele Blumen, als die Arme fassen können, an die Brust gedrückt, begierig die Zimmer damit auszuschmücken.

Er lächelte und sein Gesicht erhellte sich noch mehr, als seine Frau, die ihre Morgenruhe immer etwas länger auszudehnen pflegte, zu ihm ins Zimmer trat. Ein Händedruck, ein paar gute Worte der Begrüßung, mehr bedurfte es zwischen die beiden nicht; Frau Dorothea begab sich an ihren Fensterplatz, vor dem eine mit Schoten angefüllte Kiepe ihrer harrte, und unterbrach sich auch in der Beschäftigung, die grünen Kerne auszuhülsen nicht, als Bob und Evelyn Kennel in die Stube hüpften, wie immer unzertrennlich von Puss und Dolly, den kleinen schwarz- und weißgefleckten Katzen, die sie auch nicht aus den Armen ließen, um sich von lieb Vater und lieb Mutter den Guten-Morgenkuss zu holen.

Die Zwillinge waren für ihre Jahre klein und bleich, als fehle ihrer Haut die Kraft, die Sonne mit den Poren einzusaugen; ein vorzeitiges Kämpfen mit der Not des Lebens mochte ihren Zügen den Altersausdruck eingegraben haben. Doch schon verwischte ihn das Blühen einer zweiten Jugend und der Schimmer einer echten Kinderfröhlichkeit. Wie vorhin der Peter, waren auch sie zum Bersten voll mit einer Kenntnis, deren Geheimhaltung sie so auffallend betonten, dass sie seiner Mitteilung sehr nahe kam. Bob namentlich war beständig in Gefahr, mit seiner Neuigkeit heraus zu prusten, wobei ihm Evelyn jedes Mal erschreckt mit ihrer Hand den Mund verschloss. Glücklicherweise macht das Erscheinen von Sabine, die vom Melken kommend, sie von außen her mit einem Wink zu sich beschied, der Verlegenheit ein Ende. Unter nicht enden wollendem Gelächter behaupteten sie, wobei sie verständnisvolle Blicke miteinander tauschten, sie müssten jetzt zum Unkrautraufen mit Sabine in den Küchengarten gehen. Mathias tat, als schenkte er dieser Behauptung Glauben und ermahnte sie nur, sich nicht zum Schulweg zu verspäten. Schon waren sie herausgelaufen; sie setzten ihre Kätzchen an die Erde, um sich ungehindert bei Sabine einzuhängen, und redeten gleichzeitig so stürmisch auf sie ein, dass ihre Köpfe fast zusammentrafen; die Büsche hatten sie schon aufgenommen, als in der Luft noch der Nachhall ihres lustigen Geschwätzes hing. Das Lächeln, mit dem die Eheleute Urbschad es vernahmen, war herzlich wie ein Gegenspruch und ging gleich einem stillen Einverständnis zwischen ihnen hin und wieder.

Um die achte Stunde kündigte die Glocke den Daheimgebliebenen die Frühstückspause an. Diese Mahlzeit wurde nicht gemeinsam eingenommen, ein jeder verzehrte sie an seiner Arbeitsstelle. Mathias Urbschad hielt die Rastzeit niemals ein; auch heute trank er hastig einen Becher Milch, steckte das gestrichene Brot in seine Tasche und ging davon, um seinen Rundgang durch die Felder zu beginnen. Als er ins Freie trat, überraschte ihn die Änderung des Wetters. Noch war der Himmel rein, nur an den Rändern des Horizonts wie von einem durchsichtigen Rauch umzogen. Doch die Sonne bewaffnete die jungen Strahlen mit so viel Heftigkeit, als einen sie beauftragt, einen Überfall von Wind und Wolken abzuwehren. In die Doppelreihe der dichtbelaubten alten Erlen, die vom Gutshof in die Felder führte, vermochten sie nicht einzubrechen, um so ungestümer stürzten sie auf Urbschad, als er den Laubschatten verließ. Er aber fürchtete sie nicht, unbedeckten Hauptes hielt er ihnen stand. Er liebte die Quelle aller Fruchtbarkeit, die Freudenspenderin, die Sonne. In ihrer Werkstatt ging er wie in einen Tempel mit innigem Behagen sog er die Schwüle in sich ein, in der die Säfte der Gräser und des Getreides kochten, und die weite sanfte Fläche des bebauten Landes war ihm eine Tafel, die das Brot des Volkes trug.

Er hatte den alten Kleeschlag auf dem Karl Sodählen und sein Ältester mit den Brachvorbereitungen beschäftigt waren, bald erreicht. Der Dung war bereits ausgebreitet, sie trafen Vorkehrungen, um ihn den Boden unter zu pflügen. Der Alte ließ die Pflugschar stehen, um auf Mathias zuzuschreiten. Von weitem, schon rief er ihm zu: „War ich just auf dem Weg, den Herren zu holen, kann er sich jetzt den Schaden selbst besehen.“

Es war Mathias bisher noch immer nicht gelungen, den ungebildeteren Genossen im Verkehr mit ihm den Ton der Gleichheit beizubringen. Auch in Karl Sodählens Haltung zeigte sich sein Rest von Unterwürfigkeit, in die sich aber, auf diese sonderbare Weise, etwas wie ein überlegenes Mitleid mischte. Es bekundete sich jetzt auch in der Art, mit der er sich beschwerte. Not am Mann, die Arbeit brenne auf den Nägeln, sollte da das Theaterspielen auf dem Berge wirklich unaufschiebbar sein? Der Otto sei eben dagewesen, um zu melden, sie hätten in den Rüben Würmer angetroffen und seien dabei, die kranken Pflanzen zu entfernen. Außerdem stecke ein Gewitter in der Luft, das Heu liege getrocknet auf den Wiesen, es wäre sündhaft, es noch einmal dem Verregnetwerden auszusetzen. Und er verlangte nochmals, dass sich alle Hände unverzüglich regten, auch noch morgen, Sonntag, wenn das Wetter es verlangte, auf die Gefahr hin, dabei wagte das überlegene Mitleid sich deutlicher hervor, dass diese Forderung dem Vergnügen von der jungen Herrschaft in die Quere käme.

Urbschad pflichtete ihm bei. Hermann wurde heimgeschickt, um Gespann, Geräte und alle von Waschküche und Hausgeschäften abkömmlichen Frauen herzuholen, an seiner Statt bot er sich selbst zur Unterwerfung an. Nur einen Blick wollte er noch auf das mehr landeinwärts gelegene Ackerstück der Futterrüben werfen.

Noch vor zwei Tagen hatte er sich an dem Strotzen ihrer Saat erfreut, heute schien sie von einem Gifthauch angeblasen; zwischen kraftvoll grünen Pflanzen standen missfarbige, kranke, deren Blätter sich zusammenrollten, und da Mathias sie, die gelockert darin saßen, aus dem Erdreich hob, fand er an ihren Knollen fette weiße Würmer, die an dem Mark ihrer Gesundheit nagten. Nachdenklich sah er auf sie hinunter. Ihre Zerstörung bedeutete der bescheidenen Gemeinschaft immerhin einen fühlbaren Verlust, sie dünkte ihm zugleich ein Gleichnis seines Tuns. So plante er und baute, und feine Schöpfung breitete sich im Gedeihen aus, aber unterirdisch war vielleicht ein Feind am Werke, und was man im Grund gefestigt und gesichert glaubte, wurde wurzellos und siech. Doch an seiner Seele hafteten die Schatten nicht. Er entledigte sich seiner Oberkleider, ergriff die Schaufel und machte sich an das Geschäft, das er zeitlebens übte, an das Kämpfen mit der Schädlichkeit.

Während des gemeinschaftlichen Mittagessens ließ er die Vorfälle des Morgens unbesprochen, erst nach Beendigung der Mahlzeit entbot er alle Teilnehmer zu einer Unterredung. Er war genötigt, mit einem Geständnis zu beginnen. Jawohl, er wisse von dem Plan der Jugend, die neuerbaute Halle auf dem Berge mit einem Festakt einzuweihen und der bedaure von Herzen, dass die Umstände ihn zwängen, diese Kenntnis zu verraten und damit die Freude zu zerstören, die in dem Plan der Überraschung liege. Doch es habe sich die Notwendigkeit herausgestellt, dass gewisse Landarbeiten, deren Art er ausführlich erklärte, ohne Zögern vorzunehmen seien. Zu ihrer Ausführung bedürfe es der Vereinigung aller Kräfte, er frage deshalb bei ihnen an, ob sie insgesamt bereit seien, heute Nachmittag, und vermutlich auch den Sonntag über, im Feld zu schaffen und sich das Fest fürs erste zu versagen.

Diese Rede wirkte wie ein Scheinwerfer auf die Gemütsart seiner Hörer. Die Kinder, der Natur am nächsten, fingen an zu weinen. Sabine beherrschte sich nur mühsam, es ihnen nicht gleichzutun. Ephraim sah Hubert an und bewahrte seine Fassung, da er den Freund nach außen hin gelassen sah. Frau Dorothea blieb gemäß ihrer Gewohnheit schweigend.

Vera Petroff neigte sich in Demut. „Dir einen Schmerz zu Füßen zu legen, Meister, ist mir Glückseligkeit.“ Welchen Satz Kornelie sie kaum zu Ende sprechen ließ, um auszurufen: „Was für Aufhebens um ein verschobenes Vergnügen. Ehe wir Feste feiern, müssen wir sie uns verdienen.“ Die übrigen stimmten, mehr oder weniger zufrieden, bei, wobei freilich Caspar Hucke etwas von Ausdeutung und Recht auf Sonntagsruhe brummte.

Nur der Maler Albert Krelle, der als Verspäteter in die Versammlung platzte, sagte den Gehorsam auf. Er riss den letzten Schleier von der geplanten Überraschung, verriet, er bedürfe nur noch einiger Stunden, um die Fresken, mit denen er die Wand der Halle schmückte, zu vollenden, und geriet in kochend heißen Zorn, als man ihm zumutete, nicht wieder zu seinen Bildern in die Halle auf dem Berg zu gehen. Wäre ihm das Chromgelb nicht ausgegangen, er hätte vor Dunkelwerden nicht von oben weggerührt, und unverzüglich müsse er zurück, die Farben trockneten sonst ein bei dieser Glut. Ohnehin seien ihm die Finger schon ganz steif geworden von dem verdammten Graben.

Man beschloss, mit allen Stimmen gegen eine, die Korneliens, den Maler frei zu geben. Frau Dorothea, schweren Mühen nicht mehr gewachsen, blieb zurück. Ebenso Frau Lena Vogtherr und ihr Peter, der am Sonnabendnachmittag schulfrei blieb. Sie machten sich sofort daran, das vorjährige Heu, so viel davon den Bodenraum über dem Pferdestall noch füllte, zurückzuschieben, um Platz für das neu ankommende zu schaffen, und wurden angewiesen, die anfahrenden vollen Wagen mit den Kutschers Hilfe abzuladen.

Am Himmel hatte sich der Kampf verschärft. Noch behauptete sich die Sonne im Süden und schickte mörderisches Feuer nach den Wolken, die ringsumher auf dunklen Bänken lagen, wie auf der Lauer, um sie zu beschleichen. Der Wind, noch unentschlossen, wem sich zuzuwenden, faltete die Flügel, und seinem Willen unterworfen, verharrten Blatt und Halme regungslos.

Die Siedler verteilten sich in Reihen, um das Heu, das in kurzen Abständen über den Wiesenplan verstreut lag, zu sammeln und zu häufen; sie schafften schweigend, in ihren Kehlen schien der Gesang, sonst der Ansporn ihrer Tätigkeit, vertrocknet. So spröde und mit Blut geladen waren die gedorrten Gräser, dass sie unter den Holzzähnen zu knistern schienen, die nach ihnen fassten, und von dem überwürzten Brodem, der ihnen entströmte, wurden die Hirne trunken wie von jungem Wein.

Vera Petroff, die sich mit Bücken und mit Rechen nicht genug tun konnte, war die erste, die erlahmte. Hubert sah sie wanken, er sprang hinzu, geleitete sie in den kargen Schattenschutz des Wagens und sprengte Wasser in ihr wachsgelb gewordenes Gesicht. Noch halb bewusstlos stammelte sie mit fieberheißen Lippen etwas von dem Widerstand des Fleisches, den man besiegen müsse; doch so kraftlos, um sich zu erheben, brach sie in einen Weinkrampf aus. Kornelie schickte nach diesem Vorgang einen kurzen, harten Seitenblick. Auch ihr zerhämmerte das Blut die Schläfen, an ihren Brüsten klebte das Gewand, und ihre Glieder schmerzten in den anschwellenden Gelenken; doch um keinen Preis wollte sie sich niederzwingen lassen, und etwas biblisches war in der edlen Ruhe, mit der sie ihre Glieder regte und den Dienst an der Natur versah. Die Bewegungen Sabines waren flach und automatisch, nur die Schwestern Sodählen taten es den Männern gleich. Und niemand mutmaßte die körperlichen Qualen Ephraim Lewickis; von der ungewohnten Arbeit ganz zerbrochen, kalten Schweiß auf dem grün gewordenen Gesicht, war er seelisch entschlossen, lieber umzukommen, als es den andern gleichzutun.

Am Abend speiste man im Garten. Dicht an der Hecke, die See und Grundstück von einander trennte, war die Tafel aufgestellt. Doch es drang kein Hauch von Frische in die Höhe. Über dem Wasserspiegel, der metallisch glänzte, gleich geschmolzenem Blei, stand die Luft wie eine schwere Waffe. Sie belastete die menschlichen Gemüter und schürte ihre Stimmung ein. Mühsam schleppte sich die Unterhaltung weiter, der Frohsinn fehlte, der sonst um diese Stunde durch die Runde lief und in ein gemeinschaftliches Spiel zu münden pflegte, oder in einen Tanz auf grünem Rasen. Zeitiger als sonst ging die Gesellschaft auseinander.

Mathias Urbschad, allein zurückgeblieben, lag auf einem Gartenstuhl in den dichtverschlossenen Himmel, über den von Zeit zu Zeit ein grelles Leuchten zuckte, als brenne hinter dem Gewebe seiner Wolken das Firmament und durch die Falten seines Vorhangs schlügen ab und zu die Flammen züngelnd durch. Von See herauf kamen Geräusche, gedämpft und dennoch seltsam deutlich widerhallend gegen die stille Wand der Nacht: das Plätschern einer Welle, die ein Arm zerteilt, ein Ruderschlag, vom jenseitigen Ufer her ein rufendes Geflüster; doch auch im Hause wusste Urbschad, hinter dunklen Fenstern, wachsende Gedanken und in jungen Herzen Traurigkeit. Er verstand: es war nicht allein die dumpfe Drohung des Gewitters, das die Jugend schlaflos machte. Und er fragte sich betroffen: entbehrt die Phantasie der mit Anvertrauten so sehr des Wechsels des Erlebens, sind sie der Rechte ihres Alters so von mir beraubt, dass sie sich in diesem Maße über die Entschleierung ihrer kindlichen Geheimnisse betrüben und dass der Aufschub einer Freude sie so heftig schmerzt? –

Die ganze Nacht hindurch hatte der Donner grollend vor sich hingemurmelt, doch die Dämmerung fand die Wetterspannung nicht entladen. Streitlustig stieg die Sonne auf, sie stach grimmig in die grauen Nebel, die sie gefangen nehmen wollten, und am Himmel war ein stetes Gehen und Kommen von scharfem Licht und fahlem Schatten. Die Siedler hatten sich vor Morgengrauen aufgemacht, ohne Sabine, die erst ihre Kühe melkte, und ohne Vera Petroff, die obgleich immer zu Opfern begeistert, doch noch nicht gelernt hatte, den Genuss langer Bettruhe aufzugeben. Für die anderen Frauen hatte man ein Zeltdach mitgenommen, um Erschöpften eine Erholungsstatt zu bieten, und die Pferde trugen Hüte auf den Köpfen und genetzte Decken auf dem Leib, zum Schutz gegen die Fliegenplage. Man war gewillt angesichts der böswilligen Absicht der Natur, mit der Arbeit durchzuhalten, nur für die Kameradinnen sollte sie zur Hauptmahlzeit unterbrochen sein. Je mehr der Tag sich längte, desto tückischer verschworen sich die Elemente; es ging ein leises Zischen durch die Luft, als koche jedes ihrer Teilchen, und wenn der Wind, der nun Partei genommen hatte, Sturm gegen den Verschluss der Wolken lief, um der Sonne eine Tür zu reißen, wirbelte er alle mit Staub durchfetzten glühenden Atome auf, überschüttete die Dinge und drang erstickend in Lungen und in Augen ein. Kreatur und Menschen litten an der Hitze, wie an einer Krankheit. Mähne, Schweif und Haut der Pferde, trotz der Hülle von Insektenstichen gereizt, waren in beständiger gepeinigter Bewegung, und ihre Hufe schlugen abwehrend nach allen Seiten aus; die Hunde lagen regungslos, ihre Seiten flogen und die Zungen hingen ihnen lechzend aus dem Maul. Doch die Männer, der Frauen Mittagspause war noch nicht vorbei, stemmten ihren Willen gegen die unerbittlichen Gewalten, bissen die Zähne aufeinander und holten das Äußerste von Leistung aus ihren Körpern heraus.

Die Windsbraut wurde von Todesstummheit abgelöst. Lautlos, wie ein Raubtier vor dem Sprunge, duckte die Natur sich vor dem Überfall. Schwefelgelb ruhte die Halbkugel des Himmels auf den Fluren, in der Halbkugel des Himmels auf den Fluren, in der Unheil verkündenden Beleuchtung war weithin jeder Umriss kenntlich, jedes Baumblatt, jeder Ziegelstein. Doch schon war die Wiese vollständig gesäubert und die letzten Bündel aufgestakt. Mit einem nochmaligen Aufgebot von Kräften stießen Menschenarme das hochbeladene Gefährt vom Rain hinunter auf die Straße, auf der sich die Pferde, von einer instinktiven Angst befallen, kräftig in die Sielen legten. Schweißüberrieselt, dampfend, als Schritte er durch einen Flammenherd, setzte der Zug sich in Bewegung. Schon fielen ein paar schwere warme Tropfen; der erste Blitz schien den Himmel in zwei Hälften zu zerspalten. Aber Hubert, der mit Otto vorausgelaufen war, riss schnell das Tor der großen Scheune auf, um das Eingebrachte vorerst unter Dach und Fach zu bergen. In den Donnerschlag, der mit vulkanischer Gewalt krachend niederstürzte, verschwand das Ächzen, mit dem die Wagenräder in die Tenne rollten.

Zweites Kapitel

Die nächste Woche ging damit hin, die Verwüstung gut zu machen, die durch den Orkan verursacht worden war. Er hatte Bäume ausgewurzelt, Fensterglas zerklirrt, Blumen und Gemüseanlagen zerknickt. Doch war der Schaden nicht so groß, als man gefürchtet hatte, und, wie um ihn wieder aufzuwiegen, schüttete der Sommer Fruchtbarkeit und Reichtum über Getier und Wachstum aus. Nur von den Menschen waren einige noch nicht im Gleichgewicht. Da war das seltsame Gebaren Albert Krelles. Mehr einer Dachtraufe als einem Mann ähnlich, hatte er sich, aus dem Walde kommend, an dem Gewitternachmittag über den wildbewegten See gerudert und war inmitten des Kreuzgefechts von Blitz und Donner, wie ein Unsinniger vor dem Lugaus eines Fensters hin und her gerannt, erfüllt von einer Furcht, deren Qual er der Umgebung nicht verschweigen konnte: Waren seine Fresken in der Halle durch die Tücher, die er ihnen vorgenagelt hatte, auch hinreichend vor dem Unwetter geschützt? Um, als es sich erwies, dass die Wandgemälde, wider Erwarten, der Sintflut standgehalten hatten, ein Verwandelter, ein völliger Gleichgültiger zu werden. Es war, als verfolge ihn auch hier sein Schicksal, sich während des Gestaltens einen Gott zu dünken, um gegenüber dem Vollendeten wieder ein an sich Verzweifelnder zu sein; er sucht in der Erkältung, die er sich durch seinen Aufenthalt in der Wasserfluten zugezogen hatte, den willkommenen Anlass, sich von den anderen zurückzuziehen.

Vera Petroff lag fiebernd im Bette, Kornelie hielt sich aufrecht, aber ihre Augen lagen schwarz umschattet in den Höhlen, und auch bei Sabine war nicht, wie der Vater sicher angenommen hatte, der Zusammenhang mit der Daseinsfreude alles Blühenden und Kreatürlichen sofort wieder hergestellt. Ihr Stilleres Wesen rührte tief an seine Zärtlichkeit. Was er sich nie verhehlte, meldete sich stärker in ihm an: dass er, durch die Gemeinsamkeit mit fremden Menschen, seine Eigensten und sich selbst beraube, die er mit Karl Sodählen, seinem älteren Sohn und Caspar Hucke pflegte, beschloss er, nach Beendigung der Unterredung, Sabine bei ihren Kühen aufzusuchen.

Da kam sie selbst in seine Schreibstube hineingelaufen, in Melkanzug, von dem schnellen Gang erhitzt, doch unter der angeflogenen Röte bleich und mit entfärbten Lippen, die nicht gleich die Worte formen konnten: ob es denn wahr sei, was ihr beim Melken Miete Sodählen just erzählte, man wolle das Kälbchen schlachten, das Kind von Bess, das sie aufgezogen hatte, das ihr folgte wie ein Hündchen … Der letzte Satz ging in dem Bemühen unter, nicht zu Schluchzen.

Die drei fremden Männer gerieten in Verlegenheit; sie dauerte das Mädchen, das sie liebten, deren Kummer ernst zu nehmen ihnen doch unmöglich war.

Karl Sodählen, die Ehrfurcht in ihm ganz von Überlegenheit bezwungen, redete als erster: „Was meinst du, Fräulein, das wir mit den Kälbchen machen sollten?“

„Aufziehen, selbstverständlich.“

„Ich bin ganz deiner Ansicht, Fräulein“, meinte Caspar Hucke, „aber woher das Grünfutter beschaffen? Was wir von unseren Wiesen zu erwarten haben, reicht für unser Vieh nicht aus.“

„Und wovon sollen wir uns nähren?“ mischte sich Hermann Sodählen ein. „Unser Fleischvorrat ist ausgegangen und Geld, um anderswo zu kaufen, gibt es bei uns doch bekanntlich nicht.“

Als letzter redete nochmals Karl Sodählen:

„Wäre es dir lieber, dass wir unser Kalb behalten und nehmen einer anderen Mutter das ihre weg?“

„Ich weiß nicht“, erwiderte Sabine und presste ratlos die Finger ineinander, „aber Bessys Kälbchen braten, das ist doch, als ob man sein eigenes Schwesterchen verzehrt.“

Die Männer wendeten sich ab, um ihr Lächeln zu verbergen. Mathias Urbschad aber nahm Sabines Hand, die eisig war, als sei das Blut in ihr erstorben, und fragte: „Sei ruhig, Liebe, wir nehmen dir dein Kälbchen nicht.“

Als sich hinter ihr die Tür geschlossen hatte, kam er den Bemerkungen der anderen zuvor. Er erklärte ihnen, wie glücklich es sich füge, dass er sich gestern mit der Schriftleitung einer reichen Zeitschrift in Amerika geeinigt habe, eine Folge von Artikeln über Siedlungsfragen für sie abzuschaffen. Das Honorar sei bereits unterwegs. Nur widerstrebend habe er sich dazu verstanden, Geld zu verlangen; und nur in Anbetracht der Anfangsschwierigkeiten, in der die