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Beschreibung

Die deutsche Beteiligung am Unrecht

Unfassbares Leid prägt die Geschichte der Sklaverei: Frauen, Männer und Kinder wurden ihren Familien entrissen, ihrer Heimat beraubt, zum Schuften gezwungen – oft unter brutalen Arbeits- und Lebensbedingungen. Lange hielt sich der Glaube, die Deutschen hätten mit Sklaverei nichts zu tun gehabt, doch mittlerweile entdecken Historikerinnen und Historiker in Archiven immer neue Spuren deutscher Akteure, Menschen, die anderen entweder selbst die Freiheit nahmen oder von ihrer Versklavung profitierten.

SPIEGEL-Autorinnen und Wissenschaftler gehen der deutschen Rolle in der Sklaverei nach: von der mittelalterlichen Leibeigenschaft über deutsche Kaufleute und Plantagenbesitzer der Kolonialzeit bis zu den Gefangenen im Zweiten Weltkrieg. Die Debatte, wie Sklaverei in Form von Rassismus und Benachteiligung bis in unsere Gegenwart nachwirkt, hat gerade erst begonnen. Hintergrundwissen liefert dieses Buch.

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Die deutsche Beteiligung am Unrecht

Unfassbares Leid prägt die Geschichte der Sklaverei: Frauen, Männer und Kinder wurden ihren Familien entrissen, ihrer Heimat beraubt, verschleppt und zum Arbeiten gezwungen – oft unter brutalen Bedingungen. Lange hielt sich der Glaube, die Deutschen hätten im Gegensatz zu Portugiesen, Briten und Amerikanern nichts mit Sklaverei zu tun gehabt. Doch mittlerweile entdecken Historikerinnen und Historiker immer neue Spuren deutscher Akteure, die anderen Menschen entweder selbst die Freiheit nahmen oder von ihrer Versklavung profitierten. SPIEGEL-Autorinnen und Wissenschaftler gehen in diesem Buch der deutschen Beteiligung an Menschenhandel und Zwangsarbeit nach: von der mittelalterlichen Leibeigenschaft über die Rolle deutscher Kaufleute und Plantagenbesitzer der Kolonialzeit bis zu den Gefangenen im Zweiten Weltkrieg. Die Debatte darüber, wie das Erbe der Sklaverei in Form von Rassismus und Benachteiligung bis in unsere Gegenwart nachwirkt, hat gerade erst begonnen.

Jasmin Lörchner, Jahrgang 1985, studierte Sprach- und Kommunikationswissenschaften, Geschichte und Volkswirtschaftslehre an der RWTH Aachen und volontierte anschließend bei der Financial Times Deutschland. Seit 2014 arbeitet sie als freie Journalistin für Print- und Onlinemedien und betreibt seit 2020 den Podcast »HerStory« (über Frauen und Queers der Geschichte), zu dem 2023 das Buch »Nicht nur Heldinnen« erschien. Seit 2021 ist sie Autorin bei SPIEGELGESCHICHTE mit dem Fokus Geschichte der USA und Frauengeschichte.

Frank Patalong, geboren 1963, studierte Publizistik, Anglistik und Politik in Münster und Bochum. Er begann seine Karriere als freier Journalist bei Hörfunk und Zeitung. Ab 1995 arbeitete er beim Medienfachverlag Rommerskirchen, von 1999 bis 2011 war er Leiter der Netzwelt von SPIEGELONLINE. Frank Patalong veröffentlichte mehrere Bücher, unter anderem zur Technik- und Wissenschaftsgeschichte. Seit 2019 ist er Redakteur bei SPIEGELGESCHICHTE, wo er mit Vorliebe Themen zur Sozialgeschichte betreut.

www.dva.de

JASMIN LÖRCHNER | FRANK PATALONG (HG.)

DIE SKLAVEREI UND DIE DEUTSCHEN

Eine Geschichte von Ausbeutung, Profit und Verdrängung

Mit Beiträgen von Tillmann Bendikowski, Arne Cypionka, Andreas Eckert, Angelika Franz, Solveig Grothe, Christoph Gunkel, Katja Iken, Michael Kister, Sarah Lentz, Jasmin Lörchner, Kathrin Maas, Frank Patalong, Martin Pfaffenzeller, Eva-Maria Schnurr, Anka Steffen, Thembi Wolf

Deutsche Verlags-Anstalt

Die Texte dieses Buches sind erstmals in dem Magazin »Sklaverei. Wie Menschen zur Ware wurden – und Deutschland profitierte« (Heft 5/2022) aus der Reihe SPIEGELGESCHICHTE erschienen.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2024 by Deutsche Verlags-Anstalt, München in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München, und SPIEGEL-Verlag Rudolf Augstein GmbH & Co. KG, Ericusspitze 1, 20457 Hamburg

Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, München

Umschlagabbildung: picture alliance / ullstein bild | Haeckel Archiv

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-31865-9V001

www.dva.de

Inhalt

Vorwort

»Beträchtlicher Gewinn«

Der Westfale Friedrich Romberg wurde als Reeder für Sklavenschiffe reich und mächtig – und stürzte dann tief.

Von Katja Iken

»Deutsche waren massenhaft am Sklavengeschäft beteiligt«

Lange galt: Mit Sklaverei hatte Deutschland nichts zu tun. Die Historiker Rebekka von Mallinckrodt und Michael Zeuske sagen, wie es wirklich war.

Ein Interview von Jasmin Lörchner und Eva-Maria Schnurr

Karl der Große und die Menschenjäger

Die Franken legten die Basis für Europas Wohlstand: mit Menschenhandel.

Von Michael Kister

Wikinger

Nordische Kämpfer raubten auch in deutschen Ländern Zivilisten als Sklaven.

Von Tillmann Bendikowski

Wie Menschen zur Ware wurden

Arabische Händler etablierten in Afrika einen Markt für Unfreie. Daran knüpften Europäer später an.

Von Angelika Franz

Weißes Gold

Korsaren jagten auf dem Mittelmeer nach menschlicher Beute.

Von Frank Patalong

»Zusammengebunden wie Pferde«

Im 15. Jahrhundert professionalisierten Portugiesen das Geschäft mit Menschen – mithilfe deutscher Partner.

Von Christoph Gunkel

Sklavereigeschäft im Riesengebirge

Schlesische Webereien produzierten Leinen, mit dem Versklavte gekauft wurden. Auch die Weber waren Ausgebeutete.

Von Anka Steffen

Bildanalyse Johann Valentin Haidt: »Erstlingsbild« (1747)

Was ein Gemälde über die Sklaven der Herrnhuter Brüdergemeine in Sachsen verrät

Von Kathrin Maas

Die Scheinheiligen

Deutsche Kaufleute priesen die Aufklärung – und besaßen Sklaven.

Von Jasmin Lörchner

»Wenn er aufhört, ein Mensch zu sein«

Schon zu seinen Lebzeiten wurden Schriften des einstigen Sklaven Frederick Douglass ins Deutsche übersetzt. Aufrüttelnd beschreibt er darin seine Erfahrungen.

Von Jasmin Lörchner

»Ich habe Amerika gerächt«

Beeinflusst von der Französischen Revolution, erkämpften Versklavte auf Hispaniola 1791 Freiheit und Unabhängigkeit.

Von Martin Pfaffenzeller

Über Bord entsorgt

Ein Prozess um ermordete Afrikaner stellte 1783 erstmals das Sklavereisystem infrage.

Von Frank Patalong

Augen zu und weiter so

Sklaverei galt den Deutschen lange als Sünde der anderen – mit offiziellen Verboten tat man sich schwer.

Von Sarah Lentz

Geliebt, geschätzt und ausgestopft

Auch deutsche Adlige hielten sich schwarze Verschleppte als Diener. Sie blieben Menschen zweiter Klasse.

Von Frank Patalong

Gekauft und geschändet

1837 erwarb Fürst Pückler ein elfjähriges Mädchen. Zwei Jahre später war die »Befreite« seine Mätresse.

Von Frank Patalong

Ein doppeltes Trauma

Für Frauen bedeutete Versklavung fast immer auch sexuelle Ausbeutung.

Von Jasmin Lörchner

Sieben Jahre im Versteck

In ihren 1861 publizierten Memoiren beschreibt die einst versklavte Harriet Jacobs das Leid, das Frauen in der Sklaverei erfuhren.

Von Jasmin Lörchner

Die Legende von der »freien Arbeit«

Im Kaiserreich war Sklaverei verboten. In deutschen Kolonien arbeiteten Menschen trotzdem wie Unfreie.

Von Andreas Eckert

Zum Objekt erniedrigt

Völkerschauen und Zoos machten Menschen zu Ausstellungsstücken – auch in Deutschland.

Von Frank Patalong

Als Arbeit töten sollte

Die Nationalsozialisten wollten Menschen durch Arbeit vernichten. Die juristische Aufarbeitung war schwer.

Von Solveig Grothe

Mitten unter uns

Noch immer leben Frauen und Männer in sklavereiähnlichen Verhältnissen.

Von Jasmin Lörchner

Die Schuld und das Geld

Die Folgen der Unterdrückung spüren Nachfahren Verschleppter bis heute. Kann es Wiedergutmachung geben?

Von Thembi Wolf

Deutsche und die Sklaverei: Täter und Akteure

Von Arne Cypionka

Anhang

Chronik: Sklaverei – der Mensch als Ware

Empfehlungen: Bücher, Filme, Museen und Online-Angebote

Autor*innenverzeichnis

Dank

Bildnachweis

Personenregister

Vorwort

Die Mär von der weißen Weste

Braucht es ein Buch, in dem es nicht nur um Sklaverei geht, sondern auch um die Verstrickung deutscher Staaten, Fürsten, Händler, Banker und Bürger in dieses System des Menschenhandels und der »Nutzung« menschlicher Kraft, menschlichen Lebens als energetische Ressource? Ist es nicht so, dass Deutschland – zumindest in der Neuzeit – an diesen Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht teilgenommen, nicht davon profitiert hat?

Sieht man in ältere Geschichtsbücher, dann könnte man diesen Eindruck bekommen. Doch die historische Forschung verändert dieses Bild zusehends. Mittlerweile entdecken Historikerinnen und Historiker immer neue Spuren deutscher Täter. Es gebe inzwischen zahlreiche »Indizien dafür, dass Deutsche auch direkt massenhaft beteiligt waren am Sklavengeschäft«, sagt die Bremer Historikerin Rebekka von Mallinckrodt, die über das Schicksal von »Hofmohren« in Deutschland geforscht hat. Ihr Fazit: »Allein die Anwesenheit zahlreicher afrikanischer Diener im Alten Reich widerlegt das Narrativ, die Deutschen hätten sich nie mit Sklavenhandel befleckt.« Ihre Forschung förderte zahlreiche Geschichten über Menschen zutage, die hierzulande bis weit ins 19. Jahrhundert in einer Form kaschierter, nicht explizit benannter Sklaverei lebten.

Wie das aussah? Zum Beispiel so: Am 20. Juli 1765 ging Geheimrat Franz Christian von Borries aus dem lippischen Rahden in London shoppen. 47 Pfund und 15 Schilling zahlte er für einen geschätzt 14-jährigen Jungen, den er auf dem Sklavenmarkt erstand. Yonga stammte von der sogenannten Goldküste, also aus dem heutigen Ghana. Borries ließ ihn auf die Vornamen Franz Wilhelm taufen. Rund 20 Jahre diente ihm Yonga als Diener, Gesellschafter und Friseur.

Dass Deutsche irgendwo in der Welt Sklaven kauften oder verkauften, war nicht selten. Dass sie diese dann mit nach Deutschland brachten, ebenso wenig. Oft hieß es dann euphemistisch, sie hätten Knaben oder Mädchen »losgekauft« oder »befreit«. Sklaverei gab es im Heiligen Römischen Reich ja vorgeblich nicht mehr. Menschen wie Yonga waren dann »Dienstboten« oder »Hofmohren« und formell nicht unfrei. Faktisch waren sie es aber durchaus: Als sich das Verhältnis von Borries und Yonga verschlechterte, verschenkte ihn der Dienstherr nach zwei vereitelten Fluchtversuchen.

Hätte Yonga sich dagegen wehren können? Wohl kaum. Da er 20 Jahre ohne Lohn gearbeitet hatte, besaß er keine Rücklagen. Und dagegen, dass Borries ihn erst gegen seinen Willen festhielt und dann verschenkte, schritt auch keine staatliche Autorität ein. Welche denn auch? Empfänger des menschlichen Geschenkes war kein Geringerer als Landesfürst Graf Leopold I. zur Lippe.

Immerhin erfuhr Yonga in dessen Diensten mehr Wertschätzung, konnte heiraten und empfing Lohn. Und als er am Ende vor Gericht zog, um von seinem »Importeur« Borries den ausstehenden Lohn für zwei Jahrzehnte einzufordern, schuf er sogar noch einen Präzedenzfall: Erstmals wurde gerichtlich aktenkundig, dass auch im Deutschen Reich echte Sklaverei praktiziert wurde. Recht bekam er nicht, immerhin aber eine Abfindung.

Erst 1857 machte Preußen ein Sklavereiverbot zum Gesetz. Doch erst die Reichsgründung 1871 sorgte dafür, dass dies auch wirklich überall in den deutschen Landen galt. Spät, nicht nur im europäischen Vergleich: In den USA, dem lange schlimmsten Sklavenhalterstaat, wurde das Sklavereiverbot 1865 durchgesetzt.

Trotzdem hielt sich hierzulande lange der Glaube, die Deutschen hätten mit all dem nichts zu tun gehabt. Man hielt die deutschen Länder für Musterknaben inmitten der europäischen Mächte, die sich ungeniert am Elend der Sklaverei bereicherten. Es galt der Konsens: Deutschland war die Ausnahme.

Die zahlreichen »Knechte«, die sich ehemalige Seeleute aus Übersee mitbrachten, wurden wie die zahlreichen Fälle stolz präsentierter »Kammermohren« als Einzelfälle abgetan. Gern wird darauf verwiesen, dass es zumindest in den deutschen Ländern der Neuzeit keine rechtliche Grundlage für Sklaverei gegeben habe. Tatsächlich regelte und erlaubte es kein Gesetz, einen Menschen zu besitzen, zu kaufen oder zu verkaufen. Es gab bis 1857 allerdings auch keines, das dies explizit verboten hätte.

Wie auch? Formen der Unfreiheit waren auch in Deutschland seit Jahrhunderten geübte Praxis. Die mitteleuropäische, schon seit dem Mittelalter verbreitete Sonderform der Leibeigenschaft, beispielsweise in Sachsen bis 1832 praktiziert, war letztlich eine verschleierte »Sklaverei light«. Sie bot deutliche finanzielle Vorteile für die Besitzenden. Leibeigene und Hörige mussten Fronarbeiten oder Abgaben leisten, ohne dass der Dienstherr für ihre Ernährung und Wohlfahrt in der Pflicht stand. Sogenannte Grundhörige waren sogar Teil des Immobilienbesitzes. Den konnte man nur inklusive der dort lebenden Arbeiterschaft verkaufen, die zugleich kein Recht besaß, den Grundbesitz zu verlassen. War das keine Sklaverei? Genau besehen war es in manchen Aspekten sogar schlimmer: Man beutete Menschen aus, ohne für sie sorgen zu müssen. Für den Grundbesitzer waren Leibeigene oder Hörige profitabler als Sklaven, weil sie keinerlei Kosten verursachten.

Doch was ist mit der Behauptung, Deutsche seien zumindest in das brutale, unzählige Menschenleben zerstörende Wirtschaftssystem des internationalen Sklavenhandels nicht involviert gewesen? Dass Deutsche keine Profiteure an massenhafter, organisierter und im quasi industriellen Maßstab betriebener Sklavenwirtschaft gewesen seien? Waren wir wirklich kein Teil des berüchtigten »Dreieckshandels«, der einem Wirtschaftssystem zugrunde lag, das ganz und gar auf der energetischen Ressource der Muskelkraft beruhte?

Natürlich waren wir das: Deutsche arbeiteten in Sklavenhandel und -haltung; sie finanzierten den Menschenexport mit Krediten oder wickelten ihn logistisch ab; sie handelten mit günstigen Waren, weil die in Unfreiheit produziert wurden. Sie profitierten auch als Warenproduzenten an dieser ersten Globalisierung, die ganz und gar auf der engmaschigen internationalen Vernetzung von Menschen-, Geld- und Warenströmen beruhte.

Und zuvor, in vornationaler, mittelalterlicher Zeit? Gehörten beispielsweise die Franken zu Europas berüchtigtsten Sklavenjägern. Schon Karl der Große zog nicht nur nach Osten, um dort die heidnischen Sachsen zu bekehren. Zahlreiche verschleppte Gefangene mussten als Leibeigene auf fränkischen Höfen schuften – oder wurden als gewinnbringende Menschenware exportiert. So manche fränkische Stadt erblühte, weil auf ihren Märkten vor allem Menschen den Besitzer wechselten.

Der Harvard-Historiker Michael McCormick hält den Menschenmarkt sogar für den ersten großen Anstoß zur Entwicklung der europäischen Handelswirtschaft. Sklaverei legte den Grundstein für den Wohlstand Europas, und am Ende partizipierten und profitierten alle Länder daran. Das schließt Deutschland ein. Kurzum: Unsere Weste ist nicht weiß, sie war es nie. Sklaverei ist auch Teil der deutschen Geschichte.

Geht es in diesem Buch also um eine Schuldzuweisung? Nein: Zunächst einmal geht es darum, einen zu lang ignorierten oder sogar verdrängten Aspekt unserer Geschichte darzustellen. Zu diesem Zweck ließen wir fachkundige Journalisten recherchieren und bestens informierte Historikerinnen berichten, teils aus eigener Forschungsarbeit. Ihre Beiträge erschienen zuerst im Rahmen unserer Magazinreihe SPIEGELGESCHICHTE für diese Buchveröffentlichung haben wir die Sammlung bearbeitet.

Was sie will: die Perspektiven auf das Thema erweitern. Es stimmt, dass wir in Bezug auf staatliches Handeln keiner der »Big Player« im internationalen Sklavengeschäft der Neuzeit waren. Aber Deutsche waren trotzdem zu jeder Zeit Teil des Systems Sklaverei, und das in nicht geringem Umfang. Deshalb schaut dieses Buch nicht nur auf die historischen Wurzeln des Menschenhandels, auf den muslimischen und den portugiesischen Sklavenhandel und auf die brutale Sklavereiindustrie der Briten und Amerikaner. Es setzt darüber hinaus einen ungewöhnlich ausgeprägten Schwerpunkt darauf, die deutsche Involvierung in den Menschenhandel zu beleuchten.

Dass auch wir im System der Sklaverei zu den Tätern gehörten, ist dabei nur ein Teil der Wahrheit. Der andere: Die große Mehrheit von uns, den heute lebenden Deutschen und Europäern, stammt von Menschen ab, die selbst auf die eine oder andere Weise unfrei waren. Die meisten von uns sind Nachfahren von Hörigen, Leibeigenen und Sklaven.

Jasmin Lörchner und Frank Patalong, Februar 2024

»Beträchtlicher Gewinn«

Auch mit Sklaventransporten wurde der Reeder Friedrich Romberg zu einem der reichsten Menschen der Welt. Dann rebellierten die Ausgebeuteten in der Karibik – und der westfälische Kaufmann stürzte tief.

Von Katja Iken

Die Von-Romberg-Straße im sauerländischen Hemer ist eher kurz und abgelegen – dafür ist das Straßenschild umso ausladender: »Johann Bernhard Friedrich Romberg. Geboren 1729 in Sundwig, gestorben 1819 in Brüssel, dort ein erfolgreicher Großunternehmer, durch Kaiser Joseph II. von Österreich in den Adelsstand erhoben« ist dort zu lesen. Drei Zeilen, weiß auf blau. Historiker Magnus Ressel, Privatdozent an der Goethe-Universität Frankfurt, würde das Schild gern um eine vierte Zeile ergänzen: »Sein Engagement im Sklavenhandel führte zum Tod zweier Söhne und dem Ruin seiner Firma.«

Denn Romberg war weit mehr als der talentierte Manager oder gefeierte Wohltäter, der seinem 1779 durch einen Brand zerstörten Heimatort im nördlichen Sauerland finanziell wieder auf die Beine half. Friedrich Romberg gehörte, gemeinsam mit dem deutsch-dänischen Kaufmann Heinrich Carl von Schimmelmann, zu den bedeutendsten deutschen Kolonial- und Sklavenhändlern seiner Zeit.

»Rombergs Firmenimperium mit der großen Kolonialtochterfirma in Bordeaux erscheint wie eine besonders massive Ausprägung und Überspitzung der deutschen Verwicklungen in den Sklavenhandel«, so Historiker Ressel, Forschungsstipendiat der Gerda-Henkel-Stiftung und Junior Fellow der Stiftung Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald. Er arbeitet seit zwei Jahren an der ersten wissenschaftlichen Romberg-Biografie.

Um 1785 besaß Romberg eine Flotte von mehr als 100 Hochseeschiffen, in Ostende registriert, weltweit im Einsatz. Ressels Recherchen zufolge ließ Romberg mindestens 10000 Menschen von der afrikanischen Küste aus in die Karibik transportieren, im Durchschnitt 300 Verschleppte pro Schiff. Zu zweit aneinandergekettet, über Monate eingepfercht in stickigen, engen, gerade einmal 1,5 Meter hohen Laderäumen. Rombergs Buchhalter kalkulierten nüchtern den Tod von zehn Prozent der verschifften Sklaven ein. »Legt man diese Quote zugrunde, war Romberg zumindest indirekt für den Tod von mindestens 1000 Menschen verantwortlich«, sagt Ressel.

Romberg wusste um die vielen Toten und bedauerte die Sterblichkeit unter den verschleppten Menschen als »größten Verlust«, wie er in seinen 1810 verfassten Memoiren schrieb, als wirtschaftlichen Schaden. Belege für moralische Skrupel fand Ressel bei Romberg nicht. Auch weil der sich nicht persönlich die Finger schmutzig machte: Der Geschäftsmann saß in seinem Kontor in Brüssel, schrieb Briefe, prüfte Rechnungen, studierte Zahlenkolonnen – mit den ausgebeuteten, erniedrigten, missbrauchten Menschen selbst hatte er wohl nie Kontakt.

Für Romberg waren die Versklavten nichts weiter als abstrakte Zahlen, ein Rohstoff wie Elfenbein, Kaffee oder Zucker – Handelsgüter, mit denen sich Profit erzielen ließ. Viel Profit: Auf dem Höhepunkt seiner Karriere 1785 gehörte der Geschäftsmann wohl zu den reichsten Menschen der Welt.

Laut eigenen, einstweilen kaum überprüfbaren Angaben besaß Romberg um diese Zeit ein Aktivkapital von 20 Millionen flämischen Gulden – doppelt so viel wie damals das führende niederländische Bankhaus Hope in Amsterdam. Zum Vergleich: Rombergs prunkvolles Schloss Beaulieu in Machelen (nordöstlich von Brüssel) inklusive der umgebenden Ländereien war zu seinen Lebzeiten rund 100000 flämische Gulden wert. »Es gibt kein Land, ja keine Stadt, mit welcher er nicht in Handlungsgeschäften« stehe, rühmte der französische Autor Auguste-Pierre Damiens de Gomicourt 1783 die globale Bedeutung des Romberg’schen Firmenimperiums.

Der Unternehmer habe anfangs »viele Widersprecher« gehabt, als er sich aufs Sklavengeschäft verlegte, betonte Damiens. Die Kritiker lägen jedoch falsch: Der Handel mit den Versklavten »kann mit weit wenigeren Kosten geführt werden, als die mehrsten andern Handlungsunternehmungen«, so Damiens. »Dieser Handel sezt zwar die Unternehmer großen Gefahren aus«, weil bei der Überfahrt von Afrika nach Amerika ein Drittel, bisweilen auch die Hälfte der Menschen auf den Schiffen sterben könne, »allein sie haben dagegen auch einen beträchtlichen Gewinn bei dem Verkauf der Uebriggebliebenen«.

Ausgerechnet Damiens, der wegen seiner radikal aufklärerischen Gesinnung aus Frankreich hatte flüchten müssen, glorifizierte den Sklavenhandel zynisch als lukratives Zukunftsbusiness – und Romberg als mutigen Visionär.

Dessen kometenhafter Aufstieg über alle Standesschranken hinweg scheint wie ein frühneuzeitliches Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Märchen. Geboren 1729 als fünftes von sechs Kindern im Dorf Sundwig (heute ein Stadtteil von Hemer), haftete dem Sohn des lokalen Holzrichters qua Herkunft ein Makel an: Sein Vater war der uneheliche Sohn des Freiherrn Friedrich-Wienhold von Romberg zu Edelburg-Bredenol-Fronsberg.

Bereits mit zehn Jahren musste Romberg die Schule verlassen, um zum Einkommen der protestantisch-bürgerlichen Familie beizutragen. Mit seinem jüngeren Bruder Johann Christian Wienold absolvierte er eine Kaufmannslehre, danach arbeiteten die beiden in Augsburg beim aufstrebenden, bald international bekannten Kattunfabrikanten Johann Heinrich Schüle. »Fleißig, umsichtig, sparsam und gefällig, ersparten sie sich nach mehreren Dienstjahren ein kleines Kapitälchen«, schrieb der Hemeraner Pfarrer Friedrich Wilhelm Wulfert in seiner 1845/46 verfassten Ortschronik.

1755/56 gingen die Brüder Romberg nach Brüssel (damals Österreichische Niederlande) und bauten ein rasant wachsendes Transport- und Transithandelsunternehmen auf. Auch nach dem Tod des jüngeren Bruders 1779 blieb die Firma erfolgreich, nun nicht mehr als »Romberg frères«, sondern als »Romberg & fils« – mit dem ersten Sohn Rombergs als Juniorpartner.

Der ehrgeizige, arbeitsame Firmenpatriarch war getrieben von protestantischem Arbeitsethos wie unbedingtem Aufstiegswillen. 1766 ersteigerte er ein Transitprivileg und schuf so eine günstige, da fast zollfreie Route von Ostende an der Nordsee bis nach Neapel oder Venedig am Mittelmeer, quer durch den Kontinent. Dadurch wurde er Ressel zufolge der »bedeutendste Speditionsunternehmer Zentraleuropas«.

Doch auch in anderen Branchen betätigte sich Romberg: Er kaufte mehrere Firmen und Fabriken und war als Bankier im internationalen Finanzverkehr engagiert. Romberg investierte unter anderem in die Textilbleichereien seiner Heimat, war Haupteigner der wichtigsten Seeversicherung der Österreichischen Niederlande in Brügge – und betätigte sich als Erfinder in den Bereichen Schiffbau und Textilerzeugung.

Schließlich stieg der Geschäftsmann zu einem idealen Zeitpunkt ins Reedereigeschäft ein: Der Ausbruch des Kriegs zwischen Frankreich und Großbritannien 1778 ließ die Nachfrage nach neutralen Schiffen exorbitant steigen – Ostende verblieb als einzig wichtiger neutraler Hafen zwischen Emden und Portugal. Zwischen 1773 und 1781 versiebenfachte sich die Zahl der dort anlegenden Schiffe.

Romberg entdeckte den Atlantikhandel als neues, lukratives Geschäftsfeld – ab 1780 engagierte er sich im Handel mit Versklavten. »Das erste Schiff, das aus dem Hafen von Ostende nach den afrikanischen Küsten ging, war von Herrn Romberg ausgerüstet, es hieß ›Marie Antoinette‹ und hatte 290 [Verschleppte] an Bord«, schrieb der Franzose Damiens: 1782 rüstete Romberg zehn weitere Schiffe zum Transport von 5000 Sklaven aus.

Die erste direkt mit Sklavenfahrten befasste Tochterunternehmung »Romberg & Consors« hatte ihren Sitz in Gent. 1783 gründete Romberg mit den Brüsseler Bankiers Gebrüder Walckiers und seinem Mitarbeiter Georg Christoph Babst eine Sklavenhandelsfirma in Bordeaux – einem der wichtigsten Häfen für den transatlantischen Handel zwischen Europa, Afrika und Amerika.

Dem Historiker Klaus Weber zufolge waren in Bordeaux mindestens fünf weitere Kaufleute deutscher Herkunft im Sklavenhandel aktiv – keiner von ihnen war dort jedoch so stark in das Menschengeschäft involviert wie Romberg: Binnen kürzester Zeit stieg sein Tochterunternehmen zum wichtigsten Sklaventransporteur des Hafens auf. Bis 1791 stachen mindestens zwölf Sklavenschiffe in See, mit ihrer etwa in Angola und Guinea erworbenen menschlichen Fracht steuerten sie unter anderem Kuba und die französische Plantagenkolonie Saint-Domingue (heute Haiti) an.

Um die eigenen europäischen Firmen mit günstigen Rohstoffen zu versorgen, knüpfte »Romberg, Babst & Cie.« direkte Kontakte zu den Indigo- und Baumwollproduzenten auf den karibischen Inseln; gleichzeitig schloss die Firma Verträge mit den dort ansässigen Plantagen und stellte rund 20 von ihnen unter ihre direkte Verwaltung. 1787 gründete das Unternehmen sogar eine eigene Filiale in Saint-Marc (Saint-Domingue).

Laut Ressels Recherchen begrüßte die Öffentlichkeit in den Österreichischen Niederlanden den intensiven Kolonial- und Sklavenhandel unter flämischer oder kaiserlicher Flagge: Im Land litt man, so der Historiker, noch immer darunter, dass die Ostender Kompanie 1730 auf Druck der rivalisierenden Seemächte England und Niederlande aufgelöst worden war – nun zeigten sie mit Romberg erneut auf den Weltmeeren Flagge.

Besonders der österreichische Monarch und Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, Joseph II., freute sich über den schwerreichen Sklavenhändler, der so geschickt die Wirtschaftsräume im Alten Reich mit denen in der Neuen Welt verwob. Stolz notierte Pfarrer Wulfert: »Wenn der Kaiser in Brüssel war, wanderte er in der Stadt umher, den Friedrich von Romberg am Arm und seine Suite (Begleitung – Red.) demütig hinterher.«

Als Joseph II. seine Schwester, die französische Königin Marie-Antoinette, in Paris besuchte, präsentierte der Kaiser Romberg mit den Worten: »Hier habe ich das Vergnügen, Eurer Majestät den größten Kaufmann in meinem Staate vorzustellen.« 1784 verlieh der Monarch Romberg sogar den Titel eines Freiherrn. Der Sklavenhandel wurde in dem Adelsbrief explizit als Verdienst erwähnt: Eine große Anzahl der Romberg’schen Schiffe habe »die Reise zur Goldküste und nach Guinea« für den »Handel mit Versklavten unternommen«.

Seither durfte Romberg sich »von Romberg« nennen, ebenso wie die rechtmäßigen Nachfahren seines adligen Großvaters. Endlich war der Makel seiner Herkunft auch offiziell getilgt. Doch Glück brachte ihm der Adelstitel nicht: Auf dem Höhepunkt seines Reichtums stürzte Romberg ab – und verlor, wie er selbst schrieb, zwei Drittel seines gesamten Vermögens. »Sein Stern begann just in dem Moment zu sinken, in dem der Unternehmer in den Sklavenhandel einstieg«, betont Historiker Ressel.

Einer der Hauptgründe war die zunehmende Zahlungsunfähigkeit der Pflanzer in der Karibik: Sie waren in finanzielle Nöte geraten, weil die Kolonialprodukte immer günstiger, die Sklaven aber immer teurer wurden – auf dem Höhepunkt des boomenden Sklavenhandels um 1790 wurde die »Ware« Mensch knapp. Zusätzlich von Hurrikanen geplagt, konnten die Plantagenbesitzer ihre Schulden bei Sklavenhändlern wie Romberg nicht mehr begleichen. Zudem waren sie nicht mehr in der Lage, die versprochenen Mengen an Kolonialwaren zu liefern. Der gesamte französische Atlantikhandel geriet ins Taumeln: ein Prozess, der durch die Wirren der Französischen Revolution noch verstärkt wurde.

Zudem begehrten die Ausgebeuteten auf: In der Nacht zum 23. August 1791 rebellierten zunächst die Sklaven auf einer Plantage im Norden der Karibikkolonie Saint-Domingue. Der Aufstand zog immer weitere Kreise – unter dem Schlachtruf »Tou moun se moun« (kreolisch für: »Alle Menschen sind Menschen«) erhoben sich die Versklavten und setzten das durch, was die französischen Revolutionäre 1789 in ihrer Erklärung der Menschenrechte proklamiert hatten: »Die Menschen sind und bleiben von Geburt frei und gleich an Rechten.«

Romberg hielt von derlei Idealen nichts: Sein Firmendirektor in Bordeaux und dessen Geschäftspartner waren im Club Massiac aktiv, der sich für Sklavenhandel und Sklaverei einsetzte. Die Rebellen siegten trotzdem: »4296000 Livres gingen durch die Revolution auf der Insel St. Domingo verloren«, schrieb der Unternehmer in penibler Buchhaltermanier: Als die Versklavten für frei erklärt wurden, »massakrierten sie die Weißen und 60 reiche Plantagenbesitzer, Schuldner des Hauses von Henri Romberg, Babst et Cie. in Bordeaux, das 21 Teilhaber zählte: die meisten von ihnen fanden hierbei ihren Ruin«, so Romberg in seinen Memoiren.

1793 musste »Romberg, Babst & Cie.« in Bordeaux Insolvenz anmelden. Die Firma in Brüssel konnte sich allerdings (deutlich verkleinert) noch fast zwei Jahrzehnte halten. Revolutionswirren sowie die 1806 von Napoleon erlassene Kontinentalsperre versetzten dem Brüsseler Firmenimperium des Westfalen 1810 schließlich den Todesstoß. Romberg musste sein geliebtes Schloss verkaufen – nicht einmal die Möbel durfte er nach eigenen Aussagen behalten. Weil Romberg seine Schulden nicht begleichen konnte, wurde der einst steinreiche Mann 1811 als 81-Jähriger sogar kurzzeitig in Schuldhaft genommen.

Der Sklavenhandel hatte seinen einstigen Shootingstar jedoch nicht nur finanziell ruiniert – auch der persönliche Tribut war hoch: Zwei Söhne Rombergs bezahlten ihr Engagement im Menschen-Business zumindest indirekt mit ihrem Leben. Henri Dietrich Bernard, der die Leitung der Sklavenhandelsfirma in Bordeaux übernehmen sollte, starb 1784 bald nach seiner Ankunft in Frankreich aus ungeklärten Gründen. Und Ferdinand Louis Adolphe raffte das Gelbfieber dahin, als er 1787 auf einer Art Inspektionsreise für Rombergs Firma in der Karibik unterwegs war – beide wurden nur 22 Jahre alt. Vater Romberg überlebte sie um Jahrzehnte, bevor er 1819 mit 90 Jahren in Brüssel oder Paris starb: ein Adliger ohne Schloss, verarmt, vergessen, gemieden.

»Es mag diesem ehrenwerten Manne vielleicht so ergangen sein wie der Fall unter Menschen nicht selten vorkommt, dass eine hohe Stufe des Erdenglücks zugleich auch der gefährlichste Zeitpunkt ihres Lebens ist, wo sie sich am ehesten vermessen, überheben und sich einbilden: Alles müsste ihnen gelingen, wodurch sie am Ende zugrunde gehen«, schrieb Pfarrer Wulfert über den Hemeraner Unternehmer. Und schloss mit der Warnung: »Darum vermesse sich Niemand, wenn das Glück ihn auf eine gewisse Höhe gebracht hat!«

»Deutsche waren massenhaft am Sklavengeschäft beteiligt«

Lange waren selbst Fachleute überzeugt, Deutschland habe keine große Rolle im System der Sklaverei gespielt. Warum das nicht stimmt, erklären die Historikerin Rebekka von Mallinckrodt und der Sklavereiexperte Michael Zeuske.

Ein Interview von Jasmin Lörchner und Eva-Maria Schnurr

SPIEGEL: Frau von Mallinckrodt, Herr Zeuske, warum wird uns die deutsche Verstrickung in die Sklaverei erst jetzt bewusst?

Mallinckrodt: Der Hauptgrund ist sicher, dass Deutschland in der Frühen Neuzeit, im 16. bis 18. Jahrhundert, keine Kolonialmacht war. Auch als Nationalstaat existierte Deutschland noch nicht und war – bis auf die relativ kurze Episode der Brandenburgisch-Afrikanischen Kompanie – auf staatlicher Ebene nicht in den Handel mit Menschen in den Kolonien eingebunden. Andere Formen der Verstrickung blieben deshalb lange verborgen. Schon Zeitgenossen behaupteten, dass Deutsche unbefleckt seien vom Sklavenhandel: In den historischen Quellen findet man ganz häufig eine Verurteilung der Sklaverei und des Sklavenhandels der anderen europäischen Nationen so, als ob man selbst daran nicht teilhätte.

SPIEGEL: Wie definieren Sie Sklaverei denn überhaupt?

Zeuske: Sklaverei ist die gewaltsame Kontrolle und die Kapitalisierung von Körpern. Da spielen Aspekte wie Geschlecht und Status, extrem viel Arbeit, Ausbeutung, Unterdrückung und körperliche Dienstleistungen mit rein.

Mallinckrodt: Ich fasse Sklaverei enger. In der Frühen Neuzeit gab es in den deutschen Staaten eine Vielzahl von Abhängigkeits- und Unfreiheitsbeziehungen, zum Beispiel Leibeigenschaft. Aber es gab auch Sklaverei im engeren Sinne.

SPIEGEL: In den deutschen Staaten selbst?

Mallinckrodt: