Die spinnen, die Gläubigen! - Vladimir "Vlad" Mitrovic - E-Book

Die spinnen, die Gläubigen! E-Book

Vladimir "Vlad" Mitrovic

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Beschreibung

Vladimir liebte die Extreme. Mit Gott war er definitiv fertig. Aber Gott noch längst nicht mit ihm! Seine unbändige Neugier und Suche nach Wahrheit, gepaart mit Abenteuerlust und Übermut, führen ihn durch viele Länder und tiefe Abgründe. Angesagt ist das volle Programm: Sex, Drogen, Kriminalität, internationale Verschwörungen, aber auch extreme übernatürliche Ereignisse. In den Tiefen der Hoffnungslosigkeit begegnet ihm überraschend Gottes wundersame Liebe. Es folgt eine Odyssee durch verschiedene geistliche Gemeinschaften. Daneben macht er steile Karriereschritte als Unternehmer in der ICT Branche. Tragödien, Rückfälle und Depressionen begleiten Vlads Weg, ständig ringt er mit Gott und dessen oft so schrägem Bodenpersonal. Doch Gott hat für ihn ein Bonusprogramm auf Lager, mit dem er niemals rechnen konnte: Heilung. Seit dreißig Jahren führt Vladimir mit Menschen Gespräche über den Glauben. Und unterschlägt dabei niemals seine ganz persönlichen Kämpfe und Krämpfe mit Gott. Seine dramatischen, lustigen, absurden, teilweise auch spektakulären Erlebnisse zeugen von einem höchst intensiven Leben. Selbst Leute, die sonst keinen Bock auf intellektuelle oder spirituelle Auseinandersetzungen haben, lassen sich auf seine Erfahrungswelt ein. Und sind mehr als berührt. Eine Kracher-Story, provokativ und frech geschrieben. Teilweise empörend ehrlich, hautnah, wahnwitzig. Und dennoch (oder gerade deswegen) ein geistlicher Hammer! Vladimir Mitrovic wurde in Zürich geboren, hat serbische Wurzeln und wuchs mit seiner Schwester bei einer Schweizer Pflegefamilie auf. Seine Karriere als Verkäufer und Unternehmer in der ICT Branche war abenteuerlich, der Rest seines Lebens war es auch. Sex, Drogen und Kriminalität, nichts ließ er aus. Doch was als Tragödie startete, entwickelte sich zu einem glücklichen Leben. Heute begleitet er viele Menschen mit Rat und Tat auf ihrem Weg. Mit seiner Frau und drei Kindern lebt er im Kanton St. Gallen. Für wen dieses Buch ist: Vladimir erzählt seine autobiografische Geschichte für alle, die sich noch nicht trauen, Gott die wirklich harten Fragen zu stellen. Oder die nicht mehr glauben, dass dieser Gott solche Fragen heute noch beantwortet. Er erzählt sie für alle, die eine Portion Ermutigung brauchen können. Auch für alle, die genug haben von ihrem frommen Verein. Und für jene, die sich langsam fragen, ob wir Gläubigen nicht doch alle eine Macke haben. Besonders jedoch für die, die sich jahrelang Mühe gegeben haben. Und die es einfach nicht auf die Reihe bringen, ihren eigenen religiösen Ansprüchen gerecht zu werden.

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Vladimir «Vlad» Mitrovic Die spinnen, die Gläubigen!

Unser Dank für den großen Support

Damit dieses Buch entstehen konnte, hat sich eine Vielzahl von Leuten finanziell am Abenteuer mitbeteiligt. Am Tag der Drucklegung waren es 257 Personen, die mit kleinen und größeren Beträgen die Veröffentlichung möglich machten. Ein riesengroßes «Dankeschön!» an Euch alle – im Namen des Autors und des Verlags! Diesen Support zu kriegen war für uns alle eine ganz außergewöhnlich schöne und beglückende Erfahrung.

Vladimir «Vlad» Mitrovic

Die spinnen, die Gläubigen!

Aber Gott kommt trotzdem zum Ziel

Eine Autobiografie

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2020 by Fontis-Verlag Basel

Die Bibelstellen wurden folgenden Übersetzungen entnommen:

Einheitsübersetzung 1980 Einheitsübersetzung 2016 Lutherbibel 1984 Lutherbibel 2017 «Hoffnung für alle» 2015 Schlachter 2000

Umschlag: Spoon Design, Olaf Johannson, Langgöns Coverbild: san4ezz/Shutterstock.com E-Book-Vorstufe: InnoSet AG, Justin Messmer, Basel E-Book-Herstellung: Textwerkstatt Jäger, Marburg

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Gastarbeiterkind

2. Schon mal was von Evolution gehört und so?

3. Kartenlegen

4. Einen Plan mit mir?

5. Die Bibel? Echt jetzt?

6. Jesus, was für ein Theater!

7. Tauschen wir?

8. In the army now

9. Eine Tüte mit den besten Empfehlungen von …

10. Agalaga

11. Mit dem Teufel im Bett

12. Point of no return

13. Keine zwei Wochen

14. Die spinnen, die Gläubigen!

15. Der Legionär

16. Südamerika

17. Die Superbösen

18. Also gut, einen Versuch noch

19. Ohne Kraft kein Saft

20. Es funktioniert doch?

21. Esperanza

22. President’s-Club

23. Piccolo Giardino

24. Remar

25. Hühnerscheiße

26. Miami und Vice

27. Ohne Geld vom Himmel versorgt

28. Ein bitteres Ende

29. Money makes the world go round

30. Zwischenhalt in Pensacola

31. Welcome to the world of telecommunications

32. Am Arsch

33. Kollateralschäden

34. Die Liebe

35. «meinecom»

36. Mord und Totschlag

37. Vaterliebe

38. Vergebung

39. Ich will dich mit meinen Augen leiten

40. Heiligung, die nachhaltig funktioniert

41. Nicht immer, aber immer öfter

42. Zusammenbruch oder Durchbruch?

43. Der Geschmack der Freiheit

44. Organisation oder Organismus?

Vorwort

Immer wieder wurde mir gesagt, ich solle ein Buch über meine filmreifen Erlebnisse schreiben. Aber meine Story – ich weiß nicht. Wenn das Buch ehrlich sein soll, dann werden auch meine Unzulänglichkeiten, Schwächen, Rückfälle, Spinnereien und einige Peinlichkeiten, Pleiten, Pech und Pannen öffentlich. Und trotz krassen Wundern Gottes machen meine lieben Mitgläubigen öfters auch nicht eine besonders gute Figur. Vorher hätte ich da noch Ideen für drei andere Bücher, auf die ich stolzer wäre.

Als sich abzeichnete, dass ich mir bald ein längeres Sabbatical leisten kann und endlich Zeit hätte zu schreiben, bat ich also zwei meiner Freunde, von denen ich weiß, dass sie einen wirklich guten Draht nach oben haben, Gott zu fragen, welches der drei Bücher, die ich im Kopf hatte, ich schreiben soll. Um sie nicht zu beeinflussen und das als Antwort zu bekommen, was sie selber am liebsten lesen würden, sagte ich ihnen nur, dass sie fragen sollen, ob ich überhaupt eins schreiben soll – und wenn ja, ob a, b oder c. Beide kamen fast wörtlich mit derselben Antwort zurück: dass ich zwar ein Buch schreiben soll, aber weder a, b noch c, sondern meine Story.

Das hat mir zuerst etwas Angst gemacht, und ich habe mich eine ganze Weile davor gedrückt. Doch da die zwei mir sozusagen deckungsgleich dieselbe Message überbrachten, wusste ich einfach, dass es wohl so sein musste. Ich spürte immer stärker, dass ich meine Story jetzt endlich zu Papier bringen muss, egal, wie peinlich mir gewisse Teile davon sind. Denn unendlich viel größer als all meine Schwächen, Spinnereien und Peinlichkeiten sind Gottes Gnade über mir und seine Liebe zu dir.

Nun steht sie also hier vor dir, diese Story, und ich glaube, jetzt geht sie erst richtig los.

Vladimir

1. Gastarbeiterkind

In der Schweiz aufzuwachsen ist ganz klar ein Privileg – auch wenn es in einem alten Wohnblock direkt am Brüttiseller Kreuz bei Zürich war.

Als Gastarbeiterkind von jugoslawischen Migranten war man in den 1970er und 1980er Jahren in Brüttisellen eigentlich noch ganz gut dran. Die ständigen Jugo-Provokationen folgten erst nach den Balkankriegen, als den Schweizern zu viele Jugos auf einmal kamen und ihnen Angst machten. Zu viele auf einmal, das macht den Schweizern immer Angst, egal von wo. Vor kurzem fürchteten sie sich vor zu vielen Deutschen, und jetzt sind gerade die Moslems an der Reihe. Damals in Brüttisellen waren es noch die Italiener, die man «Tschingge» nannte und mit denen heute trotz Mafia, Berlusconi und Salvini niemand mehr ein Problem hat.

Meine Eltern mussten beide sehr viel arbeiten, weshalb meine kleine Schwester und ich sie nur am Wochenende sahen. Unter der Woche waren wir bei Schweizer Pflegeeltern, bis ich etwa zwölf war. Daher merkte man uns unsere Herkunft nicht an.

In der Schule litt ich unter gewissen Mobberkindern, die mich ständig plagten, verleumdeten oder verprügelten. Das lag jedoch kaum an meiner Herkunft, sondern eher an meiner großen Klappe und an dem Fakt, dass ich etwas dick war. Mit meinen Sprüchen musste ich gewisse Idioten immer spüren lassen, dass sie Idioten sind – was Idioten bekanntlich gar nicht mögen. Wahrscheinlich war ich selber auch einer und hatte viele Komplexe, die eine schöne Zielscheibe boten.

Zu dieser Zeit kannte man den Begriff Mobbing noch nicht, und die Kinder bekamen weder Ritalin noch Sozialbetreuung verpasst. Also fing ich mit elf Jahren an, wie ein Besessener Karate und Kung-Fu zu trainieren. Eines Tages würde ich sie mit Gegenwehr überraschen und ihnen jeden einzelnen Knochen brechen. Doch als ich dieses Niveau tatsächlich erreicht hatte, war die Schule vorbei.

Ich wuchs in drei Kulturen gleichzeitig auf. Unter der Woche genoss ich eine relativ strenge schweizerische Erziehung, während ich am Wochenende von meinen Eltern wie ein Prinz verwöhnt wurde. Und in meiner Freizeit hing ich meistens mit Italienern rum. Das war wohl Segen und Fluch zugleich. Einerseits förderte es meine Sprachbegabung und Flexibilität, mich in jedem Umfeld schnell integrieren zu können. Andererseits gehörte ich irgendwie nirgends richtig dazu. Für die Beziehung zu meinen Eltern war das auch nicht besonders förderlich und führte zu sehr vielen Missverständnissen und Streit.

Zum Glück wurden wir älter und fingen an zu kiffen. Bekifft waren auch die Mobberkinder wieder ganz nett. Also, wirklich ein Glück war das nicht. Denn über ein Dutzend der Kids, mit denen ich meine Teenie-Zeit verrauchte, wurden keine 25 Jahre alt.

Rund ein Drittel der Kiffer griffen schon bald zu härteren Drogen, und wir hatten alle paar Monate eine Beerdigung. Davon erzählte ich meinen Eltern natürlich nichts, denn die machten sich eh schon viel zu große Sorgen über meinen Umgang mit Nichtsnutzen, Drogensüchtigen, Dealern und Kriminellen, wie sie meinten. Das war natürlich maßlos übertrieben, denn wir waren ganz einfach Kinder unserer Zeit – voller Neugier und Hunger nach Leben und Erfahrungen.

In Brüttisellen gab es kein Jugendhaus. Man hing also entweder in den umliegenden Dörfern rum oder ging gleich nach Zürich. Da ich in der Berufsschule Leute aus Effretikon kannte, pendelte ich zwischen den Jugendhäusern in Effretikon und Dietlikon hin und her. Effretikon hatte einen üblen Ruf, und meine Eltern bekamen immer Krämpfe, wenn ich sagte, dass ich dorthin gehe. Aber die Kids in Dietlikon waren ganz genauso drauf.

Am Anfang traf man sich im Jugendhaus, unternahm etwas und rauchte als Höhepunkt noch einen Joint zusammen. Bald traf man sich im Jugendhaus, ging raus, um eine «Tüte» zu rauchen, drehte die nächste und unternahm gar nichts mehr. Außer vielleicht noch im «Monte Casino» Geld in die Automaten zu stecken. Am Anfang waren es noch Videospiele und Flipper. Bald hingen wir aber mehr an den Glücksspielautomaten, die einige Kids wie mich auch noch süchtig machten. Die kosteten den einen oder anderen noch viel mehr als die ganze Kifferei.

Außer Kiffen und Zocken lief dann also plötzlich nicht mehr viel. Nur für die Heroin-Junkies gab es ständig Action und Stress, um sich den nächsten Schuss zu besorgen. Die sahen dann auch bald immer schlechter aus und verwandelten sich in Zombies – bevor sie sich aufhängten, sich den goldenen Schuss gaben, mit Rattengift gestreckten Stoff erwischten, Aids bekamen, ermordet wurden, sich vor den Zug warfen oder aus Versehen eine Überdosis reinhauten.

Als ich Ende der 1980er Jahre die Lehre absolvierte, kostete Heroin noch 600 Franken pro Gramm. Da ich schon mit Hasch dealen musste, um mir mein Kettenkiffen und meine Spielsucht zu finanzieren, war mir das einfach zu teuer. So wie meine Freunde auf dem «Platzspitz», dem berüchtigten Park im Herzen Zürichs, aussahen, konnte ich mir nicht vorstellen, dass es ein Flash geben konnte, das den Preis und das Risiko, bald auch wie ein Zombie auszusehen, wert war. Aber auch ohne Heroinkonsum reichte der Lehrlingslohn nirgends hin, um neben der Spielsucht und dem vielen Hasch auch noch Geld für alles andere zu haben.

So war ich auf dem besten Weg, kriminell zu werden. Bei dieser Nachbarschaft war das auch kein Wunder. Ich war noch keine 17, als ich bei einem meiner sizilianischen Freunde zuhause in so einer lustigen Runde saß, wo der eine Bruder dabei war, seine 45er Magnum zu laden, der andere, einen Haufen Geld zu zählen, und der dritte, zwei größere Haufen Pulver zu mischen, während er versuchte, Ersteren zu überzeugen, einen gemeinsamen Kumpel von uns doch bitte nicht umzulegen. Ich dachte: «Scheiße, den Film habe ich doch gesehen. Aber was mache ich in diesem Film? Sind wir noch in Brüttisellen, oder wurde ich gerade nach Palermo oder New York gebeamt?» Die Szene war gleichzeitig beängstigend wie auch unheimlich spannend.

Das Kettenkiffen wurde bald schon eine echte Plage. Man redete sich natürlich lange ein, dass man jederzeit aufhören könnte – wenn man denn wollte. Aber wer wollte das schon? War ja alles easy. Zu unserer Beruhigung klopften wir Sprüche wie «Am Morgen ein Joint, und der Tag ist dein Freund» oder «Ein Joint am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen». Irgendwann gab es dauernd so Szenen, wo mehrere am Tisch saßen und darüber redeten, dass sie definitiv zu viel kifften und unbedingt demnächst aufhören sollten, während alle gleichzeitig dabei waren, einen Joint zu drehen.

Immerhin konnten wir noch über uns selbst lachen. Bei mir war es ein bitteres Lachen, denn ich schleppte schon von klein auf eine Depression mit mir herum, die ich mir nicht erklären konnte.

So verwundert es nicht, dass sich eine Sucht an die nächste reihte. Noch vor den Drogen und den Spielautomaten waren es die Pornos. Bevor es Internet gab, durchsuchten wir immer die Altpapierstapel vor den Wohnblöcken. Bei jeder Altpapiersammlung kamen Pornohefte zum Vorschein, die dann rumgereicht wurden. Und immer wenn jemand sturmfrei hatte, durchsuchten wir die Elternschlafzimmer und fanden ausnahmslos bei jedem Pornos. Kein Wunder, war ich schon als Teenie pornosüchtig und hatte meistens nur Sex und Drogen im Kopf.

Nach der Schulzeit machte ich eine kaufmännische Lehre, während der ich zweimal die Woche in die Berufsschule ging. Dort drehten wir während jeder Pause einen Joint. Weil es in den kürzeren Pausen zu stressig wurde, drehten wir die Pausentüte schon im Klassenzimmer unter dem Tisch. Über Mittag gab es dann eine Tüte zur Vorspeise, eine zum Dessert und eine, um uns für die nächste Schulstunde zu motivieren. Doch nicht selten waren wir mit der letzten Tüte zu spät dran und verlängerten deshalb die Mittagspause, um auch noch die Französischstunden zu verrauchen.

Hausaufgaben zu machen oder auf Prüfungen zu lernen ging gar nicht. Obwohl ich es mir immer und immer wieder vornahm. Ich saß jeweils vor dem Schulbuch, starrte auf den Deckel und versuchte verzweifelt, meine mentalen Kräfte so zu bündeln, dass ich das Teil auch noch öffnen und etwas lernen könnte. Doch es ging nicht. Ich war wie gelähmt und konnte das Buchcover nicht öffnen, während alles in mir nach der nächsten Tüte oder dem nächsten Porno schrie.

Dass ich in dieser Zeit überhaupt etwas lernte und auch noch die Lehrabschlussprüfung bestand oder nur schon das richtige Zimmer für die Prüfung fand, war echt ein Wunder.

Tja, und dann ging es erst richtig los mit den Wundern.

2. Schon mal was von Evolution gehört und so?

Schon während der Lehre machte einer meiner Kumpels plötzlich einen auf gläubig und wollte mir etwas über Gott erzählen. Ich dachte, der will mich verarschen. Die Kommunisten haben den Jugos den Glauben ausgetrieben, und auch meine Schweizer Pflegeeltern waren Atheisten. Dementsprechend war das Thema Gott für mich ein Märchen. Ich konnte nicht fassen, dass mein Kumpel am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts noch von so etwas überzeugt war. Schon mal was von Darwin, Evolution und so gehört?

Es nervte mich, dass er nicht mehr mit mir auf die Gasse wollte. Ich wollte ihm unbedingt beweisen, dass das alles kompletter Bullshit ist. Doch je mehr ich versuchte, es ihm zu beweisen, desto mehr musste ich zugeben, dass seine Argumente gar nicht so schlecht waren. Ich gab das natürlich nicht zu, denn ich war begnadet darin, den Leuten die Worte im Mund zu verdrehen, sie so zu manipulieren und zu verwirren, wie es sonst nur Politiker und Systemjournalisten können. So ließ ich ihn und andere Gläubige in unseren Diskussionen immer wieder wie Halbschlaue aussehen.

Mit Claude, meinem Banknachbarn in der Berufsschule, diskutierte ich ausgiebig die vielen Fragen, die da so aufkamen – während wir unsere Tüten rauchten. Ich war überrascht, dass es für ihn eigentlich klar war, dass es Gott gibt, und wunderte mich, wie er ihn unter diesen Umständen einfach so ignorieren konnte. Wir kamen zum Schluss, dass es rein theoretisch ja möglich wäre, dass es Gott gibt und dieser tatsächlich etwas von uns wollen könnte. Doch einen auf religiös machen, wenn es ihn nicht gibt, wäre auch saublöd. Denn wenn man seine «Vertreter» auf der Welt so anschaut, scheint dieser Gott doch eine ziemliche Spaßbremse zu sein. Andererseits, wenn es ihn doch gibt, dann willst du es dir mit ihm ja nicht versauen. Deshalb beschlossen wir, uns mit dem Thema etwas näher zu befassen und der Wahrheit auf die Spur zu kommen.

Also fing ich an zu forschen. Doch der Gedanke an einen Gott, der mir sagt, wo’s langgeht, gefiel mir gar nicht. Ich war nämlich langsam so weit, dass sich die Mobberkinder nicht mehr trauten, mich zu plagen. Mein Selbstvertrauen stieg in beachtliche Höhen. Ich war fit, sah gut aus, hatte genug Kohle und genug zum Kiffen. Mit den Mädels hatte ich es langsam auch im Griff, und ständig war die nächste Party angesagt. Auch meine Depressionsschübe waren gerade seltener und milder geworden. Da kommt ein Gott, der dir ins Leben hineinquatschen will, natürlich sehr ungelegen.

Trotzdem wollte ich unbedingt auf der Seite der Wahrheit sein und fing an, mir ein Buch nach dem anderen in den Kopf zu drücken. Der Begriff Freidenker war damals noch nicht in Mode, doch ich hielt mich für so was Ähnliches und merkte schnell, dass ich, um wirklich frei zu denken, nicht nur weitere «Experten» studieren sollte, welche mir meine eigene Meinung bestätigten, sondern eben auch solche, die das Gegenteil meiner Thesen behaupteten. Oder die sich, wie man heute sagen würde, auch außerhalb meiner Filter-Bubble umschauten.

Als ich mir dann die Evolutionstheorie etwas tiefer zu Gemüte führte und auch Bücher von sonstigen Wissenschaftlern las, entdeckte ich doch sehr viele Ungereimtheiten. Auf die will ich hier jedoch nicht näher eingehen, denn dazu haben andere schon sehr interessante Bücher geschrieben.1 Ich stellte fest, dass erstaunlich viele Gelehrte aus verschiedensten Wissensgebieten, von Archäologie über Mathematik bis zu Biologie, Astronomie, Philosophie, Recht und Geschichte, trotz (oder gerade wegen?) ihres wissenschaftlichen Denkens und ihrer Doktor- und Professorentitel davon überzeugt sind, dass es Gott gibt. Heute findet man interessante Filmchen, welche die Evolutions-Gläubigen ins Grübeln bringen, auch auf YouTube.

Mein Weltbild wurde nachhaltig erschüttert. Da sagte ich irgendwann zu Gott: «Hey, Chef, wenn es dich da oben wirklich gibt, dann sag doch mal einen Gruß oder schick mir irgendein Zeichen. Du hast ja meine Adresse.» Ich erwartete nicht wirklich, dass tatsächlich etwas passiert.

Doch dann ging es los. Plötzlich begegneten mir gläubige Christen an allen Ecken und Enden und wollten mit mir über Gott reden. Also, nicht solche, die katholisch oder reformiert geboren und entsprechend in den Religionsunterricht eingeteilt worden waren. Nein, Christen, die im Glauben lebten. Ich kam mir schon fast verfolgt vor.

Zu meinem Erstaunen waren sogar ziemlich intelligente Leute dabei. Bei einigen von ihnen faszinierte mich, dass sie von einer «persönlichen Beziehung mit Gott» sprachen. Die waren überzeugt, dass Gott nicht nur ihre Gebete hört, sondern auch beantwortet. Sie kommunizierten scheinbar mit ihm, spürten seine Gegenwart und erzählten von Zeichen und Wundern, die sie selbst erlebt haben wollten. Man spürte, dass sie wirklich glaubten, was sie da erzählten, und ich fragte mich, ob ich – und alle, die ich bis dahin kannte – wirklich so blind waren. Oder ob diese Leute einfach einen Knall hatten.

Gegen Ende der Lehre fingen einige meiner Kumpels an, mit okkulten Praktiken zu experimentieren. Sie erzählten die wildesten Geschichten von Zeichen, Geistern und schrägen Erlebnissen. Einige organisierten spiritistische Sitzungen mit Gläserrücken. Buchstaben und Zahlen wurden im Kreis auf den Tisch gelegt und ein Geist würde ihnen dann Nachrichten und Antworten schreiben, indem sich das Glas wie magisch von einem Buchstaben zum nächsten bewegte.

Andere fingen an, Tarot-Karten zu legen, und wieder andere besorgten sich alte Zauberbücher. Ein paar Jungs, mit denen ich viel kiffte, erzählten mir, dass sie sich bei so einer Gläserrücken-Session über den Geist lustig gemacht hatten. Die Reaktion des Geistes kam prompt – das Glas kreiste wie wild auf dem Tisch, flog an die Wand und zerschellte. Natürlich glaubte ich, dass mich die Jungs mit dieser Poltergeistgeschichte verscheißern wollten. Ich hörte aber immer mehr solcher Berichte von Spuk und Panikattacken.

Auch mein Freund Claude erzählte mir bald darauf, dass er bei so einer Session dabei gewesen und dass auch bei ihm das Glas wie wild auf dem Tisch herumgerast sei. Als es dann langsamer von Buchstabe zu Buchstabe fuhr, prophezeite der Geist, dass ein Mädchen der Gruppe in sechs Monaten schwanger und ein weiterer Kollege tot sein würde. Von Claude wusste ich, dass er mir keinen Scheiß erzählte.

Sechs Monate später war das Mädchen tatsächlich schwanger und der andere Freund tot. Rattengift im Heroin ließ ihn nur 17 Jahre alt werden.

Das war ein doppelt harter Schlag für Claude und mich. Denn erstens tat der tragische Verlust eines noch derart jungen Freundes weh, und zweitens mussten wir langsam, aber sicher in Betracht ziehen, dass es da tatsächlich noch eine unsichtbare Welt gibt, die Einfluss auf unser Leben nehmen kann oder sogar nehmen will. Und dies trotz unseres intensiven Bemühens, vom Gegenteil überzeugt zu bleiben.

3. Kartenlegen

Kurz nach meiner Lehrabschlussprüfung besuchte ein Cousin meiner Mutter zusammen mit seiner Freundin für zwei Wochen unsere Familie in der Schweiz. Die Freundin des Cousins erzählte mir gleich zu Beginn, dass sie Karten lege und dass es wirklich funktioniere. Ich ließ sie mal machen und erwartete oberflächliches Horoskop-Gequatsche, aus dem man alles Mögliche herausinterpretieren könnte. Als sie mir dann sehr präzise und höchst private Dinge über mich und meine damalige Freundin Sibylle erzählte, staunte ich nicht schlecht. Man hätte meinen können, sie kenne mich besser als meine Mutter, obwohl sie ja noch keine zwei Tage bei uns war.

Der Hammer aber war ihre Zukunftsvoraussage: In den nächsten Tagen werde jemand aus meinem engeren Freundeskreis auf mich zukommen, der etwas von mir wolle. Er sei größer als ich und habe dunkle Haare. Was auch immer er wolle, ich solle es ihm nicht geben, denn auf dem Typen liege ein Fluch, und alles, was er unternehme, gehe schief. – Nun, das war dann doch sehr konkret.

Und prompt kam nur drei Tage später einer meiner damals besten Freunde vorbei und wollte sich 500 Franken borgen, die ihm für einen Kokain-Deal noch fehlten. Tatsächlich waren es nicht der kleine Braunhaarige und auch nicht der große Blonde aus meinem Bekanntenkreis, sondern es war – wie vorausgesagt – mein großer Freund mit den dunklen Haaren. Natürlich kann man einem guten Freund so eine Bitte nicht abschlagen. Schon gar nicht, weil irgendeine Tante in den Karten gesehen haben will, dass auf ihm ein Fluch lasten soll. Also gab ich ihm die Kohle und erfuhr schon am nächsten Tag, dass der Deal in die Hosen gegangen und meine Kohle weg war. Es passte ziemlich perfekt auf alles, was die Freundin meines Cousins vorausgesagt hatte.

Als ich ihr dann mitteilte, dass ich von ihrem Kartenlesen beeindruckt war, meinte sie, sie spüre, dass ich diese Gabe auch habe und dass ich sie entwickeln könne, wenn sie mir ein paar Grundsätze beibringe. Mir war zu der Zeit schon aufgefallen, dass ich manchmal spezielle Träume hatte, die voller Symbolik waren und sich irgendwie anders als normale Träume anfühlten. Die Symbolik verstand ich damals zwar noch nicht, aber ich wusste in solchen Morgenstunden einfach, dass mir einiges aus dem Traum an dem Tag begegnen würde. Beispielsweise eine neue Affäre, Ärger oder ein Todesfall. Also ließ ich mir das Kartenlegen erklären und fing an zu üben.

Wenn das Jugendhaus schloss und wir in lauen Sommernächten noch nicht nach Hause wollten, blieben wir oft vor dem Jugendhaus sitzen und rauchten noch ein paar Joints. Dann zückte ich meine Karten und probierte es mit den Jungs aus. Natürlich nahm das zuerst keiner ernst, und es wurde gelacht und gespottet.

Nach ein bis zwei Wochen kamen dann aber einige ganz aufgeregt wieder auf mich zu und berichteten, dass alles ganz genau so eingetroffen sei, wie ich es ihnen gesagt hatte. Ich fragte mich, wie das möglich war. Die Karten selbst waren ja tote Materie. Konnte es daran liegen, dass diese Dinge so eintrafen, weil sie daran glaubten? Kraft meiner Suggestion? Wirkte die sogar, wenn sie nicht daran glaubten? Und wenn sie daran glaubten: Konnten sie wirklich Geschehnisse anziehen, allein weil sie diese erwarteten, ersehnten oder befürchteten? Oder geschah tatsächlich etwas Übernatürliches?

Es gab zwei Arten, wie ich den Leuten die Karten legte. Da gab es die große Auslegung, wo die Person selbst die Karten mischte und an ihre Liebesbeziehung und ihr Leben dachte. Dann legte ich alle Karten in einem Viereck aus: Jede siebte ergab die Storyline der Person, und die Karten unmittelbar daneben erzählten die Details. Vor allem diese Details brachten die Leute zum Ausflippen, weil sie so präzis waren und sich von jedem horoskopmäßigen Suggestiv-Blabla abhoben.

Die andere Variante war, dass die fragende Person an einen Wunsch dachte, während sie die Karten mischte, und ich dann nach einem bestimmten Auswahlverfahren verfolgte, ob vier Asse alleine oder mit zusätzlichen Karten übrig blieben. Waren die vier Asse alleine, ging der Wunsch in Erfüllung. Je mehr Karten übrig blieben, desto schwieriger wurde es. Anhand der Karten, die übrig blieben, konnte ich auch sagen, was der Erfüllung des Wunsches im Weg stand.

Da mir die Person den Wunsch nicht benennen durfte, war die Wahrscheinlichkeit ziemlich groß, dass ich irgendeinen Stuss verzapfte, der nichts mit ihrem Wunsch zu tun hatte.

Doch die Feedbacks hauten mich immer wieder aus den Socken. Bei einem Kumpel zum Beispiel, wo es um einen konkreten Wunsch ging, blieben neben den Assen noch die Kreuz 9 übrig, welche eine negative Überraschung ankündigte, der Karo König, der für eine Autoritätsperson in einem geschäftlichen Kontext stand, und die Kreuz 7, welche Streit vorhersagte.

Zusammengefasst teilte ich ihm mit, dass es eher gut aussehe für seinen Wunsch, aber etwas Unerwartetes seinen Chef ins Spiel bringen und Ärger erzeugen könnte. Hätte er sich nun gewünscht, dass seine Großmutter wieder gesund werde, die hübsche Blonde Ja sage, er befördert werde, im Lotto gewinne oder seine Katze wiederfände, dann hätte ich kompletten Blödsinn herausgelassen. Es war mit höchster Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass ich irgendeinen Scheiß laberte, der nicht einmal entfernt etwas mit seinem Wunsch zu tun hatte. Noch viel wahrscheinlicher war es, dass nichts davon einträfe, selbst wenn man die Aussage dieser Karten mit viel Fantasie als einigermaßen passend zum Wunsch hätte interpretieren können.

Doch nur etwa zwei Wochen später begegnete er mir wieder und flippte fast aus, als er mir erzählte, dass er sich so gewünscht habe, genug Geld und einen freien Tag für ein Open Air zusammenzukriegen. Tatsächlich sah es zuerst gut aus, doch dann wurde ein Mitarbeiter krank. Der Chef kam auf ihn zu und bestimmte, dass er als Ersatz einspringen musste und nun nicht freinehmen durfte. Woraufhin er natürlich protestierte und Ärger mit dem Boss bekam. Genau so, wie ich es mit den Karten vorausgesagt hatte.

Wie war das nur möglich? Ich hatte ja selbst keine Ahnung gehabt, was er sich wünschte, und dachte auch keine Sekunde mehr daran, nachdem ich ihm die Karten gelegt hatte. Selbst wenn ich mit irgendeiner Art von Suggestivkraft auf ihn eingewirkt hätte: Wie hätte sich das bloß im exakt perfekten Timing auf den Mitarbeiter auswirken können? Und warum musste der Boss ausgerechnet ihn als Ersatz bestimmen?

Na ja, ein Mal könnte man ja von Zufall sprechen. Von mir aus auch zwei, drei oder vier Mal. Doch die Tatsache, dass jedes Mal eine ganze Serie von Zufällen nötig war, damit meine Weissagungen eintrafen, ließ mich schwer ins Grübeln kommen. Ich wollte ums Verrecken nicht glauben, dass etwas Übernatürliches geschah, und brauchte deshalb unbedingt eine Erklärung, die ohne Geister, Gott oder Teufel auskam. Ich versuchte zu analysieren, was eigentlich abging, wenn ich die Karten legte.

Mir fiel auf, dass sich irgendwie eine Eigendynamik entwickelte, sobald ich anfing, die Karten zu interpretieren. Ich sah dann in den Kartenkombinationen immer mehr Details und Zusammenhänge, welche mir gar nie beigebracht worden waren. Irgendetwas kam jeweils über mich, und ich spürte eine Art von «Präsenz», so dass mir die Muster und Strukturen dann plötzlich klar wurden. Bildete ich mir das alles nur ein? Oder war es ein Geist? Und wenn ja, was für ein Geist konnte das sein?

4. Einen Plan mit mir?

Gleichzeitig ließen mich die Christen einfach nicht in Ruhe. Bei der Arbeit bekamen wir einen neuen Lehrling. Er war superkorrekt, überfreundlich, machte nie bei irgendeinem Scheiß mit und hatte am Montag keine wilden Geschichten vom Wochenende zu erzählen. Ich hänselte ihn gerne und bereitete ihm damit offenbar Mühe. Bis er sich eines Tages als Christ outete und mir erzählte, dass er viel für mich bete, damit ich es endlich checken würde.

Ich war perplex. Da redet also jemand mit Gott über mich? Spinne ich, oder spinnt er? Auf jeden Fall war ich dann netter zu ihm und stellte ihm viele Fragen, welche er mir oft mit einer unwiderstehlichen Logik und Geduld zu beantworten wusste.

In meinem Bekanntenkreis gab es bis dahin ansonsten eigentlich nur als Katholiken, Reformierte oder Muslime Geborene, die nach meinem Empfinden eher zur Kategorie der «Weiß-nicht-was-ich-wirklich-glauben-soll-und-es-interessiert-mich-auch-nicht»-Gläubigen gehörten. Dann gab es noch einige Suchende, die sich mit Philosophie, Esoterik, Buddhismus, Okkultismus, Atheismus, Nihilismus und Sonstwasismus beschäftigten. Mit diesen Suchenden gab es beim Kiffen reichlich Gesprächs- und Analysestoff. Das war immer hochinteressant. Bei einigem davon checkte man ganz schnell, dass es einfach nicht stimmen konnte. Anderes hielt sich hartnäckiger.

An irgendeine unbestimmte höhere Macht glaubten noch die meisten. Aber keiner wollte in Betracht ziehen, dass es tatsächlich einen Gott gibt, der Person und Persönlichkeit ist und einen Willen oder gar einen Plan in Bezug auf dich und mich hat. Alles andere zogen wir in Betracht. Aber das? Das ging gar nicht. Leute, die das glaubten, wie dieser Lehrling in der Firma, die mussten einfach einen an der Waffel haben.

Je mehr jedoch solche schrägen Dinge beim Kartenlegen und den spiritistischen Sitzungen meiner Kollegen passierten und je mehr Christen mir dauernd über den Weg liefen, die mir wieder etwas über Gott oder die Bibel erzählen wollten, desto mehr fragte ich mich, ob Gott wohl mein Gebet nach einem Zeichen erhört hatte.

An einem Samstagnachmittag ging ich vom Zürcher Hauptbahnhof Richtung «Central» und dachte gerade über diese Dinge nach. Ich versuchte einmal mehr, mir alle diese Phänomene ganz ohne den Aspekt des Übernatürlichen zu erklären. Da kam plötzlich jemand aus der Menschenmenge auf mich zu:

«Hey du!»

«Ich?»

«Ja, genau du. Jesus kennt dich, und er hat einen Plan mit dir. Egal, was du dir da gerade zusammendenkst. Er wird mit dir zum Ziel kommen.»

Ich war so perplex, dass ich gar nicht dazu kam, etwas zu sagen. Er drückte mir keinen Flyer in die Hand, wollte mir kein Buch verkaufen und lud mich auch nicht in seinen Jesus-Klub ein. Haut mir einfach diesen Spruch ins Gesicht und tschüss. Ich schaute, ob er noch andere Leute anquatschte. Tat er nicht, und weg war er. War das ein Prophet oder gar ein Engel? Oder doch nur ein Spinner? Wieso hatte er sich unter all diesen Leuten ausgerechnet mich ausgesucht mit diesem Spruch? Und das genau in dem Moment, wo ich über solches nachdachte und versuchte, die Option «Gott» aus meinen Gedanken zu verdrängen … Das war zu viel für mich.

Jesus soll ’nen Plan mit mir haben? Spinnen die Römer? Wieso mit mir? Wer bin ich schon? Ich stamme aus einer Familie, in der fast die ganze Verwandtschaft dauernd Sätze formulierte, die in allen möglichen Varianten Fäkal- und sonstige F-Worte mit Gott kombinierte. Ein spiel- und pornosüchtiger Gastarbeitersohn auf Drogen und mit Depressionen. Einer, der nur eine große Klappe hat und der seinen Lehrlingslohn und das Geld, das er mit den Hasch-Deals verdiente, gleich wieder verspielte und verrauchte. Und was sollte das für ein Plan sein?

Bevor ich mich mit geistlichen Themen auseinandersetzte, hatte ich eigentlich immer nur Sex und Drogen im Kopf gehabt. Ehrlich gesagt, hatte ich das auch nachher sehr lange immer noch. Auch Gewalt-, Macht- und Rachefantasien waren meine ständigen Begleiter. Sobald ich irgendwo viel Geld sah oder mir jemand extrem auf den Keks ging, grübelte ich zwischen zwei imaginären Sexszenen am perfekten Verbrechen herum. Ich merkte doch, dass ich innerlich, trotz aller Faszination über die Dinge, die geschahen, gegen diesen Gott rebellierte. Ich mochte den gar nicht. Ich hielt es eher mit den Rolling Stones und deren «Sympathy for the Devil».

Ich war mit Gott nämlich gar nicht zufrieden. All der Scheiß auf dieser Welt. Warum lässt der sogenannt allmächtige, liebende und allwissende Gott das alles zu? Und jetzt soll er ausgerechnet mit mir einen Plan haben? Ich fühlte mich weder willig noch würdig noch fähig, geschweige denn, dass ich überhaupt nur irgendetwas für Jesus empfunden hätte.

Andererseits soll Jesus ja der Gute im Film gewesen sein. Vielleicht ist er ja ganz cool. Er habe sich für Arme und Kranke eingesetzt. Habe geheilt und Wunder getan; und schlaue Sachen soll er gesagt haben und so. Und dann soll er von den Toten auferstanden sein und behauptet haben, er sei Gottes Sohn. Hat es ihn überhaupt jemals gegeben? Und falls ja: War er wirklich Gottes Sohn, oder hatte er halluzinogene Pilze konsumiert und dann so wilde Geschichten erzählt, dass man ihn für etwas anderes hielt?

Musste ich mich jetzt wirklich noch mit Jesus und der Bibel und so beschäftigen? Ich wollte doch einfach nur meine nächste Tüte rauchen! Und überhaupt, warum Jesus und nicht Mohammed oder Buddha oder sonst ein Guru? Was macht Jesus jetzt so besonders?

Dann kam der Lehrling in der Firma doch tatsächlich auf die Idee, mir eine Bibel zu schenken.

5. Die Bibel? Echt jetzt?

Also gut. An Gott zu glauben ist ja eine Sache, aber sich von einem uralten Buch sagen zu lassen, wie der Hase läuft, ist dann noch mal was anderes. Ist das Ding überhaupt noch zeitgemäß? Außerdem sollen über die Jahrhunderte hinweg alle möglichen Machthaber daran herummanipuliert haben, um ihre Herrschaft abzusichern. Aufgrund der schrägen Erlebnisse der vergangenen Monate wollte ich aber prüfen, wie glaubwürdig und relevant dieses Buch heute tatsächlich noch ist.

Zumindest was die Manipulations-Behauptungen anging, fand ich schnell heraus, dass es kein Buch auf der Welt gibt, dessen Authentizität historisch besser belegt ist als die der Bibel. Es gibt nämlich unzählige Forscher, die sich die Mühe gemacht haben, zu beweisen, dass dieses Buch manipuliert wurde – und dann eines Besseren belehrt wurden. In den verschiedenen Museen der Welt gibt es weit über 100.000 Exemplare aus allen Jahrhunderten und Gegenden, welche man miteinander verglich. Dabei wurde festgestellt, dass in den neusten Ausgaben immer noch dasselbe drinsteht wie in den ältesten Teilen. Als man zum Beispiel im letzten Jahrhundert die Höhlen von Qumran erforschte und dort in Tonkrügen viele gut erhaltene Schriftrollen fand, die man teilweise auf ca. 400 bis 150 vor Christus datieren konnte, war da auch eine Rolle des Propheten Jesaja dabei, der heute Teil des Alten Testaments ist. Und was dort vor rund zweieinhalb Jahrtausenden geschrieben wurde, steht auch heute noch so in den neuen Ausgaben.

Nun gut. Das Ding ist also authentisch. Immerhin. Aber was heißt das schon? Es könnte ja auch ganz authentischer Schwachsinn sein. Ein Mix aus alten Märchen, Legenden, Weisheiten, dazu etwas Geschichte und Esoterik, geschrieben unter Einfluss von halluzinogenen Pilzen. Und gekifft haben sie in jener Gegend ja früher schon. Ist es also auch wahr, was da so drinsteht? Und sind diese alten Geschichten überhaupt noch relevant und nachvollziehbar für einen Menschen des 21. Jahrhunderts?

Der Verdacht, dass das Ding verfälscht ist, erhärtete sich nicht. Ich musste es mir wohl genauer unter die Lupe nehmen und prüfen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit sein könnte, dass es tatsächlich wahr und auch heute noch relevant ist. Nur für den Fall der Fälle.

Doch zuerst war die nächste Tüte fällig – und dann ein paar Pornos, viele Partys und sonstige Ablenkungen. Da ich ja eigentlich erwartete, schon bald herauszufinden, dass das alles doch nicht so ganz wahr und gewiss nicht wirklich relevant ist, hatte ich es ja auch nicht eilig.

Die Folgen meines exzessiven Cannabiskonsums machten sich langsam bemerkbar. Meine Ambitionen reduzierten sich vor allem auf die nächste Tüte und den nächsten Porno. Das Studieren der Bibel verschob ich erst mal auf übermorgen und forderte stattdessen noch mehr Zeichen.

Und schon begegneten mir im Ausgang mit meiner Freundin Sibylle wieder Christen, die mir die Sache mit der Bibel und Jesus erklären wollten. Diese Leute schienen die Bibel ziemlich gut zu kennen und philosophierten und argumentierten etwas weniger als andere, sondern zitierten viele Bibelstellen. Zum Beispiel den Klassiker:

«Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zu Grunde geht, sondern das ewige Leben hat.»2

Sie waren überzeugt davon, dass Gott uns liebt und Jesus unsere Rettung ist. Viele der Bibelstellen, die sie zitierten, ergaben für mich zu Beginn wenig Sinn oder nervten mich sogar. Retten wovon? Ich muss höchstens vor euch gerettet werden! Doch obwohl ich die Jungs hänselte, mich über Gläubige lustig machte und noch tausend Fragen an Gott hatte, spürte ich einfach, dass diese Bibelworte irgendwie eine Kraft hatten, die mein Herz berührte.

Diese Jungs waren es auch, die uns in ein Theater in Effretikon einluden. Zu meiner Überraschung war auch Sibylle an der Show interessiert. Also gingen wir zu dieser Location – ich meinerseits natürlich nicht, ohne mir vorher noch eine Tüte reinzupfeifen.

6. Jesus, was für ein Theater!

Auf unseren Plätzen fanden wir dann heraus, dass es bei dem Theater um nichts Geringeres ging als um das Hauptproblem der Menschheit – und wie Jesus dieses gelöst haben soll.

Das Problem soll nämlich schon bei den allerersten Menschen angefangen haben. Genau: bei Adam und Eva. Die Geschichte lief aber etwas anders ab als die allgemein bekannte Darstellung, bei welcher die zwei in irgendeinen Apfel bissen, Gott sauer wurde und sie aus dem Garten schmiss.

Stattdessen soll es um Folgendes gegangen sein: Die Schlange stellte zunächst einmal nur eine Frage: «Hat Gott wirklich gesagt, dass ihr keine Frucht im Garten essen dürft?» Natürlich übertrieb die Schlange maßlos, denn sie wusste, dass alle Früchte zum Genuss da waren, außer eben dieser einen. Damit suggerierte sie, dass Gott ein Spielverderber sei, bei dem alles verboten ist.

Nebenbei: Der Trick funktioniert ja heute noch. Auch ich hatte damals die Vorstellung, dass der Spaß vorbei ist, wenn ich Christ würde. Und dass alles, was mir Spaß macht, dann verboten sein wird.

Doch Eva ließ die Schlange wissen, dass sie Bescheid wusste, und sagte: «Wir dürfen von allen Früchten essen; nur nicht von dem Baum in der Mitte des Gartens, sonst müssen wir sterben.» Darauf die Schlange: «Ihr werdet gewiss nicht sterben. Nein, Gott weiß: Wenn ihr von dieser Frucht esst, werdet ihr sein wie Gott und erkennen, was gut und böse ist.»

Also, einfach mal das Gegenteil behaupten. Was Gott sagt, stimmt nicht. Auch diese Haltung hat sich bis heute nicht verändert. Das Wort Gottes wird konstant von allen Seiten angegriffen und in Frage gestellt. So wie ich es ja auch die ganze Zeit tat, seit ich das erste Mal damit konfrontiert wurde.

Der Clou war natürlich nicht, dass Eva nicht stirbt, sondern dass sie sein könnte wie Gott und selbst entscheidet, was gut und böse ist. An diesem Punkt im Theater merkte ich, dass meine eigene Ablehnung gegen Gott wohl irgendetwas damit zu tun hatte. Ich wollte auch lieber mein eigener Gott sein und mir von niemandem etwas sagen lassen.

Tja, blöd. Die Eva hat also prompt mitgemacht. Und Adam? «Hey, spinnst du, Alte? Sein wie Gott? Das sollen wir doch eh schon werden. Er hat uns ja nach seinem Ebenbild geschaffen. Lass die Finger davon. Wer ist diese Schlange überhaupt? Wir klären das heute Abend, wenn Gott wieder im Garten ist.»

Leider hat Adam das nicht gesagt. Er schaute wohl erst mal zu, was passiert, wenn sie reinbeißt. «Na, schmeckt es? Alles okay? Fährt’s gut ein? Aha, feiner Stoff also. Gib mir auch was davon.»

Am Abend hätte Adam eine Gelegenheit gehabt zu sagen: «Sorry, Boss, ich hab’s vergeigt. Ich wollte auch der Boss sein und habe davon gegessen.» Stattdessen sagte er: «Die Frau, die du mir verschafft hast, hat mir davon gegeben.» Nicht zu fassen. Die Frau ist also schuld, dass er seine Verantwortung nicht wahrgenommen hat. Und überhaupt: Die Tante hat Gott ihm ja untergejubelt.

Kommt dir das bekannt vor? Schon seit den Anfängen der Menschheit sind immer die anderen schuld.

Und so machten sich die Menschen eins mit Luzifer, der auch selber wie Gott sein wollte, und wundern sich nun, warum das Böse die Welt regiert. Jetzt haben wir fast alle ein riesiges Autoritätsproblem, wollen selber auf der Kommandobrücke stehen und alles kontrollieren – und haben meist größte Mühe, unsere Fehler zuzugeben. Viel zu oft lassen wir uns nur von denen etwas sagen, die uns bezahlen oder die wir fürchten. Manchmal noch von jenen, die uns begeistern oder von denen wir sonst wie abhängig sind. In allen anderen Fällen wollen wir selbst bestimmen, was läuft.

Die unersättliche Gier nach Geld, Macht und Kontrolle hat ihren Ursprung wohl genau darin. Sobald unsere Grundbedürfnisse gestillt sind, tendieren wir meist unbewusst dazu, unser eigener Gott sein zu wollen und unserem Selbstverwirklichungstrip und allerlei Begierden zu frönen.

Nun, ein Blick in die Nachrichten und Geschichtsbücher dürfte reichen, um zu sehen, wie gut das funktioniert. Und wenn es dann scheiße läuft und unsere kumulierten Egotrips in Krieg und Elend münden, klagen wir wieder Gott an.

Deshalb, so die Schauspieler auf der Bühne, sind wir nun getrennt von Gott. Die Autorität, die Gott uns über diese Welt gegeben hat, haben wir damit an den Teufel abgegeben. Und so ist dieser Widersacher jetzt der Herrscher dieser Welt und hat uns, in seiner Rebellion gegen Gott, allesamt mit ihm vereint.

Ich war platt. So etwas lehrt die Bibel? Sollte das Ding also doch noch aktuell sein? Und ist diese Geschichte – oder zumindest das, was sie ausdrückt – wirklich wahr? Ich hatte noch viele Einwände. Am liebsten hätte ich diese Fragen und Zweifel laut ins Theater hineingeschrien. Dafür hätte es aber noch zwei oder drei Bier gebraucht. Also hielt ich die Fresse und hörte weiter zu.

Dann kam die Frage auf, was denn das Ganze uns persönlich angehe. Viele würden zwar merken, dass die Welt nicht optimal laufe, aber man selbst sei ja zum Glück in einer guten, sicheren Gegend daheim und beileibe kein böser Mensch. Hauptsache, man schadet niemandem und kümmert sich um seinen eigenen Kram. Wir sind ja alle Gottes Kinder.

Es ist wahr, dass wir alle als Ebenbild Gottes erschaffen wurden. Deswegen hat jeder Mensch eine bleibende Würde. Aber das Zerstörerische und abgrundtief Böse, mit dem wir in der Menschheitsgeschichte immer wieder konfrontiert werden, können wir auch nicht leugnen. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir alle zugeben, dass wir je nach Umständen Dinge tun, von denen wir wissen, dass sie falsch sind.

Aus Gottes Sicht – so viel verstand ich in meinem Theatersitz – ist der Fall klar. Paulus sagt im Brief an die Römer: «Alle haben gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren.»3 Welche Herrlichkeit wurde verloren? Jene, die wir ursprünglich hatten, als wir im Prozess waren, uns zu dem zu entwickeln, was er geplant hatte. Nämlich Gottes Ebenbild resp. Gegenüber zu werden. Das haben wir verzockt, als wir die Abkürzung nehmen wollten. Als wir Autonomie, Stolz und Eitelkeit höher gewichteten als die persönliche Beziehung mit Gott. Vor allem die vermeintliche Freiheit, selber zu entscheiden, was richtig und falsch ist, hat sich als Fallstrick entpuppt. Als ob wir den Durchblick hätten und ohne seine Leitung – über das Offensichtliche hinaus – beurteilen könnten, was gut oder böse ist. Typen wie Stalin, Mao und der mit dem Schnäuzchen haben gemeint, sie wüssten, was gut ist, und wollten es allen aufzwingen. Was dabei an Elend und Zerstörung herausgekommen ist, hat man ja gesehen.

Nur schon das passiv Böse, das uns feige und tatenlos dem Unrecht zuschauen lässt, ist schlimm genug. Oder unsere Doppelmoral, welche immer von den anderen fordert, zum Beispiel weniger Umweltverschmutzung zu produzieren oder fairere Löhne zu zahlen, während wir gleichzeitig das kaufen, was uns gerade passt. Wer lässt sich schon den Spaß an seinen Ferien oder den neuesten Modetrends mit Fragen nach Umweltverträglichkeit oder Produktionsbedingungen verderben?

Wir sind eine Plage für diesen Planeten. Oder wie Agent Smith in «Matrix» sagen würde: ein Virus.

Da es Gott um diese Grundhaltung in deinem Herzen geht, spielt es nur bedingt eine Rolle, was genau jetzt deine offensichtlichen Sünden sind. Denn wie stark sich das Böse in dir nach außen hin manifestiert, hängt sehr von einzelnen Umständen ab, die nichts mit deinem Wesen zu tun haben. Derselbe Typ, der in der Schweiz oder in Deutschland nie jemandem ein Haar gekrümmt hat, hätte vielleicht Blut an den Fingern, wäre er zur falschen Zeit im falschen Viertel von Los Angeles, Kabul oder Sarajevo aufgewachsen. Auch der Bankangestellte, der sich über die Abzockerei seiner Chefs empört, sollte vielleicht besser das Maul halten. Wer sagt denn, dass er an dessen Stelle nicht genauso abzocken würde? Oder wer sich empört gibt, wenn ein Kollege seine Frau betrügt, und meint, er würde so etwas niemals tun. Ein Blick in den Spiegel und in die eigenen Fantasiewelten sollte eigentlich genügen, damit die Empörung wieder weicht. Denn wenn er so gut aussehen würde wie jener Kollege und von den Ladys dieselben Signale erhielte wie dieser, dann wäre es wohl auch für ihn mit der Treue schwierig geworden. Der Mörder, die Hure, der Dieb usw., sie sind latent in uns allen vorhanden.

Deshalb sagt Jesus: Wer sich gegen jemanden ereifert, begeht im Herzen schon Mord. Und jeder, der eine Frau begehrlich anschaut, begeht im Herzen bereits Ehebruch. Habgier, Betrug, Neid, Verleumdung, Überheblichkeit und all diese Dinge kommen aus dem Inneren der Menschen und machen sie schon von der Haltung her unrein vor Gott. Die mildere oder krassere Manifestation all dieser Herzenshaltungen in unseren Taten ist dann nur noch eine Frage der Umstände, in denen wir uns befinden.

Mir schwante langsam: Wenn Gott seinen Maßstab schon bei unseren Gedanken ansetzt, haben alle die Arschkarte gezogen. Wer schafft es dann überhaupt noch in den Himmel? Gandhi? Oder Mutter Teresa?

Die Jungs im Theater erklärten, dass sich letztlich alles auf die eine Grundsatzentscheidung reduziert. Willst du dich auf eine Beziehung mit Gott einlassen? Vertraust du ihm, dass er viel besser weiß, was in welcher Situation für dich gut oder böse ist? Oder willst du der Schlange glauben, dass du ab sofort selber Gott spielen und selber entscheiden kannst, was richtig oder falsch ist?

Interessanterweise steht die Schlange im Buddhismus, Hinduismus, Satanismus, in Yoga-Lehren, bei den Mayas, in New-Age-Esoterik-Klubs und bei den Freimaurern als Symbol für Heilung, Fruchtbarkeit, Leben, meistens auch für Weisheit und Erkenntnis. Mit diesem durchaus geschickt und clever aufgebauten Image ist sie also schon seit Adam und Eva weltweit auf Tournee und verkauft dir die steile Theorie, dass du die Erleuchtung in dir selbst finden kannst, wenn du den Gott in dir entdeckst. Leider hat sich diese Art von Erkenntnis exakt als die Wurzel des Problems entpuppt. Und mit dieser egozentrischen Grundhaltung haben wir es offenbar alle verkackt.

So viel zu den bad news. Aber das Wort «Evangelium», so die Schauspieler, bedeutet ja «Gute Nachricht».

Na, da war ich ja gespannt, was in dieser Geschichte noch für gute Nachrichten kommen sollten. Bis zur Pause sah das Ganze für mich ziemlich düster aus.

7. Tauschen wir?

Das Theaterstück ging weiter. Gottes Gerechtigkeit könne das Böse nur temporär dulden und werde zu gegebener Zeit alles Böse richten. Logisch, sonst wäre Gott ja nicht die absolute Gerechtigkeit. Da wir das Böse latent in uns tragen und sich das Monster in uns, je nach den Umständen, ziemlich übel manifestiert, müsste er uns also allesamt wieder von diesem Planeten spülen.

Gottes Liebe wiederum will uns alle retten und uns vergeben. Da hatte er also ein Dilemma, der liebe Gott. Seine Liebe versus seine Gerechtigkeit. Dieses Dilemma löste er, indem er selber Mensch wurde und uns als Jesus Christus begegnet. Als solcher gibt er uns nicht nur ein gutes Beispiel, wie man im Frieden mit Gott und mit seiner Kraft leben kann, sondern es geht um sehr viel mehr.

Der Prophet Jesaja kündigte Jesu Wirken so an:

«Wir hatten uns alle verirrt wie Schafe, jeder ging für sich seinen Weg. Doch der Herr lud auf ihn die Schuld von uns allen.»4

Jesu Opfer ist die Lösung für Gottes Dilemma! Er nahm die Verantwortung und Strafe für alles Böse in der Welt auf sich selbst. Damit wurde seiner Gerechtigkeit Genüge getan, und gleichzeitig wurde die Türe für seine Liebe und für Versöhnung geöffnet.

Von der Theaterbühne aus wurde es nun immer konkreter: Aus vielen Bibelstellen ginge hervor, dass Gott uns am Kreuz einen Tausch mit Jesus anbietet:

Jesus wurde bestraft, damit uns vergeben wird.

Jesus wurde geschlagen, damit wir heil werden.

Jesus starb unseren Tod, damit wir Sein Leben haben.

Unser alter Mensch wurde in Jesus getötet, damit der neue Mensch in uns zum Leben kommt.

Wenn wir uns mit Jesus identifizieren, identifiziert sich Gott auch wieder mit uns, und wir treten in eine neue Beziehung mit ihm ein. An ihn zu glauben bedeutet, wirklich anzunehmen, was Jesus am Kreuz für uns getan hat, und uns auf diese Beziehung einzulassen. Uns zu entscheiden, nicht mehr wie Eva von der Frucht der Erkenntnis zu leben und selber wie Gott sein zu wollen, sondern eben wieder mit Gott als Vater unterwegs zu sein.

Von der Bühne her vernahm ich: «Jesus starb und ist vom Tod auferstanden. Er lebt, er ist heute hier, auch bei dir. Du kannst überall und jederzeit mit ihm reden, und er bietet auch dir diesen Tausch an.»

Das Theaterstück endete mit der Frage: «Tauschst du mit ihm?»

Nun gut. Jetzt wusste ich also, was gemäß Bibel Sache sein soll und was das Ganze mit dem Kreuz auf sich hat. Ich brachte Sibylle zum Bahnhof, und bevor ich mich auf mein Mofa schwang, drehte ich für den Nachhauseweg noch meine übliche Gute-Nacht-Tüte und dachte nach. Jesus will also mit mir tauschen und so.

Also, wenn das stimmt, dann wäre die Bibel nicht nur authentisch, sondern tatsächlich auch relevant. Doch stimmt das wirklich? Und gilt das auch für mich? Und warum hat Gott den Teufel überhaupt erst losgelassen und die ganze Scheiße mit Not, Krieg und Elend so lange geduldet? Obwohl ich noch nicht wirklich überzeugt war und alles in mir drin immer noch gegen Gott rebellierte, spürte ich auf eine mir bislang ganz unbekannte Art seine Gegenwart und seinen Ruf nach mir.

Oder meinte es zu spüren. Vielleicht war es auch die Gute-Nacht-Tüte, die gerade ihre Wirkung entfachte. Auf jeden Fall nahm ich mir einmal mehr vor, jetzt also wirklich mal die Bibel zu studieren und der Sache genauer auf den Grund zu gehen.

So fuhr ich los mit der Tüte im Gesicht und sagte irgendetwas in der Art wie: «Also gut, Jesus. Wenn das alles stimmt, was die da erzählen, dann nehme ich das Angebot an. Ich bin ja nicht blöd. Ich weiß, ich bin ein bisschen ein Arschloch und werde wohl Mühe haben, mich zu verbessern. Aber du kannst ja Wunder veranstalten.»

Obwohl ich sicher war, dass mein Gebet politisch nicht ganz korrekt war und ich gar nicht sicher war, ob ich das jetzt wirklich ernst gemeint hatte, durchströmte mich in diesem Moment eine unglaubliche Freude, und irgendwie sah ich im Geist, wie Gott lächelte und eine Horde Engel feierte.

Also, entweder hatte es einen krass euphorisierenden Zusatzstoff in meiner Tüte, oder ich durfte etwas von der Freude spüren, die im Himmel herrscht, wenn ein Sünder umkehrt.

Und dann fingen meine Probleme erst richtig an.

8. In the army now

In der Zwischenzeit wurde ich Schweizer. Ich liebe die Schweiz. Das wahre Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Die einzig echte Demokratie, wo man die Typen, die einem die Hucke volllügen, nicht nur abwählen, sondern ihnen auch noch reinreden darf. Blöde Ideen per Referendum spülen und gute Ideen per Initiative durchbringen – das gibt es sonst nirgends auf der Welt.

Der Preis für den Schweizer Pass war der Militärdienst. Ende der 80er Jahre war es noch schwierig, sich davor zu drücken, und ich wollte sowieso zu den Fallschirmgrenadieren. Also zu den krassesten Kampfsäuen. Als Partisanenenkel und nach den unzähligen Büchern und Filmen, die ich mir über Kriegshelden, Strategien, Taktiken und Agenten reingezogen hatte, freute ich mich heimlich sogar auf das Militär.

Bis zur Einberufung hatte ich aber so viel gekifft, dass ich eher im Flower-Power-Groove war. «Make love not war» und so. Und ich glaube, Jesus findet Krieg auch nicht lustig. Der Aushebungsoffizier hat mir das geglaubt und mich bei den Sanitätern eingeteilt.

Bei den Sanis zu sein war zumindest in der Rekrutenschule das Letzte. Man hatte den vollen Militärdrill mit Märschen, Nachtübungen und Idioten, die einen jedes Mal anschreien, wenn sie den Mund aufmachen und ihre Gehorsam-, Macht- und Psychospielchen mit dir treiben. Aber das alles ohne Action und Explosionen, sondern nur mit ein bisschen Pistolenschießen.

Immerhin waren einige meiner Kameraden auch passionierte Kiffer und begnadete Philosophen, so dass ich auch mit ihnen viel über geistliche Themen diskutieren und nachdenken konnte. Doch beim Kartenlegen hatte sich etwas verändert. Ich spürte jetzt, dass es keine gute Macht war, die über mich kam, wenn ich die Karten legte. Wahrsagerei sei grundsätzlich schlecht, egal in welcher Form, und es sei eine offene Tür für dämonische Mächte, meinten die Bibelversteher schon vorher. Doch jetzt spürte ich es selber. Es dämmerte mir, dass Gottes Geist sich von mir nicht mit ein paar Karten instrumentalisieren lässt.

Aber wenn Gott da nicht mitmacht, warum sollte der Teufel dann ein Interesse daran haben, mir diese Gabe zu geben?

Die Antwort kam relativ schnell, als ich beobachtete, was mit meinen «Klienten» geschah. Das erste Mal kommt Spott. Beim zweiten Mal kommt Respekt. Ab dem dritten Mal fressen sie dir aus der Hand. Von da an kann die Macht, die die Karten mischt und mir die Auslegung gibt, jeden Scheiß erzählen. Meine Gegenüber waren nun sehr leicht manipulierbar, und ich war das Medium, das es den Finsterlingen einfacher machte, sie zu manipulieren.

Und auch die Früchte, die es bei mir selbst trug, machten mir klar, aus welcher Ecke diese Gabe kam. Wenn du als Zwanzigjähriger den Leuten ihre Zukunft voraussagen kannst, dann hat das einen extrem aufblähenden Effekt auf Ego, Arroganz, Stolz und Eitelkeit. Und bevor du schnallst, was passiert ist, bist du genauso drauf wie Luzifer höchstpersönlich.

Außerdem gibt’s bei dem nichts gratis. Du nutzt seine Macht, also schuldest du ihm was. Und das holt er sich. Somit brachte ich auch über jeden, der sich von mir die Karten legen ließ, einen Fluch. Als mir das so richtig klar wurde, hörte ich auf damit.

Zu allem Übel sahen die Offiziere in mir ein Führungstalent und wollten mich zum Weitermachen zwingen. Für eine Zwangsbeförderung, inklusive zig Monate zusätzlichen Dienstes, hatte ich natürlich gar keine Nerven. Damit sie es sich also mit dem Weitermachen wieder anders überlegten, sah ich mich genötigt, extrem undiszipliniert zu werden, allen Vorgesetzten zwanghaft frech zu kommen und mich beim Kiffen erwischen zu lassen. Doch die Offiziere ignorierten meine Provokationen und setzten stattdessen den Feldwebel auf mich an, der mir immer Strafjobs anhängte, wenn die anderen in den Ausgang durften.