Die Suche eines Hausmanns - Thomas Böcher - E-Book

Die Suche eines Hausmanns E-Book

Thomas Böcher

0,0

Beschreibung

Das Buchvorhaben schildert in drei langen Kapiteln die Suche eines Hausmanns in Berlin-Kreuzberg. Eine innere Suche, eine im kleinen Kreis, eine ruhige. Der Leser mag sich die Frage stellen, wonach denn überhaupt gesucht wird. Da dies so wichtig ist, kommt der Begriff "Suche" auch im Titel vor. Abgerundet werden die drei Kapitel durch ein wirklich sehr überschaubares viertes, in dem im Wesentlichen nur eine Schlusserzählung steht.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 258

Veröffentlichungsjahr: 2023

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die Suche eines Hausmanns

Innenansichten

(von Thomas Böcher)

-----

Impressum

Texte:

© Copyright 2023 by Thomas Böcher, Berlin Alle Rechte vorbehalten

Druck: epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

Kapitel 1: Frühling 2021

Ich habe mir gerade wieder den Morgenmantel angezogen, den ich abgelegt hatte, um die Wohnung zu staubsaugen und Bad sowie Küche nass zu wischen. Er ist mir das liebste Kleidungsstück. Der gegenwärtige ist allerdings recht dick, sodass man beim Saubermachen unter rund 22

Grad Wohnungstemperatur leicht ins Schwitzen kommen könnte.

Unsere Wohnung ist nicht nur warm, sondern auch groß genug für uns derzeit drei, unsere alte schwarze Katze, meinen Schatz (der im Nebenzimmer Homeoffice betreibt) und mich. Freitag ist der Tag in der Woche, an dem ich als Hausmann am meisten zu tun habe - besagtes Säubern und Entgegennahme und Kontrollierung der Lebensmitte1lie-ferung von einer großen Supermarktkette, wobei es uns in erster Linie auf' die schweren Getränkekisten ankommt.

Ein Auto haben und brauchen und wollen wir nicht, schließlich leben wir mitten in Berlin, in Kreuzberg, wo der geographische Mittelpunkt der Hauptstadt liegt. Ich habe nicht einmal mehr ein Fahrrad; meistens gehe ich zu Fuß.

Mein Partner fährt immer mit dem Taxi, selten benutzen wir die öffentlichen Verkehrsmittel.

Schon bevor ich 40 wurde, konnte ich zuhause bleiben -

wir sind zwar nicht reich, aber wir kommen mit einem ordentlichen Gehalt prima über die Runden, wobei Bio-Produkte und ordentlicher Wein sowie Essengehen und auch

angenehmer jährlicher Urlaub gesichert sind. Ich persönlich sehe mich wahrlich nicht als einen modernen Diogenes an, aber ich bin in materieller Hinsicht vollauf zufrieden und genieße den Luxus der Fülle an Zeit sowie der damit einhergehenden Freiheit (gut, derzeit können wir wegen der Coronamaßnahmen nicht essen gehen, aber ich bin felsenfest davon überzeugt, dass wir das nach der großen Impfkampagne wieder machen können). Abgewöhnt habe ich es mir, wählen zu gehen, auch wenn fast jeder sagt, wie wichtig das sei, aber mir fehlt jegliches derzeitige politische Feindbild, das mich zur Urne treiben könnte. Realisti-scherweise wird die nächste Regierung selbstverständlich erneut unsere freiheitliche demokratische Grundordnung nicht nur dem Namen nach hoch- und in Ehren halten. Das meine ich ganz ernst - ich bin unglaublich froh und dem Schicksal gegenüber dankbar, dass wir zu dieser Zeit in diesem herrlichen Staat leben dürfen! Und ich glaube, dass das jenseits aller möglichen Meinungsverschiedenheiten die Mehrheit der Bürger, wenn sie am Ende des Tages Re-vue passieren lässt, genauso sieht. Genug davon, jetzt wartet der heißgeliebte Fernseher. Alternativ könnte ich auch noch ein Kapitel in einem sehr unterhaltsamen dicken Buch lesen, mal abwarten, was mich gleich in seinen Bann zieht.

Nicht zu vergessen natürlich das omnipräsente Internet, in dem ich mir fast schon beängstigend oft Armbanduhren ansehe, mein einziger materieller Tick sozusagen, auch wenn ich mit meiner derzeitigen Armbanduhr mehr als zufrieden bin. Das Thema "Zeit" und deren Messung hat mich schon immer fasziniert. Die Beschäftigung damit, wie so manch

anderes auch, übertreibe ich doch hoffentlich noch nicht in pathologischem Maße, eine tendenziell problematische Suchtstruktur in genereller Hinsicht gestehe ich hingegen freimütig ein, nicht umsonst bin ich noch bis Juli vorletzten Jahres nachts des Öfteren zum Rauchen aufgestanden, und nicht nur dann, wenn ich sowieso wegen des Toiletten-gangs unterwegs gewesen wäre.

Eine neue Woche beginnt. Den Sonntag halte ich für nicht mehr und nicht weniger als den zweiten Tag des Wochenendes und somit für den Ausklang einer Kalenderwoche.

Drei Tassen Kaffee habe ich intus und bin frisch geduscht, jetzt kann der Tag so richtig losgehen. Die Frage ist nur, womit ich ihn heute zu füllen gedenke - denken alleine oder auch bewusst nicht denken und die Ewigkeit im Augenblick genießen, beides braucht bei mir nicht dermaßen viel Zeit, ja wahrscheinlich ist es das Nicht-Permanente, was die Qualität (zumindest die subjektive) noch steigert. Das bedeutet, ich werde mich wieder der Unterhaltung zuwenden, in verschiedener Form zwar, aber dennoch dem Wesen nach vergleichbar. Und das ist ja auch in Ordnung so, die in erster Linie reine Unterhaltung kann große Unterschiede hinsichtlich der jeweiligen Güte aufweisen und ist sowohl individuell als auch gesamtgesellschaftlich gesehen von nicht zu unterschätzender Bedeutung.

Die Mitte des Aprils ist schon überschritten, und es fühlt sich immer noch nicht an, als sei das kalte Wetter nun langsam endlich vorbei. Die nackten Temperaturzahlen sehen nicht übel aus, das Gesamtbild ist es, das jenen Eindruck

vermittelt: milchiger, mitunter zugezogener Himmel, der ständig dem tröpfelnden Regen zugeneigt scheint. Na ja, wenigstens der Schnee kommt hoffentlich nicht wieder. Einen schönen kalten weißen Wintertag habe ich dieses Jahr freilich schon zu schätzen und auch zu nutzen gewusst, es wird halt meiner Meinung nach langsam wieder Zeit für etwas unbekleidetere Spaziergänge. In meinem gewöhnlichen Alltag gehe ich stets in etwa die gleiche Wegstrecke, ein hier und da Abweichen oder Andersrum, schon kommt keinesfalls Langeweile auf. Abwechslung erfreut, ohne Frage, aber bitte nicht ohne vernünftigen Grund, wenn der Rahmen des persönlichen Wohlbefindens nett eingerichtet ist. Ein krampfhaftes Herausholen aus seiner Komfortzone, womöglich noch um seiner selbst willen, das ist eine mir nicht als erstrebenswert deuchende Sache; das Leben ist schließlich weder Prüfung noch Vorstellungsgespräch.

Ich sehe das Leben als ein Geschenk an, als ein einziges großes Glück. Und daher bin ich so unglaublich dankbar für alles, was ich habe, für alles, was nicht selbstverständlich ist. Wenn ich Durst habe, kann ich trinken, kommt der Appetit (Hunger ist etwas ganz Anderes), esse ich - nicht einmal in unseren Breiten ist das für alle selbstverständlich.

Der Mangel an Notwendigem, damit ist zum Beispiel auch eine nennenswerte Krankheit gemeint, stiftet zugegebenermaßen Handlungssinn, aber einen, den ich soweit ich nur kann umschiffe, trifft dieser doch früher oder später ohnehin auf jeden Einzelnen. Allein der Tod verhindert ihn mit absoluter Sicherheit, ganz sicher.

Blickt man bei uns aus dem Wohnzimmerfenster, sieht man einige andere Fenster des Nachbarhauses, und wenn man die Augen nach unten wendet, dann ist da der kleine Hinterhof, in dem die Mülltonnen stehen - eine unaufgeregte und großstädtisch gewöhnliche Aussicht, die aber genauso erwähnenswert wie jede andere ist. Werkelnde Handwerker gehören noch dazu, nein, eher parkende Autos sowie Fahrräder, erstere nutzen die Fläche meist als Durchfahrt, regelmäßig als Durchgang und überhaupt, ja sie gehören also doch selbstverständlich mit zu dem kleinen Kosmos dazu. Ich wiederhole mich, ich widerspreche mir selbst, ich mache Einschränkungen am laufenden Band - sollte das das Ergebnis fehlender Planung sein, oder liegt das eher an der immanenten Problematik des Be- bzw. Geschriebenen?

Für heute ist es genug. Andererseits ist noch erwähnenswert, dass es mittlerweile schön hell ist, die Sonne scheint, und die Außentemperaturanzeige in der Küche zeigt über 30 Grad an (was natürlich etwas übertrieben ist, aber trotzdem). Dieses tolle Wetter werde ich aber nicht mehr nutzen, hoffentlich wird es morgen am späten Vormittag weiterhin trocken und wieder einigermaßen warm sein, denn ich möchte Wein einkaufen gehen, roten, was mir neben dem in Aussicht gestellten Genuss auch noch ein bisschen Bewegung verschaffen wird.

So ein großer Supermarkt ist schon eine famose Errungenschaft. Das Sortiment in allen möglichen Sparten ist für den

"normalen" Geschmack wirklich groß genug. Einen mir schon vertrauten Valpolicella werde ich mir gleich

genehmigen, dann fällt es mir auch leichter, auf den Nach-mittagskaffee zu verzichten.

Mich beschäftigen derzeit zwei Dinge. Zum einen, wer hätte es gedacht, überlege ich, mir eine Handaufzugsuhr zu kaufen, die sehr teuer ist und hoffentlich meine "Exituhr"

wäre, die man also auch warten und gegebenenfalls repa-rieren lässt und sich dafür dann keine neue mehr kauft.

Meine Mutter bot mir telefonisch an, dass sie mir das Geld schenken wolle. Einfach so, ohne bestimmten Anlass. Das bedeutet mir sehr viel, mehr als das schnöde Tauschmittel selbst. Aber kann ich so ein großes Geschenk guten Gewissens annehmen? Vielleicht hat mein Schatz da ja eine eindeutige Meinung… zum anderen ist es generell die Phantasie, die mich nachdenken lässt. Es ist schon so, dass ich durch stundenlanges Fernsehen und Internetsurfen wohl viel weniger für meine Phantasie tue, als wenn ich stattdessen mehr lesen würde (ein klassisches Buch mit Haptik).

Den mittlerweile auch schon nicht mehr ganz jungen Augen würde das ohnehin besser tun. Nimmt die Phantasie mit zunehmendem Lebensalter zwangsläufig ab, das wäre irgendwie erträglicher, zumindest was die Quantität derselben anbelangt. Schreckensszenarien jedenfalls werden wahrscheinlich nie aus der Mode kommen, da ist die Vor-stellungskraft auch bei uns Erwachsenen ungebrochen groß, nur werden die realen Schrecken vielleicht immer mehr, die oft hausgemachten. Wie dem auch sei, ich für meinen Teil finde den erdachten Horror immer noch ansprechend, und zum Glück nicht nur diesen, sondern sehr

Vieles, was bloß erfunden wurde und den Blumenkasten der Realität verlassen hat. Nichts im Übermaß zu tun, ist etwas, um dass ich schon immer kämpfen musste. Oft genug habe ich den Kampf aber verloren. Da hat es unsere Katze besser, glaube ich. Wenn sie zu viel oder zu schnell oder beides gegessen hat, na dann kotzt sie es einfach wieder heraus, und das Aufwischen wird auch erledigt. Ich mache das natürlich gerne, schließlich liebe ich sie - wir drei bilden sozusagen ein Rudel.

Ach, ein zufriedenes Seufzen darf erlaubt sein, die Sonne scheint, der Wein schmeckt, das Jetzt ist gut. Mein Schatz pflichtet mir übrigens bei, dass das mit der Uhr eine schwierige Entscheidung ist. Luxusprobleme, wie so oft.

Nebenbei, ich glaube, dass es sich der deutsche Staat aus ökonomischer Sicht durchaus leisten könnte, ein bedin-gungsloses Grundeinkommen einzuführen. Vielen würde das den Leistungsdruck nehmen, in besserem Sinne als die lebensnotwendige Karotte vor der Nase. Doch ist das offenkundig mehrheitsgesellschaftlich eben nicht gewollt.

Der schnöde Mammon, was soll man sagen. Freundschaften, echte, im besten Falle lebenslänglich, nach wie vor un-bezahlbar; ich selbst habe nur sehr wenige, weit verstreut, aber auch diesbezüglich bin ich im Reinen. Nicht zu verschweigen ist allerdings, dass die schiere Anzahl in den letzten Jahren eher abnimmt, also obwohl schon wenige, so dennoch abnimmt, ich zog aber auch vor Corona schon nicht mehr nachts um die Häuser und wäre neuen Bekanntschaften nicht so offen gegenübergetreten wie früher. Und

es war immer so, ohne Kennen, ohne Bekanntschaft nichts darüber hinaus. Außer man landet wieder bei einer rein subjektiven Vorstellung. Apropos, ich stelle mir schon vor, wie ich täglich meine neue Uhr aufziehe (oder zumindest dann, wenn ich sie nach eventuellem längeren Liegenlassen wieder anziehen werde), wir haben uns nochmal berat-schlagt, und meine Mutter freut sich bestimmt, wenn sie mir eine Freude machen kann. Ich kann das sogar nachvollziehen, obwohl ich nicht Vater bin und niemals sein werde.

Es mag befremdlich sein, doch meine fürsorgliche Seite ist vollends ausgeschöpft.

Die Klos für unsere Katze mache ich dreimal in der Woche sauber, dienstags, donnerstags und an den Samstagen.

Heute ist Mittwoch, schon seit längerem der Tag, an dem ich mir von vornherein gar nichts vornehme. Außer den üblichen Annehmlichkeiten. Das schafft Freiheit. Ein schöner Spaziergang kommt da gerade recht. Und der Spaziergang war diesmal ein wenig früher als gewöhnlich, weshalb ich mich auch mal kurz auf eine Bank gesetzt habe. Nicht einmal ich als fauler oder (lieber) bequemer Hausmann - so werde ich nämlich immer bekocht - habe unendlich viel Zeit. Diese bräuchte man annähernd, wollte man all das beschreiben, was draußen permanent los ist: Das Wasser, die Schwäne, Jogger, Spaziergänger, spielende Hunde, Vögel und deren Gezwitscher, Gerüche aller möglichen Art us-wusw., mir fehlen bei weitem die genauen Namen für Sträucher und Bäume (die Trauerweiden kann ich mir ko-mischerweise gut merken, naja, sie lassen ja doch alle

Köpfe runterhängen) und überhaupt Pflanzen und Tiere, um all diese Dinge auch nur annähernd und halbwegs au-thentisch beschreiben zu können. Ehrlich gesagt, ist das unnötig. Denn das ästhetische Empfinden muss selbst erfahren werden, gleichgültig ob aus statischer oder sich bewe-gender Position, wobei wieder die Vorstellungs-, aber auch die Willenskraft eine große Rolle spielt. By the way, zu meinem engeren Freundeskreis zählen zwei Frauen, die beide mit der nicht political korrekten Form und Rubrik

"Freunde" vollends einverstanden sind (da bin ich mir so sicher, dass ich soweit ich mich jedenfalls erinnern kann noch niemals nachgefragt habe). Ich wollte es nur kurz mit Blick auf die eben genannten Lebewesen erwähnt haben.

Das einzige nicht ganz so Erfreuliche war wieder mal achtlos weggeworfener Müll, dafür habe ich kein Verständnis, schließlich gibt es doch ein ausgeklügeltes städtisches Müllentsorgungssystem. Das Haar in der Suppe, nörgelnde Rentner- bzw. Blockwartmentalität, ich weiß… alles in allem jedoch gilt und verschafft gute Laune: da ist er spätestens mittlerweile, der herbeigesehnte und verdientermaßen auch so zu nennende Frühling, vergessen der Winter. Und der kommende sollte nicht nur für die Beschäftigten der Gastronomie ein wieder besserer sein, bei aller Zukunfts-unsicherheit natürlich. "Die Hoffnung stirbt zuletzt"- das ist für mich eine sehr positive Sichtweise. Niemand kann einem den Genuss einer einmal gehegten Hoffnung wieder wegnehmen. Daher propagiere ich den Genuss übrigens bis zum Ende.

Zweideutigkeit, Mehrdeutigkeit, diesen Sachen gebührt ihr Platz. Doch wie schwer ist manchmal die Eindeutigkeit.

Kann man sagen, dass einfacher nicht immer einfacher bedeutet? Irgendeiner meiner Lehrer sagte einmal, dass jemand, der komplexe Sachverhalte nicht einfach ausdrücken kann, diese selbst nicht so recht verstanden hätte. Da könnte schon etwas dran sein. Oft hat es wahrscheinlich aber auch damit zu tun, dass man sich nicht festlegen will, im besseren Fall sich nicht mal festlegen muss. Zum Glück sagt man nicht alles, was man denkt. Eine äußere Handlung scheint eindeutiger zu sein, doch oft gibt es auch hier einen lohnenden zweiten Blick. Und überdies kann bei letztge-nanntem sogar eine gewisse Langsamkeit hilfreich sein, ohne dass ich damit der Spontanität ihren Wert absprechen wollte.

Meine letzte Pflicht an den üblichen Donnerstagen ist es, den Müll rauszubringen. Danach ziehe ich mich wieder um und sehe mir gewöhnlicherweise die Nachrichten an. Anschließend schmiere ich mir zwei Scheiben Brot, die zum Austrocknen schon seit morgens draußen liegen. Ein bisschen Joghurt hinterher, und das war dann das Mittagessen.

Ich achte schon darauf, nicht zu viel zu essen, ist mein Ka-lorienbedarf doch recht bescheiden, und ich möchte auf meine ja bereits etwas fortgeschrittenen Tage (und ohne entsprechende Muskelmasse) nicht aufgehen wie ein Hefe-teig. Bisher klappt das auch ganz gut, ich bin zwar nicht schlank, wiege aber in etwa das, was ich auch schon vor zwanzig Jahren wog. Damals habe ich noch mehr Sport

gemacht, die Kilos waren ehrlicherweise demnach in gefäl-ligerer Form, aber ich bin mit meinem leichten Überge-wicht heutzutage nicht unzufrieden. Das Sicharrangieren-Können ist eine meiner Meinung nach nicht schlechte Fähigkeit, beileibe nicht nur hinsichtlich des Körperkults.

Eingeschränkte Freiheiten können vollkommen neue ermöglichen, die überhaupt nicht im Bewusstsein waren. Bis dato jedenfalls nicht im aktiven Bewusstsein, so will ich mich mal ausdrücken. Das führt mich jetzt irgendwie zum Gegenstand des Träumens und dem des Erholungsschlafs -

unter Umständen lässt sich dort ein Hinweis auf unterbewusstes Wirken entnehmen, man sollte hingegen akzeptieren, dass man halt auch mal schlechter und/oder kürzer als gewöhnlich schläft, ohne dass das allzu viel zu bedeuten hat. Bei wie so manchem ist hier wohl die Quantität relevanter als die Qualität.

Zurück zur oben geschilderten Angewohnheit, mich wieder mitten am Tag in Schlafanzug und Morgenmantel zu hüllen

- zwischen dem und den Nachrichten liegt ein relativ langer Zwischenraum, wie so oft bei meinen selbst gewählten Fix-punkten, der mal so und mal so genutzt wird. Typischer-weise kommen da Fernsehen oder Internetsurfen oder beides parallel in Betracht. Aber auch da entscheide ich von Tag zu Tag, die Routine darf keine goldene Regel werden, ich will der Bestimmer über meine freie Zeit sein und bleiben. Mancher könnte nun mutmaßen, dass dieses Bedürfnis als Resultat und Kompensation meiner finanziellen Abhängigkeit, also großer Unfreiheit, anzusehen ist. Ich würde

ihm entgegnen, dass die Liebe, wenn man das Glück hat, eine wahre und dauerhafte solche in seinem Leben zu erfahren, uns alle zu Unfreien macht. Nicht umsonst leidet so mancher an tiefer Liebe unsäglich. Um wieder auf Profanes zu kommen, ich habe mir den heutigen spätvormittäglichen Zwischenraum vertrieben, indem ich gelesen habe, und zwar in einem althergebrachten Buch. Nach dem Essen musste unbedingt weitergelesen werden, da ich das kurze Kapitel (das nenne ich einfach mal so) beenden wollte. Warum ich nicht einfach bei irgendeinem Absatz mittendrin aufhören kann bzw. das keinesfalls will und daher wenn nur irgend möglich vermeide, weiß ich nicht. Die Dinge sollen halbwegs abgeschlossen (erledigt, durchgestrichen oder abgehakt) sein, bevor es an etwas Neues geht. Außer freilich, es kommt Wichtigeres dazwischen oder die Kräfte versagen schlicht. Dennoch fast schon zwanghaft mitunter, wie wenn ich z. B. mehrmals kontrolliere, ob sich meine Girokarte auch tatsächlich im Portemonnaie befindet, wenn wir samstags einkaufen gehen - den letzte diesbezügliche Blick erfolgt dann beim häuslichen Umziehen. Auch rein körperliche Ticks sind mir nicht vollkommen fremd, glücklicherweise hält sich aber auch das noch in unbedenklichen Grenzen. Vieles, was man einfach akzeptiert und/oder zu-lässt, verliert oft von ganz alleine an Gewicht, ohne dass damit der Wert eines äußeren Feedbacks infrage gestellt ist.

Mein offener Nachmittag steht ganz im Zeichen der Vorfreude: sobald das zu diesem Zweck überwiesene Geld auf unserer Online-Kreditkarte angekommen sein wird,

bestellen wir meine neue Uhr. Die Aussicht hierauf hat mich schon die vergangenen zwei Tage hibbeliger sein lassen als eine Tasse Kaffee extra. Kleidung soll bei mir nur ungefähr passen und warm und bequem genug sein, kleinere Löcher oder Ausfransungen und dergleichen sind mir recht einerlei - nur Uhren wecken meine ästhetische Leidenschaft, in bezüglich eines Gebrauchsgegenstands fast schon zu großer Weise. Lebende Wesen wecken beruhi-genderweise manchmal noch mehr Interesse meinerseits.

Die Arbeitswoche neigt sich ihrem Ende zu. Am Wochenende kümmere ich mich selbstverständlich auch um dieses und jenes, aber wir sind ein so eingespieltes Team, dass wir fast immer relativ schnell zu gemeinsam genossener Zeit kommen. Denn es darf nicht verschwiegen werden - die wöchentliche Arbeitsbelastung meines Partners ist schon recht groß. So sehe ich das, aber, und das ist das Entschei-dende daran, mein Schatz arbeitet sehr gerne und somit bereitwillig mehr als die geschuldeten Stunden, eine bewun-dernswerte Eigenschaft, wie ich unumwunden zugebe. Für die Mehrheit wahrscheinlich sogar beneidenswert.

Noch ist es allerdings nicht so weit, der Freitag ist in vollem Gange. Und die Wohnung bedarf weiterhin einer gewissen Zuwendung. Selbstverständlich mache ich zwischendurch Pausen, mit einem Leistungsdruck wie in der ich sage mal realen Arbeitswelt will ich nichts zu tun haben. Ehrlich gesagt würde ich damit auch gar nicht zurechtkommen, jeglicher Druck hat bei mir schon seit Schulzeiten immer zu den

schlechteren Ergebnissen, jedenfalls stets so empfunden, geführt. Ich kann es absolut nachvollziehen, wenn sich Menschen bei hohen Anforderungen (äußeren wie auch den eigenen) in Alkohol oder Drogen, übermäßiges Essen oder was auch sonst noch flüchten. Eine Flucht ist oft sogar der bessere Weg. Unnötige Konfrontation oder Kampf um des Kampfes willen, je älter ich geworden bin, umso unnötiger ist es mir erschienen. Genauer ausgedrückt: man kann seine Kräfte sinnvoller einsetzen. Es gibt so viel Schönes und Lohnendes auf unserer gemeinsamen Welt. Ziele finden, geeignete, das zugegebenermaßen ist manchmal nicht gerade einfach, wenn nicht gar höllisch schwer. Einerseits jedoch glaube ich nicht an die Hölle, und andererseits kann es ja Befruchtung oder Hilfe von außen geben, von küssen-der Muse zu träumen, ist womöglich ein wenig übertrieben.

Auf dem Fensterbrett vor mir stehen sieben unterschiedliche Blumentöpfe. Einen davon nutzen neuerdings Ameisen, sie transportieren und verteilen die Erde. Interessanter-weise bleibt die Erde der anderen Behältnisse unberührt, ich kann mir keinen Reim darauf machen, denn die Pflege der Pflanzen ist nicht mein Ressort. Ich habe ein kleines bisschen Erde entsorgt, die auf der Heizung lag, mehr unternehme ich da erstmal nicht. Ich möchte kein Lebewesen töten, wenn es nicht sein muss. Das gilt auch für Spinnen, vor denen ich als Kind Angst hatte. Mittlerweile habe ich nur noch einen bewussten Respekt vor ihnen. Die Spinnweben entferne ich schon ab und an. Bewusst ist mir in diesem Zusammenhang natürlich, dass mein Wurst- und

Fleischkonsum in mittelbarer Weise auch zum Töten von Tieren beiträgt, überdies esse ich manchmal Fisch und besitze Lederprodukte - da stelle ich meinen Genuss an höhere Stelle. Egoismus pur, aber ein eher gesunder. Ein le-bensbejahender in jedem Fall. Schließlich bringt sich der absolute Tier- und generell Umweltschützer am besten gleich um. In letzter Konsequenz der einzige Weg. Wir Menschen sind nicht gut für die Umwelt und die Erde insgesamt. Aber wenn jeder einzelne ein wenig das in seiner Macht Stehende veranlasst oder vollzieht, um Tiere, Pflanzen und Ressourcen zu schonen, dann ist das schon sehr erstrebenswert (der Selbstmordausspruch gerade eben kommt nicht von mir, ich habe nur jemanden sinngemäß zitiert). Ohne gelobt werden zu wollen, möchte ich in dem Zusammenhang erwähnen, dass wir freitags normalerweise weder Wurst noch Fleisch essen, das hat sich einfach so ergeben, hat nichts mit Religion zu tun und gilt nicht für unsere schwarze Kleine, die immer Fleisch bekommt, wenn sie es verlangt. Am vergangenen Sonntag gab es für uns Zweibeiner ein Gericht mit Eiern - ansonsten weder Wurst noch Fleisch, ich enthalte mich aber jetzt jeglicher ethischer und/oder philosophischer Betrachtung. Nicht ver-kneifen will ich mir hingegen den Hinweis, dass wir die Uhr bestellt haben, wobei ich freilich, wie so oft, eher der vergnügte Zuschauer war. Was heißt hier „eher“, ich war der nicht stille Beobachter des Vorgangs. Jetzt pfeife ich mir kurz einen vor, warte auf den Küchenboden, der schnell trocknen soll, und gehe wieder zu meiner Routine über, die mich wenigstens ganz kurz bei diesem tollen

Wetter nach draußen führt. Zweimal, um genau zu sein, denn ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, gleich nach Erhalt bzw. Wegräumen der gelieferten Güter (wie sollte man die vom Bringdienst hergeschafften Sachen auch sonst nennen) nochmals runterzugehen und die zum Transport verwendeten Papiertüten wegzuwerfen. Wiederverwend-bare Tragetaschen haben wir noch in genügender Menge.

Und wir haben sie auch immer dabei, wenn wir samstags mit unseren Rucksäcken einkaufen gehen, also nicht alle natürlich, ein fußläufiger Einkauf für eine größere Familie steht sicherlich auf einem anderen Blatt, was Menge und demzufolge mit Sicherheit auch Stress anbelangt.

Nach dem Wochenende ist vor dem Wochenende, das stimmt zwar, vermittelt aber einen falschen Eindruck.

Selbstverständlich sehne selbst ich als Hausmann ab und zu ein Wochenende herbei, die einzelnen Tage unter der Woche haben jedoch auch ihren jeweiligen Reiz. Und so bedeutet der Montag in meinem Fall, dass umfangreichere Körperhygiene als gewöhnlich auf dem Programm steht, genauso wie ein nicht alltäglicher Kleidungswechsel. Es heißt zudem, dass die Zeit wieder im Großen und Ganzen alleine strukturiert werden will. Und auch unser abendli-cher Speiseplan kehrt zu einem bereits am Sonntag zu einem Teil vorbereiteten gesunden Gericht zurück, welches wir vier Tage lang hintereinander essen. Das machen wir seit langer Zeit schon so, und das hat den Vorteil, dass man keine diesbezügliche Entscheidung treffen muss. Es schmeckt auch ganz gut. Doch nach vier Tagen freuen wir

uns dann auch wieder auf etwas Anderes. Zurück zum heutigen Montag: Grauer Burgunder, schön gekühlt, mit Sprudelwasser zu Schorle verdünnt – auch für einen Rotwein-trinker wie mich ab und an mal sehr lecker. Angst um meine Leberwerte habe ich nicht. Die letzte Kontrolle derselben liegt auch schon ein paar Jahre zurück. Man übertreibt es leicht mit dem Bedürfnis, immer alles zu kontrollieren oder gar absichern zu wollen. Ein Sicherheitsbedürf-nis, ja, das verstehe ich gut, auch besser als früher, ich schnalle mich bereitwillig an, wenn ich denn mal in einem Auto sitze; mich stört der Gurt nicht, und ich will so sicher wie möglich unterwegs sein, eine allgemeine Gurtpflicht im womöglich eigenen Fahrzeug daraus zu erheben, zu kontrollieren (und abzukassieren), das halte ich hingegen für Unfug. Gleiches gilt für die Helmpflicht für Motorrad-fahrer. Jeder Mensch hat von Natur aus das Recht, Risiken einzugehen. Das macht eben manchmal mehr Spaß als immer auf der sicheren Seite zu bleiben. Die Frage, wie sich die Allgemeinheit dann an etwaigen Kosten beteiligen sollte, wenn denn doch mal etwas schiefgegangen sein sollte, das steht selbstverständlich auf einem ganz anderen Blatt. Dem Grunde nach bleibe ich dabei: je weniger öffentliche Pflichten, desto besser. Den Rundfunkbeitrag z.

B. kann man doch problemlos aus irgendeinem Steuerpos-ten heraus ersetzen. Da gäbe es noch so manches anzufüh-ren, wo man Dinge regelt, indem zusätzlich, komplizierte Verfahrensweisen geradezu zelebriert werden, fast schon um ihrer selbst willen, womöglich, weil man das schon immer so gemacht hat. Um nicht missverstanden zu werden,

es gibt großartige regelungsbedürftige Errungenschaften (etwa die Möglichkeit einer allgemeinen gesetzlichen Krankenversicherung), die man bewahren und in zeitgemäßer Weise weiterentwickeln kann, ohne dabei zu übertreiben.

Beweglichkeit und vollzogene Bewegung sind elementar wichtig. Sowohl für die kleinsten subatomaren Teilchen als auch für das gesamte Weltall (jedenfalls soweit wir Menschen davon etwas verstehen). Selbst ich als überzeugter Sesselsitzer räume deren Wichtigkeit für unser körperliches Wohlbefinden gerne ein, und nicht nur für dieses, sondern auch für unser geistiges Wohl. Es ist toll, wenn man genau weiß, was man will und wo man es finden kann; eine gewisse Offenheit (und sei es nur in den scheinbar unbe-deutendsten Angelegenheiten) schadet sicherlich niemandem, auch sich selbst gegenüber. Vorurteile gehören frag-los zum Leben dazu, aber man kann sich in ihnen verlieren.

Eine Balance zwischen Freiheit und Sicherheit unter Rücksichtnahme auf die Gesamtheit der übrigen Individuen - damit stelle ich mir ein bewusstes und gleichzeitig schönes Leben inmitten einer bunten Gesellschaft gerne vor. Ein Nebeneinander von verschiedenen Ansichten will freilich erst einmal geübt sein, womit ich wieder bei vollzogener Bewegung und Beweglichkeit angekommen bin. Beispielsweise bin ich öfter umgezogen, und das tat mir sehr gut.

Mittlerweile leben wir allerdings schon seit vielen Jahren in derselben Wohnung, was wiederum auch seine Vorteile hat. Und ein Leben lang Miete zu zahlen, das finde ich

absolut in Ordnung, den unbedingten Wunsch nach eige-nem Immobilienbesitz habe ich nicht. Ich spiele regelmäßig in einer Lotterie mit und stelle mir hin und wieder vor, was ich mit viel Geld anfangen würde, da kommt mir dann aber nicht in den Sinn, mich selbst an Wohn- oder Vermiet-eigentum zu binden, um was sich ja andauernd zu kümmern wäre, ich kann mir wahrlich besseres vorstellen als eine hausgemachte Zusatzbelastung. Aber wer weiß schon, was man machen würde. Das jedenfalls wären Geldprobleme, die die meisten bestimmt gerne hätten. Apropos wünschenswerte Probleme, der restliche Tag will in entspannter Art genutzt werden. Das Fernsehen wird mir da hilfreich sein - Langeweile kommt normalerweise nicht mal dann auf, wenn es sich beim ausgewählt Angeschauten um Wiederholungen handelt. Was umso mehr gilt, wenn ich gleichzeitig im Internet surfe.

Der Einkauf fiel ein wenig größer aus, jedenfalls für einen üblichen unter der Woche. Das liegt daran, dass wir kommenden Samstag nicht losziehen können, denn alles hat dann infolge eines Feiertags zu. Wir werden Freitagabend zum Einkaufen nutzen, wollen aber aufgrund des kleineren Zeitfensters nur in einen Laden gehen. Also habe ich heute an anderer Stelle ein bisschen vorgearbeitet. Auch wenn ich kaum feste Termine habe, so gebrauche ich übrigens dennoch einen handlichen Taschenkalender, in den ich alles Mögliche reinschreibe, eher Wichtiges wie etwa Ge-burtstage oder eben auch solche Unerheblichkeiten wie zu kaufende Zutaten. Ein gewisses Kontrollbedürfnis, was

über die tägliche Überwachung des gemeinsamen Kontos hinausgeht, ist mir mithin nicht fremd. Bezüglich letzterem macht einem das Online-Banking die ganze Sache freilich auch sehr einfach - ich muss mir schon beinahe bewusst im Vorfeld vornehmen, den morgendlichen Blick auf unsere Finanzen mal ausfallen zu lassen. Und ich gebe zu, dass ich oft auch mehrmals an ein und demselben Tag nachsehe, wobei mehrmals nun auch wieder etwas übertrieben ist, es kommt immer ein bisschen drauf an, welche Ausgaben gerade oder in nächster Zeit anstehen, aber mehr als einmal ist nicht ungewöhnlich. Bin ich außerhalb der Wohnung, stellt sich die Frage gar nicht erst, da ich kein modernes Mobiltelefon besitze, ich habe ein älteres tragbares Notfall-telefon, was sich immer ausgeschaltet in einer Jackentasche befindet. Die Rufnummer kenne ich nicht auswendig, in größeren Abständen lade ich den Akku bis zur Vollständig-keit auf, falls das mal angezeigt ist, oder ich tätige auch mal einen kurzen Anruf. Wenn ich schon so ein Ding habe, dann soll es schließlich auch funktionieren, wenn ich es denn doch mal benutzen sollte, was auch schon (etwa im Rahmen einer Reise) vorgekommen ist. Alle (ich meine) 15 Monate in etwa schreibt der Anbieter, dass die Karte ungeachtet des verbliebenen Guthabens aufgeladen werden muss, will man den Vertrag weiterführen. Aber das ist ein Beispiel für eine Ungerechtigkeit (ein großes Wort), wo sich keine Aufregung lohnt. 10 Euro überweisen und wieder für mehr als ein Jahr Ruhe haben, wenn doch nur alles so einfach wäre. Einfach großartig ist übrigens wieder mal das Wetter. Dieser April soll bisher einer der kältesten,

wenn nicht der kälteste seit der Wetteraufzeichnung überhaupt, gewesen sein und ja, er zeigte sich des Öfteren wechselhaft launisch, aber er ist fast rum und war ungeachtet dessen ein gern gesehener Verkünder einer nahenden helleren Zeit für uns alle. Man blicke dieser Tage nur einmal nach England, wo mein Schatz nebenbei bemerkt gebürtig herkommt. Sein Deutsch ist im Gegensatz zu meinem Englisch hervorragend, und er besitzt seit über drei Jahren zusätzlich die deutsche Staatsangehörigkeit, um eventuellen Schwierigkeiten aufgrund des Brexits aus starker Position heraus zu begegnen.

DVDs und Videokassetten befinden sich im Wohnzimmer, werden aber kaum in Anspruch genommen. Das moderne Home-Entertainment bietet schließlich so einiges an Möglichkeiten. Es ist schon lange her, dass ich in einer Videothek war, ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, ob es sowas überhaupt noch gibt. In der Bergmannstraße jedenfalls ist keine mehr. Aber ich weiß noch ganz genau, wie ich in einer Videothek den ersten Videofilm gekauft bekam, er kos-tete fast 100 DM, eine unglaubliche Summe damals. Auch wenn es kein großer Klassiker ist, so habe ich die Kassette doch über die Jahrzehnte aufbewahrt, obwohl ich glücklicherweise nur selten nostalgisch gestimmt bin. Als Kind war ich im Gegensatz zur Gegenwart ziemlich up to date, ich kann für meine Kindheit nur dankbar sein - meckern kann man immer über irgendetwas, es wäre in meinem Fall aber schlicht unfair meinen Eltern gegenüber oder auch hinsichtlich meiner damaligen Freundschaften. Man ist halt

durch seine Herkunft geprägt, es liegt an einem selbst, ob man lieber bei dem Bekannten bleiben möchte, oder ob man eher neue Wege beschreiten will, ich kann da beides gut nachvollziehen. Rebellische Phasen können fruchtbare sein, sie können aber auch ins Unglück führen.

Vom Schlafzimmer aus habe ich gerade in den zweiten Hinterhof gesehen, in dem zwei mittlerweile grün blühende Kastanienbäume stehen. Als ich ans Fenster trat, wandte unsere im Bett liegende Katze ihren Kopf in meine Richtung. Ich empfinde solche Momente geradezu als idyllisch, zwar alles andere als spektakulär zu nennen, aber dafür real und von einiger Beständigkeit, was ja fast als Widerspruch in sich erscheinen könnte. Einen Balkon haben wir übrigens nicht, es wäre schon schön, muss aber auch nicht sein.

Wir halten deshalb jedenfalls nicht Ausschau nach einer anderen Bleibe. Die anderen Mietparteien in unserem Teil des Gebäudes sind sehr angenehm und schon längst so gut bekannt, dass man sich gewöhnlich grüßt, gegenseitig ein Päckchen annimmt oder ein Schwätzchen im Treppenhaus oder draußen über dies und jenes abhält. Altbauwohnungen sind oft hellhörig, so auch unsere, dennoch haben wir keine Probleme mit Lärm, weder durch unsere Nachbarn noch von der Straße her. Im Hinterhaus zu wohnen, hat auch mal seinen Vorteil. Gegenüber den hier lebenden Kindern und jüngeren Erwachsenen kann ich genauso wenig Schlechtes berichten wie über die Älteren.