Die Todesbotin - Carina Schnell - E-Book
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Carina Schnell

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Beschreibung

Die junge Banshee Eerie arbeitet als Auftragskillerin für den Ältestenrat der magischen Wesen in Edinburgh. Sie ist berühmt-berüchtigt, und eine große Karriere steht ihr bevor – wäre da nicht die Tatsache, dass Eerie es ein wenig zu sehr genießt, unter Menschen zu leben. Als sie auf den Doktoranden Adam angesetzt wird, zögert sie zum ersten Mal, einen Auftrag auszuführen, denn sie ist von Anfang an von ihm fasziniert. Adam ist liebenswürdig und mutig und erscheint so gar nicht wie jemand, der es verdient hätte zu sterben … Als eine grausame Mordserie die Stadt erschüttert, muss Eerie handeln, um zu beschützen, was ihr lieb und teuer geworden ist – und dabei alles hinterfragen, was sie bisher zu wissen glaubte.

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© Piper Verlag GmbH, München 2023

Redaktion: Anika Beer

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Guter Punkt, München

Coverabbildung: Kim Hoang, Guter Punkt München unter Verwendung von Motiven von istock/Getty Images Plus und Shutterstock

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Eine Woche später

Danksagung

Glossar gälischer Begriffe

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Literaturverzeichnis

Für Sarah

Du weißt, warum

Kapitel 1

Düstere Wolken zogen über den Himmel, getrieben vom ewigen Wind. Hier, in den Weiten der Highlands, war er allgegenwärtig. Mal peitschte er das spröde Gras, mal streichelte er es sanft. Und er spielte unablässig mit meinem Haar.

Ich kniete am Ufer eines Sees. Die Wolken zogen über die Oberfläche, perfekte Abbilder ihrer Gegenstücke am Himmel. Langsam tauchte ich die Fingerspitzen ins Wasser, erschuf kleine Wellen, die das Spiegelbild verzerrten. Eisige Kälte prickelte auf meiner Haut und verband sich mit dem vorfreudigen Kribbeln in meinem Inneren. All meine Sinne waren auf meine Aufgabe gerichtet, den Grund meines Aufenthalts an diesem seelenverlassenen Ort. Eigentlich hatte ich es rasch hinter mich bringen wollen, um schnellstmöglich wieder in die Zivilisation zurückzukehren, aber es fühlte sich überraschend gut an, wieder in den Highlands zu sein. Obwohl ich die endlose Weite und den tosenden Wind bereits vor Jahren hinter mir gelassen hatte, war alles nach wie vor vertraut. Die Luft schmeckte nach Heimat.

Plötzlich spürte ich noch etwas anderes Vertrautes, ein leichtes Pulsieren, das vom Wasser ausging. Der Geruch von Eisen und Weißdornblüten stieg mir in die Nase. Er vermischte sich mit dem Salzduft des nahen Meeres. Ich beugte mich vor und brachte mein Gesicht dicht an die Oberfläche. Dabei fiel mir das lange Haar über die Schultern. Die dunklen Spitzen waberten im Wasser wie Laichkraut.

Der Loch war so tief, dass er tintenschwarz wirkte. Trotzdem machte ich Bewegungen in der Dunkelheit tief unter mir aus. Ein leuchtendes Auge, ein langer Schweif, geschlitzte Kiemen. Meine Anwesenheit hatte die Bewohner des Sees angelockt. Wahrscheinlich hofften sie, etwas von meiner Beute abzubekommen.

»Nicht heute«, murmelte ich entschuldigend.

Dann hob ich den Kopf und strich mir das Haar hinter die Ohren, um zu lauschen. Noch war nichts zu hören als das Seufzen des Windes und der Schrei eines Falken. Nebelschwaden zogen zwischen den Bäumen hindurch, griffen mit eisigen Fingern nach meinen nackten Armen. Die Luft lag wie ein schweres Tuch über allem. Bald würden sich die Wolken ihrer Regenlast entledigen. Ich plante, bis dahin längst fort zu sein.

Mit den Augen suchte ich das nahe Birkenwäldchen nach einer Bewegung ab. Die moosüberzogenen Stämme drängten sich dicht an dicht, halb verkümmert an diesem windgepeitschten Ufer.

Da raschelte es im Unterholz.

Mein Kopf ruckte herum, meine Nasenflügel blähten sich. Ein grimmiges Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus, als sich das vorfreudige Kribbeln in mir verstärkte. Ich begab mich in Position, halb dem Loch und halb dem Birkenwäldchen zugewandt. Das schwarze Kleid breitete ich wie einen Fächer um mich aus. Mit den Fingern ertastete ich den Stoff des Hemdes, das neben mir im Gras lag.

Der Mensch näherte sich mir, wie Sterbliche es immer taten: Viel zu laut stampfte er durchs Unterholz, ohne Rücksicht auf die Tiere und Pflanzen in seiner Umgebung. Ein Specht flatterte auf, ein Hase huschte davon, eine Hochlandmaus zog sich in ihr Loch zurück.

Der Mensch hielt nicht einmal inne.

Jetzt konnte ich seinen rasselnden Atem hören. Sein Geruch nach Schweiß und feuchter Baumwolle drang mir in die Nase. Ich krallte die Finger in das Hemd, an dem noch ein wenig Körperwärme haftete. Nach einem letzten Blick über die Schulter tauchte ich den Stoff ins eisige Wasser des Sees. Abermals fuhr mir die Kälte wie ein Schock in die Glieder, und eine Gänsehaut breitete sich auf meinen nackten Armen aus. Doch mein Grinsen wurde nur noch breiter. Tief tauchte ich das Hemd des Sterblichen ins Wasser, rieb damit über die Steine am Ufer. Dabei summte ich eine verheißungsvolle Melodie vor mich hin.

Das Lied hatte ich bereits als Kind gekannt – eins der ersten Dinge, die ich an der Akademie gelernt hatte. Es erzählte von Schmerz und Verderben, von Todesqualen und dem letzten Aufbegehren gegen das Unausweichliche. Es handelte von der ablaufenden Lebenszeit des Sterblichen, der nun hinter mir durch die Bäume ans Ufer trat. Das Geräusch seiner Schritte brach abrupt ab.

Ohne hinzusehen, wusste ich, dass sein Blick auf das einst zinnoberrote Hemd in meinen Händen fiel. Nun, da es vollständig durchnässt war, hatte es die Farbe von getrocknetem Blut angenommen. Es war sein Hemd. Sein Geruch haftete daran, selbst jetzt noch, als der feuchte Stoff in meinen Händen schwer wurde.

Ich genoss, wie der Sterbliche schockiert den Atem anhielt, wie sein Herz schneller schlug. Sein Blick musste zwischen mir und dem Hemd hin- und herschießen.

Mein Lächeln wurde bedrohlicher, während ich mich zu ihm umdrehte. Als er mein Gesicht sah, entwich dem Mann ein spitzer Schrei. Er taumelte einige Schritte rückwärts und riss die Hände in die Höhe, als könnte er sich so vor mir schützen.

»Ich verkünde deinen Tod«, sagte ich mit schnarrender Stimme und funkelnden Augen. »In drei Tagen schlägt deine Stunde.« Bereits jetzt freute ich mich darauf, den Worten Taten folgen zu lassen, wenn ich ihn in drei Tagen aufspürte und tötete.

Der Mann schüttelte heftig den Kopf, griff sich an die Kehle. Hässliche rote Flecken hatten sich auf seinem Gesicht ausgebreitet, sein Atem ging stoßweise.

Mein Blick bohrte sich in seinen, ich brannte meine Botschaft in seine Seele. Er musste verstehen. Seine Tage waren von diesem Augenblick an gezählt. Es gab kein Entrinnen. Dieser Mann war das Zielobjekt des Rats, und er würde sterben, wie so viele Menschen vor ihm – durch meine Hand.

Der Mann starrte mich mit aufgerissenen Augen an. »Bean nighe«, entfuhr es ihm. Es war kaum mehr als ein ersticktes Keuchen. Ich nickte knapp und zeigte ihm meine spitzen Eckzähne. Er zitterte am ganzen Körper, der beißende Gestank von Urin drang mir in die Nase. Einen kurzen Moment starrte er mich noch mit geweiteten Pupillen an, dann warf sich der Sterbliche herum und rannte davon, als könnte er seinem Schicksal entfliehen. Ich sah ihm nach, bis er zwischen den Bäumen verschwand. Kaum vorstellbar, dass dieser verängstigte Mann mir und den meinen in Zukunft gefährlich werden könnte, wenn ich ihn nicht ausschaltete.

Erneut wandte ich mich dem Loch zu und ließ das Hemd los. Es wurde vom finsteren Wasser verschlungen. Etwas schoss heran und schnappte nach dem Stoff. Kurz darauf wurde das Hemd in die Tiefe gerissen. Sollten sich die Kelpies darum streiten.

Zufrieden stand ich auf und klopfte mir feuchte Erdbrocken vom Rock. Mit einem erleichterten Seufzen zog ich mir dann das Kleid über den Kopf. Immer wenn ich das rüschenbesetzte Monstrum aus dem vorletzten Jahrhundert abstreifte, fühlte ich mich zehn Kilo leichter. In den geschmeidigen Lederleggings und dem schwarzen Top, die ich darunter trug, konnte ich mich viel freier bewegen, aber das Kleid war Teil der Show für die Sterblichen.

Ich rückte den sgian dubh, meinen schwarzen Dolch, an dem Waffengurt um meine Hüfte zurecht und vergewisserte mich, dass sich meine sieben Wurfmesser weiterhin an ihren Plätzen befanden – vier in und an meinen Stiefeln, zwei an den Außenseiten meiner Oberschenkel, eins in meinem Ausschnitt. Das Haar flocht ich mit geübten Handgriffen zu einem Zopf und pustete mir den Pony aus der Stirn.

Dann sah ich mich um und versuchte mich zu erinnern, in welcher Richtung die nächste Menschensiedlung lag. Sie war zwar mehrere Meilen entfernt, aber ein Glas Whisky im Pub war genau das, was ich jetzt brauchte. Vielleicht auch mehr als eins, schließlich hatte ich nun drei Tage totzuschlagen, bevor ich den Auftrag beenden, den Sterblichen jagen und töten konnte. Drei Tage mitten im Nirgendwo.

Ich wandte mich in die Richtung, in der ich das Dorf vermutete. Allein bei dem Gedanken daran, wie sich der rauchige Geschmack des Whiskys auf meiner Zunge ausbreitete, brach das Belohnungssystem meines Gehirns in Jubel aus. Für Menschen hatte ich zwar nicht viel übrig, dafür aber für ihre Spirituosen.

Als ich mich vom Loch entfernen wollte, hörte ich ein Summen in der Luft und blieb abrupt stehen. Zuerst war es nicht mehr als ein fernes Vibrieren. Ein Mensch hätte es überhört.

»Scheiß mich ein Goblin an«, fluchte ich. Warum ausgerechnet jetzt?

Das Geräusch schwoll zu einem Brausen an, sodass ich mir am liebsten die Ohren zugehalten hätte. Stattdessen starrte ich der Wolke entgegen, die sich mir übers Wasser näherte. Von Weitem hätte man meinen können, dass es sich um einen Libellenschwarm handelte – ich wusste es besser.

Pixies.

Auch wenn sie auf den ersten Blick niedlich wirkten, waren die winzigen Wesen von Natur aus blutrünstig. Sie jagten stets im Rudel. Dabei waren sie so tödlich, dass sie mit ihren spitzen Reißzähnen einen Hirschkadaver innerhalb von Sekunden abnagen konnten. Deshalb waren sie auch als Piranhas der Lüfte bekannt.

Wie immer eilte den Pixies ihr Gestank voraus. Der für unsere Art typische Duft nach Eisen und Weißdorn wurde von ihrem bestialischen Mief nach verwesendem Fleisch und Gedärmen überlagert. Immer größer wurde die dunkle Wolke, immer unerträglicher der Gestank.

Weglaufen war zwecklos.

Ein Sturm kam auf, sodass ich blinzeln musste. Strähnen lösten sich aus meinem Zopf. Ich konnte gerade noch die Luft anhalten, bevor ich von der riesigen Wolke verschluckt wurde. Dutzende pelzige Leiber mit langen Gliedmaßen und klauenbewährten Fingern streiften meine Arme und Wangen, verhedderten sich in meinem Haar und verirrten sich in meinen Ausschnitt. Ganz aus Versehen natürlich.

»Haltet Abstand, oder ich schlitze euch auf!« Ich wedelte drohend mit den Händen. »Das habe ich euch schon tausendmal gesagt!«

Natürlich war mir bewusst, dass mich die Pixies entwaffnet hätten, lange bevor ich nach meinem Dolch hätte greifen können. Keckerndes Gekicher ertönte. Sie wussten es so gut wie ich. Seelenlose kleine Drecksviecher!

Wie auf einen lautlosen Befehl hin, stob die Wolke auseinander, verzog sich hoch am Himmel zu seltsamen Formationen, schoss dann herab und schwebte schließlich vor mir über dem See. Auf der unbewegten Wasseroberfläche wirkte der Schwarm wie das Spiegelbild einer weiteren Regenwolke, die sich unablässig verformte.

»Das ist aber keine nette Begrüßung, Eerie«, ertönte eine hohe, kratzige Stimme. Knochenbrecher, der Anführer des Schwarms, löste sich aus der Masse aus bläulichen Leibern und schillernden Flügeln. Der Pixie schwebte so dicht vor meinem Gesicht, dass ich seine nadelspitzen Zähne sah, als er mich angrinste. Er war nicht viel größer als meine Hand, sein filigraner Körper war von Kopf bis Fuß mit flauschigem lilafarbenem Fell bedeckt. Die libellenartigen Flügel bewegten sich so schnell, dass ich sie mit bloßem Auge nicht erkennen konnte.

»Ich würde sagen, angesichts eurer fehlenden Manieren war die Begrüßung mehr als angemessen.« Demonstrativ fasste ich meine nach allen Seiten abstehenden Haare zusammen und flocht den Zopf neu.

Der Schwarm lachte im Chor. Ein hoher, misstönender Laut, bei dem sich die Härchen an meinen Armen aufstellten. »Was gibt es?« Ich funkelte Knochenbrecher an.

Er bleckte die Zähne. »Wir haben eine Nachricht für dich.«

»Ach, wirklich?« Ich verdrehte die Augen. Natürlich hatten sie Neuigkeiten für mich. Pixies wurden allgemein als Boten eingesetzt. Sonst hätte sich wahrscheinlich niemand freiwillig mit ihnen abgegeben.

Knochenbrecher umflatterte mich, sodass ich ihn aus den Augen verlor, während er sprach. »Willst du denn gar nicht wissen, was der Rat dir zu sagen hat?«

»Dein Ernst?« Ich stemmte die Hände in die Hüften. »Ich dachte, dieses Spiel würde dich irgendwann langweilen, aber da habe ich dich wohl überschätzt.«

Er surrte nah an meinem Kopf vorbei, und ein scharfer Schmerz zuckte durch mein Ohrläppchen. Verflixter kleiner Bastard.

Ich zückte meinen sgian dubh. Die schwarze Klinge des Dolchs blitzte im fahlen Tageslicht auf.

»Nun rück schon mit der Nachricht raus, damit ich endlich von hier verschwinden kann«, knurrte ich.

Knochenbrecher kicherte an meinem Ohr. Ich fuhr herum, riss den Dolch in die Höhe, doch er war längst fort.

»Was machst du überhaupt hier, mitten in den Highlands, Eerie? Das ist doch normalerweise nicht dein …« Er suchte nach dem passenden Wort. »Milieu.«

»Das geht dich nichts an.«

»Lass mir doch meinen Spaß. Eine Information für eine andere. Du weißt, wie gern ich verhandele.«

»Mit dem kleinen Unterschied, dass du mir deine Botschaft so oder so übermitteln musst. Unser Arbeitgeber wird dich nicht so nett behandeln wie ich, wenn du unverrichteter Dinge zu ihm zurückkehrst.«

»Nett?« Knochenbrecher keckerte erneut. »Das nennst du nett?«

Verbissen suchte ich die Luft ab, konnte aber nichts als ein Glänzen im Augenwinkel erkennen. Der Mistkerl war einfach zu schnell. »Na schön, wenn du es unbedingt wissen musst: Ich bin hier, weil ich für eine Kollegin einspringe. Sie wurde bei ihrem letzten Auftrag von dem Sterblichen angegriffen, dessen Tod sie angekündigt hat.« Mit erhobenem Dolch drehte ich mich einmal um mich selbst. »Jetzt bist du dran.«

Über meinem Kopf schnalzte Knochenbrecher tadelnd mit der Zunge. Mit der linken Hand griff ich nach ihm, spürte aber nur noch einen Lufthauch.

»Ich frage mich bloß, was mit dir nicht stimmt, weil du so schnell von hier verschwinden willst«, trällerte er. »Du bist doch eine bean nighe. Eigentlich müsste das hier dein natürlicher Lebensraum sein. Jede Menge Bäche, Flüsse und Lochs, um die Kleider der zukünftigen Toten zu waschen.«

Ich lachte verächtlich, um meine Überraschung zu überspielen. Ich hatte zwar gemeint, dass ich von diesem Seeufer verschwinden wollte, um den Pixies zu entkommen, doch Knochenbrecher hatte die tiefere Bedeutung meiner Worte aufgedeckt. Das hatten Pixies so an sich. Sie erschnüffelten Unwahrheiten. Selbst wenn es sich um Lügen handelte, die man sich selbst erzählte.

Ich konnte nicht leugnen, dass mir die Stadt fehlte. Dass ich mich zwar nicht nach den Menschen, aber verblüffenderweise nach den übervollen Geschäften, den engen Gassen, den Restaurants und Kinos und selbst nach ihren stinkenden Autos sehnte. Doch das würde ich diesem arroganten Taugenichts sicher nicht auf die Nase binden.

»Natürlich bin ich eine bean nighe, sonst würde ich wohl kaum für eine einspringen«, schnappte ich. »Aber in erster Linie bin ich eine Agentin des Rats.« Ich spürte ein federleichtes Gewicht an meinem linken Schlüsselbein und schnipste Knochenbrecher von meiner Schulter wie eine lästige Fliege. »Und als solche verlange ich von euch, mir sofort die Nachricht zu übermitteln.«

»Ist ja schon gut.« Knochenbrecher tauchte wieder vor meinem Gesicht auf. Beleidigt streckte er mir die Zunge raus. Dann wandte er mir sein pelziges Hinterteil zu und flitzte zurück zu seinem Schwarm. Das ohrenbetäubende Summen der Flügel raubte mir den letzten Nerv.

Ein anderer Pixie löste sich aus der Masse und flatterte zu mir. Er hatte hellblaues Fell mit einigen kahlen Stellen, die versengt aussahen. Der Herold. Wenn ich mich recht erinnerte, war sein Name Hirnschlürfer.

Er räusperte sich. »Eerie vom Clan des Todes«, verkündete er mit wichtigtuerisch vorgereckter Brust. »Der Älteste Gideon, ehrenwerter Hexer und Vorsitzender des Clans des Lebens, befiehlt dir, unverzüglich nach Edinburgh zurückzukehren, um einen neuen Auftrag auszuführen.«

Ein neuer Auftrag? In der Stadt? Vor Erleichterung sackte ich ein wenig in mich zusammen. Edinburgh. Endlich wieder Stadtluft. Endlich wieder Pizza und Coffeeshops und Yoga im Park …

Ich bemühte mich, meine Gesichtszüge neutral zu halten. »Und darum hast du so viel Aufheben gemacht?« Ich funkelte Hirnschlürfer an, der empört die pelzige Stupsnase rümpfte und zurück zum Schwarm flog. Grundsätzlich war es keine gute Idee, den Stolz eines Pixies zu verletzen.

Aufgebrachtes Gemurmel ertönte aus der flirrenden Wolke. Alle riefen durcheinander.

»Wie kann sie es wagen?« Ich glaubte, Seelenfressers Stimme zu erkennen.

»Hör nicht auf sie!«

»Das hast du toll gemacht, Hirnschlürfer!«

»Sollen wir ihr eine Lektion erteilen?« Das war eindeutig Todesbringer.

»Nein, nein!« Ich hob abwehrend die Hände. Mit Schrecken erinnerte ich mich an das eine Mal, als Herzzerfetzer mich vor Jahren gebissen hatte. Die Narbe der zwei winzigen Einstiche war bis heute nicht verblasst. »Ist schon gut. Habt ihr die Infos zu meinem neuen Auftrag dabei?«

»Du wirst in drei Tagen zurück in Edinburgh erwartet.« Ich zuckte zusammen, als die Stimme dicht an meinem Ohr ertönte. Irgendwie war es Knochenbrecher schon wieder gelungen, unbemerkt an mich heranzufliegen. »Genug Zeit, um deinen aktuellen Auftrag zu Ende zu bringen. Vor Ort bekommst du dann alle Details.«

»Und wer führt meine Arbeit in den Highlands zu Ende? Ursprünglich sollte ich länger hier stationiert sein.«

»Lass das die Sorge des Rates sein.«

»Okay, verstanden.« Ich wedelte mit den Händen. »Ihr habt euren Auftrag erledigt, die Nachricht wurde überbracht. Jetzt könnt ihr wieder abzischen.«

Weiteres empörtes Gemurmel setzte ein, doch die Wolke stob auseinander. Ein gutes Zeichen.

»Wir werden wieder mit dir in Kontakt treten, wenn die Zeit gekommen ist«, verkündete Knochenbrecher.

Ich musste mich zusammenreißen, um nicht nach ihm zu schlagen, als seine Flügel meine Schläfe streiften. »Alles klar, tschüss dann. Guten Flug, mögen die Winde mit euch sein und so.«

Das Surren der Wolke schwoll an und wurde zu einem ohrenbetäubenden Brausen. Wie ein Hornissenschwarm rasten die Pixies auf mich zu, sodass ich mich instinktiv ins Gras fallen ließ. Für ein paar Sekunden bestand meine Welt ausschließlich aus dem Sausen unzähliger Flügel, dann war es plötzlich vorbei.

Ich öffnete die Augen und hob den Kopf. Es war, als wäre nie etwas gewesen. Ich befand mich wieder allein am Ufer des Loch. Um mich nichts als Stille.

Ohrenbetäubende Stille.

Wie schon seit zwei Wochen.

Aber nicht mehr lange.

Grinsend sprang ich auf. »Edinburgh, ich komme.«

Kapitel 2

Ich hockte auf dem Turm des BalmoralHotels. Ein Geflecht aus graubraunen Häusern und Straßen breitete sich zu allen Seiten um mich aus. So weit oben zerrten wütende Böen an meinem Haar, über mir knatterte die schottische Flagge im Wind. Trotzdem war es hier beinahe friedlich. Selbst der Verkehrslärm der Princes Street drang nur als fernes Rauschen an meine Ohren, obwohl die Straße selbst zu dieser späten Stunde belebt war. Tief unter mir zogen Nebelschwaden träge zwischen den Gebäuden dahin. Unzählige Lichter erhellten die Nacht wie Irrlichter, die dem heraufziehenden Nebel trotzten.

Ich schmeckte die blutige Geschichte der Stadt in der Luft, hörte die Seelen der vielen Toten nach mir rufen. Edinburgh wurde von den Menschen auch »Stadt der Geister« genannt. Besser gefiel mir allerdings »Stadt der daoine sìth«. Denn unter den Sterblichen tummelten sich hier so viele Wesen meines Volkes wie an keinem anderen von Menschen besiedelten Ort. Unbemerkt lebten wir unter ihnen, entweder im Verborgenen oder als Nachbarn und Kollegen.

Ein eisiges Prickeln explodierte auf meiner Stirn. Ich blickte zum Himmel auf, an dem sich schwere schiefergraue Wolken türmten. Keine Spur von Sternen oder Mond. Regentropfen benetzten meine Wangen und Wimpern, ich leckte mir einen von der Oberlippe. Dann richtete ich meinen Blick auf die North Bridge, die New Town und Old Town miteinander verband. Letzteres war mein Ziel.

Der Anblick der sich auf dem Hügel dicht aneinanderdrängenden Häuser bildete einen starken Kontrast zu der schier endlosen Weite der Highlands, die ich gerade erst hinter mir gelassen hatte. Die braunen Steingebäude schienen sich gegenseitig zu stützen, als könnte sie ein einfacher Windstoß in die Tiefe reißen. Unzählige Schornsteine ragten wie die schiefen Zähne im Maul eines Gnoms in den Himmel. An der Spitze des Hügels wurde Edinburgh Castle vom Nebel verborgen. Nur ein verschwommener Fleck im grauen Meer.

Eine kurze Weile schloss ich die Augen, genoss den frischen Wind auf dem Gesicht, das eiskalte Wasser auf der Haut. Selbst den Stadtlärm, die Abgase, die nie endende Geschäftigkeit der Sterblichen.

Hier fühlte ich mich so ganz wie seit Wochen nicht mehr. Mein Körper bebte vor Tatendrang. Ich wollte mich ins Leben stürzen, Teil des regen Treibens der Großstadt werden, im Strom der Sterblichen mitschwimmen. Unerkannt, unentdeckt, unverdächtig.

Eine Sirene heulte durch die Nacht, durchbrach das stetige Regen- und Verkehrsrauschen. Ich öffnete die Augen. Ein Polizeiauto sauste tief unter mir dahin. Es erinnerte mich daran, dass ich mich ebenfalls auf den Weg machen musste.

Tief zog ich mir die Kapuze ins Gesicht und verschmolz mit der Dunkelheit. Behände sprang ich von der Spitze des alten Hotelgebäudes, schlitterte mit den Füßen voran am kuppelartigen Dach des Turms nach unten. Um einem Scheinwerfer zu entgehen, duckte ich mich hinter eine der vielen Steinverzierungen. Dann schwang ich die Beine über eine Balustrade und ließ mich fallen. Meine Füße trafen lautlos auf Stein. Ich huschte über einen schmalen Sims direkt über der riesigen Uhr mit dem schwarz-weißen Ziffernblatt. Es war kurz vor Mitternacht.

Mit geübten Griffen schwang ich mich an einem Wasserspeier vorbei und kletterte an der Außenfassade des Hotels herab. Schnell und unbemerkt wie ein Schatten.

Die Nacht war meine liebste Tageszeit. Wenn ich lautlos über die Dächer Edinburghs huschte, mit der Dunkelheit verschmolz, wenn kein Sterblicher meine Anwesenheit bemerkte, konnte ich voll und ganz ich selbst sein. Wenn ich tagsüber meine Wohnung verließ, wurde ich hingegen zu einer jener Personen, die ich von Kindesbeinen an zu hassen und fürchten gelernt hatte. Denn aus diesem Grund war ich hier: um die vom Rat ausgewählten Zielobjekte umzubringen, bevor sie uns gefährlich werden konnten – als Rekruten der menschlichen Krieger, die uns unerbittlich jagten.

Zu diesem Zweck musste ich mich unbemerkt unter meine Opfer mischen. Ein Wolf im Schafspelz. Die Anpassung gelang mir inzwischen problemlos. Schließlich war sie Teil meiner Ausbildung an der Akademie gewesen. Doch ich erinnerte mich noch gut daran, wie ich zum ersten Mal nach Edinburgh gekommen war. Wie sehr mich all die fremden Geräusche und Gerüche, die grellen Lichter und der beengte Platz verstört hatten. Drei Tage lang hatte ich meine vom Rat zugewiesene Wohnung nicht verlassen, unsicher, ob ich es je schaffen würde, mich in diese fremde Welt einzufügen. Mittlerweile war mein menschliches Alter Ego wie eine zweite Haut, die ich mühelos überstreifte und nicht ganz so leicht wieder ablegte.

Das feuchte Kopfsteinpflaster der Altstadt glänzte im Schein der Straßenlaternen wie poliertes Kupfer. Die Häuser aus graubraunem Stein drängten sich dicht aneinander. Ihre spitzen Giebel reckten sich in den Himmel, hier und dort übertrumpft von einem Kirchturm. Vereinzelt waren noch Sterbliche unterwegs. Gelächter und Musik drang aus den Pubs. Trotz des allgegenwärtigen Hauchs von Tod, der der blutigen Geschichte der Stadt zuzuschreiben war, sprühte dieser Stadtteil vor Leben. Hinter jeder Ecke verbarg sich eine neue Gasse, eine versteckte Treppe oder ein schmaler Innenhof. Hier war es ein Leichtes, ungesehen zu bleiben.

Parallel zur Royal Mile lief ich den Castlehill hinauf, sprang von einem Dach zum nächsten, duckte mich hinter Schornsteine und wich losen Schindeln aus. Jeder Schritt war sicher, dieser Weg war mir so vertraut wie meine eigene Wohnung. Von Schatten zu Schatten huschte ich, schlitterte durch eine Öffnung unter einer Mauer, erklomm eine Regenrinne – nicht mehr als ein gesichtsloser Windhauch.

Ich hangelte mich von einem Dach auf eine Mülltonne und landete in einem verwinkelten Hinterhof. Von dort spähte ich um die Ecke. Mein Ziel befand sich neben dem düster aufragenden Turm der Tolbooth Kirk, nur einen Steinwurf vom Schlossgelände an der Spitze des Hügels entfernt: ein elegantes Stadthaus aus dem sechzehnten Jahrhundert mit hohen Fenstern und einem gedrungenen Eingang, das heutzutage ein luxuriöses Restaurant und Hotel beherbergte. Für uns daoine sìth war das Haus allerdings einer der ältesten magischen Orte Edinburghs, der sich seit Jahrhunderten direkt unter den Nasen der Menschen verbarg. Denn seit seinem Bau lebte und zauberte dort ein Hexenzirkel. Dass die nichts ahnenden Sterblichen das Restaurant The Witcheryby the Castle nannten, amüsierte den Zirkel – und mich – köstlich.

Leise Stimmen erregten meine Aufmerksamkeit. Instinktiv trat ich einen Schritt zurück in die Dunkelheit. Ein Pärchen schlenderte eng umschlungen die Royal Mile in Richtung Edinburgh Castle hinauf, wahrscheinlich auf der Suche nach etwas Zweisamkeit. Sie gingen keine Handbreit von mir entfernt vorbei. Direkt hinter den Sterblichen trat ich auf den Gehsteig. Sie bemerkten mich nicht, waren zu fixiert aufeinander.

Über die Straße huschte ich auf das Stadthaus zu. An der Wand neben dem Eingang hing ein gotisch anmutendes Holzschild mit der Aufschrift Treffpunkt für die Witchery Tour. Aufgrund möglicher Geisterbegegnungen ist die Teilnahme auf eigene Gefahr. Das brachte mich jedes Mal zum Schmunzeln. Wie würden die Sterblichen wohl reagieren, wenn sie jemals herausfänden, dass es keine Geister gab? Dann hätte Edinburgh ein großes Problem, denn die Touristen, die die Stadt aus ebendiesem Grund heimsuchten, würden ausbleiben. Das so sorgfältig aufgebaute Image der Geisterstadt würde in sich zusammenfallen. Manchmal juckte es mich in den Fingern, den Sterblichen ihre Ahnungslosigkeit aufzuzeigen, doch dann würde früher oder später auch meine sorgfältig verborgene Identität auffliegen. Und die Existenz meiner gesamten Spezies wäre gefährdet. Diskretion war mein oberstes Gebot.

Über der hölzernen Eingangstür hing ein oben spitz zulaufendes Schild, auf dem in goldenen Lettern The Witchery stand. Es war so bunt verziert, dass es meine Augen beleidigte. Ein rotes Teufelsgesicht, eine Fackel mit auflodernden Flammen, Halbmonde, Sterne, eine Krone und ein Eber. Dinge, die Sterbliche als mystisch, magisch und gefährlich ansahen. Seelenloser Unfug. Wie unzählige Male zuvor presste ich meine Hand auf den steinernen Torbogen und ertastete ein eingeritztes Zeichen. Es war ein Baum mit fünf verschlungenen Ästen, die einander berührten und so ein Ganzes ergaben. Jeder stand für einen Clan der daoine sìth: Tod, Leben, Wasser, Erde, Luft.

Über die Schulter sah ich mich nochmals in alle Richtungen um. Weiter die Straße runter drang das betrunkene Grölen einer Gruppe Fußballfans an meine Ohren. Ansonsten war niemand zu sehen. Trotzdem rief ich den Nebel zu mir, lockte ihn, bis er die Straße zu mir hinaufkroch. Ich ließ mich davon einhüllen, um mich vor neugierigen Blicken abzuschirmen. Erst dann drückte ich meinen Zeigefinger auf die eingeritzten Linien. Kurz zuckte ein schmerzhaftes Prickeln durch meine Fingerspitze, während der Zauber, der das Gebäude schützte, meine Identität las. Einen Wimpernschlag später leuchtete die Tür auf.

Mit einem raschen Blick nach oben vergewisserte ich mich, dass sich das grässliche Schild über meinem Kopf verändert hatte. An seiner statt hing dort nun ein schlichtes schwarzes. Es zeigte einen Vollmond, davor die Silhouette einer buckeligen schwarzen Katze. In silbernen Lettern stand darunter: Zum Schwarzen Kater.

Lächelnd drückte ich die Tür auf und trat ein.

Der vertraute Duft von Räucherwerk, verschiedenen Kräutern und Spirituosen hüllte mich ein. Das Gebäude war in Wahrheit anders aufgebaut, als es sich den Sterblichen präsentierte. Nur wenn ein nicht-menschliches Geschöpf den Zauber an der Tür betätigte, offenbarte es seine wahre Gestalt. Ich stand in einem kleinen Vorraum, der gleichzeitig als Garderobe und Überwachungskammer diente. Unter einem schweren moosgrünen Samtvorhang drangen Gesprächsfetzen, leises Gelächter und das Klirren von Gläsern an meine Ohren.

Ich nickte Gundula zu. Die Hexe mit den türkisen Haaren und den gelben Katzenaugen lehnte gelangweilt am Garderobentresen. Hinter ihr hingen nur wenige Mäntel, Umhänge und ein paar Besen an der Wand. Das Sichelmesser an ihrer Hüfte glänzte im Licht des Kronleuchters an der Decke.

»Nicht viel los heute, was?«, fragte ich.

Sie zuckte mit den Achseln. »Sind alle beim Wettessen der Trolle. Ist ein Riesenspektakel, unten in Leith.«

»Oh?« Ich hatte wohl während meiner Abwesenheit so einiges verpasst.

Gundula betrachtete ihre mitternachtsblauen Nägel und kaute geräuschvoll auf einem Stück Ingwerwurzel. »Willst du jetzt etwa auch dahin?«

»Stinkende Trolle, die sich darin messen, wer am schnellsten ein ganzes Pferd verspeisen kann? Nein danke.« Das entlockte Gundula ein müdes Lächeln. »Ich habe eine Verabredung.«

»Willst du dein Cape abgeben?«

»Nein. Ich gehe direkt rein.« Nicht nur schützte mich mein schwarzes Cape vor dem schottischen Wetter und hielt mich im Dunkeln vor den Blicken der Sterblichen verborgen, sondern darunter versteckten sich auch so einige Waffen. Die wurden im Schwarzen Kater nicht gern gesehen, nachdem sich zwei Powries vor ein paar Jahren einen erbitterten Axtkampf geliefert hatten, bei dem der Bartresen und mehrere uralte Flaschen Whisky draufgegangen waren.

Gundula hatte sich bereits wieder ihren Nägeln gewidmet. Ich ging an ihr vorbei. Mein Blick fiel auf den Torbogen rechts neben dem grünen Vorhang, der zu einer Treppe führte. An der Wand daneben hing ein Schild:

Tritt ein und verliere deinen Kopf

Ich wusste nur zu gut, dass das weder eine Redewendung noch eine leere Drohung war. In den oberen Etagen befanden sich die Wohn- und Arbeitsräume der Hexen. Da ich meinen Kopf behalten wollte, teilte ich stattdessen den schweren Samtvorhang und betrat die Bar.

Kapitel 3

Der Alkoholgeruch wurde stärker, leise Musik empfing mich. Auf der Bühne spielten mehrere Feen Harfe. Die winzigen glühenden Wesen zupften abwechselnd an den Saiten, sodass es von Weitem so aussah, als würde sich das Instrument selbst spielen.

Ich ließ den Blick über die runden Tische in der Mitte des Raums und die gemütlicheren Sitzecken an den Wänden schweifen. Pompöse Kronleuchter hingen von der Decke, allesamt vor Jahrhunderten aus Palästen sterblicher Herrscher gestohlen. Auch der Rest der Bar war mit menschlichen Artefakten aus verschiedenen Epochen geschmückt. Ein rotes Telefon mit Wählscheibe, eine Schreibmaschine, ein Plattenspieler und mehrere Federboas aus den Zwanzigerjahren.

Das Licht der an den Wänden hängenden Fackeln flackerte über die Gesichter der versammelten Hexen und daoine sìth. Heute Abend war tatsächlich wenig los. Kaum ein Drittel der Tische war besetzt.

Der Barkeeper, ein haariger Kobold, dem die lange Zunge aus dem Maul hing, polierte ein Glas. Kurz wunderte ich mich, dass der Besitzer des Schwarzen Katers nirgendwo zu sehen war. Dann zog eine winkende Person meine Aufmerksamkeit auf sich.

Die Hand zum Gruß erhoben steuerte ich auf die Sitzecke zu. »Rutsch mal rüber.« Ich schob mich neben die Hexe mit dem knallpinken Haar, die mir einen tadelnden Blick zuwarf.

»Sie beehrt uns doch noch mit ihrer Anwesenheit«, sagte sie zu der Selkie, die uns gegenübersaß.

»Mal wieder zu spät«, antwortete diese mit Grabesstimme. »Wir sind dir anscheinend nicht wichtig genug, um jemals pünktlich zu sein, dabei bist du die Einzige von uns, die tatsächlich in der Stadt wohnt.«

»Ihr wisst aber schon, dass ich gerade erst aus der Pampa zurück in die Zivilisation gekommen bin?«, entgegnete ich. »Seit meiner Ankunft war ich noch nicht mal zu Hause. Das sagt wohl alles darüber aus, wie wichtig ihr mir seid.«

Bronwyn sah mich kurz mit einer hochgezogenen pinken Braue an. Das Kerzenlicht flackerte über ihre umbrabraune Haut und brachte ihre veilchenfarbenen Augen zum Leuchten. »Hört, hört.« Sie warf sich die pinken Locken über eine Schulter und grinste mich an. »Wie dringend brauchst du jetzt einen Drink?«

»Am besten schon vor fünf Minuten.«

»Deswegen haben wir längst für dich bestellt«, sagte Roan. Ihre selkietypische Leichenblässe glich meiner. Selbst das warme Licht der Bar schaffte es nicht, ihre scharfen Züge weicher wirken zu lassen. Das filigrane Gesicht bestand aus hohen Wangenknochen, fein geschwungenen Augenbrauen und herzförmigen Lippen, hinter denen sich spitze Zähne verbargen. Die bekam man allerdings nicht oft zu Gesicht, weil Roan selten lächelte.

Im selben Moment brachte uns die Bedienung, ein Wichtel mit runzligem Gesicht, der gerade so über den Rand unseres Tisches blicken konnte, unsere Drinks.

Um Platz zu schaffen, schob Bronwyn den menschlichen Schädel beiseite, der als Kerzenhalter diente. Darauf thronte ein dicker roter Kerzenstumpf, dessen Wachs sich wie Blutrinnsale über den bleichen Knochen verteilte.

Der Wichtel – ich glaubte, mich zu erinnern, dass sein Name Padraig war – schob drei dampfende Zinnbecher über den Tisch und verabschiedete sich mit einem knappen Nicken.

»Hey, Padraig«, rief ich ihm hinterher. »Ich würde gern etwas zu essen bestellen.«

Seufzend drehte er sich zu mir um, zog einen hölzernen Stab hinter seinem Ohr hervor und holte eine kleine Holztafel aus seiner Schürzentasche. »Uns’re heutige Empfehlung is’ Wildragout mit Einhornstaub und Knollengemüse.« Er kratzte sich am knolligen Kinn. »Is’ echt lecker.«

»Okay, dann nehme ich das.«

Als er mit dem Stab über das Holz fuhr, leuchteten Buchstaben auf. »Darf es noch etwas sein?«

»Ist Bug heute Abend nicht da?«

»Nein, der hat eine Woche Urlaub genommen.« Der Wichtel kratzte sich am Kopf. »Kommt erst übermorgen wieder.«

»Danke.«

Padraig schlurfte davon. Seufzend stützte ich die Ellbogen auf der Tischplatte ab und vergrub das Gesicht in den Händen.

»Anstrengende Reise?«, fragte Bronwyn.

»Anstrengende zwei Wochen. Ich hatte vergessen, wie mühsam es ist, so weit ab von allem zu leben. Die Stille, die Einsamkeit …«

»Nicht zu vergessen das Kleine Volk in den Hügeln«, warf Roan ein. »Die stehlen dir sogar die Haare vom Kopf, wenn du nicht aufpasst.«

Bronwyn grinste. »Und die garstigen Kelpies in den Lochs.«

»Und dann sind da noch die nervigen Sterblichen, die du töten musst«, sagte Roan mit düsterer Miene. »Es ist fast schon rührend, wie hilflos sie sind, bevor sie zu Jägern ausgebildet werden.« Sie beugte sich vor, um nach ihrem Becher zu greifen. Ihr silbriges Haar hing ihr in feuchten Strähnen bis in den Schoß. Sie bevorzugte die Einsamkeit des Meeres und kam nur ab und zu in die Stadt, um sich mit uns zu treffen oder wichtige Dinge zu erledigen. Ihr Hass auf die Menschen saß tief, denn ihre Eltern waren von Jägern ermordet worden.

»Na ja, von Letzteren gibt es in den Highlands deutlich weniger als hier.« Ich legte beide Hände um meinen Becher. Wärme breitete sich auf meinen Handflächen aus. Augenblicklich wich die Verspannung aus meinen Schultern.

»Aber immer noch genug, dass der Rat dich dorthin beordert hat.« Mordlust blitzte in Roans fahl leuchtenden Augen auf.

»Tja, was würde die Welt nur ohne uns Agentinnen tun, die sämtliche potenzielle Gefahren aus dem Weg räumen? Selbst in der schottischen Pampa.«

Roan nickte und strich beinahe zärtlich über den Menschenschädel auf dem Tisch. »Ich habe erst gestern wieder ein ganzes Schiff versenkt. Die Schreie der sterbenden Matrosen hallen noch in meinen Ohren nach.« Die Andeutung eines verträumten Lächelns umspielte ihre Mundwinkel. Oder vielleicht sah es im flackernden Kerzenlicht nur so aus. Roans Methoden waren extrem und brachten oft Kollateralschäden mit sich, aber da ihre Eltern beide berühmte Agenten gewesen waren, ließ der Rat sie gewähren.

Ich prostete ihr zu. »In den letzten Wochen ist mir wieder bewusst geworden, wie dankbar ich bin, dass mich der Rat in Edinburgh stationiert hat. Sonst wäre mein Leben als bean nighe ziemlich öde. Tagein tagaus die Kleider der Menschen zu waschen, um ihren Tod anzukündigen, kann echt langweilig werden. Zumindest bis ich sie dann endlich töten kann. Hier in der Stadt gibt es zwischendurch wenigstens andere Dinge zu tun.« Ich nahm einen Schluck von meinem Becher. Das würzige Aroma flutete meinen Mund, Wärme breitete sich kurz darauf in meinem Bauch aus. Ich schauderte wohlig. Der selbst gebraute Met der Hexen von Edinburgh war mit erlesenen Kräutern verfeinert und wurde warm getrunken. Zwei Wochen lang hatte ich mich auf diesen Moment gefreut. Eilig nahm ich noch einen Schluck.

»Aber warum hat dich der Rat überhaupt ohne Vorwarnung so schnell in die Highlands abgezogen?«, fragte Bronwyn. »Ich dachte, du wärst hier in Edinburgh unentbehrlich?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Dachte ich auch, aber eine Kollegin ist plötzlich ausgefallen, und offenbar gab es keine andere Vertretung.«

»Arbeitsunfall?«, fragte Bronwyn.

Ich nickte. »Sie wurde angegriffen.«

»Von einem Sterblichen?« Roan riss die Augen auf.

»Ja. Merkwürdige Geschichte.«

»Die werden immer dreister, die seelenlosen Bastarde. Scheinen ihre Angst vor dem sogenannten Übernatürlichen zu verlieren.«

Bronwyn wickelte sich eine pinke Strähne um den Finger. »Und wo wir schon von dreisten seelenlosen Bastarden sprechen: Während deiner Abwesenheit wurden Jäger in Edinburgh gesichtet.«

»Was?« Mit einem Ruck stellte ich meinen Becher ab. »Jäger? Plural?«

Bronwyn nickte ernst. »Auf offener Straße.«

»Ich bin nur mal kurz weg, und unsere Todfeinde ziehen in die Stadt ein?«

»Vielleicht wurdest du deshalb so schnell zurückbeordert.«

Da konnte sie recht haben. Es war allerdings merkwürdig, dass der Rat mir gegenüber nichts davon erwähnt hatte. »Wie können die es wagen, sich hier so offen zu zeigen?«, grummelte ich missmutig.

»Solange sie keiner in ihre Schranken weist, werden sie nicht verschwinden.« Roans spitze Zähne blitzten im Kerzenlicht auf, als sie leise knurrte.

»Und damit meinst du mich?«

Sie sah mich herausfordernd an. »Gibt es eine Person, die besser dafür geeignet wäre?«

Sie und Bronwyn wechselten einen Blick. »Nein«, sagten beide im Chor.

»Du bist schließlich die einzige Agentin in der Stadt«, fügte Roan hinzu.

»Ich hätte bloß nicht gedacht, dass sie so dreist sind, sich offen in der am dichtesten mit daoine sìth besiedelten Stadt Europas zu zeigen. Sonst schicken sie höchstens ein bis zwei Jäger her, um heimlich potenzielle Rekruten zu kontaktieren, und verschwinden schnell wieder.«

Bronwyn und Roan sahen mich vielsagend an.

Ich warf die Hände in die Luft. »Na schön. Bevor ich mich meinem nächsten Auftrag widme, kann ich mich ja mal umsehen. Wer braucht schon Freizeit.«

Roan prostete mir zu. »Wenn ich an den Küsten nicht alle Hände voll zu tun hätte, würde ich mich dir anschließen. Wie in alten Zeiten.«

Lächelnd dachte ich an unsere Ausbildung an der im äußersten Norden des Landes versteckten Schottischen Akademie der Hexen und daoine sìth. Der Ort, an dem ich den Großteil meines Lebens verbracht hatte. Schon als Kinder hatten Roan und ich dort Freundschaft geschlossen und unseren Traum, Agentinnen des Ältestenrats zu werden, gemeinsam verfolgt. Es war der stolzeste Tag meines Lebens gewesen, als uns der Hexer Gideon, Abgeordneter des Ältestenrats und Leiter der Akademie, nach dreizehn harten Jahren in die Dienste des Rats aufgenommen und auf die Welt losgelassen hatte.

»Um auf schönere Dinge zu sprechen zu kommen«, flötete Bronwyn, »ich habe endlich meinen Forschungsplatz erhalten. Ab sofort arbeite ich hier im Haus.«

Ich wandte mich so schnell zu ihr um, dass der Ledersitz unter mir knarzte. »Und das erzählst du erst jetzt?«

»Und wir trinken bloß Met?«, fügte Roan trocken hinzu.

Bronwyns großer Traum einer von der Akademie gesponsorten Hexenküche hatte sich endlich erfüllt. Als Hexe besaß sie mächtigere Magie als wir daoine sìth und hatte einige Jahre länger studiert, um sich auf eine große Karriere vorzubereiten. Ihr Ziel war es, eines Tages Mitglied des Ältestenrats zu werden. Erst vor Kurzem hatte sie einen hervorragenden Abschluss hingelegt.

»Ich wusste immer, dass du es schaffen würdest.« Ich schlang einen Arm um sie, froh, dass sie nun, da sie die Akademie verließ, in meiner Nähe sein würde. Als Bronwyn daraufhin ihren Kopf auf meine Schulter legte, kitzelte ihr Duft nach Silberwurz, Maiglöckchen und Vanilleschoten meine Nase.

Da kam der Wichtel zurück und brachte mein Essen. »Danke, Padraig. Wir hätten gern noch eine Flasche von eurem besten Sternenwasser. Es gibt etwas zu feiern.«

Leise grummelnd zog er ab, und ich wandte mich wieder Bronwyn zu. »Wie schön, dass du nach Edinburgh kommst. Dann bin ich endlich nicht mehr allein.«

»He«, grummelte Roan. »Ich schaue doch regelmäßig vorbei.«

»Ja, aber du beschwerst dich jedes Mal bloß über die Menschen, den Lärm und Gestank, bevor du dich schnell wieder ins Meer verziehst.« Bisher hatte ich Roan nicht gebeichtet, dass ich alles lieben gelernt hatte, was ihr an der Welt der Sterblichen missfiel.

»Wo du recht hast …« Roan zwinkerte mir zu.

»Hach, das wird großartig, wir drei in der großen Stadt!« Bronwyn lehnte sich an mich, streckte ihre Beine auf der Sitzbank aus und starrte verträumt an die Decke. »Mein eigenes Equipment. Endlich ein Forschungsprojekt, das ich mir selbst aussuchen darf. So viele Möglichkeiten.« Sie wackelte mit ihren in regenbogenfarbenen Glitzer-Doc-Martens steckenden Füßen. »Ich glaube, zuerst werde ich das Forschungsfeld Zaubertränke – Zwischen Chemie und Botanik revolutionieren. Und dann ein Mittel gegen Froschpocken entwickeln.«

»Natürlich wirst du das!« Ich machte mich über den vollen Teller Ragout her, auf dem der Einhornstaub, der aus den funkelnden Fäden in deren Mähnen gewonnen wurde, silbern schimmerte. Er verlieh dem würzigen Gericht eine gewisse Süße, die überraschend gut dazu passte.

Bronwyn rutschte eilig von mir ab. Aufgrund des starken Fleischgeruchs verzog sie das Gesicht. Die meisten Hexen lebten vegan, sie war keine Ausnahme. Ungerührt schaufelte ich das köstliche Essen in mich hinein, ertappte mich allerdings dabei, wie ich mich nach einer Pizza sehnte.

Kurz darauf kehrte unser Kellner mit einer Flasche Sternenwasser und drei Gläsern zurück. Rasch nahm ich ihm die Flasche ab, die gefährlich schwankte.

Ich schenkte die durchsichtige Flüssigkeit voller funkelnder Lichtpartikel in die Gläser und verteilte sie. Als ich mich Bronwyn zuwandte, hatte sich ihre Haarfarbe von Pink in strahlendes Gold verwandelt. Ihre Augen blitzten nun so dunkelblau wie ein abendlicher Sommerhimmel.

Ich hob mein Glas. »Auf deine Zukunft beim Hexenzirkel von Edinburgh.«

Sie quietschte vergnügt. »Und auf deine Rückkehr in die Stadt.«

»Und darauf, dass Roan heute noch die Schreie ihrer letzten Opfer hört.«

»Musik in meinen Ohren.« Mit einem Finger fuhr Roan den Rand ihres Glases nach und blickte verzückt in die Ferne.

»Und darauf, dass wir vier Jahre, nachdem ihr zwei mich nach eurem Abschluss an der Akademie allein gelassen habt, immer noch befreundet sind.« Bronwyn fächelte sich Luft zu, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. »Seht uns nur an. Jetzt haben wir es alle geschafft.«

Selbst Roan verzog die Mundwinkel zu so etwas wie einem Lächeln. Über der Tischmitte stießen wir unsere Gläser klirrend aneinander. Als ich einen Schluck von der prickelnden Flüssigkeit nahm, wurde mein Hochgefühl noch verstärkt. In diesem Moment schien mein Leben beinahe perfekt. Mit diesen Freundinnen. Und diesem Job. In dieser Stadt.

Als ich in den frühen Morgenstunden nach Hause kam, schlug ich die Tür hinter mir zu und lehnte mich erschöpft dagegen. Einen Augenblick stand ich reglos da. Aus meiner Kleidung und meinem Haar tropfte es leise auf den Boden, ansonsten war nur das Regengeprassel auf dem Dach zu hören. Der Geruch meiner Wohnung umfing mich. Vertraut und tröstlich. Leder und Holz, Patschuli-Räucherwerk aus dem Hippieladen um die Ecke und die unverkennbare Note meiner Whisky-Sammlung.

Durch ein Fenster fiel schwacher Laternenschein von der Straße herein. Die anderen beiden überblickten den dunklen Innenhof des Gebäudes, sodass ich ein paar Sterne am Himmel ausmachen konnte. Es war noch Zeit bis Sonnenaufgang.

Ich ließ mir das feuchte Cape von den Schultern gleiten. Mit einem Klatschen landete es auf den Holzdielen. Seufzend ging ich in die Hocke, um meine Lederstiefel aufzuschnüren. Dabei schwankte ich leicht. Wir hatten die Flasche Sternenwasser leer gemacht.

Als ich mir die Stiefel von den Füßen zog, kamen die grünen Socken mit Ananasmotiven zum Vorschein, die ich beim letzten Sale erstanden hatte. Vorsichtig trat ich um die sich langsam am Boden ausbreitende Pfütze herum und duckte mich unter einem der vielen Holzbalken weg. Durch diese Wohnung hätte ich mich mit verbundenen Augen bewegen können. Was unter anderem daran lag, dass ich nicht viele Möbel besaß.

Ich tänzelte um den Esstisch herum. Mit nur drei Schritten hatte ich das andere Ende der schmalen Dachwohnung erreicht und zog die Vorhänge zu. Mit einem Satz sprang ich über die Couch, wich einem Standbalken aus und schloss auch die Vorhänge zur Straße. Erst dann schaltete ich das Licht ein. Es knackte kurz in der Leitung, bevor der Raum von der nackten Glühbirne, die von der Decke baumelte, in einen kühlen Schimmer getaucht wurde.

Ich öffnete die Türen des Wandschranks zu meiner Linken. Ein Lächeln huschte mir übers Gesicht, wie immer, wenn ich meine Waffen betrachtete. Ehrfürchtig fuhr ich mit den Fingern über das glatte Holz meiner Armbrust. »Ich habe dich auch vermisst, Ruby.«

Ich legte die Klingen ab, die ich am ganzen Körper trug, und platzierte sie sorgfältig an ihren jeweiligen Halterungen im Schrank. In meiner Wohnung brauchte ich sie nicht, da ich überall Waffen versteckt hatte.

Nachdem ich den Schrank geschlossen hatte, trat ich vor die Öffnung in der Wand, wo sich einst ein Kamin befunden hatte. Unter dem Sims hatte ich Regalbretter angebracht, auf denen meine beachtliche Whisky-Sammlung thronte. Ich griff nach einem sauberen Glas und schenkte mir einen Schluck Lagavulin ein. Rauchig herb explodierte der Geschmack auf meiner Zunge, und ich schloss wohlig seufzend die Augen.

Mit dem Glas ging ich zu meiner ranzigen Couch. Als ich mich darauf niederließ, protestierte sie knarzend, und die Polster verschluckten mich. Ich hatte das mehrfach geflickte Teil eines Nachts vor einem Haus im West End gefunden. Es hatte sich gelohnt, das Sofa gemeinsam mit Roan die Treppe hinauf bis in den fünften Stock zu schleppen. Bisher war es noch nicht unter mir zusammengebrochen.

Ich schälte mir die feuchten Kleider vom Leib und warf sie achtlos über die Lehne. In Unterwäsche rollte ich mich unter der Wolldecke zusammen, die Mrs McDougal, die betagte Lady aus dem ersten Stock, für mich gestrickt hatte. Tief atmete ich den Duft nach Kernseife und Rosenwasser ein, der die Decke selbst nach mehrmaligem Waschen nie verlassen hatte.

In der Schublade des Sofatischs, ein weiteres uraltes Möbelstück vom Flohmarkt in der Kerr Street, fand ich eine ungeöffnete Packung Chips. Die Seelen waren mir gnädig.

Ich schaltete den Fernseher ein, zappte zu der Wiederholung irgendeiner sinnfreien Talentshow und stopfte mir eine Handvoll Mackie’s Flamegrilled Aberdeen Angus Potato Crisps in den Mund.

Der Regen trommelte leise aufs Dach, als würde eine Wichtelarmee über die Schindeln marschieren. Ich schloss die Augen, lauschte dem Prasseln, dem Wind, der heulend an den Fenstern zerrte, dem Knarzen der Dielen, als sich ein Nachbar durch die Wohnung unter mir bewegte.

Ein leises Seufzen entwich mir. Während der letzten zwei Wochen hatte ich mich kein einziges Mal so entspannt gefühlt wie in diesem Moment. Die Highlands waren zwar mein natürlicher Lebensraum, doch mit der endlosen Weite, den windgepeitschten Lochs und grünbraunen Hügeln konnte ich nur noch wenig anfangen. Vielleicht, weil meine Gedanken in der Stille der Natur zu laut wurden. Weil ich dann gezwungen war, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen. Oder weil ich das Hochland mit etwas assoziierte, was für mich für immer verloren war.

Ich hatte kaum Erinnerungen an meine Kindheit dort. Die wenigen, die ich hatte, wurden von meiner Zeit an der Akademie verdrängt. Wie die meisten Kinder meines Clans war ich in jungen Jahren von meinen Eltern fortgeholt und zur Schule geschickt worden, damit ich meinen Teil zum Schutz unserer Art beitragen konnte. Doch manchmal hörte ich im Traum das Lachen meiner Mutter, wenn ich sie auch nie sehen konnte. Ihre Augenfarbe, die Konturen ihres Gesichts und das Gefühl meiner Hand in ihrer waren mir auf ewig entfallen.

Mit geschlossenen Augen beschwor ich eine der wenigen Erinnerungen herauf, die mir geblieben waren. Ihre sanfte Stimme, wenn sie mich in den Schlaf sang. Ein starker Kontrast zu den gebrüllten Befehlen meiner Ausbilder an der Akademie. Die Melodie in meinem Kopf vermischte sich mit dem Prasseln des Regens und dem Heulen des Windes, und ich gab mich ihr hin.

Kapitel 4

Als ich auf der Couch erwachte, war die Sonne am Untergehen. Staubkörner tanzten im weichen Licht des späten Nachmittags, das durch die Öffnung zwischen den Vorhängen hereinfiel.

Ich rappelte mich auf und strich mir ein paar schwarze Strähnen aus dem Gesicht. Meine Schläfen pochten, ich hatte einen schalen Geschmack im Mund, und mein Nacken schmerzte von der unbequemen Position. Von draußen drang gedämpfter Verkehrslärm herein. Ein Flugzeug rauschte tief über die Stadt. Jemand fluchte laut, ein Auto hupte. Der Klang Edinburghs.

Langsam kletterte ich vom Sofa. Meine Wohnung sah bei Tageslicht kleiner und schäbiger aus. Lieber betrachtete ich sie durch den dunklen Filter der Nacht. Es wurde mal wieder Zeit zu saugen, vielleicht Staub zu wischen.

Ich huschte in das winzige Badezimmer mit den hässlichen moosgrünen Fliesen aus dem vergangenen Jahrhundert. Als das eiskalte Wasser der Dusche auf mich niederprasselte, fühlte ich mich sofort besser. Langsam lichtete sich der alkoholinduzierte Nebel in meinem Kopf. Normalerweise trank ich nicht, wenn ich arbeitete. Gestern Nacht war eine Ausnahme gewesen. Obwohl ich streng genommen noch nicht wieder im Dienst war.

Barfuß und mit tropfendem Haar tapste ich danach in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Bis auf eine mit pelzigem Flaum überzogene Karotte und einige halb volle Take-out-Kartons war er leer. Glücklicherweise fand ich in der hintersten Ecke noch ein verkorktes Glasfläschchen mit Bronwyns Antikatertrunk. Das Ingwer-Minz-Gebräu brannte im Hals, vertrieb jedoch die letzten Nebelschlieren aus meinem Kopf.

»Einkaufen« wanderte ebenfalls auf meine mentale To-do-Liste, doch mein Magen knurrte so laut, dass dafür keine Zeit blieb. Ich brauchte sofort etwas Essbares.

Aus meinem Geheimversteck unter der losen Diele neben der Küchenzeile holte ich mein Handy. Wenn der Rat Wind davon bekäme, würde er es sofort konfiszieren lassen, und ich würde bestraft werden. Solche menschlichen Dinge, die man auch noch tracken konnte, waren nicht erlaubt. Ich hatte das Handbuch Daoine sìth in der Welt der Sterblichen – ein Verhaltenskodex so oft gelesen, dass ich den Text auswendig aufsagen konnte. Doch einem eigenen Handy hatte ich trotzdem nicht widerstehen können.

Über eine App bestellte ich eine Pizza bei Silvano’s, wählte jedoch die Option, sie selbst abzuholen. Nie ließ ich mir Essen nach Hause liefern, da ich so wenig Aufmerksamkeit auf mich ziehen wollte wie möglich. Außerdem befand sich mein Lieblingsitaliener nur zwei Straßen weiter.

In meinem Kleiderschrank fand ich kaum saubere Kleidung, also mussten die Lederleggings und das schwarze Top von gestern Abend herhalten. Ich ärgerte mich darüber, mein hüftlanges Cape in der Nacht nicht aufgehangen zu haben. Es war noch feucht, also breitete ich es notdürftig über der gluckernden Heizung aus.

Im nächsten Moment schlüpfte ich bereits in meinen typisch menschlichen Parka, um so wenig aufzufallen wie möglich, und eilte zur Tür hinaus.

 

Als ich eine halbe Stunde später mit der Pizza und ein paar schnellen Einkäufen in einer Hand die Wohnungstür aufschloss, bemerkte ich sofort, dass etwas nicht stimmte. Ein Schauer kroch meinen Rücken hinauf, als ich nach dem Türknauf kniff. Alarmiert legte ich den Pizzakarton und die Einkäufe auf dem Boden ab. Etwas war anders als zu dem Zeitpunkt, als ich die Wohnung verlassen hatte. Ich konnte es nicht deuten, es war lediglich ein Gefühl.

Lautlos drehte ich den Türknauf und spähte durch einen winzigen Spalt in die Wohnung. Die Sonne war mittlerweile untergegangen, sodass alles im Dunkeln lag. Ich konnte lediglich das mir gegenüberliegende Fenster ausmachen. Die Gardinen wehten sanft im Luftzug.

Moment mal. Als ich die Wohnung verlassen hatte, waren alle Fenster geschlossen gewesen.

Es prickelte mir im Nacken, die Härchen an meinen Armen stellten sich auf. Vorsichtig öffnete ich die Tür weiter. Außer dem dünnen Stoff vor dem Fenster bewegte sich nichts. Kein Laut drang an meine Ohren. Und doch wusste ich, dass dort drinnen jemand lauerte.

Wer wagte es, bei mir einzubrechen? Ein Jäger? Laut Bronwyn waren mehrere in der Stadt gesichtet worden. Der Orden menschlicher Krieger hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die daoine sìth auszurotten, und seine Anhänger würden nicht einmal vor einer Agentin des Rats Halt machen.

Vorsichtig schob ich die Tür weiter auf. Das seelenlose Ding aus dem vorangegangenen Jahrhundert knarzte leise. Ich gefror mitten in der Bewegung, hielt die Luft an und lauschte in die Dunkelheit. Nichts.

Allerdings wusste der Eindringling nun, dass ich hier war. Ich musste schnell handeln. Geduckt huschte ich in die Wohnung und presste mich gegen die Wand neben der Garderobe. Die Tür ließ ich lautstark hinter mir zufallen. Eine Warnung.

Alles blieb still.

Mit klopfendem Herzen spähte ich um die Ecke, konnte allerdings von dieser Position nicht die gesamte Wohnung überblicken. So leise wie möglich rannte ich los und suchte Deckung hinter dem Esstisch. Fast erwartete ich einen Angriff aus dem Hinterhalt, doch das offene Fenster blieb der einzige Hinweis auf einen Einbruch.

Als ich um den Esstisch herumschlich, stieg mir ein Geruch in die Nase. Eine störende Note mischte sich unter den vertrauten Duft nach feuchter Kleidung, Leder, Whisky und der Milch, die ich vor Wochen angebrannt hatte. Weißdorn und Eisen. Eine duine sídhe befand sich in meiner Wohnung.

Geräuschlos zog ich eins der Wurfmesser aus meinem Stiefel, die sich immer darin befanden. Einen sterblichen Einbrecher, selbst einen Jäger, hätte ich mühelos überwältigt. Bei einer duine sídhe verhielt es sich anders.

Ich hob den Kopf und spähte über die Tischplatte. Im schummrigen Licht war nach wie vor niemand zu sehen. Entweder war es jemand vom Kleinen Volk, womöglich ein Elf oder Brownie, oder jemand, der sich meisterhaft darauf verstand, sich zu verbergen.

Ich konzentrierte mich auf die Brise, die durchs Fenster hereinwehte, und zapfte ihr etwas Energie ab. Damit sammelte ich die Schatten um mich, während ich mich weiter vorwagte und dabei den knarzenden Dielen auswich. In Dunkelheit gehüllt, huschte ich hinter dem Tisch hervor, bereit, mein Messer jeden Moment zu werfen.

Ein Poltern ertönte, gefolgt von einem unterdrückten Fluch. Ich fuhr herum. Die Geräusche kamen … aus meinem Schlafzimmer? Was in aller Seelen Namen?

Geduckt sprang ich vor und presste mich mit dem Rücken gegen die Wand neben der Schlafzimmertür. Sie stand einen Spalt offen, doch aus diesem Winkel konnte ich nur einen eisernen Bettpfosten erkennen.

Ein Reißen ertönte, etwas flog durch die Luft und landete mit einem dumpfen Laut auf der Matratze. Jemand grummelte gedämpft vor sich hin.

Ich schob die Hand über die abblätternde Farbe der Tür und drückte sie weiter auf. Als ich über die Schwelle trat, empfing mich reinstes Chaos. Der Großteil meiner Kleidung war auf Bett und Boden verstreut, der Schirm der Nachttischlampe hing schief, und mein Kopfkissen war aufgeschlitzt worden, sodass überall Daunenfedern umherwirbelten.

Mit erhobenem Messer drehte ich mich einmal um mich selbst, doch der Raum war leer. Plötzlich flog etwas auf mich zu. Ich konnte mich gerade noch ducken. Einer meiner Stiefel raste haarscharf über meinen Kopf hinweg. Mit einem dumpfen Poltern landete er neben dem Bett und schlitterte noch etwas weiter, bis er gegen den Standspiegel stieß.

Dem Schuh folgte ein zerfetztes Sommerkleid und die Kordel meines Morgenmantels. Ungläubig starrte ich in die Richtung, aus der meine Kleider durchs Zimmer flogen.

Vor dem Wandschrank türmten sich weitere Kleidungsstücke, weshalb mir entgangen war, dass er offenstand. Erlaubte sich da jemand einen Scherz?