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Carina Schnell

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Beschreibung

Ein Wettlauf gegen die Zeit. Ist die Zerstörung der Menschheit noch aufzuhalten? Die rasante Fortsetzung von »Alba – Zwischen den Welten« und ein neuer packender Fantasy-Roman von Carina Schnell. Cate ist plötzlich allein unter Feinden. Ihre Entführer halten sie in Gefangenschaft. Doch sie nutzt die Zeit, um mehr über Golls düstere Pläne zu erfahren. Bei ihren Nachforschungen macht sie eine furchterregende Entdeckung: Goll ist im Besitz einer Geheimwaffe, die den heraufziehenden Krieg beenden könnte, bevor er überhaupt begonnen hat. Cate setzt ihr Leben aufs Spiel, um zu entkommen. Sie muss Carrick und die anderen Fianna warnen, doch ihr läuft die Zeit davon. Wird sie es rechtzeitig zu Carrick schaffen? Kann sie den Mut aufbringen, ihm zu gestehen, was sie wirklich für ihn empfindet? Und wird es gelingen, den bevorstehenden Angriff auf die Menschenwelt zu vereiteln? SPIEGEL-Bestsellerautorin Carina Schnell weiß, wie sie die Herzen ihrer Leser*innen höher schlagen lässt: - Alba - Zwischen den Welten - Alba - Im Schatten der Welten - A Breath of Winter (Rabenwinter-Saga 1)

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Seitenzahl: 434

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Carina Schnell

Alba – Im Schatten der Welten

Roman

Knaur e-books

Über dieses Buch

Ein Wettlauf gegen die Zeit. Ist die Zerstörung der Menschheit noch aufzuhalten? Die rasante Fortsetzung von »Alba – Zwischen den Welten« und ein neuer packender Fantasy-Roman von Carina Schnell.

Cate ist plötzlich allein unter Feinden. Ihre Entführer halten sie in Gefangenschaft. Doch sie nutzt die Zeit, um mehr über Golls düstere Pläne zu erfahren. Bei ihren Nachforschungen macht sie eine furchterregende Entdeckung: Goll ist im Besitz einer Geheimwaffe, die den heraufziehenden Krieg beenden könnte, bevor er überhaupt begonnen hat.

Cate setzt ihr Leben aufs Spiel, um zu entkommen. Sie muss Carrick und die anderen Fianna warnen, doch ihr läuft die Zeit davon. Wird sie es rechtzeitig zu Carrick schaffen? Kann sie den Mut aufbringen, ihm zu gestehen, was sie wirklich für ihn empfindet? Und wird es gelingen, den bevorstehenden Angriff auf die Menschenwelt zu vereiteln?

Inhaltsübersicht

Kapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38Kapitel 39Kapitel 40EpilogDanksagungAussprache der NamenGlossar gälischer Begriffe und Sätze
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Für Schottland und die Schotten

Für immer in meinem Herzen

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Kapitel 1

Cate

Dunkelheit. Mich umgab nichts als tiefste, undurchdringliche Schwärze.

Blind grub ich meine Finger in die feuchte Erde. Die Kälte ließ mich jedes Mal aufs Neue zusammenzucken. Eine Gänsehaut bedeckte meinen ganzen Körper. Rasch, beinahe mechanisch klaubte ich die lose Erde mit beiden Händen zusammen und warf sie hinter mich. Die Arbeit war mir mittlerweile vertraut. Schon gruben sich meine Finger abermals in den Boden. Mein Rücken schmerzte, mein rechtes Bein war eingeschlafen, und meine Augen tränten vom unermüdlichen Starren in die dunkle Leere vor mir. Trotzdem arbeitete ich verbissen weiter.

Ich kniete in einem schmalen Tunnel unter der Erde, den ich während unzähliger Stunden eigenhändig gegraben hatte. Meine Knie sanken tief im kalten Schlamm ein, die Hose klebte an meiner Haut. Ich atmete schwer, hob eine Hand und wischte mir mit dem Unterarm über die schweißfeuchte Stirn. Eine Pause wäre jetzt wirklich angebracht, aber ich konnte mir keine leisten. Schließlich stand mein Leben auf dem Spiel. Trotzdem lehnte ich mich kurz auf meine Fersen zurück und warf einen Blick über die Schulter. Nichts als Dunkelheit. Bis zum Morgengrauen würde es noch ein paar Stunden dauern. Stunden, in denen ich einiges schaffen konnte.

Seufzend rollte ich die Schultern, bog meinen schmerzenden Nacken nach rechts und links, bis es knackte, und machte mich wieder an die Arbeit.

Seit knapp zwei Wochen befand ich mich nun schon im Lager des Feindes. Seit Goll mich aus einer Telefonzelle in Edinburgh verschleppt und in eines seiner Verstecke gebracht hatte. Das Lager erstreckte sich am Rande einer verfallenen Burgruine mitten im Nirgendwo. Es gab kein Anzeichen von menschlicher Zivilisation – zumindest nicht, so weit meine menschlichen Augen sehen konnten. Dennoch mussten wir uns in der Menschenwelt und nicht in Alba befinden, da Goll und seine Schergen nicht mehr die Gabe des Spiegelreisens besaßen.

Das raue Klima und die Küste, die sich ganz in der Nähe befinden musste, da ich das Krachen der Wellen hören konnte, ließen darauf schließen, dass wir uns im hohen Norden Schottlands befanden. Mehr hatte ich nicht in Erfahrung bringen können. Und ich konnte mich auch nicht an den Weg hierher erinnern. Es war ein beängstigendes Gefühl, dass mir ein Teil meiner Erinnerung fehlte. In einem Moment hatte ich noch mit meinem Notizbüchlein in der Hand in der Telefonzelle gestanden, und im nächsten war alles schwarz geworden. Ich war im Halbdunkel eines Zelts zu dem Geschrei von Möwen aufgewacht, Golls Gesicht über mir, der grinsend auf mich herabsah.

»Willkommen in deinem neuen Zuhause, sùla«, hatte er bedrohlich leise geknurrt. »Viel zu lange hast du deine Zeit mit meinen Brüdern verschwendet. Hier wirst du deine Talente endlich zum Einsatz bringen können.«

Leise fluchend warf ich einen weiteren Erdklumpen hinter mich. Die Erinnerung trieb mir immer noch einen kalten Schauer über den Rücken. Ich schüttelte mich. Wie war ich nur in diese Lage geraten? Die Frage stellte ich mir jetzt schon seit Wochen. Tag und Nacht, sogar im Schlaf, fragte ich mich, was schiefgelaufen war. Wie Goll mich einfach so hatte entführen können. Wie ich so dumm hatte sein können, mich in Sicherheit zu wiegen.

Ich war so kurz davor gewesen, nach Hause zu fliegen, Schottland und die Feen für immer hinter mir zu lassen. Und nun hockte ich in einem dunklen Erdloch und schaufelte aus reiner Verzweiflung mit bloßen Händen Dreck.

Der Tunnel war meine einzige Hoffnung auf eine Flucht. Das Gebiet um die Burgruine war mit einem Schutzzauber umgeben, eine unsichtbare Wand, die ich nicht zu durchdringen vermochte, egal, wie fest ich mich dagegen warf oder darauf einschlug. Ich hatte es oft versucht, wovon blaue Flecken an Schultern, Hüfte und Ellbogen zeugten. Nun hoffte ich, mich unter der magischen Wand hindurchgraben zu können. Es war reines Wunschdenken, aber was blieb mir anderes übrig?

Also schlich ich mich Nacht für Nacht, wenn alle schliefen, in eine abgelegene Ecke hinter der Burgruine und grub, was das Zeug hielt. Zu meiner Enttäuschung war ich noch nicht weit gekommen.

Wieder seufzte ich, als ich einen weiteren Erdklumpen aus der Öffnung hinter mir warf. Mein ganzer Körper schmerzte, meine Arme waren schwer, die Finger spürte ich vor Kälte kaum noch. Gewöhnlich arbeitete ich die Nächte durch, schlief jeden Tag bis mittags und ging Goll und seinen Anhängern so gut wie möglich aus dem Weg. Bis jetzt hatte ich nicht in Erfahrung bringen können, warum ich hier war, was Goll mit mir, einer Menschenfrau und Seherin, vorhatte. Doch was tat das schon zur Sache? Wenn mein Plan aufging, wäre ich fort, bevor er mich für seine düsteren Zwecke missbrauchen konnte.

Manchmal gab ich mich Tagträumen hin, dass mich jemand retten kommen würde. Dass Carrick ins Lager marschieren, alle niedermetzeln und mit mir auf einem Schimmel davonreiten würde. Diese absurden Wunschträume versuchte ich allerdings, so gut es ging, zu unterdrücken. Ich konnte mich auf niemanden verlassen, schon gar nicht auf sìthichean. Wenn ich während meiner Zeit in Schottland und Alba eins gelernt hatte, dann, dass sie unberechenbar waren. Vermutlich wusste sowieso niemand, dass ich entführt worden war. Oder es interessierte sie nicht. Schließlich hatte ich sie verlassen. Ohne mich zu verabschieden.

Du hast deinen Job erledigt und bist dann gegangen, wie es abgemacht war, verbesserte ich mich in Gedanken. Und dann war ich wie ein dummes, blauäugiges Reh dem Feind direkt in die Arme gelaufen. Ich hatte mich selbst in diese Situation gebracht und würde es aus eigener Kraft wieder herausschaffen.

Meine Hände gruben sich, schon beinahe gefühllos vor Kälte, abermals tief ins feuchte Erdreich. Im selben Moment ertönte ein markerschütternder Schrei. Ich riss die Hände aus der Erde, um sie mir auf die Ohren zu pressen. Mein Herz setzte einen Schlag aus, dann schlug es in doppeltem Tempo gegen meine Rippen, während mir kalter Schweiß ausbrach.

Gleich darauf ärgerte ich mich über meine Schreckhaftigkeit und ließ die Hände sinken. Es war schließlich nicht das erste Mal, dass ich diesen schrillen Schrei hörte. Schon folgte ein Brüllen wie von einem wilden, in die Enge getriebenen Tier, und die Erde bebte. Kleine Steinchen und Erdklumpen rieselten auf mich herab, und ich streckte instinktiv eine Hand aus, um mich an der unebenen Tunnelwand abzustützen.

Es hörte so schnell auf, wie es gekommen war. Schon war alles wieder still. Ich schluckte und blieb noch einen Augenblick länger an die Tunnelwand gelehnt hocken.

Die Klagelaute, die Nacht für Nacht aus der Burgruine ertönten, jagten mir jedes Mal aufs Neue einen Schrecken ein. In meiner ersten Nacht hatte ich mich, starr vor Angst, in meinem Zelt zusammengerollt, die Augen zugekniffen und mir die Hände auf die Ohren gepresst. Mittlerweile konnte ich ganz gut damit umgehen, aber furchterregend war es immer noch. Es klang meistens, als würde jemand brutal abgestochen werden, als würde das Wesen, das da schrie, unsägliche Schmerzen leiden. Manchmal war es allerdings eher ein trauriger Klagelaut, der mir tief ins Herz schnitt und mir manchmal sogar Tränen in die Augen trieb. Seit ich das Geräusch zum ersten Mal gehört hatte, fragte ich mich, woher es kam. Noch war der Tunnelbau meine Priorität, doch ich konnte spüren, wie meine journalistische Neugier von Tag zu Tag wuchs. Bald würde ich mich auf die Suche nach der Quelle begeben müssen, um meinen Wissensdurst zu stillen. Doch ich war nicht sicher, ob ich mutig genug dafür war. Die Klagelaute kamen eindeutig aus der Burgruine, doch es war niemandem außer Goll erlaubt, sie zu betreten. Seine Anhänger, hauptsächlich Wechselbälger, aber auch nicht wenige vollwertige sìthichean aus Alba, die sich ihm aus Überzeugung angeschlossen hatten, hielten sich alle in der Zeltstadt auf, die sich vor der Ruine erstreckte. Niemand würde es wagen, seine Befehle zu missachten. Niemand, außer mir.

Ich lauschte noch ein letztes Mal in die Nacht, doch alles blieb still. Dann verlagerte ich mein Gewicht stöhnend auf meine wunden Knie und machte mich wieder an die Arbeit.

 

Als ich im grauen Zwielicht der Morgendämmerung aus dem Tunnel kroch, war mein ganzer Körper wund und steif. Sorgfältig versteckte ich die Öffnung im Boden und den Erdaushub daneben unter einigen Zweigen, die ich für diesen Zweck gesammelt hatte. Dann fuhr ich herum und machte auf meinem Weg zurück zum Lager einen großen Bogen um die nahe Burgruine. Ich hielt mich geduckt, während ich zwischen den dicht stehenden Zelten hindurchhuschte, und vermied die Stellen, an denen die wenigen Nachtwachen patrouillierten.

Gewöhnlich war zu dieser frühen Stunde kaum jemand wach, aber ich war trotzdem stets auf der Hut. Ich durfte nicht riskieren, Aufmerksamkeit auf mich oder meinen Tunnel zu ziehen. Goll stellte kaum Wachen auf, da die magische Schutzbarriere nicht nur mich einsperrte, sondern auch alles in ihrem Inneren vor neugierigen Blicken verbarg und ungebetene Gäste aussperrte. Sollte jemand daran vorbeigehen, würde er nichts als eine alte, verlassene Burgruine in der Nähe von steilen Klippen sehen. In Wahrheit wimmelte es hier tagsüber nur so von Soldaten, die ihren täglichen Waffen- und Magieübungen nachgingen, an großen Kochfeuern zusammensaßen, sich unterhielten, aßen und tranken oder in ihren Zelten schliefen.

Goll hatte mir bereits bei unserem ersten Treffen in Dunnottar Castle erzählt, dass er dabei war, eine Armee aufzustellen, und er war seitdem eindeutig nicht untätig gewesen. Der abtrünnige Fianna hatte beängstigend viele Wechselbälger und sìthichean rekrutieren können, die alle an seinen Lippen hingen und ihn wie einen König verehrten. Allein in diesem Lager mussten sich um die vierhundert seiner Anhänger befinden. Und ich war sicher, dass es noch mehr dieser Geheimverstecke gab, wo weitere Truppen darauf warteten, dass er den Befehl zum Angriff gab. Sie würden für ihn kämpfen, und das sehr bald. Daran bestand kein Zweifel.

Ich erreichte ein Regenfass in der Nähe meines Zelts und begann, mich mit dem eiskalten Wasser zu waschen. Nach dem Graben ging ich immer besonders gründlich dabei vor, um sämtliche Hinweise darauf, wie ich meine Nächte verbrachte, zu beseitigen. Meine Hände färbten sich rasch rot, während ich sie energisch rubbelte und schrubbte, um selbst den Dreck unter meinen Fingernägeln zu beseitigen. Gegen meine matschigen Hosenbeine konnte ich im Augenblick allerdings nicht viel tun. Man holte die einfache Kleidung – Jeans, einen Pullover und eine Jacke –, die man mir gegeben hatte, alle paar Tage zur Reinigung ab, und ich bekam sie stets sauber zurück. Deshalb nahm ich an, dass es nicht allzu weit entfernt ein Dorf oder gar eine Stadt geben musste. Wenn ich es unter der Schutzbarriere hindurch schaffte, wäre das mein Ziel. Alles, was ich brauchte, war ein Telefon. Irgendwo mussten die Menschen und Feen, die im Lager zusammenlebten, ja auch ihre Lebensmittel herbekommen. Nicht alle von ihnen besaßen magische Kräfte, und selbst jene, die Magie wirken konnten, wären hier in der Menschenwelt nicht mächtig genug, um so viele Personen zu versorgen.

Ich spritzte mir Wasser ins verschwitzte Gesicht und warf einen besorgten Blick zum Himmel. Die ersten Sonnenstrahlen würden bald über den Horizont klettern. Höchste Zeit für mich zu verschwinden.

Als ich mein Zelt erreichte, wurde der Boden von einem neuerlichen Brüllen zum Beben gebracht. Ich duckte mich instinktiv, hatte aber nicht mehr genug Energie, um mich wirklich zu erschrecken. Stattdessen warf ich einen erschöpften Blick zur Burg. Nur ein einziger Turm schraubte sich noch in den grauen Morgenhimmel. Früher mussten es einmal vier gewesen sein. Die Überreste der drei anderen ragten wie halb verbrannte Baumstümpfe düster und bedrohlich in die Höhe. Ihre Mauern waren in sich zusammengefallen und nie wiederaufgebaut worden. Ich dachte an Dunnottar Castle, an die Burgruine meiner Vorfahren, des Keith-Clans, und mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Ich erinnerte mich an eine Nacht, in der alle Geräusche vom Nebel verschluckt worden waren und nur der Kegel meiner Taschenlampe den Pfad vor mir erhellt hatte. An die gespenstischen Umrisse hoher Türme, die vor mir in der Dunkelheit aufragten, und an ein kaltes, feuchtes Kellergewölbe. Eine Stimme an meinem Ohr. Ein grausames Lachen. Ein goldenes Jagdhorn, dann ein Sturz in die Tiefe. Und Carrick, immer wieder Carrick. Er hatte mich in jener Nacht gerettet, mich vor dem tödlichen Sturz in die Tiefe bewahrt und die ganze Nacht in den Armen gehalten. Er hatte sich mir, seiner natürlichen Feindin, geöffnet, mich an sich herangelassen, und ich … war davongelaufen.

Viel zu oft dachte ich an unsere letzte Begegnung, an seine Hände auf meinem Arm, seinen glühenden Blick. Fast schon flehend hatte er mich angesehen und mich gebeten zu bleiben. Was wäre wohl passiert, wenn ich ihn und die Fianna nicht verlassen hätte? Ich würde es nun nie erfahren. Außerdem hatte ich einen Beinahe-Verlobten in New York, dem ich einiges zu erklären hatte – wenn ich es denn jemals hier herausschaffte.

Ich dachte ständig an Ben, fragte mich, ob er sich wohl wunderte, dass ich doch nicht früher nach Hause gekommen war. Vielleicht nahm er einfach an, dass ich es mir anders überlegt hatte und nun doch wie geplant bis Anfang April bleiben würde. Machte er sich Sorgen um mich? Dachte er zwischen all seinen Meetings, Partys und Verpflichtungen überhaupt an mich? Doch ich musste mir auch eingestehen, dass sein Gesicht vor meinem inneren Auge immer mehr verblasste. In den letzten Wochen, in denen mein Leben auf den Kopf gestellt worden war, hatte ich eine andere Seite von mir kennengelernt. Eine starke, unabhängige, entschlossene Seite. Ich hatte mich selbst besser kennengelernt. Und mir war klar geworden, warum ich Hals über Kopf nach Schottland geflohen war. Warum ich Ben keine Antwort gegeben hatte. Ich hatte ihn nie heiraten wollen. Tief in mir drinnen hatte ich immer gewusst, dass er nicht der Richtige für mich war, dass ich nicht die ewig lächelnde Frau an seiner Seite sein wollte, die den Mund hielt und lediglich gut aussah. Es stand mir nun so klar vor Augen, dass ich mich fragte, wie ich je hatte glauben können, dass das meine Zukunft war. Ben verdiente eine Frau, die ihm all das geben konnte, was von einer jungen Dame der Upper East Side erwartet wurde. Von Anfang an hatte ich diese Rolle nicht erfüllt. Unsere Beziehung war nichts als eine Fantasie gewesen, ein Tagtraum, dem wir beide uns eine Weile hingegeben hatten und der nun ausgeträumt war. Ich war die unkonventionelle Verlobte gewesen, mit der er seine Eltern eine Weile hatte ärgern können. Eine schlechte Partie für ihn, das hatten alle von Anfang an gesagt.

Dennoch verdiente er eine Erklärung von mir, und es grämte mich jeden Tag, dass ich nicht mit ihm in Verbindung treten konnte. Durch meine Kontakte im Lager wusste ich, dass heute der 1. April war. Meine Recherchereise nach Schottland neigte sich offiziell dem Ende zu. Was würde passieren, wenn ich nicht zurückkehrte? Würde meine Mutter die Polizei alarmieren? Würde Ben nach Schottland kommen, um nach mir zu suchen? Doch tief im Inneren wusste ich, dass er es nicht tun würde. Er würde seinen Job in New York niemals zurücklassen. So beschäftigt, wie er war, würde er sich wahrscheinlich frühestens in ein paar Tagen zu fragen beginnen, wo ich abgeblieben war. Ich durfte nicht auf meine Rettung warten und schon gar nicht auf eine Rettung von Menschenhand.

Ein weiterer Aufschrei aus der Burgruine erschütterte das Lager, in dem sich langsam die ersten Soldaten zu regen begannen. Ich schreckte aus meinen Gedanken und warf einen letzten Blick zur Burg. Doch ich wusste, dass es jetzt still bleiben würde. Wer oder was auch immer in der Burg hauste, schrie immer nur nachts sein Leid heraus. Stattdessen hörte ich nun, wie Zeltplanen geöffnet wurden, wie Stimmen sich gedämpft unterhielten, das Zischen eines sich entzündenden Streichholzes, das Klappern von Töpfen und Pfannen. Das Lager erwachte.

Ich kroch eilig in mein Zelt, und sobald mein Kopf auf den klammen Schlafsack sank, fiel ich in einen tiefen, erschöpften Schlaf.

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Kapitel 2

Cate

Wie immer plagte mich derselbe Albtraum. Nacht für Nacht befand ich mich in einem dunklen, feuchten Kellergewölbe und wurde von Golls Schergen verfolgt. Golls grausames Lachen hallte von den Wänden wider, während ich um mein Leben rannte. Je schneller ich lief, desto lauter verhöhnte er mich.

Dann setzten die Schreie ein. Ich kannte die Stimme, die wie von Sinnen schrie. Es war eine männliche Stimme. Ben.

Ich rannte schneller, musste ihm helfen.

Plötzlich wurde ich in gleißendes Licht getaucht und musste die Augen zusammenkneifen, um etwas erkennen zu können. Als ich Ben endlich entdeckte, kam ich schlitternd zum Stehen. Er saß vor mir auf einem Stuhl, die Hände hinter der Lehne gefesselt. Er schrie, während Goll ihm mit einem Dolch unsägliche Schmerzen zufügte. Ben blutete aus vielen kleinen Schnittwunden, mit denen sein nackter Oberkörper übersät war, ein Auge war zugeschwollen, Blut troff ihm aus dem Mundwinkel.

Goll wandte sich mir mit erhobenem Dolch zu, grinste schaurig und zwinkerte mir verschwörerisch zu. Dann leckte er Bens Blut langsam und genüsslich von der Klinge. Ich spürte Galle in mir aufsteigen und würgte. Ohne zu zögern, warf ich mich vor und rief Ben zu, dass ich ihn retten würde, dass es bald vorbei sein würde. Ben hob den Kopf, sah mich mit seinem gesunden Auge an, und der Hass in seinem Blick ließ mich abrupt innehalten.

»Bleib bloß weg von mir«, murmelte er angewidert, so schwach und doch so voller Abscheu. »Komm mir ja nicht zu nahe, sìthiche.«

Eiskalte Angst kroch meinen Rücken herauf. »Aber Ben … ich bin doch keine …« Tränen schnürten mir die Kehle zu.

»Du hast mich für das da verlassen?«, spuckte er mir entgegen und nickte angewidert in Golls Richtung. »Dann bekommst du nur, was du verdienst.«

Es fühlte sich an, als risse mein Herz entzwei. Goll lachte höhnisch und hob den Dolch. Und plötzlich saß da nicht mehr Ben auf dem Stuhl, sondern Carrick. Er sah mit großen, schreckgeweiteten Augen zu mir auf. »Cate«, hauchte er verzweifelt flehend, bevor Goll den Dolch hob und ihm die Klinge mitten ins Herz rammte.

Ich fuhr schwitzend und schwer atmend aus dem Schlaf auf und wusste zunächst nicht, wo ich mich befand. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, ein heller Fleck auf der Zeltplane über mir. Ein dumpfer Schmerz pochte in meinen Schläfen. Ich blieb noch eine Weile liegen, wartete darauf, dass meine Atmung sich beruhigte und ich wieder im Hier und Jetzt ankam.

Man sollte meinen, dass mein Unterbewusstsein im Traum meiner misslichen Lage entfliehen und an einen schöneren Ort reisen würde, an dem ich keine Sorgen hatte. Doch das Gegenteil war der Fall. Goll beherrschte nicht nur meine wachen Gedanken, sondern schlich sich auch in meine Traumwelt. Stets war er es, der mich im Traum besuchte und sowohl Menschen als auch Feen, die mir nahestanden, folterte. Jedes Mal versuchte ich, ihn zu überwältigen und meine Lieben zu retten, und jedes Mal versagte ich. Ich wollte gar nicht darüber nachdenken, was das bedeutete. Jeden Tag bemühte ich mich, nicht zu viel in diese Albträume hineinzuinterpretieren, aber mir war nur allzu bewusst, dass es meine eigenen Ängste waren, die sich in Gestalt der Träume manifestierten. Ich musste gegen das Gefühl der Ohnmacht ankämpfen, das mich unterbewusst lähmte und zu überwältigen drohte. Denn ich durfte mir in meiner Lage nicht erlauben, Schwäche zu zeigen. Im Traum besiegte Goll mich zwar Nacht für Nacht, doch ich würde nicht zulassen, dass er es auch in der Realität schaffte.

Mit zitternden Fingern fuhr ich mir übers Gesicht und atmete noch einmal tief ein. Mein Magen grummelte laut, und ich kämpfte mich seufzend aus meinem Schlafsack heraus. Ein weiterer Tag unter Feinden lag vor mir.

Als ich aus dem Zelt trat, kniff ich die Augen gegen das helle Licht zusammen. Die Sonne hatte sich seit Tagen nicht blicken lassen. Auch wenn ihr Anblick willkommen war, verstärkten ihre grellen Strahlen die Schmerzen, die in meinen Schläfen pochten. Mein Schlafrhythmus war alles andere als gesund, was mein Körper mir von Tag zu Tag deutlicher mitteilte.

Ich spritzte mir etwas Wasser aus dem Regenfass ins Gesicht und seufzte wohlig auf, als es meine Stirn kühlte und den Kopfschmerz für einen Augenblick vertrieb.

Wie jeden Tag herrschte geschäftiges Treiben im Lager. Auf der anderen Seite der Zeltstadt konnte ich eine Gruppe Soldaten ausmachen, die Magieübungen durchführten. Sie zielten mit Feuerbällen auf durch Magie in der Luft schwebende Zielscheiben. Ihr Ausbilder, Diorruing, schritt ihre Reihen ab und brüllte ihnen Anweisungen zu, die ich selbst aus dieser Entfernung hören konnte. Er war einer der abtrünnigen Fianna, die sich Golls Rebellion angeschlossen hatten. Neben ihm gab es noch zwei weitere Fianna, die Goll weiterhin folgten: Liath und Conán MacLia. Ich hatte die beiden ein paarmal gesehen, wenn sie zwischen ihren Missionen im Lager aufgetaucht waren, um Goll Bericht zu erstatten. Sie waren stets schnell wieder verschwunden. Wahrscheinlich, um weitere wehrlose Menschen abzuschlachten oder neue, leicht zu beeinflussende Wechselbälger für ihre Armee zu rekrutieren.

Mein Blick fiel auf eins der Banner, die überall im Lager an hohen Fahnenstangen wehten. Auf dem dunkelgrünen Stoff war Golls Wappen zu sehen, das ebenfalls auf den schwarzen Lederharnischen seiner Soldaten prangte. Es zeigte einen Kranich, der aus mehreren Wunden blutete und dessen Kopf und Flügel schlaff herabhingen. Um ihn wand sich eine siegreiche silberne Schlange. Golls Version seines Triumphes über Fionn, dessen Zeichen der Kranich war.

Wenn ich daran dachte, dass dieses Banner womöglich bald auch in Städten und Dörfern der Menschen flatterte, nachdem Goll seinen Feldzug gegen sie begonnen hatte, wurde mir ganz schlecht.

Mir waren Gerüchte zu Ohren gekommen, dass sich die politische Lage in Schottland in den letzten Wochen weiter zugespitzt hatte. Es würde nicht mehr lange dauern, bis es weitere terroristische Anschläge in Menschenstädten geben würde. Die eine Seite in diesem Konflikt verlangte die politische Unabhängigkeit von England, die andere wollte, dass alles so blieb, wie es war. Doch egal, auf welcher Seite die Schotten standen, sie würden eine böse Überraschung erleben, wenn sich plötzlich herausstellte, dass Feen wirklich existierten und ihnen ganz und gar nicht freundlich gesinnt waren.

Außerdem verschwanden beinahe täglich weitere Reisende aus den Highlands. Von Golls Soldaten wusste ich, dass er die Unruhen im Land für seine Zwecke nutzte und die Schotten weiter gegeneinander aufwiegelte, um noch mehr Chaos zu verbreiten. Ein geteiltes Schottland, das alle Hände voll mit seinen eigenen Problemen zu tun hatte, würde ihm und seiner Armee nichts entgegenzusetzen haben. Ehe sie sichs versahen, würden die Menschen eines Tages aufwachen und sich plötzlich unter der Herrschaft eines kaltblütigen, zu Größenwahn neigenden Feendiktators wiederfinden.

Ich schüttelte den Kopf, um die albtraumhaften Bilder zu vertreiben, und stapfte rasch weiter.

Einige Soldaten übten sich nicht weit von der Burgruine entfernt im Schwertkampf, während andere gerade Mittagspause hatten und an Kochfeuern zusammensaßen. Der Geruch von gekochten Linsen wehte heran, und mein Magen knurrte erneut. Ich hielt auf eines der Feuer zu, von dem aus mir bereits jemand zuwinkte.

»Hey, Catriona«, rief Jo, als ich zurückwinkte. »Setz dich doch zu uns, es gibt Linseneintopf.«

»Juchhu, Linsen«, gab ich mit vor Sarkasmus triefender Stimme zurück. »Genauso wie jeden Tag diese Woche.«

Die vier Soldaten und Soldatinnen, die am Feuer zusammensaßen, lachten. Jo rückte zur Seite, um mir Platz auf der Holzbank neben sich zu machen. Die anderen begrüßten mich freundlich, und ein dunkelblondes Mädchen, Rhona, reichte mir grinsend eine Schale mit Eintopf.

Ich hatte es geschafft, mich mit der kleinen Gruppe anzufreunden, natürlich mit der Absicht, sie über Golls Pläne auszuhorchen und in Erfahrung zu bringen, warum er mich hier festhielt. Alle meine Informationen über die Geschehnisse in der Welt außerhalb des undurchdringlichen Schutzwalls hatte ich von ihnen.

Zu meiner Überraschung hatte ich allerdings schnell festgestellt, dass die vier keine kaltblütigen, von Hass zerfressenen Killer waren. Stattdessen waren sie freundliche sìthichean, junge Wechselbälger, die das Pech gehabt hatten, in der falschen Welt aufgewachsen zu sein. Sie waren unerfahren und unsicher, aber nicht böse, sondern hatten ihren Platz in der Welt schlicht noch nicht gefunden. Aus irgendeinem Grund glaubten sie, dass es sich lohnte, Goll blind zu folgen. Es war eindeutig, dass sie einer Art von Gehirnwäsche unterzogen worden waren, auch wenn sie wohl einige von Golls Ansichten von Anfang an geteilt haben mussten. Immerhin waren sie aus freien Stücken hier.

Alle vier konnten es im Leben nicht leicht gehabt haben. Schließlich waren sie Feen, die unter Menschen aufgewachsen waren und irgendwann festgestellt hatten, dass sie anders waren. Schneller, stärker, agiler und spitzohrig.

Sosehr ich anfangs auch versucht hatte, meine neuen Freunde zu hassen, hatte ich es nicht lange durchgehalten. Sie hatten mich zunächst höflich und respektvoll behandelt, waren aber schnell aufgetaut, auch wenn sie immer noch penibel darauf achteten, mir nicht zu viel zu verraten. Wenn sie mir Golls Geheimnisse anvertrauten, wäre ihre Strafe sicher furchtbar. Es war allerdings auch möglich, dass sie schlicht nicht mehr wussten, als sie preisgaben. Sie waren nichts als Golls Fußsoldaten, die er opfern würde, sobald sich ihm eine Gelegenheit zum Kampf bot.

»Mach einfach die Augen zu und stell dir vor, es wäre was anderes«, scherzte Jo, ein junger Amerikaner aus Alabama, den Golls Leute schon vor knapp drei Jahren in den USA rekrutiert hatten. Er war den weiten Weg nach Schottland gekommen, um sich Golls Sache anzuschließen.

Ich verdrehte die Augen, schenkte ihm aber ein Lächeln, bevor ich mir den ersten Löffel Eintopf in den Mund schob.

»Könnte schlimmer sein«, lachte er. »Den Haferbrei, den es jeden Tag zum Frühstück gibt, würd ich nicht mal meinem Hund geben.«

Alle murmelten zustimmend.

»Du hast einen Hund?«, hakte ich nach. Ich versuchte ständig, meine neuen Freunde an ihr altes Leben zu erinnern, sodass sie erkannten, was sie aufgegeben hatten, und vielleicht zur Vernunft kämen.

»Ja, er heißt Bill.« Jos Blick richtete sich in weite Ferne, und er lächelte verträumt. »Ein Langhaarcollie. Wunderschönes Tier. Ist aber störrisch wie ein Esel.« Er sah mich an und lächelte schüchtern.

»Bill vermisst dich sicher sehr«, murmelte ich. Wieder wurde Jos Blick weich. »Nicht so sehr wie meine beiden Schwestern. Tracy und Michelle müssen sich ihr Frühstück jetzt selbst machen. Dabei schlafen sie lieber aus. Da Mom und Dad beide zwei Jobs haben, blieb das Kochen immer an mir hängen.« Er lachte. »Mein Haferbrei ist um Längen besser als das Zeug, das wir hier kriegen.«

Ich wollte ihn fragen, ob seine Familie wusste, wohin er gegangen war. Ob er sich verabschiedet hatte. Ob er ihnen gesagt hatte, dass er nie wiederkommen würde. Dass er in einem Krieg kämpfen und womöglich sterben würde. Doch eins der anderen Mädchen kam mir zuvor.

»Fucking Haferschleim«, fluchte Rhona, die nie ein Blatt vor den Mund nahm. »Wenn ich gewusst hätte, dass es hier nur diesen verdammten Scheißfraß gibt, hätte ich mir das noch mal überlegt. Zum Glück müssen wir uns das erst seit ein paar Monaten antun. Wenn ich schon so lange hier wäre wie du, Jo, hätte ich wahrscheinlich schon angefangen, Ratten zu fangen und zu braten, nur um was Anständiges zwischen die Zähne zu bekommen.«

Ihre Freundin Alissa warf ihr einen Seitenblick zu. Ich hatte herausgefunden, dass sich die beiden Schottinnen durch eine Brieffreundschaft kennengelernt hatten. Über ihre Briefe hatten sie herausgefunden, dass beide anders als andere Mädchen ihres Alters waren. Ich vermutete, dass Alissa nur hier war, weil sie Rhona nicht allein hatte gehen lassen wollen. Sie war immer schüchtern und still, behielt ihre Gedanken für sich. Ihre rötlichen Haare erinnerten mich stets an Nairn.

»Warum schleicht ihr euch nicht mal aus dem Lager in die umliegenden Dörfer, um was Richtiges zwischen die Zähne zu bekommen?« Die vier sahen mich so schockiert an, als hätte ich etwas höchst Blasphemisches gesagt. Dabei wollte ich doch nur herausfinden, wie weit wir uns von der Zivilisation entfernt befanden.

»Unmöglich. Wir können zwar im Gegensatz zu dir ungehindert durchgehen, aber die Schutzbarriere ist mit einem magischen Alarm gesichert. Goll weiß immer genau über jeden Bescheid, der hindurchschreitet. Es ist, als könnte die Magie unsere DNA lesen«, erklärte Jo.

»Ist schon okay. So schlimm ist das Frühstück ja eigentlich nicht. Wir übertreiben nur.« Alissa warf einen ängstlichen Blick über die Schulter, um sicherzugehen, dass auch niemand gehört hatte, wie sie sich beschwerten.

»Du bekommst das ja nie mit«, sagte Ramón, der Vierte im Bunde, zu mir. »Du verschläfst das Frühstück jeden Tag.«

Der Spanier, der als Tourist nach Schottland gekommen und gleich hiergeblieben war, rollte das R so herrlich, dass ich ihm den ganzen Tag hätte zuhören können.

»Ich bin eben eine Langschläferin«, gab ich mit vollem Mund zurück und zwinkerte ihm zu. »War ich schon immer.«

»Du musst ja auch nicht jeden Morgen um sechs zum Morgendrill bereitstehen«, grummelte Jo und füllte sich bereits die zweite Schüssel. Sein schwarzer Afro hatte beinahe dieselbe Farbe wie seine makellose Haut. So jung, so voller Leben. Was für eine Verschwendung, dass er hier in einem Lager saß und für eine von Hass zerfressene, menschenfeindliche Fee kämpfte, die sich einen feuchten Dreck um ihn und sein Leben scherte. Der Gedanke versetzte mir einen Stich.

»Wenn ich könnte, würde ich verdammt noch mal genauso lang schlafen«, meldete sich Rhona wieder zu Wort. »Heilige Scheiße, wie sehr ich mein Bett vermisse!«

»Oh ja, mein Bett vermisse ich auch«, rief ich und erntete zustimmendes Gemurmel. »Ich kann ja nichts dafür, dass man mich so lange schlafen lässt«, wagte ich mich dann vorsichtig vor. »Frage mich sowieso jeden Tag, wann das vorbei sein wird.«

»Du bist viel zu wichtig, als dass man dich zwingen würde, jeden Morgen mit uns durch den Matsch zu kriechen«, sagte Ramón, der sich gerne selbst reden hörte.

»Wichtig? Ich?«

»Mr MacMorna hat noch so einiges mit dir vor, da kann er dich ja nicht jetzt schon halb zu Tode hetzen.«

Ramón nannte Goll stets Mr MacMorna, was bei den anderen normalerweise für Gelächter sorgte. Doch diesmal warfen Jo und Alissa ihm warnende Blicke zu, und Rhona trat ihm sogar vors Schienbein.

»Weil ich eine Seherin bin?«, fragte ich so beiläufig wie möglich. Mein Herz klopfte heftig in meiner Brust. So weit war ich bei meinen Verhören bisher noch nie vorgedrungen. Ramón nickte und wollte schon den Mund öffnen, um weiterzusprechen, da fiel Rhona ihm ins Wort. »Wofür soll eine Seherin im Kampf schon gut sein? Wir ziehen bald in unsere erste Schlacht, da wird es uns wohl kaum eine Hilfe sein, dass du sìthichean sehen kannst.« Sie lachte nervös.

Ich horchte auf. Rhona hatte Ramón zum Schweigen bringen wollen, mir dabei aber noch viel mehr verraten. Und sie hatte nur eine der beiden Sehergaben erwähnt. Dass ich über die Fähigkeit verfügte, nach Alba zu reisen, hatte sie ausgelassen. Ein Zufall?

»Wie bald?«, fragte ich und umklammerte meine Schale so fest, dass ich glaubte, sie müsste jeden Moment zerspringen. Ich hatte so viele Fragen. Wo? Wann? Gegen wen genau? Hatten die Fianna Golls Versteck gefunden? Hatten sie ihm etwa bereits den Krieg erklärt? Waren sie auf dem Weg hierher? Mein Herz klopfte immer schneller.

Ein Schatten fiel auf das Kochfeuer, als jemand an uns herantrat und die Sonne verdeckte.

»Na, na, sùla, das ist jetzt aber genug«, ertönte eine tiefe, schnarrende Stimme hinter mir. »Ich würde es begrüßen, wenn du aufhören würdest, meine Soldaten auszuhorchen. Sonst muss ich dich doch noch einsperren lassen. Vielleicht würde es dir guttun, die Sonne ein paar Wochen lang nicht zu sehen.«

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Kapitel 3

Cate

Augenblicklich sanken Jo, Rhona, Alissa und Ramón auf die Knie und senkten die Köpfe. Es war ein beinahe lustiger Anblick, da alle vier immer noch ihre Suppenschalen in den Händen hielten. Am liebsten hätte ich sie angeschrien, wieder aufzustehen, und ihnen vorgeworfen, dass sie einem Monster folgten und schreckliche Dinge in seinem Namen tun würden. Dass ihr Leben nie wieder dasselbe sein würde, wenn sie erst einmal in einer Schlacht gekämpft hätten. Wenn sie es überhaupt überlebten. Doch ich musste zugeben, dass ich es ihnen nicht verdenken konnte, dass sie Goll folgten. Er war groß, breitschultrig, charismatisch und einschüchternd – der geborene Anführer. Und diese jungen Leute – nur wenige Jahre jünger als ich – waren leicht zu beeindrucken.

Goll ragte hoch über ihnen auf und würdigte seine Anhänger keines Blickes. »Geh ein paar Schritte mit mir, Catriona.« Er forderte mich mit einer Handbewegung auf, ihm zu folgen.

Mit einem letzten Blick auf meine immer noch knienden Freunde stellte ich meine Schale auf der Holzbank ab und stand auf. Was wollte Goll von mir? Seit meiner Ankunft hatte ich ihn nur ein paarmal gesehen und kaum ein Wort mit ihm gewechselt.

»Geduld, Catriona, hab noch etwas Geduld«, sagte er spöttisch, als wir uns ein paar Schritte von den anderen entfernt hatten. »Du wirst schon bald erfahren, welche Rolle du in meinen Plänen spielst.«

Während ich neben ihm herging, musterte ich ihn hasserfüllt, seinen dichten schwarzen Bart, die eisblauen Augen. Am liebsten hätte ich ihm ins Gesicht gespuckt. Sein fleckiges Leinenhemd war am Kragen aufgeknöpft, und mein Blick fiel auf eine Narbe an seinem Schlüsselbein.

Er bemerkte es. »Ein Geschenk von deinem Lieblingskrieger«, erklärte er mit finsterem Lächeln. »Ich habe noch meine ganz persönliche Rechnung mit Carrick zu begleichen. Der Tag wird kommen, an dem er sich wünschen wird, niemals sein lächerliches Regenbogenschwert gegen mich erhoben zu haben.«

»Carrick würde dich mit verbundenen Augen besiegen«, erwiderte ich wütend.

Goll legte den Kopf in den Nacken und lachte schallend. Ein paar junge Soldaten, die in einiger Entfernung vorbeiliefen, zuckten erschrocken zusammen und machten sich eilig aus dem Staub.

»Das glaubst du doch nicht wirklich, oder?«, fragte Goll, als er sich wieder beruhigt hatte.

Anstatt zu antworten, presste ich nur trotzig die Lippen zusammen.

»Und wo ist er, dein tapferer Krieger? Wo ist er jetzt, da du in die Hände des ach so niederträchtigen Feindes geraten bist?« Goll hob fragend die Augenbrauen. »Eins haben dein Liebhaber und ich allerdings gemeinsam. Carrick hasst deinesgleichen fast genauso sehr wie ich. Mit gutem Grund.«

Ich wollte etwas erwidern, hatte aber auf einmal einen Kloß im Hals. Schon einmal hatte Nairn mir gegenüber erwähnt, dass Carrick allen Grund hatte, Menschen zu hassen. Und doch war er mir so nahegekommen. Es war mir immer noch ein Rätsel. Das alles ergab einfach keinen Sinn. Doch ich würde Goll nicht die Genugtuung verschaffen, ihn danach zu fragen. Das war eine Geschichte, die nur Carrick selbst mir erzählen konnte.

»Was ist dein Plan?«, fragte ich ihn stattdessen, um ihn von dem Thema abzubringen. »Wann schickst du deine Soldaten ins Feld?«

Goll sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren. »Ach, Catriona, du enttäuschst mich. Glaubst du wirklich, ich würde dir meine geheimsten Pläne verraten? Noch nicht mal meine Soldaten kennen die Details. Du kannst also aufhören, sie auszuhorchen, und musst dich nicht mehr mit ihnen abgeben.«

Mit ihnen abgeben? Als wären sie nichts als Würmer, die für ihn im Dreck krochen.

Ich wandte mich angewidert von ihm ab. Da fiel mein Blick auf den Turm, der nicht weit entfernt einsam in den Himmel ragte. Goll wollte mir seine Geheimnisse nicht offenbaren, doch es gab eins, das sich direkt vor meiner Nase befand. Ich würde herausfinden, was er im Turm versteckte, und dann so schnell wie möglich von hier verschwinden.

»Dann komm doch endlich mal auf den Punkt«, fuhr ich Goll entnervt an. »Warum verschwendest du überhaupt deine Zeit mit einer sùla?«

»Aber Catriona, wer hat denn je gesagt, dass taibhsearan Zeitverschwendung sind? Es ist wahr, dass meine Waffenbrüder und ich Jahrhunderte verschwendet haben, um euch zu jagen und zu töten, aber mir ist klar geworden, wie dumm das war. Na ja, es war Fionns Idee, also kann es ja nicht besonders schlau gewesen sein, nicht wahr?« Er lachte und sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, als würde er auf meine Zustimmung warten. Ich schnaubte nur und verdrehte die Augen.

»Nein«, fuhr er achselzuckend fort, »mir ist schon lange klar, wie falsch dieses Vorgehen war. Ihr sùilean seid tatsächlich von großem Wert für uns. Vor allem du, liebe Catriona, da du unter uns gelebt hast, unsere Sitten und Gebräuche kennengelernt hast. Unsere Schwachstellen.« Er betonte das letzte Wort so zischend wie eine Giftschlange, kurz bevor sie die Zähne in ihr Opfer schlägt. Ich wagte nicht, ihn zu unterbrechen, wollte unbedingt, dass er mir mehr verriet. Also sah ich ihn nur mit erhobenen Augenbrauen herausfordernd an.

»Um genau zu sein, scheinst du wider alle Vernunft die Schwachstelle eines ganz bestimmten Fianna-Kriegers zu sein. Und das macht dich noch viel wertvoller.« Goll grinste so zufrieden wie eine Hyäne, die gerade ein Festmahl verspeist hat.

»Carrick«, murmelte ich entsetzt, als mir klar wurde, was er plante.

Goll gluckste amüsiert. »Oh, es ist nur eine Frage der Zeit, bis er hier auftaucht, um die arme Jungfrau in Nöten zu retten. Und dann werde ich bereit für ihn sein.«

Ich blieb abrupt stehen und starrte ihn hasserfüllt an. »Da muss ich dich leider enttäuschen. Ich habe Carrick und die Fianna verlassen. Er wird nicht hinter mir herkommen. Wahrscheinlich hat er mich längst vergessen.«

Wieder lachte Goll so laut, dass einer der Magieschüler in der Nähe die Kontrolle über seinen Feuerball verlor und dieser krachend in ein Zelt raste, das sofort in Flammen aufging. Laute Rufe folgten, und sofort kamen mehrere Wassereimer auf magische Weise herangeflogen. Ihr Inhalt wurde zischend über dem Feuer ausgeschüttet.

Goll würdigte das Chaos keines Blickes. Seine eisblauen Augen waren auf mich gerichtet, sein Blick bohrte sich in meinen. »Ach, sùla, was für eine typisch menschliche Schwäche, die eigenen Fähigkeiten zu unterschätzen. Wart’s nur ab. Er wird kommen. Und wenn ich ihn erst getötet habe, wirst du deinen wahren Zweck erfüllen.«

Ich schluckte. »Und was ist dieser wahre Zweck, von dem du die ganze Zeit faselst?«

Er grinste höhnisch. »Wenn ich dir das jetzt schon verraten würde, wo bliebe dann der ganze Spaß?«

Hitze stieg mir in die Wangen, Wut schäumte in meinen Adern und drohte überzuschwappen. Ich ballte die Fäuste und hielt seinem eindringlichen Blick eine Weile stand. Seine Lippen verzogen sich zu einem süffisanten Grinsen, das ich ihm am liebsten mit einer Ohrfeige vom Gesicht gewischt hätte.

Doch stattdessen funkelte ich ihn ein letztes Mal an, machte dann auf dem Absatz kehrt und stapfte in die entgegengesetzte Richtung davon. Nur weg von ihm. Weit, weit weg.

»Halte dich bereit!«, rief er mir hinterher. »Jetzt dauert es nicht mehr lange.«

Ich sah nicht zurück, beschleunigte lediglich meine Schritte und verschwand zwischen den Zeltreihen.

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Kapitel 4

Cate

Den Rest des Tages verbrachte ich damit, mit einem Übungsschwert wutschnaubend auf eine Holzfigur einzudreschen. Ich hatte zwar keine Ahnung, wie man mit einem Schwert umging, musste mich aber dringend abreagieren.

Natürlich ließ man mich nicht an die echten Waffen heran, obwohl ich selbst mit einer scharfen Klinge nichts gegen eine ganze Armee hätte ausrichten können. Doch als ich mir vor einigen Tagen das erste Mal eines der hölzernen Übungsschwerter, die für die Soldaten bereitlagen, genommen hatte, hatte mich niemand aufgehalten. Seitdem verbrachte ich meine Nachmittage mit Nahkampftraining, während meine neuen Freunde ihre eigenen Übungen absolvierten und ich nicht weiter an meinem Tunnel arbeiten konnte, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.

Ich befand mich am äußersten Rand des Lagers, so nah an der unsichtbaren Schutzbarriere, wie ich mich an sie heranwagte. Während meiner ersten Tage hier hatte ich die durchsichtige, magische Wand oft berührt und zu durchdringen versucht, wobei ich jedes Mal so etwas wie einen Stromschlag bekommen hatte. Sie war allerdings so fest und unnachgiebig wie eine Wand aus Stahl. Irgendwann hatte ich es aufgegeben und begonnen, meinen Tunnel zu graben.

Niemand nahm Notiz von mir, während ich mein Übungsschwert wieder und wieder auf die grob geschnitzte Holzfigur niedersausen ließ. Bei jedem Schlag flogen kleine Holzsplitter durch die Luft. Meine Muskeln brannten, Schweiß tropfte mir in die Augen, doch ich gab nicht auf, sondern stellte mir vor, die Figur wäre Goll. Der unausstehliche Bastard von einer Fee glaubte doch nicht wirklich, mich in seinem Kampf gegen die Menschheit einsetzen zu können! Was sollte ich schon ausrichten? Es gab Hunderte Seher und Seherinnen wie mich überall auf der Welt. Was wollte er ausgerechnet mit mir?

Doch das Schlimmste war, dass er mich zuerst als Köder benutzen wollte, um Carrick herzulocken. Was, wenn er ihn und die Fianna vor die Wahl stellte, mein Leben zu retten oder das Tausender unschuldiger Menschen? Doch das würde voraussetzen, dass Carrick tiefe Gefühle für mich hatte und dass auch den Fianna etwas an mir lag.

Sie würden sich nie für dich entscheiden, mahnte meine innere Stimme.Carrick würde sich nie für dich entscheiden. Oder doch?

Ich schlug nur noch härter zu, brüllte bei jedem Schlag wild auf. Ich musste aus diesem Gefängnis entkommen, sonst würde ich noch wahnsinnig werden. Es war an der Zeit, dass sich etwas änderte, dass ich mein Schicksal wieder selbst in die Hand nahm. Von wegen »Jungfrau in Nöten«. Ich würde nicht mehr darauf warten, dass Carrick mich retten kam und dabei in eine Falle tappte.

Ich holte ein letztes Mal aus, drehte mich mit einer fließenden Bewegung zur Seite, ließ das Schwert an der Holzfigur vorbeisausen und schlug mit aller Kraft gegen den unsichtbaren Schutzschild. Es musste von Weitem so aussehen, als würde ich auf nichts als Luft eindreschen, doch als meine hölzerne Klinge auf den Schild traf, stoben bunte Funken auf, und ich wurde zurückgeschleudert.

Ich schrie auf und landete einige Meter entfernt hart auf dem Rücken. Vor mich hin fluchend rappelte ich mich auf und ignorierte die erschrockenen Blicke einiger junger Soldaten, die ganz in der Nähe Liegestütze machten. Ich rieb mir den schmerzenden Nacken und verfluchte meine Dummheit. Es war absolut unmöglich, diesen dämlichen Zauber zu durchbrechen. Umso frustrierender war es, dass Goll und seine Anhänger einfach hindurchmarschieren konnten, als gäbe es den Schutzwall gar nicht. Nur für mich, ihre Gefangene, war er undurchdringlich. Ein magisches Mysterium, das ich nie verstehen würde.

Allerdings gab es ein Geheimnis, dem ich sehr wohl auf den Grund gehen konnte. Mit grimmiger Miene schaute ich zur Burg, deren einsam aufragender Turm bereits lange Schatten auf das Zeltlager warf. Heute Nacht, raunte ich ihm in Gedanken zu. Heute Nacht werde ich dein Geheimnis lüften.

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Kapitel 5

Carrick

Er hatte ihre Fährte bis in den Norden verfolgt. Die Angst, dass Goll sie übers Meer gebracht haben könnte, etwa auf die Orkneys oder gar die Shetlandinseln, hatte ihn angetrieben, und er hatte sich keine Pause gegönnt. Es wäre um einiges kniffliger gewesen, ihnen dorthin zu folgen. Das Meer hatte bei längeren Spiegelreisen schon immer eine schwierig zu umgehende Barriere dargestellt.

Nun stand Carrick an einer steil abfallenden Klippe und sah auf die sturmgepeitschte See hinaus, auf deren Wellen sich das Sonnenlicht brach. Das Blau des Meeres erinnerte ihn an ihre Augen. Die Erinnerung an sie verfolgte ihn Tag und Nacht – der Geruch ihrer Haare, das Gefühl ihrer weichen Haut unter seinen Fingern, der Klang ihres Lachens.

Wieder und wieder hallten ihm ihre letzten Worte in den Ohren. »Was ist gestern Nacht passiert?«

Wie ein Idiot hatte er geantwortet: »Es ist nichts … es darf nichts zwischen uns passiert sein.«

Sie hatte ihm danach sogar noch eine zweite Chance gegeben, sich zu erklären. »Was, Carrick? Was brennt dir denn auf der Seele? Spuck’s schon aus.« Und wieder war er nicht stark genug gewesen, ihr zu sagen, wie viel sie ihm bedeutete, wie sehr er sie für das bewunderte, was sie für ihn und seine Brüder getan hatte. Oder sie aufzuhalten.

»Geh nicht«, hatte er sie angefleht, aber es war nicht genug gewesen.

»Auf Wiedersehen, Carrick.« Immer wieder hörte er diese Worte, sah die Enttäuschung in ihren Augen.

Er hoffte so sehr, dass es ein Wiedersehen geben würde. Dass Cate nicht längst tot war – oder Schlimmeres.

Frustriert fuhr er sich durch das vom Wind zerzauste Haar. Seit drei Tagen schlich er nun schon an dieser Küste herum. Es war schwer gewesen, ihren Geruch in Edinburgh wiederzufinden. Der Gestank der Stadt überlagerte alles – Autoabgase, Müll, Urin und Menschen, überall Menschen. Doch Goll war nicht gründlich genug gewesen, hatte seine Spuren nur nachlässig verwischt. Carrick fragte sich, ob sein abtrünniger Waffenbruder das absichtlich getan hatte, um ihn herzulocken. Er war sich bewusst, dass er vielleicht in eine Falle lief, doch er konnte nicht anders. Es war seine Schuld, dass Cate in Golls Fänge geraten war. Er würde sie da herausholen, koste es, was es wolle. Und dann würde er sie nicht noch einmal verlieren – es sei denn, sie wollte gehen. Bei dem Gedanken verkrampfte er sich.

Cate war auf dem Weg zurück nach New York – zurück zu ihrem Verlobten – gewesen, als sie entführt worden war. Warum sollte sich an ihrem Entschluss etwas geändert haben? Vermutlich hatte sie es nach zwei Wochen als Golls Gefangene noch eiliger, aus Schottland zu verschwinden. Er, eine sìthiche, und noch dazu ein Krieger der Fianna, war schließlich ihr natürlicher Feind. Er konnte es verstehen, wenn sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte, nach allem, was seine Art ihr angetan hatte. Verstehen konnte er es, aber ob er auch damit leben konnte, war eine andere Frage.

Er trat wütend gegen einen Stein, der in hohem Bogen ins Meer flog. Was für eine Ironie, dass er nun auf einer Klippe stand und nicht weiterwusste. Das war es, was sein Name bedeutete: carraig, der auf der felsigen Klippe weilt. Beinahe hätte er laut gelacht.

Auf einer Klippe hatte auch alles angefangen. An einem Steilhang, der diesem nicht ganz unähnlich war, als er Cate das Leben gerettet hatte. Sie hatte sich in Gefahr gebracht, um das Dord Fiann für ihn und seine Brüder zu stehlen, und war kurz davor gewesen abzustürzen. In diesem Moment, als er ihre Hand ergriffen und sie hochgezogen hatte, hatte sich alles verändert. Schon lange hatte er nicht mehr solche Angst verspürt wie in jenem Moment. Die Panik hatte ihm die Kehle zugeschnürt, die Furcht, sie zu verlieren, war übermächtig gewesen. So übermächtig, dass er freiwillig Höllenqualen ausgestanden hatte, um zu ihr zu gelangen, obwohl der Schutzzauber der Keiths ihm das Fleisch von den Knochen gesengt hatte. In diesem Moment hatte er gewusst, dass da etwas zwischen ihnen war, eine unerklärliche Anziehungskraft, eine mächtige Verbindung. Auch jetzt spürte er sie noch, wie ein straff gespanntes Band, das sie miteinander verband und ihn zu ihr zog. Doch aus dem einst robusten Seil war eher ein dünner Faden geworden, der mittlerweile zum Zerreißen gespannt war.

Er fürchtete, dass er Cate für immer verlieren würde, wenn er sie nicht bald fand.

Frustriert wandte Carrick sich vom Meer ab und ließ den Blick zum hundertsten Mal über die grasbewachsene Ebene schweifen. Er hatte fast zwei Wochen gebraucht, um hierherzufinden. Immer wieder hatte er Cates Geruch und Golls Spuren verloren und wieder von vorne beginnen müssen. Er war ihnen weiter und weiter in den Norden gefolgt, bis er hier gelandet war. Die Spuren endeten abrupt, als wären sie vom Erdboden verschluckt worden. Doch Carrick spürte, dass etwas mit diesem Ort nicht stimmte. Eine Art Zauber lag über der Ebene, der etwas schützte oder verbarg. Er wusste nur noch nicht, was. Er würde nicht aufgeben, würde noch ein weiteres Mal alles absuchen. Mit entschlossener Miene setzte er sich in Bewegung und musterte mit seinem Feenblick alles, jeden Grashalm, jedes Mauseloch, jede gelbe Ginsterblüte und jeden Stein. Weit in der Ferne konnte er die Umrisse einer uralten Burgruine nahe der felsigen Küste ausmachen.

Ein einziger Turm ragte einsam in den blauen Himmel. Er hielt darauf zu.

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Kapitel 6

Cate

Ich musste im Dunkeln über einige verstreute Trümmer klettern, um auch nur in die Nähe der noch halbwegs intakten Burgmauern zu gelangen. Es war nicht viel von der einst mächtigen Bastion übrig. Der Vollmond wies mir den Weg, und einige Sterne zeigten sich am Nachthimmel, obwohl ihr Licht immer wieder von vorbeiziehenden Wolken verschleiert wurde. Ich setzte langsam einen Schritt vor den anderen, presste mich an Wände und lugte um Ecken, bevor ich darum herumging, um nicht von irgendetwas überrascht zu werden. Was auch immer Nacht für Nacht in dieser Ruine wehklagte, war sicher nicht ungefährlich. Meist klang es wie irgendeine übernatürliche Bestie, in anderen Nächten wieder nur wie ein trauernder Mensch, der unsägliche Schmerzen litt.

Ich spähte in düstere Ecken und hinter herabgefallene Gesteinsbrocken. Ich fand nichts als eine Eidechse, die sich schnell aus dem Staub machte, und ein verlassenes Vogelnest. Bald wurde klar, dass ich in den Trümmern am Boden nicht fündig werden würde. Auf zum Turm.

Als ich den Fuß des beeindruckenden Bauwerks erreichte, schob sich gerade eine besonders große Wolke vor den Mond. Ich seufzte und wünschte mir zum hundertsten Mal eine Taschenlampe herbei. Der Eingang klaffte wie ein riesiger schwarzer Schlund im Gestein, es gab keine Tür. Ich straffte die Schultern und trat mit klopfendem Herzen ein.

Grabeskälte empfing mich. Ich schauderte und zog meine Jacke enger um mich. Irgendwo neben mir tropfte es von der Decke, und ich betete zur Banshee, dass es Regenwasser und nichts Schlimmeres war.

Es gab nur eine Richtung, in die ich gehen konnte: nach oben. Eine enge Wendeltreppe wand sich vor mir den Turm hinauf. Alles in mir schrie danach, umzukehren und zu meinem Tunnel zurückzugehen. Der Gedanke, dass ich in dieser Nacht nicht wie sonst an meiner Flucht arbeitete, machte mich nervös. Ich kam sowieso viel zu langsam voran. Doch irgendetwas sagte mir, dass es sich lohnte, einen Blick in die Burgruine zu werfen.

Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und setzte einen Fuß auf die erste Stufe. Sie war uneben und ausgetreten, sodass ich beinahe abgerutscht wäre. Mit größter Vorsicht erklomm ich die nächsten Treppenstufen, während ich mich an den kalten Steinwänden zu beiden Seiten entlangtastete. Ich durfte unter keinen Umständen fallen. Niemand würde mich so bald holen kommen, wenn ich hier mit einem gebrochenen Knöchel endete.

Als ich um die nächste Biegung kam, entdeckte ich auf einmal ein schwaches, grünliches Licht, das von irgendwo über mir zu kommen schien. »Was haben wir denn hier?«, murmelte ich neugierig.

Fasziniert beschleunigte ich meine Schritte. Das grüne Schimmern ließ die unebenen Steinwände noch gespenstischer aussehen, doch es trieb mich weiter und weiter, ohne dass ich noch Notiz von meiner gruseligen Umgebung genommen hätte. Ich folgte dem schwachen Glühen die gewundene Treppe hinauf, es wurde heller und heller, bis es plötzlich nicht mehr weiterging. Nach der nächsten Biegung endeten die Stufen jäh vor einer dunklen Holztür. Ich blieb augenblicklich stehen.

Das war also die Quelle des Lichts gewesen, das mir den Weg hierher gewiesen hatte. Das pulsierende Licht ging von der Tür aus und gab dann und wann ein leises Zischen von sich, das mich an den undurchdringlichen Schutzwall erinnerte, der das gesamte Gelände umgab.

Ich fluchte leise. War meine Entdeckungstour hier etwa schon zu Ende?

Doch dann fragte ich mich, ob dieser Schutzzauber Eindringlinge aussperren oder vielleicht das, was sich hinter der Tür befand, einsperren sollte. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Ich würde es herausfinden müssen. Entschlossen straffte ich die Schultern, nahm meinen ganzen Mut zusammen und streckte vorsichtig eine Hand aus.