Die Todesfahrt der "Advance" im ewigen Eise (Illustrierte Ausgabe) - Hanns Reska - E-Book

Die Todesfahrt der "Advance" im ewigen Eise (Illustrierte Ausgabe) E-Book

Hanns Reska

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Beschreibung

Diese Ausgabe von "Die Todesfahrt der "Advance" im ewigen Eise" wurde mit einem funktionalen Layout erstellt und sorgfältig formatiert. Es handelt sich um eine überarbeitete Fassung der Schilderung der sog. 2. Grinnell-Expedition (1853-1855) mit der Brigg "Advance" unter Leitung des amerikanischen Wissenschaftlers und Arztes Elisha Kent Kane (begleitet u.a. von Isaac Hayes); Ziel der Unternehmung war u.a. die Klärung des Schicksals der Franklin-Expedition. Inhalt: Vorwort Dem eisigen Norden entgegen Glückliche Fahrt Ins Eis verschlagen Die verlorene Hoffnung Die Winternacht kommt Not und Krankheit Besuch von Eskimos Zwischen Tod und Leben Dr. Hayes Expedition Eine Bärenjagd Die Expedition trennt sich Unsere Freunde - die Eskimos Die Rückkehr der Abtrünnigen Not und Verzweiflung Letzter Versuch Wir verlassen das Schiff Abschied von den Eskimos Heimkehr Müdemannsruh Nachwort Elisha Kent Kane (1820 - 1857) war ein US-amerikanischer Forscher, Entdecker und Arzt. Von 1853 bis 1855 leitete er die von Henry Grinnell finanzierte Expedition zur Auffindung des verschollenen John Franklin (sogenannte "2. Grinnell-Expedition"), nachdem er schon die erste erfolglose Grinnell-Expedition als Oberarzt begleitet hatte. Die Suchaktion verlief - wie sämtliche andere der zahlreichen zur Rettung Franklins gestarteten Expeditionen Mitte des 19. Jahrhunderts - erfolglos, trug aber wesentlich zur Erforschung der kanadischen und grönländischen Arktis bei.

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Hanns Reska

Die Todesfahrt der "Advance" im ewigen Eise

(Illustrierte Ausgabe)

E. K. Kane's berühmte Grinnell-Nordpolexpedition (RMS Titanic Vorgänger)

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-1741-0

Inhaltsverzeichnis

Vorwort
Dem eisigen Norden entgegen
Glückliche Fahrt
Ins Eis verschlagen
Die verlorene Hoffnung
Die Winternacht kommt
Not und Krankheit
Besuch von Eskimos
Zwischen Tod und Leben
Dr. Hayes Expedition
Eine Bärenjagd
Die Expedition trennt sich
Unsere Freunde – die Eskimos
Die Rückkehr der Abtrünnigen
Not und Verzweiflung
Letzter Versuch
Wir verlassen das Schiff
Abschied von den Eskimos
Heimkehr
Müdemannsruh
Nachwort

Vorwort

Inhaltsverzeichnis

In die Tafeln der Geschichte der Nordpolexpeditionen ist der Name John Franklin mit goldenen Lettern eingezeichnet. Es war um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, als man immer und immer wieder den Versuch unternahm, die berühmte nordwestliche Durchfahrt zu finden. Da durfte auch Sir John Franklin nicht fehlen – der kühne Engländer, den ein abenteuerliches Leben kreuz und quer über den Erdball getrieben hatte, um ihm schließlich in den wüsten Einöden des ewigen Eises sein Grab zu bereiten.

Zur Aufsuchung der nordwestlichen Durchfahrt segelten unter Franklins Leitung am 19. Mai 1845 die beiden englischen Schiffe »Erebus« und »Terror« ab und wurden am 26. Juli in der Melville-Bai unter 77° nördl. Breite und 66° 13’ westl. Länge von Greenwich zum letzten Male gesehen. Seit dieser Zeit fehlten alle Nachrichten. Das rätselhafte Verschwinden Sir John Franklins und seiner Gefährten begann bald die ganze gebildete Welt zu interessieren und überall Hilfsbereitschaft wachzurufen. Seit 1848 wurden von der englischen Regierung, von der Gattin Franklins und dem amerikanischen Kaufmann Grinnell wiederholt Expeditionen ausgerüstet, um teils von der Baffinsbai, teils von der Beringstraße aus nach den Verschollenen zu suchen. Alle Versuche schlugen fehl.

Franklin war durch den Lancastersund gegangen, dann nordwärts durch den Wellingtonkanal um die Insel Cornwall gesegelt, hatte das Prinz-Wales-Land umkreist, worauf seine Schiffe vor der Nordspitze von King-Williams-Land (70° nördl. Breite) im Eise festgehalten wurden. Aussagen von Eskimos gaben 1854 die ersten Andeutungen von dem tragischen Schicksal der Expedition. 1859 entdeckte Mac Clintock Ueberbleibsel und schriftliche Nachrichten, aus denen man endlich die Gewißheit erlangte, daß Franklin nach Ueberstehung eines zweiten Winters am 11. Juni 1847 gestorben war. Seine Gefährten, 105 Mann, verließen unter den Kapitänen Crozier und Fitzjames am 22. April 1848 die Schiffe. Bis dahin waren trotz dreimaliger Ueberwinterung erst 9 Offiziere und 15 Mann gestorben. Bei ihrem verzweifelten Versuch, das Festland und die Stationen der Hudsonbai-Compagnie zu erreichen, sind sie sämtlich durch Hunger und Kälte umgekommen.

In London wurde Franklin ein Bronzestandbild errichtet.

Von den zu seiner vergeblichen Rettung unternommenen Versuchen gilt die zweite Grinnell-Expedition als die berühmteste. Sie stand unter dem Kommando des Dr. Elisha Kent Kane, der 1820 zu Philadelphia geboren war. Von seinen 37 Lebensjahren verbrachte Dr. Kane nicht weniger als 20 auf Entdeckungs-und Forschungsreisen in allen Längen-und Breitengraden. Nach seiner Schulzeit und den Studienjahren auf den Universitäten Virginiens und Pennsylvaniens machte er 1843 sein medizinisches Doktorexamen und erhielt bald darauf eine Anstellung als Arzt bei der diplomatischen Expedition nach China. Diese Gelegenheit benutzte er, um die Philippinen zu durchstreifen und zu erforschen. Sein Begleiter, der preußische Baron Loe, brach unter den Anstrengungen zusammen und starb auf Java. Dr. Kane kehrte gesund und mit reicher wissenschaftlicher Ausbeute heim. Besonders hatte er die vulkanischen Gegenden Albaifs und Sombaras durchforscht und war der Erste, der den Krater des Hallvulkans erstieg. Doch er bestieg ihn nicht nur, sondern ließ sich auch an einem Bambusseil von einer überhängenden Klippe über hundert Fuß tief hinab und kletterte dann durch Asche-und Lavalabyrinthe noch sechshundert Fuß tiefer. Besinnungslos wurde er heraufgewunden, brachte aber alles mit, was er in dieser grauenhaften Unterwelt gesammelt – sogar eine Flasche mit Luft! Er erinnerte sich alles Gesehenen so genau, daß er eine topographische Skizze davon entwerfen konnte.

Diese tollkühne Art von Naturforschung brachte ihn in Ruf, und alle Naturforscher begrüßten ihn als den ihrigen.

Es folgten Reisen nach Indien, Aegypten, Ceylon. In unermüdlichem und unerschrockenem Vorwärtsdrang erreichte er häufig Punkte, die vorher noch niemand mit wissenschaftlichen Augen angesehen hatte. Ein Wüstensturm beraubte ihn leider der ganzen schriftlichen Ausbeute mehrjähriger rastloser Tätigkeit. Auf einer anderen Expedition bereiste er die Westküste von Afrika, die damalige Region des Sklavenhandels, bis das gefährliche Bodenfieber der heißen Zone ihn an den Rand des Grabes brachte.

Später begleitete er die amerikanische Armee nach Mexiko, wo er selbst verwundet wurde. Ungeachtet der Kriegsläufte durchforschte er das Land und vermaß den Vulkan Popokatepetl zum ersten Male genau. Nach dem Frieden war er bald als Küsteningenieur im Golf von Mexiko wieder tätig. Hier erreichte ihn der Antrag, die erste Grinnell-Expedition als Oberarzt zu begleiten, die im Mai 1850 auszog und im Oktober 1851 – mit dem gleichen Mißerfolge wie alle anderen Versuche zur Rettung Franklins und seiner Gefährten – wieder heimkehrte.

Ohne sich durch die ausgestandenen Gefahren und die Anstrengungen dieser ersten Reise abhalten zu lassen, erbot sich Kane sofort nach seiner Rückkehr, einen abermaligen Versuch zur Auffindung der Verschollenen zu machen. Teils auf seine eigenen Kosten, teils unter finanzieller Mithilfe des Herrn Grinnell und anderer Personen und Institute kam das Unternehmen zustande.

Dieselbe Brigg »Advance«, die Dr. Kane auf seiner ersten Reise getragen, kam jetzt unter seinen Befehl. Nun durfte er nach Maßgabe seiner Kräfte seine Lieblingsidee verwirklichen: daß man nach den Verlorenen geradezu im Norden suchen und an Grönland vorbei soweit als irgend möglich gegen den Pol vorstoßen mußte. Am 30. Mai 1853 ging die »Advance« in See.

Dr. Kane ist weiter vorgedrungen, als man füglich hätte erwarten dürfen. Zwar fand auch er keine Spur von Franklin, doch er entschleierte gewaltige Länderstrecken des bisher noch unentdeckten Nordens und erreichte sogar das geheimnisvolle eisfreie Polarmeer, von dessen Vorhandensein man bis dahin nur in phantastischen Vermutungen gefabelt hatte. Endlich brachte er, als es für ihn nichts mehr zu tun gab, sich und seine Gefährten glücklich zurück, nachdem man bereits ihn selbst zu den Verlorenen zu zählen begonnen hatte.

Dr. Kane war ohne weiteres bereit zu einer dritten Expedition und eilte nach seiner Rückkehr sogleich nach England, um hier seine Bereitwilligkeit zu erklären.

Doch die unerhörten, jahrelangen Anstrengungen, die er sich körperlich zugemutet, hatten seine Gesundheit völlig untergraben. Um Genesung zu suchen, ging er nach Havanna, das er nur als Leiche wieder verließ.

Der 11. März 1857 war der Tag, an dem eine großartige, aber traurige Feier der Stadt New York ihren Stempel aufdrückte: an diesem Tage trug man den Mann zu Grabe, den jedes Volk mit Stolz den Seinigen genannt hätte.

Zum besseren Verständnis der nun folgenden Reisebeschreibung diene die Erklärung einiger häufig auftretender Worte und Fachausdrücke:

Eisberg ist ein einzeln schwimmender riesiger Eisklumpen von mitunter phantastischen Formen und Farbenbildungen.

Eisfelder erheben sich 4 – 6 Fuß aus dem Wasser und liegen oft bis zu 20 Fuß unter ihm. Diese Felder sind viele Meilen lang und breit. Oft rücken sie nur langsam vorwärts, oft treiben sie mit rapider Geschwindigkeit. Vom Mastkorbe aus lassen sie sich ihres enormen Umfanges wegen nicht übersehen.

Eisflarden dagegen sind Eisfelder geringeren Umfanges.

Hummocks sind Eisklumpen, die von einem Eisfelde oder einer Eisflarde getragen werden.

Packeis sind Eisbarrikaden, die sich aus einzelnen Klumpen oder Schollen auftürmen. Entweder verstopfen sie ganze Meeresarme oder bieten auf freier See jedem Vordringen ein unerwartetes Halt. Dann sind sie meist unübersehbar und vereiteln jede Annäherung an etwa hinter ihnen liegende unbekannte Länder.

Loses Eis sind Eismassen, die dicht nebeneinander schwimmen, durch die sich das Schiff aber einen Weg bahnen kann. Segeleis ist so klein zerstückelt, daß jedes Schiff ohne Mühe hindurchkommt.

Schweres Eis geht sehr tief und ist völlig kompakt.

Eiszungen ragen von einem Eisfelde oder Eisberge unter dem Wasserspiegel ins freie Wasser und bilden eine gefährliche Klippe, die bei ruhigem Wasser jedoch leicht sichtbar ist.

Eisblink ist der eigentümliche Widerschein, den eine Eisfläche auf den Horizont wirft. Für den Nordpolfahrer ist der Eisblink ein deutliches Kennzeichen, daß er umzukehren hat.

Wasserhimmel dagegen verheißt freie Fahrt. Man versteht unter diesem Worte eine leichte Verdunkelung der Luft, die von einer darunter liegenden Fläche freien Wassers herrührt.

Dem eisigen Norden entgegen

Inhaltsverzeichnis

Im Dezember 1852 wurde ich vom Sekretariat der Flotte damit beauftragt, eine Expedition zur Aufsuchung Sir John Franklins nach den nordischen Gewässern zu führen. Ich hatte unter Leutnant de Haven an der Grinnellexpedition teilgenommen, welche 1850 zu demselben Zweck von den Vereinigten Staaten ausgegangen war, und mich nach meiner Rückkehr mit der Ausarbeitung eines Planes beschäftigt, wie durch eine erneute Anstrengung dem Vermißten Hilfe zu bringen oder wenigstens das Rätsel seines Schicksals zu lösen sei. Herr Grinnell hatte in seltener Freigebigkeit die Brigg »Advance«, an deren Bord ich mich bereits früher befunden, abermals zur Verfügung gestellt, Herr Peabody aus London für deren Ausrüstung reichliche Mittel gespendet. Die Geographische Gesellschaft zu New York, das Smithsonsche Institut und andere wissenschaftliche Vereine und Freunde der Wissenschaft gesellten sich hilfreich hinzu, so daß ich mich auch mit Beobachtungsmitteln besser ausgestattet sah, als es sonst möglich gewesen wäre.

Zehn Mann unserer kleinen Reisegesellschaft gehörten der Flotte an und waren mir dienstlich zugewiesen; die übrigen waren lauter Freiwillige. Wir fuhren nicht unter den sonst auf amerikanischen Schiffen gültigen Vorschriften, sondern hatten unsere besonderen wohlüberlegten Regeln, die jedem vorher bekannt gemacht und in der Folge bei allen Wechselfällen der Expedition streng eingehalten wurden. Sie lauteten: l. Unbedingter Gehorsam gegen den Kommandanten oder dessen Stellvertreter. 2. Enthaltung von allen berauschenden Getränken, soweit sie nicht infolge besonderer Vorschrift gereicht werden. 3. Vermeidung der gemeinen Redeweise.

Sonstige Gesetze gab es nicht … –

Bei unserer Abreise zählten wir siebzehn Köpfe; ein achtzehntes Mitglied nahmen wir einige Tage später unterwegs noch auf. Unser Schiff, die »Advance«, hatte bereits in manchem Kampf mit dem nordischen Eise die Probe bestanden; sie wurde sorgfältig untersucht, und es bedurfte nur geringer Arbeit, um sie wieder vollkommen seetüchtig zu machen. Die »Advance« war eine Brigg von 144 Tonnen, ursprünglich zum Transport schweren Gußeisens bestimmt und späterhin mit großem Geschick und vielen Kosten noch verstärkt worden; außerdem war sie ein guter Segler und führte sich leicht. Weiterhin besaßen wir neben einem metallnen vier hölzerne Rettungsboote.

Unsere Ausrüstung mußte gleichfalls äußerst einfach genannt werden; denn sie bestand aus wenig mehr als einem Stapel roher Bretter, um das Schiff im Winter zu überdachen, einigen Zelten von Kautschuk und Segeltuch sowie einigen mit vieler Sorgfalt konstruierten Schlitten.

Bei der Auswahl unserer Lebensmittelvorräte wurde jeder Luxus vermieden. Wir besaßen ein paar tausend Pfund gutes Preßfleisch (sogen. Pemmikan), eine Partie Fleischzwieback, etwas eingelegten Kohl und einen reichen Vorrat getrockneter Früchte und Vegetabilien. Daneben das übliche Pökelrinder-und Schweinefleisch der Kriegsflotte, Schiffszwieback und Mehl, einen sehr bescheidenen Vorrat Spirituosen und die sonstigen kleineren Erfordernisse einer Reise im hohen Norden. Einiges frisches Fleisch hoffte ich noch aufnehmen zu können, bevor wir die oberen Grönlandsküsten erreichten; auch nahm ich einige Fässer Malz und einen Brauapparat mit.

Schließlich besaßen wir eine bescheidene Garderobe an wollenen Anzügen, einen reichlichen Vorrat an Messern, Nadeln und anderen Tauschartikeln, eine sorgsam ausgewählte, ziemlich umfangreiche Bibliothek und ein wertvolles Sortiment von Instrumenten für wissenschaftliche Beobachtungen.

fiskernaes

New York verließen wir am 30. Mai 1853 und erreichten in achtzehn Tagen St. Johns auf Neufundland, wo uns der herzlichste Empfang zuteil wurde. Der Gouverneur, die Beamten und die ganze Einwohnerschaft beeiferten sich, uns jede erdenkliche Gefälligkeit zu leisten. Hier kaufte ich einen Vorrat frisches Rindfleisch, das wir nach Seemannsart von Knochen und Sehnen befreiten, mit Bindfaden fest umwickelten und in Rollen formten, die im Takelwerk aufgehangen wurden. Nach zwei Tagen verließen wir die blühende und gastfreundliche Stadt und richteten, mit einem imposanten Zug Neufundländer Hunde an Bord, die uns der Gouverneur geschenkt hatte, unsern Kurs nach der grönländischen Küste. Ohne Zwischenfall erreichten wir die Baffinsbai. Bei Annäherung an ihre Mittellinie sondierten wir und fanden die ansehnliche Tiefe von 1900 Faden – eine interessante Tatsache, und gleichzeitig ein Beweis dafür, daß das Plateau des Meeresgrundes, das sich bekanntlich zwischen Irland und Neufundland erstreckt, weiter nördlich einsinkt.

Wenige Tage später waren wir auf der Höhe der grönländischen Küste und liefen unter dem Freudengeschrei der ganzen Bevölkerung, die sich zu unserem Empfang auf dem Felsen versammelt hatte, in den Hafen von Fiskernaes ein.

Ich hatte eingesehen, daß ich für unsere Hunde frisches Fleisch beschaffen mußte, das wir aber schwerlich aus unseren Vorräten abgeben konnten. Deshalb suchte ich für die Expedition einen Eskimojäger. Man empfahl mir einen neunzehnjährigen Burschen, Hans Christian, als ebenso geschickt mit dem Kajak wie mit dem Wurfspieß. Ich verpflichtete ihn für die Expedition, nachdem er eine Probe seiner Geschicklichkeit dadurch abgelegt hatte, daß er mit dem Speer einen Vogel im Fluge traf. Wenn nicht die Jagd seine Lebensgeister elektrisierte, war er ein gutmütiger Junge, so teilnahmslos und unempfänglich wie unsere Rothäute. Neben seinem sehr bescheidenen Lohne machte er für seine Mutter noch ein paar Fässer Brot und 52 Pfund Schweinefleisch aus. Und als ich dem noch eine Flinte und einen neuen Kajak hinzufügte, da besaß ich in seinen Augen den Nimbus eines sehr freigebigen Mannes. In der Folgezeit leistete er uns sehr wertvolle Dienste; denn er übte nicht nur die Funktionen eines Proviantmeisters für unsere Hunde aus, sondern auch unsere eigene Küche war mehr als einmal von seinem Eifer abhängig ….

Aufgehalten von Windstillen und leichten Gegenwinden schleppten wir uns die nächsten neun Tage an der Küste entlang und erreichten erst am 10. Juli die Ansiedlung Sukkertoppen. Der Sukkertoppen (Zuckerhut) ist ein isolierter wilder Steinkegel von 3000 Fuß Höhe. Die kleine, an seinem Fuße hausende Kolonie sitzt in einem so engen und verworrenen Felsenschlunde, daß die verschiedenen Hütten durch Treppen verbunden sind. Die steigende Flut verwandelt einen Teil des Grundes zeitweilig in eine Insel.

Wir kamen nach Mitternacht an. Das seltsame Licht des nordischen Sommers mahnte zu dieser Stunde an die Beleuchtung bei einer Sonnenfinsternis und übergoß alles mit grauen Tinten; den Hintergrund ausgenommen, der einer Alpenkette auf hochrot strahlendem Horizonte glich.

Suppertoppen ist das Hauptdepot für Renntierfelle; die Eingeborenen befanden sich eben auf der Sommerjagd, um Felle zu sammeln. Viertausend Stück waren bereits nach Dänemark gesandt worden, und mehr noch lagen schon wieder da, von denen ich einen Vorrat der besten Qualität zu einem halben Dollar das Stück kaufte. Diese Renntierfelle werden wegen ihrer Leichtigkeit und Wärme geschätzt. Sie bilden das gewöhnliche Oberkleid für beide Geschlechter, während die Seehundsfelle zu Hosen und wasserdichten Ueberziehern verwendet werden. Auch gewalkte Seehundsstiefel oder Mokassins kaufte ich, soviele ich an mich bringen konnte; denn sie sind für Fußgänger unübertrefflich und schützen gegen Nässe sicherer als alles genähte Schuhwerk.

Noch am 10. Juli gingen wir wieder in See und lavierten Nord und West einem steifen Winde in die Zähne.

Glückliche Fahrt

Inhaltsverzeichnis

Die untere und mittlere Küste Grönlands ist so viel besucht und beschrieben worden, daß ich mich dabei nicht aufhalten will. Seit unserer Abfahrt von Sukkertoppen erlitten wir den üblichen Aufenthalt durch Nebel und Gegenströmungen, so daß wir erst gegen den 27. Juli in die Nähe der Melvillebai kamen. Am 17. wurden wir auf Proven von meinem alten Freunde, dem Oberinspektor Christiansen, bewillkommnet, den ich mit seiner Familie noch so wohlauf fand, als ich ihn vor drei Jahren verlassen hatte. Während unsere Brigg, halb segelnd, halb treibend, die Küste entlang zog, ging ich an Land, um in den verschiedenen Eskimoniederlassungen Hunde zu kaufen. Nachdem wir zu Uppernavik ein paar Tage lang die Gastfreundschaft des Gouverneurs Fleischer genossen hatten, fuhren wir weiter. Nicht weit von dieser Station hörten auch die Hütten der Eskimos auf. Früher besaßen diese Leute Sommeransiedlungen bis in die Melvillebai hinauf; im Jahre 1816 aber wurden sie von den Blattern so stark dezimiert, daß man sie auf Uppernavik beschränken konnte. Weitere Ausflüge nordwärts unternehmen sie jetzt nur noch gelegentlich, um Bären zu jagen oder Daunen und Eier zu sammeln.

Treibende Eisberge

Von jetzt an hielten wir uns etwas mehr nördlich, kamen hart an den Baffinsinseln vorbei, die ich vor drei Jahren mit Eis umpanzert, jetzt aber völlig frei fand, passierten die Enteninseln und hielten auf die Wilcoxspitze zu, hinter welcher die Melvillebai liegt. Wir machten eine schwerfällige Küstenfahrt und hatten abwechselnd Windstille und Brisen vom Lande her, bis am 27. Juli morgens in der Nähe der Einfahrt zur Melvillebai uns einer jener im Norden eigentümlichen schweren Eisnebel überfiel. Wir vermochten kaum das Deck entlang zu sehen und bemerkten dabei, daß Strömungen uns ins Ungewisse fortführten. Als die Sonne endlich den Nebel zerstreute, fanden wir die Wikorspitze hinter uns liegend. Unser kleines Schiff befand sich bereits glücklich in der Bai und trieb dem nördlich ragenden Felsen zu, welcher »der Teufelsdaumen« heißt. Die hier besonders heimischen Eisberge zeigten sich auf allen Seiten: wir waren während des Nebels mitten unter sie hineingeraten. Es kostete einen ganzen Tag Arbeit, um das Schiff durch Bugsieren mit zwei Booten vom Lande abzubringen; gegen Abend war es nicht nur gelungen, sondern ein Wind lohnte überdies noch unsere Mühe. Während wir längs der Küste trieben, hatte ich mit Befremden bemerkt, daß das Landeis bereits in Trümmer gegangen war. Dadurch drohte uns eine schwierige und von Aufenthalten verzögerte Küstenfahrt; deshalb faßte ich kurzerhand den Entschluß, nach Westen zu steuern, bis wir auf Packeis stießen, und dann einen Durchweg außen an der Melvillebai vorüber zu versuchen. Der Landeinschnitt nämlich, der diesen Namen führt, ist durch sein Kap geschützt vor den Strömungen und Eistriften, welche die Mittellinie der Baffinsbai verfolgen; an den Küsten der Bucht liegen ausgedehnte Gletscher, die fortwährend Eisberge imposantesten Umfanges abstoßen. Da sich der bedeutendste Teil dieser Eismassen unter Wasser befindet, außerdem in der Tiefe häufig andere Strömungen als auf der Oberfläche des Wassers sich geltend machen, so verfolgen sie nicht selten eine andere Rückwirkung als die umgebenden Schollen und Felder, welche dadurch auseinandergerissen und eine Zeitlang von dem Zusammenfrieren abgehalten werden. Im Winter ist die Melvillebai in ihrer ganzen Ausdehnung ein einziges Eisfeld und verharrt auch nach Rückkehr des Sommers – wenn draußen schon alles in Bewegung ist – noch lange in starrer Reglosigkeit. Stück um Stück bricht die Decke beim Fortschreiten der wärmeren Jahreszeit endlich auseinander. Doch häufig erhält sich ein fester Eisrand am inneren Bogen den ganzen Sommer lang. Dies ist das Festeis der Walfischjäger; für ihr Vorwärtskommen während der ersten Hälfte der wärmeren Jahreszeit ungemein wichtig. Denn längs des festen Randes finden sie in der Regel Raum genug, um ihre Schiffe zu schleppen, nicht selten sogar Gelegenheit zum Segeln, sofern der Landwind das schwimmende Eis von der Küste abdrückt. Dieser Gewohnheit der Walfischjäger zu folgen, verhinderte uns diesmal der bröcklige und verrottete Zustand der Eisfelder, der eine Folge des vorhergegangenen milden Sommers und Winters war. Dieser Umstand eben war ausschlaggebend für meinen Entschluß, westwärts bis an das Packeis zu gehen, seinem Rande in nördlicher Richtung auf Kap York zu folgen und so allem vor uns befindlichen Treibeis auszuweichen.

Nach mancherlei harter Arbeit und der ernstlichen Gefahr, von den Eisflarden eingeschlossen zu werden, konnte ich meinen Plan durchführen. Diese letztere Schwierigkeit bekämpften wir einfach dadurch, daß wir unser Schiff an gewaltigen Eisbergen verankerten, die es uns dann tatsächlich ermöglichten, unseren Kurs zu halten – so scharf auch das Treibeis südwärts drängte. Vier Tage einer aufregenden Fahrt brachten uns an den Rand der ausgedehnten Packeisfelder; ein günstiger Nordwest gestattete uns, durch sie hindurch zu kommen. Und wir lagen jetzt im sogenannten Nordwasser.

Zusammenstürzender Eisberg

Hier bringe ich aus dem Schiffs-Tagebuche Einzelheiten, die sich auf diese Fahrt beziehen.

Am 27. Juli schrieb ich:

Wir haben die vom Packeis zurückgeworfenen Strömungen hinter uns und dringen in ziemlich freiem Wasser, nach Nord und Ost lavierend, gegen Kap York vor.

29. Juli:

Wir erreichten loses, zerriebenes Eis – Wasserhimmel in Nord. Drangen in das Eis ein oberhalb oder nahe der Sabineninsel, um das nordöstliche Landeis zu suchen. Frische Brise vom Lande, die die Eisflarden zerbricht und herantreibt, jeden Wasserstreifen schnell wieder schließend. Aus Furcht vor einer Einsperrung beschloß ich, das Schiff an einem Eisberg festzulegen. Nach achtstündigem schweren Bugsieren, Winden und Eisankerschlagen war es glücklich geschafft. Kaum aber hatten wir ein wenig verschnauft, als es über uns zu prasseln begann und Eisstückchen, nicht größer als Walnüsse, im Herabfallen das Wasser kräuselten; wie die ersten Tropfen eines Sommerregens. Diese Anzeichen waren nicht mißzuverstehen. Und kaum fanden wir noch Zeit, das Ankertau zu kappen, als die Vorderseite des Berges mit krachendem Bersten zusammenstürzte.

Unsere Lage war kritisch genug gewesen, da gleichzeitig ein frischer Wind vom Lande her blies und die eingeklemmten Eisflarden schnell dahintrieben. Wir mußten etwa 360 Klafter Walfischtau im Stich lassen und hatten eine harte Nacht voll Arbeit im Boot.

30. Juli:

Wieder an der Längsseite eines Eisberges festgelegt. Der Nebel ist so dicht, daß man keine Viertelstunde weit sehen kann. Gelegentliche Durchblicke lassen kein brauchbares Fahrwasser erkennen. Schroffes, wildes Land im Nordost. Nachmittags zwei leibhaftige Bären gesehen und geschossen. Wir warten auf sichtigeres Wetter.

31. Juli:

Unser freier Wasserfleck füllt sich immer mehr mit losem Eis aus Süden. Ich mache eine Rundfahrt im Boot, um einen besseren Liegeplatz für das Schiff zu finden. Nach fünfstündigem Winden ankerten wir glücklich an einem andern Eisberge, ganz nahe am offenen Wasser; die nächste Gelegenheit, hoffe ich, wird uns frei machen. Eine Stunde, nachdem wir unsern vorigen Liegeplatz verlassen, hat sich dort das Packeis zusammengehäuft. Jetzt liegen wir fest an einem niedrigen und sicheren Eisberge, nur zwei (englische) Meilen von der offenen See, die sich durch die Einwirkung der Südwinde schnell gegen uns zu verbreitert. Wir hatten schwere Arbeit damit, diesen Schutzort zu erreichen, den die Walfischjäger ein »offenes Loch« nennen. Denn wir gerieten zwischen zwei Eisberge und verloren dabei unsern Klüverbaum und die Wandtaue; überdies wurde eins der Quarterboote zertrümmert.

1. August:

Ganz von Treibeis umgeben; kleine Bruchstücke von Eisfeldern. Ohne unsern Berg würden wir jetzt nach Süden geführt, so aber treiben wir mit ihm nach Nordost.

2. August:

Der beständige Eisdruck gegen unsern Berg beginnt sich geltend zu machen, und wie alle großen Flarden um uns hat auch er sich nach Süden in Bewegung gesetzt. Auf die Gefahr hin, eingeschlossen zu werden, ließ ich ein leichtes Tau nach einem viel größeren Eisberg hinführen, und nach vierstündiger Arbeit hatten wir uns glücklich an ihm festgemacht. Dieser kolossale Berg ist ein wahrer beweglicher Wasserbrecher. Er nimmt seinen Weg stetig nach Norden, während das Treibeis auf beiden Seiten nach Süden läuft und eine Spur schwarzen Wassers von der Länge einer (englischen) Meile hinter ihm frei läßt. Wir lagen letzte Nacht um Mitternacht unter 75° 27’, heute vormittag unter 75° 37’; trotz aller Hindernisse dringen wir also nach Norden vor. Indessen sind wir näher am Lande, als gut ist; denn das Land ist eine weiße Gletscherwand. Dennoch kamen wir auch an dieser gefährlichen Stelle vorüber, erspähten einen Ausgang in Nordost, machten den Anker los und arbeiteten uns vorwärts, trotz all des schwimmenden Zeuges um uns her. Auf unserer Fahrt hatten wir ein prachtvolles Schauspiel: Die Mitternachtssonne erhob sich über den Scheitel unseres bisherigen Freundes, des großen Eisberges, zündete an jedem Punkt seiner Oberfläche bunte Leuchtfeuer und ließ das Eis um uns wie lauter Edelsteine und geschmolzenes Gold erglänzen. Unsere Brigg biß sich durch all diese Herrlichkeiten hindurch; und nach 5 Meilen Weges voller Windungen, hier und da aufgehalten durch Eiszungen, die durch Säge und Eismeißel entfernt werden mußten, legte sie sich säuberlich zwischen zwei Eisflarden ein. Hier blieb sie bis zum Morgen, wo sich wieder Schlippen öffneten und ich vom Mastkorbe aus einen Weg nach einem vor uns befindlichen größeren Wasserpfuhl entdecken konnte. In diesem trieben wir, nach einem Auswege suchend, hin und her wie Goldfische im Glase; bis der Nebel einfiel und der Tag endete.

3. August.

Der Tag verspricht nicht viel; endlich erhebt sich eine frische Brise, und die Eisflarden beginnen zu klaffen. Jetzt kommt alles auf praktische Eiskenntnis an. Ich will niemandem, als mir selbst, die Auswahl der Eisschlippen anvertrauen, durch die wir hindurch müssen; deshalb bin ich den ganzen Tag im Mastkorbe. Indessen bin ich guten Mutes: der Landwind ist unserer Flucht günstig; die Eisberge haben uns durch alles südwärts jagende Eis bis hierher geholfen, und jetzt, da die größeren Felder ihre Spalten öffnen, haben wir nichts zu tun, als kühn und vorsichtig zu folgen. Was die Eiszungen, Zinken und Zacken betrifft, so haben uns Kabestan und Winde viel geholfen, uns durch sie hin zu arbeiten, aber mehr noch ein tüchtiger Anlauf und der harte Eichenholz-Kopf unserer Brigg.

Mitternacht:

Wir sind aus der Bai mit ihren Millionen Widerwärtigkeiten heraus – das Nordwasser, unsere Hochstraße nach Smithssund, liegt glücklich vor uns!

Ins Eis verschlagen

Inhaltsverzeichnis

Am Vormittag des 5. August passierten wir die von John Roß so getauften Karmoisinklippen, benannt nach dem auf ihnen lagernden roten Schnee, der aus der Ferne deutlich zu erkennen war. Alle mit Schnee bedeckten Stellen zeigten eine tiefe Rosafarbe, die vielleicht in Karmoisin übergeht, wenn die Schneelager sich weiter ausbreiten. In der Nacht passierten wir die Wolftenholm-und Saundersinseln. Wir hatten einen prächtigen Tag; das Schiff mit Segeln dicht besetzt, offenes Wasser vor uns, näherten wir uns schnell dem Schauplatz unserer Arbeiten. Am nächsten Tage erreichten wir die Insel Hakluyt mit ihrer merkwürdigen schlanken Felsenspitzsäule, die sich 600 Fuß über den Wasserspiegel erhebt und auf viele Meilen in der Runde eine ausgezeichnete Landmarke abgibt. Es war uns bestimmt, noch sehr vertraut mit ihr zu werden, bevor wir die Regionen des hohen Nordens verlassen konnten.

Kap Alexander und Kap Isabella, die Torsäulen von Smithssund, lagen nun vor uns. Die Gegend ist nicht sehr einladend: im Westen schwerer Schnee, gleichförmig bis zum Wasserspiegel herab, rechts eine Reihe von Klippen, die vermöge ihrer Großartigkeit als Eingangspforte für den stolzesten Hafen des Südens passen würden. Einige ihrer steilen Abstürze mögen 800 Fuß Höhe haben; selbst die Seeleute waren ergriffen, während wir in ihrem schwarzen Schatten dahinfuhren.

Am 7. August ließen wir Kap Alexander südlich und erreichten die Littletoninsel, hinter der sich Kap Hatherton verbirgt, der äußerste vor uns genau bestimmte Punkt dieses Sundes.

Während wir an der Littletoninsel vorüberkamen, sah ich vom Mastkorb aus leider den ominösen Eisblink im Norden. Der Wind war seit ein paar Tagen aus Norden gekommen; und wenn er anhielt, mußte er uns die Eisfelder über den Hals bringen. Es wurde nun wichtig, daß wir uns einen Rückzugspunkt sicherten, um im unglücklichen Falle nicht völlig hilflos dazustehen. Zudem hatten wir einen Punkt erreicht, wo die, welche uns etwa folgen sollten, anfangen würden, sich nach deutlichen Spuren umzusehen. Ich beschloß, auf der Littletoninsel einen Steinkegel zu errichten und an einem passenden Platz in der Nähe ein Vorratsdepot anzulegen. Entbehren allerdings konnten wir nur das metallene Rettungsboot, das nicht über 20 Fuß lang war, so daß wir zwanzig Mann kaum mit einigen Tagesrationen darin Platz gefunden hätten; doch vermöge seiner Luftkammern war es wenigstens sehr tragfähig. Wir trafen eine Auswahl von Lebensmitteln und anderen Dingen, die wir günstigsten Falles glaubten entbehren zu können. Der Platz für diese Niederlage mußte notwendig auf dem Festlande gesucht werden, da die Insel durch Strömungen und Eis für eine Expeditionstruppe leicht unzugänglich werden konnte. Wir fanden einen solchen in Südsüdost vor Kap Hatherton, das sich in der Ferne aus dem Nebel reckte. Hier begruben wir unser kleines Boot mit seinem Inhalt; umgaben es mit den schwersten Felsblöcken, die wir bewältigen konnten; füllten die Zwischenräume mit kleineren Brocken, mit Stubben von Moos und Heidekraut, und schütteten Sand und Wasser dazwischen, Das Ganze fror sofort in eine feste Masse zusammen, die, wie wir hofften, den Klauen der Eisbären würde widerstehen können.

Zu unserer Verblüffung stellten wir fest, daß wir nicht die ersten menschlichen Wesen waren, die in dieser grauenhaft trostlosen Gegend eine Zuflucht gesucht hatten. Denn einige zerstreute Ueberreste von Gemäuer bewiesen, daß hier einst eine rohe Ansiedlung bestanden hatte; und unter einem kleinen Steinhügel, den wir zur Ueberbauung unserer Vorratskammer mit verwandten, fanden wir die sterblichen Ueberreste der früheren Bewohner. Nichts kann trauriger und unheimlicher sein als solche Denkmäler erloschenen Lebens. Kaum eine Spur von Pflanzenleben war an den nackten, vom Eis gescheuerten Felsen zu erkennen, und die Hütten glichen so vollkommen den übrigen Felsbruchstücken, daß kaum eins vom andern zu unterscheiden war.

Dennysons Denkmal

Walroßknochen lagen in allen Richtungen umher, so daß dies Tier das hauptsächlichste Subsistenzmittel geliefert haben mußte. Auch einige Ueberbleibsel vom Fuchs und Narwal zeigten sich; aber keine Spur von Seehund und Renntier.

Von einem Grabe nahm ich verschiedene roh bearbeitete und durchlöcherte Stücke von Walroßzahn, augenscheinlich Teile von Schlitten und Speeren. Holz muß bei ihnen eine große Seltenheit gewesen sein. Wir fanden z. B. einen Kinderspeer, der, obwohl sauber gespitzt mit Walroßzahn, nur einen aus vier Stückchen zusammengeflickten Holzschaft hatte. Die Verbindung war sehr sorgfältig durch Riemen bewirkt. In der Umgegend trafen wir noch auf andere Spuren von Eskimos: Hütten, Gräber, Vorratsräume mit Fuchsfallen aus Felsstücken. Sie waren augenscheinlich sehr alt, aber so wohl erhalten, daß sich nicht sagen ließ, ob sie vor fünfzig oder hundert Jahren verlassen worden.

Nach Bergung unserer Vorräte gingen wir daran, ein Signal zu errichten und an ihm Nachrichten von uns niederzulegen. Wir wählten hierzu die westliche Spitze der Littletoninsel, da diese mehr in die Augen springt als Kap Hatherton. Es wurde ein Steinkegel errichtet, ein Flaggenstock in eine Felsspalte getrieben und mit dreimaligem Hurra die amerikanische Flagge gegrüßt, wie sie sich im eisigen Hauch des Nordens entfaltete. Erleichterteren Herzens bestiegen wir am frühen Morgen des 7. August die Brigg wieder und kreuzten gegen Winde und Strömungen gen Norden.

Das am Himmel als Reflex gesehene Eis zeigte sich bald leibhaftig: noch nicht zwei Stunden später stießen wir westlich auf schweres, mehrere Winter altes Packeis. Anfangs drangen wir noch durch loses Stromeis vor; doch bald, etwa vierzig englische Meilen von unserm heutigen Ausgangspunkt, wurde das Weiterkommen unmöglich: ein dichter Nebel lagerte sich um uns, und hilflos wurden wir gegen Osten getrieben. Es schien sicher, daß wir auf die grönländische Küste getrieben würden; doch eine zurückschlagende Brandung erlöste uns für den Augenblick von einem unmittelbaren Zusammenstoß. Es gelang, ein Tau nach dem Felsen zu bringen und uns in eine schützende Nische zu bugsieren. Am Abend wagte ich mich bei veränderter Strömung wieder hinaus, und wir bestanden einen erneuten, jedoch nutzlosen Kampf. Die Flut drängte jetzt den südwärts treibenden Eisflarden entgegen und warf sie mit solcher Wucht an die Küste, daß selbst kleine Eisberge mitgerissen wurden. Wir waren froh, nach mehrstündigem Kampf ein neues Asyl zu finden: eine schöne Bucht mit dem Eingang nach Norden, wo wir unser Schiff an den Felsen festankerten und ein Tau nach dem schmalen Ausgang hinzogen. Wir nannten diesen Ort anfangs Nebelinsel, später in dankbarer Rückerinnerung Zufluchtshafen.

Eisbarrikade

Zu unsern kleinen Leiden gehörte, daß wir mehr als fünfzig Hunde an Bord hatten, von denen die Mehrzahl reißende Wölfe genannt werden könnte. Diese Gesellschaft, von deren Ausdauer unsere Erfolge abhingen, mit Futter zu versorgen, war keine leichte Aufgabe. Der Mangel an Küsteneis in der Baffinsbai war Ursache, daß wir mit unseren Gewehren nichts schaffen konnten; unsere zwei Bären vermochten das Leben der Vielfraße nur acht Tage zu fristen. Ich wußte sie, mit zwei Pfund Fleisch jeden andern Tag, auf das Aeußerste setzen. Salzfleisch nämlich hätte sie umgebracht. Wir zogen daher an jenem Morgen aus, um Walrosse zu jagen, von denen die Bucht wimmelte. Wirklich trafen wir auf mindestens fünfzig dieser unheimlichen Ungeheuer und kamen manchen Gruppen bis auf zwanzig Schritt nahe. Doch unsere Kugeln prallten von ihrer dicken Haut völlig wirkungslos ab, und auf Harpunenweite konnten wir keinem einzigen nahekommen. Im Laufe des Tages jedoch entdeckte einer meiner Leute, als er einen Hügel erstieg, um nach der See auszuschauen, einen toten Narwal. Dieser Fund verschaffte uns für die Hunde wenigstens 600 Pfund gutes gesundes Stinkfleisch. Das Tier war vierzehn Fuß, sein Horn vier Fuß lang. Wir machten Feuer und brieten den Speck aus, der reichlich zwei Fässer Tran gab.

Während wir unsern Narwal an Bord hißten, sprang der Wind nach Südwest um, und das Eis begann rasch wieder dem Norden zuzutreiben. Dies deutete wenigstens darauf hin, daß nördlich kein großes Hindernis, sondern eher weite Flächen offenen Wassers oder loses Eis zu erwarten sein dürfte. Doch die Stellungen der Eisfelder an unserer Ostseite waren derart, daß an kein Herauskommen zu denken war. An der Küste schoben sich Eisbarrikaden zusammen, deren eine höher als 60 Fuß emporstieg. Dabei war der ganze Sund, soweit das Auge reichte, in wilder Aufregung.

Am folgenden Morgen kam wieder frischer Wind aus Südwest und bewirkte eine so deutliche Erschlaffung in dem Kampfe zwischen Eis und Wasser, daß ich einen Fluchtversuch aus unserer Bucht zu wagen beschloß. Wir schleppten das Schiff heraus, bedeckten es mit Segeln und bohrten uns in das Treibeis ein.

Ich beschreibe nicht im Einzelnen unsere Anstrengungen, durch die Eisfelder hindurch die See zu gewinnen. Jedes Manöver hatte seine besonderen Zufälle, doch alle waren gleicherweise erfolglos. Am Abend dieses Tages voll Kampf und Gefahren lagen wir dicht an der Landspitze, welcher ich den Namen »Cornelius Grinnells Kap« gegeben; doch getrennt vom Lande durch eine Eisbarriere, unser Schiff an einem Eisberg verankert.

Das Wasser um uns ist so flach, daß wir bei Ebbe nur zwölf Fuß Tiefe haben. Große, vom Eis abgeschliffene Felsmassen ragen überall heraus, und das innere Treibeis hat sich in phantastischen Formen um sie herum gruppiert. Auch die Eisberge sitzen weit nach der See hinaus sämtlich auf dem Grunde. Angeklammert an unsern Eisberg, sind wir im Augenblick zwar in Sicherheit, aber es geht nicht vorwärts; und uns jetzt loszumachen und in das Eis hinein zu wagen, will ebensowenig gehen …

Endlich am 14. August verließen wir unsern Eisberg und kamen durch hartes Bugsieren etwa dreiviertel Meile vorwärts. Es ist unmöglich, an der Küste dieser unseligen flachen Bucht weiter zu kommen. Mächtige Haufen von Felstrümmern ziehen sich bis dicht an die Küste, und draußen tobt das Chaos des treibenden Packeises. Unser nächster Wunsch gipfelt darin, ein vor uns liegendes Felseninselchen zu erreichen und hinter seinem Kamme auf besseren Wind zu warten.

Wir erreichten es um Mitternacht; gerade noch rechtzeitig. Denn wenige Minuten, nachdem wir unser erstes Tau am Felsen festgemacht, blies uns eine frische Brise so direkt in die Zähne, daß wir jetzt unsern Ankerplatz nimmermehr erreicht hätten. Alles hinter uns ist bereits starres Packeis geworden.

Hier liegen wir nun seit zwei Tagen fest! Der Wind schläft ein. Das Eis draußen schließt sich mehr und mehr. Wie es scheint, sollen wir den ganzen Winter an diesem Felsen hängen bleiben, wenn nicht der Himmel noch einen günstigen Wind schickt, der das Eis fortjagt und uns einen Weg nach Norden öffnet.

Am 15. kam ein plötzlicher Windstoß und warf unsere Brigg auf die Felsbank. Sie stampfte schwer, hatte aber nirgends Schaden genommen. Vom Heck legten wir ein Tau nach einem festsitzenden Eisberge.

Welch verwünschter Hundekrawall! Schlimmer, als hätte eine ganze Straße von Konstantinopel sich auf unser Deck ausgeleert. Unbändige, diebische wilde Bestien! Keine Bärenpfote, keinen Eskimoschädel, keinen Korb mit Moos, nichts kann man eine Minute in ihrem Bereich lassen, ohne daß sie darauf losstürzen und es nach Kampf und Geheul verschlingen! Ich habe gesehen, wie sie sich an ein ganzes Federbett machten, und erst diesen Morgen verschlang eine dieser Karsukbestien zwei ganze Vogelnester, die ich eben vom Felsen geholt hatte – Federn, Schmutz, Steine, Moos – zusammen wenigstens einen Viertelscheffel. Wenn wir eine Eisflarde, einen Eisberg oder Land erreichen, so springt die ganze Meute fort und läßt sich weder durch Worte noch durch Schläge zurückhalten. Zwei unserer größten Hunde waren bei der Nebelinsel zurückgeblieben, und ich mußte zu ihrem Einfangen ein Boot mit Leuten abschicken, die sich acht Meilen weit durch Wasser und Eis arbeiten mußten, ehe sie die Ausreißer trafen. Man fand sie fett und frech bei den Resten eines toten Narwals. Nach stundenlanger Jagd wurde der eine gefangen und gebunden zurückgebracht – der andere mußte seinem Schicksal überlassen werden.

Die Bildung des Jungeises scheint durch den bedeckten Himmel verzögert zu werden: es hat in der Nacht vom 16. August nur dreiviertel Zoll stark gefroren. Am 17. morgens gelang es uns, mit unserm »roten Boot« bis zu dem mächtigsten der Eisberge vorzudringen, die auf der Seeseite in einer langen Reihe auf dem Grunde festsitzen. Ich erklomm ihn in der Hoffnung, irgendeine Schlippe zu erspähen. Doch soweit das Auge reichte, war nichts als Eis zu entdecken, einige Wasserlöcher ausgenommen, die sich wie Tintenspritzer auf einem Tischtuch ausnahmen. Im Osten dehnt sich die grönländische Küste hin und läßt nicht weniger als fünf Landvorsprünge zählen, bis sie im geheimnisvollen Norden verschwimmt.

Am Nachmittag setzte straffer Wind von Norden ein. Die Eisflarden scheuerten unbarmherzig an den drei schweren Tauen, mit denen wir uns an die Felsen geklammert. Sie hielten tapfer aus, aber um Mitternacht sprang das schwächste von drei Zoll Stärke. Im Dankgefühl dafür, daß diese kleine Felseninsel uns so tapfer gegen die vorbeidrängenden Eismassen beschützt, haben wir sie Gottesgabe ( godsent ledge) genannt.

19. August:

Der Himmel sieht drohend aus; die Vögel scheinen dem Wetter nicht zu trauen, denn sie haben den Kanal verlassen. Aber die Walrosse umkreisen uns in Scharen; sie kommen uns bis auf zwanzig Schritt nahe, schütteln ihre finsteren Häupter und wirbeln mit ihren Hauzähnen das Wasser auf. Ich habe immer gehört, daß die Annäherung dieser sphinxköpfigen Ungeheuer an das Land Sturm bedeutet. Wir wünschten einen geschützten Zufluchtsort zu finden und haben gestern die Brigg nach dem Südende der Klippe gezogen.

Die Brigg »Advance« in Gefahr, an der Küste zerschellt zu werden

Am 20. morgens stürmte ein schwerer Orkan. Wir hatten ihn kommen sehen, hatten drei starke Haltetaue ausgelegt und alles an Bord wohlverwahrt. Der Sturm aus Norden kam stärker und stärker und brüllte wie ein Löwe. Das Eistreiben wurde so wild, wie ich es kaum je gesehen. Ein lauter gellender Krach sagte mir, daß unser sechszölliges Haltetau gesprungen war. Das Schiff schwankte an den beiden übrigen hin und her. Eine halbe Stunde später kam ein zweiter Knall – es war wieder ein Tau geplatzt – aber unser schönes zehnzölliges Manilahanftau hielt noch. Wir hörten seine tiefen Aeolstöne durch das Geknatter und Wehklagen des Takelwerkes hindurch – aber es war sein Sterbegesang: es sprang mit einem Krachen wie ein Kanonenschuß; und wir wurden hineingerissen in die wüste Jagd des sturmgepeitschten Eises.

Stunden vergingen unter harter Arbeit, ohne daß wir unsere Lage irgendwie zu verbessern vermochten. Es blieb uns nur übrig, das Steuer dadurch einigermaßen in der Gewalt zu behalten, daß wir freiwillig dahin gingen, wohin wir sonst doch gerissen worden wären. Um 7 Uhr morgens lagen wir dicht bei aufgetürmten Eismassen. Wir warfen unsern schwersten Anker aus, in der verzweifelten Hoffnung, das Schiff wenden zu können – aber für den Eisstrom, der uns folgte, gab es keinen Widerstand. Wir hatten gerade noch Zeit, einen Balken als Boje an die Ankerkette zu binden, worauf wir sie schießen ließen. Unser Hauptanker war verloren!

Wieder trieben wir vor dem Winde und scheuerten hilflos an den Kanten von 30 bis 40 Fuß dicken Eisfeldern hin. Nie hatte ich so dickes Eis und in so hastigem Jagen gesehen. Eine überstürzende Masse erhob sich höher als unser Schiffskörper, zerquetschte unsere Schanzbekleidung und warf uns einen zehn Zentner schweren Eisklumpen auf Deck. Unsere tapfere kleine Brigg bohrte sich durch all dies Wirrsal hindurch, als hätte sie ein gefeites Leben.

Jetzt aber zeigte sich ein neuer Feind vor uns: gerade in unserer Fahrtrichtung, dicht neben der Kante des Eisfeldes, gegen die wir bald anrannten, bald längs derselben hinschleiften, lag eine Gruppe von Eisbergen. Wir vermochten ihnen unmöglich auszuweichen; und es fragte sich nur, ob wir an ihnen in Stücke zerschellen sollten oder ob sie uns einen willkommenen Winkel zum Schutz gegen den Sturm bieten würden. Als wir näher kamen, sahen wir, daß zwischen ihnen und der Eiskante noch etwas offenes Wasser war, und unsere Hoffnung wuchs, als uns der Wind in diesen Engpaß hineinjagte. Schon hatten wir ihn fast hinter uns, als aus unbekannter Ursache, wahrscheinlich durch den Rückprall des Sturmes von den hohen Eiswänden, die Brigg ihre Bewegung verlor. Im selben Moment bemerkten wir, daß die Eisberge überhaupt nicht ruhig lagen: sie rückten in selbständiger unaufhaltsamer Bewegung gegen den Rand des Eisfeldes vor – und so schien es uns denn bestimmt, in dieser Bewegung zerquetscht zu werden.

Gerade jetzt kam ein breites Eiswallstück oder flacher Berg von Süden angetrieben. Plötzlich fiel mir ein, wie wir uns einmal in der Melvillebai aus einer ähnlichen Lage gerettet hatten. Und während das riesige Eisstück rasch an unserer Langseite hintrieb, gelang es, einen Eisanker in eine seiner schrägen Flächen einzuschlagen und ein Tau anzulegen. Es war ein Augenblick von dramatischer Spannung: Unser edles schneeweißes Schleppferd zog scharf an; Schaum und Wasser spritzten an seiner Windseite hoch, und sein gigantischer Kopf pflügte wie zum Spaße das niedere Eis auf. Die Berge rückten währenddem immer näher, und die Fahrtrinne wurde zuletzt so eng, daß unser Quarterboot zertrümmert worden wäre, hätten wir es nicht von der Außenseite hereingenommen. Mit genauer Not kamen wir durch und lagen nun auf der Unterwindseite eines Eisberges in verhältnismäßig freiem Wasser. Wohl niemals haben hartgeprüfte Menschen so inbrünstig wie wir für ihre Rettung von elendem Tode gedankt!

Der Tag hatte schon sein gutes Teil Plage gehabt, aber es sollte noch mehr kommen. Ein Windstoß jagte uns wieder aus unserm Versteck auf, und die Brise trieb uns bald wieder zwischen das Eis hinein, wo wir je nach Umständen den feindlichen Begegnungen teils durch Bugsieren auszuweichen suchten, teils uns auf die Widerstandsfähigkeit des Schiffes gegen den Eisdruck verlassen mußten, während wir ein andermal wieder mit tollem Anlauf eine halboffene Spalte durchbrachen. Wir verloren unsern Klüverbaum und die Stützen unserer Schanzverkleidung und mußten das rote Boot mit drei braven Genossen und ihrem Bugsierzeug hinter uns auf den treibenden Eisfeldern lassen. Ein kleiner Kessel offenen Wassers nahm uns endlich auf. Wir lagen nun hart an einem hochragenden, mauergleich sich erhebenden Vorgebirge; ein festgefahrener Eisberg deckte uns gegen den Wind. Hier unter der düsteren Grönlandsküste, zehn englische Meilen nördlicher als der am Morgen verlassene Ankerplatz, gingen die Mannschaften zur Ruhe. Ich wagte nicht, ihnen zu folgen; denn der Wind blies ungeschwächt, und das Eis drückte so stark auf unsern Eisberg, daß er ins Wanken geriet und sein Gipfel einmal gerade über unserm Schiff schwebte. Meine armen Leute hatten nur einen kurzen Schlaf. Kaum waren sie wieder auf Deck, so brach das Eis unsern kleinen Hafen auf. Wir wurden rückwärts geworfen, unser Steuerruder zersplittert und der Ruderhaken abgedreht. Nunmehr begannen die Quetschungen, das Nippen. Den ersten Rippenstoß hielt die Brigg tapfer aus und richtete sich graziös wieder auf. Jetzt aber kam ein wahrer Eisveteran, eine über zwanzig Fuß dicke alte Flarde, mit Zungen und Zellen besetzt. Hiergegen vermochten Holz und Eisen nichts! Glücklicherweise hatte die nach der Küste gekehrte Seite unsers Eisberges eine schiefe Ebene, die tief ins Wasser hinabstieg und da hinauf wurde die Brigg getrieben, als würde sie mit einer großen Dampfschraube in ein Trockendock gehißt. Einen Augenblick fürchtete ich, daß sie sich auf die Seite legen würde; aber einer jener merkwürdigen Momente des plötzlichen Nachlassens, die ich anderswo Pulsierungen des Eises genannt habe, brachte uns ganz allmählich wieder herunter, und wir wurden nun aus der Drucklinie weg an die Küste gedrängt. Hier gelang es, ein Tau auszuwerfen und uns festzumachen. Als die Flut sich verlaufen hatte, saß das Schiff auf Grund und würde sich seewärts umgelegt haben, hätte nicht eine neben uns gelagerte Eismasse es durch Gegendruck verhindert.

Nach sechsundfünfzigstündigen schweren Kämpfen hatten wir jetzt endlich einmal Ruhe. Die tapfere und ruhige Haltung meiner Leute