Die Tür - EC Zander - E-Book

Die Tür E-Book

EC Zander

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Beschreibung

Stell dir vor, du bist neugierig durch eine Tür gegangen und befindest dich plötzlich hundert Meter über dem Erdboden, nackt und einsam. Du hast ein Männerleben geführt und nun bist du merkwürdigen Fragen ausgesetzt, gestellt von einer Stimme aus dem Nichts oder aus deinem Inneren. Ist das der Himmel, wird es zur Hölle? Was geschieht, wenn nichts mehr geschieht? Eine spannende Novelle über das Niemandsland der letzten Sekunden deines Lebens.

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Seitenzahl: 75

Veröffentlichungsjahr: 2025

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EC Zander

Die Tür

EC Zander

Die Tür

Novelle

The nightmares got on me.

Lightnin’ Hopkins

Die Tür muss angelehnt gewesen sein. Eine andere Erklärung 5

gab es nicht. Das hatte seine Neugier geweckt. Jedenfalls war er durchgegangen, und nun stand er auf der anderen Seite. Er wuss te nicht, warum er das getan hatte. Er wusste auch nicht, wo er sich nun befand. Er wollte sich umdrehen und wieder hinausge hen, zurück durch die Tür. Aber da war keine Tür mehr.

Er stand still und versuchte, jedes Gefühl, jede Regung zu unter drücken. Freeze. Don’t move. Er drehte sich um sich selbst, mehr fach, und verlor die Orientierung. Was aber schlimmer war, er erinnerte sich nicht mehr daran, was hinter der Tür war, die es nicht mehr gab. Er erinnerte sich nicht mehr daran, woher er kam.

Schmerzen hatte er keine. Er vermied es tunlichst, sich zu bewe gen.

Ein leichtes Schwindelgefühl, wie im Flugzeug, in großer Höhe, wenn alles gut ist, wenn man in der Waagerechten angelangt ist, wenn es dann aber auf dem Weg zur Toilette leicht schwankt, nur leicht, wenn man den Tritt verliert, ins Leere, und wenn man sich unsicher fühlt. Man merkt es nicht sofort. Man steht nicht auf festen Füßen oder auf festem Boden. Man geht den Gang ent

lang, hält sich nur so halb an den Sitzen fest, tippt mit den Fin gerspitzen auf die Lehnen, simuliert Spaß am Fliegen und Selbst sicherheit, schwankt gar nicht richtig. Man ist nur unsicher, ein leichter Schwindel.

Oder, jetzt fällt ihm etwas ein, was sehr lange zurückliegen muss,

6beim Wandern, im Mittelgebirge, da waren sie in ein Hochmoor

geraten. Es war kein Schreck, kein Zusammenzucken, was er ge spürt hatte, weit entfernt von dem Grauen, das aufkommt, wenn man das Wort Moor hört, Moorleichen. Es war ein vorbewusstes Schwanken, wie es in solchen Momenten nur der Körper wahr nimmt. Das Bewusstsein ist ja noch mit anderen Dingen be schäftigt, mit der Wanderroute oder mit der Vorfreude auf das Abendessen oder eben auf die Bordtoilette. Der Körper ver nimmt, was die Gedanken noch nicht erreicht hat, das Sicher heitsgefühl aber stört.

Erstaunlich, wie viel Zeit verging, bevor die Gedanken sich um die Unsicherheit kümmerten und der Frage nachgingen, was nicht stimmte, sicher ein paar Millisekunden, lange genug, um den Körper aus der Fassung zu bringen. In diesem Zwischen raum entstand Angst. Mit dieser Angst befasste sich endlich das Bewusstsein, um nach dem Grund zu fahnden. Aber da war er schon im Moor eingesunken oder saß erleichtert auf der Klo brille, die einem allerdings auch nur bedingt Halt gibt, je nach Turbulenz.

So ging es ihm in diesem Raum hinter der Tür, die nicht mehr da war. Sein Bewusstsein befand sich noch vor der Tür, aber es wusste nicht mehr, wie es vor der Tür war und warum er durch gegangen war. Das Bewusstsein hing in der Luft, während der Körper leichten Schwindel verzeichnete.

Es war nicht hell und es war nicht dunkel, wo er sich befand. Kei ne Wände. Dunkler Nebel, auch über ihm, unter ihm und um ihn herum. Immerhin, er konnte etwas sehen. Der Nebel hielt 7

Abstand. Ein freundlicher Nebel. Da stellte er fest, dass er nackt war. Er sah an sich herunter, sah seine Haut, seinen Haarflaum darauf, seinen Penis etwas vorlaut, die Kniescheiben rechts und links etwas tiefer, dann, schon auf Fernsicht, seine Füße. Seine Einmeterfünfundachtzig waren also noch gültig, nur Kleidung gab es nicht.

Was hatte er bloß angehabt vor der Tür? Wie war das vor der Tür gewesen? Wer war er? Was war er? Was war hier?

Er war ratlos, ihm war schwindelig, nur leicht allerdings, und er befand sich seelisch in einem Zwischenreich. Um ihn herum wurde schwarzer Nebel geboten, und er trug keine Kleidung. So weit der Sachstand. Also ging er los. Das war medizinisch ratsam und nie verkehrt.

Woher er das wusste? Hatte er gelesen. Nur wo? Die Vergangen heit war wie das nebelnde Dunkel um ihn herum, diffus, nicht zu durchdringen, nicht mal zu erreichen.

Nicht zu fassen.

Immer noch leichter Schwindel.

Aber gehen. Schritt für Schritt. Ein Fuß vor den anderen. Man weiß doch, wie das geht. Stehen bleiben war keine Option. Still stand war nicht zu ertragen. Noch nie. Also gehen.

8Wenn man es einmal kann, verlernt man es nicht. Das jedenfalls

wusste er. Wie Schwimmen oder Fahrradfahren. Man braucht eine Weile, bis man es lernt. Aber dann.

Was war ihm bloß passiert?

Dass es Leute gibt, die nicht gehen können, aus gesundheitlichen Gründen, fiel ihm ein. Was würden die machen, in so einer Situ ation. Denn er befand sich in einer Situation. Oder?

Er zögerte, blieb stehen.

Leute, die nicht gehen können, wissen, wie das geht, stehen blei ben, sitzen bleiben, bleiben. Die müssen wissen, wie das geht, und es ertragen. Immer. Ihm war es fremd, das Bleiben, und un angenehm. Er liebte Steine. Vielleicht deswegen. Die wissen, wie das geht, das Bleiben.

Allerdings, wäre er vor der Tür geblieben, vielleicht wäre er bes ser dran. War er denn schlecht dran? Immerhin, er konnte gehen.

Und während er ging, wich der Nebel vor ihm zur Seite, wich ihm aus, bildete eine Gasse und schloss sich hinter ihm.

Kalt war ihm nicht. Munter schritt er voran. Vielleicht eine halbe Stunde oder nur zehn Minuten. Dann blieb er stehen.

Er fragte sich, worauf er lief oder aktuell stand.

Alles schien fremd und neu, war anders, nur anders als was?

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Also auf das Wesentliche konzentrieren. Er befand sich auf fes tem Grund, nackt, ohne Ausweg und Hintertür, in einer nebulö sen Situation, ohne Vergangenheit und ohne Ziel.

Warum war er durch die Tür gegangen?

Ihm fiel ein, dass sich ihm in seinem Leben viele Türen geöffnet hatten. Wie ein Film lief es vor seinem inneren Auge ab. Schnelle Bildfolgen, harte Schnitte. Ein Hafen im Süden. Der Schweiß fleck auf dem Rücken des jungen Typen, der ihm gerade angebo ten hatte, an einer YachtÜberführung in die Karibik teilzuneh men. Der Sportwagen in der Schweiz, in dem er beim Trampen für ein paar Tage in eine Villa eingeladen wurde. War er da im mer nur vorsichtig oder ängstlich gewesen? Der Blick einer jun gen Frau auf der Straße, nachdem er sie erst begehrt und dann sitzen gelassen hatte. Der innere Film spulte immer schneller ab. Augenpaare, enttäuscht, empört, verraten, entsetzt. Blicke von Leuten, die einen Job, eine Wohnung, ein Leben angeboten hat ten. Die Welt, in der er lebte, war äußerst generös gewesen. Es hatten sich Türen in seinem Leben geöffnet. Nur im Gegensatz zu heute war er nie durchgegangen, hatte sich nicht getraut, hatte abgewartet, bis es zu spät war und die Tür sich wieder schloss.

Ein Glückskind sein und das Glück nicht fassen, da muss man schon schön blöd sein.

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Heute war er durch eine Tür gegangen. War es damals, in seinem 11

Leben, vielleicht wie hier gewesen, dass sich hinter der Tür nur Nacktheit, Nebel und Einsamkeit verborgen hatten?

Er drehte sich wieder um sich selbst, fasste sich ins Gesicht, in die Haare. Er fasste sich bei den Händen. Er rang um Fassung.

Er könnte warten, bis etwas passierte, bis es eine Lösung gab. Manchmal muss man nur warten. Sicher war es nur ein Traum, ein schlechter Scherz, irgendein Medienformat, gleich springt der Moderator aus dem schwarzen Nebel heraus und Gelächter wird eingeblendet. Er brauchte nur zu warten. Dass er eigentlich gehen wollte, dass er Gehen wichtig und richtig fand, das hatte er vergessen. Er beschloss, entgegen seiner Natur still zu stehen.

Da kam die Stimme.

»Das können Sie doch gar nicht.«

Er drehte sich nach links, nach rechts, nach hinten, und sah nie manden. Eine wunderschöne Stimme. Wie im Traum. Es war ein Traum. Sanft, aber bestimmt, selbstsicher, warm. Wie die ältere Schwester, die er sich immer gewünscht, aber nicht gehabt hatte.

»Einfach bleiben liegt Ihnen nicht.«

Er nickte. Warum duzt sie ihn nicht, die ältere Schwester. Aber sie hatte recht. Das lag ihm überhaupt nicht. Er nickte und stand da, wie er war. Es gab nichts, was als Quelle der Stimme in Frage gekommen wäre, kein Lautsprecher und natürlich auch kein

12Mensch. Da war nur das Schwarz, in jeder Richtung. Eigentlich

kein Schwarz, eher Anthrazit, mattes Anthrazit, konturenlos, Nebel eben. Eine Farbe, die er immer geliebt hatte, Bettwäsche, Slips oder Couchbezüge. Eine Farbe, die ihm Geborgenheit ver sprach. Er war wieder reine Gegenwart, in seiner Umgebung ge fangen. Er streckte eine Hand aus, reckte sich, der Nebel wich zurück, teilte sich und umschloss die Handgelenke, so dass er seine Hand gerade noch sehen konnte. Wenn er sie zurückzog, zog sich die Nebelwand wieder zu.

Er wurde neugierig. Eine Erklärung wäre ihm recht gewesen.