Die UFO-AKTEN 39 - Logan Dee - E-Book

Die UFO-AKTEN 39 E-Book

Logan Dee

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Beschreibung

Sind Träume Schnittstellen in eine andere Realität? Und beeinflussen sie unser diesseitiges Leben?
Auf drei verschiedenen Kontinenten durchleben drei Menschen Nacht für Nacht denselben Albtraum: Sie werden von Männern in Schwarz gejagt und von UFOs entführt.
Unabhängig voneinander forschen sie nach der Bedeutung des Traums - und stoßen im kalifornischen San Diego auf das "Dream Research Center". Dort werden sie von einem mexikanischen Schamanen in der metaphysischen Kunst des Träumens unterwiesen.
Eine faszinierende Entdeckungsreise beginnt, eine Reise entlang urbaner Abgründe. Und nicht alle Wege führen zurück in die Realität ...


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Inhalt

Cover

Der Abgrund

UFO-Archiv

Vorschau

Impressum

Logan Dee

Der Abgrund

Praxis für Allgemeinmedizin Dr. Thrus

Starnberg, Deutschland,02. März 2023, 08:32 Uhr Ortszeit

Das Wunder kam aus heiterem Himmel – und doch so beiläufig, auf ganz leisen Sohlen, dass sie noch nicht einmal Zeit hatte, wirklich darüber nachzudenken.

Im gleichen Moment, da ihr erster Patient an diesem Morgen das Behandlungszimmer betrat, wusste Dr. Barbara Thrus, dass ihr Leben eine entscheidende Wendung genommen hatte.

Sie konnte die Krankheit ihres Patienten sehen!

Nicht wie auf einem Diagnosebildschirm oder Röntgenbild. Auch nicht an äußeren Anzeichen wie Veränderungen der Haut oder der Iris. Der Mann trug seine Krankheit wie ein flammendes Fanal vor sich her. Es waren irisierende, in Bewegung befindliche Farben, die ein psychedelisches Muster bildeten ...

Und Barbara Thrus wusste, was diese Farben und Muster bedeuteten. Es war, als hätte der Blitz der Erkenntnis einen Säugling getroffen, der plötzlich staunend registrierte, dass er nicht nur lesen und schreiben konnte, sondern auch verstand, was an neuem Wissen in ihm war.

Genauso verhielt es sich bei ihr: Nie hatte ihr jemand beigebracht, auf diese Weise die Krankheiten ihrer Patienten zu lesen – wie in einem magischen Buch gewissermaßen –, noch hatte sie jemals von solch einem Phänomen gehört.

Und dennoch wusste sie, was mit Peter Lossau los war.

Sein gewinnendes Lächeln gefror ihm auf den Lippen, als er ihren entgeisterten Ausdruck sah.

»Mein Gott, Barbara!«, sagte er. »Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen!«

Das Gespenst bist du, dachte sie, während sie noch immer zu begreifen versuchte, was da vor sich ging.

Sie kannte Peter Lossau, seitdem sie gemeinsam die Schulbank in München gedrückt hatten. Einige Wochen lang waren sie damals sogar mehr oder weniger fest zusammen gewesen. Erst nach dem Abitur hatten sich ihre Wege getrennt. Er hatte Architektur studiert, während sie sich für das Medizinstudium entschlossen hatte. Zufällig waren sie sich vor drei Jahren wieder über den Weg gelaufen und hatten festgestellt, dass sie beide mittlerweile in Starnberg wohnten. Peter Lossau hatte das florierende Architekturbüro seines Vaters übernommen. Barbara dagegen hatte es schwerer: Ihre Praxis musste sie von Grund auf aufbauen. Sie hatte sich für Starnberg entschieden, weil es nicht so überlaufen wie München, aber gleichzeitig die Wahlheimat einer gut betuchten, internationalen Klientel war.

Am Anfang hatte sie um jeden Patienten kämpfen müssen, aber nun, nach drei Jahren, konnte sie sich über mangelnden Zulauf nicht beklagen. Die Praxis hatte sich rasch etabliert, nicht zuletzt, weil die Patienten ihre warmherzige, kompetente Art zu schätzen pflegten. Jung wie alt.

Peter Lossau hatte sie seit ihrem ersten Wiedersehen einige Male zum Abendessen eingeladen, aber um ihre Praxis hatte er bislang einen großen Bogen gemacht.

Bis zum heutigen Morgen!

Noch immer brachte sie keinen Ton heraus. Langsam wurde es ihm mulmig.

»Habe ich irgendeinen Ausschlag im Gesicht, oder was ist los?«, fragte er irritiert.

Er hatte Krebs! Das war es, was Barbara Thrus in den Farben und Mustern sah. Sie konnte in ihnen sogar die Art und den Aufenthaltsort des Krebses erkennen: Die Metastasen hatten sich bereits in seinem ganzen Unterleib ausgebreitet.

Sie schluckte einen Kloß herunter, um endlich antworten zu können: »Ich musste gerade nur an etwas anderes denken, Peter. Setz dich einfach schon mal!«

Sie drehte sich um und schüttete sich ein Glas Mineralwasser ein. Wertvolle Sekunden, die ihr halfen, sich zu sammeln.

Sie konnte ihm nicht einfach sagen, was mit ihr – und ihm – los war. Er würde sie für verrückt halten.

»Rück endlich raus mit der Sprache! Was ist mit dir?«, bedrängte er sie.

Sie sah ihn wieder an. Hätte sie nicht plötzlich gewusst, dass er Krebs hatte, hätte sie ihn für kerngesund gehalten. Er war wie sie Mitte dreißig, hatte ein gebräuntes Sunnyboygesicht und trug noch immer die schwarzen Haare so lang wie damals während des Abiturs.

Ihr wurde bewusst, dass es nicht nur schwierig sein würde, ihm begreiflich zu machen, was mit ihr geschehen war, sondern mindestens ebenso schwierig, ihn mit seiner Krankheit zu konfrontieren. Sie musste ihn ablenken – wenigstens so lange, bis sie selbst wusste, was es mit ihrer plötzlichen Hellseherei auf sich hatte.

Sie setzte sich ihm gegenüber. Zwischen ihnen bildete der Tisch eine beruhigende Barriere vor den pulsierenden Farben. Zugleich half ihr die gewohnte Perspektive, das Ritual zwischen Ärztin und Patientin, sich zusammenzureißen.

»Was führt dich zu mir?«, fragte sie. Obwohl es unverkrampft klingen sollte, spürte sie selbst, wie gepresst die Worte aus ihrem Mund kamen.

»Bist du dir wirklich sicher, dass du okay bist?«, fragte er besorgt zurück.

Barbara Thrus versuchte, ein beruhigendes Lächeln aufzusetzen, aber es misslang ebenso.

»Du bist hergekommen, weil du dich untersuchen lassen willst«, sagte sie knapp und zwang sich, den Blick von ihm und den irisierenden Farben abzuwenden. Stur starrte sie auf das Formularblatt, das ihre Sprechstundenhilfe ihr zuvor hereingereicht hatte. Peter Lossau hatte es ausgefüllt. In der Sparte Beschwerden hatte er keine angegeben.

»Jetzt mal ehrlich«, fuhr sie fort. »Du kommst in meine Praxis, trägst dich als Patient ein und hast keine Beschwerden?«

Er sah sie verblüfft an. »Muss ich das? Ich dachte einfach, dass es mal wieder Zeit für eine kleine Routineuntersuchung sei. Früher waren die Ärzte dafür da, Gesunde bei Gesundheit zu halten, heute scheinen sie zu erwarten, dass man halbtot zu ihnen hingekrochen kommt.«

Barbara war nicht zum Scherzen zumute.

»Du siehst einfach nicht gut aus«, sagte sie. Es war noch nicht einmal gelogen – wenn sie sich von seiner äußeren Erscheinung nicht ablenken ließ und einfach der Sprache der Farben vertraute.

Er sah sie noch eine Spur erstaunter an. »Jetzt behaupte nur noch, dass du mir die Krankheit vom Gesicht ablesen kannst!«

Ganz heiß, dachte sie. Wenn du noch ein wenig weiterrätst, triffst du den Nagel auf den Kopf.

Sie entschloss sich für eine Notlüge: »Ich habe in letzter Zeit einige Krebspatienten gehabt. Es tut mir leid, dir sagen zu müssen, dass du ... ihnen sehr ähnlich siehst.«

Sein Gesicht wurde blass. Dann sprudelte es aus ihm heraus: »Ich habe keine Ahnung, wieso du mir das ansiehst, aber du könntest recht haben. Eigentlich wollte ich gar keinen Arzt aufsuchen. Ich dachte mir, dass du mir eher ein paar freundschaftliche Ratschläge geben kannst ...«

»Du hast bereits seit ein paar Monaten starke Unterleibsschmerzen«, sagte Barbara. Sie las es in den Farben. »Dein Urin ist seit einer Woche mit Blut vermischt. Es wird jeden Tag schlimmer. Ich kann dir nur raten, dich so schnell wie möglich zu einer Operation zu entschließen ...« Sie vertiefte sich in die Muster, die ihn umgaben. »Du hast noch eine Chance!«, fuhr sie fort. »Aber es muss in den nächsten Tagen passieren!« Automatisch griff sie zu einem Überweisungsblock. »Du solltest mit Dr. Hardt von der Medizinischen Hochschule sprechen. Er wird einen Termin für dich einräumen, wenn ich ihn heute noch anrufe.«

Peter stand langsam auf. Er schien noch immer nicht zu begreifen, was eigentlich mit seiner langjährigen Freundin los war.

Aber sie hatte recht! Sie hatte ihm auf den Kopf zugesagt, was mit ihm los war. Und auch, wann es begonnen hatte. Dass es wirklich Krebs war, hatte er zwar befürchtet, aber er hatte es verdrängen wollen.

Krebs! Nicht er, Peter Lossau, der noch keine vierzig war und mitten im Leben stand. Mein Gott, er wollte noch so viel erreichen! Karriere, Frau, Kinder ... Seine Träume zerplatzten in diesem Moment wie Seifenblasen.

Aber nein, Barbara hielt ihm den rettenden Strohhalm hin. Er griff nach dem Überweisungsformular.

»Irgendetwas stimmt nicht mit dir«, sagte er verunsichert. »Aber ich muss akzeptieren, was du sagst. Vielleicht wirst du mir später irgendwann verraten, woher du es wusstest ...«

Barbara brachte nur ein Nicken zustande. Sie spürte, dass sie den Anblick der Farben und Muster, die seinen Körper umtanzten, nicht mehr lange würde ertragen können. Es war, als würde ihr Geist immer weitere Einzelheiten darin entdecken und tiefer und tiefer darin versinken.

Peter Lossau erhob sich, während er das Formular einsteckte. Dann ging er zur Tür. Es schien, als hätte er es plötzlich eilig, aus ihrer Praxis zu verschwinden.

»Ich rufe dich an!«, versprach er noch, dann schloss er die Tür hinter sich.

Barbara atmete auf.

Gott sei Dank!

Lange hätte sie den Anblick nicht mehr ertragen! Der Tod, der ihr von Angesicht zu Angesicht aus den Farben entgegengegrinst hatte, hatte ihr innerstes Wesen gestreift. Sie spürte, wie sie am ganzen Körper zu zittern begann.

Die Tür öffnete sich abermals, und Ingrid, ihre junge Sprechstundenhilfe, kam herein. Auch sie merkte offensichtlich sofort, dass mit Barbara etwas nicht stimmte.

»Ist Ihnen nicht gut?«, fragte sie besorgt.

Barbara winkte ab. »Es geht schon wieder. Nur ein Schwächeanfall.« Dabei versuchte sie, an Ingrid vorbei die Wand anzublicken. Aber die Erscheinungen, die von der Sprechstundenhilfe ausgingen, ließen sich dadurch nicht verdrängen.

In ihrer Niere entsteht eine Zyste. Unwillkürlich vertiefte sich Barbara tiefer in die wirbelnden Farben. Zum Glück noch gutartig. Trotzdem muss ich sie im Auge behalten, damit sie sich nicht weiter ausweitet, dachte sie.

Gerade noch hatte sie Ingrid bitten wollen, sämtliche Patienten nach Hause zu schicken. Aber ihre neue Gabe begann, sie zu faszinieren.

Es war und blieb ein Wunder. Und sie hatte kein Recht, sich diesem Wunder zu verschließen. Ihre neue Fähigkeit würde den Kranken und Hilfesuchenden zugutekommen. Sie würde in Zukunft manches Leben retten können.

Dann wurde sie wieder realistisch. Wer sagte ihr, dass ihre Gabe nicht plötzlich wieder versiegte? Vielleicht würde sie am nächsten Tag aufwachen, und alles war wieder normal ...

Sie musste so viel wie möglich darüber herausfinden – solange sie noch die Kraft dazu hatte.

»Es geht mir gut«, beschwichtigte sie ihre Angestellte. »Bitte schicken Sie mir den nächsten Patienten.«

Sie konnte es kaum erwarten, weiter in den Farben zu lesen!

Bei der nächsten Patientin handelte es sich um eine über 70-jährige Frau, deren Gelenke nicht mehr so recht wollten. Ohne dass Barbara auf das Anmeldeformular sah, wusste sie, an was die Frau litt: Arthrose. Ihr rechtes Kniegelenk war regelrecht zermürbt. In ein paar Monaten würde eine schmerzhafte Versteifung einsetzen, wenn man es nicht behandelte.

»Was schauen Sie mich denn so an, Frau Doktor?«

Ich muss vorsichtig sein, dachte Barbara. Ich darf es sie nicht so offensichtlich merken lassen, dass ich ihre Krankheiten sehe ...

Behutsam teilte sie der Patientin mit, was ihr fehlte. Die Frau sah sie dankbar an.

»Sie sind bereits die vierte Ärztin, zu der ich gehe, aber keine konnte mir richtig weiterhelfen. Alle haben mir nur irgendwelche Schmerzmittel aufgeschrieben.«

»Heilen lässt sich eine Arthrose nicht. Aber wir können sie eingrenzen und Ihre Beweglichkeit erhalten«, dozierte Barbara. Sie hatte sich selten so sicher in ihrem Wissen gefühlt. Ihre neue Fähigkeit gab ihr die Berechtigung und das Selbstvertrauen dafür. Sie fuhr fort: »Zum einen müssen wir Ihr Übergewicht abbauen. Ich werde Ihnen eine passende Diät verschreiben. Zum anderen muss ein Orthopäde hinzugezogen werden, um die Skelettanomalien auszugleichen. Bis dahin vermeiden Sie bitte jede übermäßige Beanspruchung ...«

Glücklich und zufrieden verließ die Frau die Praxis. Und auch Barbara fühlte sich euphorisch. Ein nie gekanntes Gefühl durchströmte sie.

Nach und nach führte Ingrid die weiteren Patienten herein. Barbara sagte einem nach dem anderen seine Krankheiten und Beschwerden auf den Kopf zu. Aber was das Faszinierende war: In den schillernden Auren lag jeweils auch der Weg zur Gesundung begründet. Sie musste sie nur richtig lesen!

Wunderheiler müssen über eine ähnliche Gabe verfügen, dachte sie. Bislang hatte sie alles Gerede darüber nur für Humbug gehalten. Nun war sie bekehrt.

»Draußen wartet nur noch ein Patient«, sagte Iris schließlich.

Barbara sah auf die Uhr. Es war noch eine Stunde bis zur Mittagspause. Sie hatte ihre Patienten noch nie derart schnell durchgeschleust. Fast war sie enttäuscht, dass die Sprechstunde bald vorüber sein würde.

»Bitte ihn herein«, sagte Barbara, während sie auf das Anmeldeformular schaute. Die Schrift war völlig unleserlich. Vielleicht hatte sie sich aber auch nur überanstrengt. Die Schrift schien vor ihren Augen zu zerfließen.

Sie spürte mehr, als dass sie es sah, wie der Patient das Behandlungszimmer betrat.

»Bitte nehmen Sie Platz«, sagte sie automatisch, während sie den Blick hob.

Fast hätte sie aufgeschrien.

Ihre neue Gabe, ihre Fähigkeit, die Krankheiten zu sehen, war erloschen.

Vor ihr stand ein ganz in Schwarz gekleideter Mann. Seinen Gesichtszügen nach schien es sich um einen Südamerikaner zu handeln. Er grinste sie an, und in diesem Grinsen lag so viel Wissen, dass Barbara Thrus augenblicklich realisierte, dass er sie durchschaute. Mehr noch ...

»Denken Sie den Gedanken ruhig zu Ende«, sagte der Mann, und als Barbara sich noch immer weigerte, die Wahrheit zu akzeptieren, fuhr er fort: »Sie haben heute Morgen einen Blick hinter die Ihnen bekannte Wirklichkeit geworfen. Und Sie haben recht, wenn Sie vermuten, dass ich Ihnen diese Fähigkeit gegeben habe.«

»Aber warum? Warum mir ...? Wer sind Sie?«

Das Grinsen wurde noch breiter. »Sie werden alles verstehen, wenn Sie mir weiter folgen. Aber Sie müssen es freiwillig tun ...«

Die Ärztin fühlte sich, als hätte ihr jemand einen Faustschlag in den Magen versetzt. Das Glücksgefühl der letzten beiden Stunden war verflogen.

»Ich will wissen, wer Sie sind!«, beharrte sie. Sie schaute ihm bezwingend in die Augen.

»Wollen Sie das wirklich?«, fragte er.

Zu spät registrierte sie den drohenden Unterton in seiner Stimme. Sie wollte ihren Blick lösen, aber es gelang ihr nicht. Und dann erkannte sie, dass ihre Gabe nach wie vor latent in ihr war. Sie sah, wie sich um seinen Körper herum eine vibrierende Wand formte, die sie an die Krankheitsbilder ihrer Patienten erinnerte.

Bis auf einen Unterschied: Das, was sie sah, bestand nur aus Schwärze. Und es war derart fremdartig, dass sie glaubte, wahnsinnig zu werden.

Bevor sie sich wehren konnte, war es in ihr und schwappte wie eine dunkle Woge über ihren Geist. Dunkelheit umfing sie. Eine gnädige, alles umhüllende Ohnmacht stürzte sie ins Vergessen.

Als sie die Augen wieder aufschlug, glaubte sie, von einem Albtraum in den nächsten gefallen zu sein!

Ausgrabungsgebiet nördlicher Hang

Fujiyama, Japan, 02. März 2023, 10:45 Uhr Ortszeit

Erregt kniete sich Professor Okakuro nieder und schaufelte wie ein Maulwurf mit seinen Händen die Erde fort. Er brauchte nicht lange zu graben. Bereits nach weniger als einer Minute stieß er auch hier auf Knochen.

Ungläubig sah er zurück zu der Stelle, wo er zuerst gegraben hatte. Sie war hundert Meter weit entfernt, und das Skelett setzte sich bis hierhin fort. Wenn nicht noch weiter!

Ukio Okakuro war Archäologe. Er hatte sich bisher noch nie mit fossilen Funden oder Dinosauriern befasst. Sein Spezialgebiet war die Paläoanthropologie, die Erforschung vorgeschichtlicher Funde und der Anfänge der Menschheit.

Er und sein Team gruben seit einem Jahr am Fujiyama – bislang ohne Erfolg. Doch seit dem leichten Erdbeben vor ein paar Stunden stand sein Weltbild auf dem Kopf.

Die Erde hatte etwas ausgespien, das es eigentlich gar nicht geben durfte. Es gab kein Tier – und es hatte nie ein solches gegeben –, das diese riesigen Ausmaße besaß. Die Knochen waren so fremdartig, dass Okakuro glaubte, darüber den Verstand zu verlieren.

Das sind die Überreste von Godzilla!, war es ihm spontan durch den Kopf geschossen, ein Gedanke, den er sofort wieder verdrängte. Andererseits, wenn C.G. Jung recht hatte und die Menschheit eine Art unbewusstes Kollektivbewusstsein besaß, war es dann nicht denkbar, dass der in Japan so weit verbreitete Godzilla-Mythos auf tatsächlich existierende Kreaturen in ferner Vergangenheit beruhte?

Und wenn nicht, auf was waren sie dann gestoßen? Wenn das Skelett nicht von einem Tier, von einem unbekannten Dinosaurier stammte, von welchem Wesen dann?

Koshiga, der Kartograph des Teams, hatte anhand der ersten Knochenfunde und ihrer aberwitzigen Ausmaße versucht, eine Zeichnung anzufertigen. Das Wesen, das er entwarf, war derart furchteinflößend und fremdartig, dass er das Blatt vor den Augen der anderen angezündet hatte. Danach war er in sein Zelt verschwunden.

Das alles war erst am gestrigen Tag gewesen, aber Okakuro hatte das Gefühl, als wären seitdem tausend Jahre vergangen. Nun waren sie damit beschäftigt, die Grenzen des Skeletts auszuloten. Die Knochen waren in einem einmalig guten Zustand, und sie lagen direkt unter der Erdoberfläche.

Okakuro sprach nach wie vor von »Knochen«, obwohl es sich bei den Gebilden auch vom Material her um etwas völlig anderes zu handeln schien – wie poliertes Elfenbein und so hart wie Stahl.

Rai, seine persönliche Assistentin, hatte als Erste gewagt, auszusprechen, was ihnen allen auf der Zunge lag: »Diese Knochen stammen von keinem irdischen Wesen!«

Okakuro hatte ihr befohlen zu schweigen. Er spürte die Angst der anderen und kämpfte selbst gegen die aufkommende Panik an. Der ausgesprochene Gedanke, dass diese Wesen einst vom Himmel gefallen wären, hatte etwas so Obszönes und Beunruhigendes, dass sie alle hinaufschauten und gegen die Sonne anblinzelten.

In diesem Augenblick schoben sich schwarze Wolkenbänke davor. Es schien wie ein düsteres Omen. Die Atmosphäre war zum Bersten gespannt.

»Wir werden herausfinden, was es mit diesen Knochen auf sich hat«, sagte Ukio Okakuro grimmig. Er führte seit dreißig Jahren Expeditionen wie diese, und er würde nicht zulassen, dass der Aberglaube über die Wissenschaft triumphierte.

Selbst wenn sie herausfinden sollten, dass es sich bei den Knochen um Überreste außerirdischen Lebens handelte, so würde es eine wissenschaftliche Erklärung dafür geben. Er würde sie finden – und wenn er der Erde mit bloßen Händen das Geheimnis würde entreißen müssen.

»Wir machen weiter!«, bestimmte er.

Murrend waren die sechs Männer und eine Frau seines Teams wieder an ihre Arbeit gegangen. Trotzdem spürte Okakuro, dass seine Autorität nicht ausreichen würde, ihre Angst in Zaum zu halten.

In der Nacht bebte erneut die Erde. Nur ein leichtes Zittern war zu spüren. Es war kein normales Erdbeben, dafür währte es viel zu lange.

Okakuro presste in seinem Zelt sein Ohr auf die Erde und lauschte. Von tief unten waren grummelnde Geräusche zu hören. Selbst Okakuros nüchterner Verstand war nicht dagegen gefeit, dass sich vor seinem inneren Auge riesenhafte Wesen formten, die dort unten im Erdboden furchtbare Kämpfe ausfochten.

Erst nach zehn Minuten verebbte das Beben. Okakuro erhob sich. Er spürte, wie er noch immer am ganzen Körper zitterte.

Zögernd schob er sich durch den Eingang seines Zeltes und spähte nach draußen. Dort war alles ruhig. Keine Anzeichen, dass das leichte Beben irgendwelche Verwüstungen angerichtet hatte.

Die Ruhe war sogar unnatürlich.

Wo waren seine Leute?

Okakuro ging hinaus und rief nach den anderen. »Heh, was ist los mit euch? Das Erdbeben ist vorbei.«

Niemand antwortete. Er trat an das erste Zelt heran, in dem Saki, sein bester Geologe, schlief, und rüttelte daran.

Nichts tat sich. Okakuro zog den Reißverschluss herunter und schob seinen Kopf in das Zeltinnere.

Das Zelt war leer!

Bestürzt rannte Okakuro zu den anderen Zelten. Jedes Mal musste er die gleiche Entdeckung machen: Die Zelte waren verlassen!

Er wusste nicht, ob er fluchen oder sich fürchten sollte. Wahrscheinlich gab es einen ganz einfachen Grund für das Verschwinden seines Teams: Sie hatten es mit der Angst zu tun bekommen und sich heimlich aus dem Staub gemacht!