Die UFO-AKTEN 61 - Marten Veit - E-Book

Die UFO-AKTEN 61 E-Book

Marten Veit

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Beschreibung

Abertausende Amerikaner sind fest davon überzeugt, mindestens einmal im Leben von Aliens entführt worden zu sein. Auch wenn es für die meisten dieser Berichte rationale Erklärungen gibt, bleiben viele Fälle ungeklärt.
U.S. Bundesmarshal Judy Davenport, die zusammen mit ihrem Partner Cliff Conroy paranormale Ereignisse untersucht, hat selbst prägende Erfahrungen in diesem Bereich gemacht. Das ist einer der Gründe, warum der geheimnisvolle "Buzz", Initiator des Vorgängers der UFO-AKTEN, sie und Cliff mit der Untersuchung des Falls Betty Garber, einer selbsternannten Heilerin und Schamanin, betraut, die von wiederholten Entführungen durch Aliens berichtet. Im Zuge ihrer Recherchen stoßen die Ermittler bald auf weitere Hinweise zur Existenz fremder Welten, die auch sie persönlich betreffen ...


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Inhalt

Cover

Zwischen den Welten

UFO-Archiv

Vorschau

Impressum

Marten Veit

Zwischen den Welten

Savoy

South Dakota, 29. Dezember 2023, 01:52 Uhr

Als Henry Garber übergangslos erwachte, geistig völlig klar, aber körperlich wie paralysiert, schlief seine Frau Betty im Bett neben ihm immer noch tief und fest.

Da er an Schlafapnoe litt und manchmal im Schlummer um sich schlug, hatten sie das gemeinsame Ehebett gegen zwei einzelne getauscht. So konnte er das Geschehen aus rund anderthalb Metern Entfernung verfolgen, aber nicht eingreifen.

Im Augenblick wusste Henry nicht, was ihn geweckt hatte. Es konnte jedoch eigentlich nur das silbrige Schimmern sein, das von Betty ausging, als sich ihr nahezu transparentes Ebenbild plötzlich mit einer gleitenden Bewegung aus ihrem Körper löste und sich scheinbar schwerelos aufsetzte ...

Das geschah absolut lautlos.

Mit geschlossenen Augen, das Gesicht entspannt und friedlich.

Einen Moment lang verharrte sie reglos wie eine Statue, schien nicht einmal zu atmen.

Dann stieg ihr Abbild aus dem Bett, glitt widerstandslos durch die Daunendecke, ohne sie zu bewegen.

Henry Garber spürte, wie ihm der kalte Schweiß ausbrach. Nach wie vor von Kopf bis Fuß gelähmt, konnte er das Geschehen nur hilflos beobachten.

Die Videokamera unter der Zimmerdecke am Fußende der Betten, die er vor zwei Jahren dort installiert hatte, schaltete nicht auf Aufnahme, denn der mit ihr gekoppelte Bewegungsmelder hatte nicht ausgelöst. Die kleine Kontrollleuchte an ihrer Front schimmerte wie ein kleines rotes Auge ominös in der Dunkelheit.

Als Betty sich gleitend, fast fließend, von ihrem Bett in Richtung des geschlossenen Fensters bewegte – wie auf einem Luftpolster schwebend, jedenfalls schien sie keine Schritte zu machen – erblickte Henry einen dünnen, bläulichen Faden, der ihr transparentes Abbild mit dem materiellen Körper im Bett verband. Wie eine substanzlose Nabelschnur ...

Unmittelbar vor dem Fenster verharrte die geisterhafte Erscheinung, ohne die Augen zu öffnen oder eine Miene zu verziehen.

Und dann glitt sie einfach durch die Wand und das Fenster hindurch wie ein Hologramm oder eine Projektion auf einer unsichtbaren Leinwand.

Nur die schimmernde Nabelschnur zwischen ihr und der Frau im Bett blieb von der geisterhaften Erscheinung zurück.

Henry glaubte, sein Herz würde zerspringen. Er versuchte, sich zu bewegen, Luft zu holen, nach Betty zu rufen, konnte aber nicht einmal blinzeln.

Die Zeit schien zu gefrieren. Er hätte nicht sagen können, wie viele Sekunden, Minuten – oder Stunden – verstrichen, ohne dass er auch nur einen einzigen Atemzug zustande brachte und trotzdem nicht unter Luftnot litt, als dort, wo der reglose Körper seiner Frau lag, ein heller Lichtblitz aufflammte.

Als das blendende Gleißen erlosch, war Betty verschwunden, und gleichzeitig fiel die unheimliche Lähmung von Henry ab.

Er schoss wie eine Sprungfeder aus seinem Bett, stürzte ans Fenster, riss den Vorhang zur Seite und starrte durch die Glasscheibe auf die mit einer hauchdünnen Schneeschicht wie gepudert aussehenden Bäume.

Es war dunkel am Rand der kleinen Ortschaft Savoy, wo ihr Häuschen stand. Das einzige Licht, das auf den Waldrand fiel, stammte von einer mehr als hundert Meter entfernt, weiter im Süden stehenden einsamen Straßenlaterne an der Fire Road, die Henry von dieser Position aus nicht direkt sehen konnte.

Trotzdem glaubte er, eine Bewegung am Himmel über dem Wald im Osten ausmachen zu können, wie ein schwach glühender Nebelschwaden, der von einem Windstoß zerrissen wurde.

Erst jetzt registrierte er, dass seine Kehle knochentrocken war. Er leerte das Wasserglas, das immer auf dem Nachtschränkchen neben seinem Bett stand, in einem Zug, bevor er mit fliegenden Fingern nach seinem Mobiltelefon tastete, das Adressverzeichnis aufrief und die Nummer suchte, die Betty ihm für Fälle wie diesem gegeben hatte.

Die Telefonnummer einer Bekannten in Uncton, einem Ort ganz in der Nähe. Einer Frau, die Henry nur einmal flüchtig gesehen hatte. Eine Sioux namens Ruth Sekada, deren indianischer Name »Leuchtender Vogel« lautete.

Obwohl auf Henrys Digitalwecker 02:08 Uhr stand, zögerte er keinen Moment und wählte die Nummer.

Es dauerte nicht lange, bis sich eine Frauenstimme am anderen Ende der Verbindung meldete, ganz ruhig und merkwürdig gelassen angesichts der fortgeschrittenen Stunde.

»Ja?«, fragte die Frau nur.

»Hier Henry Garber«, krächzte er hastig ins Telefon und musste sich räuspern, bevor er fortfahren konnte. »Tut mir leid, wegen der Uhrzeit, aber ...« Er schluckte mühsam. »Meine Frau Betty sagte, ich sollte Sie sofort anrufen, wenn es wieder passiert. Und es ist gerade wieder geschehen. Offenbar wurde meine Frau soeben von Aliens entführt.«

Deerfield Lake

South Dakota, 03. Januar 2024, 20:37 Uhr

»Okay, neue Runde.«

Judy stand auf, deutete mit dem Zeige- und Mittelfinger ihrer linken Hand auf ihre Augen, dann nach vorne und vollführte mit der rechten Hand eine vertikale Drehbewegung in Höhe ihrer Schläfe, als befände sich dort eine Kurbel.

»Ein Film«, sagte Cliff Conroy. Er saß entspannt zurückgelehnt in einem gemütlichen Liegesessel vor dem flackernden Kaminfeuer, ein Glas zwanzig Jahre alten Bourbons in der Hand.

Judy nickte und hob vier Finger in die Höhe.

»Vier Wörter«, stellte Cliff fest, was Judy mit einem weiteren Nicken bestätigte. Sie benutzte erneut den Zeige- und Mittelfinger ihrer rechten Hand und bewegte sie in Trippelschritten über ihren linken Handrücken.

Cliff runzelte nachdenklich die Stirn und kniff die Augen zusammen. »Gehen«, murmelte er. »Laufen, rennen, wandern ...«

Judy nickte und schüttelte gleichzeitig den Kopf. Dann hob sie einen Finger und nickte, gefolgt von zwei Fingern und einem Kopfschütteln, dann drei und vier Finger, jedes Mal erneut von einem Kopfschütteln begleitet.

»Hmm ...«, brummte Cliff und kratzte sich am Kopf.

»Sie meint, dass das erste Wort richtig war«, sagte Jane. »Also gehen ...«

Pete stieß ihr den Ellbogen in die Seite. »Heh!«, protestierte er. »Du bist nicht im Team Cliff/Judy, sondern im Team Pete/Jane!«

Cliff grinste. »Danke, Jane. Also, okay, das erste Wort heißt gehen.«

Judy wiegte den Kopf hin und her, wiederholte die Geste mit den trippelnden Fingern, deutete auf die Tür der alten Blockhütte, die im rustikalen Jagdstil eingerichtet war, und winkte dann wie zum Abschied.

Die Falte in Cliffs Stirn wurde tiefer. Auch Robert und Barbara, das dritte Pärchen der kleinen Gesellschaft, und Pete wirkten ratlos, während Jane eifrig nickte. Sie war ein echter Profi im Scharade-Spiel.

Judy trat an Cliffs Sessel heran, blickte ihm tief in die Augen, winkte ihm wieder wie zum Abschied zu und ging zur Tür. Sie öffnete sie, deutete in den tief verschneiten Wald hinein, tippte sich mit dem Finger auf die Brust und zeigte nachdrücklich zur Tür hinaus.

»Sind wir immer noch beim ersten Wort?«, erkundigte sich Cliff.

»Uff!«, stieß Judy hervor und verdrehte genervt die Augen. »Ja, natürlich. Komm schon Cliff, streng dich gefälligst ein bisschen mehr an. Wir sind ...«

Barbara kicherte. »Nicht sprechen, Judy, sonst werdet ihr disqualifiziert.«

»Ich habe ihm ja keinen Hinweis gegeben«, verteidigte sich Judy. »Es ist nur so, dass ...« Sie verstummte und schüttelte den Kopf. Dann hob sie erneut einen Finger und wiederholte die ersten beiden Pantomimen und nickte eifrig.

Cliff betrachtete sie aufmerksam. »Gehen war also im Grunde richtig, aber nicht ganz. Du gehst, du verschwindest, du verabschiedest dich, du bist weg, du bist gegangen ...«

Diesmal nickte Judy vehement und reckte einen Daumen in die Höhe.

»Bravo«, lobte Robert. »Cliff hat das erste Wort erraten. Bei dem Tempo könntet ihr die erste Runde tatsächlich noch bis zum Morgengrauen schaffen.«

»Du hast leicht reden«, knurrte Cliff. »Barbara und du, ihr seid schon mehr als zehn Jahre ein Paar, während Judy und ich ...« Er ließ das Ende des Satzes offen und nippte an seinem Bourbon.

»Ja, genau!«, rief Jane. »Euer Beziehungsstatus ist uns nach wie vor ein Rätsel. Ihr bildet jetzt seit gut zwei Jahren ein Team, reist auf engstem Raum in Cliffs Winnebago durchs Land, aber niemand von uns hat jemals gesehen, dass ihr euch geküsst oder andere Zärtlichkeiten ausgetauscht habt. Also, was läuft da eigentlich zwischen euch – oder auch nicht?«

Cliff und Judy wechselten einen vielsagenden Blick.

»Ich schätze, sie haben ihre Gründe, warum sie das für sich behalten«, warf Pete ein. »Und die respektiere ich.« Er grinste breit. »Obwohl ich zugeben muss, dass ich trotzdem nichts gegen die eine oder andere Information mehr einzuwenden hätte.«

Judy musterte ihn kurz, den Kopf schief gelegt, dann trat sie auf Cliff zu, beugte sich zu ihm hinunter und küsste ihn auf die Lippen.

Es war nur ein kurzer Kuss, ohne große Leidenschaft, aber er wirkte völlig ungezwungen und natürlich. Vertraut.

Cliff versuchte, sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen.

Natürlich interessierte die Natur ihres Verhältnisses die anderen ungemein. Während Pete und Jane sowie Robert und Barbara sich jede Nacht gemeinsam in die beiden kleinen Schlafzimmer zurückzogen, schliefen Judy und er in dem größeren Kaminzimmer. Judy auf einem recht komfortablen Feldbett, Cliff auf dem Sofa.

Sie hatten kurz vor Weihnachten mit ihren alten Freunden vereinbart, den Jahreswechsel gemeinsam in einer von Judys Vater häufig genutzten Jagdhütte in den Wäldern South Dakotas zu verbringen. Wobei ihnen durchaus bewusst gewesen war, dass die beiden Pärchen sich brennend für die Art ihres Verhältnisses interessieren würden. Aber nach mehr als zwei Jahren Ermittlungen im Umfeld von UFO-Sichtungen und paranormalen Ereignissen, die sich nicht selten als lebensgefährlich erwiesen hatten, hatten sie wieder einmal ein paar Tage in Gesellschaft ganz normaler Menschen in einer ganz gewöhnlichen Umgebung verbringen wollen.

Eine Zeit ohne Aliens, Monster und Mutanten. Ohne Geheimdienstagenten, Killerkommandos oder andere dubiose Gestalten. Ohne Geister und Gespenster und Dimensionsportale.

Und ohne lästige Fragen nach der Natur ihres Verhältnisses,

über das sie sich selbst nicht völlig im Klaren waren.

Sie waren Partner, Freunde und Vertraute und vielleicht sogar mehr, aber eben kein Paar.

Jedenfalls nicht im konventionellen Sinn.

Vielleicht würde ihnen ja diese Woche in der Gesellschaft zweier Pärchen, die sie seit Jahren kannten, dabei helfen, sich ihrer wahren Gefühle füreinander klar zu werden.

»Bravo, bravo!«, rief Jane und klatschte in die Hände. »Zugabe!«

Judy zeigte ihr wenig damenhaft den Mittelfinger.

»Gehört das jetzt wieder zu dem gesuchten Begriff?«, erkundigte sich Cliff mit gespielter Naivität.

Die beiden Pärchen kicherten.

Judy verdrehte die Augen. Dann spitzte sie die Lippen, machte eine pustende Geste und wedelte sich mit der rechten Hand dicht vor der Schläfe so heftig Luft zu, dass eine Strähne ihres dunkelbraunen Haars flatterte.

»Dir ist heiß«, brummte Cliff. »Du bist außer Atem, weil du weggerannt bist. Also Flucht, Entkommen ...«

Das Klingeln seines »Diensttelefons« rettete ihn. Er zuckte kaum merklich zusammen, als er das Namenskürzel auf dem Display entdeckte. Es gehörte nicht zu der Person, die er erwartet hatte. Nur wenige Menschen kannten die Nummer dieses Telefons, das über einen digitalen Zerhacker verfügte und so abhörsicher war, wie es der derzeitige Stand der Technik zuließ.

»Sorry, Freunde«, sagte er, während er aufstand und Judy einen vielsagenden Blick zuwarf. »Die Arbeit ruft.«

Dann zog er sich ein paar Schritte in Richtung der Kochnische zurück und drückte die grüne Freigabetaste. »Ja?«, fragte er knapp.

»Ein frohes neues Jahr«, meldete sich eine vertraute Stimme, die selten gute Nachrichten verkündete. »Tut mir leid, dass ich Sie stören muss, aber ich möchte Sie und Judy um einen Gefallen bitten.«

»Einen Gefallen?«, fragte Cliff misstrauisch. »Kein Auftrag des Senators?«

»Lassen Sie es mich so ausdrücken«, erwiderte der Anrufer. »Jim weiß natürlich Bescheid und billigt mein Anliegen, aber es handelt sich tatsächlich um eine eher persönliche Bitte.«

Auch ohne dass das Wort »Buzz« auf dem Display stand, hätte allein die Verwendung des Kurznamens Jim für Senator James Victor Campbell die Identität des Mannes am anderen Ende der Verbindung verraten.

»Dann schießen Sie mal los, ›Buzz‹«, sagte Cliff ergeben. Er hatte auf eine etwas längere Auszeit gehofft, aber in ihrem neuen Job gab es für ihn und Judy weder geregelte Arbeitszeiten noch feste Urlaubstage. Ganz zu schweigen von Wochen ...

»Ich würde die Angelegenheit lieber direkt mit Ihrer bezaubernden Partnerin besprechen«, erwiderte der ehemalige Colonel der Air Force, dem Cliff und Judy noch nie persönlich begegnet waren, obwohl sie ihre Tätigkeit als verdeckte Ermittler im Geheimauftrag des Senators letztendlich ihm zu verdanken hatten. Bisher kannten sie nur seine Stimme und die eher spärlichen öffentlich zugänglichen Informationen, die über den Mann mit dem bürgerlichen Namen Edwin Eugene Lightning existierten, der Ende der 1990er-Jahre das Projekt Operation GhostRider als geheime Fortführung des 1970 offiziell eingestellten Project Bluebook gegründet hatte und seit seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst weitestgehend zurückgezogen auf seiner Privatranch lebte.

Letztere befand sich gar nicht einmal so weit von dieser Blockhütte in South Dakota entfernt ...

Cliff verspürte ein unangenehmes Kribbeln im Nacken. Im Gegensatz zu ihm war Judy auch sehr persönlich von der Alien-Problematik betroffen. Oder, genauer gesagt, betroffen gewesen. Jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, an dem das außerirdische Implantat aus ihrem Unterleib operativ entfernt worden war1.

»Sicher«, sagte er knapp. »Bleiben Sie am Apparat. Es dauert einen Moment.«

Er winkte Judy, die ihn unauffällig im Auge behalten hatte, obwohl sie in ein lebhaftes Gespräch mit ihren Freunden verwickelt war, zu sich.

»Es ist ›Buzz‹. Für dich.« Er übergab ihr das Smartphone. »Ich kümmere mich inzwischen um die anderen.« Er musterte sie besorgt. Obwohl es in der Blockhütte behaglich warm war, verspürte er ein kurzes Frösteln. »Wir haben uns eine kleine Pause verdient«, fügte er hinzu. »Eine kleine Dosis Normalität. Also lass dich nicht zu irgendwelchen haarsträubenden Aufträgen überreden.«

Als Judy ihm das Mobiltelefon aus der Hand nahm, strichen ihre Fingerkuppen über seinen Unterarm. Es war nur eine ganz leichte und vermutlich unbeabsichtigte Berührung, aber angesichts des demonstrativen Kusses, den sie ihm gerade erst gegeben hatte, fühlte sie sich für Cliff merkwürdig intim an.

»Keine Angst, du kennst mich«, sagte sie mit der Andeutung eines Lächelns.

»Eben deshalb«, entgegnete er und kehrte zu den beiden Pärchen vor dem prasselnden Kaminfeuer zurück.

Uncton

South Dakota, 01. Januar 2024, 21:44 Uhr

Ruth Sekada, in ihrem Heimatort auch unter ihrem indianischen Namen »Leuchtender Vogel« bekannt und respektiert, saß unweit ihres Drugstores im Wald am Ufer des Racon Creeks auf einem gegerbten Bisonfell. Vor ihren Füßen flackerte ein kleines Lagerfeuer, das sie aus zusammengetragenen trockenen Zweigen und Kiefernzapfen entzündet hatte.

Obwohl es mittlerweile bitterkalt war, trug Ruth über ihrem dicken Flanellhemd lediglich eine bestickte Lederweste und eine handgestrickte Wollmütze auf dem Kopf, unter der ihr das pechschwarze Haar bis auf die Schultern fiel. Ihr wärmender Wintermantel und die gefütterten Handschuhe lagen neben ihr, da sie ihre nackten Fingerkuppen benötigte, um die ölige dunkle Paste, die durch die Hitze des Feuers geschmeidig blieb, auf ihre Wangen und ihre Stirn auftragen zu können. Während sie ihren Oberkörper langsam und rhythmisch hin- und herwiegte, summte sie eine monotone Melodie vor sich hin, die eigentlich viel zu tief klang, um aus einer weiblichen Kehle stammen zu können.

Ein unbeteiligter Beobachter hätte die stämmige, hochgewachsene Sioux mit den breiten Wangenknochen, deren Gesicht ihre Herkunft unverkennbar verriet, für eine durchgeknallte Esoterikerin halten können, doch Ruth war alles andere als das. Die Drugstorebesitzerin und inoffizielle Bürgermeisterin von Uncton stand mit beiden Beinen fest im modernen Leben Amerikas, trotz ihrer »Nebenbeschäftigung« als Schamanin des kleinen Ortes Uncton, in dem sie ihr gesamtes Leben verbracht hatte und auch zu beenden gedachte.

Trotz der Geheimnisse, die sie hütete. Trotz der Tatsache, dass ihr verschwundener Ehemann Burt in einer anderen Welt weilte. Trotz der verblassten kreisförmigen Narbe rechts unterhalb ihres Bauchnabels, die sie nach einem Besuch der »Himmelsmenschen« vor mehr als dreißig Jahren trug und durch die sie für immer gekennzeichnet worden war. Trotz des Umstands, dass sie mit Menschen kommunizierte, die nicht auf dieser Welt weilten. Oder zumindest nicht in dieser Zeit.

Das Smartphone vor ihrem rechten Knie auf dem Bisonfell hätte dem hypothetischen Beobachter gezeigt, dass Ruth die Errungenschaften der modernen Technik ebenso selbstverständlich nutzte wie die uralten Praktiken ihrer Vorfahren.

Doch es gab niemanden, der sie beobachtete. Und selbst wenn es jemanden gegeben hätte, wäre ihr unbewegtes Gesicht für ihn undurchschaubar gewesen und hätte ihn ratlos zurückgelassen.

Dass Ruth auf einer kleinen Lichtung im winterlichen Wald neben dem leise plätschernden Racon Creek saß und ihren Geist auf die Reise ins Unbekannte schickte, geschah nicht zum ersten Mal, hatte jedoch dieses Mal einen konkreten Grund. Und der war nicht die Kontaktaufnahme mit ihrem vor knapp zehn Jahren verschwundenen Ehemann Burt, sondern der Versuch, eine Verbindung zu Betty Garber herzustellen, einer freundlichen Frau Mitte dreißig, die in einem kleinen Ort rund neunzig Kilometer nördlich von Uncton wohnte.

Vor drei Tagen hatte sich ihr Mann Henry bei ihr gemeldet, um ihr die Entführung seiner Frau durch Außerirdische zu melden. Die mittlerweile vierte Entführung, wie er behauptete, wenn auch die erste, bei der er Augenzeuge gewesen war.

Betty gehörte zu den angeblichen Entführungsopfern, die sich nicht scheuten, jedem, der es hören wollte, von ihren übernatürlichen Reisen in Raumschiffen zu anderen Welten zu berichten, und die dafür von den meisten Menschen belächelt oder sogar offen ausgelacht wurden. Was ihr offensichtlich nicht sonderlich viel ausmachte. Sie nahm den »Unwissenden« ihre Skepsis nicht übel, da sie – wie praktisch alle Entführungsopfer – außer ihren Worten keine greifbaren Belege vorzuweisen hatte, sah man von einer unscheinbaren kleinen kreisrunden Narbe auf der rechten Seite ihres Unterleibes ab. Letztere befand sich allerdings am Ende einer zweiten, etwa fünf Zentimeter langen schnurgeraden Narbe auf ihrem Bauch, der Erinnerung an einen chirurgischen Eingriff, mit der Gynäkologen in Sioux Falls vor mehreren Jahren vergeblich versucht hatten, die Ursache für ihre Unfruchtbarkeit zu beseitigen.

Da Betty mit unerschütterlicher Hingabe in ihrem Heimatort Savoy und den Nachbargemeinden als selbsternannte esoterische Heilerin, Pendlerin und Wünschelrutengängerin unterwegs war, hatte Ruth von ihr erfahren und sie besucht. Zwar hatte sie schnell festgestellt, dass es mit Bettys besonderer »Begabung« nicht allzu weit her war, aber nicht nur die charakteristische Narbe auf ihrem Unterleib, die offensichtlich nicht von dem chirurgischen Eingriff in Sioux Falls herrührte, verriet ihr, dass Betty tatsächlich eine rudimentäre Verbindung zu anderen Sphären besaß und vermutlich durch die Eingriffe der »Himmelsmenschen« verstärkt worden war.

Und Ruth wusste aus eigener Erfahrung, dass zwar die meisten, aber eben nicht alle Entführungsgeschichten auf reinen Hirngespinsten beruhten.