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Bei Bauarbeiten in Wisconsin werden Kellergewölbe aus dem 19. Jahrhundert entdeckt, die bei einem Hausbrand verschüttet wurden. Archäologen sichern daraufhin einige wissenschaftlich wertvolle Funde, darunter eine möglicherweise von einer Statue abgebrochene Hand, die aber nicht so recht in die Epoche zu passen scheint. Als der untersuchende Archäologe plötzlich verschwindet und Materialproben das Interesse der NSA erregen, werden auch Judy Davenport und Cliff Conroy auf den Plan gerufen. Die Bundesmarshals reisen deshalb nach Wisconsin und machen sich auf die Suche nach dem Verschwundenen. Dabei kommt ihnen sehr entgegen, dass sie schon früh die Verbindung zu einem Fall herstellen, der sich über anderthalb Jahrhunderte zuvor in der Region ereignet hat, zu einer Zeit, als in den Vereinigten Staaten gerade der Bürgerkrieg zu Ende ging ...
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Seitenzahl: 148
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Die eiserne Hand
UFO-Archiv
Vorschau
Impressum
Raymond Haffner
Die eiserne Hand
Stratosphäre über Nordamerika
12. April 1865, 07:10 Uhr
Der Sonnenaufgang tauchte die Wolken in ein gleißendes Licht. Die Erde schälte sich aus der Dunkelheit. Es war ein erhebender Anblick, den der erste Mensch erst über ein halbes Jahrhundert später zu Gesicht bekommen würde.
Doch das Wesen konnte all das nicht wahrnehmen. Es sah nichts, hörte nichts und roch nichts. Aber es konnte sich gut daran erinnern, wie das funktionierte. Deshalb wollte es sich nun einen Körper bauen. Das war es, was es fühlte. Und eine innere Stimme sagte ihm: Es musste sich auf die Suche machen, um jemanden – oder vielmehr etwas – zu finden. Dann würde es einen Körper haben und durch ihn wie ein Mensch sprechen.
Ohne Sinne, aber keineswegs bewusstlos, stürzte es sich im nächsten Moment der Erde entgegen ...
Biergarten der Brauerei Miller
Milwaukee, Wisconsin, 12. April 1865, 18:00 Uhr
Die Sonne neigte sich langsam dem Horizont zu und tauchte die Silhouette der Stadt in warmes Abendlicht. Der Duft von frisch gemähtem Gras und gegrilltem Fleisch lag in der Luft. Die Männer strömten aus den Brauereien, den Fabriken, den Banken und den Docks herbei, und sie brachten ihre Familien mit – denn es gab etwas zu feiern.
Was sich lange abgezeichnet hatte, war nun offiziell. Man konnte es schwarz auf weiß lesen, fett gedruckt und in schöner Schrift: Der Krieg war vorbei. Der Norden hatte gesiegt. Endlich, endlich, konnten die Soldaten, die diese blutigen Jahre überlebt hatten, nach Hause kommen – das hieß, alle, die nicht längst wieder heimgekehrt waren.
Lange Holztische wurden von einer fröhlichen Menge umringt. Herzhaftes Gelächter und lebhafte Gespräche, meist auf Deutsch geführt, erfüllten den weiten Platz. Frauen in Sonntagskleidern und Männer mit Hüten, verziert mit Blumen, bestimmten das Bild. Dazwischen rannten begeisterte Kinder umher. Der Klang von Akkordeons und Geigen verbreitete Feierstimmung. Paare tanzten.
»Das habt ihr gut gemacht, Jungs!«, rief Friedrich Junker, ein stämmiger, pensionierter Brauer mit grauem Backenbart. »Denen haben wir es gezeigt! Es wäre doch auch eine Schande gewesen: Da verlassen wir unser schönes Deutschland, um die verdammten Halsabschneider loszuwerden, den ganzen elenden Feudalismus und seine Sklavenhalter, und kommen hierher, um in Freiheit zu leben, und dann wollen uns diese Hunde einreden, wir müssten unser Glück auf Sklavenschultern laden. Schluss damit! Gute Arbeit für freie Männer, von unserem Deutsch-Athen am Michigansee bis zum südlichsten Zipfel von Florida! Auf den Sieg!«
»Hurra!«, riefen die versammelten Männer und hoben ihre Humpen.
Ein Toast nach dem anderen wurde ausgesprochen – auf den Norden, auf Milwaukee und auf den Turnerverein.
Albrecht Schmidt johlte, sang und trank mit, aber er spürte, wie schwer es ihm fiel, die fröhliche Fassade aufrechtzuerhalten. So sehr er sich auch über den Sieg der Union und das Ende des Krieges gefreut hatte, so sehr fühlte er nun die Schande, keinen Beitrag dazu geleistet zu haben.
Nur wenige Tage vor Ausbruch des Krieges hatte er sich beim Abladen einer Wagenladung Eisenwaren schwer verletzt, als eine schlecht gesicherte Kiste ins Rutschen gekommen war und seinen linken Arm zerquetscht hatte. Seine Arbeit bei dem Fuhrunternehmen war er damit losgewesen. Zeitgleich wurde er quasi invalide, bevor seine Brüder und Kollegen in die Schlacht zogen.
Im Kriegsgeschehen verlor einer seiner Brüder das Leben, zwei Kollegen kamen kriegsversehrt zurück.
Aber nun sah er um sich herum nichts anderes als stolz erhobene Köpfe und glänzende Augen, während sich seine Muskeln verkrampften und das Lächeln zu schmerzen begann.
Niemand hatte ihm jedoch jemals das Gefühl gegeben, er sei wertlos – im Gegenteil: Da zu Kriegszeiten wirklich jede Hand gebraucht wurde, hatte er in einem Saloon, nicht weit entfernt von Millers Brauerei, ausgeholfen. Der Wirt war freundlich, und er hatte es genossen, sich nützlich machen zu können. Ohne dass er es sich eingestehen wollte, hatte er auch damit begonnen, sich Hoffnungen zu machen, Lisa könne Gefallen an ihm finden.
Lisa war die Tochter des Wirtes. Sie lachte über seine Witze und brachte ihm in den Pausen das Essen mit einem Lächeln, das von Mal zu Mal zutraulicher wirkte. Aber das war nun vorbei. Ihr Verlobter war zurück. Schneidig, hoch dekoriert und begierig, zu heiraten. Überhaupt war Milwaukee nun voller gefeierter Helden, zwischen denen er sich nicht verachtet, aber doch unsichtbar vorkam.
Unter einem gemurmelten Vorwand, den ohnehin niemand hörte oder beachtete, erhob er sich und ging mit gesenktem Kopf durch die Reihen der Tanzenden und Feiernden. Immer wieder wich er tobenden Kindern und mit Bierkrügen umherlaufenden Kellnerinnen aus, bis er den Ausgang des Biergartens erreichte.
Zuerst hatte er nach Hause gehen wollen, aber einer plötzlichen Eingebung folgend, ging er in einigem Abstand um den Biergarten herum und spazierte in den Wald hinein. Die Luft war hier um einiges kühler. Es roch nach Regen und verrottendem Holz, und Albrecht hatte sofort das Gefühl, die düsteren Gedanken seien am Waldrand zurückgeblieben.
Er atmete tief durch und verlangsamte seine Schritte. Er würde nicht allzu weit gehen, beschloss er. Wenn die Dunkelheit einbrach, wäre der Rückweg eine Herausforderung. Aber ein kurzer Spaziergang sollte nicht schaden. Tiefer und tiefer schritt er in den Wald hinein und vergaß dabei seinen Vorsatz, bald wieder umzukehren. Am liebsten wäre er einfach immer so weitergegangen.
Seine Gedanken verloren sich bald zwischen den Zweigen, nahmen den ganzen Wald in sich auf und ließen ihn alles vergessen, worüber sich die Menschen in der fernen, fernen Stadt freuen oder ärgern mochten, ... bis er mit einem Mal wieder in die Gegenwart zurückgeholt wurde.
Vor ihm hatte allem Anschein nach der Wald gebrannt, ein Schwelbrand, der offensichtlich vom Regen gelöscht worden war, bevor er sich hätte ausbreiten können. Im Zentrum lag ein gefallener Baumriese.
Langsam ging Albrecht näher heran und betrachtete den sterbenden Baum eingehend.
Das war kein Blitz gewesen. Aber der Baum war auch nicht krank oder befallen. Irgendetwas hatte den Stamm etwa einen Meter oberhalb der Wurzeln geradezu zerfetzt. Und kurz darauf sah Albrecht auch, was es gewesen war. Einige Meter von dem zersplitterten und verkohlten Strunk entfernt war ein Krater zu sehen, von Brandspuren umgeben.
Eine Angst, wie Albrecht sie noch nie verspürt hatte, stieg in ihm auf. In Panik drehte er sich um und rannte zurück in den schützenden Wald. Zweige schlugen auf ihn ein, zweimal knickte er auf dem weichen, unebenen Waldboden um und schließlich blieb er an einer Wurzel hängen und schlug der Länge nach hin.
Zitternd richtete er sich bald darauf wieder auf. Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn, sein Hemd klebte ihm am Rücken.
Doch er rannte nicht weiter. Er stand da wie festgewachsen und atmete schwer.
Wegrennen. Das war alles, woran er dachte. Aber etwas hielt ihn zurück. Scham verdrängte die Panik.
Albrecht wurde klar, dass er nicht weglaufen konnte. Jetzt der Angst nachzugeben, würde sein Ende sein. Da waren keine Schlachten mehr für ihn, keine Siegesfeiern, kein Heldentum und keine Kameradschaft. Für ihn gab es nur diesen Fleck im Wald. Und er konnte gar nicht anders, als seine Angst zu bezwingen und nachzusehen, was dort in dem Krater lag. Er hatte keine Wahl.
Mit bleiernen Gliedern machte er abermals kehrt und ging zu dem umgestürzten Baum zurück.
In Gedanken sah er die Feiernden an den Biertischen, die strahlenden Frauen, die sich drehenden Paare. Auch hörte er die Hurrarufe und roch das Festmahl. All das betraf ihn nicht, war gegen ihn gewandt. Der Wald half nicht mehr. Er brachte ihn zum Stolpern, verhüllte den Pfad mit Finsternis, führte ihn in die Irre.
Als er schließlich wieder auf verkohlter Erde stand, ballte er seine Hand zur Faust. Seine Kiefer mahlten aufeinander. Entschlossen schritt er zum Krater und blickte hinein.
In der Dämmerung kaum zu erkennen lag dort etwas Kugelförmiges. Eine Kanonenkugel? Hatte ein heimkehrender Trupp voller Siegestrunkenheit einen Freudenschuss in den Wald abgegeben?
Albrecht schämte sich so sehr, dass er am liebsten geschrien hätte. Da war er so weit von den Schlachtfeldern des Bürgerkrieges entfernt gewesen, wie man es nur sein konnte, und dann hatte ihn eine völlig sinnlos abgeschossene Kanonenkugel in Panik davonlaufen lassen wie ein Kaninchen?
Für einige Augenblicke war er angesichts dieser Schande völlig verzweifelt. Es dauerte jedoch nicht lange, bis ihm auffiel, dass es sich unmöglich um eine Kanonenkugel handeln konnte. Eine Kanonenkugel, die den Baumriesen nicht direkt, sondern im hohen Bogen getroffen hätte, wäre nicht im Stande gewesen, ihn zu fällen. Sie hätte ein Loch geschlagen, aber der Baum würde noch stehen. Außerdem hätte sie keinen Brand verursacht.
Das Ding ist vom Himmel gestürzt, dachte Albrecht. So muss es sein.
Vorsichtig rutschte er in den Krater hinab und ergriff die Kugel. Sie war kühl, glatt und etwa faustgroß. Für einen Moment meinte Albrecht, es müsse doch ein Geschoss sein, denn die Kugel war aus Eisen und wies nur wenige Unregelmäßigkeiten auf.
Mit beiden Händen, der gesunden und der verletzten, hob er die Kugel an und hielt sie sich dicht vor die Augen. Die Unregelmäßigkeiten auf der Oberfläche sahen wie Venen unter der Haut aus. Das Metall war an den meisten Stellen tiefschwarz, wies aber dunkel- bis hellgraue Marmorierungen auf.
Wie ein riesiger Edelstein, dachte Albrecht. Gerade kam ihm der Gedanke, wie viel dieses Fundstück wohl wert sein könnte, da stellte er fest, dass sich die Kugel plötzlich eigenartig klebrig anfühlte.
In einem Moment war es nur sein Schweiß gewesen, aber im nächsten war da noch etwas anderes. Albrecht wollte die linke Hand gerade lösen, doch es gelang ihm nicht. Der Klebstoff ließ ihn nicht los. Er wollte die Kugel fallen lassen, aber sie blieb an seinen Handflächen haften.
Einen Augenblick später geschah gar nichts. Plötzlich spürte Albrecht die Angst erneut in sich aufsteigen. Dann setzte der Schmerz ein. Seine Handflächen brannten wie Feuer.
Albrecht schrie nun auf und brach in die Knie. Instinktiv versuchte er immer wieder, die Kugel von sich zu schleudern, aber es gelang ihm nicht.
Der Schmerz wurde immer unerträglicher, bis er sein ganzes Bewusstsein ausfüllte.
Er brüllte laut auf.
Dass die Kugel in seinen Händen immer kleiner wurde, merkte er dabei nicht. Bevor sie ganz verschwunden war, gab es Albrecht nicht mehr. Da war nur noch sein Körper, aber dieser stand nun unter der Kontrolle von etwas anderem.
Bar »Landmark 1850 Inn«
Milwaukee, Wisconsin, 13. April 1865, 08:05 Uhr
»Ist Albrecht hier?«, fragte Anton. Kurz darauf fiel die Tür hinter ihm geräuschvoll ins Schloss.
Der Wirt warf die Arme in die Luft. »Mensch, ich wollte gerade Lisa zu euch schicken! Ich dachte, er wäre krank!«
Anton runzelte die Stirn. Er sah besorgt aus. »Nein, er ist gestern Abend nicht nach Hause gekommen. Meine Eltern sind völlig aufgelöst vor Sorge.«
Der Wirt stellte den Wischmob ab und trat näher. »Das ist ja merkwürdig. Habt ihr gestern ein wenig über die Stränge geschlagen?«
»Im Biergarten? Mit Frauen und Kindern? Quatsch«, wehrte Anton ab. »Und er war ja nicht einmal bis zum Ende mit dabei. Wir dachten alle, er wäre nach Hause gegangen.«
»Ging es ihm denn schlecht?«, erkundigte sich der Wirt. »Er macht in den letzten Tagen insgesamt einen schwächlichen Eindruck.«
Anton schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht ..., aber eine andere Erklärung habe ich leider auch nicht. Jetzt habe ich ihn so lange nicht mehr gesehen und kenne all die Orte gar nicht, an denen mein Bruderherz sich so herumtreibt. Wir haben uns ja Briefe geschrieben, aber von einer Dame hat er nichts berichtet.«
»Das heißt ja nicht, dass es keine gibt«, entgegnete der Wirt. »Irgendwo wird er schon sein. Überleg doch mal: Wenn ihm was passiert wäre, hätte man ihn doch längst gefunden. Da fällt mir ein: Wart ihr schon im Krankenhaus?«
»Mein Vater ist auf dem Weg. Seit wann gibt es das hier eigentlich?«
»Das Krankenhaus?« Der Wirt lachte. »Seit zwei Jahren. Ihr wart wirklich lange weg, Jungs.«
Anton nickte. »Das waren wir. Alles hat sich verändert. Und gestern habe ich noch gedacht, nichts könnte mir die Laune verderben.« Er sah durch das gelbliche Fenster auf die Straße hinaus.
»Kopf hoch«, versuchte der Wirt ihn aufzumuntern. »Ihr werdet Albrecht schon finden. Wenn er hier auftaucht, bringe ich ihn persönlich zu euch nach Hause, damit ihm eure Mutter die Ohren waschen kann.«
»Wir werden ihn schon finden«, echote Anton und hob die Hand zum Gruß.
Sie fanden ihn nicht.
Am Abend verständigte die Familie die Polizei, obwohl die Polizei der Stadt äußerst unbeliebt war und man sich von ihr keine große Hilfe versprach.
Während Albrechts Mutter inzwischen an nichts anderes mehr denken konnte, als daran, dass ihr Sohn wohl Opfer eines Gewaltverbrechens geworden war, erweckten die Polizisten nicht den Eindruck, als ob sie dem Fall besondere Wichtigkeit beimessen würden.
Nach den Feiern waren viele Ehemänner nicht oder deutlich zu spät nach Hause gekommen. Nicht Wenige erschienen zu spät zur Arbeit, was die Bosse zwar ärgerte, aber angesichts des freudigen Anlasses auch keine Disziplinarmaßnahmen nach sich zog.
Die Beamten gingen ganz selbstverständlich davon aus, dass Albrecht irgendwo seinen Rausch ausgeschlafen hatte und früher oder später kleinlaut wieder auftauchen würde. Sie behaupteten zwar, man würde sofort damit beginnen, Nachforschungen anzustellen, aber Albrechts Brüder waren davon überzeugt, dass sie erst einmal gar nichts unternehmen würden. Und wenn sie doch etwas taten, dann würden sich ihre Ermittlungen sicherlich darauf beschränken, dieselben Orte abzuklappern, die bereits von der Familie Schmidt abgesucht worden waren.
Und so wäre es wohl auch gekommen, wenn nicht noch in derselben Nacht Panik in dem Mietshaus ausgebrochen wäre, in dem Familie Schmidt lebte. Denn wie sich zeigte, blieb Albrecht nicht der Einzige, der verschwand. Er war nur der Erste gewesen.
Als der Brauereiangestellte Ackermeier nach Hause kam, musste er voller Entsetzen feststellen, dass jemand sich Zugang zu seiner Wohnung verschafft und seine gebrechlichen Eltern entführt hatte. Und als der Pfandleiher Gow, der neben den Ackermeiers wohnte, nach Hause kam, fehlte von seiner Frau ebenfalls jede Spur.
In beiden Wohnungen hatte allem Anschein nach ein Kampf stattgefunden. Die Verwüstung war beträchtlich. Die Eindringlinge hatten Möbel umgeworfen und Regalbretter aus den Wänden gerissen – unbemerkt, denn im ersten und zweiten Stock war niemand zu Hause gewesen, der den Lärm hätte hören können.
Wieder wurde die Polizei verständigt und diesmal schien sie die aufgebrachten Hausbewohner ernster zu nehmen. Die Beamten zogen nicht gleich wieder ab, sondern forderten Verstärkung an.
Fred Langley sah zum Fenster hinaus auf die Straße, dann drehte er sich zu seinem Kollegen um. Glassplitter einer umgestoßenen Lampe knirschten unter seinen Stiefelsohlen.
»Die sind vielleicht von da draußen gekommen, aber die sind nicht über die Straße wieder raus. Coughlin soll die Straßenverkäufer ausfindig machen und befragen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Entführer über die Straße geflohen sind.«
Graham nickte. »Wenn die Mannschaft da ist, nehmen wir die Nachbarwohnungen auseinander«, erwiderte er und stellte ein bescheidenes Schmuckkästchen auf einer Kommode ab.
Allem Anschein nach hatten die Entführer nichts Wertvolles entwendet.
Langley nickte.
Kopfschüttelnd trat Graham neben seinen Kollegen und ließ den Blick über die Zerstörung schweifen. »Glaubst du, das hat was mit dem Verschwinden von diesem Schmidt zu tun?«, fragte er nachdenklich. »Wäre doch ein merkwürdiger Zufall.«
Langley strich sich über den Schnurrbart. »Vielleicht hat der Kerl ja selbst was damit zu tun«, entgegnete er finster. »Ich habe mir das mal näher angesehen: Der Vater ist ein Pfaffenhasser, und der Sohn hat ganz ähnliche Töne gespuckt. So jemandem ist nicht zu trauen. Und du weißt ja, wie die Deutschen in ihren Biergärten feiern. Vielleicht hat er gestern einfach einen Humpen zu viel gehabt und konnte seine ketzerischen Instinkte nicht mehr zügeln.«
Graham sagte nichts. Er kannte Langleys Vorurteile den Deutschen gegenüber, vor allem jenen, die vor der Revolution geflohen waren. Normalerweise rückte er damit nicht heraus, aber hin und wieder traten sie zu Tage.
»Jemand soll auf jeden Fall die Nachbarn befragen, ob es Konflikte zwischen den Mietern gab«, fuhr Langley fort. »Am wahrscheinlichsten ist, dass die Leute hier von Bekannten entführt worden sind. Auch wenn ich mir keinen rechten Reim darauf machen kann, wieso.«
»Da kommen die Jungs«, stellte Graham mit einem Blick durchs Fenster fest.
Die Nachtschicht näherte sich dem Haus.
»Na, dann wollen wir sie mal verteilen«, erwiderte Langley. »Es gibt viel zu tun.«
Daraufhin verließen sie die Wohnung, gingen eine Halbtreppe hinunter und empfingen die Truppe vor der Einfahrt zum Hinterhof.
»Männer, machen wir es kurz«, begann Langley ohne Umschweife. »Coughlin hat euch schon alles gesagt. Entführung. Frauen, alte Leute, alles sehr ärgerlich. Wir klappern jetzt die Nachbarn und die Wohnungen der Straßenverkäufer ab, die hier tagsüber Geschäfte machen. Um Letztere kümmerst du dich, Coughlin. Nimm dir drei Männer dafür. Der Rest geht durch die Wohnungen. Keppler, Hardy, Rice nehmt auch jeweils einen Trupp. Erster Hinterhof, zweiter Hinterhof, dritter Hinterhof. Banks, Hammersmith, Leary, ihr kommt mit Graham und mir. Wir schauen uns die Keller an.«
Wieder kam Bewegung in die Truppe, dann formierten sich die Gruppen und schwärmten aus.
Die Beamten Banks, Hammersmith und Leary traten nun zu Langley und Graham.
»Wir gehen jetzt da runter«, erklärte Langley. »Da gibt es niemanden zu befragen. Was wir finden, sind entweder leere Keller und ein paar liegen gebliebene Kohlen vom Winter oder bewaffnete Entführer. Stellt euch auf Letzteres ein. Los!«
Mit diesen Worten übernahm er die Führung. Graham bildete das Schusslicht.
»Die ganze Stadt feiert«, setzte Langley einem Moment später wieder an, während er zurück ins Haus ging. »Der verdammte Krieg ist endlich vorbei. Aber irgend so ein Hurensohn hat nichts Besseres zu tun, als den Leuten die Stimmung zu verderben. Beten wir, dass wir ihn schnell finden, und niemand ernsthaft zu Schaden gekommen ist. So, da sind wir.«
Kurz darauf entriegelten sie die schmiedeeiserne Tür. Der Geruch von Moder und feuchtem Mauerwerk lag schwer in der Luft. Ihre Blendlaternen beleuchteten eine schmale Treppe und einen darunterliegenden Korridor. Vorsichtig stiegen sie die knarrenden Stufen der hölzernen Treppe hinab, und derweil hallte das Echo ihrer Schritte in den Gängen wider.