Die ultimative Poetry-Slam-Anthologie II - Victoria Helene Bergemann - E-Book

Die ultimative Poetry-Slam-Anthologie II E-Book

Victoria Helene Bergemann

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Beschreibung

Die deutschsprachige Poetry-Slam-Szene feiert ihr 25-jähriges Jubiläum, Lektora sein 15-jähriges – das halten wir für den passenden Zeitpunkt, um euch die schönsten Texte zu zeigen, die unsere Autor*innen in den letzten fünf Jahren aufs Papier gebracht haben. Unter den insgesamt 28 Texten tummeln sich wie immer ein paar Klassiker der Slam-Poesie, wie beispielsweise "Zeit für Lyrik" von Sebastian 23, "Was wäre wenn" von Björn Högsdal oder "Der Pfad zur Erleuchtung" von Jan Philipp Zymny. Ebenso im Fokus dieser Anthologie stehen jedoch die Newcomer und Erstautoren der Slamszene: Leticia Wahl, Henrik Szanto, Jean-Philippe Kindler u. v. m. Zu den einzelnen Texten finden sich auch die jeweiligen Autorenbiographien und als besonderer Bonus ein Kommentar der Autorin oder des Autors zu ihrem oder seinem jeweiligen Text. "Die ultimative Poetry Slam Anthologie II" gewährt euch einen Einblick in die verschiedensten Arten und Formen der Slamkunst, ob Anfänger*innen, fortgeschrittene*r Slam-Besucher*innen oder Leser*innen mit wissenschaftlichem Interesse – in diesem Querschnitt der Szene ist für jeden was dabei.

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Seitenzahl: 132

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Die ultimativePoetry-Slam-Anthologie II

Denise Bretz & Larissa Tiesbohnenkamp (Hg.)

27 kommentierte Bühnentexte

Erste Auflage 2019

Alle Rechte vorbehalten

Copyright 2019 by

Lektora GmbH

Schildern 17–19

33098 Paderborn

Tel.: 05251 6886809

Fax: 05251 6886815

www.lektora.de

Covermotiv: Camilo Castiblanco

(instagram.com/castiblanco.camilo)

Covermontage: Denise Bretz, Lektora GmbH

Lektorat: Denise Bretz, Lektora GmbH

Layout Inhalt: Denise Bretz, Lektora GmbH

eISBN: 978-3-95461-139-3

Inhalt

Vorwort

Wenn ich mutig wäre (Victoria Helene Bergemann)

Resignation (Johannes Berger)

Von Felsblöcken und Schulbänken (Annika Blanke)

Gesellschaftliche Winternacht (Kai Robin Bosch)

Nur eine Variable (Josephine von Blueten Staub)

Raclette (Sandra Da Vina)

Scheitern ist okay (Stefan Dörsing)

Eine Absage (Johannes Floehr)

Letzte Rechtfertigung (Sven Hensel)

Eine Reihe dreister Falschaussagen (Elias Hirschl)

U. W. E. (Philipp Herold)

Was wäre, wenn (Björn Högsdal)

Ein Date voller Hate (Harry Kienzler)

Mindesthohn (Jean-Philippe Kindler)

Die Handwerker sind da! (Insa Kohler)

Hasskuss (Sarah Lau)

#klartexttext (Agnes Maier)

Max und Moritz 2015 – eine antikapitalistische Bubengeschichte in drei Streichen (Fabian Navarro)

Der Soldat (Quichotte)

Brüll! Beton! (Lars Ruppel)

Der Zirkus ist in der Stadt (Patrick Salmen)

Inventur (Patrick Salmen)

Zeit für Lyrik (Sebastian 23)

Oma & MDMA (Henrik Szanto)

ABC (Leticia Wahl)

Das erste heilige Tribunal der Vorschulgruppe Frosch (Jann Wattjes)

Ein Gute-Nacht-Märchen (Florian Wintels)

Der Pfad zur Erleuchtung (Jan Philipp Zymny)

Über die Herausgeberinnen

Text- und Bildnachweis

Vorwort

Fünf Jahre ist es nun her, dass wir die erste Poetry-Slam-Anthologie im Lektora-Verlag herausgebracht haben. Fünf Jahre Zeit für die Szene, zu wachsen, Ideen zu sammeln und noch mehr Pfeffer in die deutschsprachige Welt der Literatur zu bringen. So viele Talente haben wir kommen und so viele blitzgescheite Slammer*innen sich weiterentwickeln sehen. Nun ist es wieder an der Zeit, einen Strich darunterzusetzen und euch in geballter Form zu zeigen, was wir in den letzten Jahren für Prachtexemplare verlegen durften – denn wir feiern nicht nur 15-jähriges Verlagsjubiläum, sondern auch 25 Jahre Slam in Deutschland!

In dieser zweiten ultimativen Anthologie finden sich somit 27 unserer liebsten Texte aus den vergangenen Produktionen. Davon sind 19 Texte von Autoren und sieben von Autorinnen unseres Hauses verfasst. Dies ist besonders schön, da wir in der vorigen Anthologie nur eine Autorin vorzuweisen hatten, nämlich Sandra Da Vina, die dieses Mal mit »Raclette« vertreten ist. Darüber hinaus finden sich noch weitere alte Hasen wie Quichotte (»Der Soldat«), Jan Philipp Zymny (»Der Pfad zur Erleuchtung«), Patrick Salmen (»Der Zirkus«) oder natürlich Sebastian 23 (»Zeit für Lyrik«). Hinzu gesellen sich Neuautoren*innen wie Leticia Wahl (»ABC«), Sven Hensel (»Letzte Rechtfertigung«), Victoria Helene Bergemann (»Story of Yoloboy & Swaggirl«) und viele mehr. Zu jedem Text finden sich Biographien der Autoren und ein mehr oder weniger liebevoll verfasster Kommentar zur Idee, zum Ursprung des Textes.

Auch wir als Verlag blicken auf ereignisreiche fünf Jahre zurück. Über 100 Einzelproduktionen durften wir insgesamt schon Realität werden lassen und fühlen uns geehrt, mit so vielen unterschiedlichen, talentierten Autoren*innen zusammenarbeiten zu dürfen. So wie die Poetry-Slam-Szene versuchen auch wir, uns weiter zu verwurzeln. Deshalb freuen wir uns darüber, uns mittlerweile den weltweit größten Poetry-Slam-Verlag nennen zu dürfen. Mit besonders viel Stolz blicken wir auf die Textsammlung »Hinfallen ist wie Anlehnen, nur später« von Sebastian 23 zurück, die es im Juli 2017 sogar auf die Spiegel-Bestsellerliste geschafft hat. Auch dies ist ein Zeichen dafür, dass sich Bühnenlyrik in der deutschen Literaturlandschaft etablieren konnte, nachdem das kulturelle Angebot Deutschlands schon lange von der Slam Poetry beeinflusst wird.

Für diesen Erfolg sind natürlich viele Beteiligte verantwortlich. Deshalb wollen wir an dieser Stelle ein lautes Dankeschön in verschiedene Richtungen schreien. Der größte Dank gilt unseren prächtigen Autoren*innen. Euch verdanken wir nicht nur die Erfolge beim Preis für den ungewöhnlichsten Buchtitel auf der Leipziger Buchmesse, sondern auch, dass es uns gibt. Wir danken der Poetry-Slam-Szene, dass sie so bunt und hartnäckig und unfassbar kreativ geblieben ist. Und ein besonderer Dank geht an unseren Geschäftsführer und Lektora-Papa Karsten Strack. Ohne Karsten gäbe es den Verlag in dieser Ausrichtung nicht und wir sind stolz, ein Teil von Lektora zu sein und in der Szene mitwirken zu können.

Damit erst einmal genug, bevor es hier rührselig wird. Wir wünschen allen Slam-Beteiligten (Veranstaltern*innen, Slammern*innen, Zuschauer*innen etc.) eine spannende, aussichtsreiche Zukunft. Auf dass die Szene wächst, sich niemals unterkriegen lässt und stets mit neuen Ideen überrascht.

Wie Karsten rufen würde: Ihr seid alle Rockstars!

In diesem Sinne

Denise Bretz und Larissa Tiesbohnenkamp

Paderborn, 25.01.2019

Wenn ich mutig wäre

Victoria Helene Bergemann

»Wenn du heut nicht kommen willst, dann kommst du vielleicht morgen, und wenn du heut nicht gehen kannst, dann gehst du eben bald«, hast du noch gedacht.

Und ich hab dir gesagt: »Denk daran, was du in einem Jahr denkst.«

Ja, ich habe mal gehört, dass man, bevor man etwas Aufregendes tut, also z. B. einen Porno drehen, sich Sandsäcke dort implantieren, wo eigentlich Silikon hingehört, oder seinen Vater erschießen, erstmal überlegen soll, wie man in einer Woche, einem Monat und einem Jahr darüber denkt. Also denk immer daran, was du in einem Jahr denkst.

Vielleicht sag ich mir in einem Jahr: »Wenn ich das alles vor einem Jahr beendet hätte, dann hätte ich niemals das Verbot für Bauchtaschen bei Männern durchgesetzt, Nemo gefunden, 50 Küken aus der Rügenwalder Mühle-Fabrik gerettet, eine ganze Celebrations-Packung alleine zelebriert, niemals einen Uwe getroffen, der weder bei OBI arbeitete noch hauptberuflich auf dem Sportplatz einer Kleinstadt Rasen mähte, wäre ich nie als Intimfrisurenmodel in der BRAVO gewesen, hätte mir nie ein Poster von Alexander Klaws in hippen Klamotten von 2003 aufgehängt, ein Kind aus dem Bus geworfen und sein Eis behalten, nie eine Doktorarbeit über den fachgerechten Transport von Stockfisch geschrieben, einem Obdachlosen beigebracht, wie man Orgel spielt, nie die Geschichte gehört, wie Opa 1951 mal zwei Wochen lang mit dem Kopf in einem Fischernetz festhing, und mich gefragt, ob ich nicht für Höheres bestimmt bin. Also für Bergsteigen.«

Herr Depression ist ein Arschloch. In ruhigen Taten steht er still, in Worten schweigt er still. Und wenn ich so mit ihm rede, dann wirkt er ja auch erst ganz normal, aber dann wird es ganz kalt und irgendwann lässt er mich einfach nicht mehr los, und je mehr ich mich vor ihm zurückziehe, desto mehr nimmt er mich ein. Es gibt einfach Tage, da ist er ziemlich gut drauf, zieht sich schick an, setzt nen Hut auf.

Und ich denke wieder: »Wenn ich heut nicht kommen will, dann komm ich vielleicht morgen, und wenn ich heut nicht gehen kann, dann geh ich eben bald.«

Und wenn ich mutig wäre, dann hätte ich ihm schon längst gesagt, dass ich ihn überhaupt nicht mag, weil er, wenn er ein Mensch wäre, dieser eine mit dieser unangenehmen Lache wäre, der auf jedem Poetry Slam vom Rest des Publikums dafür ausgelacht würde, und ich es scheiße fände, dass er auf den Spielplatz geht und herumsitzenden Eltern mit seiner Schaufel schlägt, dass er so stark Haarausfall hätte, dass er mir immer seine Barthaare aus dem Gesicht sammeln müsste, wenn wir uns geküsst hätten, und nie einen Bibi-und-Tina-Film mit mir geguckt hätte. Und ich würde Nachrichten von ihm bekommen und denken, es wäre ein Penisbild, aber es wäre ein Video davon, wie er Diabolo spielt, um mich zu beeindrucken, nur hätte das nicht geklappt. Weil er nicht so gut Diabolo spielen kann, deswegen. Wenn ich mutig wäre, dann würde ich ihm sagen, dass ich ihn jetzt scheiße finde, weil sein Penis mich mehr interessieren würde als sein Diabolo, aber ich bin ja ein Mädchen und als Mädchen sagt man so was nicht. Das hat irgendein Mann mal gesagt und seitdem steht das so fest. Ich verstehe auch nicht, wieso Herr Depression einerseits will, dass ich mich mit ihm einlasse, er aber nie anzügliche Bilder von mir möchte. Wahrscheinlich ist er nur notgeil und findet mich in Wirklichkeit voll hässlich.

Ich würde so gerne Tiere pflanzen, Pilze zeugen und Pflanzen bauen, Drachen töten, schwule Gärtner heiraten und rein platonisch mit ihnen Heckenscheren shoppen gehen. Ich würde gerne ein cooles Start-up-Unternehmen gründen, das ganz hippe, hygienische Sachen mit Ökostrom herstellt, die einen glücklich machen, aber gleichzeitig auch nicht teuer und nur wenig krebserregend sind, in allen möglichen Farben erhältlich und manchmal ganz fruchtig schmecken. Okay, vielleicht stellt dieses Unternehmen einfach Kondome her, ja, aber es geht um das Prinzip. Ich möchte irgendwas Cooles machen, aber da, wo ich bin, geht das nicht, denke ich immer.

Und wenn ich mutig wäre, dann würd ich, ohne nachzudenken, auf die nächste Fähre nach weit weg steigen, wo der Arsch-Pfeffer von Timbuktu wächst, keine Ahnung, vielleicht Mecklenburg-Vorpommern, weil es mir überall besser gehen würde als da, wo ich bin. Wenn ich mutig wäre, würde ich dann zurückwinken und hoffen, dass das Land hinter mir wegbricht wie das römische Reich nach dem Hunnensturm und ich nie wieder daran denken muss wie Stalin an die Werte der russischen Revolution.

Aber immerhin bin ich mutig genug, zu sagen, dass ich zwar heute nicht komme, aber vielleicht komme ich morgen, und wenn ich heut nicht gehen kann, dann geh ich eben bald.

Ich wünschte, Professor Lupin hätte mir beigebracht, wie man sich gegen Dementoren wehrt, und ich wünschte, ich hätte allgemein in »Verteidigung gegen die dunklen Künste« besser aufgepasst. Und ich wünschte, ich wäre nicht der Maulwurf, sondern wüsste, wer mir auf den Kopf gekackt hat, und ich wünschte, ich wäre Peach, dann würde früher oder später auf jeden Fall einer kommen und mich befreien, oder auch ein verstopftes Rohr, Hauptsache, der Klempner kommt und rettet mich.

Und du sagst: »Wenn du heut nicht kommen willst, dann kommst du vielleicht morgen, und wenn du heut nicht gehen kannst, dann gehst du eben bald, denn in ruhigen Taten stehst du still, in Worten schweigst du still, also bitte bring mich nach Hause, bring Großmutter Wein und Kuchen, bring Erdbeermarmeladenbrote mit Honig zu Tom und der Erdbeermaus, bring Tim Taler sein Lachen zurück und geh runter zum Kiosk und bring mir ein Bier mit, aber bitte, bitte bring dich nicht um.«

Victoria Helene Bergemann, kurz »VHB«, wurde 1997 in einer Kleinstadt im Osten Hamburgs geboren, bis sie 20 Jahre später nach Kiel zog. Sie hat aber dank ihrer selbstgewählten Außenseitigkeit glücklicherweise nur zu wenigen Menschen Kontakt, mit denen sie nichts zu tun haben möchte, wie z. B. dicken Männern in Karohemden.

VHB steht seit Ende 2010 auf Bühnen im In- und Ausland, war Vizemeisterin im deutschsprachigen U20-Poetry-Slam, Schleswig-Holstein-Meisterin, dreifache Finalistin der Hamburger Stadtmeisterschaft und mehrfache Halbfinalistin der deutschsprachigen Meisterschaften. Sie gibt Workshops, so auch zuletzt in Georgien und Schweden u. a. im Auftrag des Auswärtigen Amtes.

Außerdem ist Victoria Helene Bergemann mehrfache Preisträgerin des Bundeswettbewerbs »lyrix« für junge Dichter*innen, Mitgliedin der Kieler Lesebühne »Irgendwas mit Möwen« und veranstaltet und moderiert nebenbei selbst Poetry Slams.

Im Herbst 2017 erschien ihre erste Textsammlung »Basti hat behauptet, dass er gehört hätte, wie meine Mutter gesagt hat, dass ihr nicht so viel Dreck reintragen sollt« im Lektora-Verlag, zusätzlich dazu erschienen Bergemanns Texte in vielen Anthologien.

In ihrem ersten Soloprogramm »Innere Werte kann ich auch nicht«, mit dem sie seit Frühjahr 2018 durch Deutschland tourt, geht es um Wichtiges verschiedener Art, wie z. B. Nacktschnecken, Republiken und Tupperware; um Rollschuhe, Leberwurst und Verbrechensstatistiken geht es aber nicht.

»In einer kalten stürmischen Winternacht beschloss ich einst, einen Text über das Allerwichtigste zu schreiben. Die Luft roch nach Mut, nach Erdbeermarmeladenbrot mit Honig und nach Alexander Klaws, der sang, dass ich ihn in dieser Nacht nehmen sollte. Das fand ich erst zutiefst befremdlich, aber ich nahm ihn und noch viele andere Metaphern und schrieb also endlich mal etwas Vernünftiges.«

Resignation

Johannes Berger

Es gibt Momente im Leben, wo deine Träume zerplatzen wie Seifenblasen. Blub.

Der Moment in dem man vergeblich auf den Brief aus Hogwarts wartet, die Erkenntnis, dass man nie in der Fußballnationalmanschaft spielen wird, weil die Debütanten jünger sind als man selbst – fick dich, Joshua Kimmich – und der Blick in den Spiegel, der einem sagt: So hast du dir nicht vorgestellt, mit 24 auszusehen. Statt Bart und Waschbrettbauch Pickel und den Körper eines 14-jährigen Mädchens: kleine Brüste, großer Bauch, fetter Arsch.

Und in diesen Momenten schreit irgendeine Stimme in deinem Kopf: Leb deine Träume!

Aber wie?

Ich hab schon Probleme, mein Leben zu leben, und wie zur Hölle soll ich dann meine Träume leben? Natürlich kann ich nach London fahren und immer und immer wieder gegen eine Backsteinmauer rennen, statt nach Hogwarts komm ich höchstens in die Psychatrie. Natürlich kann ich Marketing studieren, Rhetorik-Kurse besuchen, der CDU beitreten, Ministerpräsident werden, schließlich Bundeskanzler, um geschickt die Macht an mich zu reißen, mich zum König von Deutschland zu ernennen, nur um dann mich selbst beim DFB-Team aufzustellen. Aber seit einiger Zeit ist das nicht mehr so einfach, wie es klingt: Danke, Adolf.

Natürlich kann ich einfach ins Fitnessstudio gehen und was für meinen Körper tun. Das letzte Mal aber, als ich den Versuch unternahm, landete ich mit Leistenbruch im Krankenhaus, und als ich meinem besten Freund, der nicht wusste, was das ist, erklärte, dass jetzt mein Darm gegen meinen Hoden drückt, fragte er nur: »Was? Du kackst dir in deinen Sack?«

Und da wusste ich plötzlich, warum weise Menschen sagen, dass Träume für den Arsch sind. Aber hey, vielleicht befinde ich mich einfach nur in einer depressiven, misanthropischen Phase, denn nicht jeder kann Nationalspieler werden (fick dich, Joshua Kimmich).

Viele träumen ja davon, das zu werden, was ich schon bin: Poet, Künstler, Musiker. Mein Traum ist wahrgeworden: Ich steh um 15 Uhr auf, koks ’ne Runde, lass mir ein paar Nutten kommen und gehe abends ins Studio, ab und an Konzerttournee mit Nightliner und Groupies.

In Wirklichkeit stehe ich um 7 Uhr auf, übe acht Stunden alleine in meinem Kämmerchen wie ein Verrückter mein Instrument, hab abends einen Auftritt vor zehn Leuten, krieg 20 Euro und drei Freigetränke und am Ende des Tages klopft mir wer auf die Schulter und sagt: »Du warst … echt … okay.«

Vielleicht sind Träume ja auch deshalb für den Arsch, weil sie, wenn sie in Erfüllung gehen, im Endeffekt nie so sind, wie du sie dir vorgestellt hast. Wenn man einen Körper wie Ryan Gosling haben will, kann man nicht rumsitzen und rumheulen, sondern muss sich gesund ernähren und fünfmal die Woche ins Fitnessstudio gehen. Und ja, vielleicht gehst Du nach fünf Monaten auf die Straße und alle sagen: »Wow, Ryan – du hier, ich dachte, du lebst in Hollywood.«

Aber vielleicht liegst du auch nach fünf Minuten auf dem Boden vom Fitnesstudio und der unqualifizierte Trainer, der dir einfach mal so 20 Kilo zu viel draufgepackt hat, teilt dir mit, dass du dir wohl gerade einen Leistenbruch zugezogen hast, und alle stehen um dich herum und rufen: »Haha, Johannes, du kackst dir in deinen Sack.«

Ich glaube, Träume passieren nicht. Träume sind harte Arbeit, Träume sind anstrengend, Träume scheitern. Nicht alles, was Spaß macht, bringt dich weiter, und nicht alles, was dich weiterbringt, macht Spaß. Und daher gehen wir weg vom großen Ganzen und reduzieren unsere Träume auf ein Minimum, denn: »Uh – ich wollt schon immer mal grüne Haare haben« und »Yeah – morgen fang ich mit Zumba an« sind keine Träume.

Und auch wenn Träume oft für den Arsch sind, weil sie sich nie so erfüllen können, wie wir sie uns erträumen, geben sie uns in manchen Momenten im Leben die Kraft, mehr an uns zu verändern als die Haarfarbe. Und dann sind sie zwar für den Arsch. Aber auch ein klein bisschen für das Herz. Und gegen die Resignation.

Johannes Berger (*1994) ist ein Slam-Poet, Moderator und Musiker aus Hannover. Geboren in Istanbul, vebrachte er seine Kindheit in Berlin und München.