Die unglaubliche Entdeckung des Mr. Penumbra - Robin Sloan - E-Book

Die unglaubliche Entdeckung des Mr. Penumbra E-Book

Robin Sloan

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Beschreibung

Wie alles begann: Eine wunderschöne Kurzgeschichte voller Überraschungen über Mr. Penumbras Ankunft in San Francisco und einen sensationellen Fund.

1969: Ajax Penumbra arbeitet in der Bibliothek des Galvanic College im Stab für Neuerwerbungen und bekommt von seinem Chef den Auftrag, ein längst verschollenes, uraltes Buch über die Kunst der Weissagung zu beschaffen. Eine Spur führt ihn nach San Francisco, das gerade die letzten Sonnenstrahlen des Summer of Love genießt. In einer rund um die Uhr geöffneten Buchhandlung findet Ajax in deren Besitzer, Mohammed Al-Asmari, und seinem Angestellten Marcus Corvina überraschend zwei Verbündete, die ihn bei seiner ungewöhnlichen Mission unterstützen. Ihre Recherchen führen buchstäblich in die Unterwelt der Stadt, die eine Menge verlorener Schätze birgt...

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Robin Sloan

DIE UNGLAUBLICHE

ENTDECKUNG

DES MR. PENUMBRA

ROMAN

Aus dem Amerikanischen

von Wolfgang Müller

Karl Blessing Verlag

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Originaltitel: Ajax Penumbra 1969

Originalverlag: Farrar, Straus, Giroux

Copyright © 2014 by Karl Blessing Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH

Umschlaggestaltung: Geviert, Michaela Kneißl,

unter der Verwendung eines Motivs von gettyimages

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-14065-6V002

www.blessing-verlag.de

DIE RUND UM DIE UHR GEÖFFNETE BUCHHANDLUNG

Ein Besucher geht durch die Stadt. Er ist auf der Suche. Mit einer Liste von Büchereien und Buchhandlungen, Museen und Archiven. Er steigt in die Tiefen des San Francisco Chronicle hinab, folgt einem griesgrämigen Angestellten zu den ältesten Bänden des Archivs. Dort unten fühlt sich das Zeitungspapier brüchig an. Er fasst es mit behutsamen, aber routinierten Fingern an, er ist mit der Aufgabe vertraut. Aber der Chronicle ist noch zu jung, er findet den Namen nicht, den er sucht.

Der Besucher klappert Chinatown ab, lernt Buchhandlung? auf Kantonesisch zu sagen: Shuˉ, diàn? Er stellt sich dem Dunst der Haight Street, spricht mit einem langhaarigen Mann, der auf einer Decke im Golden Gate Park Bücher verkauft. Er überquert die Bucht und geht zu Cody’s und Cal, stößt nach Süden vor zu Kepler’s und Stanford. Er fragt bei City Lights nach, aber der Mann an der Kasse, der Shig heißt, schüttelt den Kopf. »Nie von dem Burschen gehört, Mann, nie von ihm gehört.« Er verkauft dem Besucher stattdessen eine Ausgabe von Geheul.

Es ist 1969, in San Francisco wird gebaut. Die Market Street, die große zentrale Verkehrsader der Stadt, ist ein Graben. Südlich davon hat man ganze Straßenzüge abgerissen und entsorgt. Ein Zaun ist mit Anschlägen bepflastert, die das Gelände als Yerba Buena Gardens preisen, obwohl nicht eine einzige Pflanze oder ein einziger Baum zu sehen sind. Nördlich davon geht der Besucher an einem Bauzaun entlang, hinter dem ein großflächiges, pyramidenartiges Gebäude dem Himmel zustrebt. Ein Plakat verheißt über der filigranen Darstellung eines leuchtenden Speers: Der zukünftige Standort der Transamerica Pyramid.

Der Besucher geht durch die Stadt. Er ist enttäuscht. Er hat alle Orte aufgesucht, die Liste ist abgearbeitet. Er spaziert zur Golden Gate Bridge, weil er weiß, dass seine Eltern ihn danach fragen werden. Nachdem er die Brücke zu einem Viertel überquert hat, kehrt er wieder um. Er hat einen Blick auf die Stadt erwartet, aber Nebel verhüllt die Bucht, und sein kurzärmeliges Hemd flattert im eisigen Wind.

Der Besucher geht zum Hotel zurück. Er geht langsam, suhlt sich in seinem Misserfolg. Morgen früh wird er sich die Zugfahrkarte nach Hause kaufen. Er geht eine Zeit lang am Wasser entlang, biegt dann in die Stadt ab. Er folgt der Grenze zwischen North Beach und Chinatown und stößt auf eine von einem italienischen Restaurant und einer chinesischen Drogerie eingekeilte Buchhandlung.

***

Im Innern des Restaurants sind auf den Tischen mit den rot karierten Decken die Stühle hochgestellt. Die Türen der verdunkelten Drogerie sind mit verschlungenen Ketten fest zugezogen. Die ganze Straße schläft. Es ist fast Mitternacht. Aber die Buchhandlung ist hellwach.

Das hört er, bevor er es sieht: Stimmengemurmel, scheppernde, beschwingte Musik. Beides schwillt an, als die Tür der Buchhandlung aufgestoßen wird und Körper hinaus auf die Straße drängeln. Junge Körper, lange wehende Haare, wallender Stoff. Der Besucher hört das Schnappen eines Feuerzeugs, sieht einen zuckenden Funken. Die Körper lassen etwas herumgehen, seufzen und stoßen lange Rauchfahnen aus, die mit dem Nebel verschmelzen. Der Besucher hält sich im Hintergrund und schaut zu. Sie lassen das Etwas wieder herumgehen, werfen es dann auf die Straße und gehen wieder hinein.

Er geht näher heran. Die Fassade des Ladens besteht nur aus Fenstern, vom Boden bis zur Decke, quadratische Scheiben, die in ein Eisengitter eingepasst und vollkommen beschlagen sind. Es scheint, als sei eine Party im Gange. Er sieht Gesichter und Hände, dunkle, wuschelige Haare, durch das beschlagene Glas impressionistisch verwandelt. Die Musik hat er schon woanders in der Stadt gehört. Irgendein Popsong.

Er stößt die Tür auf, und eine Woge jugendlicher Wärme schwappt über ihn hinweg. Über seinem Kopf meldet eine hell bimmelnde Glocke sein Eintreten, aber niemand bemerkt es. Er kann die Tür nicht ganz öffnen, sie stößt gegen einen Rücken, gegen eine weite Jacke, die mit einem Muster aus Flicken bedeckt ist. Der Besucher zwängt sich seitlich hinein, murmelt eine leise Entschuldigung, aber der Jackenträger hört sie nicht. Er ist in eine Unterhaltung mit einer Frau vertieft, die ein Kofferradio unter den Arm geklemmt hat, die Quelle der beschwingten Musik.

Die Buchhandlung ist winzig: hoch und schmal. Von seiner Position in der Ecke taxiert der Besucher den Raum und kommt zu dem Schluss, dass hier weniger Kunden als bei City Lights sind, wahrscheinlich weniger als zwei Dutzend – aber sie quetschen sich auf einem Bruchteil der Fläche zusammen.

Die kleine, aber geballte Menge drängt sich um mehrere niedrige Tische mit kleinen handbeschrifteten Schildern, auf denen POESIE, SCIENCE-FICTION oder AUS DEM WHOLE-EARTH-KATALOG steht. Einige blättern in den Büchern. Zwei debattierende, gestikulierende Männer mit zotteligen Vollbärten wühlen sich durch die Bücher auf dem KINO-Tischchen. Andere lesen. Eine Frau in einem grünen Kleid steht regungslos da, fasziniert von einem Comic mit dem Titel Die Fantastischen Vier. Die meisten sind allerdings miteinander beschäftigt. Sie reden, nicken, lachen, flirten, streichen sich die Haare aus den Augen und klemmen sie sich hinter die Ohren. Alle haben lange Haare, der Besucher ist plötzlich verlegen wegen seines Bürstenschnitts.

Während er sich durch die Menge Richtung Kasse schlängelt, versucht er niemanden zu berühren. Die Hygienestandards sind höchst unterschiedlich. Die Stimmen hallen von den nackten Bodendielen wider, und er schnappt Gesprächsfetzen auf:

»… ein Trip …«

»… oben in Marin …«

»… beim Led Zep …«

»… na ja, Smack …«

Die Buchhandlung hat noch mehr zu bieten. Hinter den niedrigen Tischen ragen Regale, die den rückwärtigen Teil des Ladens beherrschen, so weit in die Höhe, dass sie in der Dunkelheit verschwinden. Leitern reichen gefährlich weit in die Finsternis hinauf. Die schweren Bewohner dieser Regale machen allesamt einen gewichtigeren Eindruck als die Bücher vorn. Den Menschen im Laden scheinen sie egal zu sein – obwohl es natürlich sein kann, denkt der Besucher, dass in der Finsternis geheime Aktivitäten vor sich gehen.

Er fühlt sich zutiefst unwohl. Er will schon wieder umkehren und gehen. Aber … es ist eine Buchhandlung. Hier könnte sich eine Spur finden.

Der Besucher geht zur Kasse, wo der Verkäufer mit einem Kunden streitet. Die beiden Gestalten unterscheiden sich erheblich: Zwei unterschiedliche Dekaden stehen sich auf den beiden Seiten des breiten, schweren Schreibtischs gegenüber. Der Kunde ist ein gelenkiger, zaundürrer Mann mit strähnigen, zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenen Haaren. Der Verkäufer ist ein stämmiger Klotz mit dicken Armen, über denen sich die Rippen seines Pullovers spannen. Er trägt einen akkurat gestutzten Schnauzer, hat dunkle, nach hinten gekämmte Haare und gleicht eher einem Seemann als dem Verkäufer in einer Buchhandlung.

»Die Toilette ist nur für Kunden«, sagt der Verkäufer bestimmt.

»Ich hab letzte Woche ein Buch gekauft, Mann«, protestiert der Kunde.

»Ach, tatsächlich? Du hast letzte Woche eins gelesen, kein Zweifel, hab ich mit eigenen Augen gesehen, aber was das Kaufen angeht …« Der Verkäufer wuchtet einen dicken, ledergebundenen Wälzer auf den Schreibtisch und blättert schnell durch die Seiten. »Nein, fürchte, da ist nichts … Wie war der Name noch gleich?«

Der Kunde lächelt glückselig. »Coyote.«

»Coyote, natürlich … Nein, da ist kein Coyote. Ich habe da einen Starchild … einen Frodo … aber keinen Coyote.«

»Starchild, genau! Das ist mein Nachname. Na los, Mann. Ich muss dringend pissen.« Der Kunde – Coyote … Starchild? – wippt auf seinen Füßen auf und ab.

Die Kinnladen des Verkäufers verkrampfen sich. Er holt den Generalschlüssel hervor, an dem eine lange graue Quaste hängt. »Beeil dich.« Der Kunde reißt ihm den Schlüssel aus der Hand und verschwindet hinter den hohen Bücherregalen. Sofort heften sich zwei andere an seine Fersen.

»Das ist kein Wartesaal!«, ruft ihnen der Verkäufer hinterher. »Verstanden?« Er seufzt, dreht sich wieder um und sieht sich dem Besucher gegenüber. »Ja? Bitte?«

»Äh, hallo.« Der Besucher lächelt. »Ich suche nach einem Buch.«

Der Verkäufer sagt nichts. Er justiert sich neu. »Ach ja?« Seine Kinnladen scheinen sich wieder zu entspannen.

»Ja. Genauer gesagt, ich suche nach einem ganz besonderen Buch.«

»Marcus!«, ruft eine Frau. Der Verkäufer schaut auf. Die Frau mit dem Kofferradio hebt ein Buch über die Köpfe der Menge und klopft mit dem Finger auf den Umschlag: Nackt kam die Fremde. »Mar-cus! Das hast du heimlich gelesen, stimmt’s?«

Der Verkäufer runzelt die Stirn, erweist ihr aber nicht den Gefallen einer Antwort, sondern schlägt mit der Faust auf den Schreibtisch und brummelt etwas, was an niemand Speziellen gerichtet ist. »Keine Ahnung, warum er so einen Schund führt …«

»Ein besonderes Buch«, wiederholt der Besucher mit behutsam aufmunternder Stimme.

Der Verkäufer schaut ihn wieder an. Sein Mund verzieht sich zu einem verkniffenen Strich, der nicht mal entfernt an ein Lächeln erinnert. »Natürlich. Wie heißt es?«

Der Besucher spricht langsam, artikuliert deutlich: »Techne Tycheon.T-E-C-H …«

»Ja, ja, Techne, ich weiß. Und Tycheon … das ist ›die Kunst der Wahrsagerei‹, korrekt?«

»Ja, ganz genau!«, sagt der Besucher laut.

»Mar-cus!« Wieder die Frau. Diesmal reagiert der Verkäufer überhaupt nicht.

»Entgegen allem äußeren Anschein«, sagt er ausdruckslos, »ist dies ein Ort der akademischen Recherche.« Er holt ein längliches Buch hervor, das breiter als hoch ist. »An den Titel kann ich mich nicht erinnern, ich prüfe das mal eben nach.« Er blättert durch die karierten Seiten eines Kassenbuchs – eine Art Katalog. »Unter T nichts … Wie heißt der Autor?«

Der Besucher schüttelt den Kopf. »Das Buch ist sehr alt. Ich kenne nur den Titel. Aber ich weiß, dass es sich hier in San Francisco befunden hat, in einer Buchhandlung, die geführt wurde von einem gewissen … Nun ja, das ist eine ziemlich komplizierte Geschichte.«

Der Verkäufer kneift die Augen zusammen, nicht aus Argwohn, sondern aus Interesse. Er schiebt den Katalog beiseite. »Na dann, erzähl mal.«