Die verlorene Erde - Die Homecoming-Saga 1 - Orson Scott Card - E-Book

Die verlorene Erde - Die Homecoming-Saga 1 E-Book

Orson Scott Card

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Beschreibung

Drohender Systemabsturz

Hoch über dem Planeten Harmonie wacht Überseele, eine gigantische KI, über die Menschen. Sie haben den Planeten vor vierzig Millionen Jahren besiedelt, nachdem die Erde durch Kriege unbewohnbar geworden war. Überseele hat ihre Aufgabe bisher einwandfrei erledigt: Es gibt keine Waffen und keine Technologien, die man als Waffe verwenden könnte, und durch direkte Eingriffe in die Gedanken der Menschen verhindert Überseele jeden Krieg. Doch nun hat der Computer Beunruhigendes festgestellt: Er kann auf einige seiner Speicherbänke nicht mehr zugreifen, und die Energieversorgung wird zunehmend zum Problem. Nur die KI auf der Erde, von der Überseele einst ein Teil war, kann helfen. Überseele hat keine andere Wahl, als die Menschen von Harmonie in die Geheimnisse der bemannten Raumfahrt einzuweihen. Warum aber sucht sich die Maschine dazu ausgerechnet den jungen, unbedarften Nafai aus?

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ORSON SCOTT CARD

 

DIE

VERLORENE

ERDE

 

Die Homecoming-Saga 1

 

Roman

 

 

 

 

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Das Buch

Hoch über dem Planeten Harmonie wacht Überseele, eine gigantische KI, über die Menschen. Sie haben den Planeten vor vierzig Millionen Jahren besiedelt, nachdem die Erde durch Kriege unbewohnbar geworden war. Überseele hat ihre Aufgabe bisher einwandfrei erledigt: Es gibt keine Waffen und keine Technologien, die man als Waffe verwenden könnte, und durch direkte Eingriffe in die Gedanken der Menschen verhindert Überseele jeden Krieg. Doch nun hat der Computer Beunruhigendes festgestellt: Er kann auf einige seiner Speicherbänke nicht mehr zugreifen, und die Energieversorgung wird zunehmend zum Problem. Nur die KI auf der Erde, von der Überseele einst ein Teil war, kann helfen. Überseele hat keine andere Wahl, als die Menschen von Harmonie in die Geheimnisse der bemannten Raumfahrt einzuweihen. Warum aber sucht sich die Maschine dazu ausgerechnet den jungen, unbedarften Nafai aus?

 

 

Der Autor

Orson Scott Card, 1951 in Richland, Washington geboren, studierte englische Literatur und arbeitete als Theaterautor, bevor er sich ganz dem Schreiben von Romanen widmete. Mit »Enders Spiel« gelang ihm auf Anhieb ein internationaler Bestseller, der mit dem Hugo und dem Nebula Award ausgezeichnet wurde. Auch die Fortsetzung Sprecher für die Toten gewann diese beiden prestigeträchtigen Auszeichnungen, somit ist Orson Scott Card der bislang einzige SF-Schriftsteller, dem es gelang, beide Preise in zwei aufeinanderfolgenden Jahren zu gewinnen. Enders Game wurde 2013 mit Asa Butterfield und Harrison Ford in den Hauptrollen verfilmt. Card lebt mit seiner Familie in Greensboro, North Carolina.

 

Im Heyne Verlag sind die Romane der Ender-Saga und der Homecoming-Saga als E-Books lieferbar:

Ender-Saga: Enders Spiel, Sprecher für die Toten, Xenozid, Enders Kinder

Homecoming-Saga: Die verlorene Erde, Der Ruf der Erde, Die Schiffe der Erde, Die Kinder der Erde, Der Hüter der Erde

 

 

 

 

 

www.diezukunft.de

 

Titel der Originalausgabe

THE MEMORY OF EARTH

 

Aus dem Amerikanischen von Uwe Anton

 

 

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

 

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Überarbeitete Neuausgabe

© Copyright 1992 by Orson Scott Card

Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: Das Illustrat, München

Satz: Thomas Menne

 

ISBN 978-3-641-22871-2V002

Anmerkungen über die Abstammung

 

Wegen der Ehegebräuche in der Stadt Basilika können die Familienverhältnisse mitunter etwas kompliziert sein. Vielleicht können diese Ahnentafeln die Dinge etwas verdeutlichen. Frauennamen sind kursiv gedruckt.

 

Wetschiks Familie

 

Rasas Nichten

(Ihre bevorzugten Schülerinnen, die ›adoptiert‹ wurden und fortwährend unterstützt werden)

 

Schedemei, Dol, Eiadh, Huschidh und Luet (Schwestern)

 

Hosnis Familie

 

Spitznamen

 

Bei den meisten Namen sind Abkürzungen und Kosenamen gebräuchlich. Zum Beispiel könnten Gaballufix' nähere Verwandtschaft, seine engen Freunde, derzeitige Gattin und ehemalige Gattinnen ihn Gabja nennen. Weitere Spitznamen sind hier aufgeführt. (Da diese Namen so ungewohnt sind, werden weibliche Charaktere kursiv gesetzt.)

 

Dhelembuvex – Dhel

Dol – Dolja

Drotik – Dorja

Eiadh – Edhja

Elemak – Elja

Hosni – Hosja

Huschidh – Schuja

Issib – Issja

Kokor – Koja

Luet – Lutja

Mebbekew – Meb

Nafai – Njef

Obring – Brija

Rasa – (keine Abkürzung)

Raschgallivak – Rasch

Roptat – Rop

Sevet – Sevja

Schedemei – Schedja

Truzhnischa – Truzhja

Vas – Vasja

Volemak – Volja

Wetschik (keine Abkürzung; Volemaks Familientitel)

Zdorab – Zodja

Prolog

 

Der Hauptcomputer des Planeten Harmonie hatte Angst. Ein Mensch würde allerdings nichts davon merken – keine schweißnassen Handflächen, kein trockner Mund, kein schlechtes Gefühl in der Magengrube. Er war nur eine Maschine ohne bewegliche Teile, bekam seine Energie von der Sonne und seine Daten von Satelliten, seinem Speicher und einer halben Milliarde Menschen. Und doch konnte er eine Art Furcht spüren, das Gefühl haben, dass die Dinge seiner Kontrolle entglitten, dass er nicht mehr die Macht hatte, die Welt so zu beeinflussen wie zuvor.

Er verspürte, kurz gesagt, Todesangst. Er hatte nicht Angst vor dem Tod, denn der Hauptcomputer hatte kein Ego, und ihm war völlig gleichgültig, ob er weiterhin existierte oder nicht. Doch man hatte ihn vor Millionen von Jahren mit dem Auftrag programmiert, die Menschheit auf dieser Welt zu behüten. Wenn der Computer so schwach wurde, dass er seinen Auftrag nicht mehr erfüllen konnte, wusste er ohne Zweifel – jede Projektion, die zu erstellen er imstande war, bestätigte es –, dass innerhalb einiger weniger Jahrtausende die Menschheit erneut dem einzigen Feind gegenüberstehen würde, der sie vernichten konnte: der Menschheit selbst, hochgerüstet mit Waffen, die einen ganzen Planeten zerstören konnten.

Nun ist es an der Zeit, schloss der Hauptcomputer. Ich muss jetzt handeln, solange ich noch einen gewissen Einfluss auf diese Welt habe, oder erneut wird eine Welt sterben.

Und doch hatte der Hauptcomputer keine Ahnung, wie er vorgehen sollte. Eins der Symptome seines Niedergangs war eben jene Verwirrung, die ihn davon abhielt, eine Entscheidung zu treffen. Er konnte seinen eigenen Schlussfolgerungen nicht mehr vertrauen, falls er überhaupt imstande war, eine zu ziehen. Er brauchte Führung. Er musste neu programmiert oder vielleicht sogar durch eine modernere Maschine ersetzt werden, die besser imstande war, sich mit den neuen Herausforderungen zu befassen, die sich innerhalb der menschlichen Rasse entwickelten.

Das Problem war jedoch, dass es nur eine einzige Quelle gab, von der er gültige Ratschläge erwarten konnte, und dass diese Quelle so weit entfernt war, dass sich die Überseele dorthin begeben und den Rat holen musste. Früher einmal war die Überseele in der Lage gewesen, sich zu bewegen, doch das war vierzig Millionen Jahre her, und selbst innerhalb eines Stasisfelds hatte es Zerfall gegeben. Die Überseele konnte ihre Aufgabe nicht allein erfüllen. Sie brauchte menschliche Hilfe.

Zwei Wochen lang durchsuchte der Hauptcomputer seine gewaltigen Datenbanken und berechnete die potentielle Nützlichkeit eines jeden zur Zeit lebenden Menschen. Die meisten waren zu dumm oder unempfänglich; und von denen, die noch eine direkte Nachricht des Hauptcomputers empfangen konnten, befanden sich nur wenige in einer Position, in der sie die notwendigen Schritte einleiten konnten.

Daher richtete der Hauptcomputer seine Aufmerksamkeit auf eine Handvoll Menschen in der uralten Stadt Basilika. Als einer der zuverlässigsten Satelliten des Hauptcomputers im Schutz der Nacht über sie hinwegflog, begann er mit seiner Arbeit und schickte einen stetigen, gebündelten Strom an Informationen und Instruktionen an jene wenigen Menschen, die vielleicht etwas dazu beitragen konnten, eine Welt namens Harmonie zu retten.

1

 

Vaters Haus

 

Nafai erwachte im Morgengrauen auf seiner Matte in seines Vaters Haus. Da er vierzehn Jahre alt war, durfte er nicht mehr im Haus seiner Mutter schlafen. Keine anständige Frau auf Basilika würde ihre Tochter in Rasas Haushalt schicken, wenn dort ein vierzehnjähriger Junge wohnte – besonders, da Nafai mit zwölf Jahren noch einmal einen Wachstumsschub eingelegt hatte, der noch lange nicht aufzuhören schien, obwohl er schon fast zwei Meter groß war.

Erst gestern hatte er zufällig mitbekommen, wie seine Mutter mit ihrer Freundin Dhelembuvex gesprochen hatte. »Die Leute überlegen schon, wann du ein Tantchen für ihn finden wirst«, hatte Dhel gesagt.

»Er ist doch noch ein Junge«, erwiderte seine Mutter.

Dhel johlte vor Gelächter. »Rasa, meine Liebe, hast du solche Angst davor, alt zu werden, dass du dir nicht eingestehen kannst, dass dein kleines Baby ein Mann ist?«

»Es ist nicht die Furcht vor dem Alter«, sagte Mutter. »Wir können mit Tantchen und Gefährtinnen und dem ganzen Zeug anfangen, wenn er selbst daran denkt.«

»Oh, er denkt schon daran«, sagte Dhel. »Er spricht nur nicht mit dir darüber.«

Dies entsprach allerdings den Tatsachen; Nafai war errötet, als er gehört hatte, wie sie es sagte, und lief nun, als er sich daran erinnerte, erneut rot an. Woher konnte Dhel wissen, obwohl sie ihn an jenem Tag nur einen Augenblick lang gesehen hatte, dass seine Gedanken so oft ›diesem ganzen Zeug‹ galten? Aber nein, Dhel wusste es nicht, weil sie es Nafai angesehen hatte. Sie wusste es, weil sie die Männer kannte. Ich durchlaufe gerade ein gewisses Alter, dachte Nafai. Alle Jungs in diesem Alter denken daran. Jeder kann auf einen Jungen zeigen, der fast zwei Meter groß, aber noch bartlos ist, und sagen: »Dieser Junge denkt gerade an Sex!«, und wird dabei meistens recht behalten.

Aber ich bin nicht wie all die anderen, dachte Nafai. Wenn ich höre, wie Mebbekew und seine Freunde darüber sprechen, wird mir übel. Ich mag nicht so grobschlächtig von Frauen denken, sie abschätzen wie Stuten, um festzustellen, wozu sie wohl zu gebrauchen sind. Ein Pack- oder ein Reittier? Geht sie im Schritt, oder können wir galoppieren? Halte ich sie im Stall, oder kann ich sie meinen Freunden zeigen?

Nafai dachte ganz und gar nicht so über Frauen. Vielleicht, weil er noch in der Schule war, noch immer tagtäglich mit Frauen über intellektuelle Themen sprach. Ich liebe Eiadh nicht, weil sie die schönste junge Frau in Basilika und daher wahrscheinlich auf der ganzen Welt ist. Ich liebe sie, weil wir uns unterhalten können, wegen ihrer Denkweise, dem Klang ihrer Stimme, der Weise, wie sie den Kopf neigt, wenn sie eine Idee vernimmt, der sie nicht zustimmt und wegen der Art und Weise, wie sie ihre Hand auf die meine legt, wenn sie versucht, mich zu überzeugen.

Plötzlich merkte Nafai, dass der Himmel draußen vor seinem Fenster schon hell wurde und er noch im Bett lag und von Eiadh träumte, wo er doch schon längst aufgestanden und in die Stadt gegangen sein sollte, um sie zu sehen.

Gesagt, getan. Er setzte sich auf, kniete neben seiner Matte nieder, schlug sich auf die nackten Schenkel und die Brust, um der Überseele den Schmerz darzubringen, rollte dann sein Bett auf und steckte es in den Kasten in der Ecke. Eigentlich brauche ich gar kein Bett, dachte Nafai. Wäre ich ein richtiger Mann, würde ich auf dem Boden schlafen und keinen weiteren Gedanken darüber verschwenden. Auf diese Weise würde ich so hart und mager werden wie Vater. Wie Elemak. Heute Abend werde ich auf das Bett verzichten.

Er ging auf den Hof zum Wassertank. Er tauchte die Hände in den kleinen Ausguss, befeuchtete die Seife und verteilte sie auf seinem Körper. Die Luft war kalt, und das Wasser noch kälter, doch Nafai gab vor, nichts davon zu spüren, bis er sich vollständig eingeseift hatte. Er wusste, dass dieses Frösteln nichts im Vergleich zu dem war, was gleich folgen würde. Er stand unter der Dusche und griff nach der Schnur – und zögerte dann, bereitete sich auf das bevorstehende Elend vor.

»Ach, zieh einfach dran«, sagte Issib.

Nafai sah zu Issibs Zimmer hinüber. Er schwebte direkt vor der Schwelle in der Luft. »Du hast gut reden«, erwiderte Nafai.

Da Issib ein Krüppel war, konnte er die Dusche nicht benutzen; seine Schwebeflossen durften nicht nass werden. Also nahm ihm ein Diener jeden Abend die Flossen ab und badete ihn. »Du bist ein richtiges Baby, wenn es um kaltes Wasser geht«, sagte Issib.

»Erinnere mich daran, dir beim Mittagessen einen Eiswürfel den Nacken hinabrutschen zu lassen.«

»Wenn du mich schon aufweckst, weil du so laut zitterst und mit den Zähnen klapperst …«

»Ich habe nicht das geringste Geräusch gemacht«, sagte Nafai.

»Ich habe mich entschlossen, dich heute in die Stadt zu begleiten.«

»Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen«, entgegnete Nafai.

»Willst du die Seife trocknen lassen? Sie verleiht deiner Haut eine bezaubernde weiße Färbung, aber nach ein paar Stunden wird es wahrscheinlich jucken.«

Nafai zog an der Schnur.

Augenblicklich ergoss sich eiskaltes Wasser aus dem Tank über ihm. Er keuchte auf und bückte und drehte und wand sich dann, um die Seife abzuspülen. Er hatte nur dreißig Sekunden, um sich zu säubern, bis der Strahl nachließ und schließlich ganz schwand, und wenn er bis dahin nicht fertig war, musste er entweder den Rest des Tages über mit der nicht abgespülten Seife leben – und es juckte wirklich wie tausend Mückenstiche – oder ein paar Minuten lang warten und sich den Arsch abfrieren, bis sich der kleine Duschtank wieder mit Wasser aus dem großen Haupttank gefüllt hatte. Beide Möglichkeiten waren gleichermaßen unangenehm, und so hatte er sich schon vor langer Zeit eine Routine angeeignet, die es ihm ermöglichte, stets sauber zu sein, bevor das Wasser versiegte.

»Ich liebe es geradezu, deinen kleinen Tanz zu beobachten«, sagte Issib.

»Tanz?«

»Nach links beugen, die Achselhöhle ausspülen, nach rechts beugen, die andere Achselhöhle ausspülen, vorbeugen und die Backen spreizen, um den Arsch auszuspülen, zurückbeugen und …«

»Schon gut, ich hab's kapiert«, sagte Nafai.

»Nein, ganz im Ernst, das ist eine wunderschöne kleine Routine. Du solltest sie mal dem Leiter des Offenen Theaters vorführen. Oder sogar dem Leiter des Orchesters. Du könntest ein Star werden.«

»Ein Vierzehnjähriger, der nackt unter einem Wasserstrahl tanzt«, sagte Nafai. »So etwas führt man wohl in einer anderen Art von Theater vor.«

»Aber immerhin in der Puppenstadt! Du wärest trotzdem ein Hit in der Puppenstadt!«

Mittlerweile hatte Nafai sich abgetrocknet – bis auf sein Haar, das noch immer fürchterlich kalt war. Er wollte in sein Zimmer laufen, wie er es getan hatte, als er noch klein gewesen war und unsinnige Worte vor sich hingeplappert hatte – »Uga-buga-luga-buga« war eins seiner liebsten gewesen –, während er sich anzog und abrieb, um warm zu werden. Aber jetzt war er ein Mann, und es war erst Herbst, noch nicht einmal Winter, und so zwang er sich, langsam zu seinem Zimmer zu gehen. Und deshalb war er noch auf dem Hof, splitternackt und frierend wie ein Schneider, als Elemak durch das Tor kam.

»Hundertachtundzwanzig Tage!«, bellte er.

»Elemak!«, rief Issib. »Du bist wieder da!«

»Trotz der Hügelräuber«, sagte Elemak. Er ging schnurstracks zur Dusche und zog sich dabei aus. »Sie haben uns vor keinen zwei Tagen überfallen, ganz in der Nähe von Basilika. Ich glaube, diesmal haben wir einen getötet.«

»Weißt du es nicht genau?«, fragte Nafai.

»Ich habe natürlich einen Pulsator benutzt.«

Natürlich?, dachte Nafai. Eine Jagdwaffe gegen einen Menschen?

»Ich sah, wie er umkippte, aber ich wollte nicht zurückgehen und mich überzeugen. Vielleicht ist er nur ausgerutscht und in dem Augenblick gestürzt, in dem ich geschossen habe.«

Elemak zog die Schnur, bevor er sich einseifte. Als das Wasser ihn traf, jaulte er auf, und dann vollführte er seinen eigenen kleinen Duschtanz, schüttelte den Kopf und verspritzte Wasser auf dem ganzen Hof, während er wie ein kleines Kind »Uga-buga-luga-buga!«, rief.

Es war völlig in Ordnung, dass Elemak sich so benahm. Er war jetzt vierundzwanzig Jahre alt, hatte gerade eine Karawane sicher zurückgeführt, nachdem er in der Dschungelstadt Tischchetno exotische Pflanzen erworben hatte – das erste Mal seit Jahren, dass jemand aus Basilika dorthin gezogen war – und hatte unterwegs vielleicht tatsächlich einen Räuber getötet. Jeder wusste, dass Elemak ein Mann war. Nafai kannte die Regeln: Wenn sich ein Mann wie ein Kind benimmt, ist er jungenhaft, und alle nehmen es erfreut hin; wenn ein Junge sich genauso benimmt, ist er kindisch, und alle sagen ihm, er solle endlich ein Mann werden.

Elemak seifte sich nun ein. Nafai, der noch immer fror, obwohl er die Arme vor der Brust verschränkt hatte, wollte gerade in sein Zimmer gehen und sich anziehen, als Elemak wieder zu sprechen begann.

»Du bist seit meinem Aufbruch gewachsen, Njef.«

»Ich bin in letzter Zeit ziemlich in die Höhe geschossen.«

»Das steht dir gut. Und du hast auch Muskeln bekommen. Du schlägst deinem alten Herren genau auf die richtige Art und Weise nach. Aber du hast das Gesicht deiner Mutter.«

Nafai gefiel der anerkennende Tonfall in Elemaks Stimme, doch irgendwie war es auch erniedrigend, nackt wie ein Eichelhäher dort zu stehen, während man von seinem Bruder von Kopf bis Fuß gemustert wurde.

Issib machte es natürlich nur noch schlimmer. »Zum Glück hat er Vaters wichtigstes Merkmal mitbekommen«, sagte er.

»Tja, das haben wir alle«, sagte Elemak. »Alle Babys des alten Herrn waren Jungs – oder zumindest die, von denen wir wissen.« Er lachte.

Nafai hasste es, wenn Elemak so von Vater sprach. Jeder wusste, dass Vater ein keuscher Mann war, der nur mit seiner gesetzlichen Gefährtin schlief. Und in den vergangenen fünfzehn Jahren war diese Gefährtin Rasa gewesen, Nafais und Issibs Mutter; Jahr für Jahr hatten sie den Vertrag erneuert. Er war so treu, dass die Frauen es aufgegeben hatte, ihn zu besuchen und anzudeuten, dass sie verfügbar waren, wenn sein Vertrag auslief. Natürlich war Mutter genauso treu, und noch immer bedachten zahlreiche Männer sie mit Geschenken und Andeutungen – aber so waren manche Männer nun einmal, sie fanden Treue noch verlockender als Liederlichkeit, als bliebe Rasa dem Wetschik nur so treu, um sie dazu zu bringen, ihr nachzusetzen. Und eine Verbindung mit Rasa bedeutete, Teil des – wie viele glaubten – besten Hauses zu werden und die – wie alle übereinstimmten – beste Aussicht in Basilika zu bekommen. Ich würde mich niemals nur wegen ihres Hauses mit einer Frau paaren, dachte Nafai.

»Bist du verrückt oder was?«, fragte Elemak.

»Bitte?«, fragte Nafai.

»Hier draußen ist es kalt wie eine Hexentitte, und du stehst da pitschnass und splitternackt.«

»Ja«, sagte Nafai. Aber er lief nicht zu seinem Zimmer – das käme einem Eingeständnis gleich, dass die Kälte ihm zu schaffen machte. Also grinste er zuerst Elemak an. »Willkommen zu Hause«, sagte er.

»Hör doch auf, mir zu zeigen, dass du schon ein Mann bist, Njef«, sagte Elemak. »Ich weiß, dass du vor Kälte bald eingehst. Guck mal zwischen deine Beine.«

Nafai stürzte zu seinem Zimmer und zog Hosen und Hemd an. Es störte ihn wirklich, dass Elemak immer zu wissen schien, was in Nafais Kopf vorging. Elemak käme nie auf den Gedanken, dass Nafai vielleicht schon so abgehärtet und männlich war, dass die Kälte ihm einfach nichts ausmachte. Nein, Elemak ging immer davon aus, dass Nafai sich nur produzieren wollte. Natürlich wollte er den anderen etwas vormachen, so gesehen hatte Elemak schon recht, doch das machte die Sache nur noch ärgerlicher. Wie werden Männer männlich, wenn nicht, indem sie so taten, bis es zur Gewohnheit und dann schließlich zum Charakterzug wurde? Außerdem machte er ihnen nicht ausschließlich etwas vor. Als er den heimkehrenden Elemak gesehen und gehört hatte, wie er davon erzählte, auf seiner Reise vielleicht einen Menschen getötet zu haben, hatte Nafai vergessen, dass er fror, hatte er einfach alles vergessen.

Auf der Schwelle bewegte sich ein Schatten. Es war Issib. »Warum lässt du dir das so nahe gehen, Nafai?«

»Was meinst du?«

»Wieso wirst du so wütend, wenn er dich aufzieht?«

Nafai war ehrlich verwirrt. »Was meinst du mit wütend? Ich war nicht wütend!«

»Als er diesen Witz darüber gemacht hast, wie sehr du frierst«, sagte Issib. »Ich dachte schon, du würdest ihn anfallen und ihm den Kopf abschlagen.«

»Aber ich war nicht wütend.«

»Dann stimmt in deinem Oberstübchen etwas nicht, mein Junge«, sagte Issib. »Ich habe gedacht, du wärest wütend. Er hat gedacht, du wärest wütend. Die Überseele hat gedacht, du wärest wütend.«

»Die Überseele weiß, dass ich überhaupt nicht wütend war.«

»Dann lerne, deinen Gesichtsausdruck zu beherrschen, Njef, denn anscheinend zeigt er Gefühle, die du nicht empfindest. Du hattest dich kaum umgedreht, da zeigte er mit dem Finger auf dich, für so wütend hielt er dich.«

Issib schwebte davon. Nafai zog seine Sandalen an und verschnürte die Senkel um seine Hosenbeine. Es war zurzeit Mode unter den jungen Männern Basilikas, oberschenkelhohe Senkel zu tragen und sie direkt unter dem Schritt zu verschnüren, doch Nafai schnitt die Senkel ab und trug sie nur kniehoch, wie ein richtiger Arbeiter. Mit einem dicken Lederknoten zwischen den Beinen stolzierten die anderen jungen Männer daher und schwankten beim Gehen von einer Seite zur anderen, um zu verhindern, dass sich ihre Schenkel aneinanderrieben und der Knoten sie wundscheuerte. Nafai schwankte nicht und verabscheute diese Mode, die das Tragen der Kleidung unbequemer machte.

Die Tatsache, dass er sich der Mode verweigerte, bedeutete natürlich, dass er in gewisser Hinsicht ein Außenseiter unter den Jungen seines Alters war, doch daran störte sich Nafai kaum. Er genoss am meisten die Gesellschaft von Frauen, und jene Frauen, deren gute Ansichten er schätzte, ließen sich von Trivialitäten wie Modeerscheinungen nicht beeinflussen. Eiadh zum Beispiel hatte sich oft gemeinsam mit ihm spöttisch über diese hochgeschnürten Sandalen geäußert. »Stell dir mal vor, damit ein Pferd zu reiten«, hatte sie einmal gesagt.

»Damit könnte man einen Bullen zu einem Stier machen«, hatte Nafai erwidert, und Eiadh hatte gelacht und seinen Witz im Laufe des Tages dann mehrmals wiederholt. Warum sollte ein Mann sich mit dummen Modeerscheinungen abgeben, wenn es so eine Frau auf der Welt gab?

Als Nafai in die Küche kam, schob Elemak gerade einen gefrorenen Reispudding in den Ofen. Der Pudding sah groß genug aus, um sie alle satt zu bekommen, doch Nafai wusste aus Erfahrung, dass Elemak das ganze Ding allein verdrücken wollte. Er war monatelang unterwegs gewesen, hatte hauptsächlich kalte Nahrung zu sich genommen und war fast ausschließlich des Nachts gereist – Elemak würde den gesamten Pudding mit etwa sechs Bissen verschlingen, dann auf seinem Bett zusammenbrechen und bis zur nächsten Morgendämmerung schlafen.

»Wo ist Vater?«, fragte Elemak.

»Eine kurze Reise«, sagte Issib, der rohe Eier über seinem Toast aufschlug und sie für den Ofen vorbereitete. Das machte er ganz geschickt, wenn man bedachte, dass er seine ganze Kraft aufbringen musste, um auch nur ein Ei in die Hand zu nehmen. Er hielt das Ei ein paar Zentimeter über den Tisch und spannte dann genau jenen Muskel, der die Flosse löste, die seinen Arm in der Luft hielt, wodurch der Arm mitsamt dem Ei auf den Tisch fiel. Das Ei brach jedes Mal genau richtig auf, und dann spannte er einen anderen Muskel, die Flosse schwang seinen Arm über den Teller, und er öffnete das Ei mit der anderen Hand, und der Inhalt ergoss sich auf den Toast. Da die Flossen die Schwerkraft für ihn regelten, kam Issib hervorragend allein zurecht. Andererseits jedoch würde er niemals auf Reisen gehen können, wie Vater und Elemak und Mebbekew es taten. Sobald er sich von den Magnetfeldern der Stadt entfernte, musste Issib auf seinen Stuhl zurückgreifen, eine schwerfällige Maschine, mit der er nur von einem Ort zum anderen fahren konnte. Dann konnte er gar nichts mehr allein machen. Fern von der Stadt, auf seinen Stuhl beschränkt, war Issib wirklich ein Krüppel.

»Wo ist Mebbekew?«, fragte Elemak. Der Pudding war gar – eigentlich schon mehr als das, aber so wollte Elemak sein Frühstück immer haben, so lange gekocht, bis es so weich war, dass man keine Zähne brauchte, um es zu essen. Nafai vermutete, dass er es auf diese Weise schneller verschlingen konnte.

»Hat die Nacht in der Stadt verbracht«, sagte Issib.

Elemak lachte. »Das wird er sagen, wenn er zurückkommt. Aber ich glaube, Meb pflügt nur, ohne zu pflanzen.«

Es gab nur eine Möglichkeit für einen Mann in Mebbekews Alter, eine Nacht innerhalb der Mauern Basilikas zu verbringen, und die bestand darin, im Heim irgendeiner Frau zu übernachten. Elemak mochte darüber spotten, dass Mebbekew behauptete, mehr Frauen zu haben, als er bewältigen konnte, doch Nafai hatte zumindest gesehen, wie Meb mit einigen Frauen umgegangen war. Mebbekew musste nicht vorgeben, eine Nacht in der Stadt zu verbringen; wahrscheinlich akzeptierte er weniger Einladungen, als er bekam.

Elemak aß einen großen Bissen Pudding. Dann brüllte er auf, öffnete den Mund und goss direkt aus dem Krug auf dem Tisch Wein hinein. »Heiß«, sagte er, als er wieder sprechen konnte.

»Ist es das nicht immer?«, fragte Nafai.

Er hatte es als Scherz gemeint, als kleiner Witz zwischen Brüdern. Doch aus irgendeinem Grund fasste Elemak es völlig falsch auf, als habe Nafai ihn einen Dummkopf genannt, weil er in den Pudding gebissen hatte. »Hör zu, Kleiner«, sagte Elemak, »wenn du zweieinhalb Monate lang unterwegs warst, nur kalte Nahrung gegessen und im Staub und Schlamm geschlafen hast, vergisst du vielleicht auch, wie heiß ein Pudding sein kann.«

»Es tut mir leid«, sagte Nafai. »Es war nicht bös gemeint.«

»Gib nur acht, über wen du deine Witze reißt«, sagte Elemak. »Schließlich bist du nur mein Halbbruder.«

»Schon in Ordnung«, sagte Issib fröhlich. »Bei seinen Ganzbrüdern ist er genauso.« Issib versuchte offensichtlich, die Sache beizulegen, bevor sie zu einem Streit führen konnte.

Elemak schien bereit, darauf einzuschwenken. »Ich kann mir denken, dass du es schwerer haben musst«, sagte er. »Zum Glück bist du ein Krüppel, oder unser Nafai hier hätte sein achtzehntes Jahr wohl nicht erlebt.«

Falls die Bemerkung über die Verkrüppelung Issib traf, zeigte er es jedenfalls nicht. Issib versuchte, den Frieden zu bewahren, und Elemak beleidigte ihn dafür ganz beiläufig. Während Nafai zuvor nicht die geringste Absicht gehabt hatte, einen Streit anzufangen, war er nun dazu entschlossen. Dass Elemak sein Alter nach Pflanz- statt nach Tempeljahren gezählt hatte, war ein so guter Vorwand wie jeder andere. »Ich bin vierzehn«, sagte Nafai. »Keine achtzehn.«

»Tempeljahre, Pflanzjahre«, sagte Elemak. »Wärest du ein Pferd, wärest du achtzehn.«

Nafai erhob sich und blieb einen Schritt vor Elemaks Stuhl stehen. »Aber ich bin kein Pferd«, sagte er.

»Du bist auch noch kein Mann«, sagte Elemak. »Und ich bin zu müde, um dich jetzt grün und blau zu schlagen. Also mach dir dein Frühstück und lass mich meins essen.« Er wandte sich an Issib. »Hat Vater Raschgallivak mitgenommen?«

Diese Frage überraschte Nafai. Wie konnte Vater den Gutsverwalter mitnehmen, wenn Elemak ebenfalls fort war? Truzhnischa würde natürlich für den Haushalt sorgen, doch wer, wenn nicht Raschgallivak, sollte sich um die Treibhäuser, die Ställe, die Paten, die Marktbuden kümmern? Ganz bestimmt nicht Mebbekew – er hätte nicht das geringste Interesse an den alltäglichen Pflichten, die Vaters Gewerbe einem auferlegte. Und von Issib würden die Männer wohl kaum Befehle entgegennehmen – sie brachten ihm Rücksicht oder Mitleid entgegen, aber keinen Respekt.

»Nein, Vater hat Rasch die Leitung übergeben«, sagte Issib. »Rasch hat diese Nacht wahrscheinlich beim Kühlhaus geschlafen. Aber du weißt doch, dass Vater niemals aufbrechen würde, wenn er nicht alles geregelt hätte.«

Elemak warf einen schnellen, verstohlenen Blick auf Nafai. »Ich habe mich nur gefragt, warum manche Leute so anmaßend werden.«

Jetzt endlich dämmerte es Nafai: Elemaks Frage war eigentlich ein verhaltenes Kompliment – er hatte sich gefragt, ob Vater während seiner Abwesenheit die Leitung des Guts in Nafais Hände gelegt hatte. Und offensichtlich gefiel Elemak die Vorstellung nicht, dass Nafai irgendeinen Teil des Unternehmens der Familie Wetschik leitete, die bekannt für die Züchtung seltener Pflanzen war.

»Ich habe kein Interesse daran, den Unkrauthandel zu übernehmen«, sagte Nafai, »falls du dir darüber Sorgen machst.«

»Ich mache mir über gar nichts Sorgen«, sagte Elemak. »Ist es für dich nicht an der Zeit, zu Mamas Schule zu gehen? Sie wird Angst haben, ihr kleiner Junge könnte auf der Straße überfallen und verprügelt worden sein.«

Nafai wusste, dass er nicht auf Elemaks Stichelei reagieren, ihn nicht noch mehr provozieren sollte. Er wollte sich Elemak auf keinen Fall zum Feind machen. Doch schon allein die Tatsache, dass er so sehr zu seinem Bruder aufsah, machte es Nafai unmöglich, die höhnische Bemerkung unerwidert zu lassen. Als er zur Tür zum Hof ging, drehte er sich noch einmal um. »Ich habe für mein Leben viel höhere Ziele gesteckt, als darüber zu prahlen, auf Räuber geschossen zu haben, mit Kamelen zu schlafen und Tundrapflanzen in die Tropen und Tropenpflanzen zu den Gletschern zu schleppen. Dieses Spielchen überlasse ich dir.«

Plötzlich flog Elemaks Stuhl durch das Zimmer. Er war aufgesprungen, hatte Nafai mit zwei Schritten erreicht und drückte dessen Gesicht gegen den Türrahmen. Es tat weh, doch Nafai bemerkte den Schmerz kaum, befürchtete nicht einmal, dass Elemak ihn noch schlimmer verletzen könnte. Stattdessen empfand er ein seltsames Gefühl des Triumphs. Ich habe es geschafft, dass Elemak die Beherrschung verliert. Er tut nicht mehr so, als wäre ich es gar nicht wert, dass er mich beachtet.

»Dieses Spielchen, wie du es nennst, hat das Geld für alles eingebracht, was du hast und was du bist«, sagte Elemak. »Glaubst du denn, ohne dieses Geld, das Vater und Rasch und ich verdienen, würde dir irgendjemand in Basilika Beachtung schenken? Glaubst du, deine Mutter hätte so viel Ehre, dass sie sich tatsächlich auf ihre Söhne überträgt? Wenn du das glaubst, weißt du nicht, wie es in der Welt aussieht. Deine Mutter wäre vielleicht imstande, ihre Töchter zu gefragten Frauen zu machen, aber aus einem Sohn kann eine Frau nur einen Gelehrten machen.« Er spuckte das Wort Gelehrten förmlich aus. »Und glaube mir, Junge, mehr wird aus dir nie werden. Ich weiß nicht, warum sich die Überseele die Mühe gemacht hat, dich mit den Teilen eines Jungen zu behängen, kleines Mädchen, denn wenn du erwachsen bist, wirst du in dieser Welt nur bekommen, was eine Frau bekommt.«

Erneut wusste Nafai, dass er besser schwieg und Elemak das letzte Wort überließ. Aber die Erwiderung kam im selben Augenblick über seine Lippen, da er sie dachte. »Nennst du mich Frau, weil du mich verstohlen wissen lassen willst, dass du etwas für mich übrig hast? Du musst wirklich zu lange unterwegs gewesen sein, wenn ich schon unwiderstehlich aussehe.«

Augenblicklich ließ Elemak ihn los. Nafai drehte sich um und erwartete, Elemak lachen zu sehen. Stattdessen stand sein Bruder mit rot angelaufenem Gesicht dort, schwer atmend, wie ein sprungbereites Tier. »Verschwinde aus diesem Haus«, sagte Elemak, »und komme nicht zurück, solange ich hier bin.«

»Es ist nicht dein Haus«, stellte Nafai klar.

»Wenn ich dich noch mal hier sehe, bringe ich dich um.«

»Komm schon, Elja, du weißt, dass ich nur Spaß gemacht habe.«

Issib trieb vergnügt zwischen sie und legte unbeholfen einen Arm um Nafais Schulter. »Wir kommen zu spät in die Stadt, Njef. Mutter wird sich wirklich Sorgen machen.«

Diesmal hatte Nafai Verstand genug, um die Klappe zu halten und den Dingen ihren Lauf zu lassen. Er wusste, wie man die Klappe hielt – er erinnerte sich lediglich niemals rechtzeitig genug daran, es auch wirklich zu tun. Nun war Elemak wütend auf ihn. Vielleicht würde er tagelang wütend bleiben. Wo werde ich schlafen, wenn ich nicht nach Hause gehen kann?, fragte sich Nafai. Augenblicklich blitzte in seinem Geist ein Bild Eiadhs auf, die ihm zuflüsterte: »Warum bleibst du diese Nacht nicht in meinem Zimmer? Schließlich werden wir eines Tages Gefährten sein. Eine Frau unterweist ihre Lieblingsnichten darin, eines Tages Gefährtinnen für ihre Söhne zu sein, oder etwa nicht? Das wusste ich schon, als ich dich das erste Mal sah, Nafai. Warum sollten wir noch länger warten? Schließlich bist du nur in etwa der dümmste Mann in ganz Basilika.«

Nafai löste sich von seinen Tagträumen und begriff, dass Issib mit ihm sprach und nicht Eiadh. »Warum stachelst du ihn auch nur immer so auf«, sagte Issib, »wo du doch weißt, dass Elemak dich eines Tages am liebsten umbringen würde?«

»Manchmal fallen mir bestimmte Sachen ein, und ich sage sie, obwohl ich sie eigentlich nicht sagen sollte.«

»Dir fallen dumme Sachen ein, und du bist so dumm, sie auch jedes Mal zu sagen.«

»Nicht jedes Mal.«

»Ach, du meinst, es gibt sogar noch dümmere Sachen, die du nicht sagst? Was für einen Verstand du doch hast! Eine wahre Schatzkammer!« Issib trieb vor ihm. Das machte er immer, wenn sie zur Kammstraße hinaufgingen; er vergaß, dass für Menschen, die sich mit der Schwerkraft befassen mussten, ein langsameres Tempo vielleicht angenehmer gewesen wäre.

»Ich mag Elemak«, sagte Nafai betroffen. »Ich verstehe nicht, warum er mich nicht mag.«

»Eines Tages mache ich dir eine Liste«, sagte Issib. »Ich klebe sie dann an eine Wand meines Zimmers.«

2

 

Mutters Haus

 

Die Straße, die vom Haus der Wetschiks nach Basilika führte, war lang, aber vertraut. Bis zum Alter von acht Jahren hatte Nafai sie immer andersherum zurückgelegt, wenn Mutter ihn und Issib in den Ferien immer zu Vaters Haus gebracht hatte. In jenen Tagen war es ihm wunderbar vorgekommen, sich in einem Männerhaushalt aufzuhalten. Vater mit seiner weißen Haarmähne war fast ein Gott gewesen – in der Tat hatte Nafai bis zum fünften Lebensjahr geglaubt, dass Vater die Überseele war. Mebbekew, der nur sechs Jahre älter als Nafai war, war immer ein gemeiner, gnadenloser Quälgeist gewesen, doch in jenen frühen Jahren war Elemak freundlich und verspielt. Zehn Jahre älter als Nafai, war er in dessen ersten Erinnerungen an das Haus Wetschik schon mannsgroß gewesen; doch statt des ätherischen Aussehens Vaters hatte er immer die dunkle, abgerissene Erscheinung eines Kämpfers geboten, eines Mannes, der nur freundlich war, weil er es sein wollte, und nicht, weil er zu überflüssigen Schroffheiten nicht imstande war. In jenen Tagen hatte Nafai gebettelt, aus Mutters Haushalt ausziehen und bei Wetschik – und Elemak – wohnen zu dürfen. Dass Mebbekew die ganze Zeit über in seiner Nähe war, stellte einfach den Preis dafür dar, den er dafür entrichten musste, im Heim der Götter zu wohnen.

Mutter und Vater kamen gemeinsam zu ihm, um ihm zu erklären, wieso sie ihn nicht aus seiner Ausbildung entlassen würden. »Jungen, die in diesem Alter zu ihren Vater geschickt werden, sind diejenigen, die keine Zukunft in Aussicht haben«, sagte Vater. »Diejenigen, die zu gewalttätig sind, um in einem Haushalt zurechtzukommen, in dem studiert wird, die zu wenig Respekt haben, um in einem Haushalt von Frauen zu verweilen.«

»Und die Dummen gehen zu ihren Vätern, wenn sie acht Jahre alt sind«, sagte Mutter. »Welche Verwendung hat ein dummer Mensch schon für alles, was über die Grundbegriffe des Lesens und Rechnens hinausgeht?«

Selbst jetzt, als er sich daran erinnerte, verspürte Nafai ein gewisses gehässiges Vergnügen darüber – denn Mebbekew hatte oft damit geprahlt, dass er im Gegensatz zu Njef und Issja, und zu seiner Zeit Elja, mit acht Jahren zu Vater zurückgekehrt war. Nafai war überzeugt davon, dass Meb jedes Kriterium erfüllt hatte, um schon in jungen Jahren in einen Männerhaushalt zu wechseln.

Also war es ihnen gelungen, Nafai davon zu überzeugen, dass es von Vorteil war, bei seiner Mutter zu bleiben. Es gab auch noch andere Gründe – damit Issib Gesellschaft hatte, das Prestige des Haushalts seiner Mutter, die enge Beziehung zu seinen Schwestern –, doch letztendlich sorgte Nafais Ehrgeiz dafür, dass er dort blieb. Ich bin einer der Jungen, die von der Zukunft wirklich etwas zu erwarten haben. Ich werde dem Land Basilika von Wert sein, vielleicht der ganzen Welt. Vielleicht werden eines Tages meine Schriften in den Himmel geschickt werden, damit die Überseele sie unter den Menschen anderer Städte und Sprachen verbreiten kann. Vielleicht werde ich einer der Großen sein, deren Ideen in Glas gegossen und in einem Archiv aufbewahrt werden, damit sie im Verlauf der gesamten menschlichen Geschichte als die eines der Großen von Harmonie gelesen werden.

Doch da er so aufrichtig darum gebeten hatte, bei Vater wohnen zu dürfen, hatten er und Issib von dem Tag an, da er dreizehn wurde, fast jedes Wochenende im Wetschik-Haus verbracht, das ihnen so vertraut geworden war wie Rasas Haus in der Stadt. Vater hatte darauf bestanden, dass sie hart arbeiteten und schon früh mitbekamen, was ein Mann tun muss, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, so dass ihre Wochenenden eigentlich keine Feiertage gewesen waren. »Ihr lernt sechs Tage lang und arbeitet mit eurem Verstand, während euer Körper Ferien macht. Hier werdet ihr in den Ställen und Gewächshäusern arbeiten, körperlich arbeiten, während euer Verstand den Frieden zu schätzen lernt, den ehrliche Arbeit mit sich bringt.«

So sprach Vater, eine Art ständige Predigt; Mutter sagte, er habe sich diesen Tonfall angewöhnt, weil er nicht wisse, wie er sich normal mit seinen Kindern unterhalten solle. Doch Nafai hatte genug Gespräche von Erwachsenen belauscht, um zu wissen, dass Vater mit allen so sprach, von Rasa einmal abgesehen. Das bewies, dass Vater sich niemals entspannen konnte, niemals sein wahres Ich zeigte; doch im Lauf der Jahre hatte Nafai ebenso gelernt, dass, ganz gleich, wie abgehoben Vaters Gespräche sein mochten, er niemals Unsinn redete; seine Worte waren niemals leer oder unwissend oder arrogant. So spricht ein Mann, hatte Nafai gedacht, als er noch klein war, und so hatte er sich bemüht, sich eines eleganten Stils zu befleißigen und die klassische Emeznerji ebenso zu lernen wie das gewöhnliche Basjat, das in Basilika heutzutage die wichtigste Handels- und Gewerbesprache war. In letzter Zeit hatte Nafai begriffen, dass er die Umgangssprache sprechen musste, wollte er sich vernünftig mit echten Menschen unterhalten – doch man konnte noch immer unterschwellig die Rhythmen, die Melodien der Emeznerji in seinen Schriften und seiner Sprache hören. Selbst bei seinen dummen Witzen, die Elemaks Zorn hervorgerufen hatten.

»Ich habe gerade etwas begriffen«, sagte Nafai.

Issib antwortete nicht – er war so weit voraus, dass Nafai nicht genau sagen konnte, ob er ihn überhaupt gehört hatte. Doch Nafai fuhr fort und sagte es trotzdem, sprach sogar noch leiser, weil er es wahrscheinlich nur zu sich selbst sagte. »Ich glaube, ich sage diese Dinge, die die Leute so wütend machen, nicht, weil ich sie wirklich meine, sondern, weil mir eine clevere Möglichkeit eingefallen ist, sie zu sagen. Es ist eine gewisse Kunst, so zu denken, dass man seine Gedanken perfekt äußern kann, und wenn einem dann etwas einfällt, muss man es einfach sagen, weil Worte erst existieren, sobald man sie gesagt hat.«

»Eine ziemlich schwachsinnige Kunst, Njef, und ich würde sagen, du gibst sie lieber auf, bevor sie dich umbringt.«

Also hatte Issib doch zugehört.

»Für einen großen, starken Burschen brauchst du aber ziemlich lange, um die Kammstraße bis zur Marktstraße hinaufzugehen.«

»Ich habe nachgedacht«, sagte Nafai.

»Du solltest wirklich langsam lernen, wie man gleichzeitig geht und denkt.«

Nafai erreichte den Kamm der Straße, wo Issib auf ihn wartete. Ich habe wirklich getrödelt, dachte er. Ich bin nicht einmal außer Atem.

Doch weil Issib dort stehen geblieben war, wartete auch Nafai und drehte sich um, wie Issib sich umgedreht hatte, um die Straße hinabzusehen, die sie gerade entlanggekommen waren. Die Kammstraße trug ihren Namen völlig zu Recht, denn sie verlief auf einem Kamm, der sich zur großen, gut bewässerten Küstenebene neigte. Es war ein klarer Morgen, und vom Bergkamm aus konnten sie alle Straßen zum Meer sehen, mit einer Flickendecke von Höfen und Obstgärten darin, vernäht von Straßen und geknüpft mit Städten und Dörfern, die sich zwischen den Bergen und dem Meer wie eine Bettdecke ausbreitete. Als sie nun die Kammstraße hinabsahen, konnten sie die lange Linie der Bauern mit ihren aneinandergebundenen Packtieren hinter sich ausmachen. Falls Nafai und Issib sich um nur weitere zehn Minuten verspätet hätten, hätten sie diesen Marsch im Lärm und Gestank der Pferde, Esel, Maultiere und Kurolomi zurücklegen müssen, während sie die Flüche der Männer und den Klatsch der Frauen hörten. Dieses Vergnügen hatten sie einmal gehabt, doch Nafai war oft genug mit ihnen gereist, um zu wissen, dass der Klatsch und das Fluchen immer gleich waren. In einem Garten wachsen nicht nur Rosen.

Issib wandte sich nach Westen, und Nafai tat es ihm gleich, und sie sahen eine Landschaft, die so gegensätzlich war, wie man es sich nur vorstellen konnte: Das zerklüftete Felsplateau des Besporjadok, die fast wasserlose Einöde, die sich schier endlos gen Westen auszudehnen schien. Mindestens tausend Dichter hatten dieselbe Beobachtung gemacht: Die Sonne erhob sich aus dem Meer, umgeben von Lichtjuwelen, die auf dem Wasser tanzten, und ging dann im Westen in rotem Feuer unter, verlor sich im Staub, der unentwegt über die Wüste wehte. Doch Nafai dachte immer, dass, zumindest was das Wetter betraf, der Weg der Sonne umgekehrt verlaufen müsste. Sie brachte kein Wasser vom Meer zum Land – sie brachte trockenes Feuer von der Wüste zum Meer.

Die Vorhut der Menschenmenge, die zum Markt wollte, war nun nah genug, dass sie die Treiber und die Esel hören konnten. Also drehten sie sich um und gingen weiter nach Basilika; Teile der Rotsteinwand der Stadtmauer leuchteten in den ersten Strahlen des Sonnenscheins. Basilika, wo die bewaldeten Berge des Nordens auf die Wüste des Westens und die Gartenküste des Ostens stieß. Wie die Dichter diesen Ort besungen hatten: Basilika, die Stadt der Frauen, der Hafen des Nebels, rotummauerter Garten der Überseele, der Hafen, in dem alle Wasser der Welt zusammenfließen, um neue Wolken zu gebären, um frisches Wasser über die Erde zu ergießen.

Oder, wie Mebbekew es ausgedrückt hatte, die beste Stadt auf der Welt, um vögeln zu können.

Der Weg zwischen dem Markttor von Basilika und dem Wetschik-Haus an der Kammstraße hatte sich in all diesen Jahren nicht verändert – Nafai merkte es, wenn auch nur ein Stein beiseite geräumt worden war. Doch als Nafai dreizehn Jahre alt geworden war, hatte er einen Wendepunkt erreicht, der die Bedeutung dieser Straße veränderte. Mit dreizehn Jahren zogen selbst die vielversprechendsten Jungen zu ihren Vätern und ließen die Schule für immer hinter sich zurück. Dort blieben lediglich jene, die einen Männerberuf ablehnten und Gelehrte werden wollten. Als Nafai acht Jahre alt gewesen war, hatte er darum gebeten, bei seinem Vater wohnen zu dürfen, mit dreizehn Jahren hatte er genau andersherum argumentiert. Nein, ich habe mich nicht entschieden, Gelehrter zu werden, aber ich habe mich auch nicht entschieden, kein Gelehrter zu werden. Warum muss ich mich jetzt entscheiden? Lass mich bei dir wohnen, Vater, wenn es denn sein muss, aber lass mich auch in Mutters Schule bleiben, bis die Dinge klarer werden. Du brauchst mich bei deiner Arbeit nicht, wie du Elemak brauchst. Und ich will kein zweiter Mebbekew werden.

Obwohl sich der Weg zwischen Vaters Haus und der Stadt also nicht verändert hatte, legte Nafai ihn nun in die andere Richtung zurück. Er führte für ihn nun nicht mehr von Rasas Stadthaus aufs Land und wieder zurück; nun wanderte er von Wetschiks Landhaus in die Stadt. Obwohl sich die meisten seiner Besitztümer in der Stadt befanden – all seine Bücher, Unterlagen, Werkzeuge und Spielzeuge – und er oft drei oder vier der acht Nächte der Woche dort verbrachte, war sein Heim jetzt das Haus seines Vaters.

Kein Mann konnte behaupten, dass ihm in Basilika wirklich etwas gehörte; alles war nur Geschenk einer Frau. Und selbst ein Mann wie Vater, der allen Grund zu der Annahme hatte, sich auf eine langjährige Gefährtin verlassen zu können – selbst er konnte sich wegen des Sees in Basilika niemals wirklich zu Hause fühlen. Die tiefe Spalte im Herzen der Stadt – letztendlich der eigentliche Grund für die Existenz der Stadt – beanspruchte den halben Raum innerhalb der Mauern Basilikas, und kein Mann konnte jemals dorthin gehen, konnte sich nicht einmal so weit in die umgebenden Wälder wagen, um einen Blick auf das funkelnde Wasser zu erhaschen. Falls es funkelte. Denn nach allem, was Nafai wusste, war das Spaltental so tief, dass das Sonnenlicht das Wasser des Sees Basilika vielleicht gar nicht berührte.

Keine Stadt kann jemals eine Heimat sein, wenn es darin einen Ort gibt, den man nicht aufsuchen darf. Kein Mann ist jemals wirklich ein Bürger Basilikas. Und ich werde im Haus meiner Mutter zu einem Fremden.

Elemak hatte in vergangenen Jahren oft über Städte gesprochen, in denen den Männern alles gehörte, über Orte, wo die Männer viele Frauen und die Frauen keine Wahl hatten, als ihre Eheverträge ständig zu erneuern, und sogar über eine Stadt, in der es die Einrichtung der Ehe überhaupt nicht gab, sondern jeder Mann jede Frau nehmen konnte und sie sich ihm nicht verweigern durfte, falls sie nicht bereits schwanger war. Doch Nafai fragte sich, ob irgendeine dieser Geschichten wahr war. Denn warum sollten sich Frauen solch einer Behandlung unterwerfen? War es möglich, dass die Frauen Basilikas umso viel stärker waren als die Frauen aller anderen Städte? Oder waren die Männer dieses Ortes schwächer oder furchtsamer als die Männer anderer Städte?

Plötzlich bekam diese Frage eine große Dringlichkeit für ihn. »Hast du schon einmal mit einer Frau geschlafen, Issib?«

Issib antwortete nicht.

»Ich wollte es einfach nur wissen«, sagte Nafai.

Issib sagte nichts.

»Ich versuche herauszufinden, was an den Frauen Basilikas so wunderbar ist, dass ein Mann wie Elja immer wieder hierher zurückkommt, wo er doch in einer jener Städte leben könnte, in der die Männer tun und lassen können, was sie wollen.«

Erst jetzt antwortete Issib. »Zuerst einmal, Nafai, gibt es keinen Ort, wo Männer tun und lassen können, was sie wollen. Es gibt Orte, wo Männer so tun, als könnten sie sich alles erlauben, und die Frauen so tun, als ließen sie sie gewähren, genau, wie die Frauen hier so tun, als ginge es nach ihrem Willen, und die Männer so tun, als ließen sie sie gewähren.«

Das war ein interessanter Gedanke. Nafai war niemals in den Sinn gekommen, dass die Dinge vielleicht gar nicht so einseitig und einfach waren, wie es den Anschein hatte. Doch Issib war noch nicht fertig, und Nafai wollte den Rest hören. »Und zweitens?«

»Und zweitens, Njef, haben Mutter und Vater vor einigen Jahren ein Tantchen für mich gefunden, und um ehrlich zu sein, es ist gar nicht so gut, wie man behauptet.«

Das hatte Nafai nicht hören wollen. »Meb scheint aber anderer Meinung zu sein.«

»Meb hat keinen Verstand«, sagte Issib, »er geht einfach immer dorthin, wohin ihn sein auffälligster Körperteil führt. Manchmal bedeutet das, dass er seiner Nase folgt, normalerweise jedoch nicht.«

»Wie war es denn?«

»Sie war nett. Sie war sehr süß. Aber ich habe sie nicht geliebt.« Issib schien etwas traurig darüber zu sein. »Ich hatte eher den Eindruck, sie würde etwas mit mir anstellen, und weniger, als würden wir etwas gemeinsam machen.«

»War es, weil …«

»Weil ich ein Krüppel bin? Zum Teil, vermute ich, obwohl sie mir beibrachte, wie ich meinerseits ihr Vergnügen bereiten konnte und sie meinte, ich hätte mich überraschend gut darin erwiesen. Du wirst es wahrscheinlich genauso genießen wie Meb.«

»Das will ich nicht hoffen.«

»Mutter hat gesagt, die besten Männer würden ihr Tantchen gar nicht so sehr genießen, weil sie nicht wollen, dass man ihnen als Lektion Vergnügen bereitete, sondern dass die Frauen es freiwillig machen und aus Liebe. Doch danach hat sie gesagt, auch die schlechtesten Männer würden ihr Tantchen nicht mögen, weil sie es nicht ertragen können, dass ein anderer als sie die Situation beherrscht.«

»Ich will gar kein Tantchen haben«, sagte Nafai.

»Tja, das ist eine brillante Idee. Wie willst du dann irgendetwas lernen?«

»Ich will es gemeinsam mit meiner Gefährtin lernen.«

»Du bist ein romantischer Narr«, sagte Issib.

»Den Vögeln oder Echsen muss es doch auch keiner beibringen.«

»Nafai ab Wetschik mag Rasa, der berühmte Echsenliebhaber.«

»Ich hab einmal beobachtet, wie ein Echsenpaar es eine volle Stunde lang gemacht hat.«

»Hast du dabei irgendwelche guten Techniken gelernt?«

»Klar. Aber man kann sie nur einsetzen, wenn man wie eine Echse gebaut ist.«

»Bitte?«

»Er ist etwa halb so lang wie ihr ganzer Körper.«

Issib lachte. »Stell dir mal vor, du müsstest damit Hosen kaufen.«

»Und die Sandalen verschnüren!«

»Du müsstest ihn um die Taille schlingen.«

»Oder über die Schulter werfen!«

Sie hatten sich so in ihr Gespräch vertieft, dass sie nun ganz überrascht feststellten, dass sie sich schon auf dem Marktplatz befanden, wo die Händler in Erwartung der unmittelbar bevorstehenden Ankunft der Bauern von der Ebene gerade ihre Buden öffneten. Vater unterhielt ein paar Stände auf dem äußeren Markt, obwohl kein Farmer von der Ebene das Geld oder die Kenntnisse hatte, um eine Pflanze zu kaufen, die so mühselig am Leben zu erhalten war und doch keine vernünftige Ernte einbrachte. Die einzigen Verkäufe auf dem Äußeren Markt erfolgten an Einkäufer aus Basilika selbst oder, wenn auch nicht so oft, an reiche Ausländer, die auf dem Weg in die oder aus der Stadt dort stöberten. Solange Vater auf Reisen war, würde Raschgallivak die Marktstände überwachen, und er würde bestimmt auf einem Kühltisch seine Kältepflanzen ausstellen. Sie winkten ihm zu, obwohl er nur zu ihnen hinübersah und nicht einmal zur Begrüßung nickte. So war Rasch nun mal – er würde da sein, wenn sie ihn in irgendeiner Krise brauchten. Im Augenblick bestand seine Aufgabe darin, die Marktstände zu errichten, und ihnen galt seine gesamte Aufmerksamkeit. Doch es war keine Eile geboten. Die besten Verkäufe ließen sich am Spätnachmittag machen, wenn Basilikaner nach eindrucksvollen Geschenken Ausschau hielten, die sie ihren Gefährtinnen oder Geliebten mitbringen oder mit denen sie das Herz einer Person gewinnen konnten, der sie den Hof machten.

Meb hatte einmal darüber gescherzt, dass niemand exotische Pflanzen für sich selbst kaufte, weil es nur Ärger machte, sie am Leben zu erhalten – und sie nur als Geschenke gekauft wurden, weil sie so teuer waren. »Sie stellen das perfekte Geschenk dar, weil sie so lange, wie die Liebesaffäre anhält, wunderschön und beeindruckend sind – also etwa eine Woche lang. Dann stirbt die Pflanze, wenn der oder die Beschenkte nicht uns bezahlt, damit wir uns um sie kümmern. So oder so, ihre Gefühle für die Pflanze entsprechen immer den Gefühlen zu dem Liebhaber, der sie ihnen geschenkt hat. Entweder ständige Verärgerung, weil er sich nicht abweisen lässt, oder Abscheu über die hässliche, vertrocknete Erinnerung. Wenn eine Liebe wirklich halten soll, sollten die Verliebten stattdessen einen Baum kaufen.« Als Meb so mit den Kunden zu sprechen begonnen hatte, hatte Vater ihn von den Marktbuden abgezogen. Zweifellos hatte Meb genau darauf gehofft.

Nafai verstand den Drang, nicht im Geschäft helfen zu wollen. Die langwierige Arbeit, ein paar Pflanzen zu verkaufen, die die Gefühle der Käufer spiegelten, machte wirklich keinen Spaß.

Wenn ich meine Ausbildung beendet habe, dachte Nafai, muss ich Tag für Tag so eine elende Arbeit machen. Und sie wird nirgendwohin führen. Wenn Vater stirbt, wird Elemak der Wetschik, und er wird mich niemals eine eigene Karawane führen lassen, was das einzig Interessante an dieser Arbeit ist. Ich will nicht mein Leben im Gewächshaus oder im Trockenhaus oder im Kühlhaus verbringen, Pflanzen hegen und ziehen, die kurz, nachdem sie verkauft wurden, sterben werden. Darin liegt keine Größe.

Der äußere Markt endete am ersten Tor, dessen gewaltige Türen wie immer offenstanden – Nafai fragte sich, ob man sie überhaupt noch schließen konnte. Es spielte kaum eine Rolle – dieses Tor wurde immer am sorgfältigsten bewacht, weil hier der größte Betrieb herrschte. Die Netzhäute aller Personen wurden gescannt und mit dem Register der Bürger und Rechtehalter verglichen. Issib und Nafai waren als Söhne von Bürgern technisch gesehen selbst Bürger, obwohl ihnen nicht erlaubt war, Besitz in der Stadt zu halten, und wenn sie volljährig wurden, würden sie wählen dürfen. Daher behandelten die Wachen sie respektvoll, als sie sie hindurchwinkten.

Zwischen dem äußeren und dem inneren Tor, zwischen den hohen, roten Mauern und auf allen Seiten von Wachen geschützt, befand sich das einträglichste Geschäft der Stadt Basilika: der Goldmarkt. Eigentlich wurde Gold hier gar nicht am häufigsten ge- und verkauft, wenngleich die Geldverleiher so stark wie eh und je vertreten waren. Auf dem Goldmarkt wurde mit jeder Form von Reichtum gehandelt, die leicht zu transportieren und daher einfach zu stehlen war. Juwelen, Gold, Silber, Platin, Datenbanken, Bibliotheken, Besitzurkunden, Pfandurkunden, Aktienzertifikate und Titel auf nicht einzutreibende Schulden: Das alles wurde hier gehandelt, und jeder Stand verfügte über einen Computer, der alle Transaktionen an das Stadtverzeichnis meldete – den Hauptcomputer der Stadt. In der Tat erzeugten die sich ständig verändernden holographischen Anzeigen über allen Computern einen seltsamen, flimmernden Effekt, so dass man, ganz gleich, wohin man sah, in den Augenwinkeln immer Bewegungen wahrzunehmen schien. Meb pflegte zu sagen, dass die Geldverleiher und Verkäufer auf dem Goldmarkt deshalb überzeugt waren, ständig von jemandem beobachtet zu werden.

Zweifellos hatten die meisten Computer Kenntnis von Nafais und Issibs Anwesenheit bekommen, nachdem man am Tor ihre Netzhäute gescannt und ihre Namen, ihren Status und ihre finanziellen Möglichkeiten in den Computer eingegeben hatte. Nafai wusste, dass dies eines Tages etwas zu sagen haben würde, doch im Augenblick hatte es nicht die geringste Bedeutung. Seit Meb letztes Jahr, als er achtzehn geworden war, hohe Schulden aufgehäuft hatte, waren der Familie Wetschik strenge Kreditrestriktionen auferlegt worden, und da Kredit wahrscheinlich die einzige Möglichkeit war, wie Nafai jemals eine bedeutende Geldsumme in die Hände bekommen würde, interessierte sich hier niemand für ihn. Vater hätte wahrscheinlich für die Aufhebung dieser Restriktionen sorgen können, doch da er sämtliche Geschäfte bar betrieb und niemals Geld borgte, taten sie ihm nicht weh, verhinderten jedoch, dass Meb weitere Schulden machte. Nafai hatte sich das Jammern und Brüllen und Schmollen und Weinen angehört, das monatelang anhielt, bis Meb endlich begriff, dass Vater sich niemals erweichen lassen und ihm finanzielle Unabhängigkeit zugestehen würde. In den letzten Monaten hatte Meb kein großes Aufheben mehr darum gemacht. Wenn er sich nun mit neuer Kleidung zeigte, behauptete er, er hätte sie von mitleidsvollen Freunden geborgt, doch Nafai war skeptisch. Meb gab noch immer Geld aus, als verfüge er über genügend davon, und da Nafai sich nicht vorstellen konnte, dass Meb tatsächlich irgendeine Arbeit angenommen hatte, blieb nur die Schlussfolgerung übrig, dass Meb jemanden gefunden hatte, der ihm einen Kredit auf seinen zu erwartenden Erbteil am Wetschik-Besitz gewährt hatte.

Das würde Meb ganz ähnlich sehen – Geld auf Vaters erwarteten Tod zu borgen. Doch Vater war noch ein kräftiger und gesunder Mann, erst fünfzig Jahre alt. Irgendwann würden Mebs Gläubiger des Wartens überdrüssig sein, und Meb würde sich erneut an Vater wenden und ihn bitten müssen, ihn von seinen Schulden zu befreien.

Am Inneren Tor wurde eine weitere Netzhautüberprüfung vorgenommen. Da sie Bürger waren und die Computer beobachtet hatten, dass sie nicht nur nichts gekauft, sondern noch nicht einmal an einer Bude innegehalten hatten, blieb ihnen das Scannen der Körper erspart, das, wie es euphemistisch genannt wurde, ein ›unbefugtes Borgen‹ verhindern sollte. Also dauerte es nur einen Augenblick, bis sie durch das Tor die Stadt selbst betraten.

Genauer gesagt, sie betraten den inneren Markt. Er war fast so groß wie der äußere, doch damit hörten die Ähnlichkeiten schon auf, denn statt Fleisch und Nahrungsmittel, Stoffballen und Nutzholz wurden auf dem inneren Markt fertige Waren verkauft: Feingebäck und Eiscreme, Gewürze und Kräuter; Möbel und Betten, Vorhänge und Gobelins; feine Hemden und Hosen, Sandalen für die Füße, Handschuhe für die Hände und Ringe für Zehen und Ohren und Finger; und exotischen Tand und Tiere und Pflanzen, die mit großen Kosten und hohen Risiken aus allen Ecken der Welt hierher gebracht worden waren. Hier bot Vater seine wertvollsten Pflanzen an, hier hielt er seine Stände Tag und Nacht geöffnet.

Doch keine der Buden übte einen besonderen Reiz auf Nafai aus – für ihn war es immer dasselbe, nachdem er schon seit so vielen Jahren mit so wenig Geld über den Markt ging. Ihn interessierten nur die vielen Buden, die Mjachiken verkauften, die kleinen Glaskugeln, in denen Musik, Tänze, Skulpturen und Gemälde gespeichert waren; Tragödien, Komödien und Tatsachenberichte, die entweder als Gedichte vorgetragen, als Schauspiele aufgeführt oder als Opern gesungen wurden; und die Werke von Historikern, Gelehrten, Philosophen, Oratoren, Propheten und Satirikern; Lektionen und Vorführungen einer jeden Kunst oder eines je gedachten Gedankengangs; und natürlich die großen Liebeslieder, für die Basilika auf der ganzen Welt bekannt war, die Musik mit wortlosen erotischen Spielen kombinierten, die niemals aufhörten, die sich endlos und zufällig wiederholten, wie die selbsterschaffenden Skulpturen in den Schlafzimmern und Privatgärten eines jeden Haushalts der Stadt.

Natürlich war Nafai zu jung, um selbst Liebeslieder kaufen zu können, doch er hatte schon mehr als eins davon gesehen, wenn er Freunde besuchte, deren Mütter oder Lehrerinnen nicht so diskret waren wie Rasa. Sie faszinierten ihn, gleichermaßen wegen der Musik, der angedeuteten Geschichte und der Erotik. Doch er verbrachte seine Zeit auf dem Markt mit der Suche nach neuen Werken basilikanischer Dichter, Musiker, Künstler und Darsteller, oder alten, die gerade neu aufgelegt wurden, oder seltsamen Werken aus anderen Ländern, entweder in der Übersetzung oder im Original. Vater mochte seine Söhne knapp halten, doch Mutter gab all ihren Kindern – Söhnen und Nichten nicht mehr und nicht weniger als bloßen Schülern – ein anständiges Taschengeld für den Erwerb von Mjachiken.

Nafai ertappte sich, wie er zu einer Bude wanderte, in der ein junger Mann mit einer überaus hohen und schönen Tenorstimme sang; die Melodie klang ganz so, als könne es ein neues Lied der Komponistin sein, die sich Sonnenaufgang nannte – oder zumindest einer ihrer besseren Imitatorinnen.

»Nein«, sagte Issib. »Du kannst dich heute Nachmittag hier umsehen.«

»Geh doch schon vor«, sagte Issib.

»Wir kommen sowieso schon zu spät.«

»Dann kann ich ja ruhig noch später kommen.«

»Werde endlich erwachsen, Nafai«, sagte Issib. »Jede Lektion, die du verpasst, wird entweder dich oder die Lehrerin später in Schwierigkeiten bringen.«

»Ich lerne sowieso nie etwas«, sagte Nafai. »Ich will das Lied hören.«

»Dann hör zu, während du gehst. Oder kannst du nicht gleichzeitig gehen und zuhören?«

Nafai ließ sich vom Markt führen. Das Lied verklang schnell, verlor sich in der Musik aus anderen Buden und dem Geplauder und den Gesprächen des Marktes. Im Gegensatz zum äußeren Markt wartete der innere nicht auf die Bauern von der Ebene und schloss deshalb niemals; die Hälfte der Leute hier, da war sich Nafai sicher, hatten in der vergangenen Nacht nicht geschlafen und kauften sich Gebäck und Tee zum Frühstück, bevor sie nach Hause und zu Bett gingen. Meb mochte einer davon sein. Und einen Augenblick lang neidete Nafai ihm die Freiheiten seines Lebens. Werde ich solche Freiheiten haben, falls ich einmal ein großer Historiker oder Wissenschaftler sein sollte? Kann ich dann am Nachmittag aufstehen, bis zur Abenddämmerung schreiben und mich dann in die Nächte Basilikas wagen, um die Tänze und Spiele zu sehen, die Konzerte zu hören oder vielleicht Abschnitte der Werke vorzulesen, die ich an diesem Tag geschrieben habe, vor einem empfindsamen Publikum, das mit Diskussionen und Gegenreden, mit Lob und Kritik darauf reagieren wird – wie könnte man Elemaks schmutzige, ermüdende Reisen jemals mit solch einem Leben vergleichen? Und in der Morgendämmerung würde ich dann zu Eiadhs Haus zurückkehren und mit ihr schlafen, und danach flüstern und lachen wir über die Abenteuer und Triumphe der vergangenen Nacht.

Nur ein paar Dinge fehlten, um diesen Traum zur Wirklichkeit werden zu lassen. Zum einen hatte Eiadh noch kein Haus, und obwohl sie sich schon eine gewisse Reputation als Sängerin und Rezitatorin gemacht hatte, war klar, dass ihre Karriere alles andere als brillant verlaufen würde; sie war kein Wunderkind, und so würde ihr Haus zweifellos viele Jahre lang bescheiden bleiben. Ganz egal, ich werde ihr helfen, ein schöneres zu kaufen, als sie allein es sich leisten könnte, auch wenn das Geld nur zum Geschenk gemacht werden kann, wenn ein Mann einer Frau hilft, in Basilika Besitz zu erwerben. Eiadh ist eine zu treue Frau, um jemals meinen Vertrag verfallen zu lassen und mich aus dem Haus zu werfen, das zu bauen ich ihr geholfen habe.

Zum anderen hatte Nafai noch nie etwas geschrieben, das besonders gut geraten war. Natürlich lag dies nur daran, weil er sich noch nicht für ein bestimmtes Gebiet entschieden hatte und sich daher noch immer auf die Probe stellte. Doch schon sehr bald würde er sich für ein Gebiet entscheiden, es musste eins geben, auf dem er ein gewisses Flair hatte, und dann würde es in den Buden auf dem inneren Markt Mjachiken seiner Werke geben.

Auf der Heiligen Straße zog irgendeine Prozession zum Spaltental hinab, und daher mussten sie – als Männer – sie umgehen; dennoch hatten sie ziemlich bald Mutters Haus erreicht. Issib ließ ihn augenblicklich stehen und trieb zur Außentreppe, die zum Computerraum hinaufführte, in dem er dieser Tage seine gesamte Zeit verbrachte. Die nächst jüngere Klasse hatte sich schon in der Südkurve der Säulenveranda zusammengefunden und genoss dort das einfallende Sonnenlicht. Sie übten sich in der Hingabe; die Jungen schlugen sich dann und wann scharf auf die Schenkel, die Mädchen summten leise vor sich hin. Seine Klasse würde irgendwo im Gebäude dasselbe tun, und Nafai hatte es nicht eilig, sich zu ihr zu gesellen, da es als ziemlich pietätlos galt, eine solche Andacht zu stören.

Also ging er langsam weiter, wich der jüngeren Klasse auf der Veranda aus, lehnte sich, als er außer Sichtweite war, gegen eine Säule und lauschte dem angenehmen Klang der Mädchenstimmen, die wie zufällig summten und doch gelegentlich Akkorde fanden, die sich schon in dem Augenblick, da sie entdeckt wurden, wieder verloren.