Die Weisheit der Füchse - Dag Frommhold - E-Book
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Die Weisheit der Füchse E-Book

Dag Frommhold

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Beschreibung

Rotes Fell, spitze Schnauze, buschiger Schwanz – Füchse sind nicht nur besonders schöne Tiere, sondern gelten auch als schlau, gewitzt und verspielt. Doch Füchse sind nicht nur klug, sondern auch außerordentlich empathisch und kommunikativ. Sie zeigen Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft, pflegen enge emotionale Bindungen, sind zärtliche Partner und liebevolle Eltern. Füchse zeigen uns, wie man mit einer guten Streitkultur mehr erreicht als mit Aggression, wie man mit Köpfchen und Flexibilität zum Ziel kommt und warum selbstloses Verhalten letztlich allen nützt. Die beiden Fuchskenner Dag Frommhold und Daniel Peller erzählen verblüffende und warmherzige Geschichten, die zeigen, was für faszinierende und erstaunliche Wesen Füchse sind – und dass sie uns nicht nur ähnlicher sind als wir denken, sondern dass wir auch eine Menge von diesen verkannten Helden lernen können.

»Dag Frommhold und Daniel Peller befassen sich seit vielen Jahren mit Füchsen und deren Schutz. Wie vertraut ihnen diese faszinierenden Tiere sind, spürt man in jeder Zeile dieses berührenden und klugen Buches.«

Elli H. Radinger

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Seitenzahl: 433

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Rotes Fell, bernsteinfarbene Augen, buschiger Schwanz – Füchse sind nicht nur als besonders schöne Tiere, sondern auch als schlau, gewitzt und verspielt bekannt. Doch Füchse sind nicht nur klug, sondern auch außerordentlich empathisch und kommunikativ. Sie zeigen Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft, pflegen enge emotionale Bindungen, sind zärtliche Partner und liebevolle Eltern. Füchse zeigen uns, wie man mit einer guten Streitkultur mehr erreicht als mit Aggression, wie man mit Köpfchen und Flexibilität zum Ziel kommt und warum selbstloses Verhalten letztlich allen nützt. Die beiden Fuchskenner Dag Frommhold und Daniel Peller erzählen verblüffende und warmherzige Geschichten, die zeigen, was für faszinierende und erstaunliche Wesen Füchse sind – und dass sie uns nicht nur ähnlicher sind als wir denken, sondern dass wir auch eine Menge von diesen verkannten Helden lernen können.

ZUDENAUTOREN

Dag Frommhold, Jahrgang 1975, war schon als Kind von Füchsen begeistert, hat sie viele Stunden lang beobachtet, ihr Verhalten studiert und alles über sie gelesen, was ihm in die Hände kam. Als Autor, Mitgründer von Wildtierschutz-Initiativen sowie als Ansprechpartner diverser Tier- und Naturschutzvereine setzt er sich seit vielen Jahren für Meister Reineke ein. Dag ist Diplom-Psychologe, hat aber schon während seines Studiums eine erfolgreiche Karriere als Entwickler, Berater, Unternehmer und Manager im IT-Sektor begonnen. Er lebt mit seiner Frau und seiner Tochter an den Weinbergen einer schwäbischen Mittelstadt.

Daniel Peller, Jahrgang 1984, war als Entwicklungsingenieur und Berater im Bereich Medizintechnik tätig. Als er seinen Beruf aufgrund schwerer Krankheit aufgeben musste, widmete er sich voll und ganz den Füchsen, die ihn schon seit der Schulzeit faszinierten. So wurde er in mehr als 20 Jahren durch eigene Beobachtungen, Fachliteratur, den internationalen Austausch mit Fuchsexperten sowie durch die enge Zusammenarbeit mit Wildauffangstationen zum Fuchskenner. Als Gründer der »Fuchs-Hilfe« verwaltet er seit 2017 ein bundesweites »Fuchshilfsnetz«, berät bei Fragen zu Füchsen, vermittelt Hilfe in Notfällen und engagiert sich im Wildtierschutz.

DAG FROMMHOLD

DANIEL PELLER

DIE WEISHEIT

DER FÜCHSE

Schlau, verspielt und fürsorglich –

was wir von den gewitzten Überlebenskünstlern lernen können

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.

Originalausgabe 09/2022

Copyright © 2022 by Ludwig Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Dr. Ulrike Strerath-Bolz

Covergestaltung: wilhelm typo grafisch,

unter Verwendung von Shutterstock.com/Michele Aldeghi

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-25976-1V002

www.Ludwig-Verlag.de

Für Karoline und Tessa

sowie meine Eltern.

Dag

Für meine Familie.

Daniel

Und für alle,

die sich für Füchse einsetzen.

Inhalt

Vorwort von Dr.Sophia Kimmig

Faszinosum Fuchs

Wie Füchse uns seit Menschengedenken beschäftigen

Immer mit Köpfchen

Warum auch Schlauberger lebenslang lernen müssen

Zu Hause bei Familie Fuchs

Wie Füchse füreinander da sind

Home Sweet Home

Warum es wichtig ist, eine Heimat zu haben

Füchsisch für Anfänger

Über die hohe Kunst der Kommunikation

Alles fließt

Warum Flexibilität und Veränderung lebensnotwendig sind

Füchsische Streitkultur

Deeskalation als Erfolgsgeheimnis

Licht und Schatten

Wie Füchse mit den dunklen Seiten des Lebens umgehen

Wider den tierischen Ernst

Wie Füchse ihre Freizeit gestalten

Foxy Lady

Von der Last, ein Sexsymbol zu sein

Der Fuchs als Sündenbock

Warum scheinbar naheliegende Antworten nicht immer die richtigen sind

Füchsen helfen

Warum auch Helden manchmal Hilfe brauchen

Füchse als Nachbarn

Friede? Freude? Fuchs!

Epilog

Dank

Websites

Bildnachweis

Quellen

Bildteil

Vorwort von Dr. Sophia Kimmig

Als vor etwa einem Jahr mein Buch Von Füchsen und Menschen erschien, wartete ich ungeduldig auf die ersten Rezensionen. Nach sechs Jahren Forschung zu diesen spannenden Tieren im Rahmen meiner Doktorarbeit hatte ich mir ein Herz gefasst und all die anrührenden, faszinierenden, aber auch witzigen Dinge aus der Feldarbeit als Biologin und der Zeit mit meinen Füchsen in einen Text gegossen.

Dann erschien eine Rezension, die so schön und anrührend geschrieben war, dass ich das Gefühl hatte, nur für diesen einen Leser hätte sich das Schreiben bereits gelohnt.

Auf den ersten Blick war es einfach eine schöne Rückmeldung, dann stutzte ich jedoch, denn die Rezension kam ausgerechnet von Daniel Peller.

Daniel Peller und Dag Frommhold kannte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht persönlich; als Biologin, die sich dem Fuchs verschrieben hat, waren mir ihre Namen jedoch sehr wohl ein Begriff. Kaum jemand setzt sich in unserem Land mit so viel Herzblut, Leidenschaft und Expertise für die kleinen Rotröcke ein.

Als junge Doktorandin hatte ich bereits das von ihnen mitgegründete Aktionsbündnis Fuchs und die Website fuechse.info entdeckt, die ich jedem Leser und jeder Leserin nur ans Herz legen kann. Nun haben Dag und Daniel das gesammelte Fuchswissen aus Jahren an persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen sowie intensivem Austausch mit anderen Fuchs-Interessierten genutzt, um ein sehr unterhaltsames, lesenswertes Buch zu schreiben. Endlich ist es da, und ich hatte die Ehre und das Vergnügen, es als eine der Ersten lesen zu dürfen.

Eine Frage, die mich schon beim Schreiben meines Buches umtrieb, war: Braucht es ein weiteres Fuchsbuch da draußen? Die Antwort ist Ja. Es braucht solche Bücher, und es braucht dieses Fuchsbuch, vielleicht mehr denn je! Denn nach wie vor werden in Deutschland Hunderttausende von Füchsen grundlos getötet, nach wie vor entfremden sich Menschen von der Natur und unseren Mitgeschöpfen, und nach wie vor wissen wir viel zu wenig über unsere schönen, schlauen, wilden Nachbarn.

All das können wir nur ändern, indem wir unseren Horizont erweitern. Wir brauchen einen neuen Blick auf die Welt und unsere eigene Rolle in ihr.

Die Weisheit der Füchse ist nicht nur eine Beschreibung unserer vielleicht schönsten einheimischen Tierart – obwohl Sie beim Lesen natürlich einiges über den Fuchs erfahren werden, was Sie möglicherweise noch nicht wussten. Dieses Buch geht weit über die bloße Funktion eines Sachbuchs hinaus. Es zeigt uns Menschen, wo wir uns selbst in den Füchsen wiederfinden, wie ähnlich und wie verschieden wir sein können, wie wichtig Respekt und Verständnis füreinander sind und was wir selbst für unser Leben von den Füchsen lernen können.

Füchse sind schlaue, sensible und neugierige Zeitgenossen. Sie sind liebevolle Mütter, Väter und Geschwister. Sie sind soziale Wesen, die innige Beziehungen eingehen, Freundschaften pflegen, sich aber auch mit anderen streiten. In einer Welt voller Herausforderungen und Rückschläge finden sie ihren Weg, auch wenn dieser manchmal nicht ganz leicht ist. Sie trotzen Widerständen und überstehen schwere Zeiten, ohne dabei zu vergessen, von Zeit zu Zeit eine vernünftige Portion Albernheit an den Tag zu legen.

Haben Sie sich in diesen Zeilen vielleicht wiedererkannt? Daniel Peller und Dag Frommhold zeigen uns eindrücklich, dass wir alle eines gemeinsam haben: Wir müssen das Leben meistern, mit all seinen Höhen und Tiefen.

Dabei können wir viel von unseren wilden Nachbarn lernen, wenn wir nur richtig hinsehen. Genau dabei hilft dieses Buch. Es zeigt Licht und Schatten einer Welt, die Fuchs und Menschen gemeinsam bewohnen, und schärft dabei den Blick für die Chancen, die in diesem Miteinander liegen.

Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre dieses Buchs. Mich persönlich hat es bisweilen nachdenklich, manchmal traurig, aber sehr oft auch fröhlich, optimistisch und dankbar gestimmt. Was mehr kann man von einem Buch verlangen?

Möglicherweise wird die Weisheit der Füchse auch Ihre Welt bereichern. Lernen Sie also von den Füchsen! Ganz nebenbei erfahren Sie, was Fußballfans mit Revierverhalten zu tun haben, wieso Füchse gleichermaßen gehasst und verehrt werden oder was der Fuchs tatsächlich sagt. Sie lernen, wieso Füchse so leichtfüßig sind, ob sie so schlau sind, wie ihr Ruf besagt, und dass Spielen nicht nur etwas für Kinder ist.

Klug, einfühlsam, voller Witz und Charme entführen Daniel Peller und Dag Frommhold Sie in die Welt der Füchse – um Sie am Ende erkennen zu lassen, dass es auch die Ihre ist.

Lassen Sie sich mitnehmen und genießen Sie die Reise!

Faszinosum Fuchs

Wie Füchse uns seit Menschengedenken beschäftigen

(Dag Frommhold)

»Das Schönste, was wir erleben können,

ist das Geheimnisvolle.«

Albert Einstein

Im Oktober 1994 besuchte der deutsche Archäologe Klaus Schmidt den Göbekli Tepe (»bauchiger Hügel«), ein Hochplateau im Südosten der Türkei nahe der Grenze zu Syrien. Eigentlich galt die Stätte als hinreichend erforscht – Schmidts Vorgänger hatten den Berg in den 1960er-Jahren untersucht und dort lediglich einen muslimischen Friedhof entdeckt, der aus archäologischer Sicht eher uninteressant war. Schmidt jedoch sah genauer hin und fand dabei Bruchstücke steinerner Bauwerke. Als er diese datieren ließ, verschlug das Ergebnis ihm die Sprache. Sie stammten nämlich aus prähistorischen Zeiten, über sechstausend Jahre vor dem Bau der Pyramiden. Einige Ausgrabungen später stand fest, dass Schmidts Fund die vielleicht größte archäologische Sensation des 20. Jahrhunderts darstellte, geeignet, die Menschheitsgeschichte umzuschreiben.

Schmidt übernahm in den Folgejahren die Leitung der Arbeiten am Göbekli Tepe. Sein Team förderte eine riesige Tempelanlage zutage. Über mehrere Hektar Fläche verteilten sich Dutzende kreisförmige Maueranlagen mit Durchmessern von bis zu dreißig Metern. Darin und dazwischen standen massige Pfeiler, zum Teil mehr als fünf Meter hoch und zwanzig Tonnen schwer, die zur Stabilisierung in eigens dafür behauene Sockel im Felsboden eingepasst waren.

Derartige Baukünste hatte man den Menschen der Altsteinzeit bis dahin nicht annähernd zugetraut. Doch damit nicht genug: Die steinzeitlichen Bauherren waren nicht nur Freunde monumentaler Architektur, sondern besaßen auch einen künstlerischen Anspruch, wie er andernorts erst Tausende Jahre später aufkommen sollte. Detaillierte Reliefs und selbst nahezu vollplastische Darstellungen verschiedener Tiere finden sich überall in der Anlage. Viele davon zeigen besonders große oder wehrhafte Arten, darunter Löwen, Schlangen, Wildschweine und Stiere. Das häufigste Säugetiermotiv ist jedoch ein zumindest auf den ersten Blick eher unscheinbarer Geselle. Realistisch dargestellt, mit spitzen Zähnen und buschigem Schwanz, begegneten den Ausgrabungsteams zahlreiche Darstellungen von Füchsen.1 Der Fuchs, so vermuteten die Archäologen, musste im Glauben der altsteinzeitlichen Bewohner des »bauchigen Hügels« also eine wichtige Rolle gespielt haben.

Eine von vielen Fuchsdarstellungen in Göbekli Tepe

Göbekli Tepe gilt heute als die mit Abstand älteste bekannte Kultstätte der Menschheit und ist der wohl früheste Hinweis darauf, dass Füchse uns Menschen in besonderem Maß beschäftigen und inspirieren. Sie ist aber bei Weitem nicht der einzige solche Hinweis. Ganz im Gegenteil: Schaut man sich Kunst, Religion und Mythologie der verschiedensten Kulturen rund um den Erdball etwas genauer an, so trifft man allerorten auf Füchse.

In Japan etwa wurde der Fuchs als Gesandter des Fruchtbarkeitsgottes Inari verehrt. Tempelanlagen und Schreine, die Inari gewidmet sind, werden daher oft von eindrucksvollen Fuchsstatuen bewacht. In ländlichen Gegenden boten die Bauern wild lebenden Füchsen einst Opfergaben in Form von Reis und gebratenem Tofu an. Letzterer erfreut sich nämlich nicht nur unter Menschen großer Beliebtheit, sondern wird auch von Füchsen sehr gerne verspeist.

Eine wichtige Rolle in der fernöstlichen Mythologie spielen Füchse auch als magische Wesen und Gestaltwandler. Dazu zählen etwa die japanischen Kitsunes (»Kitsune« ist das japanische Wort für »Fuchs«), die ihr Dasein als ganz gewöhnliche Füchse beginnen. Allerdings gewinnen sie im japanischen Volksglauben mit zunehmendem Alter an Intelligenz und magischen Fertigkeiten, bis sie sich schließlich in alle erdenklichen Lebewesen und Objekte verwandeln können. Diese Fähigkeit nutzen Kitsunes wiederum, um Einfluss auf die Menschenwelt zu nehmen. Ein besonders beliebtes Thema ist dabei die Verwandlung von Füchsen in schöne Frauen, die Männer verführen und bisweilen sogar Kinder mit ihnen zeugen.

In einer Geschichte aus dem 9. Jahrhundert pilgert der Höfling Abe no Yasuna gerade zu einem Inari-Schrein in der Nähe des heutigen Osaka, als vor ihm plötzlich ein weißer Fuchs auf den Weg springt. Flehend sieht das Tier Yasuna an. Es wird von Jägern verfolgt; seine Häscher kommen immer näher, und nur Yasuna kann es noch retten. Dem Höfling ist natürlich bewusst, dass weiße Füchse dem Gott Inari heilig sind, und so stellt er sich den Jägern in den Weg. Es kommt erst zum Streit, dann zu einem Kampf auf Leben und Tod. Während dem Fuchs die Flucht gelingt, wird Abe no Yasuna schwer verletzt.

Zu seinem Glück findet ihn eine bezaubernde junge Frau namens Kuzunoha, die ihn nach Hause bringt und gesund pflegt. Die beiden verlieben sich, heiraten und bekommen einen Sohn. Fünf Jahre lang lebt die junge Familie glücklich und in Harmonie zusammen. Doch dann macht der Junge eine sonderbare Entdeckung: Unter dem Kleid seiner Mutter erspäht er einen weißen Fuchsschwanz. So genügt ein kurzer Augenblick der Unachtsamkeit, um Kuzunohas wahre Gestalt zu offenbaren. Sie ist niemand anderes als der weiße Fuchs, den Abe no Yasuna einst gerettet hat. Die Gestaltwandlerin beschließt, dass sie nicht länger bei der Familie bleiben kann. Traurig besucht sie noch einmal ihren Sohn, hinterlässt ihrer Familie ein Abschiedsgedicht und kehrt in Fuchsgestalt in den Wald zurück. Abe no Seimei, das gemeinsame Kind von Kuzunoha und Abe no Yasuna, wächst indes zu einem der berühmtesten Gelehrten seiner Zeit heran.

Während die japanischen Kitsunes neben ihren Verführungs- und Manipulationskünsten oft auch positive Eigenschaften wie Selbstlosigkeit und Dankbarkeit zeigen, sind die Geisterfüchse der chinesischen oder koreanischen Mythologie meist durch und durch bösartig. Ihre Opfer reichen dabei den Legenden nach bis hinauf zu Chu Hsin, dem letzten Kaiser der Shang-Dynastie. Er brachte die aufreizend schöne Konkubine Daiji als Kriegsbeute von einem Feldzug mit, ohne zu wissen, dass ein uralter Fuchsgeist sich ihres Körpers bemächtigt hatte. Nach und nach verfiel Chu Hsin Daijis Einfluss, vernachlässigte die Staatsgeschäfte und ließ sich von ihr zu dekadenten Exzessen und grausamen Verbrechen anstiften. Chu Hsins Tyrannei und Despotismus beschworen schließlich eine Revolte herauf, die in den Niedergang der Dynastie mündete. Die Figur der fuchsbesessenen Konkubine Daiji ist noch heute eine gängige Antagonistin in fernöstlichen Filmen, Comics und Videospielen.

Um derartige Fuchsgeister und andere Dämonen auszutreiben, führte man im alten China einst grausame Rituale durch. Exorzismen waren aber bekanntlich auch im europäischen Mittelalter verbreitet, wo man als Grund für Besessenheit oft Hexerei vermutete. Genau dort begegnet uns abermals der Fuchs. So haben Hexen in Volksmärchen zumeist einen tierischen Begleiter, mit dem sie auf besondere Weise verbunden sind und der sie beim Ausüben ihrer Magie unterstützt. Neben Katzen, Raben oder Kröten treten auch Füchse oft als derartige Hexenvertraute in Erscheinung.

Andere Geschichten gehen bei der Assoziation von Füchsen mit Hexenzauber noch einen Schritt weiter. So erzählt eine Schweizer Volkssage davon, wie eine Gruppe von Jägern einem Fuchs nachstellt. Es gelingt ihnen, den Fuchs mit einer Kugel zu verletzen; das Tier entkommt jedoch mit blutendem Hinterlauf. Sie folgen der Spur des Fuchses, bis sie zu ihrer Verwunderung vor der Tür eines Hauses stehen. Als sie es betreten, finden die Jäger darin eine Frau mit einer frischen Schussverletzung am Bein vor, und sie begreifen, dass es sich bei dem von ihnen gejagten Fuchs um eine Hexe in Tiergestalt gehandelt hat. Während in der japanischen Mythologie Füchse die Gestalt eines Menschen annehmen, ist es bei abendländischen Hexen also andersherum: Sie sind Frauen, die sich in Füchse verwandeln können. Solche Hexenfüchse entkommen ihren Jägern oft durch List oder stellen sich sogar als unverwundbar heraus – Schüsse prallen von ihnen ab oder gehen durch sie hindurch, ohne Schaden anzurichten. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass solche Geschichten einen realen Kern in Form von Jagderlebnissen besitzen, denen im Nachhinein mit übernatürlichen Ausschmückungen mehr Würze verliehen wurde.

Der Brandmarkung als Hexen- oder Dämonentier zum Trotz avancierte der Fuchs zu einem wahren Star der mittelalterlichen Literatur: Die Geschichte von Reineke Fuchs ist das älteste und bekannteste europäische Tierepos. Ursprünglich geht es auf mittel- und westeuropäische Dichtungen aus dem 12. Jahrhundert zurück, in denen der Fuchs als Reinardus, Reinhart oder Reynaert auftrat. Diese Wortkompositionen setzen sich aus den Begriffen »regin« (Rat) und »hart« (stark, kühn) zusammen, und man könnte sie sinngemäß als »Der an Listen Reiche« übersetzen. Der heute verbreiteten Form »Reineke« verhalf schließlich kein Geringerer als Johann Wolfgang von Goethe zum Durchbruch. Mit seiner in Versen verfassten Version des Reineke-Epos setzte der Dichterfürst dem Fuchs ein literarisches Denkmal.

Auch hier tritt der Fuchs keineswegs als makelloser Held auf – ganz im Gegenteil. Er ist vielmehr ein ebenso boshaftes wie geniales Schlitzohr, das die Schwächen seiner körperlich meist überlegenen Widersacher erbarmungslos ausnutzt und nicht zögert, andere über die Klinge springen zu lassen, um den eigenen Pelz zu retten. Mit List, Tücke und einer nicht zu verachtenden Portion Gemeinheit gelingt es ihm, am Ende zum Kanzler des Reichs unter dem Löwen Nobel aufzusteigen. Einer verbreiteten Deutung zufolge steht Reineke dabei sinnbildlich für einen rebellischen Adligen, der die Grenzen von Traditionen, Recht und Moral am Hof auslotet, den König überlistet und die bestehenden politischen Strukturen aufbricht.

Nicht nur in der Literatur, sondern auch in der klassischen Musik sind Füchse prominent vertreten. So erzählt der tschechische Komponist Leoš Janáček in seiner Oper Das schlaue Füchslein die Geschichte der jungen Füchsin Schlaukopf. Im Gegensatz etwa zu den mythischen Fuchsgestalten asiatischer Legenden und den meist stark vermenschlichenden Geschichten um Reineke Fuchs ist Janáčeks Füchsin ein gewöhnliches Tier, das sich mit den Herausforderungen des realen füchsischen Lebens auseinandersetzen muss. Ihre Geschichte beginnt damit, dass sie von einem Förster gefangen wird und auf dessen Hof aufwächst. Von Kindern geärgert und vom Hofhund bedrängt, gelingt ihr schließlich unter dramatischen Umständen die Flucht. Für einige Zeit kann sie ihr Leben in Freiheit genießen: Ein galanter Fuchsrüde macht ihr den Hof, die beiden gründen eine Familie, und sie lehrt ihre Welpen, was ein Fuchs zum Überleben in freier Wildbahn wissen muss. Doch es dauert nicht lange, bis Menschen – allen voran der gewiefte Landstreicher und Wilderer Háraschta – ihr und den Ihren auch dort nach dem Leben trachten. Janáček selbst bezeichnete das Stück einst als sein bestes Werk,2 und bis heute ist es auch eines seiner am häufigsten gespielten. Opernhäuser in aller Welt zeigen regelmäßig Aufführungen der Lebensgeschichte von Füchsin Schlaukopf.

Illustration Wilhelm von Kaulbach: »Reineke Fuchs als Sieger«

Auch jenseits des Atlantiks stand der Fuchs vor der Eroberung des Kontinents durch die Europäer in hohem Ansehen. In den Legenden nordamerikanischer Ureinwohner wie den Achomawi, den Atsugewi oder den Ute besaß er sogar eine geradezu erhabene Stellung. Verschiedenen Überlieferungen zufolge erschafft er in diesen Geschichten gemeinsam mit Wolf und Kojote die Welt. Durch die Kraft ihrer Gedanken können die Tiere nämlich aus Stöcken oder Holzspänen lebende Wesen formen. Der Fuchs wird dabei meist als kluger und weiser Schöpfer dargestellt, der das Wohl der Menschen im Sinn hat, während der Kojote immer wieder versucht, die Pläne seines kleineren Verwandten zu sabotieren. Allerdings gibt es auch Varianten solcher Schöpfungsmythen, in denen Fuchs und Wolf oder Fuchs und Kojote einträchtig bei der Erschaffung des Menschen zusammenarbeiten.

Zwar gehört Südamerika nicht zum Verbreitungsgebiet des bei uns heimischen Rotfuchses; der Kontinent ist jedoch von einigen seiner Verwandten besiedelt. Dazu gehört etwa der Andenfuchs oder auch Culpeo, der vor dem Aufstieg der Inkas als Symboltier des Gottes Pachacámac und als Fruchtbarkeitsbringer hohes Ansehen genoss. In Tempelanlagen nahe Lima fand man die goldene Statue eines Andenfuchses, an der die Ureinwohner des heutigen Peru einst Pachacámac und seinen Boten huldigten. Als jedoch zunächst die Inkas und später die spanischen Eroberer die Macht übernahmen, ließen diese viele Zeugnisse früherer Kulturen zerstören. Auf Geheiß der christlichen Kirche wurden dabei systematisch Kultstätten und -objekte vernichtet, die mit der Verehrung von Tieren im Zusammenhang standen.

Besondere Verachtung scheint indes sowohl bei den Inkas als auch bei den christlichen Eroberern dem Fuchs gegolten zu haben. Idole wurden zerstört, Legenden umgeschrieben; aus einem heiligen Beschützer und Fruchtbarkeitsspender wurde so nach und nach ein dämonisches und egoistisches Wesen, das die Menschen verführte und ins Unheil stürzte.3 Ein wesentlicher Grund dafür, dass die christlichen Eroberer gerade die Verehrung des Fuchses derart bekämpften, war vermutlich dessen Assoziation mit Hexerei. Aufgrund seines roten Fells galt er den Christen dieser Zeit sogar als Symbol für den Teufel selbst.4

Das war auch in Europa so. Ein altes norddeutsches Volksmärchen erzählt etwa davon, wie ein Jäger einen Fuchs verfolgt. Als er diesen schließlich stellt, wendet das Tier sich um und gibt unter höllischem Gelächter seine wahre Gestalt preis. Es ist niemand anderes als der Leibhaftige, der im nächsten Moment verschwindet und nur den Gestank von Schwefel hinterlässt. In der Bibel bezeichnet Jesus höchstselbst zudem den grausamen König Herodes als »Fuchs«.5 Auch das ist ein Hinweis darauf, mit welchen Augen man Füchse zu dieser Zeit wohl betrachtete.

Auch wenn viele alte Ressentiments gegenüber dem Fuchs noch bis heute nachwirken, haben sie seiner Popularität keinen Abbruch getan – sie endete weder mit den Feldzügen christlicher Eroberer noch mit dem Anbruch der Moderne. Im Gegenteil: Heute sind Füchse als Protagonisten von aufwendig produzierten Filmen und Videospielen, als liebenswürdige Helden von Kinderbüchern und nicht zuletzt als Firmenmaskottchen und Werbeträger weitverbreitet. Schaut man sich in den Shops diverser Online-Händler um, findet man kaum einen Artikel, den man nicht mit Fuchs-Aufdruck erwerben kann. Beim Einkleiden unserer neugeborenen Tochter waren meine Frau und ich erstaunt, wie viele Hosen, Jäckchen, Lätzchen und Bodys auf die eine oder andere Weise mit niedlichen Füchslein verziert waren – offensichtlich hat die Kinderbekleidungsindustrie den Fuchs zur unangefochtenen Nummer eins der Wildtiermotive auserkoren.

Weit weniger eindeutig ist, was genau das »Faszinosum Fuchs« eigentlich ausmacht. Warum hat, unter all den vielen Wildtieren Asiens, Europas und Amerikas, gerade Reineke uns so in seinen Bann gezogen?

Ein Teil der Antwort liegt vielleicht darin, dass Füchse wie eine elegante Mischung aus Hund und Katze wirken, unseren beliebtesten Haustieren. Während Füchse biologisch zu den Hundeartigen zählen und auch äußerlich auf den ersten Blick einem kleinen bis mittelgroßen Hund ähneln, lassen ihre geschmeidigen Bewegungen und ihr Jagdverhalten mit dem typischen Mäusesprung eher an eine Katze denken. Ganz im Gegensatz zu unseren Stubentigern und Sofawölfen wirken Füchse aber stets unnahbar, pflegen eine heimliche Lebensweise und sind in ihren angestammten Lebensräumen in Wald und Flur überaus scheu. Diese Mischung aus vordergründiger Vertrautheit und distanzierter, geradezu geheimnisvoller Fremdartigkeit ist womöglich einer der Aspekte, die den Fuchs so faszinierend machen.

Hinzu kommt, dass der Fuchs ein besonders attraktives Tier ist, vor allem in seinem dichten Winterpelz. Das auffällige, leuchtend rote Fell, der buschige Schwanz und die charakteristischen schwarzen Pfoten machen ihn seiner geringen Körpergröße zum Trotz zu einem wahren Hingucker. Gemeinsam mit der Schläue, die ihm zugeschrieben wird, drängt er sich dadurch geradezu auf, wenn es um die Besetzung bestimmter Rollen in (Tier-)Geschichten geht: Wo immer sich ein gut aussehender, schlitzohriger Held mit körperlich überlegenen Gegnern messen muss, war der Fuchs schon im Mittelalter schlicht die Idealbesetzung.

Die sprichwörtliche Schläue des Fuchses spielt auch überall dort eine Rolle, wo die Interessen von Mensch und Fuchs unmittelbar kollidieren. Jahrhundertelang war Reineke ein gefürchteter Hühnerdieb, dessen Einfallsreichtum und Hartnäckigkeit so manchem Federvieh zum Verhängnis wurden. Für Familien, die von der Geflügelzucht lebten, konnte das einst durchaus eine existenzielle Gefahr darstellen.

Auf der anderen Seite hatten auch die Füchse wenig Anlass, sich eine positive Meinung über den Menschen zu bilden. Kaum ein anderes Tier wurde über die Jahrhunderte hinweg so erbarmungslos verfolgt wie der Fuchs, ob zu Pferd, mit Hundemeuten, Schusswaffen, Fallen oder sogar Giftgas. Gleich, welches Motiv seine Jäger dazu brachte, Reineke nachzustellen, stets nötigte er ihnen dabei eine gehörige Portion Respekt ab. »Kein anderes Wild«, so war einst im Editorial einer großen deutschen Jagdzeitschrift zu lesen, »fordert uns so ebenbürtig heraus. […] allein der Fuchs steht mit allen Sinnen und Listen so hoch, dass es ungewiss bleibt, wie die Begegnung ausgeht, wenn wir uns aktiv mit ihm messen.«6

Nicht zuletzt diesen Listen und Sinnen des Fuchses dürfte es neben seiner enormen Anpassungsfähigkeit zu verdanken sein, dass er sich allen Verfolgungen zum Trotz bis heute behauptet hat. Mehr noch: Während manch andere Tierart unter dem Druck menschlicher Nachstellungen drastisch dezimiert oder gar ausgerottet wurde, konnte der Fuchs sein Verbreitungsgebiet mit Hilfe des Menschen sogar noch weiter ausdehnen. In Australien etwa setzten britische Siedler Mitte des 19. Jahrhunderts Füchse aus, weil sie auch in ihrer neuen Heimat nicht auf die traditionelle Fuchsjagd hoch zu Ross mit Hundemeuten verzichten wollten. Innerhalb von einhundert Jahren hatten Füchse 75 Prozent des australischen Festlands besiedelt. Heute ist der Rotfuchs als der Landbeutegreifer mit der weltweit größten Verbreitung auf fast allen Kontinenten vertreten.

All das führt dazu, dass die Wege von Mensch und Fuchs sich häufig kreuzen; es macht den Fuchs im kollektiven Bewusstsein der Menschen präsent und liefert reichlich Material für Geschichten. Davon abgesehen faszinieren die einzigartige Überlebenskunst des Fuchses und seine Fähigkeit, ähnlich wie Reineke in den Tierepen des Mittelalters als Rebell gegen einen oft despotischen Herrscher zu bestehen. Vor allem aber macht all dies deutlich, wie enorm ambivalent die Beziehung des Menschen zum Fuchs war und ist. Diese Ambivalenz spiegelt sich in der Bandbreite an Rollen wider, die der Fuchs in unseren Geschichten einnimmt: Er ist schlauer Rebell und sinnlicher Verführer, weiser Schöpfungsgott und böser Dämon, Fruchtbarkeitsbringer und hinterlistiger Schurke.

Insofern tritt der Fuchs in unseren Mythen, Legenden und Sagen also nicht nur besonders häufig auf, sondern wird darin auch auffallend gegensätzlich charakterisiert. Der Fuchs hat schon im Mittelalter polarisiert, und das hat sich bis heute nicht geändert – der Widerständler, dessen Standhaftigkeit und Überlebenskunst den einen fasziniert und begeistert, ist der ewige Dorn im Auge des anderen.

So bleibt die Frage, ob die Rollen und Eigenschaften, mit denen Füchse in Verbindung gebracht werden, eine reale biologische Grundlage besitzen. Finden sich im Verhalten wild lebender Füchse Anhaltspunkte für solche Zuschreibungen oder handelt es sich dabei um reine Projektionen, die letztlich mehr über uns Menschen verraten als über den Fuchs? Und wenn es Projektionen sind – welche Besonderheiten des Fuchses veranlassen uns dazu, sie vorzunehmen? Schließlich werden ihm über die verschiedensten Zeitalter und Kulturkreise hinweg bestimmte Eigenschaften wie etwa Schläue oder Fruchtbarkeit zugeschrieben. Wie ich in all den Jahren meiner Beschäftigung mit den biologischen und kulturellen Aspekten des Fuchses erfahren habe, lernt man bei dem Versuch, solche Fragen zu beantworten, nicht nur eine Menge über Füchse, sondern auch über Menschen.

Mich persönlich haben Füchse schon als Kind fasziniert, und jede Begegnung mit ihnen bereichert mein Leben – gleich, ob es der Anblick spielender Fuchswelpen am elterlichen Bau oder der stattliche Fuchsrüde ist, der im dichten Winterpelz auf einer raureifbedeckten Wiese nach Mäusen jagt. Je intensiver man sich mit dem Fuchs befasst, desto mehr zieht er einen in seinen Bann. Er ist ein äußerst anpassungsfähiger, vielseitiger und intelligenter Geselle – das macht es oft schwierig, allgemeingültige Aussagen über Füchse zu treffen. Biologen können ein Lied davon singen, denn nur allzu oft haben Arbeitshypothesen über Fuchsverhalten eine sehr kurze Halbwertszeit. Genau das macht aber auch einen wichtigen Teil des Reizes aus, sich mit Meister Reineke zu beschäftigen. Und wie wir im Rahmen der folgenden Kapitel sehen werden, hat der Fuchs abseits verbreiteter Geschichten, Klischees und Rollenzuschreibungen noch eine Menge Überraschungen auf Lager.

Immer mit Köpfchen

Warum auch Schlauberger lebenslang lernen müssen

(Dag Frommhold)

»Mir scheinet List und Klugheit nicht den Mann zu schänden,

der sich kühnen Taten weiht.«

Johann Wolfgang von Goethe, Iphigenie auf Tauris

Lucy war nur ein paar Wochen alt, als sie ihre Mutter durch einen Verkehrsunfall verlor. Unterkühlt und durchnässt wurde sie von Spaziergängern gefunden, ein kläglich fiependendes Fellbündel, mehr tot als lebendig. Ihre Geschwister hatten den Kampf gegen Hunger und Kälte bereits verloren, doch für diese kleine Füchsin gab es noch Hoffnung.

Ihre Finder brachten Lucy zu Jörg Kaifel, einem erfahrenen Wildtierkenner, der im Laufe der Jahrzehnte Aberdutzende verwaiste oder verletzte Tiere aufgezogen und wieder ausgewildert hat. In seiner Obhut wuchs Lucy von einem hilflosen Fellknäuel zu einer ebenso verspielten wie frechen jungen Füchsin heran, die Jörg wieder und wieder mit ihrem Einfallsreichtum überraschte. Auch als Lucy bereits ausgewildert war, ließ sie sich noch regelmäßig in der Nähe von Jörgs Wohnhaus blicken – und gab ihm dabei Gelegenheit zu einer bemerkenswerten Beobachtung.

Eines Tages sah Jörg von seinem Garten aus, dass Lucy reglos auf der benachbarten Wiese lag. Eigentlich war das kein typischer Schlafplatz für die Füchsin – wie die meisten ihrer Artgenossen bevorzugte sie dafür ansonsten geschützte, schlecht einsehbare Orte. Dieses Mal aber lag sie weithin sichtbar im prallen Sonnenschein, obwohl sich keine hundert Meter weiter ein großer, schattenspendender Nussbaum befand, auf dem es sich bereits eine Krähenkolonie gemütlich gemacht hatte. Vielleicht, mutmaßte Jörg, war ihr das lautstarke Krakeelen der Rabenvögel zu viel Trubel, und sie wollte einfach ihre Ruhe haben.

Nach einer kurzen Weile wurden die Krähen jedoch ihrerseits auf Lucy aufmerksam. Zunächst blieben sie noch auf ihren Ästen sitzen und beobachteten die Füchsin aus luftiger Höhe, dann flogen zwei oder drei von ihnen bis auf wenige Meter an sie heran. Sie krächzten dabei so lautstark, dass Lucy spätestens davon eigentlich hätte aufwachen müssen. Jörg begann allmählich, sich Sorgen um seinen ehemaligen Schützling zu machen – immerhin waren Krähen Aasfresser, und es war ganz und gar kein gutes Zeichen, dass sie sich für Lucy interessierten. Dann sprang eine der Krähen plötzlich zu der Füchsin hinüber und pickte ihr heftig in die Flanke.

Lucy jedoch zeigte keine Reaktion. Jörgs Herz sank. Sofort machte er sich auf den Weg zu ihr, doch er hatte kaum seinen Garten verlassen, als die Krähe einen Satz nach vorne machte, geradewegs neben Lucys Kopf. Jörg wollte gerade aufschreien und die Arme in die Luft reißen in der Hoffnung, die Krähe so verscheuchen zu können. Doch bevor der Vogel sich über Lucys Augen hermachen konnte, sprang die Füchsin quicklebendig auf und schnappte blitzschnell zu. Statt eine Mahlzeit für sich zu ergattern, war die Krähe selbst auf dem Teller gelandet.

Dass ein Fuchs sich totstellt, um Aasfresser zu erbeuten, ist keineswegs ein Einzelfall. Die wohl früheste Erwähnung dieses Verhaltens findet sich im Physiologus, einem Werk zur Naturlehre aus dem 2. Jahrhundert nach Christus. Im Jahr 1961 wurde die raffinierte Jagdtechnik in Russland erstmals auf Film dokumentiert,7 und im Laufe der Jahrzehnte berichteten Wildtierfreunde, Förster oder Jäger immer wieder über das Sich-tot-Stellen von Füchsen.

Vermutlich sind Füchse also in der Lage, Beutetiere gezielt zu täuschen. Mancher entspannt im Gras liegende Fuchs macht vielleicht die Erfahrung, dass Krähen auf ihn aufmerksam werden und näher kommen, dann aber bei seiner kleinsten Bewegung auffliegen. Dadurch lernt er womöglich, die Annäherung der Rabenvögel bewusst zu provozieren, um dann im richtigen Moment zuzuschlagen. Wenn das so ist, liegt dieser Jagdstrategie eine beachtliche kognitive Leistung zugrunde, die Reinekes Ruf als Schlauberger alle Ehre macht. Haben all die Mythen, Märchen und Fabeln also recht, wenn sie den Fuchs als besonders schlaues Tier porträtieren?

Um diese Frage zu beantworten, müsste man in der Lage sein, die Intelligenz von Füchsen objektiv mit der anderer Arten zu vergleichen. Nun könnte man auf die Idee kommen, dafür einfach das Gewicht des Gehirns oder die Anzahl an Nervenzellen darin zu messen. Das Resultat dieser Übung ist jedoch grob irreführend: Die Denkorgane des Kleinen Schwertwals oder des Afrikanischen Elefanten sind etwa drei- bis viermal so schwer wie das des Menschen und weisen eine ähnliche Neuronenzahl auf. Trotzdem dürften wir ihnen geistig weit überlegen sein. Intelligenz wird nämlich von einer ganzen Reihe an Faktoren beeinflusst, die vom Hirngewicht weitgehend oder vollständig unabhängig sind, wie etwa der Nervenleitgeschwindigkeit, der Dichte an Neuronen8 oder der Anzahl an Verknüpfungen zwischen ihnen.9 Die genaue Rolle dieser (und weiterer) Faktoren ist Gegenstand reger Forschungsarbeit.

Ein vergleichsweise unkompliziertes und einfach zu erhebendes Maß ist dagegen der sogenannte Enzephalisationsquotient (EQ). Um ihn zu berechnen, bestimmt man zunächst das Verhältnis von Gehirn- zu Körpermasse bei den Tieren einer Art und setzt das Ergebnis dann zu den Werten einer Vergleichsspezies in Relation. Ein EQ größer als eins weist darauf hin, dass das Gehirn eines Tieres schwerer ist, als man anhand seiner Körpermasse im Vergleich mit der Referenzspezies erwarten würde. Dies gilt wiederum als Hinweis darauf, dass die betreffenden Tiere über erhöhte kognitive Fähigkeiten verfügen.

Die deutschen Hirnforscher Gerhard Roth und Ursula Dicke errechneten den EQ für eine Reihe verschiedener Arten und wählten als Vergleichsspezies die Hauskatze (der dadurch ein Wert von 1,0 zugewiesen wird). Es verwundert nicht, dass der Mensch diese Tabelle mit einem EQ von 7,8 klar anführt und dass Affen deutlich höhere Werte erreichen als etwa Nagetiere. Kaninchen liegen in der Auflistung von Roth und Dicke bei 0,4, Löwen bei 0,6, Pferde bei 0,9 und Hunde bei einem EQ von 1,2. Füchse kommen immerhin auf einen Wert von 1,6, womit sie in ähnliche Größenordnungen vorstoßen wie manche Affenarten (Gorillas besitzen beispielsweise einen EQ zwischen 1,5 und 1,8).10

Der EQ deutet also darauf hin, dass es sich bei Füchsen um besonders schlaue Tiere handeln könnte. Ein Beweis ist das allerdings noch nicht – dafür müsste man nämlich zeigen, dass der vergleichsweise hohe EQ sich auch im Verhalten der Tiere niederschlägt.

Wirklich schlau?

Bei Menschen wird der Intelligenzbegriff in der Alltagssprache verwendet, um die geistige Leistungsfähigkeit einer Person auszudrücken. Dabei gibt es keine einheitliche Definition von Intelligenz – vielmehr schlagen verschiedene Theorien unterschiedliche Kriterien dafür vor, was Intelligenz letztlich ausmacht. All diesen Theorien ist jedoch zu eigen, dass verschiedene Formen des Problemlösens eine wichtige Rolle spielen. Wer etwa logische, sprachliche oder mathematische Fragestellungen schnell erfasst und Aufgaben rasch lösen kann, weist eine höhere Intelligenz auf als jemand, dem das nicht so gut gelingt. Doch nicht nur für Menschen, sondern auch für Tiere gilt es tagtäglich, Probleme zu lösen: Wo habe ich die besten Chancen, Beute zu machen, und welche Jagdtaktik wende ich dabei an? Wie erkenne und umgehe ich Fallen? Wie stibitze ich meinen Geschwistern das Essen und komme (im Idealfall unbemerkt) damit davon? Solche Aufgaben, bei deren Bewältigung kognitive Fähigkeiten gefragt sind, gelten nicht nur als Gradmesser für tierische Intelligenz – wer hier besonders gut abschneidet, hat auch handfeste Überlebensvorteile.

Es gibt nur relativ wenige systematische Untersuchungen zu den Problemlösefähigkeiten von Wildtieren, und Einzelbeobachtungen werden oft als interessante, aber wissenschaftlich wertlose Anekdoten abgetan. Auf der anderen Seite lassen sich Tiere in künstlichen Laborsituationen zwar gut beobachten, diese sind für scheue und freiheitsliebende Wildtiere wie Füchse aber oft mit erheblichem Stress verbunden. In der Praxis sind Laborstudien zu diesem Thema daher nur sehr schwer so durchzuführen, dass ihre Ergebnisse aussagekräftig wären.

In einer der wenigen Studien zu diesem Thema untersuchten die New Yorker Biologen Abigail Reid und Alan Tousignant das Problemlöse- und Explorationsverhalten von Wölfen, Füchsen und Mähnenwölfen. Die dafür verwendete Testapparatur bestand aus einem Quader mit abnehmbarem Deckel, an dem ein Seil befestigt war. Durch Zug an diesem Seil konnte die Box geöffnet werden. Innerhalb des Quaders wiederum befanden sich zwei ineinandergesteckte Metallröhren mit unterschiedlichem Durchmesser und Öffnungen von etwa zehn mal vier Zentimetern. Die äußere Röhre war dabei gegen die innere drehbar. Aufgabe der vierbeinigen Probanden war es nun, die Box zu öffnen und die Röhren so gegeneinander zu verdrehen, dass die Öffnungen übereinanderlagen. Dadurch konnten sie an den Leckerbissen gelangen, der sich in der inneren Röhre befand.

Tatsächlich konnten Füchse diese Aufgabe deutlich besser lösen als ihre größeren Verwandten. Relativierend muss man dazu sagen, dass die Füchse die Aufgabe auch deutlich forscher und explorativer in Angriff nahmen als die anderen vierbeinigen Probanden.11 Auf der anderen Seite decken sich die Feststellungen von Reid und Tousignant aber mit Beobachtungen aus Wildtierstationen: Werden Füchse dort mit Intelligenzspielzeug für Hunde konfrontiert, durchschauen sie den Mechanismus in allerkürzester Zeit, sind dann davon gelangweilt und beginnen, das Spielzeug zu zerlegen.

Testapparatur aus dem Versuch von Reid und Tousignant

Ein vergleichsweise gut untersuchtes Thema ist die Fähigkeit von Tieren, menschliche Gesten zu verstehen. Die Kommunikation mit Menschen gilt dabei allgemein als Paradedisziplin des Haushunds. Über Zehntausende von Jahren sind Hunde durch gezielte Zuchtauswahl darauf optimiert worden, dem Menschen zu dienen und seine Befehle zu verstehen. Im Interpretieren menschlicher Zeigegesten sind Hunde selbst Schimpansen – immerhin nahe Verwandte des Homo sapiens – haushoch überlegen.12 Füchse, so sollte man meinen, dürften im direkten Vergleich ebenso chancenlos sein wie andere wild lebende Hundeartige. Schließlich gehört es nicht unbedingt zum Alltag eines Fuchses, von freundlichen Menschen per Fingerzeig auf das nächste Mäusebistro hingewiesen zu werden.

Umso faszinierender ist, dass selbst Wildfüchse mitunter in der Lage sind, einen menschlichen Fingerzeig korrekt zu interpretieren.13 Noch viel besser gelingt das Füchsen, die seit Generationen gezielt auf Zahmheit selektiert werden, wie es etwa in einem bekannten (aber ethisch fragwürdigen) russischen Langzeitexperiment der Fall ist. Nach gut sechzig Jahren Zuchtauswahl können die heute dort geborenen Fuchswelpen Zeigegesten ebenso gut deuten wie junge Hunde.14 Manche Biologen sind daher überzeugt, dass Füchse die intelligenteren Hunde geworden wären, hätte man sie anstelle des Wolfs domestiziert.15

Tricks und Täuschung

Wie andere Hundeartige auch, sind Füchse ziemlich verspielt – und zwar so sehr, dass wir diesem Thema ein eigenes Kapitel gewidmet haben. Spiele sind aber auch großartige Gelegenheiten, die eigenen geistigen Fähigkeiten zu erproben und zu trainieren. Die Autorin Lucy Jones beschreibt beispielsweise, wie Fuchs Henry und Hund Maddy gemeinsam aufwachsen. Henry gelingt es dabei immer wieder, seinem Kameraden Spielzeuge abzuluchsen. Er demonstriert Desinteresse, streunt im Raum umher und schaut mal hierhin, mal dorthin. Das begehrte Objekt würdigt er dabei keines Blickes. Unbemerkt von Maddy, nähert der Fuchs sich dem Spielzeug dabei jedoch Stück für Stück an – und schnappt es dem verdutzten Hund schließlich blitzschnell vor der Nase weg.16

Dass Füchse äußerst geschickt ablenken und täuschen können, habe ich schon am eigenen Leib erfahren. Als ich vor Jahren gemeinsam mit meiner heutigen Ehefrau sowie einem befreundeten Paar eine Wildtierstation im Saarland besuchte, überreichte der Betreiber zu Anfang jedem von uns ein Exemplar eines neuen Flugblatts über Füchse, das er gerade aus der Druckerei geholt hatte. Jeder von uns verstaute den Flyer dort, wo gerade Platz war – meine Frau in ihrer Handtasche, ich steckte meinen in die Gesäßtasche meiner Jeans, unsere Freunde deponierten ihre Flugblätter in ihren Jackentaschen. Wenig später besuchten wir einen der in der Station untergebrachten Füchse in seinem Gehege. Snoopy war von klein auf an Menschen gewöhnt, und obwohl er uns Neuankömmlingen zunächst eine gehörige Portion fuchstypisches Misstrauen entgegenbrachte, fasste er rasch Mut. Es dauerte keine Viertelstunde, bis er sich auf Schrittweite an uns herantraute und uns, mit federndem Gang durch das Gehege laufend, in mal weiterem, mal etwas engerem Bogen umkreiste. An uns selbst schien er dabei kein großartiges Interesse zu haben, und selbst die Leckerlis, die wir ihm hinwarfen, ließen Snoopy erstaunlicherweise ziemlich kalt. Vielleicht hätte uns das eine Warnung sein müssen.

Als Snoopy wieder einmal hinter mir vorbeilief – ich war in die Hocke gegangen, um ihm etwas näher zu sein –, spürte ich plötzlich eine Fuchsschnauze unter meiner Strickjacke. Verdutzt stellte ich fest, dass er sich das Flugblatt aus meiner Gesäßtasche geschnappt hatte. Das Ganze war so schnell gegangen, dass ich nicht die geringste Chance zum Eingreifen gehabt hatte. Snoopy hatte nicht einmal seinen Lauf merklich verlangsamt. Nur wenig später, nachdem der Fuchs seine Beute in einer Ecke des Geheges abgelegt hatte, war dann die Handtasche meiner Frau an der Reihe. Der Deckel war nur lose über die Tasche geworfen, und so verschwand – abermals ganz beiläufig und im Vorbeihuschen – zielsicher eine Fuchsschnauze darin, nur um Sekundenbruchteile später mit dem erbeuteten Flyer wieder herausgezogen zu werden. Ein paar Minuten später folgten dann die Flugblätter unserer Freunde – die inzwischen natürlich wussten, was kommen würde, das Spiel Snoopy zuliebe aber mitspielten.

So, wie Henrys scheinbares Desinteresse Maddy in die Irre führte, gelang es Snoopy, unsere Aufmerksamkeit spielerisch von den eigenen Absichten abzulenken. Solche Verhaltensweisen sind letztlich nichts anderes als raffinierte Täuschungsmanöver. Während ein Frontalangriff eine direkte Abwehrreaktion oder die Flucht des Opfers zur Folge hätte, wiegt man es stattdessen in Sicherheit und schlägt dann zu, wenn das Gegenüber es am wenigsten erwartet.

Auf ganz ähnlichen Mechanismen beruht auch das sogenannte »Charming«, eine besondere Jagdtechnik, die Füchsen nachgesagt wird. Schnelle und wendige Beutetiere sind für Füchse nur zu erwischen, wenn das betreffende Tier entweder geschwächt ist oder der Fuchs es überraschen kann. Beim Charming setzt der Fuchs daher gezielt auf Täuschung, um sich einem Kaninchen zu nähern, ohne dessen Flucht zu provozieren. Er springt in die Luft und schnappt dabei nach seinem eigenen Schwanz oder läuft mit abgewandtem Blick hin und her. Mit seinem scheinbar ziellosen Verhalten wiegt der Fuchs das Kaninchen in Sicherheit, während er ihm dabei ganz beiläufig immer näher kommt. Ist er schließlich in Sprungweite, packt er blitzartig zu und erbeutet sein Opfer. Auch wenn ich das Charming noch nicht persönlich beobachten konnte, erscheint es mir angesichts meiner Erlebnisse mit anderen füchsischen Verhaltensweisen durchaus plausibel. Immerhin ist es den Ablenkungsmanövern, mit denen Henry und Snoopy an ihre »Beute« gelangten, ziemlich ähnlich.

Nicht minder interessant ist eine andere (Täuschungs-)Leistung, mit der mein Freund Thorsten von seinem langjährigen vierbeinigen Dauergast Lucky hereingelegt wurde. Thorsten betreibt eine vorbildliche Fuchsauffangstation in Süddeutschland. Dort nimmt er Jahr für Jahr verwaiste Fuchswelpen auf, um sie großzuziehen und im Spätsommer wieder auszuwildern. Die Haltungsbedingungen sind optimal, mit riesigem Waldgehege und reichlich Freiraum für die Tiere, um die Mäusejagd zu üben und ausreichend Distanz zu Menschen zu halten. Lucky gehörte zu den wenigen Füchsen in Thorstens Station, die nicht mehr ausgewildert werden konnten, weil sie zu lange unter Menschen gelebt hatten. Hätte man versucht, Lucky die Freiheit zu schenken, wäre er wohl unter Protest in sein Gehege zurückgekehrt – das Leben in menschlicher Obhut fand er schlichtweg viel zu bequem. Fast jeder Fuchs, den ich kenne, hätte sofort Reißaus genommen, hätte man ihn im Garten frei herumlaufen lassen – nicht so Lucky. Er genoss daher Sonderrechte, und er war in jeder Hinsicht eine wirklich besondere Fuchspersönlichkeit.

Thorsten lernte Lucky kennen, als dieser noch in einem Tierpark lebte. Als Hobby-Tierfotograf und Dauerkarteninhaber mit ausgezeichneten Wildtierkenntnissen durfte Thorsten das Fuchsgehege betreten und Lucky hier und da auch einmal Leckerlis geben. Eines Tages bewahrte Thorsten die Leckerlis für Lucky in seiner Kameratasche auf. Der Fuchs erschnüffelte sie sofort, doch sie blieben unerreichbar für ihn, weil Thorsten als unüberwindbares Hindernis zwischen Fuchs und Tasche kniete. Als Thorsten eine dringende Textnachricht auf seinem Handy beantworten musste, versuchte Lucky, sich heimlich an ihm vorbeizuschleichen, doch sein zweibeiniger Freund bemerkte das und blockierte den Zugang zur begehrten Futterquelle erneut mit seinem Körper. Lucky hatte aber wohl begriffen, dass das seltsame Objekt, das Thorsten da in der Hand hielt, irgendwie für seinen Freund interessant sein musste.

Plötzlich schnappte Lucky zu, entriss Thorsten das Telefon und lief damit davon. Thorsten sprang sofort auf und lief Lucky nach, befürchtend, dass der Fuchs das Handy irgendwo in den Tiefen seines Baus verstecken könnte. Lucky war davon jedoch wenig beeindruckt. Er wirkte nicht erschrocken, so wie Thorsten es von Hunden und auch anderen Füchsen kannte, die etwas stibitzt hatten und dann entweder Fersengeld gaben oder die Beute fallen ließen. Stattdessen blieb Lucky cool, hielt in einiger Entfernung inne und blickte sich zu Thorsten um. Als dieser sich ein Stück genähert hatte, lief Lucky ohne sonderliche Eile bis zum Gehegezaun und ließ das Handy dort fallen. Während Thorsten noch damit beschäftigt war, das Gerät auf Beschädigungen zu überprüfen, hatte der Fuchs die Tasche mit den Leckerlis längst geplündert.

Es sieht ganz so aus, als hätte Lucky sich gezielt überlegt, wie er seinen menschlichen Freund von dem begehrten Futter weglocken könnte, und dabei treffsicher vorhergesehen, wie Thorsten auf den Diebstahl seines Handys reagieren würde. Solche Pläne zu schmieden erfordert die Fähigkeit, nicht nur mehrere Schritte des eigenen Handelns zu planen, sondern auch komplexe Reaktionen des Gegenübers vorauszusagen. Das ist Problemlösen auf ziemlich hohem Niveau.

Fuchs Lucky und die Mobilfunktechnik

Füchsische Gedächtnisleistung

Füchse verfügen jedoch nicht nur über ausgeprägte Problemlösefähigkeiten, sondern haben zudem ein ziemlich gutes Gedächtnis. Bei den Versuchen von Reid und Tousignant fiel auf, dass Füchse sich im Vergleich zu Wölfen und Mähnenwölfen wesentlich stärker auf ihre Erinnerung verließen. Präsentierte man ihnen in mehreren aufeinanderfolgenden Experimenten gleichzeitig mehrere Boxen, von denen nur eine die begehrten Leckerlis enthielt, schnüffelten sie nicht wie ihre Verwandten einfach nur nacheinander an den Behältnissen, bis sie das richtige gefunden hatten. Stattdessen begaben sie sich erst einmal zu demjenigen, bei dem sie im vorherigen Durchlauf fündig geworden waren.17

In freier Wildbahn hilft das Gedächtnis Füchsen zum Beispiel beim Wiederfinden verbuddelter Nahrung. Im Gegensatz zu manchem Menschen sind Füchse nämlich ganz und gar keine Freunde von Essensverschwendung. Haben sie mehr Beute gemacht, als sie verzehren können, verstecken sie den Rest für später, indem sie ihn vergraben und sorgsam mit Erde, Steinchen, Laub oder Gräsern bedecken. Diese Vorratshaltung wird unter Biologen »Caching« genannt. Manche Füchse gehen dabei mit großer Akribie zu Werk, damit potenzielle Futterneider nicht auf das Versteck aufmerksam werden.

Ein derart gründlich getarntes Futterdepot kann man natürlich nur dann wieder auffinden, wenn man sich genau gemerkt hat, wo es sich befindet. Füchse haben zwar eine ziemlich gute Nase, aber je nach Art der vergrabenen Nahrung hilft diese allenfalls bei der Feinortung im Zentimeterbereich: Als der angesehene Säugetierbiologe und Fuchsexperte David Macdonald die Futterverstecke eines Fuchses in dessen Abwesenheit ausgrub und weniger als einen Meter daneben wieder sorgsam verbuddelte, gelang es dem Fuchs nicht mehr, die Nahrung wiederzufinden.18 Grundsätzlich ist das natürlich erwünscht, denn sonst wäre es ja auch eventuellen Konkurrenten ein Leichtes, die Verstecke zu finden und zu plündern. Füchse müssen sich hier also auf ihr Gedächtnis verlassen – und das klappt beeindruckend gut. Der Hamburger Zoologe Vitus B. Dröscher berichtet etwa, wie ein Fuchs vierundvierzig von fünfundvierzig Nahrungsdepots wiederfand.19 Wer seinen Kindern jemals zu Ostern Schokolade im Garten versteckt hat, nur um noch im Hochsommer bei der Gartenarbeit deformierte Häschen zu entdecken, weiß, wie schwierig so eine Quote zu erreichen ist.

Supersinne

Im täglichen Überlebenskampf eines Fuchses kommt es aber auf mehr an als auf Intelligenz und ein gutes Gedächtnis. Was nützt die tollste List, wenn man den Jäger hinter seiner Tarnung nicht erspähen, den Hund auf der anderen Seite des Gartenzauns nicht erschnuppern und das Rascheln einer Maus im Herbstlaub nicht orten kann? Tatsächlich stehen die Sinnesleistungen eines Fuchses seiner sprichwörtlichen Schläue aber nicht im Geringsten nach.

Einen ersten Eindruck davon bekommt man, wenn man einem Fuchs bei der Mäusejagd in schneebedeckter Landschaft zusieht. Eben noch lautlos durch die weiße Pracht streifend, hält er unvermittelt inne. Die Muskeln gespannt und einen Vorderlauf angehoben, richtet der Fuchs Augen und Ohren auf den unberührten Schnee wenige Meter vor ihm. Absolut nichts deutet für einen Menschen darauf hin, dass sich hier ein Beutetier befinden könnte. Der Fuchs wendet den Kopf mal ein wenig nach links, mal nach rechts; wieder und wieder bewegen sich dabei die spitzen Ohren. Schließlich setzt er unendlich vorsichtig die Pfote ab und macht im Zeitlupentempo noch einen halben Schritt nach vorne. Dann, urplötzlich, katapultiert er sich in einem eleganten Bogen in die Luft und stößt mit Vorderpfoten und Schnauze zugleich in den Schnee. Als er den Kopf wieder hebt, hält er eine erbeutete Maus in den Fängen.

Das füchsische Erfolgsgeheimnis bei der Mäusejagd im Schnee ist der extrem gute Hörsinn. Fuchsohren sind deutlich empfindlicher als die eines Menschen und nehmen hochfrequente Töne von bis zu 65 Kilohertz wahr, während der menschliche Hörbereich schon bei etwa 20 Kilohertz endet. Zudem können Füchse ihre Ohren sehr exakt ausrichten. Dadurch sind sie in der Lage, die Geräusche einer Maus noch unter einer dreißig Zentimeter dicken Schneedecke punktgenau zu orten.

Neben dem Hörsinn spielt auch der Geruchssinn im Leben eines Fuchses eine große Rolle. Ob bei der innerartlichen Kommunikation mit Duftmarken, dem Wittern verdächtiger menschlicher Gerüche oder beim Verfolgen der Spur eines Beutetiers, überall kommt es auf die Nase an. Und die hat es beim Fuchs im wahrsten Sinne des Wortes in sich: Feine Knochenstrukturen in ihrem Innern sorgen dafür, dass in der vergleichsweise kleinen füchsischen Nasenhöhle eine Riechschleimhaut mit riesiger Oberfläche Platz findet. Da Füchse zudem über ein Vielfaches der Riechzellen eines Menschen verfügen, dürften sie durch ihre Nase ungleich mehr über ihre Umwelt erfahren als wir.

Auch das Sehvermögen von Füchsen ist optimal an ihre Lebensbedingungen angepasst. Schaut man einem Fuchs in die Augen, fallen sofort die vertikal geschlitzten Pupillen auf, die eher an eine Katze als an einen engen Verwandten von Wolf und Hund erinnern. Der größte Vorteil dieser Pupillenform ist, dass sie im Nahbereich eine sehr akkurate Tiefenwahrnehmung ermöglicht.20 Bodennahen Kleintierjägern wie Fuchs und Katze hilft diese einerseits bei der exakten Ortung von Beutetieren. Andererseits ist sie aber auch auf der Flucht von großem Nutzen. Wer einmal beobachtet hat, wie ein Fuchs in vollem Lauf durch Unterholz und Gebüsch navigiert oder millimetergenau unter Zäunen hindurchtaucht, bekommt einen Eindruck davon, wie gut das funktioniert.

Die vertikalen Schlitzpupillen führen allerdings auch dazu, dass Füchse auf größere Distanzen weniger scharf sehen als wir Menschen. Zudem haben sie vermutlich nur eine stark eingeschränkte Farbwahrnehmung. Dafür sind ihre Augen aber wie bei vielen anderen Tieren mit einer reflektierenden Schicht im Augenhintergrund versehen, dem sogenannten Tapetum lucidum. Es ist auch dafür verantwortlich, dass Fuchsaugen im Scheinwerferlicht regelrecht aufleuchten, weil es einfallendes Licht zurückwirft. Da das Licht die Netzhaut dabei ein zweites Mal passiert, fungiert das Tapetum lucidum letztlich als Restlichtverstärker, mit dessen Hilfe dämmerungs- und nachtaktive Tiere bei Dunkelheit deutlich besser sehen können als wir Menschen.

Es ist aber nicht nur so, dass die Sinne von Füchsen in vielerlei Hinsicht besser ausgeprägt sind als die unseren. Wie ein Team aus tschechischen und deutschen Forschern feststellte, scheinen sie sogar über Sinneswahrnehmungen zu verfügen, für die es bei uns Menschen schlichtweg keine Entsprechung gibt. Als die Wissenschaftler Füchse bei der Mäusejagd beobachteten, stellten sie verwundert fest, dass die Tiere Sprünge in nordöstlicher Richtung stark bevorzugten. Mäusesprünge in dieser Richtung waren nicht nur häufiger, sondern hatten auch eine viel höhere Erfolgsquote als Sprünge in andere Himmelsrichtungen. Der Effekt zeigte sich unabhängig von Tages- und Jahreszeit, Windrichtung, Witterung und Bewölkung des Himmels oder Alter und Geschlecht des Fuchses und war umso ausgeprägter, je schlechter die Sicht des Fuchses auf sein Beutetier war.

Die Forscher schlossen daraus, dass Füchse die Fähigkeit haben, das Erdmagnetfeld wahrzunehmen und es sich bei der Mäusejagd zunutze zu machen. Wenn wir zum Beispiel einen Laserpointer in einer bestimmten Höhe halten und in einem konstanten Winkel gegen den Boden richten, hat der Leuchtpunkt immer die gleiche Entfernung zu uns, wenn wir damit umherlaufen. Analog dazu könnte ein Fuchs, der ein Beutetier zwar hört, aber nicht sieht, sich beispielsweise so lange auf die Beute zubewegen, bis die Richtung zur Geräuschquelle in einem bestimmten Verhältnis zur Ausrichtung des Erdmagnetfelds steht. Daraus ergibt sich die Distanz zum Zielpunkt des Beutesprungs ebenso exakt wie in unserem Laserpointer-Beispiel. Der Fuchs könnte bei Sprüngen in Richtung des Erdmagnetfelds also eine hochgradig spezialisierte und tausendfach eingeübte Bewegungsfolge abspulen, während bei anderen Orientierungen Sprungrichtung, -weite und -winkel jedes Mal variieren.21

Wie genau Füchse das Erdmagnetfeld wahrnehmen, ist noch nicht erforscht. Manche nachtaktiven Zugvogelarten verfügen zum Beispiel über sogenannte Cryptochrome in bestimmten Zelltypen der Netzhaut. Dabei handelt es sich um Proteine, die es den Tieren wohl ermöglichen, das Erdmagnetfeld visuell wahrzunehmen. Bestätigen weitere Forschungsarbeiten die These des tschechisch-deutschen Teams, dürften Füchse jedoch die ersten bekannten Tiere sein, die das Erdmagnetfeld zur Jagd nutzen.

Survival of the smartest

Wie wir gesehen haben, sind Füchse durchaus in der Lage, auch Menschen auszutricksen – und für viele von ihnen ist das im wahrsten Sinne des Wortes (über)lebensnotwendig. Menschen haben nämlich schon immer viel Zeit und Erfindergeist investiert, um Füchsen nachzustellen. Nur ein Fuchs, der alle seine Sinne nutzt, der aus jeder Erfahrung lernt, der Veränderungen an seiner Umgebung nicht nur bemerkt, sondern auch richtig deutet und der Feinden immer den einen sprichwörtlichen Schritt voraus ist, kann in einer so feindseligen Umgebung überleben. Es verwundert daher nicht, dass gerade Jagdberichte reich an Anekdoten über die Überlebenskünste von Füchsen sind.