Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 464 - Maria Treuberg - E-Book

Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 464 E-Book

Maria Treuberg

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Beschreibung

Trotz aller Not
Erschütternder Roman um ein hartes Mädchenschicksal

Für Anna Holthus und ihren Mann ist es wie ein Wunder, als sie eines Nachts von einem leisen Weinen geweckt werden und kurz darauf ein ausgesetztes Baby vor ihrer Tür finden. So viele Jahre haben die frommen Bauersleute vergebens um ein Kindchen gebetet, und nun hat der Herrgott es ihnen auf diese Weise geschenkt.
Damit später niemand mit Fingern auf ihre Tochter zeigen kann, beschließen sie noch in derselben Nacht, das Findelkind als ihr eigenes auszugeben. Ein Betrug, der ihnen viele Jahre später zum Verhängnis werden soll ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Trotz aller Not

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: skynesher / iStockphoto

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 9-783-7325-8385-0

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Trotz aller Not

Erschütternder Roman um ein hartes Mädchenschicksal

Für Anna Holthus und ihren Mann ist es wie ein Wunder, als sie eines Nachts von einem leisen Weinen geweckt werden und kurz darauf ein ausgesetztes Baby vor ihrer Tür finden. So viele Jahre haben die frommen Bauersleute vergebens um ein Kindchen gebetet, und nun hat der Herrgott es ihnen auf diese Weise geschenkt.

Damit später niemand mit Fingern auf ihre Tochter zeigen kann, beschließen sie noch in derselben Nacht, das Findelkind als ihr eigenes auszugeben. Ein Betrug, der ihnen viele Jahre später zum Verhängnis werden soll …

Anna Holthus richtet sich in den Kissen auf, als die Tür geht. Ihr Mann steht auf der Schwelle. Er hält ein Bündel im Arm. Er ist kalkbleich, aber seine Augen lodern.

„Was ist passiert?“ Nun verspürt die Bäuerin ein würgendes Angstgefühl. So hat sie Heiner noch nicht gesehen. Warum kommt er nicht näher? Warum zeigt er ihr nicht, was er gefunden hat?

„Anna.“

Das Herz der Frau flattert. Sie möchte aufstehen, vermag sich aber nicht zu rühren.

„Was ist denn, Heiner?“, fragt sie noch einmal.

Noch ehe Anna Holthus erkennen kann, was er auf dem Arme trägt, liegt das Bündel vor ihr auf der Decke. Und gleichzeitig ist ein feines klagendes Geräusch zu vernehmen. Es klingt wie das Mauzen eines hungrigen Kätzchens.

Die Frau presst beide Hände auf den Mund und starrt in das schmuddelige Kindergesichtchen, das aus dem feuchten, zerrissenen Steckkissen schaut.

„Um Gottes willen, Heiner!“

Der Bauer kniet neben dem Bett nieder. Seine Blicke hängen verzückt an dem kleinen Findling.

„Es ist ein Kindchen, Anna.“

Seine Worte könnten einfältig klingen, wüsste Anna Holthus nicht genau, wie sie gemeint sind. Die Frau fühlt ein Brennen hinter den Lidern. Nie hat sie das Fehlen eines eigenen Kindes so schmerzlich verspürt wie in diesen Minuten.

„Ja, Heiner! Aber wo kommt es her?“

„Bello muss es irgendwo gefunden haben.“

„O Gott, die armen Eltern.“

„Die armen Eltern?“ Die Stirn Heiners hat sich gefaltet. „Woher weißt du denn, ob sie das Würmchen nicht ausgesetzt haben?“

„Ach, glaubst du wirklich?“

„Nun, unser Hund hat das Kleine bestimmt nicht aus einem Haus geholt.“

„Nein, du hast recht, das ist nicht anzunehmen.“

„Und wir wohnen sehr einsam, der nächste Hof liegt zwanzig Kilometer ab. So weit ist das Tier nicht gelaufen. Außerdem gibt es in der Nachbarschaft gar keinen Säugling. Oder weißt du von einem?“

„Nein.“

Sie blickten beide auf das Kind, das die Fäustchen vor die Augen presst. Plötzlich beginnt es wieder zu weinen.

„Es wird hungrig sein, Anna.“

„Ach ja. Wer weiß, wie lange es nichts zu essen bekommen hat.“

Anna steigt aus dem Bett und wirft sich hastig ein paar Kleidungsstücke über. Heiner nimmt das Bündel hoch und geht mit dem schreienden Kind hin und her. Er flüstert dabei leise, beruhigende und sehr zärtliche Worte, die ihm niemand zugetraut hätte.

Wirklich hört das Kleine auf zu weinen und starrt mit erstaunten blauen Augen in das Männergesicht. Und als Anna zurückkommt und die Arme nach dem Bündel ausstreckt, scheint der Mann es nur widerwillig herzugeben.

„Du musst es vorsichtig anfassen, es ist noch sehr klein.“

„Oh, nur keine Angst, ich habe einen Kursus in Kinderpflege mitgemacht“, erwidert Anna Holthus lächelnd. „Wir wollen dem Kind erst etwas zu essen geben. Waschen können wir es dann hinterher.“

Gierig saugt das Kleine an dem Fläschchen. Es schließt dabei die Augen und schmatzt zufrieden.

„Es stammt aus guter Familie“, flüstert Anna. „Schau doch, was es für hübsche Sachen trägt.“

„Ist es ein Bub oder ein Mädel?“

„Ein Mädel“, sagt Anna sofort.

„Ein Mädchen also!“, stellt Heiner enttäuscht fest.

„Es kann nicht nur Buben geben, du dummer Kerl! Die Kleine ist doch herzig!“

„Was meinst du, wie alt ist das Baby, Anna?“

„Das ist schwer zu sagen. Vor drei oder vier Wochen geboren, schätze ich. Aber was machst du denn da?“

Heiner reißt das ganze Steckkissen auseinander.

„Ich suche nach einem Anhaltspunkt“, sagt er. „Wenn man schon ein Kind aussetzt, legt man dann nicht einen Zettel dabei? Aber ich finde nichts, unsere Kleine muss eine Rabenmutter gehabt haben.“

Später legen sie das Kind zwischen sich ins Bett und löschen das Licht. Schlaf finden sie beide lange nicht.

„Du weinst doch nicht?“, flüstert Heiner Holthus in die Dunkelheit und drückt die schmale Hand seiner Frau. „Das brauchst du nicht, Anna! Nein, du brauchst nie mehr zu weinen, hörst du?“

„Ist ja schon gut, Heiner“, erwidert die Bäuerin.

So viele Jahre ihrer Ehe hat sie vergebens auf ein Kind gehofft. Nun scheint es, als sei ihr verzweifeltes Gebet erhört worden.

♥♥♥

Am nächsten Morgen werden sie vom Weinen des Kindes geweckt. Aber sie sind nicht böse darüber, sie lächeln sich zu.

„Nimm es ein bisschen“, sagt Anna, „ich hole Milch.“

Die Kleine wird gefüttert, gewaschen und frisch gewickelt.

„Das Kind ist wirklich süß“, meint der Bauer schließlich, „auch wenn es nur ein Mädchen ist. Du, Anna, wir müssen jetzt ganz genau überlegen, was wir zu tun haben.“

„Was gibt es da zu überlegen, Heiner? Du musst ins Dorf fahren und die Geschichte dem Bürgermeister und dem Pfarrer melden. Würdest du die Kleine behalten wollen, falls die Eltern sich nicht finden?“

„Ja, ich will das Kind behalten. Es darf sich niemand finden, der Anspruch darauf erhebt, verstehst du?“

„Nein, Heiner, nicht ganz.“

Er legt die Hände auf ihre Schultern.

„Ich habe ein Jahr lang um einen Erben gebetet und du wahrscheinlich auch. Jetzt ist er da!“

„Aber …“

„Anna, ich will nicht länger warten müssen. Es ist ein Wunder geschehen, ein Kind ist vom Himmel gefallen. Das ist kein Zufall, das hat der Herrgott so bestimmt.“

Die Bäuerin lächelt zaghaft.

„Wenn die Kleine ausgesetzt wurde, Heiner – und wie sollte es wohl anders sein –, dann ist man sicher froh, wenn wir sie behalten. Fahr nur gleich ins Dorf.“

„Du hast mich nicht verstanden, Anna. Ich will kein Findelkind, ich will ein eigenes. Man soll später nicht mit Fingern auf unsere Tochter zeigen und hinter ihrem Rücken tuscheln.“

Anna schaut ihren Mann zweifelnd an.

„Niemand weiß, wie das Kind in unser Haus kam. Nachbarn sind monatelang nicht auf unserem Hof gewesen, Mägde und Knechte gibt es zu dieser Jahreszeit nicht viele. Ich rede mit dem Gesinde, das dich ebenfalls kaum zu Gesicht bekommen hat. Und ich fahre ins Dorf und melde auf dem Pfarramt die Geburt unserer Tochter an.“

„Das ist Betrug, Heiner, das darfst du nicht“, entgegnet Anna erregt. „Die Eltern könnten sich finden, dann bestraft man dich. Oder unser Herrgott zieht dich zur Rechenschaft.“

„Unser Herrgott?“ Heiner Holthus sieht sehr zuversichtlich aus. „Nein, der hat mir diesen kleinen Engel ins Haus geschickt. Lass mich nur machen, Anna. Es ist zwar nur ein Mädchen, aber es wird eines Tages heiraten und selbst wieder Kinder haben. Wir werden nicht mehr allein sein, Annchen.“

„Heiner“, flüstert Anna, „das kann nicht gut gehen …“

„Still, Annchen! Natürlich werde ich vorsichtig sein. Ich werde sogar ein paar Tage warten, bis ich das Kind anmelde, und mich derweil in der Gegend umhorchen. Meldet sich niemand und höre ich nichts, dann jedoch …“

Mit der Rechten macht Heiner Holthus eine energische Bewegung.

„Bleibe du mit der Kleinen im Haus, zeige dich nicht draußen, und vertraue mir, Anna!“

Die Frau wagt es nicht, sich länger aufzulehnen. Mit Tränen in den Augen drückt sie das fremde Kind an ihre Brust.

Kurz darauf tritt der Bauer vor das Gesinde, das beim Frühstück sitzt.

„Hört her! Die Bäuerin hat in der Nacht ein Kind geboren, ein Mädchen. Es geht ihr nicht gut. Ich wünsche, dass ihr euch sehr ruhig verhaltet und das Haus nicht betretet.“

Dann legt Heiner Holthus einen Hundertmarkschein auf den Tisch.

„Fahrt ins Dorf und holt euch Bier und Schnaps. Aber sprecht nicht eher über die Geburt meiner Tochter, bis ich das Kind selbst angemeldet habe.“

Große Augen starren den Bauern an. Ein Kind? Niemand hat etwas davon bemerkt. Zwar hat man die Bäuerin nur selten gesehen, und immer hat sie dann eine mächtige Schürze getragen.

Seltsam ist die Geschichte trotzdem, und so herrscht einen Moment Stille.

Endlich springt einer vom Tisch hoch und streckt dem Brotgeber verlegen die Hand hin.

„Dann gratulieren wir auch, Bauer.“

„Danke!“ Holthus nickt reserviert und geht davon.

So, der erste Schritt ist getan. Alles Übrige würde nur noch ein Kinderspiel sein.

Der nächste Weg führt den Bauern in die Küche, wo Babett, die fast Siebzigjährige, zu finden ist. Sie hat ihn schon als kleinen Buben auf den Knien gehalten. Aber ihre alten Augen sind noch immer so scharf, dass man sie schlecht täuschen kann.

Darum erzählt Heiner Holthus Babett die Wahrheit.

„Du bist der Herr, und du musst wissen, was du tust. Auf mich kannst du dich verlassen, Heiner Holthus.“

„Danke, Babett, ich wusste es!“

Drei Tage lässt der Bauer noch verstreichen, und nichts weist darauf hin, dass jemand ein Kind sucht.

Und so spannt Heiner Holthus am Montagmorgen die Apfelschimmel vor den leichten Wagen und fährt ins Dorf. Er trägt seinen besten Anzug, in seinen Augen leuchtet es stolz auf. Er hält vor dem Pfarrhaus und zieht an der altmodischen Glocke.

„Holthus?“, fragt der Geistliche überrascht, als man den seltenen Gast zu ihm ins Zimmer führt. „Ich weiß nicht mehr, wann wir uns zuletzt gesehen haben.“

„Es war vor fast einem Jahr, Herr Pfarrer.“

„Nehmen Sie doch Platz, Heiner Holthus. Wie geht es Ihrer lieben Frau?“

In dem harten braunen Gesicht zuckt kein Muskel.

„Danke, wir müssen zufrieden sein. Die Anna hat ein Kind geboren. Ich bin hier, um es anzumelden.“

Überrascht blitzt es in Pfarrer Rötlings Augen auf.

„Was Sie nicht sagen, Holthus! Und dann machen Sie solch eine Leichenbittermiene? Ist es ein Bub oder ein Mädel?“

„Ein Mädel.“

„Danken Sie unserem Herrgott trotzdem, auch wenn es nicht der ersehnte Junge ist.“

„Oh, das tue ich!“

„Dann ist es gut, Holthus. Ich fürchtete schon, sie zürnten jetzt Ihrer Frau. Wie soll die Kleine heißen?“

„Dörthe.“

Ein Lächeln legt sich um Pfarrer Rötlings faltigen Mund.

„Dörthe kommt von Dorothea und bedeutet so viel wie Gottesgabe. Haben Sie das gewusst, Holthus?“

„Oh ja, wir haben ein altes Buch, in dem alle Namen erklärt werden. Anna und ich haben lange nach dem passenden Namen gesucht.“

„Wie ich mich für euch freue“, sagt der Geistliche warm. „Wollen wir die Formalitäten gleich erledigen?“

„Bitte.“

Als die Apfelschimmel eine Stunde später wieder heimwärts traben, wirken die Züge des Bauern gelöst. Er pfeift sogar ein Liedchen vor sich hin.

Heiner reicht seiner Frau die Geburtsurkunde hinüber, als er wieder auf dem Einödhof angekommen ist.

„Da! Wir haben eine Tochter, Anna. Ein Kind, das uns ganz allein gehört. Liebes, ich bin der glücklichste Mensch unter der Sonne.“

Er reißt die Frau an seine Brust, und sie liegt still an seinem Herzen, das man heftig klopfen hört.

Anna Holthus denkt: Herrgott im Himmel, lass es gut gehen. Hoffentlich kommt nicht doch noch jemand und nimmt uns Dörthe wieder weg.

♥♥♥

So verstreichen ein paar Wochen. Es werden neue Knechte und Mägde eingestellt, die man im Winter nicht brauchte. Die Arbeit beginnt sich zu häufen. Und eines Tages rollt dann der Wagen des alten Daniel auf den Hof.

Daniel ist ein Faktotum, in der Gegend weit und breit bekannt. Er nennt sich stolz Kaufmann und ist doch nicht viel mehr als ein Hausierer. Auf seinem wackligen Karren, der von einem Esel gezogen wird, ist von der Stecknadel bis zu Holzpantinen alles zu finden. Er klappert die verstreuten, einsamen Gehöfte ab und macht dabei ein einträgliches Geschäft.

Zweimal im Jahr lässt Daniel sich blicken, und er bringt dann nicht nur seine Trödlerware, sondern stets auch einen Sack voller Neuigkeiten mit. Und darauf ist man ganz besonders gespannt, da der Einödhof für gewöhnlich weder eine Zeitung noch einen Briefträger zu sehen bekommt.

Daniel sitzt beim Gesinde und muss erzählen. Selbstverständlich wird auch ihm erzählt, dass dem stolzen Bauern ein offenbar krankes Kind geboren worden sei, weil es noch niemand gesehen hat.

Doch ehe sich der alte Mann zu dieser traurigen Geschichte äußern kann, steht Heiner Holthus plötzlich in der Tür.

„Sieh da, Daniel, wieder einmal im Lande? Komm doch mit hinüber ins Haus, du kannst uns beim Essen Gesellschaft leisten. Meine Frau und ich möchten gern hören, was so in der Welt passiert.“

Es ist ungewöhnlich, dass der reiche Bauer den armen Trödler in sein Haus bittet. Aber natürlich geht Daniel mit und weiß kaum, wie ihm geschieht. Er wird wie ein König bewirtet, man schenkt ihm sogar Wein ein.

Daniel erzählt dies und das, dann entschließt er sich, auf den Kernpunkt der Sache zuzusteuern.

„Ich habe euch noch gar nicht zur Tochter gratuliert, Bauer“, sagt Daniel lauernd. „Ich möchte es hiermit herzlich tun.“

Die Zähne blitzen in Heiners braunem, verwittertem Antlitz.

„Danke, Alter! Es wurde auch hohe Zeit für das Kind, meinst du nicht auch?“

„Ach ja, es geht auf der Welt oft seltsam zu. Kinder kommen und gehen, manche sogar auf die seltsamste Weise. Sicher habt ihr von dem schweren Autounglück gehört, das vor ein paar Wochen hier in der Nähe passiert ist? Und von dem Baby, das dabei spurlos verschwand?“

Sekundenlang ist es mucksmäuschenstill im Zimmer. Heiner Holthus spürt das Zittern seiner Frau und drückt unter dem Tisch ihre Hand. Doch auch er muss sich erst fassen.

„Nein, Daniel, uns ist von diesem Unglück nichts zu Ohren gekommen“, sagt er dann. „Du weißt, wie einsam wir hier leben. Aber erzähle doch, was passiert ist.“

„Ein Auto ist mit Höchstgeschwindigkeit auf der Landstraße gegen einen Baum gerast. Das junge Ehepaar war auf der Stelle tot, ihr Baby muss bei dem Aufprall aus dem Wagen geschleudert worden sein. Dass dieses Kind ebenfalls im Auto war, wurde erst Tage später festgestellt. Und es ist bis zum heutigen Tage nicht gefunden worden.“

Anna Holthus schlägt beide Hände vor das Gesicht und schluchzt hinein. Der alte Daniel findet es nett vom Bauern, dass er so zärtlich den Arm um die Schultern der Frau legt und sie tröstet.

„Nicht doch, Annchen, du darfst dich nicht aufregen.“ Und zu dem Trödler: „Sie konnte sich nach der schweren Geburt noch nicht recht erholen. Es ist ja auch eine sehr tragische Geschichte.“

„Ja, das ist es! Ihr freut euch über euer Kind, und woanders beweint man eines. Aber sprechen wir lieber von etwas anderem, wenn es die Bäuerin so erregt.“

Heiner Holthus nickt.

„Geh doch schon hinüber, Annchen, und lege dich schlafen. Ich plaudere noch etwas mit Daniel.“

Er bringt Anna sogar bis an die Tür, dann kehrt er an den Tisch zurück und schenkt die Gläser wieder voll.

„Prosit, Daniel! Was waren es denn für Leute, die auf der Landstraße verunglückt sind?“

Der Alte schlürft den guten Wein mit Wohlbehagen.

„Oh, sehr vornehme, Bauer. Ein Baron mit seiner Gattin, sie wollten zur Erholung in den Süden. Den Namen habe ich vergessen, aber sie kamen aus einer in der Nähe liegenden Stadt, daran erinnere ich mich genau.“

„So, so“, murmelt Heiner Holthus, und plötzlich wirkt er schläfrig.

„Ihr möchtet sicher ebenfalls schlafen gehen, Bauer“, sagt Daniel und steht auf. „Vielen Dank für Speis und Trank und auch für das Nachtquartier.“

„Dafür brauchst du dich nicht zu bedanken, Daniel. Schlaf gut.“

„Ebenfalls, Bauer.“

Anna sitzt im Bett und sieht Heiner mit weit aufgerissenen Augen entgegen.

Er hockt sich neben sie und streichelt ihren schmalen Rücken. Sein Blick hängt dabei an der Wiege, in welcher die kleine Dörthe friedlich schlummert.

„Sorge dich nicht, Annchen“, sagt Heiner seufzend.

„Wie soll ich jetzt noch eine Sekunde Ruhe finden, da ich weiß, woher Dörthe kommt?“, begehrt Anna auf.

„Man kann nicht alles glauben, was Daniel erzählt.“

„Wir hätten den Fund melden müssen, Heiner.“

Auch dem Bauern ist nicht ganz wohl in seiner Haut, obgleich er es nicht zugibt.

„Was hat Daniel noch gesagt?“, verlangt seine Frau zu wissen. „Kennt er den Namen der Eltern?“

„Sie sind tot, du hast es selbst gehört.“

Vor Erregung schluchzt Anna Holthus auf.

„Wenn Dörthes Eltern auch tot sind, so gibt es andere Verwandte, Großeltern oder Onkel und Tante. Wie müssen die um das Kind bangen. Wer sind die Leute, Heiner, sag es mir.“

„Ein Baron und seine Frau. An ihren Namen konnte Daniel sich nicht erinnern.“

„O Gott“, flüstert Anna nur, dann sinkt sie zurück und schließt die Augen. Tränen quellen unter ihren Lidern hervor. „Heiner, Heiner, was nun?“

Der Bauer geht zur Wiege und starrt auf das winzige Menschlein hinunter, das ihm schon so ans Herz gewachsen ist.

„Sie hat es bei uns nicht schlechter als im schönsten Schloss“, sagt er heiser vor sich hin.

„Aber sie gehört uns nicht, Heiner, wir haben großes Unrecht begangen.“