Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 509 - Ursula Freifrau von Esch - E-Book

Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 509 E-Book

Ursula Freifrau von Esch

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Beschreibung

Es ist wie in einem Märchen, als die Hochzeitsglocken für Barbara Heeren und Alexander Hessenburg läuten. Der reiche Professor für Chirurgie mit adeligen Vorfahren und das arme Mädchen aus dem Waisenhaus geben sich, verliebt bis über beide Ohren, das Jawort. Alexanders Großmutter ist von Barbaras Liebreiz entzückt und schließt sie sofort ins Herz. Seine Mutter hingegen ist dieses arme Mädchen ein Dorn im Auge, aber sie macht gute Miene zum bösen Spiel.

Einige Monate nach der Hochzeit fliegt Alexander für ein paar Wochen zu einem Chirurgenkongress nach Brasilien. Und nun fallen seiner Mutter die Beweise dafür, was für ein sauberes Früchtchen sein Sohn da geheiratet hat, förmlich in den Schoß ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Trotz aller Anfechtungen

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Wedding and lifestyle / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-9793-2

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Trotz aller Anfechtungen

Erfolgsroman um den Sieg der Liebe

Es ist wie in einem Märchen, als die Hochzeitsglocken für Barbara Heeren und Alexander Hessenburg läuten. Der reiche Professor für Chirurgie mit adeligen Vorfahren und das arme Mädchen aus dem Waisenhaus geben sich, verliebt bis über beide Ohren, das Jawort. Alexanders Großmutter ist von Barbaras Liebreiz entzückt und schließt sie sofort ins Herz. Seine Mutter hingegen ist dieses arme Mädchen ein Dorn im Auge, aber sie macht gute Miene zum bösen Spiel.

Einige Monate nach der Hochzeit fliegt Alexander für ein paar Wochen zu einem Chirurgenkongress nach Brasilien. Und nun fallen seiner Mutter die Beweise dafür, was für ein sauberes Früchtchen sein Sohn da geheiratet hat, förmlich in den Schoß …

Die verwitwete Konsulin Frau Eugenie Hessenburg, geborene Baroness Dietling, betrachtete sich mit triumphierendem Lächeln in dem kostbaren venezianischen Spiegel, der über der vom Künstler signierten Barockkommode in ihrem mit verschwenderischer Pracht ausgestatteten Salon hing.

Sie konnte mit sich zufrieden sein. Mit ihren Mitte fünfzig war sie noch immer eine elegante Erscheinung, die allerseits bewundernde Blicke auf sich zog.

Doch es war nicht ihr Äußeres, das die Konsulin so zufrieden mit sich sein ließ, obgleich sie allen Grund dazu gehabt hätte. Das schmal geschnittene schwarze Seidenkleid betonte die jugendliche Straffheit ihrer Figur, ihr tadelloses, dezentes Make-up ließ einen Fremden sie auf höchstens Ende vierzig schätzen, und ihr reiches, schön frisiertes blondes Haar hatte gerade so viele graue Strähnen wie nötig waren, um ihr etwas herbes Gesicht mit den schmalen Lippen und der aristokratisch etwas zu langen Nase etwas weicher erscheinen zu lassen.

Auch die fünffache Perlenkette mit dem blau blitzenden Brillantschloss, die funkelnden Ringe an den gepflegten Händen, die teuren Armbänder und Ohrclips – alle diese sichtbaren Dinge waren es nicht, die die Konsulin so zufrieden sein ließen.

Der Grund war ein anderer. Heute Abend würde sich ihr über alles geliebter, einziger Sohn verloben. Und zwar mit der einzigen Frau, die ihr, der besorgten und ehrgeizigen Mutter, für diesen Sohn, einen bekannten Professor der Unfallchirurgie, als würdig erschienen war: der schönen Gräfin Ursula Rensfeld. Sie war die letzte Trägerin dieses Namens.

Vielleicht war die Konsulin so begeistert von ihrer zukünftigen Schwiegertochter, weil diese ein jüngeres Abbild ihrer selbst war. Hochgewachsen, schlank, elegant, von einer etwas unterkühlten Schönheit, würde Ursula in dreißig und mehr Jahren immer noch eine attraktive Frau sein.

„Gute Rasse hält sich“, sagte die Konsulin halblaut und spielte damit wieder einmal auf ihren Adel an. Und zugleich auf den, wenn möglich, noch älteren Stammbaum ihrer Schwiegertochter.

Über tausend Jahre konnten die Rensfelds ihren Namen zurückverfolgen und die Dietlings beinahe ebenso lang.

Natürlich waren auch die Hessenburgs eine ausgezeichnete Familie. Es fehlte ihnen eigentlich nur das „von“ vor dem Namen. Wenn die Konsulin daran dachte, dass ihre Schwiegermutter damals ihren Schwiegervater, den verdienten Geheimrat Professor Dr. Hessenburg, dazu überredet hatte, den Titel abzulehnen, den Seine Majestät der Kaiser so gütig war, ihm anzubieten, so konnte sie es kaum glauben.

Energisch schob die Konsulin diesen ärgerlichen Gedanken von sich. Sie wollte sich nicht den heutigen Tag verderben lassen. Immerhin verlobte sich heute ihr Sohn.

Die Konsulin musste fast froh sein, dass er Ursula heiraten wollte – trotz der Einwände seiner Großmutter.

Die alte Frau Geheimrat Hessenburg war einundachtzig und immer noch „erfreulich und geradezu erstaunlich frisch“, wie die Konsulin mit einem leisen Seufzer zu sagen pflegte.

„Sie hat eben gesundes Bauernblut“, setzte sie dann noch mit leicht abfälligem Ton hinzu und wies damit auf die Tatsache hin, dass Maria Hessenburg aus dem Hofe eines niederbayrischen Großbauern stammte.

Dass eben dieser Großbauer den Grundstein zum Hessenburgschen Reichtum und Ansehen der Familie gelegt hatte, indem er den gescheiten Sohn des kleinen Nachbarn Medizin studieren ließ, sodass aus ihm einmal der berühmte Geheimrat werden konnte, das verschwieg Eugenie Hessenburg, geborene Baroness Dietling. Sie erging sich höchstens in geheimnisvollen Andeutungen über die hohe Herkunft ihres verewigten Schwiegervaters, die ihr den Spott der Schwiegermutter und das etwas verlegene Amüsement ihres Sohnes eintrugen.

Der verstorbene Konsul war im Vergleich zu seinem Vater und seinem Sohn eine etwas blasse Erscheinung gewesen. Nicht zuletzt lag das wohl daran, dass er aus den Händen eines energischen Elternpaares in die Hände einer nicht minder – wenn auch auf andere Art – energischen Gemahlin geraten war. Zwischen diesen in ständiger Fehde liegenden Polen hatte er sich ständig aufgerieben.

Sein Sohn Alexander schien dies schon in frühester Jugend beobachtet und sich geschworen zu haben, dass er mit sich nicht so würde umspringen lassen.

Er setzte seinen Kopf, in dem die entzückte Großmutter viel bäuerlich niederbayrisches entdeckte, meist durch. Das fing schon mit dem Studium an. Seine vornehme Mutter hätte das „feinere Jurastudium“ vorgezogen.

Deswegen war es auch so erstaunlich, dass er bei einem so einschneidenden Schritt wie der Eheschließung der Wahl der Mutter zustimmte.

„Da bist du also“, sagte eine barsche Stimme, und in der Tür des Salons erschien die imposante Gestalt der alten Geheimrätin.

Sie trug ein langes schwarzes Spitzenkleid, auf dem mächtigen Busen eine gewaltige Brillantnadel und stützte sich auf einen Stock mit Elfenbeinkrücke. Ihr schlohweißes Haar hatte sie wie immer zu einem kleinen Knoten aufgesteckt und trug darüber ein feines schwarzes Netz mit echten weißen Perlen. Ihr Gesicht war von frischer, gesunder Farbe.

Um den Hals trug die alte Dame ein Diamanthalsband und in den Ohren etwas altmodische, aber sehr schöne Diamantboutons.

Die Konsulin bemühte sich, ein freundliches Lächeln auf ihr Gesicht zu zaubern.

„Jetzt fehlt nur mehr der Bräutigam!“, meinte sie heiter.

„Vielleicht hat er es sich im letzten Augenblick überlegt. Zu hoffen wäre es“, erwiderte die Geheimrätin grimmig und schritt, mit ihrem Stock auf den Boden klopfend, zum nächsten Fauteuil, in den sie sich mit einem Ächzen fallen ließ.

„Mit Freude sehe ich, dass wir beide die zu diesem Anlass einzig passende Farbe gewählt haben, nämlich schwarz“, sagte sie dann vergnügt, und ein boshaftes Funkeln stahl sich in ihre noch immer schönen dunklen Augen.

Der Konsulin war damit die Freude an ihrem neuen Modell verdorben, und sie überlegte, ob sie sich noch umziehen sollte.

„Eine Hochzeit, die ist lustig, eine Hochzeit, die ist schön, denn da kann man ja zwei Leute in ihr Unglück rennen sehen!“, zitierte ihr Schwiegermutter nun.

„Mama!“, rief die Konsulin wütend.

„Glaubst du, ich sehe es mit Vergnügen, wie mein Liebling Alexander an eine eiskalte, geldgierige Frau gerät? Diese Ursula heiratet ihn doch nur, um mit seinem guten Geld ihr baufälliges Schloss wieder herzurichten. Außer dem zweifellos sehr schönen Park ist doch kein Quadratmeter Land mehr bei Schloss Rensfeld!“

„Alexander hat es nicht nötig, eine reiche Frau zu wählen. Er kann …“

„… sich von einer armen einfangen lassen“, beendete die Geheimrätin den Satz.

„Du als Bauerntochter …“, giftete die geborene Baroness.

„Bitte erzähl mir nur nicht, dass du meinen Sohn, den armen Erwin, aus Liebe geheiratet hast. Dir hing doch nur das ewige Sparen, zu dem du als dritte Offizierstochter verurteilt warst, zum Halse hinaus!“

„Muss das alles ausgerechnet heute wieder aufgewärmt werden?“

Die Geheimrätin seufzte und war auf einmal nur mehr eine besorgte alte Frau.

„Ich hätte bestimmt nichts gegen ein armes Mädchen, vorausgesetzt, sie ist lieb und hat ein warmes Herz. Aber Ursula? Nun sei doch mal ehrlich, Eugenie, kannst du dir vorstellen, dass sie auf eine Party, einen Theaterbesuch, eine Reise verzichtet, bloß weil Alexander überarbeitet ist und einmal seine Ruhe haben möchte?“

Dieser Gedanke war der Konsulin allerdings auch schon manchmal gekommen, deshalb ging sie auf den versöhnlichen Ton ihrer Schwiegermutter ein.

„Alexander ist im leistungsfähigsten Alter: fünfunddreißig!“, sagte sie.

„Sicherlich hält er es die nächsten fünf oder zehn Jahre durch. Aber niemand bleibt ewig fünfunddreißig.“

„Auch Ursula wird älter.“

„Aber sie braucht den ganzen Tag nichts zu tun.“

„Die Kinder, die sie haben werden …“

„Dafür nimmt sie sich bestimmt ein Kindermädchen, für den Haushalt eine Hausdame, eine Köchin und was sie sich sonst noch alles einbildet.“

„Alexander ist alt und klug genug, um zu wissen, was er tut!“

„Zum ersten Mal in seinem Leben zweifle ich daran“, brummte die Geheimrätin.

„An was zweifelst du, Großmama?“, erklang die fröhliche Stimme von Alexander Hessenburg, der soeben den Salon betreten hatte. Er küsste beiden Damen Hand und Wange und ließ sich dann mit einem Seufzer auf die Récamiere fallen.

„Liebling, wir sind sehr spät dran, möchtest du dich nicht …“, fragte seine Mutter.

„Ach Gott, Mama, Ursula wird sich daran gewöhnen müssen. Genau genommen möchte ich jetzt eigentlich nur ins Bett und schlafen. Aber das geht nicht, ich muss noch mal in die Klinik!“

„Alexander! Das ist unmöglich!“

„Bitte, Mama, die Operation war äußerst schwierig. Es ging auf Leben und Tod. Ich bin heilfroh, dass alles so gut geklappt hat.“

„Warum hast du für heute eine so schwierige Sache angenommen?“, entrüstete sich die Mutter.

„Das Traurige ist, dass man sich die Unfälle nicht so einteilen kann, wie man sie zeitlich am liebsten hätte“, spottete Alexander. „Wirklich, Mama, ich möchte euch bitten vorauszufahren. Ich muss ein heißes Bad nehmen. Den Frack ziehe ich dann gleich hier an und schau nur kurz in der Klinik vorbei.“

„Wie du meinst“, sagte seine Mutter beleidigt und verließ den Salon.

Alexander half seiner Großmutter aus dem Sessel. In der Diele stand ungeduldig die Konsulin, der der Diener bereits in den weißen Nerzmantel geholfen hatte. Jetzt hielt er den schwarzen Breitschwanz mit dem üppigen Chinchillabesatz für die Geheimrätin bereit.

Alexander küsste den beiden Damen galant die Hände.

„Niemand kann euch das Wasser reichen“, sagte er vergnügt, „niemand ist so elegant, so schön, so klug und so Furcht einflößend wie ihr zwei!“

Dann rannte er lachend wie ein kleiner Junge die Treppen hinauf.

♥♥♥

Leider ging das mit dem Vorbeischauen in der Klinik dann doch nicht so rasch, wie Alexander geglaubt hatte. Der Patient, den er am Nachmittag operiert hatte, wachte nicht aus der Narkose auf. Sein Puls und sein Herzschlag wurden immer schwächer.

Alexander ließ von einer Schwester in Schloss Rensfeld anrufen, dass sich sein Kommen leider noch einmal verzögere, und dann zog er den Frack wieder aus und schlüpfte in den weißen Kittel.

Nach einer halben Stunde intensiver Bemühung schien der Patient über dem Berg zu sein.

Alexander zog sich seufzend wieder um. Dann gab er Telefonnummer und Adresse auf der Station an, unter der er in den nächsten Stunden zu erreichen war, und setzte sich an das Steuer seines Wagens.

Fast bedauerte er nun, nicht doch Victor mitgenommen zu haben. Die Fahrt dauerte zwar keine halbe Stunde, doch wenn er in dieser Zeit im Fond des Wagens die Augen hätte schließen können, anstatt in dem unangenehmen Zwielicht höllisch aufpassen zu müssen, wäre es doch um einiges erholsamer gewesen.

Mit fünfunddreißig so eine Karriere! Nein, es war kein Wunder, dass er abgearbeitet war!

Verdammt! Diese Radfahrer! Alexander trat auf die Bremse, doch es war zu spät.

Der Wagen erfasste den Fahrer und riss ihn vom Rad! Mein Gott! Hoffentlich war nichts passiert!

Mit einem leisen Fluch kletterte Alexander aus dem Wagen und entdeckte, dass der Unfall ausschließlich sein Verschulden war: Er hatte ein Vorfahrtsschild übersehen.

Das Rad war in den Graben geschleudert worden. Mit ihm würde man nicht mehr viel Staat machen können. Wenn nur weiter nichts geschehen war, als dass er ein neues Fahrrad kaufen musste!

Mit ausgebreiteten Armen lag der Junge auf der Straße, direkt vor Alexanders Wagen. Nicht auszudenken, wenn der Wagen erst zwei Meter weiter zum Stehen gekommen wäre.

Der Junge war schmal und jetzt totenblass. Die Hose, die er trug, war aufgerissen und seine Jacke, unter der er ein rotes Hemd trug, verschmutzt. Er lag ganz gelöst da, so, als schliefe er – oder wäre tot. Das lange dunkle Haar verdeckte sein Gesicht.

Einen Augenblick glaubte Alexander, ihm würde schwindlig. Mein Gott, wenn der Junge …

Er kniete sich neben ihn. Schwach, aber regelmäßig fühlte er das Herz schlagen. Und außerdem merkte er, dass es sich nicht um einen Jungen, sondern um ein sehr zartes Mädchen handelte. Ihre feinen, schmalen Hände waren ohne jeglichen Schmuck.

Vorsichtig hob er das Mädchen auf und wunderte sich, wie leicht sie war! Ihr Kopf fiel über seinen Arm zurück, und das Haar glitt von ihrem Gesicht.

Alexander hielt überrascht den Atem an. Mein Gott, wie schön sie war!

Das Mädchen hatte ein schmales, ebenmäßiges Gesicht. Ihre Nase war klein und schmal, ihre weichen, vollen Lippen, jetzt völlig blutleer, waren leicht geöffnet und zeigten zwei Reihen regelmäßiger weißer Zähne. Die schmalen dunklen Brauen waren so schön geschwungen wie Schmetterlingsflügel. Wie ein dunkler Halbmond lagen die auffallend langen und dichten Wimpern auf den blassen Wangen. Sie musste noch sehr jung sein!

Ganz behutsam legte Alexander sie auf die Rückbank seines Wagens, die Orchideen und das Etui mit dem Ring ungeduldig zur Seite schiebend. Dann fuhr er das Auto von der Kreuzung weg.

Das Mädchen bewegte sich nicht, als er den Wagen noch mal anhielt, um nach dem Rad und einer etwaigen Handtasche zu sehen. Das Rad konnte gut dort im Graben liegen bleiben. Das holte sich keiner mehr!

Eine große Einkaufstasche fand er auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Er kramte darin herum und fand schließlich zwischen zerquetschten Tomaten, zerbrochenen Eiern, Brot und anderen einfachen Nahrungsmitteln einen ebenfalls ziemlich mitgenommenen Pass.

Barbara Heeren hieß sie. Vierundzwanzig Jahre alt – kaum vorstellbar. Als Beruf war Kindergärtnerin angegeben, und sie war unverheiratet.

Warum interessierte ihn das? Offenbar hatte sie auf der Heimfahrt noch eingekauft. Er sah nach der Adresse. Zum Glück war es nicht weit von der Kreuzung.

Es war eines jener gesichtslosen Wohnhäuser, wie sie am Rande einer jeden Großstadt zu finden sind. Hunderte von unpersönlichen Wohnungen, in denen Menschen leben, die man gleichfalls kaum mehr voneinander unterscheiden kann, so sehr hat die Mühe und Plage des Alltags sie zu einer grauen Masse gestempelt.

Umso mehr war Alexander verwundert, dass ein Wesen mit einem so schönen und dabei durchaus eigenwilligen Gesicht in so einem Block lebte.

Er hatte in der Einkaufstasche eine Geldbörse gefunden, in der auch die Wohnungsschlüssel steckten.

Als er das Mädchen durch die Tür in den Lift trug, überlegte Alexander keine Minute, welch seltsamen Anblick er abgab in seinem eleganten, jetzt beschmutzten Frack, die Einkaufstasche am Arm hängend und das Mädchen vorsichtig balancierend, damit sie sich ja nirgends stieß.

Sie wohnte im dritten Stock in einem winzigen Einzimmerapartment. Er legte sie auf die Schlafcouch und sah sich dann nach einem Telefon um. Dabei glitt sein Blick über die wenigen Einrichtungsgegenstände.

Es war alles sehr einfach und bescheiden, doch einige Kleinigkeiten zeugten von dem guten Geschmack der Bewohnerin.

Da stand ja das Telefon!

„Wer sind Sie? Wie komme ich hierher?“, fragte da eine raue, ängstliche Stimme.

Alexander wandte sich hastig dem Mädchen zu. Nun konnte er auch ihre Augen sehen. Sie hatte sehr große graue Augen, die von dem Schock noch etwas trüb und glanzlos waren.

„Mein Name ist Hessenburg, Alexander Hessenburg“, stellte er sich vor.

Barbara überlegte. Hatte sie diesen Namen nicht schon gehört? War das dunkle, hagere Gesicht, das sich jetzt besorgt über sie beugte, ihr nicht irgendwie bekannt?

„Ich glaube nicht, dass ich Sie kenne“, murmelte sie. Nein, ganz bestimmt kannte sie niemanden, der einen so eleganten Frack besaß, der als Manschetten- und Hemdknöpfe echte Brillanten trug. „Wie kommen Sie hierher?“ Sie versuchte sich aufzurichten.

„Bleiben Sie liegen, bis ich einen Arzt gerufen habe!“

„Einen Arzt? Ich hatte einen Unfall?“

„Ja, es war meine Schuld. Ich war nach den Operationen des heutigen Tages vollkommen übermüdet und hatte ein Vorfahrtsschild übersehen.“

„Ach“, sagte sie und versuchte ein Lächeln, „jetzt weiß ich es: Sie sind der Chirurg!“

„Stimmt“, erwiderte er. „Aber das ist natürlich keine Entschuldigung dafür, dass ich andere Leute zusammenfahre.“

„Ich glaube nicht, dass mir etwas Ernsthaftes passiert ist.“

Alexander lächelte. Er war froh, dass sie nicht versuchte, Kapital aus der Angelegenheit zu schlagen.

„Ich glaube es auch nicht. Trotzdem möchte ich – mit Ihrer Erlaubnis – einen Kollegen zuziehen. Haben Sie einen Hausarzt?“

„Ich bin nie krank“, versicherte Barbara. „Aber vom Kindergarten her kenne ich Doktor Dicknether recht gut.“