Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 695 - Ina Ritter - E-Book

Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 695 E-Book

Ina Ritter

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Beschreibung

Noch ist das Testament, das der kinderlose Werner Reineck hinterlassen hat, ein großes Geheimnis. Doch in einigen Gesichtern, die heute an der Beerdigung des reichen Verlegers teilnehmen, flammt die Gier überdeutlich.

Und tatsächlich sind einige zur anschließenden Testamentseröffnung in der Kanzlei des Notars eingeladen. Wen hat der Verstobene bedacht? Wer wird in wenigen Stunden Millionär sein?
Nun, so viel sei an dieser Stelle bereits verraten: Der Verstorbene war schon zu Lebzeiten ein Schlitzohr, das sich nie an gesellschaftliche Regeln hielt, und das beweist er auch jetzt!


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Inhalt

Cover

Liebe auf den zweiten Blick

Vorschau

Impressum

Liebe auf den zweiten Blick

Eine junge Erbin und ihr Herzenskonflikt

Noch ist das Testament, das der kinderlose Werner Reineck hinterlassen hat, ein großes Geheimnis. Doch in einigen Gesichtern, die heute an der Beerdigung des reichen Verlegers teilnehmen, flammt die Gier überdeutlich.Wen hat der Verstobene bedacht? Wer wird in wenigen Stunden Millionär sein?

Nun, so viel sei an dieser bereits Stelle verraten: Der Verstorbene war schon zu Lebzeiten ein Schlitzohr, das sich höchst ungern an gesellschaftliche Regeln hielt, und das beweist er auch jetzt!

»Muss das sein?«, fragte Herwig von Mühlenbruch seinen Onkel mahnend, als Werner Reineck schuldbewusst nach einer Zigarre griff. »Du weißt doch, was der Arzt gesagt hat.«

»Für das viele Geld, das sie einem abknöpfen, müssen sie schließlich etwas sagen«, knurrte der füllige Mann. Er legte die Zigarre zurück, schüttelte dann den Kopf und nahm sie energisch wieder zwischen die Finger. »Einmal kann man schließlich nur sterben.«

»Aber es ist nicht nötig, dass man seinen Tod vorsätzlich beschleunigt. Er kommt sowieso früh genug.« Der junge Mann meinte es gut mit seinem Onkel. »Du hast einen viel zu hohen Blutdruck. Wo ist eigentlich der Kognak geblieben?«

»Welcher Kognak?«, fragte Werner Reineck eine Spur zu unschuldig. Er schaute sich in seinem Büro um, als erwarte er, die Flasche irgendwo zu sehen. Er sah allerdings nur deckenhohe Regale voller Bücher an allen Wänden.

Auf seinem Schreibtisch stapelten sich gleichfalls Bücher und Manuskripte. Bei einem Verleger weiter nicht verwunderlich.

»Gestern war eine kaum angebrochene Flasche da. Heute ist sie fort.«

»Ich werde die Reinemachefrau mal fragen«, meinte der alte Herr listig. »Junge, gönn mir doch ein bisschen Spaß. Ich brauche Kognak wie ein Motor Benzin. Habe ich nicht einen Schluck im Leib, komme ich einfach nicht in Gang.«

»Du weißt, dass ich dir alles gönne. Ich mache mir nur Sorgen. Du treibst Raubbau mit deiner Gesundheit. Du arbeitest viel zu viel, kommst kaum an die frische Luft und hast praktisch überhaupt keine Bewegung.«

»Du redest schon genau wie der Doktor«, knurrte Werner Reineck. »Was hältst du von dem neuen Lemmer? Mir scheint er nicht so gut wie früher. Ich finde, er lässt in den letzten Jahren ziemlich nach.«

»Seine Bücher verkaufen sich nach wie vor gut. Er versteht es, geschickt Reklame für sich zu machen.«

Der alte Herr nickte nachdenklich.

»Ja, der Verkauf ist noch nicht zurückgegangen. Bringen wir sein Meisterstück also im Herbst groß heraus.« Er schaute auf das glimmende Ende seiner Zigarre. »Das Kraut wird auch von Tag zu Tag schlechter«, stellte er fest und hustete tief aus der Brust heraus. »Ich weiß nicht, was heute mit mir los ist«, fuhr er gepresst fort. »Muss wohl am Wetter liegen.«

»Das Wetter ist gut. Warum gehst du nicht mal ein Stündchen spazieren? Eine Stunde werden wir auch ohne dich fertig, glaube ich.«

»Ihr würdet ganz gut ohne mich fertig werden.« Der alte Herr schaute mit schief geneigtem Kopf auf seinen Neffen. »Du schmeißt den Laden hier ganz gut. Eigentlich bist du der Chef. Mich fragt man nur noch pro forma.«

»Nun übertreibe nicht. Du hast den Verlag aufgebaut, du bist seine Seele. Ich versuche nur, dich ein bisschen zu entlasten.«

»Nett, dass du es so formulierst. Du bist ein feiner Kerl, Herwig. Ich freue mich, dass du dich entschlossen hast, in meinen Laden einzutreten. Wenn ich einmal die Augen schließe, weiß ich wenigstens, dass hier alles weitergehen wird.«

Der alte Herr öffnete eine Schreibtischtür und holte eine Flasche heraus.

»Bitte, sei doch vernünftig, Onkel Werner!«, ermahnte Herwig ihn.

»Ich brauche einen Schluck. Mir ist heute Morgen wirklich nicht gut. Ich habe so einen Druck im Kopf und so ein merkwürdiges Ziehen in der Brust. Sieh mich nicht so besorgt an, es hat bestimmt nichts zu bedeuten. Wahrscheinlich bin ich mit dem falschen Fuß zuerst aufgestanden.«

»Geh ein bisschen spazieren, bitte.«

»Du bist ein furchtbarer Quälgeist. Ich muss heute Morgen unbedingt noch einen Blick in diese Manuskripte werfen. Vielleicht ist der Bestseller der Saison dabei.«

»Und die Entdeckung willst du nicht mir überlassen?«, fragte Herwig schmunzelnd. »Also bitte, das Wetter ist so schön, du musst an die frische Luft.«

»Man darf nicht alt werden«, beklagte sich sein Onkel. »Alte Leute werden wie Kinder behandelt.«

»Nur, wenn sie sich so benehmen«, parierte Herwig. »Du müsstest einmal zur Kur fahren und versuchen, dein Übergewicht loszuwerden.«

»Noch passe ich in einen Sarg.« Der alte Mann war aufgestanden, und plötzlich verzerrte sich sein Gesicht. Er umklammerte die Schreibtischkante. Sein Blick wurde starr, während gleichzeitig unzählige Schweißtropfen auf seine Stirn traten.

»Onkel Werner!« Herwig schob seinen Arm unter den des alten Mannes. »Fühlst du dich nicht gut?«

»Es geht schon wieder.« Die Stimme wollte Werner Reineck noch nicht ganz gehorchen. »Weiß der Teufel, was das wieder war. Diese Herzstiche ...«

»Soll ich dich nach Hause fahren?«

Sein Onkel schüttelte mühsam den Kopf.

»Was soll ich da?«, fragte er. »In dem großen leeren Haus herumsitzen? Als deine Tante noch lebte ... Sie war eine fabelhafte Frau. In letzter Zeit musste ich besonders viel an sie denken. Sie hatte viel Mut. Und sie war immer sehr tapfer. Bestimmt hatte sie es mit mir nicht immer leicht. Ich neige leider zur Ungeduld.«

»Die dir niemand übel nimmt, Onkel Werner.«

»Als ich damals um sie anhielt, haben sie mich angeschaut, als wäre ich verrückt. Ein kleiner Verleger, der so gut wie nichts verdiente, und eine Komtess von Mühlenbruch ... Nun, sie haben mich ja auch rausgeworfen.«

»Das ist lange her. Inzwischen denken die Großeltern ganz anders über dich.«

»Sie sind furchtbar alt geworden«, murmelte Werner Reineck. »Sie überleben uns noch alle. Deine Tante ist damals mit mir durchgebrannt. Ich weiß nicht, warum ich ausgerechnet jetzt so viel an sie denken muss. Zu Hause meine ich manchmal, sie müsste gleich ins Zimmer kommen. Ich werde wirklich alt.«

»Du bist noch nicht alt. Du lebst nur unvernünftig.«

»Das hat sie auch immer gesagt. Und dann war sie es, die zuerst sterben musste. Sie war solch eine gute Frau. Und dann diese lächerliche Krankheit. Keiner von uns hat sie ernst genommen. Drei Tage später war sie tot.«

»Hast du diese Herzstiche häufiger, Onkel Werner?«

»Nein. Sie haben auch bestimmt nichts zu sagen. Gut, dass ich meine Arbeit habe. Aber ein Spaß ist es auch nicht, Leute wie Lemmer zu verlegen. Aber wo findet man heutzutage noch wirkliche Dichter?«

»Und mit wirklichen Dichtern kann man auch kein Geld verdienen. Jedenfalls nur sehr selten.«

»Wahrscheinlich hast du ...« Mitten im Satz stockte Werner Reineck. Er holte tief Luft, während sein Gesicht einen Stich ins Violette bekam. Seine Augen traten hervor.

»Onkel Werner!« Entsetzt beugte sich Herwig zu ihm hinab. Gerade noch rechtzeitig, um den schlaff gewordenen Körper zu stützen. »Onkel Werner«, murmelte er, als er den schweren Körper behutsam auf den dicken Teppich gleiten ließ. Ein neuer Anfall, diesmal offenbar ernster als die vorhergegangenen.

Der junge Mann wählte die Nummer des Hausarztes.

»Sie müssen sofort kommen, mein Onkel ... Ich fürchte das Schlimmste. Er hat das Bewusstsein verloren.«

»Ich mache mich sofort auf den Weg. Rühren Sie ihn nicht an.«

Herwig legte den Hörer zurück auf die Gabel. Sein Onkel lag auf dem Rücken, den Kopf auf dem Kissen, das Herwig ihm untergeschoben hatte.

♥♥♥

Dr. Nissen richtete sich langsam aus seiner gebückten Haltung auf.

»Nichts mehr zu machen«, sagte er bedauernd. »Es war zu erwarten. Mein herzlichstes Beileid, Graf von Mühlenbruch.«

»Danke, Doktor.« Herwig hatte gewusst, dass sein Onkel gesundheitlich gefährdet war, aber das plötzliche Ende kam für ihn völlig überraschend.

»Sie rufen am besten ein Bestattungsinstitut an. Die Leute werden alles Notwendige veranlassen. Sie müssen auch eine Nachricht an die Presse geben. Er war ein Mann, den man kannte.«

Herwig konnte es gar nicht begreifen, dass sein Onkel so plötzlich gestorben war.

»Für mich gibt es hier nichts mehr zu tun, Graf von Mühlenbruch. Wir treffen uns bei der Beerdigung. Lassen Sie den Kopf nicht hängen. Ihr Onkel hatte keine Lust mehr zum Leben. Auf Wiedersehen!« Dr. Nissen gab dem jungen Mann die Hand. Dann nahm er seine Arzttasche hoch und ging schnell hinaus.

Fräulein Jahnke, Werner Reinecks Sekretärin, schob scheu ihren Kopf durch den Türspalt.

»Stimmt es wirklich?«, fragte sie leise.

»Ja, es stimmt.« Herwig konnte den Blick nicht von dem Gesicht des verehrten Mannes abwenden. Er verdankte seinem Onkel sehr viel, besonders die aufgeschlossene Art, das Leben zu betrachten. In seinem Elternhaus war die Zeit nämlich stehen geblieben.

»Herr Lemmer hat vorhin angerufen«, sagte Fräulein Jahnke. »Was aus seinem Manuskript wird, wollte er wissen. Die Konkurrenz interessiert sich dafür.«

»Wir bringen es natürlich, auch wenn es Mist ist. Rufen Sie ein Beerdigungsinstitut an. Und die Presse.«

»Es tut mir so furchtbar leid. Wir alle haben ihn richtig gerngehabt.«

»Ich weiß«, sagte Herwig schwer. Sein Onkel war ein Polterer gewesen, aber niemand hatte ihm seine Art übel genommen. Hinter seinem Poltern hatte sich ein weiches, mitfühlendes Herz verborgen.

»Was wird jetzt werden?«, fragte Fräulein Jahnke. »Werden Sie jetzt den Verlag allein leiten?«

»Ich weiß es nicht. Mein Onkel hat mit mir nicht darüber gesprochen.« Im Augenblick war Herwig an der Klärung dieser Frage auch nicht interessiert. Erst einmal musste er mit dem Tod seines Onkels innerlich fertig werden.

»Sonst kommt ja auch niemand infrage«, sagte Fräulein Jahnke und schloss die Tür zum Chefbüro.

Herwig von Mühlenbruch setzte sich an seinen Schreibtisch und starrte vor sich hin. So saß er noch, als die Leute vom Beerdigungsinstitut kamen und seinen Onkel in einen Transportsarg legten.

Die Fragen des Angestellten der Bestattungsfirma beantwortete Herwig ganz automatisch. Er wusste kaum, was der Mann alles wissen wollte. Auch in seinen persönlichen Papieren hatte Onkel Werner peinliche Ordnung gehalten. Ein Testament war auch vorhanden, beim Amtsgericht hinterlegt. Der Mann vom Bestattungsinstitut nahm den Hinterlegungsschein, um die amtliche Öffnung zu veranlassen.

»Sie hören dann von uns, Herr Graf. Für das Kulturleben ist das plötzliche Hinscheiden von Herrn Reineck ein herber Verlust.«

So ähnlich wird es morgen in den Zeitungen stehen, dachte Herwig. Es war der übliche Nachruf, und wenn er auch stimmte, umfasste er nur einen Teil der Wahrheit. Werner Reineck war nicht nur ein guter Verleger, er war vor allem ein großer Mensch gewesen. Viele hatten ihn aber auch für einen eigenwilligen Kauz gehalten.

»Ich gehe jetzt.« Herwig nickte Fräulein Jahnke flüchtig zu, als er das Vorzimmer durchquerte.

Er verließ das Gebäude, ging zum Parkplatz und setzte sich in seinen Wagen. Der Verlust seines Onkels ging ihm sehr nahe.

Mit ihm hatte er über alles sprechen können, und niemals hatte Werner Reineck die Erfahrungen seines Alters herausgekehrt oder sich gar auf seine Autorität berufen, die ihm seine Stellung als Chef gegeben hatte.

Onkel Werner war mein bester Freund, überlegte Herwig. Mit ihm habe ich mich viel besser verstanden als mit Vater. Ich hätte ihn abends häufiger besuchen sollen, dachte er. Jetzt war es zu spät.

Herwig zwang sich, in die Wirklichkeit zurückzufinden. Er musste Frau Behrend persönlich sagen, was geschehen war. Ob die Haushälterin um ihn trauern wird?, fragte er sich.

Auf diese Frage wusste er keine Antwort. Eine knappe Viertelstunde später hielt er den Wagen vor der altmodischen Villa an, die sein Onkel sich einige Jahre nach seiner Hochzeit gekauft hatte. Es war ein romantisches Haus, mit unnötigen Erkern und einem Turm, der zu nichts zu gebrauchen war. Und doch strahlte das Haus eine Atmosphäre aus, die Herwig jedes Mal wieder in den Bann schlug, wenn er hierherkam.

Tante Edeltraut hatte gewusst, was sie wollte, als sie ihn damals überredete, dieses Haus zu kaufen, dachte Herwig.

»Tag, Herr Graf«, brummte Gesine Behrend, als sie ihm die Tür geöffnet hatte. »Wusste nicht, dass Sie auch kommen würden. Er hätte ruhig anrufen können. Wie soll ich jetzt das Essen für zwei Personen auf den Tisch bringen? Eine furchtbare Rücksichtslosigkeit. An mich verschwendet er nie einen Gedanken.«

»Herr Reineck ist tot, Frau Behrend.«

»Was? Was sagen Sie da?« Die hagere Haushälterin wich vor ihm zurück. »Das kann doch nicht wahr sein. Heute Morgen fühlte er sich noch gesund.«

»Er hat einen Herzinfarkt erlitten. Er war gleich tot.«

»Mein Gott. Wissen Sie, ob er mir im Testament ein Legat ausgesetzt hat? Er war immer so vergesslich, wenn es um wichtige Dinge ging. Herr Graf, Sie wissen doch, dass er die Absicht hatte, mir etwas zu hinterlassen. Ich meine nur, falls ich vielleicht klagen muss. Nicht, dass ich es möchte, aber was bleibt einem schließlich anderes übrig. Man muss sehen, wie man in dieser Welt durchkommt.«

Ist das alles, was ihr bei der Nachricht von Onkel Werners Tod einfällt?, fragte sich Herwig von Mühlenbruch. Tut ihr Onkel Werner nicht leid?

»Dann reicht das Essen natürlich, wenn Sie allein kommen«, fuhr Frau Behrend fort. »Ich brate gleich das Kotelett. Das Gemüse ist bald fertig. Wenn Sie schon im Esszimmer Platz nehmen wollen. Noch eine Frage, Herr Graf. Wenn Sie hier einziehen, behalten Sie mich dann? Sie sind nicht verheiratet und brauchen jemanden, der für Sie sorgt.«

Graf von Mühlenbruch dachte sich seinen Teil. Selbst wenn er jeden Tag in Lokalen essen müsste, würde er sie bestimmt nicht behalten. Er verstand nicht, dass sein Onkel die Frau so lange ertragen hatte.

»Zwanzigtausend werden es ja wohl sein. Sie meinen doch auch, dass er mir wohl wenigstens zwanzigtausend hinterlassen hat? Für ihn war Geld ja nicht so wichtig, er hat es ja gescheffelt.«

»Sie irren sich. Mein Onkel hatte auch große Unkosten.«

»Natürlich, aber es blieb doch noch genug hängen. Machen Sie es sich im Wohnzimmer nur schon bequem, Herr Graf. Wann wollen Sie denn einziehen, wenn ich mir die Frage gestatten darf? Soll ich heute noch das Bett frisch beziehen?«

»Ich weiß gar nicht, ob und was ich erben werde, Frau Behrend. Es ist noch viel zu früh, irgendwelche Entscheidungen zu treffen.«

»Aber Sie kommen doch nur als Erbe infrage. Oder hat er noch andere Verwandte? Ach, Sie denken an seine Nichte, dieses Fräulein Reineck, die Tochter seines Bruders. Mit dem hat er sich ja nicht verstanden. Ich glaube nicht, dass Sie so viel zu befürchten haben, Herr Graf. Die bekommt bestimmt nur ihren Pflichtteil.«

»Ich möchte nichts essen, Frau Behrend. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass Herr Reineck ...«

»Ja, furchtbar traurig. Sehr nett von Ihnen, dass Sie sich persönlich bemüht haben, Herr Graf. Wollen Sie wirklich nichts essen?«

»Nein. Ich gehe jetzt. Auf Wiedersehen!« Herwig nickte der Haushälterin seines verstorbenen Onkels knapp zu, bevor er hinausschlenderte.

Ob Onkel Werner mir das Haus tatsächlich hinterlassen wird?, fragte er sich. Er würde gern hier wohnen. Andererseits wusste der junge Mann, dass er einem eventuell anderen Erben das Haus nicht missgönnen würde. Er war bereit, Onkel Werners letzten Willen zu respektieren, ganz gleichgültig, wie er aussah.

♥♥♥

»Ich habe auch eine Vorladung des Notars bekommen«, berichtete Frau Behrend, als sie Herwig von Mühlenbruch auf der Beerdigung traf. Ihre Augen glänzten gierig. »Wissen Sie immer noch nicht, was in seinem Testament steht?«

»Nein. Es wird um sechzehn Uhr eröffnet.«

»Ich werde pünktlich sein, Herr Graf. Sie glauben nicht, wie gespannt ich bin. Schließlich hat man ja Anspruch auf eine Anerkennung nach fast zehnjährigen treuen Diensten.«

Herwig wunderte sich, dass seine Tante Edeltraut tatsächlich schon zehn Jahre tot war. Und nun stand er an Onkel Werners offenem Grab. Es waren viele Reden gehalten worden.

»Haben Sie schon gesehen, Fräulein Reineck ist auch gekommen. Mit ihren Eltern. Sie stehen da hinten. Seinem Bruder wird Herr Reineck wohl nichts hinterlassen haben.«

Der Neffe fand es erbärmlich, dass die Frau an nichts als Geld dachte. Am liebsten hätte er ihr den Mund verboten.

Heute Morgen war er noch im Verlag gewesen, hatte die eingegangene Korrespondenz überflogen und ein paar wichtige Briefe diktiert.

Im Verlag ging der Betrieb reibungslos weiter, fast so, als hätte Onkel Werners Tod keine Lücke hinterlassen. Herwig stand da und schüttelte unzählige Hände.

Er traf jetzt alle wichtigen Entscheidungen im Verlag und trug die Verantwortung ganz allein.

»Es tut mir leid, Herwig. Dich trifft der Verlust sicherlich sehr schwer.«

Diese Stimme durchdrang den Schleier, der vor Herwigs Bewusstsein lag. Er konzentrierte sich auf das Gesicht, das ihn anschaute.

»Tamara«, murmelte er und lächelte verkrampft.

»Wir sehen uns wohl nachher noch.«

Tamara Reineck ging weiter und machte dem nächsten Platz. Herwig schaute noch einen Moment hinter ihr her. Sein Onkel hatte manchmal von ihr gesprochen, immer ein wenig amüsiert übrigens. Er hatte sie nie ganz ernst genommen.

»Jung, hitzköpfig, von der Richtigkeit ihres Urteils felsenfest überzeugt. Sie braucht noch ein paar Nackenschläge, bis man mit ihr rechnen kann«, hatte er einmal gesagt.