DIE WUNDERSAME HEIMKEHR DES SOLDATEN R* - Heimo Zinko - E-Book

DIE WUNDERSAME HEIMKEHR DES SOLDATEN R* E-Book

Heimo Zinko

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Beschreibung

Diese Geschichte spielte sich am Ende des Zweiten Weltkrieges ab und handelt von der Flucht zweier junger österreichischer Soldaten aus einem Gefangenenlager an der Grenze zur Ukraine durch Feindesland hindurch in die österreichische Heimat zu der gleichermaßen von Feinden besetzten Haustür. Für den 18-jährigen R* war sie ein Abenteuer, dessen Gefährlichkeit ihm nicht immer bewusst war, für den fünf Jahre älteren Max die Herausforderung seines Lebens. Kurz gesagt, sie hatten meistens den richtigen Riecher, einen unbändigen Selbsterhaltungstrieb und wohl auch das Glück der Unwissenden. Sie schafften es, in Zwangslagen immer die richtigen Entscheidungen zu treffen und nach viermonatlicher Reise wohlbehalten zu Hause anzukommen.

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WIDMUNG

Dieses Buch ist in erster Linie R* gewidmet, dem Protagonisten dieser Erzählung. Aber auch seiner großen und großartigen Familie, die sich über Österreich, Deutschland und Brasilien verteilt hat.

DANKESCHÖN

Mein großer Dank gilt den Lektorinnen und Lektoren die sich um die Sprache kümmerten. Sie wollten hier - so wie R* - ungenannt bleiben.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Jud’nburger Gläut

Die Feuertaufe

Die Einberufung

An der Front

Davaj, davaj

Der Entschluss

Wieder westwärts

Am Bauernhof

Durch Ungarn

Österreich

Nach Hause

Epilog

Vorwort

Diese Geschichte hat mir R* persönlich erzählt. Aus Gründen der Abenteuerlust und weil ich schon immer einmal Machu Picchu sehen wollte, passierte ich auf den Weg nach Peru Brasilien, dort wo R* seit Ende des Zweiten Weltkrieges wohnt. Ich kam gerade zurecht, um seinen 90. Geburtstag inmitten seiner Familie zu feiern, und bei einem Abendgespräch kamen wir auf seinen Umzug nach Brasilien und die Gründe dazu zu sprechen. Es stellte sich heraus dass es die Angst vor dem Dritten Weltkrieg war, die ihn dorthin trieb. Er habe im Zweiten Weltkrieg genug erlebt, und wollte nicht in einem eventuellen Dritten Kanonenfutter werden.

„Genug erlebt im Zweiten Weltkrieg“, er der im besten Fall an dessen Ende 18 Jahre gewesen sein konnte? Ich wurde neugierig, aber es wurde spät und die Familie ließ ihn nicht aus ihren Händen, so weitere Details konnte ich nicht erfahren.

Die Gelegenheit kam im Jahr darauf, als R* Wien besuchte und wir uns dort im Sommer 2018 trafen. Auf einer Bank am Heldenplatz in der Sommerwärme, die R* genoss, erzählte er ausführlich seine Erlebnisse aus dem zweiten Weltkrieg und vor allem seine spektakuläre Flucht aus der Ukraine zurück in seine Heimatstadt Judenburg, die ihm 1945 zusammen mit einem weiteren österreichischen Kriegsgefangenen gelang. Hier ist seine Geschichte:

Sie handelt von der Flucht aus einem Gefangenenlager an der Grenze zur Ukraine durch Feindesland bis in die Heimat zu der gleichermaßen von Feinden besetzten Haustür. Für den 18-jährigen R* war sie ein Abenteuer, dessen Gefährlichkeit ihm nicht immer bewusst war, für den fünf Jahre älteren Max die Herausforderung seines Lebens. Kurz gesagt, sie hatten meistens den richtigen Riecher, einen unbändigen Selbsterhaltungstrieb und wohl auch das Glück der Dummen. Sie schafften es, in Zwangslagen immer die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Der Zweite Weltkrieg kostete 5,5 Millionen deutschen Soldaten das Leben, 11 Millionen waren zu Ende des Krieges in Kriegsgefangenschaft geraten, davon etwa 3 Millionen in der Sowjetunion. Von den letzteren konnten mit der Zeit etwa 2 Millionen Soldaten heimkehren, während eine Million bei Transporten und in Arbeitslagern umkamen. Mit flüchtenden Gefangenen war man nicht zimperlich, sie wurden erschossen. Dass R* und Max die Flucht aus einem russischen Lager überlebten, haben sie zu gleichen Teilen ihrer jugendlichen Unbekümmertheit, einem enormen Fluchtinstinkt und einem unbändigen Überlebenswillen zuzuschreiben, samt der Tatsache, dass sie noch nicht in den riesigen Weiten Russlands waren, als sie flüchteten, sondern in einem trotz des Krieges relativ zivilisierten Teil Europas, nämlich in Rumänien (im heutigen Moldawien) an der Grenze zur Ukraine. Bedeutung hatte, dass die Zugverbindungen, die sie für ihre Flucht benutzten, von den kriegsführenden Mächten gebraucht und erhalten wurden, um ihre Armeen zu versorgen.

R* erzählte nach bestem Wissen und Gewissen, wobei das Alter und die lange Zeitspanne, die seit dem Krieg vergangen war, wohl einige Fakten verändert haben mochten. Der Verfasser lauschte mit eifriger Neugierde und dichterischen Ohren, beides kann wohl dazu beigetragen haben, dass die eine oder Begebenheit etwas verändert oder ausgeschmückt wurde, aber im Großen und Ganzen ist es R*‘s Geschichte, die hier wiedergegeben ist.

Fluchtweg Wien – Judenburg

Fluchtweg Ostmoldawien – Wien

Jud’nburger Gläut

Das Jud‘nburger Gläut

das hört ma gar weit

und wer trauri wohl wern

wann is neama wer hörn.

Volkslied (Musik: J. Gauby)

Die Feuertaufe

Das war ein Hallo und Jubel im Saal. Soeben war der Direktor gemeinsam mit einem holzbeinbewehrten Major des Rekrutierungsbüros des Wehrmacht-Stadtkommandos in der Aula des Pestalozzi Gymnasiums in Graz aufgetreten. Alle Schüler der männlichen Klassen 6 bis 8 waren versammelt. Der Direktor hatte zuerst die patriotische Haltung der Jugend der Ostmark und insbesondere die der Grazer Jugend gelobt, und danach hatte der vom Krieg gezeichnete Major eine feurige Rede über die heldenhaften Kesselschlachten der Deutschen Wehrmacht im Osten gehalten und die Ausdauer und Zähigkeit gelobt, mit der sich die Soldaten des Reiches einer erdrückenden Übermacht von Bolschewisten zur Wehr setzten. „Aus diesem Grunde ist es notwendig, dass alle, die wir wehrtauglich sind, das Reich unterstützen und unseren Teil dazu beitragen, um den Feind endgültig zu besiegen. Auch die Jüngsten unter uns können ihren Mann stellen, es gibt viele Aufgaben bei der Luftabwehr, bei der Heimatverteidigung, bei der Materialbeschaffung, die von euch Jungen mitgetragen werden können. Deswegen appelliert der Führer an euch alle, sich freiwillig zum Feriendienst für das Vaterland zu melden. Je mehr von euch sich anmelden, desto schneller wird der Endsieg erreicht werden!“

In der Schule war die Stimmung ausgelassen. Wir schreiben das Jahr 1943, in einer Woche, Mitte Juli, wird die Schule zu Ende sein, und viele wussten ohnehin nicht, was sie in den Ferien tun sollten. Ein organisierter Einsatz im Dienste des Vaterlandes beim Reichsarbeitsdienst war eine willkommene Abwechslung, man versprach sich einen Ortswechsel, wahrscheinlich sogar Abenteuer, gesicherte Mahlzeiten und ein Entkommen aus der elterlichen Aufsicht.

Und so kam mit der Post in das Judenburger Elternhaus des sechzehnjährigen R ein gelbes Schreiben, sich am 26. Juli 1943 bei der Rekrutierungsstelle Leoben einzufinden, um den Ferienarbeitsdienst von vier Wochen anzutreten. R* nahm Abschied von zu Hause, wie man Abschied nimmt, wenn man ins Ferienlager geht, mit freudigem Eifer die Ermahnungen der Eltern, auf sich aufzupassen – bei einem Ohr hinein und beim anderen hinaus –, abwimmelnd. In einen Rucksack werden die wichtigsten Dinge gepackt, Zahnbürste war dabei und ein kleines Notizbuch.

Es war ein heißer Sommer, und die Einkleidung war einfach: kurze Hosen (von der Hitlerjugend ausgeliehen), dito Hemd. Eine Arbeitsjacke und Arbeitshose stammten aus den Beständen des Winterhilfswerks. Eine Soldatenmütze, ein Brotbeutel mit Wasserflasche und ein Spaten rundeten die Ausrüstung ab. Der langgewachsene und schlaksige Gymnasiast R* sah sich im Spiegelbild seiner freudestrahlenden Kameraden: Jetzt werden wir unseren Mann für das Vaterland stellen. Wobei nicht ganz sicher war, welches das Vaterland war: das Großdeutsche Reich oder eher die Zwergrepublik Österreich, zurzeit Ostmark genannt.

Zunächst war aber nichts von dem großartigen patriotischen Auftrag zu merken. Eine Woche lang musste eine paramilitärische Grundausbildung durchgemacht werden, wobei der Spaten die Stelle der Waffe einnahm. Diejenigen, die bei der Hitlerjugend waren, kannten das alles schon und taten sich dementsprechend leicht. Für R* war aber alles neu und spannend. Mit dem Spaten konnte man einfach alles machen: Sich schützend eingraben, sich zur Wehr setzen, Nahkämpfe ausführen, Latrinen ausheben, Tiere schlachten, Straßen bauen, Panzer sabotieren, und noch vieles mehr. Der Spaten war quasi die Braut des Arbeitsdienstmannes und dessen Lebensversicherung. Das war eine lange Woche, dachte R*, aber man hat viel dazugelernt. Nicht nur, was den Spaten betrifft. Die Unterbringung in Militärbaracken in Schlafsälen mit zwölf Stockbetten in stickiger Mannesluft war genauso lehrreich wie das eintönige Essen: Grütze und Brot und Kaffee in der Früh, einen Schlag Eintopf zu Mittag und einen frischen Keil Brot mit Käse und Margarine am Abend. Und wohlgemerkt: „Ihr seid beim Arbeitsdienst, deswegen bekommt ihr eine extra kräftige Mahlzeit: Dankt dem Führer für diese Wohltat!“

Nach einer Woche Körperertüchtigung, Spatenanwendung, Gleichschritt üben und Studium der militärischen Grundordnungen wurde zum Morgenappell gerufen. Nach den üblichen Lobsprüchen auf den Führer wurde endlich die Katze aus dem Sack gelassen: Die ganze Arbeitseinheit, bestehend aus 48 Barackeninsassen im Alter von 16 bis 18 Jahren, wird nach Kroatien verlegt, um dort bei den deutschen Truppen, die wiederum die junge kroatische Heimwehr unterstützten, Pioniereinsatz zu leisten. So kamen sie ins kroatische Karlovac, wovon aus sie in die Umgebung verteilt wurden, um vor allem die von Titos Partisanen gesprengten Straßen und Brücken wiederherzustellen. Das Glück der jungen Männer war beinahe perfekt: Köstliches Essen im Vergleich zum Lageressen in Leoben, angereichert mit Äpfeln und Pflaumen einer fruchtbaren Gegend, harte Arbeit, aber doch in freier Natur, mit relativ wenig Zwang und Lagerfeuerromantik am Abend. Die Gruppe, der R* angehörte, bestand aus acht Mann, die für drei Wochen harte Straßenbauarbeit leisten mussten, die sich aber andrerseits am Abend eher unbesorgt dem Lagerleben hingeben konnten. Nur die deutschen Soldatenwachen erinnerten sie daran, dass sie nicht in einem Ferienhilfswerk arbeiteten, sondern Kriegsdienst leisteten. Ein Kroate namens Josip Broz Tito war gerade dabei, weitere Partisanengruppen aufzustellen, die das deutschfreundliche Ustascha-Regime bekämpften. Man konnte nie wissen, wann und wo solche Partisanengruppen auftauchten, die in ihrer Entschlossenheit sehr gefährlich werden konnten, wenn sie deutsche Einrichtungen bekämpften.

Aber die Feindesseite bestand nicht nur aus Partisanen, sondern diese bekamen zunehmend Unterstützung durch die Kriegsmächte der Alliierten. Und so geschah es, dass plötzlich eines Nachmittags ein merkwürdiges Brummen hörbar wurde, das bald zu einem mächtigen Gewittergrollen anschwoll. Die deutschen Soldaten befahlen allen Bauarbeitern, sofort Schutz im nahen felsigen und buschbewachsenen Gelände zu suchen, zum Eingraben war es zu spät. Und dann öffnete sich der Himmel, nein kein Gewitter war es, Bomben fielen aus den Bäuchen der 4-motorigen englischen Langstreckenbomber, die das gemeinsame Lager der deutschen und kroatischen Ustascha-Truppen bombardierten, welche einige Kilometer von der Baustelle entfernt war, auf der R* und seine Kameraden arbeiteten. Sie mussten mitansehen, wie jeder Einschlag eine Fontäne aufriss, zum Himmel spritzte und Menschen und Gliedmaßen mitwirbelte, Vieh und Maschinenteile, Autos und Kanonen durcheinanderflogen. Um beim Gewitterbild zu bleiben, es regnete Körperteile, Blech und Steine.

Mit einmal war die Lagerromantik zu Ende, die Jungen hatten die Hosen voll, und das Lager hatte Hunderte von Opfern zu beklagen. Jeder musste mitangreifen, um Kameraden zu beerdigen, Verwundete zu versorgen, Blindgänger zu entschärfen, Baracken zu reparieren, um ein Dach über den Kopf zu bekommen. Der Nachschub musste wieder organisiert, die strategische Situation neu überdacht werden, so verging der Rest der Lagerzeit mit dem Schlecken der Wunden. Von den 48 Arbeitsdienstkollegen waren „nur“ vier gefallen, auch um diese musste man sich kümmern. Die Lagerleitung hatte zu entscheiden, ob Heimtransport der sterblichen Überreste möglich war. Die Stimmung der jungen Soldatenhelfer war beim Teufel, jetzt hatten sie den Krieg erlebt. Die Feuertaufe ist saftig ausgefallen. Mit einem Schlag fand der romantische Teil der Arbeitsferien ein abruptes Ende. Was wird der Direktor beim Schulbeginn über die Heldenhaftigkeit seiner Schüler zu berichten haben? Eines war jetzt schon sicher für die Jungen: Es wird viel zu erzählen geben, wenn (und falls) sie heimkommen. Sie konnten die Zeit bis zum Ende der dritten Arbeitswoche kaum abwarten. Der Transportzug nach Graz brachte die Erlösung.

Zu Schulbeginn im September fand die Trauerzeremonie statt. Der Direktor lobte die Tapferkeit aller Schüler, die der Heimat große Dienste in schweren Zeiten erwiesen hatten. Dass einige nicht mehr heimkehrten, gehört zum Blutzoll, den man für den Schutz der Heimat zahlen müsse. Aber es werden wieder bessere Zeiten kommen: „Euch junge Kämpfer werden wir nie vergessen!“ Und nachdem alle gemeinsam „Den guten Kameraden“ von Ludwig Uhland gesungen hatten, konnte man zur Tagesordnung übergehen, das heißt, ein neues Schuljahr folgte auf diesen Erlebnissommer. Ein Schuljahr mit zunehmender Verknappung der Lebensmittel, mit Lebensmittelkarten, mit feurigen Reden der NS-Spitzen, die am Volksempfänger mitgehört wurden; weiters mit Luftschutzübungen, mit Sammeln von Kleidern für das Winterhilfswerk, mit Ausbildung zu Flakhelfern, Krankenpflegern und Flugzeugspähern. Dass es an der Ostfront massive Rückeroberungen durch die Rote Armee gab und dass Italien aus dem Krieg ausschied, dass die Wehrmacht überall auf dem Rückzug war, konnte man den Nachrichten nur so nebenbei entnehmen.

Daneben kam der Schulbetrieb, in dem einige Fächer in R*s Gymnasium, wie zum Beispiel Latein, Geografie oder Leibesübungen, weniger wichtig geworden waren, da die zum Kriegsdienst eingezogenen Lehrer durch pensionierte Kollegen ersetzt wurden. Diejenigen der Schulkameraden, die der Hitlerjugend angehörten, waren aber noch immer Feuer und Flamme für den Krieg. Bei den meisten anderen Schülern, und so auch bei R*, war der Enthusiasmus für den Krieg und seine Abenteuer beträchtlich gesunken. Nichtsdestoweniger wurden die Schüler der Jahrgänge 1927 und 1928 zur „freiwilligen“ Musterung einberufen, bei der geklärt werden sollte, inwiefern Tauglichkeit für die Einberufung zum Kampfeinsatz vorhanden sei. Der langgebaute und mit ausladenden Schritten marschierende R* wäre ein gefundenes Fressen für die Infanterie, so lautete das Urteil der Musterungskommission. Und man hoffe sehr, dass er sich freiwillig melden würde, zumal sein Vater als Anwalt eine stadtbekannte Persönlichkeit war. In einer Kleinstadt wie Judenburg war dies nicht so schwierig, weil beinahe jeder jeden kannte. Judenburg war ein traditioneller Handelsplatz, wo schon seit dem Mittelalter Handelswege von allen Himmelsrichtungen sich kreuzten und so für internationalen Handel sorgten. Außerdem gab es Metallverarbeitungsbetriebe und die nahegelegenen Bergwerke, die der Stadt einen gewissen Wohlstand verliehen. Das schuf auch einen guten Boden für einen tüchtigen Anwalt wie den Vater R*s.

Die Einberufung

Die Kriegsereignisse wendeten sich mit dem Jahreswechsel nicht zum Besseren, und so musste R* zusammen mit Eltern, Schulkameraden, ja mit der ganzen übrigen Bevölkerung im Frühjahr 1944 erleben, dass immer mehr Bataillone für das letzte Aufgebot aufgestellt wurden, um doch noch das Kriegsglück herumzureißen. Kinder und Greise sollten das vollbringen, was Millionen von Soldaten nicht schafften. Es war nur eine Frage der Zeit, wann R* den nächsten gelben Zettel bekommen würde. Er hatte insofern Glück (oder gab es doch eine gewisse Planung?), dass er die 7. Klasse Gymnasium noch beenden konnte.

Im Juli 1944 war es dann so weit. Der Zettel kam mitten in den Schulferien und damit die Einberufung zum Kriegsdienst. Diese Ferien waren keine richtigen Ferien, so wie er sie von früher kannte, mit Faulenzen, Lesen, Ausflügen auf die Alm, Fahrradtouren zum Klopeinersee. Im Elternhaus in Judenburg hatte man alle Vorkehrungen getroffen, um dem immer größer werdenden Mangel an Lebensmitteln entgegen zu wirken. R* war der einzige Unverheiratete und zu Hause Lebende der Geschwister und musste deshalb fleißig mithelfen. Es gab einen großen Garten, und die Anbaufläche wurde auf Kosten des Rasens stark vergrößert. Kartoffeln, Weißkraut, Bohnen, Möhren, Tomaten und Paprika, das waren die Grundnahrungsmittel, die für einen Haushalt das ganze Jahr ausreichend vorhanden sein sollten. Ein Winkel des Gartens wurde für die Hühner hergerichtet, die für Eier und Fleisch zuständig waren. Dazu wuchsen im Garten viele Obstbäume mit allen in der Steiermark gängigen Früchten, sodass ein entsprechender Wintervorrat eingelagert oder eingelegt werden konnte. Ein Nussbaum sorgte für die Ingredienzien der köstlichen Bäckereien um Weihnachten. Die Mutter war eine Strategin, die genau wusste, was und wieviel von jedem benötigt wird, um über die Runden zu kommen. Zum Haushalt zählten mit der Dienstmagd und R* nur vier Personen, aber zum Jahresende, wenn alles gut geht, wird es etwa 20 Münder der Großfamilie geben, die über Weihnachten und Neujahr gefüttert werden wollten. R*s Aufgabe war es, Früchte und Gemüse zu ernten und den Garten zu pflegen. Das lenkt ab und lässt dieses flaue Magengefühl vergessen, das einen befällt, wenn man weiß, dass etwas Ernstes bevorsteht.