Die XX-Medizin - Vera, Prof. Dr. med. Regitz-Zagrosek - E-Book

Die XX-Medizin E-Book

Vera, Prof. Dr. med. Regitz-Zagrosek

0,0

Beschreibung

Frauen und Männer erkranken und genesen anders. Selbst bei gleicher Krankheit sind Risikofaktoren, Symptome und das Ansprechen auf Medikamente nicht immer identisch. Die relativ neue Fachdisziplin der Gendermedizin stellt das bisherige Vorgehen und Denken der Schulmedizin in Frage und bezieht biologische Unterschiede, aber auch Lebensphasen beider Geschlechter mit ein. Die beiden renommierten Ärztinnen erklären anschaulich, warum wir eine geschlechtersensible Medizin brauchen und was Frauen wissen sollten, um selbst aktiv zu werden. Denn am Ende sollte jeder genau die Behandlung bekommt, die er oder sie benötigt.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 344

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Prof. Dr. med. Vera Regitz-ZagrosekDr. med. Stefanie Schmid-Altringer

DIE XX-MEDIZIN

DAS GESUNDHEITSBUCH FÜR FRAUEN

Neue Erkenntnisse aus der Gendermedizin

Dieses Buch enthält Links zu externen Webseiten Dritter, auf deren Inhalte der Scorpio Verlag keinen Einfluss hat. Deshalb können wir für diese fremden Inhalte auch keine Haftung übernehmen. Für die Inhalte der verlinkten Seiten ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber der Seiten verantwortlich. Die verlinkten Seiten wurden zum Zeitpunkt der Verlinkung auf mögliche Rechtsverstöße überprüft, rechtswidrige Inhalte waren nicht erkennbar. Bei Bekanntwerden von Rechtsverletzungen werden wir derartige Links umgehend entfernen.

Wichtiger Hinweis:Die Informationen und Ratschläge in diesem Buch wurden mit größter Sorgfalt von Autor und Verlag erarbeitet und geprüft. Alle Leserinnen und Leser sind jedoch aufgefordert, selbst zu entscheiden, ob und inwieweit sie die Anregungen in diesem Buch umsetzen wollen. Eine Haftung des Autors bzw. des Verlags für Personen-, Sach- oder Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

1. eBook-Ausgabe 2022

Vollständige Taschenbuchausgabe 2021

© 2020 der Originalausgabe »Gendermedizin« Scorpio,

ein Imprint der Europa Verlage GmbH, München

Logoentwurf: Hauptmann und Kompanie, Zürich

Umschlaggestaltung: Danai Afrati, München

Umschlagmotiv: © Adobe Stock / Naufal

Lektorat: Janette Schroeder, Berlin

Illustrationen auf den Seiten 18, 23, 78, 129, 156, 167, 170, 197, 199, 219, 222, 241, 264, 269, 274, 277: Wolfgang Pfau, Baldham Layout und Satz: Buchhaus Robert Gigler, München

Konvertierung: Bookwire

ePub-ISBN: 978-3-95803-455-6

Das eBook einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Nutzer verpflichtet sich, die Urheberrechte anzuerkennen und einzuhalten.

Alle Rechte vorbehalten.

www.scorpio-verlag.de

INHALT

WARUM DER »KLEINE« UNTERSCHIED EINE GROSSE ROLLE SPIELT

GESCHLECHTERSENSIBLE MEDIZIN: WAS IST GLEICH, WAS IST ANDERS?

Was ist Gendermedizin?

Frauen sind keine Männer – biologische Unterschiede

Von Anfang an sind wir anders

Gene haben Schalter – Epigenetik

Messbare Unterschiede – größer, weiter, schneller?

Lebenslang – geprägt von Sexualhormonen

Frausein 2.0 – psychosoziale Unterschiede

Frauengesundheit neu gedacht

Extra: Pandemie-Folgen für Frauen

Gesund als Mädchen, gesund als Frau

Defizite sind erlernbar, Stärken auch

Weibliche Lebenserfahrungen

Muttersein hat Potenzial

FRAUEN UND PRÄVENTION

Ressourcen stärken – statt Risikodenken

Das Konzept der Risikofaktoren

Welche beeinflussbaren Risikofaktoren gibt es?

Motivation ist Ihre Chance, gesünder zu leben

Nutzen Sie Ihre Ressourcen

Ändern Sie Ihre Prioritäten zugunsten Ihrer Gesundheit

Denken Sie um!

Fördern Sie Ihre Ressourcen

Pausenkultur – statt pausenlos im Einsatz

Essen, was stärkt – statt Diätenterror

Bewegungslust – statt Leistung

DOC-TALK: ZWEI ÄRZTINNEN, ZWEI GESCHICHTEN, ZWEI PERSPEKTIVEN

FRAUEN UND MEDIKAMENTE: SCHLUCKEN, WAS GESUND MACHT?

Warum Frauen mehr, weniger oder andere Medikamente brauchen als Männer

Wie unser Körper Medikamente aufnimmt

Auch Fett spielt eine Rolle

Die Leber – zentrale Verarbeitungsstation für Medikamente

Die Nieren – Ausscheidung der Arzneimittel

Sexualhormone und Arzneimittel beeinflussen sich gegenseitig

Wie Arzneimittel getestet werden

Tierversuche

Klinische Studien

Verordnung und Einnahme von Arzneimitteln

Was wird wem verordnet?

Sich selbst helfen?

Hormontherapien und Eingriffe in die Schwangerschaft

Sexualorgane

Verhütung

Schwangerschaftsabbruch

Kinderwunsch und Unfruchtbarkeit

Hormontherapie in der Postmenopause

Arzneimittel in der Schwangerschaft

Eine Schwangerschaft verändert den Arzneimittelstoffwechsel

Direkte Effekte der Arzneimittel auf den Fötus

Unterschiedliche Wirkungen und Nebenwirkungen von Arzneimitteln

WAS FRAUEN WISSEN MÜSSEN, WENN SIE KRANK SIND

Risikofaktoren und Vorbeugung

Die wichtigsten Risikofaktoren

Die eigenen Werte kennen

Risikofaktoren im Überblick

Das weibliche Herz-Kreislauf-System

Wie das Herz und seine Gefäße funktionieren

Die häufigsten Herz- und Gefäßkrankheiten

Behandlung für Frau und Mann – eine kurze Übersicht

Frauen und Herzinfarkt

Symptome: Wie Frauen den Infarkt erleben

Wie kommen Frauen an die richtige Diagnose?

Welche Verfahren bei der Diagnostik helfen

Krankheitsursachen für einen Herzinfarkt bei Frauen

Therapie und Verlauf

Erholung und Rehabilitation

In der Schwangerschaft

Frauen und Herzschwäche

Wie wird Herzschwäche diagnostiziert?

Welche Therapien stehen zur Verfügung?

Herzschwäche und Schwangerschaft

Frauen und Bluthochdruck

Wie erkenne ich Bluthochdruck?

Welche Medikamente helfen bei Bluthochdruck?

Bluthochdruck und Schwangerschaft

Frauen und Herzrhythmusstörungen

Vorhofflimmern

Andere Herzrhythmusstörungen

Herzklappenerkrankungen: Welche Therapie für wen?

Mitralklappenprolaps (MKP)

Mitralstenose

Erkrankungen der Aortenklappe

Diabetes mellitus und Bauchspeicheldrüse

Die Bauchspeicheldrüse

Typ-1-Diabetes

Schwangerschaftsdiabetes

Typ-2-Diabetes

Symptome, Frühformen und Diagnose

Risikofaktoren für Diabetes

Prävention und Versorgung bei Diabetes

Verlauf und Komplikationen

Die weibliche Leber – Stoffwechselzentrale und Entgiftungsstation

Alkoholbedingte Lebererkrankungen

Leberentzündungen

Autoimmunerkrankungen der Leber

Gallenerkrankungen

Das weibliche Immunsystem

Rheuma und rheumatoide Arthritis

Morbus Bechterew

Multiple Sklerose (MS)

Lupus erythematodes

Systemische Sklerose

Sjögren-Syndrom

Fibromyalgie

Extra: Gender und COVID aus medizinischer Sicht

Das weibliche Gehirn und die Psyche

Größe und Funktion des Gehirns

Schlaganfall

Demenz und Alzheimer-Krankheit

Epilepsie

Depression

Die weibliche Lunge

Chronische Lungenerkrankungen

Lungenkrebs

Lungenembolie

Lungenhochdruck und Appetitzügler

Die weibliche Niere

Chronische Niereninsuffizienz

Diabetische Nierenerkrankungen

Polyzystische Nierenerkrankungen

Die weibliche Schilddrüse: Auf Jod kommt’s an

Über- und Unterfunktion

Die weiblichen Knochen und Gelenke

Osteoporose

Kniegelenke

Karpaltunnelsyndrom

Frauen und Bluterkrankungen

Anämien

Venenthrombosen und Lungenembolien

Frauen und Magen-Darm-Erkrankungen

Magenschleimhautentzündungen und Magenkrebs

Entzündliche Darmerkrankungen

Darmkrebs

ES GIBT NOCH VIEL ZU TUN!

ZUM NACHSCHLAGEN

Glossar

Bücher, Publikationen und Links

Quellenangaben

Dank

Über die Autorinnen

WARUM DER »KLEINE« UNTERSCHIED EINE GROSSE ROLLE SPIELT

Frauen und Männer sind nicht gleich, aber sie sollten in der Medizin wie auch sonst in der Gesellschaft gleichberechtigt und gleich gut behandelt werden. Was sich so selbstverständlich anhört, ist noch längst nicht in der tagtäglichen Gesundheitsversorgung angekommen, meist zulasten von Frauen. Um Frauen und Männer gleich gut zu behandeln, muss man ihre Ungleichheit anerkennen und ganz konkret erforschen. Wie entscheidend dies vor allem für Frauen ist, hat die Corona-Pandemie deutlich gezeigt. Die moderne junge Disziplin einer geschlechtersensiblen Medizin, die Gendermedizin, die sich bei uns in Europa seit der Jahrtausendwende entwickelte, hat sich genau das zum Ziel gesetzt.

Wir Ärzt*innen konzentrierten uns lange Zeit vor allem auf »den Patienten«, scheinbar geschlechtslos. Aber bei genauem Hinsehen ist der Prototyp Mann das Maß aller Dinge. Frauen und Männer unterscheiden sich in ihrer Biologie jedoch grundlegend – jede Hirn-, Herz-, Leberzelle usw. ist, wie wir heute wissen, bei Frauen und Männern unterschiedlich – und dennoch ignoriert die medizinische Forschung den Unterschied zwischen den Geschlechtern weitgehend. Der typische Studienteilnehmer ist ein Mann, und selbst Tierversuche werden vor allem an männlichen Tieren, meist an jungen männlichen Versuchsmäusen, vorgenommen. Das heißt dann: Die Tiermodelle sind so aufgebaut, dass sie die Wirkung einer Therapie oder eines Medikaments nur an Männern abbilden – konkret: an jungen, gesunden Männern zwischen 18 und 35 Jahren. Nur für diese vergleichsweise kleine Zielgruppe werden Medikamente entwickelt sowie deren Wirkungen, Nebenwirkungen und Sicherheit getestet. Tests an weiblichen Mäusen werden zu wenig gemacht, weil die Forscher befürchten, dass der Zyklus der Mäuseweibchen die Ergebnisse der Experimente beeinflussen könnte. Das bedeutet letztlich aber, dass die Frauen schlechter versorgt werden, weil sie Therapien und Medikamente, was die Sicherheit angeht, quasi »ins Blaue« hinein verordnet bekommen. Aus Studien wissen wir außerdem, dass Frauen meist die billigeren Medikamente und weniger Interventionen angeboten bekommen und später – manchmal zu spät! – behandelt werden. Medizin ist also auch ein Politikum und ein Gleichstellungsthema, denn es wird trotz 50 Jahren Frauenbewegung immer noch viel mehr Geld für die Erforschung und Behandlung von Krankheiten von Männern ausgegeben.

Patientinnen sind keine Patienten, das ist mittlerweile zunehmend klar. Aber diese Unterschiede gehen über rein biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen weit hinaus. Wir haben mit der Zeit immer mehr darüber herausgefunden, wie sich das soziokulturelle Frau- oder Mann-Sein (Gender) und das biologische Geschlecht wechselseitig beeinflussen. Heute befassen wir uns in der Gendermedizin mit diesen Interaktionen und versuchen herauszufinden, wie das ganz konkret geschieht und welche Folgen das hat. Dabei gibt es zwei Richtungen: Einmal beeinflusst die Biologie – wie etwa Körpergröße, Hormone und Immunsystem – das Verhalten, und auf der anderen Seite beeinflusst das Verhalten – etwa die Exposition gegenüber Umweltgiften, Viren, Rauchen, Bewegung, Essverhalten – die Biologie. Die moderne Biologie liefert dafür seit einigen Jahren Erklärungen in Form der sogenannten Epigenetik-Mechanismen, sodass moderne Genderforschung und moderne molekulare Biologie in der Gendermedizin zusammenkommen. Diese Wechselwirkung im Auge zu behalten ist uns wichtig, und zwar für Männer und für Frauen gleichermaßen.

Gendermedizin ist nicht vom Ursprung her feministisch, aber manche ihrer Ziele sind es, denn wir wollen mit unserer Forschung die Medizin für beide Geschlechter verbessern. So gelten zum Beispiel Depression oder Osteoporose als typische Frauenerkrankungen und werden von Männern und von Ärzt*innen oft unterschätzt und nicht rechtzeitig diagnostiziert. Bei diesen beiden Erkrankungen werden interessanterweise die Medikamente vor allem an Frauen getestet, was bedeutet, dass ihre Wirkung bei Männern möglicherweise nicht optimal ist. Meist ist es aber andersherum, insofern ist der Nachholbedarf an Wissen über Frauengesundheit deutlich größer als bei Männern.

Ein Beispiel dafür, wie sich der Geschlechterunterschied konkret in der Medizin und in der Forschung auswirkt, möge das illustrieren. Noch in den 1990er-Jahren wussten selbst Ärzt*innen nicht, dass sich ein Herzinfarkt bei Frauen oft anders zeigt als bei Männern, wodurch oft wertvolle Zeit verschenkt wurde. Sogar heute noch denken viele Frauen und manche Ambulanzärzt*innen bei unspezifischen Symptomen wie Luftnot und starker Übelkeit nicht an einen Herzinfarkt, und betroffene Frauen werden deshalb zu spät behandelt. Das Wissen einer geschlechtersensiblen Medizin kann also Leben retten oder Gesundheit verbessern, wenn es in der Praxis angewandt wird. Genau das wollen wir Ihnen, liebe Leserin, mit diesem Buch ermöglichen.

Prof. Dr. med. Dr. h.c. Vera Regitz-Zagrosek

Dr. med. Stefanie Schmid-Altringer

GESCHLECHTERSENSIBLE MEDIZIN: WAS IST GLEICH, WAS IST ANDERS?

Bestimmt erkennen Sie in Sekundenschnelle und oft schon von Weitem, ob es sich bei einer fremden Person um eine Frau oder einen Mann handelt: am Gang, am ganzen Erscheinungsbild und natürlich am Vorhandensein der sogenannten sekundären Geschlechtsmerkmale, sprich Bart oder Brüsten. Es ist also völlig klar, dass es handfeste, mess- und sichtbare körperliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt. Aber Vorsicht, nicht jeder Unterschied ist rein biologischen Ursprungs – wie zum Beispiel XX und XY –, vielfach sind Erziehung und äußere Einflüsse, also die Gesellschaft und die Herkunftsfamilien, mit an den Unterschieden beteiligt. Genau das macht die Gendermedizin so spannend und schwierig zugleich. Manchmal meinen wir, ein Symptom ist rein psychisch, doch bei genauem Hinsehen verbirgt sich dahinter zum Beispiel die deutlich andere Hormonkonstellation von Frauen und Männern. Dieser biologische Unterschied wirkt sich auf die Psyche aus. Ein hormonell bedingtes psychisches Ungleichgewicht wie beispielsweise in den Wechseljahren oder in der Schwangerschaft kann außerdem auch soziale Folgen haben. Um diese komplexen gendermedizinischen Zusammenhänge und Wechselwirkungen besser verstehen – und praktisch anwenden – zu können, haben wir das Buch in biologische und psychosoziale Unterschiede gegliedert, wohl wissend, dass beide untrennbar miteinander verbunden sind und sich gegenseitig beeinflussen. In diesem Sinn, viel Spaß beim Entdecken der Unterschiede und Gemeinsamkeiten: Let’s go Gendermedizin, lesen Sie los!

WAS IST GENDERMEDIZIN?

Die relativ junge Forschungsrichtung der Gendermedizin entstand nach der Frauenbewegung in den späten 1980er-Jahren in den USA unter dem Begriff »Frauengesundheitsforschung« und kam dann mit der Jahrtausendwende nach Europa. In Deutschland wurde 2003 an der Charité in Berlin die erste Professur für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Frauen eingerichtet, woraus dann das heutige interdisziplinäre Zentrum für Gendermedizin wurde. Erforscht wird in der Gendermedizin, wie sich biologische Unterschiede zwischen Frauen und Männern, zum Beispiel Körpergröße oder Sexualhormone, auf die Gesundheit auswirken und welchen Einfluss der Genderfaktor – also die je nach Geschlecht unterschiedliche Prägung durch Erziehung und Gesellschaft – auf die Entstehung von Krankheiten hat.

Der Begriff geschlechtersensible Medizin macht sogar noch deutlicher, dass nicht nur der Genderfaktor, sondern auch die biologischen Unterschiede zwischen Frauen und Männern erforscht werden. Beide Geschlechter sollen davon profitieren. In diesem Ratgeber stehen die Frauen im Zentrum, da sie bisher in der Medizin benachteiligt wurden. Moderne Forschungsansätze der Medizin liefern heute erstmals Ergebnisse, mit denen biologische Unterschiede, Genderfaktoren und die Wechselwirkung zwischen beiden wissenschaftlich erklärbar werden.

Worin sich Frauen und Männer unterscheiden, entwickelt sich aber kontinuierlich weiter. Dabei spielen vor allem sich ständig wandelnde gesellschaftliche Bedingungen und Werte eine wichtige Rolle, die sich wiederum auf das Gesundheitsverhalten von Frauen und Männern auswirken. Um dies messbar zu machen, beschäftigt sich die Gendermedizin aktuell mit der Entwicklung eines Gender-Scores, der die verschiedenen Faktoren in Punktesystemen getrennt erfasst und zusammen bewertet. Gendermedizin nützt also beiden Geschlechtern, indem sie nicht nur das Geschlecht Frau oder Mann als Minimalvariante berücksichtigt, sondern immer wieder und ganzheitlich unterschiedliches Verhalten und andere Lebensumstände von Frauen und Männern in ihre Untersuchungen mit einbezieht.

FRAUEN SIND KEINE MÄNNER — BIOLOGISCHE UNTERSCHIEDE

In diesem ersten Kapitel betrachten wir das Dasein als Frau ab dem Augenblick, in dem sich Ei- und Samenzelle treffen, denn hier werden die allerersten Weichen gestellt. Sie erfahren, wie unterschiedlich die Entwicklung im Bauch der Mutter verläuft und welche lebenslangen Folgen das hat. Dabei geht es natürlich auch um Ihren typisch weiblichen »Bauplan«, in diesem Fall Ihre DNA oder Geninformation, und rein körperlich messbare Unterschiede wie Blutwerte, Muskel- und Fettgewebe, aber auch um den Dauerbrenner Hormone. Wenn Sie denken, dass Sie über diese Themen schon alles wissen, werden Sie staunen: Die Gendermedizin stellt auf den Kopf, was wir alle lange gedacht und einfach geglaubt haben. Ihrer Gesundheit zuliebe sollten Sie die kursierenden Gendermythen entlarven und echte Unterschiede kennenlernen.

Von Anfang an sind wir anders

Die geschlechtlichen Weichen für die Entwicklung zur Frau oder zum Mann werden schon bei der Zeugung im Bauch der Mutter gestellt. Bei uns Menschen sind zunächst die Gene entscheidend. Genau in dem Moment, wo die Eizelle mit ihren zwei weiblichen X-Chromosomen auf das männliche XY-Spermium trifft, entscheidet sich das kindliche Geschlecht. Unter dem Einfluss der Gene entwickeln sich die Geschlechtsorgane, die ab der siebten Schwangerschaftswoche mit der Hormonproduktion beginnen und die unterschiedliche Entwicklung beider Geschlechter steuern.

Jede Zelle Ihres Körpers enthält 44 Chromosomen und zusätzlich noch zwei Geschlechtschromosomen. Sind nach der allerersten Zellteilung zwei weibliche Geschlechtschromosomen am Start, so reifen weibliche Geschlechtsorgane heran. Damit verändert sich die gesamte Hormonsituation, und aus dem ersten Zellhaufen wird nach und nach ein Mädchen. Interessant, dass sich aus XY nur dann ein Junge entwickelt, wenn die weibliche Entwicklung durch spezielle »Hemmgene« auf dem Y-Chromosom unterbrochen wird.

Hätten Sie’s gedacht?

Auf dem X-Chromosom gibt es mehr Gene als auf dem Y-Chromosom

Auf dem X-Chromosom befinden sich über 1500 Gene, die unseren Körper und vor allem das Herz, Gehirn und Immunsystem prägen. Das Y-Chromosom dagegen hat im Laufe der Evolution den Großteil seiner Gene verloren und trägt nur noch weniger als 100 Gene, alle mit dem Schwerpunkt Geschlechtsentwicklung und Sexualfunktion. Jede Ihrer Zellen als Frau enthält die Genbotschaft XX. Eigentlich sollte deshalb immer eines der beiden X-Chromosomen inaktiv sein. Aber in der Realität wird das zweite X-Chromosom nicht immer vollständig abgeschaltet. Rund 15 Prozent der daraufliegenden Gene bleiben trotzdem aktiv. Diese können im Fall krankhafter Veränderungen des aktiven X-Chromosoms einspringen und eine Schutzfunktion übernehmen, etwa vor Erkrankungen, die mit dem X-Chromosom zusammen vererbt werden. Bei Rot-Grün-Blindheit oder der Bluterkrankheit ist das beispielsweise der Fall.

Der Mix macht’s – Gene steuern Hormone

Die Gene auf den beiden Geschlechtschromosomen XX und XY steuern jeweils die Produktion der weiblichen bzw. männlichen Sexualhormone, die wiederum bereits beim Ungeborenen das An- und Ausschalten zahlreicher anderer Gene und damit die weitere Entwicklung zum Mädchen oder Jungen beeinflussen. Es ist wichtig zu verstehen, dass beide Geschlechter sowohl männliche (Testosteron) als auch weibliche (Östrogen) Sexualhormone brauchen, jedoch in unterschiedlichen Mengen. Weibliche Embryos produzieren wenig Testosteron, aber viel Östrogen. Beim männlichen Embryo sieht es anders aus. Ab der siebten Schwangerschaftswoche wird in seinem Hoden bereits viel Testosteron produziert. Es regt beim männlichen Embryo die weitere Entwicklung des Hodens an und stimuliert das Wachstum, vor allem der Muskeln. Kein Wunder also, dass Jungen bei der Geburt durchschnittlich etwas größer sind und dies auch im Erwachsenenalter bleiben. Höhere embryonale Testosteronspiegel fördern außerdem die männliche Gehirnentwicklung und stehen möglicherweise im Zusammenhang mit dem späteren Verhalten von Jungen und Männern.1 Hohes Testosteron führt demnach zu weniger kommunikativen und sozialen Persönlichkeitsmerkmalen, manchmal sogar zu autistischen Zügen und einem risikofreudigen Verhalten – getestet wurde unter anderem die finanzielle Risikobereitschaft. Beim weiblichen Embryo bewirken der niedrige Testosteron- und der gleichzeitig höhere Östrogenspiegel eine etwas andere Gehirnentwicklung. Nachgewiesen wurden etwa der größere Wortschatz von Mädchen und ihr Einfühlungsvermögen, beides offenbar Folgen der niedrigeren Testosteronkonzentration im Mutterleib.

Geschlechtsentwicklung in der Embryonalphase

So entwickelt sich der Genitalbereich in der vierten bis zwölften Schwangerschaftswoche bei Mädchen (rechts) und Jungen (links).

Hätten Sie’s gedacht?

Gibt es das dritte Geschlecht?

Das Bundesverfassungsgericht hat 2018 entscheiden, dass im Geburtenregister künftig ein dritter Geschlechtseintrag für »diverses Geschlecht« möglich sein muss. Das betrifft zum Beispiel Intersexuelle. Was bedeutet Intersexualität? Zu Beginn der Schwangerschaft entwickelt sich je nach Genen etwa ab der 6. Woche aus den gleichen Anlagen das Geschlecht. Es kommt aber vor, dass bei Embryos Sexualchromosomen fehlen oder zu viele mit im Boot sind, zum Beispiel statt XX hat derjenige XXX oder XO, oder die Genitalien entwickeln sich anders. Dann hat das Kind im Gentest weibliche Chromosomen, entwickelt sich aber in der Pubertät äußerlich wie ein Junge. Das kann gesundheitliche Folgen haben, muss es aber nicht. Psychisch ist diese Grauzone belastend. Oft fragen Eltern oder Betroffene, welches Geschlecht sie denn nun haben, und das Wissen um die Intersexualität macht es nicht einfacher. Intersexualität ist keine Krankheit und vor allem kein Grund zur Diskriminierung. Die neue Regelung ist ein wichtiger Schritt, aber Probleme gibt es dennoch mit dem »dritten« Geschlecht. Wie soll ein Kind mit nicht eindeutigem Geschlecht erzogen werden? Muss es sich irgendwann für Frau oder Mann entscheiden? Vielleicht ist die Diskussion darüber ganz hilfreich, damit wir die Rosa-blaue-Erziehung oder die Welt der Frauenoder Männerklischees künftig etwas schneller hinterfragen.

Manche Babys kommen als »Zwitter« auf die Welt. Sie sind aufgrund ihrer Gene weder eindeutig Mädchen noch Junge und oftmals beides. Eine Krankheit ist es nicht und vor allem kein Grund zur Diskriminierung.

Transsexuell bedeutet etwas anderes, nämlich wenn jemand das eigene Geschlecht ablehnt. Die Gene sind hierbei eindeutig, die körperlichen Merkmale auch, aber die betroffene Person fühlt sich – anders als bei Transgender-Menschen – dauerhaft dem anderen Geschlecht zugehörig.

Gesund oder krank – neun entscheidende Monate

Ab wann beginnt Krankheit und wo werden die Weichen dafür gestellt? Erst seit einigen Jahren wissen Forscher, dass der noch unreife Organismus des Embryos oder später des Fötus nicht nur durch seine genetische Grundausstattung und vererbte Genvarianten, sondern auch in den neun Monaten der Schwangerschaft für das weitere Leben gesundheitlich geprägt wird. Dies wird fetale Programmierung genannt und kann sich auf weibliche und männliche Babys unterschiedlich auswirken.

Während der Entwicklung im Bauch der Mutter entsteht ein individuelles »Fenster« für die Entwicklung, sogenannte Setpoints. Sie spielen lebenslang eine Rolle, wenn es zum Beispiel um die richtige Balance des Gewichts geht. Ist die Schwangere beispielsweise übergewichtig, wird der kindliche Stoffwechsel erst mal genauso eingestellt.2 Dadurch erhöht sich das Risiko des Kindes, später überflüssige Kilos anzusammeln oder an Diabetes zu erkranken. Gleiches gilt für die Neigung zu Allergien und Gefäßverkalkung, was wiederum das Risiko für Bluthochdruck und Herzerkrankungen erhöht. Außerdem entdeckten Forscher, dass Gene eine Art Dimmer haben, mit dem ihre Wirkung reguliert werden kann (siehe Seite 22, Gene haben Schalter – Epigenetik) und revolutionierten damit die Medizin. Dies geschieht unter anderem über das, was die Mutter während der Schwangerschaft isst. Jedoch entscheidet die Grundausstattung der Gene nicht allein über Gesundheit und Krankheit: Hieran sind viele komplexe Prozesse und Wechselwirkungen beteiligt.

Die Gesundheit und das gesundheitsbewusste Verhalten der Mutter prägen, neben den Genen und Genvarianten, wie sich das Kind später entwickeln und mit welchen Krankheiten es kämpfen wird. Das bedeutet aber keineswegs, dass »Mama an allem schuld ist«, was nicht genetisch bedingt ist. Im Gegenteil, jede Schwangerschaft und jede Geburt fordert auch die Mutter in hohem Maße. Das Wissen um die fetale Programmierung soll Ihnen als Mutter und Großmutter deutlich machen, wie viel Sie in der Schwangerschaft körperlich (und seelisch) leisten, und ein Bewusstsein dafür schaffen, dass diese Arbeit Ruhe und liebevolle Unterstützung braucht, kein Multitasking bis in den Kreißsaal. Gehen Sie in der Schwangerschaft schlecht und nachlässig mit sich um, werden Sie das möglicherweise lange nach der Geburt noch merken. Denn es gibt nicht nur eine fetale Programmierung: Epigenetische Veränderungen in der Schwangerschaft beeinflussen den Gesundheitszustand der Mutter über Jahrzehnte. Darüber hinaus gibt es von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Erschöpfung bis Inkontinenz zahlreiche Erkrankungen, die sich durch die Schwangerschaften in unser Leben schleichen, wenn Frauen nicht bewusst dagegenhalten und gut für sich sorgen.

Hätten Sie’s gedacht?

Schwanger mit einem Mädchen oder einem Jungen

»Hat man viel Hunger, wird es ein Mädchen!«, »Mädchen versauen die Figur.« – Ist an diesen negativen Sprüchen was dran? Macht es einen Unterschied, ob Sie mit einem Jungen oder einem Mädchen schwanger sind? Wer mit einem Jungen schwanger ist, hat wahrscheinlich etwas mehr Hunger. Denn wegen des stärkeren Wachstums durch das Testosteron braucht Ihr Körper bei einem Jungen geschätzte zehn Prozent mehr Kalorien, als wenn ein Mädchen in Ihnen heranwächst. Wichtig ist aber für alle Mütter: Essen für zwei ist Schnee von gestern. Erst in den allerletzten zwei Monaten brauchen Schwangere rund zehn Prozent mehr Kalorien, also rund 250 Kilokalorien mehr pro Tag. Das entspricht zum Beispiel einem Vollkornbrot mit fettarmem Käse. Aber von Anfang an bis nach der Stillzeit sollten Sie dem erhöhten Nährstoffbedarf Rechnung tragen und ausreichend Vitamine und Mineralien zu sich nehmen, am besten in Form einer gesunden Ernährung. In der Praxis heißt das, jede Frau sollte ihre Ernährung spätestens ab der ersten Schwangerschaft umstellen und dann lebenslang dabei bleiben. Aber Achtung: Nahrungsergänzungsmittel sind kein Ersatz für Nährstoffe aus frischen Lebensmitteln und nur bei ausgeprägtem Mangel sinnvoll.

Gene haben Schalter – Epigenetik

Von unseren Eltern erhalten wir jede Menge genetische Informationen, damit unsere Zellen genau wissen, was sie tun sollen. Dieser sogenannte Genotyp funktioniert als Bauplan und ist ab der Zeugung in jeder unserer Zellen vorhanden. Gespeichert und verwahrt wird die Information wie ein Schatz in der DNA (Desoxyribonukleinsäure; engl. desoxyribonucleic acid), einem in sich gedrehten, spiralförmigen Strang von Aminosäuren. Diese Erbinformation auf den Genen galt lange Zeit als unveränderlich. Aber so einfach ist es nicht: Die Ausrede »schuld sind meine Gene« gilt nicht mehr. Die Forschung kann seit Kurzem beweisen, dass der Körper Mittel und Wege findet, die bei der Geburt vererbten Gene zu regulieren und damit die Funktionsfähigkeit der Zellen nachträglich und immer wieder neu zu ändern.

Diese Genregulation kann – und das ist eine Sensation – die Gene in ihrer Wirkung an- oder abschalten. Allerdings läuft dieser Prozess sehr viel komplexer ab als bei einem Lichtschalter. Die Wissenschaft von der Epigenetik hat die Genetik in den letzten Jahren revolutioniert und ist für uns alle von großer Bedeutung. Dieses neue Fachgebiet befasst sich damit, wie unser Körper die Aktivität der Gene regulieren kann, ohne die Erbsubstanz DNA zu verändern. Durch die epigenetische Forschung wissen wir heute, dass unterschiedlichste Lebenserfahrungen ihre Spuren hinterlassen und vererbt werden können – und das ist Ihre Chance. Gesund leben lohnt sich also in mehrfacher Hinsicht, auch weil Sie dadurch sogar den Einfluss von ungünstigen Genkonstellationen abmildern können, die Ihnen vererbt wurden.

Doppelhelix

Unsere DNA ist eine Doppelspirale aus Aminosäurepaaren. Entdeckt wurde sie übrigens von einer Frau, der britischen Biochemikerin Rosalind Franklin, obwohl nur die beteiligten Männer den Nobelpreis bekamen.

Die Bedeutung der Gene wird überschätzt

Ihr Genom hat natürlich einen wichtigen Einfluss, aber nicht das letzte Wort. Es bestimmt vor allem nicht, wie sich Ihr Leben in Bezug auf Gesundheit oder Krankheit entwickeln wird. Wir besitzen alle zwischen 20 000 bis 30 000 Gene, die aber noch nichts darüber aussagen, wie man als Baby zur Welt kommt und später als Erwachsener aussieht und sich verhält. Die Genetik unterscheidet deshalb zwischen Genotyp und Phänotyp, also zwischen Genen an sich und der tatsächlichen Ausprägung der Gene, die während der Schwangerschaft und später durch eine Vielzahl von Faktoren mitbestimmt wird.

Warum eine Frau besonders schnell zunimmt und trotzdem bis ins Alter gesund bleibt, während eine andere Frau zwar so viel essen kann, wie sie will, aber Brustkrebs bekommt, das lässt sich mit der Kombination aus Genetik allein nicht genau erklären. Erst durch die Epigenetik kann man dies besser verstehen. Spannend ist hierzu ein Blick in die Forschung zu Übergewicht:

Was meinen Sie, was ist der Grund für das ungeliebte Viel-zu-dick-Sein? Warum nehmen wir zu? Liegt es am undisziplinierten Essen, an der »sofaorientierten« Faulheit oder sind doch die Gene schuld? Aus Studien an eineiigen Zwillingen wissen wir heute, dass die genetische Veranlagung – anders als oft angenommen – rund 60 bis 70 Prozent ausmacht. Außerdem konnte an Mäusen gezeigt werden, dass sich das Geschlecht auf die Aktivität der Gene auswirkt. Bestimmte Adipositas-Gene erhöhen vor allem bei Frauen die Anfälligkeit für starkes Übergewicht. Sind sie »angeschaltet«, haben es die Frauen mit ihrem Gewicht etwas schwerer. Aber nichts ist unmöglich, es gibt immer noch genug epigenetischen Spielraum, um durch gesundes Essverhalten und Bewegung die Genschalter zu regulieren und dennoch schlank zu bleiben. Das bedeutet, sowohl die Gene als auch die Steuerung der Epigenetik bestimmen Hand in Hand, wie gesund wir sind oder wie krank wir werden.

ACHTUNG FALLEEin Gentest sollte wohlüberlegt sein

Der wachsende Markt an immer preiswerteren Gentests verspricht Ihnen als Werbebotschaft jede Menge Sicherheit. »Der sichere und seriöse xx Test« oder »Durch moderne Gentests kann man Krankheiten wie Rheuma, Multiple Sklerose oder Osteoporose frühzeitig erkennen«, so verspricht es zum Beispiel eine Internetseite. Das Werben mit angeblicher Sicherheit ist für Sie als Verbraucherin aber mehr als irreführend und kann weitreichende Folgen haben. Fakt ist, dass mit solchen Gentests nur die Anlagen eines Menschen bestimmt werden können, also keine Tatsachen, sondern nur ein statistisches Risiko für die jeweiligen Krankheiten. Außerdem fehlt oft die Unterscheidung zwischen mono- und polygenetisch vererbten Defekten, was ebenfalls entscheidend ist. Die Hautfarbe und bestimmte Gerinnungsfaktoren zum Beispiel werden in ihrer Ausprägung immer durch mehrere Gene festgelegt (polygenetisch). Ob Gentests sinnvoll sind, ist eine schwierige und individuelle Frage, deren Beantwortung oft eine fachlich kompetente Beratung erfordert und die keinesfalls einfach so über das Internet gemacht werden sollte. Tests, bei denen die »Neigung« zu bestimmten Krankheiten ohne Beratung bestimmt werden, sind rein kommerziell und damit unseriös.

Hätten Sie’s gedacht?

Was hat grüner Tee mit Genetik zu tun?

Eine Menge, vor allem die Wirkung! Grünem Tee wird schon lange eine positive Wirkung auf die Gesundheit nachgesagt. Er soll sogar laut Studien in Japan die Zahl der Krebserkrankungen gesenkt haben. Nachgewiesen ist auch, dass grüner Tee die Fettverbrennung ankurbelt und sehr gut Krankheiten vorbeugt, die bei Frauen häufiger auftreten, zum Beispiel Osteoporose, Arthrose und Arthritis. Mithilfe der Epigenetik können wir dies erklären: Brühen Sie sich mit heißem, aber nicht mehr kochendem Wasser – so geht es richtig – ein Tässchen grünen Tee auf, löst sich dadurch das Antioxidans Epigallocatechin-3-Gallat. Diese Substanz bewirkt, dass ein Gen aktiviert wird, das den Code für ein körpereigenes Anti-Krebsmittel enthält. Gerade im Alter ist dieses Gen oft »ausgeschaltet«. Durch den täglichen Genuss von drei bis vier Tassen grünem Tee kann es wieder »eingeschaltet« werden.

Epigenetische Basics – die »Verpackung« macht den Unterschied

Wir wissen heute, dass Umwelteinflüsse ganz verschiedener Art – von unserer Ernährung bis zu Stress, von Traumata bis Schadstoffen – die Gene an- und abschalten oder sogar dimmen können. Bereits im Bauch der Mutter können die Erbinformationen je nach Bedarf und Geschlecht aktiviert oder deaktiviert werden. Wie das genau funktioniert, ist erst seit Kurzem bekannt. Zu den wichtigsten Mechanismen der Epigenetik zählt die Verpackung eines Gens durch Methylierung (Hinzufügen eines Methyl-Restes an die DNA) oder durch Verdichtung im Zellkern (Histon-Modifikation). Beides wird nach heutigem Wissen oftmals geschlechtsspezifisch durch Sexualhormone gesteuert und verläuft bei Frauen mitunter anders als bei Männern. Etwa bei der Hirnentwicklung des männlichen Fötus und bei der fetalen Programmierung.

Warum macht der Körper das? Sie können sich vorstellen, dass ein eingepacktes Gen nicht mehr abgelesen werden kann, es ist quasi versteckt. Das ist während der Schwangerschaft sinnvoll, denn der Körper muss aus den vielen Zellen mit identischem Bauplan – Sie erinnern sich, in jeder Zelle steckt die gleiche Erbinformation! – trotzdem verschiedene Zellen wachsen lassen. Gefragt sind die unterschiedlichsten Zellsysteme, von Hirnzellen bis Herzzellen, also das gesamte Programm mit über 200 verschiedenen Zelltypen. Dies ist natürlich eine komplexe und schwierige Aufgabe, die aber durch die epigenetische Verpackung oder Veränderung der Gene meisterhaft gelöst wird. Leider greift dieser Mechanismus auch bei schädlichen Einflüssen. Amerikanische Studien konnten beispielsweise zeigen, dass Rauchen in der Schwangerschaft die Methylierungsmuster der DNA des Kindes verändert und dadurch zu seinem Nachteil bestimmte Gene anoder abgeschaltet werden. Gleiches gilt für andere Umwelt- und Zellgifte wie Toxine, deren Wirkung dadurch an die nächste und teilweise auch übernächste Generation weitergegeben wird.

Die epigenetische Regulation läuft aber auch nach den ersten neun Monaten weiter. Neueste Studien zeigen, dass der Körper schon beim Ablesen der genetischen Informationen zur Vervielfältigung einer Zelle eingreifen kann. Dabei kommt es zu einem »Dialog« zwischen DNA und den Mechanismen der Genregulation, beide beeinflussen sich gegenseitig.

Das Verpacken der Gene geschieht zum Schutz unseres Körpers, aber auch durch Krankheiten wie Krebs. Bei zahlreichen Krebserkrankungen sind Teile der Erbinformation zusätzlich zu Mutationen durch Methylierungen der DNA regelrecht stillgelegt, was zukünftig durch immer genauere Tests rechtzeitig sichtbar gemacht werden soll. Weil epigenetische Veränderungen anders als Mutationen rückgängig gemacht werden können, arbeitet die Forschung intensiv an neuen Therapien, deren Angriffspunkt die epigenetische Veränderung ist. Man hofft, mit deren Hilfe endlich eine Chance im Kampf gegen Krebs, aber auch gegen das bei Frauen häufigere Asthma und andere Erkrankungen zu haben. Das ist aber noch Zukunftsmusik. Bisher haben erste Medikamente dieser Art keine durchschlagende Wirkung. Das erste epigenetisch wirksame Medikament Vidaza® erhielt 2004 in den USA und 2008 in Europa seine Zulassung.

Das Leben hinterlässt Spuren

Alles, was wir erleben, hat einen Einfluss darauf, wie wir denken und fühlen. Das gilt gleichermaßen für positive, aber auch für negative Erlebnisse. Die Hirnforschung hat längst nachgewiesen, warum das so ist: Als Folge von wiederkehrenden, ähnlichen Erfahrungen bilden sich zum Beispiel unterschiedliche Gehirnstrukturen aus, die sich mit der Zeit verfestigen. Wer zum Beispiel Gewalt erlebt, ob real oder in Computerspielen, verändert seine neuronalen Netzwerke im Gehirn, und das bleibt nicht ohne Folgen. Doch das ist noch nicht alles. Die epigenetische Forschung konnte nachweisen, dass sich Erfahrungen sogar auf die Aktivität der Gene auswirken. Fehlende Fürsorge als Baby und Kleinkind verändert zum Beispiel über epigenetische Mechanismen die hormonelle Reaktion auf Stress. Mehr Ängstlichkeit und weniger Belastbarkeit können, müssen aber nicht die Folge sein. Nur die Neigung dazu kann vererbt werden, sozusagen als »epigenetisches Gedächtnis«.

Auf die Idee kam man zuerst aufgrund von holländischen Müttern, die im Winter 1944/45 extremen Hunger litten. Durch diesen »Hungerwinter« kamen viele untergewichtige Babys zur Welt. Im Laufe des Lebens entwickelten diese Kinder als Erwachsene relativ früh Erkrankungen, die eigentlich erst im Alter auftreten, wie Herzprobleme – und bei Männern in höherem Maße auch Diabetes. Noch erstaunlicher ist aber, dass die Frauen unter ihnen, obwohl sie selbst normal ernährt waren, untergewichtige Kinder zur Welt brachten. Offenbar haben die Kinder der hungernden Kriegsmütter diese Disposition an ihre Enkel weitervererbt, nicht nur psychologisch, sondern auch über die epigenetische Veränderung der Gene. Die Forschung hat dies anhand zahlreicher Studien bestätigt.

Dieses Wissen über epigenetische Spuren durch Lebenserfahrungen hat für jede Frau erhebliche Auswirkungen – und offensichtlich bald für unsere Gesellschaft. Denn die Realität von Frauen sieht in vielen Punkten anders aus als die von Männern. Folgt man der Epigenetik, hat dies handfeste gesundheitliche Folgen für die Frauen selbst und kann bis in die nächsten Generationen vererbt werden. Welche Schlussfolgerungen die Politik aus dieser Forschung zieht, steht in den Sternen. Die Dringlichkeit nach mehr Beachtung der Epigenetik jedenfalls ist deutlich, denken wir nur an das Schattenthema Gewalt gegen Frauen.

Nach den offiziellen Zahlen gehören Gewalterfahrungen und Missbrauch in den verschiedenen Ausprägungen und Facetten von körperlicher Gewalt bis Stalking zur Realität vor allem von Frauen. Opfer von strafbarer Partnerschaftsgewalt sind nach der aktuellen Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) zu über 82 Prozent Frauen, wobei fast die Hälfte der betroffenen Frauen in einem gemeinsamen Haushalt mit dem Täter gelebt hat. Laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend haben 40 Prozent der Frauen in Deutschland seit ihrem 16. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt. Jede vierte Frau hat mindestens einmal in ihrem Leben körperliche oder sexuelle Gewalt in ihrer Partnerschaft erfahren. Betroffen sind davon, wie die #MeToo-Debatte zeigt, Frauen aller sozialen Schichten. Frauen brauchen also mehr Schutz und gezieltes Empowerment, damit sie trotz Gewalterfahrungen gesund bleiben oder werden. Dazu gehören viele Faktoren, zum Beispiel ein starkes Selbstbewusstsein, klare Strafgesetze und im Ernstfall eine gute therapeutische Begleitung. Erneute Traumatisierungen von Frauen mit Gewalterfahrungen, zum Beispiel während einer Entbindung, rücken zum Glück so langsam ins Bewusstsein der Verantwortlichen.

Was bedeutet das für Sie?

»Wenn Sie Gewalt erlebt haben (siehe Seite 124), durchbrechen Sie den Teufelskreis und sprechen Sie mit nahestehenden Menschen darüber. Suchen Sie sich, wenn erforderlich, professionelle Hilfe.

»Tun Sie im Sinne der Epigenetik alles, damit sich diese Erfahrung nicht dauerhaft in Ihren Genen einnistet und an die nächste Generation weitergegeben wird. Der Nachweis beim Menschen steht noch aus, aber in Tierversuchen konnte gezeigt werden, wie sich die Genaktivität der Kindergeneration durch liebevolle Fürsorge und Aufmerksamkeit positiv verändern ließ. Das gilt sicherlich auch für Selbstfürsorge: Kümmern Sie sich in schweren Zeiten gut um sich selbst. Eines Tages wird die Forschung den Erfolg davon auch auf der genetischen Ebene nachweisen können.

Als Frauen geben wir epigenetische Veränderungen von Generation zu Generation weiter. Das kann aus Sicht der Evolution große Vorteile haben. »Hierzulande musst du so schnell rennen, wie du kannst, wenn du am gleichen Fleck bleiben willst«, rät die rote Königin Alice in Alice im Wunderland von Lewis Carroll, weshalb das Kieler Evolution Center (KEC) folgende Hypothese Rote-Königin-Hypothese genannt hat. Danach funktioniert die Evolution so: Je besser ein Lebewesen an seine sich wandelnde Umwelt angepasst bleibt, desto größer ist die Chance, zu überleben und damit sein Erbgut weitergeben zu können. Aber um das Erbgut selbst zu verändern, dauert es in der Evolution enorm lange, oft zu lange.

Die gute Nachricht ist, dass der Mensch die Herausforderungen durch veränderte Umweltbedingungen auffangen kann, indem der Körper seine Gene durch epigenetische Regulation immer neu anpasst. Diese Feinjustierung läuft in jedem von uns ab und kann durch Frauen von einer Generation zur nächsten weitervererbt werden. Eine sagenhafte Chance, durch gezieltes Vorbeugen dem Schicksal die Stirn zu bieten!

Epigenetische Prägung

Von der Zeugung bis zum Tod bleibt Ihre Erbinformation gleich, dennoch wird sie aber auch durch verschiedene Faktoren – Gesellschaft, Lebensstil, Sexualhormone, Lebensalter, das soziale und biologische Geschlecht – in ihrer Ausprägung immer wieder feinjustiert und verändert.

Messbare Unterschiede – größer, weiter, schneller?

In der praktischen Medizin und Forschung wird oft nicht kritisch genug oder gar nicht zwischen Männern und Frauen unterschieden. Dennoch gibt es unendlich viele Mythen, angeblich sichere Zahlen, Behauptungen und sogar falsche Informationen über den »kleinen« Unterschied. Nach dem oft zitierten Motto »Männer sind vom Mars und Frauen von der Venus« gibt es zahlreiche messbare Unterschiede, die unsere Welt in zwei Geschlechter aufteilen sollen. Schwarz und weiß oder vielmehr rosa und hellblau. Im Hinblick auf Ihre persönliche Gesundheit lohnt es sich, diese stereotypen Bilder immer wieder zu hinterfragen. Wie oft haben wir beispielsweise gehört, dass Männer stärker sind, weil sie mehr Muskeln haben, und größer, weil sie eben Männer sind. Aber stimmt das? Wenn Frauen diese Verallgemeinerung für bare Münze nehmen, schwächen sie ihr Selbstbewusstsein, was im Fall, sich verteidigen zu müssen, fatal sein kann.

Selbst scheinbar gut messbare Unterschiede zwischen Frauen und Männern sind nicht immer eindeutig zu beurteilen, sondern komplex und müssen nicht immer zutreffen. Letztlich handelt es sich nur um Durchschnittswerte, die uns als Frau oder Mann kategorisieren. Frauen sind zum Beispiel im Durchschnitt kleiner und leichter als Männer, ihr Herz schlägt schneller, weil Lungen- und Herzvolumen geringer sind, ihre Leberenzyme sind weniger tatkräftig beim Alkoholabbau, sie haben einen niedrigeren Grundumsatz und brauchen deshalb weniger Energie in Form von Kalorien und nehmen beim Atmen weniger Sauerstoff auf und vieles mehr – aber das sind und bleiben Durchschnittswerte. Lassen Sie uns in diesem Kapitel anhand von konkreten Beispielen einen kritischen Blick auf die Welt der Zahlen und Klischees werfen.

Fazit

»Die in den Medien und in der Werbung häufig verbreiteten statistischen Unterschiede zwischen Frauen und Männern sind für die Wissenschaft und Gesundheitsversorgung wichtig, aber auf Sie als Einzelperson müssen sie nicht immer zutreffen. Sie verführen außerdem dazu, vorhandene Unterschiede zwischen Individuen – sozusagen von Mensch zu Mensch und nicht nur von Frau zu Mann – zu übersehen.

»Machen Sie sich klar: Jeder Mensch ist anders und einzigartig. Jeder hat individuelle Maße, die mal über, mal unter den Normwerten liegen, genauso wie jede individuelle und nicht nur statistisch messbare Stärken, Schwächen und Risiken hat.

Weniger Muskeln, mehr Fettgewebe: Mythos oder Realität?

Die Durchschnittsfrau gibt es nur als statistische Größe, doch sei’s drum: Sie misst in Deutschland 1,66 Meter und wiegt 71 Kilogramm. Damit ist sie 14 Zentimeter kleiner und rund 18 Kilogramm leichter als der Durchschnittsmann, allerdings wissen wir das nur bezogen auf Männer und Frauen zwischen 18 und 40 Jahren. Diese Zahlen sagen aber noch nichts darüber aus, wie viel Muskelmasse beziehungsweise Fettgewebe Frauen im Vergleich zu Männern haben. Schauen wir also genauer hin:

Ja, Frauen haben mehr Fettgewebe, denn unabhängig davon, wie viele Kilos die Waage anzeigt, haben Frauen meist etwas mehr Fettgewebe im Körper als Männer. Das hört sich in unseren Frauenohren vielleicht nicht so attraktiv an, ist in gesundem Maße aber harmlos und birgt mitunter sogar Vorteile. Es bedeutet außerdem nur, dass der Anteil an Fettgewebe im Körper bei Frauen höher ist, nicht ihr Gesamtgewicht. Hinzu kommt, dass sich die wirklich überzähligen Kilos bei Frauen meist unter der Haut anlagern, bevorzugt an den Oberschenkeln und im Hüft- und Gesäßbereich. Diese subkutanen Fettdepots gelten oft als ungeliebte Schönheitsfehler, sind aber eigentlich nur harmlose, auf den Körper verteilte Energiespeicher. Das viel gefährlichere Bauchfett ist eher typisch für Männer. Hier liegt das Fett zwischen den Bauchorganen und beteiligt sich am Stoffwechsel. Es kann mehr als 200 verschiedene Botenstoffe bilden, die sich beispielsweise negativ auf den Blutdruck und das blutzuckersenkende Hormon Insulin auswirken und außerdem noch entzündliche Prozesse begünstigen.

In gewisser Hinsicht sind Frauen »fett-phob«, sie verabscheuen und bekämpfen jedes Pölsterchen, was medizinisch gesehen unnötiger Stress ist. Denn ein bisschen Fettgewebe ist aus vielen Gründen wichtig. So brauchen heranwachsende Mädchen ein bestimmtes Gewicht bzw. einen gewissen Körperfettanteil, damit die Pubertät einsetzen kann. Der entwicklungsgeschichtliche Hintergrund: Nur wenn der Körper über genügend Energiereserven verfügt, ist er fortpflanzungsfähig. In den Wechseljahren müssen Sie, anders als oft gesagt, nicht gertenschlank sein. Dieses Ziel macht nur Stress, und Stress verschlimmert die typischen Symptome wie Hitzewallungen. Dennoch müssen Sie in dieser Phase ein bisschen mehr abwägen und aufpassen, denn ähnlich wie Männer neigen Frauen ab etwa 45 bis 50 Jahren dazu, Fettpolster auch am Bauch anzulegen. Aber weil Bauchfett so stoffwechselaktiv ist, baut unser Körper dieses Fettdepot als Erstes ab. Aber wenn wir einfach etwas mehr Energie verbrauchen oder nur so viele Kalorien aufnehmen, wie wir benötigen, lässt sich Bauchfett und das damit verbundene Gesundheitsrisiko schnell wieder loswerden.

Fazit

»Frauen fühlen sich häufiger als Männer zu dick (68 Prozent denken das von sich!), aber laut Frauengesundheitsbericht (FGB) 2020 liegen in Wirklichkeit mehr Männer als Frauen über dem Normgewicht. Frauen haben zwar mehr Fettgewebe, aber bei gleichem Aktivitätsniveau haben sie einen niedrigeren Grundumsatz als Männer, und das spart Energie.

»Männer sind häufiger zu dick und essen oder trinken sich im Alter nicht selten einen Männerbauch an. Dadurch erhöht sich natürlich ihr individuelles Gesundheitsrisiko. Sie sehen: Die statistische Feststellung »Frauen haben mehr Fettgewebe« muss in der Praxis relativiert werden.

»Egal ob Sie in den Wechseljahren sind oder Kinder bekommen möchten, ob Sie jung oder alt sind, behalten Sie Ihr Gewicht und das damit verbundene Fettgewebe im Blick – aber wohlwollend.

Männer haben mehr Muskeln – Ein Blick ins Fitnessstudio genügt: Männer haben im Allgemeinen nicht nur mehr Muskelmasse, sie sind auch noch stolz darauf und bereit, dafür hart zu trainieren. Mit hochroten Gesichtern stöhnen sie laut hörbar bei jedem »Kraftakt«, Frauen atmen dagegen meist dezent ein und aus und gehen beim Krafttraining nicht so an oder über ihre Grenzen, wie Männer es tun. Auch im Alltag legen sie alltägliche Wege seltener als Männer zu Fuß oder per Rad zurück und sind insgesamt nach aktuellen Daten des FGB in ihrer Freizeit seltener sportlich aktiv. Dieser kurze, wissenschaftlich belegte Einblick in die Sportwelt zeigt etwas Typisches:

Ja, Männer haben mehr Muskeln – aber das hat Gründe: zum einen, weil Testosteron die Muskelentwicklung fördert, und zum anderen, weil Männer mehr Zeit haben – oder sich nehmen –, um zu trainieren. Nachgewiesen ist nämlich, dass Frauen durch Krafttraining genauso viel Muskelmasse aufbauen können wie Männer. Die Unterschiede ergeben sich nur dadurch, dass Frauen durchschnittlich kleiner und dadurch proportional mit weniger Muskelmasse ausgestattet sind. Der Grad des Muskelaufbaus ist aber bei beiden Geschlechtern potenziell gleich groß. Ohne gezieltes Muskeltraining geht es allerdings weder bei Männern noch bei Frauen.

Muskeln sind »männlich« – Krafttraining ist immer noch eine Männerdomäne, obwohl sich die Muskulatur bei Frauen nach dem Training offenbar besser regeneriert. Aber viele Frauen möchten nicht so viel trainieren, dass ihre Muskeln groß und gut sichtbar sind, denn das wird als unweiblich und wenig sexy empfunden. Sie wollen dagegen mit Sport etwas für ihre Gesundheit tun und insgeheim damit ihre Figur in Form halten. Deshalb steht für Frauen oft das Fettburner-, Cardio- oder Ausdauertraining im Vordergrund, während gezieltes Krafttraining mit Muskelaufbau zu kurz kommt. Ganz anders sieht es bei Männern aus: Sie wollen sichtbar stark sein und helfen diesem Ziel öfter, als gut ist, mit Aufbaupräparaten, Eiweißshakes und Co. nach.

Gerade Frauen brauchen Muskeln – denn ohne bewusste Gegensteuerung wird es um die Menopause kritisch und ab 65 Jahren sogar gefährlich. Warum? Die Abbildung (Seite 36) zeigt, dass bei Frauen um die Menopause der relative altersbedingte Abbau der Muskelmasse – dies berücksichtigt das Verhältnis von Fett zu Muskelgewebe – ohne Gegenmaßnahmen schneller und ungünstiger verläuft als bei Männern, und das ist riskant. Wer gut trainiert ist, lebt länger. Die gerade im