Die zehn größten Irrtümer des Neuen Testaments - Gernot Beger - E-Book

Die zehn größten Irrtümer des Neuen Testaments E-Book

Gernot Beger

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Beschreibung

Die christlichen Kirchen behaupten, die alleinige Wahrheit zu besitzen. Sie berufen sich dabei auf das Neue Testament. Aber sind diese Schriften denn überhaupt verlässlich? Gernot Beger hinterfragt mit viel historischem Sachverstand den Wahrheitsgehalt der heiligen Schriften. In zehn Kapiteln begleitet sein Buch den biblischen Jesus von seiner Geburt bis zu seinem Tod am Kreuz. Dabei kommen aus kritischer Sicht ernüchternde Ergebnisse zutage: Dem christlichen Glauben brechen reihenweise die Fundamente weg. Aufgelockert wird Begers kundige und seriöse Darstellung durch seine ungewöhnliche Co-Autorin und sprechende Hündin Chaka, die mit einer Prise Humor oftmals die entscheidenden Fragen stellt.

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Gernot Beger

Die zehn größten Irrtümer des Neuen Testaments

Meiner Frau Petra gewidmet,

der ich unendlich viel verdanke,

und natürlich meiner Co-Autorin Chaka

Gernot Beger

Die zehn größten Irrtümer des Neuen Testaments

Tectum Verlag

Mein besonderer Dank für die Unterstützung bei der Erstellung dieses Buches gilt Angela Middeldorf und Reinhard Antrup.

Gernot Beger

Die zehn größten Irrtümer des Neuen Testaments

© Tectum Verlag Marburg, 2016

ISBN: 978-3-8288-6397-2

(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Buch unter

der ISBN 978-3-8288-3711-9 im Tectum Verlag erschienen.)

Umschlagabbildung:shutterstock.com © Alexey Kashin (bearbeitet)

Umschlaggestaltung: Norman Rinkenberger | Tectum Verlag

Alle Rechte vorbehalten

Besuchen Sie uns im Internet

www.tectum-verlag.de

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind

im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Inhalt

Vorwort

Fromme Hunde können sprechen

KAPITEL 1: Hat Gott einen Stammbaum?

Pantera, ein Name mit spektakulärem Klang

Nicht allen Evangelisten ist Jesu Geburt koscher

Die Mär von der immerwährenden Jungfrau

KAPITEL 2: Jesus wird geboren ...

Der Messias musste in Bethlehem geboren werden!

Die Volkszählung

KAPITEL 3: … und die Probleme nehmen ihren Lauf

Der Stern von Bethlehem

Der Kindermord zu Bethlehem

KAPITEL 4: Kein Mirakel ohne Spektakel

Wunderheiler und Magier im Heiligen Land

Jesus, der Wundertätige

Die Speisung der Fünftausend

Die Hochzeit zu Kana

Ein Feigenbaum wird bestraft, was soll der Unsinn?

Totenerweckungen, die Steigerung des Wunders

Noch ein Wunder: Pfingsten

KAPITEL 5: Der Prozess und Tod Jesu

Der Einzug in Jerusalem

Die Tempelreinigung – eine unerhörte Provokation!

Das letzte Abendmahl

Judas, ein Verräter?

Jesu Gefangennahme

Der Prozess

Die Überstellung an die Römer

Wer war Barrabas?

Der Kreuzweg

Die Kreuzigung

Jesus ist tot

Es gab keine Sonnenfinsternis!

Es war wahrscheinlich ganz anders!

KAPITEL 6: Jesu Auferstehung und Himmelfahrt

Was geschah mit Jesu Leichnam?

Josef von Arimathäa

Das Grab wurde bewacht

Chaka interessiert sich für Engel

Myrrhe und Aloe

Der Wettlauf zum leeren Grab

Auferstehung und Jesuserscheinungen

Chaka hat einen Einwand

Was sollen wir von den Jesussichtungen halten?

Neuzeitliche Erscheinungen

Jesu Himmelfahrt

Was bleibt?

KAPITEL 7: Die Naherwartung

Chaka will auch in den Himmel

KAPITEL 8: Wie friedliebend war Jesus?

Wer kennt Ananias und Saphira?

Gewaltbeispiele im Alten Testament

Hat das Neue Testament Mitschuld am Holocaust?

KAPITEL 9: Schuf Jesus eine neue Religion?

KAPITEL 10: Sind die Jesusworte authentisch?

Und nun?

Chaka schreibt an den Papst

Brauchen wir eine christliche Moral?

Chaka hat einen weiteren Einwand

Und noch etwas!

Anhang:

Beispiele für Todesstrafen

Endnoten

Vorwort

Ein Vorwort liest sowieso keiner, meinte mein älterer zweibeiniger Chef-Autor und wollte mit diesem Argument dieses Vorwort zu einem Nachwort machen – natürlich am Ende des Buches. Aber ich habe mich durchgesetzt, weil Sie dies hier vor dem Lesen wissen sollten, denn es ist wichtig. Nicht nur, weil ich diesen Teil des Buches alleine formuliert habe. Bei dem restlichen Buch fühle ich mich nämlich eher unterrepräsentiert. Auch nicht, weil ich an dieser Stelle den sachdienlichen Hinweis anbringen kann, dass einige Themen im Anhang noch umfangreicher – um nicht zu sagen – komplizierter behandelt werden, als ohnehin schon im Hauptteil. Nein, der eigentliche Grund für dieses Vorwort ist eine Warnung. Wollen Sie sich das wirklich antun, ein solches Buch zu lesen? Dieses Buch hat meine heile Welt ziemlich durcheinander gebracht. Möglicherweise wird es Ihnen ja ähnlich ergehen. Dabei bin ich weder leichtgläubig noch tue ich alles, was man mir sagt. Mein Herrchen kann dies sicherlich bestätigen! Vielleicht sollten Sie das Buch einfach verschenken oder ungelesen als Deko ins Bücherregal stellen. Es sei denn, Sie sind ein phantasieloser Atheist oder ein berufsmäßig gläubiger Theologe, dann dürfte es wohl ohnehin egal sein. Also machen Sie was Sie wollen, aber ich habe Sie gewarnt.

Chaka

Fromme Hunde können sprechen

Es war ein warmer Herbstvormittag, dessen hohe Temperaturen durch eine folgenschwere Überraschung in den Schatten gestellt werden sollten. Ich wollte den Nachmittag zu einem ausgiebigen Spaziergang nutzen und hatte mir dazu von einer Hundezüchterin eine junge Ridgebackhündin mit Namen Chaka ausgeliehen. Meine Frau Petra und ich spielten schon seit geraumer Zeit mit dem Gedanken, uns einen Hund zuzulegen. Nach der Hälfte der Wegstrecke hatten wir Rast unter einem schattigen Baum in einem weitläufigen Waldgebiet gemacht. Ich saß schwitzend auf dem Boden an einem Baum gelehnt, während der Hund hechelnd vor mir lag. Eine anmutige wohlproportionierte Hündin, dachte ich. Mit kurzem braunen Fell und einem ridge auf dem Rücken.

Du würdest schon gut zu uns passen, sagte ich mit halblauter Stimme und schaute ihr in die dunkelbraunen Augen. Das müsste ich mir noch überlegen, erhielt ich als Antwort. Was, wie bitte? Ich war perplex. Hörte ich recht? Ein Hund, der sprechen konnte? Und dies mit einer wohlklingenden, ruhigen Stimme. Es dauerte eine Weile, bis ich mich gesammelt hatte und realisierte, dass dieses wundersame Wesen mein großzügiges Angebot in Frage stellte.

Was könnte denn die Entscheidung einer intelligenten Hündin positiv beeinflussen, zu uns zu ziehen, fragte ich. Das ist recht einfach, war ihre Antwort. Ihr müsst mich immer gut behandeln, regelmäßig mit mir spielen, ihr solltet einen großen Garten und immer einen vollen Napf für mich haben.

Aha, dachte ich, die Kleine weiß was sie will. Ich hatte schon mit ausgefallenen extravaganten Bedingungen gerechnet. Ich mache dir einen Vorschlag: Wir können ja noch ein paar Mal gemeinsam ausgehen, ich zeige dir unser Haus und du kannst dir dann überlegen, ob du zu uns kommen möchtest.

Es ging alles ziemlich schnell. Das Futter sagte Chaka zu, unser Garten gefiel ihr und mit uns könnte sie sich wohl arrangieren, meinte sie bereits nach wenigen Tagen und zog bei uns ein.

Womit verdienst Du eigentlich dein Geld und wofür gibst du es aus, hatte Madame vorher wissen wollen. Sie war wohl kein Typ, der eine Katze im Sack kaufte.

Nun, ich schreibe Bücher und von dem wenigen Geld, das ich dafür bekomme, werde ich künftig wohl hauptsächlich Hundefutter kaufen müssen. Chaka wollte dann wissen, ob es Tierbücher wären, die ich schrieb und ob ich ihr daraus vorlesen würde. Ich erklärte ihr, dass sich mein aktuell anstehendes Buchprojekt mit den wichtigen Fragen des Lebens beschäftigt.

Verstehe, meinte sie, du gehst also den Fragen nach, wo man die besten Leckereien einkaufen und wo man am meisten erleben kann? Nicht direkt, antwortete ich ausweichend. Chaka, stell dir vor, es gibt noch ganz andere bedeutende Themen, die mit Fressen und Vergnügen nichts zu tun haben.

Tatsächlich? Und das wären? Hast du dir schon einmal Gedanken gemacht, fragte ich sie, warum wir auf der Welt sind, was der Sinn unseres Lebens ist, ob es einen Schöpfer für all die Lebewesen und Dinge gibt, die existieren und welchen Einfluss die Religion auf unser Leben hat?

Chaka sah mich mit erstaunten Augen an und legte ihre Stirn in noch stärkere Falten, als sie es normalerweise schon tat. Deswegen schreibst du echt ein ganzes Buch? Das finde ich ja höchst bemerkenswert! Und nach einer kurzen Pause teilte sie mir ihre großzügige Entscheidung mit. Das interessiert mich auch. Ich helfe dir dabei. So hatte ich mir innerhalb weniger Tage nicht nur ein Haustier, sondern auch eine Co-Autorin für mein Buchprojekt zugelegt.

Am folgenden Tag machten dann Chaka und ich unseren morgendlichen Spaziergang, während meine Frau zu ihrer Arbeitsstelle gefahren war. Die ersten Sonnenstrahlen arbeiteten sich schräg durch die Baumkronen und ließen einen regenfreien Herbsttag erwarten. Nach dem anschließenden Frühstück saß ich vor dem PC und Chaka lag neben dem Schreibtisch auf ihrer Hundedecke.

Sind das wirklich so wichtige Fragen, die du gestern gestellt hast? Ob es einen Herrgott gibt und welche Bedeutung die Religion hat, fragte Chaka. Ich konnte heute Morgen so richtig schön herum toben, ein paar Häschen erschrecken, habe jetzt den Magen angenehm voll und kann von starken Rüden träumen, das ist doch die Hauptsache!

Den Einwand von Chaka, dass es auf der Welt wichtigere Themen gibt als die Frage nach einem Schöpfergott, teilen sicherlich auch viele Zweibeiner. Für Chaka ist die Sache ohnehin klar. Es gibt ein Wesen, das über den Naturgesetzen steht und das wir Gott nennen. Sonst würden wir ja nicht existieren, so ihre simple Schlussfolgerung. Es ist nach ihrer Meinung der Gott, der in der Bibel beschrieben wird und durch seinen Sohn, Jesus, zu uns gesprochen hat. Dort, genauer gesagt im Neuen Testament, erfahren wir, nach welchen göttlichen Regeln wir leben sollen. Wer sich hieran hält, wird reichlich belohnt: mit einem Leben nach dem Tod im Himmel. Gläubige Christen predigen dies seit 2000 Jahren. Ebenso lange halten Skeptiker dagegen.

Jeder soll nach seiner Façon selig werden, sagte schon Friedrich der Große und meinte damit die Toleranz gegenüber den Religionen. Dies war zu einer Zeit, als die Landesfürsten ihren Untertanen oftmals die Religionszugehörigkeit vorschrieben, eine erstaunlich liberale Ansicht. Heute dürften sich die meisten Zwei- und Vierbeiner dieser Auffassung anschließen und den Glauben für eine Privatsache halten. Aber Achtung, darf dies wirklich so gesehen werden? Die Religionszugehörigkeit ist doch dann nicht privat, wenn der Glaube eine potenzielle Ursache für ein bestimmtes Handeln darstellt. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Glaubensgemeinschaft der Überzeugung ist, die alleinige Wahrheit zu besitzen und versucht, diese den anderen überzustülpen.

Ob Ehescheidung oder Abtreibung, Pille, Sterilisation, Retortenkinder, Homosexualität, embryonale Stammzellenforschung oder Sterbehilfe, über diese und andere Themen mag es unterschiedliche moralische Ansichten geben. Eine absolute und allein richtige Meinung gibt es sicherlich nicht.

Aber genau dies wollen uns die christlichen Kirchen weismachen. Sie führen die Bibel als ihre Kronzeugin an. Insbesondere das Neue Testament ist für sie das unmittelbare Wort Gottes. Sie fühlen sich berufen, diese Schriften auszulegen, die Moralvorstellungen unserer Gesellschaft zu bestimmen und die entsprechenden Gesetze zu beeinflussen. Mit ganz konkreten Einschnitten für unser Leben. Als mein Vater vor Jahren an einer unheilbaren Lungenkrankheit litt, hatte er noch Glück im Unglück. Er starb im Krankenhaus an einem simplen Infekt. Ihm blieb der qualvolle Tod des langsamen Erstickens erspart. Einer aktiven Sterbehilfe hätte er zugestimmt, wenn sie denn, wie in den Niederlanden und der Schweiz, erlaubt gewesen wäre. In Deutschland ist das unverändert nicht möglich. Warum? Weil die Kirchen mit ihrem Einfluss solche Gesetze verhindern.

Diese Einflussnahme der Kirchen auf Gesetze und Politik ist in wichtigen anderen Ländern sogar noch stärker als in Deutschland. Nehmen wir zum Beispiel unsere westliche Führungsmacht, die Vereinigten Staaten von Amerika. Dort gibt es deutlich mehr gläubige, fundamentale Christen als bei uns – mit oftmals schwerwiegenden Folgen. Kein amerikanischer Politiker, der sich um das Amt des Präsidenten bewirbt, darf öffentlich die Existenz von Himmel und Hölle bezweifeln. Die vielleicht mächtigste Person dieser Welt, die über Kriege, Wirtschaftssanktionen und über die Geschicke anderer Länder in maßgeblicher Weise mitentscheidet, lässt sich von der Heiligen Schrift beeinflussen. Jedenfalls dann, wenn sich die vielseitigen – und oftmals auch widersprüchlichen – Handlungsanweisungen der Bibel mit den wirtschaftlichen Interessen der Politik decken. Nicht nur der amerikanische Präsident, auch zahlreiche Vertreter seiner Regierung fassen ihre beruflichen Aufgaben als religiöse Verpflichtung auf und handeln entsprechend.

Daher ist die Frage zu stellen, mit welchem Recht, mit welcher Legitimation die Kirchen in den christlichen Ländern dieser Welt Gesetzgebung und Politik beeinflussen. Weil alles aus dem Neuen Testament abgeleitet werden kann? Wirklich? Dann untersuchen wir doch, wie glaubwürdig dieses Neue Testament wirklich ist, das so etwas wie die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der christlichen Kirchen darstellt. Meine Co-Autorin Chaka und ich wollen in unserem Buchprojekt klären, wie sicher wir sein können, dass die Evangelien und die Briefe, die das Neue Testament ausmachen, historisch sind. Fast keiner der Gläubigen nimmt den Bibeltext Wort für Wort für bare Münze. Einige Fehler und Irrtümer sind zu augenscheinlich, um mit wachem Verstand unbemerkt zu bleiben und werden von der Kirche auch eingeräumt. Die Frage ist nun: Sind es nur kleine Ungenauigkeiten und Irrtümer, über die man großzügig hinwegsehen kann oder sind sie so fundamental, dass sie den Glauben wie ein Kartenhaus zusammenfallen lassen? Die religiösen Gebote und Verbote wären dann für die Katz.

Als Chaka dies hörte, schüttelte sie verneinend den Kopf, obwohl ihr die Erwähnung ihrer samtpfotigen Lieblingsfeinde im Zusammenhang mit etwas Negativem schon gefiel. Jeder gebildete Hund glaubt der Bibel und die meisten Menschen auch, sagte sie mit großer Überzeugung. Von den kleinen Ungenauigkeiten mal abgesehen, räumte sie großzügig ein.

Schauen wir uns doch einfach unvoreingenommen das Neue Testament an, schlug ich vor. Begleiten wir Jesus in den folgenden zehn Kapiteln auf seinem irdischen Lebensweg, von seiner Geburt bis zu seinem Tod und sogar darüber hinaus. Prüfen wir kritisch, ob die Bibel wirklich göttliche Wahrheiten vermittelt oder nur phantasievolle Geschichten, die einer historischen Grundlage entbehren und für uns keine Bedeutung haben sollten.

Wir starten im nächsten Abschnitt mit einem Thema, das für Chaka und für jeden anderen Rassehund von besonderer Bedeutung ist: dem Stammbaum.

Kapitel 1: Hat Gott einen Stammbaum?

Chaka war irritiert. Wieso braucht Gott denn einen Stammbaum, wollte sie wissen. Er ist doch nicht für die Zucht vorgesehen. Nein, bestimmt nicht, bestätigte ich schmunzelnd. Der Stammbaum dient wie bei dir als Nachweis der Abstammung. Schließlich behaupten die christlichen Kirchen, Jesus sei der Messias und der Sohn Gottes. Sie versuchen dies durch den Stammbaum zu dokumentieren. Deswegen startet das Matthäusevangelium auch mit einer langatmigen und knochentrockenen Aufzählung, die einem Telefonbuch alle Ehre machen würde: „Abraham zeugte Isaak, Isaak zeugte Jakob, Jakob zeugte Juda und seine Brüder“ und so weiter. Viele Bibelleser haben hier schnell weiter gelesen, bevor ihnen schon auf der ersten Seite die Augen zufielen. Dabei birgt dieser Stammbaum handfeste Überraschungen.

Die gläubigen Juden hatten immer schon eine Vorliebe für Stammbäume. Denn nur über den Stammbaum konnte man darlegen, dass man zum auserwählten Volk der Juden gehörte und nach dem Tod zusammen mit den Vorfahren die himmlischen Freuden teilen konnte. Jede typische jüdische Genealogie jener Zeit berücksichtigte dabei ausschließlich die männliche Linie. Denn im kulturellen Umfeld, in das Jesus hineingeboren wurde, war der entscheidende Faktor der eigene Vater.

Matthäus führte daher vierzig männliche Namen auf, von Abraham bis hin zu Josef, dem Mann der Maria, der Mutter Jesu. Zusätzlich, und das ist absolut ungewöhnlich, erwähnt Matthäus auch vier Frauen. Es sind Tamar, Rahab, Rut und die Frau des Uria (Mt 1,3-6). Noch überraschender ist die Tatsache, dass jede dieser Frauen eine Ausländerin war und im Alten Testament einen sexuell anrüchigen Ruf hatte. Die erste, Tamar, eine Witwe, wollte unbedingt ein Kind haben und ließ sich dadurch schwängern, dass sie als Prostituierte verkleidet ihren eigenen Schwiegervater verführte. Rahab arbeitete als Schankwirtin oder „Prostituierte“, was seinerzeit keinen großen Unterschied ausmachte. Rut war eine Moabiterin, was für sich schon ausreichte, um sie zu diffamieren, da es den Israeliten verboten war, mit Moabiterinnen, die als ungezügelte Verführerinnen galten, das Geringste zu tun zu haben. Rut verführte Boas und bewegte ihn, sie zu heiraten. Urias Frau – Matthäus nennt nicht einmal ihren Namen, so stark ist sein Fremdschämen hinsichtlich ihres Verhaltens – war die berüchtigte Bathseba. Sie hatte ein ehebrecherisches Verhältnis mit König David und wurde davon schwanger.1

Der Gleichklang männlicher Namen des Stammbaums von Jesus wird durch die Erwähnung dieser – jüdischen Lesern wohl bekannten – berüchtigten Frauen geradezu entstellt. Sie gehören einfach nicht in eine formelle Genealogie. Aber es kommt sogar noch schlimmer. Am Ende der Liste, mit dem letzten Vers wählte er eine überraschende und vielsagende Formulierung. Matthäus schrieb: „Jakob zeugte Josef, den Mann der Maria, von welcher ist geboren Jesus, der da heißt Christus“. Was jeder in einer klassischen männlichen Genealogie erwartet hätte, wäre: Jakob zeugte Josef, Josef zeugte Jesus, der da heißt Christus.

Matthäus nutzte das Verb „zeugen“ (griechisch gennáo) neununddreißig mal aktivisch mit einem maskulinen Subjekt. Bei Josef angekommen, wich er aber in signifikanter Weise von seiner bisherigen Formulierung ab. Er verwendete dasselbe Verb passivisch und mit einem weiblichen Charakter: von welcher ist geboren Jesus. Damit schleicht sich unversehens eine fünfte Frau in den Stammbaum ein: Maria. Matthäus bereitete den Leser auf die Geschichte vor, die unmittelbar darauf folgt und in der wir erfahren, dass Maria, ein verlobtes Mädchen, von einem Mann geschwängert wurde, der nicht ihr Ehemann sein wird.2

Während Matthäus die Frage der Abstammung des Josef von König David über 28 Zwischengenerationen löste, benötigte Lukas (Lk 3,23f) dafür immerhin 41 Generationen. Und was noch schlimmer ist: Bei den Namen in den Listen gibt es keine Übereinstimmung, was in der Folge Generationen von Exegeten Kopfzerbrechen bereitete.3

Übrigens, beim Evangelium nach Johannes gibt es keinen Stammbaum und auch keine Zeugung durch den Heiligen Geist. Er nennt Jesus schlicht den Sohn Josefs (Joh 1,45).

Als ich Chaka diese Zeilen vorlas, rief sie sofort: Aber die Größe des Stammbaums ist doch nicht entscheidend. Maria ist natürlich vom Heiligen Geist geschwängert worden, ihn konnte sie kaum heiraten. Und den Heiligen Geist können die Evangelisten wohl auch nicht im Stammbaum von Jesus aufführen. Ja, den Heiligen Geist zu heiraten war damals und ist heute ein schwieriges Unterfangen, antwortete ich. Bei jedem Standesbeamten würde das zu Stirnfalten führen, die noch sorgenvoller aussähen, als sie es bei dir je sein könnten.

Was mich beim Studium des Stammbaums von Jesus im Matthäusevangelium irritiert, ist der Umstand, dass Maria durch ihre Erwähnung auf die Stufe der anderen vier leichtlebigen Frauen gestellt und damit regelrecht diskreditiert wird. Erfolgte dies mit Absicht? Matthäus unterstützte damit jedenfalls die Vorwürfe von damaligen jüdischen Religionsgelehrten, die Maria als Flittchen bezeichneten. Erstaunlicherweise wurden auch in den Evangelien selbst Zweifel an der rechtmäßigen Geburt von Jesus laut. Aber eins nach dem anderen. Was ist zu dem Vorwurf, Maria habe vorehelichen Geschlechtsverkehr gehabt, zu sagen? Es gibt Geschichten und Gerüchte, die bereits in früher Zeit kursierten und es gibt hierzu einen Namen: Pantera.

Pantera, ein Name mit spektakulärem Klang

Eine Version der Panterageschichte verdanken wir dem griechischen Philosophen Kelsos. In einem um das Jahr 178 verfassten Werk mit dem Titel „Alethès lógos“ (Die wahre Lehre) behandelt er den Vorwurf, Maria sei „von einem römischen Soldaten namens Pantera“ geschwängert worden. Auch wenn Kelsos ein Gegner des Christentums war, ist es unwahrscheinlich, dass er den Namen oder den Beruf des Mannes, der seiner festen Überzeugung nach der leibliche Vater Jesu war, einfach erfand. Er schrieb vielmehr das nieder, was er in jüdischen Kreisen gehört hatte.4

Der amerikanische Bibelforscher Professor James D. Tabor weist in seinem Buch „Die Jesus-Dynastie“ darauf hin, dass der Name Pantera in dem in zahlreichen Fassungen überlieferten legendenhaften mittelalterlichen jüdischen Text „Toldoth Jeschu“ zu finden ist. Unter anderem wird folgende Geschichte, die sich in Marias Geburtsstadt Sepphoris abspielte, erzählt. Danach war Maria mit einem Mann aus dem Haus Davids namens Jochanan verlobt. Auf der anderen Straßenseite von Marias Elternhaus wohnte ein gut aussehender römischer Soldat mit Namen Jusuf, Sohn des Pantera, der sie verführte.5 Die Aussage von Kelsos und der Text von „Toldoth Jeschu“ passen so weit zusammen.

Der Name Pantera kommt noch mehrfach in der rabbinischen Literatur vor. Es gibt auch die Vermutung, Jesus sei mit dem Spottnamen „Sohn des Panthers“ belegt worden, um damit die wilde und hemmungslose Art seines wirklichen Vaters anzuprangern. James D. Tabor warnt davor, die frühen Texte, die Jesus als „Sohn von Pantera“ bezeichnen, als Polemik abtun. In der jüdischen Kultur war es üblich, zur näheren Identifizierung einer Person an deren Namen denjenigen des Vaters anzufügen. Diese Praxis hatte den Sinn, die Identität zu benennen, nicht zu verspotten.6

In Zusammenhang mit dem römischen Soldaten Pantera eröffnet die Forschungsarbeit des deutschen Theologen und Historikers Adolf Deißmann einen außergewöhnlichen Denkansatz. 1906 veröffentlichte Deißmann den Aufsatz „Der Name Panthera“. In dieser Arbeit behandelte er die verschiedenen antiken Inschriften aus der Zeit um das 1. Jahrhundert, in denen der Name Pantera oder Panthera vorkommt.7 Deißmann zeigte überzeugend auf, dass der Name während der fraglichen Zeit in Gebrauch war und besonders von römischen Soldaten bevorzugt wurde.

Ein Beispiel, das er anführt, ermöglicht eine faszinierende Überlegung. Deißmann erwähnt einen Grabstein, der 1859 auf einem römischen Friedhof in Bingerbrück, wenige Kilometer von Bad Kreuznach entfernt, entdeckt wurde. Die komplette übersetzte Inschrift lautet: „Tiberius Julius Abdes Pantera aus Sidon, 62 Jahre alt, ein Soldat mit vierzigjähriger Dienstzeit von der 1. Bogenschützenkohorte, liegt hier begraben“.8 Pantera war sein Zuname. Die Namen Tiberius Julius wurden angenommen. Sie zeigen an, dass Pantera kein geborener römischer Bürger war, sondern ein freigelassener Sklave, der von Kaiser Tiberius aufgrund seines geleisteten Militärdienstes das römische Bürgerrecht erhielt. Wer sich bei der römischen Armee meldete, verpflichtete sich zumeist für 25 Jahre, aber Pantera wurde Berufssoldat und diente 40 Jahre lang bis zu seinem Tod im Alter von 62 Jahren.

Deißmann wies darauf hin, dass dieser bestimmte Pantera um die Mitte des 1. Jahrhunderts gestorben sein musste und aus Palästina nach Germanien gekommen war. Dieses geradezu unwahrscheinliche Zusammentreffen von Name, Zeit und Ort bildet die Grundlage für eine gewagte Spekulation.

Ist es auch nur entfernt vorstellbar, dass unter den vielen Gedenksteinen aus der entsprechenden Epoche ausgerechnet diese Tafel das Grab des Vaters Jesu markiert haben könnte – und dazu in Deutschland? Die Chancen dürften verschwindet gering sein, aber die Indizien sollten nicht vorschnell abgewiesen werden. Pantera war ein römischer Legionär. Er stammte aus Sidon, einer Hafenstadt am Mittelmeer nördlich von Tyros, das wiederum knapp 70 Kilometer von Sepphoris entfernt liegt. Und er war ein Zeitgenosse Marias, der Mutter Jesu. Die Bogenschützenkohorte, der Pantera angehörte, war bis ins Jahr 6 n.Chr. in Palästina stationiert. Danach wurde sie nach Dalmatien und im Jahre 9 n.Chr. in das Gebiet zwischen Rhein und Nahe verlegt. Damit haben wir den richtigen Namen, den richtigen Beruf, den richtigen Ort und die richtige Zeit. Ein konkreter Beweis ließe sich nur durch DNA-Untersuchungen von identifiziertem Knochenmaterial erzielen, was aber leider unmöglich ist, da die Urne des Abdes Pantera seinerzeit in Bingerbrück bei Grabungsarbeiten zerstört wurde.9

Lassen wir es dahin gestellt, ob der erwähnte Pantera, von dem erzählt wird, dass er Maria verführte, in Bingerbrück begraben wurde. Wenn man den Überlieferungen eine gewisse historische Glaubwürdigkeit einräumt, so ist es durchaus denkbar, dass Maria von einem römischen Legionär vergewaltigt wurde. In Anbetracht der unruhigen Zeiten, in die Jesu Geburt fiel, ist dies nicht so unwahrscheinlich. Vielleicht war die ungewollte Schwangerschaft von Maria auch der Grund, warum ihre Eltern mit ihr Sepphoris verließen und in das kleine abgeschiedene Nazareth zogen, wo sie keiner kannte.

Nicht allen Evangelisten ist Jesu Geburt koscher

Bei der Panterageschichte hatten wir es bisher vornehmlich mit nichtchristlichen Quellen zu tun. Aber auch in unseren Evangelien finden sich vereinzelte Hinweise darauf, dass gewisse Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Jesu Geburt kursierten. Im Markusevangelium gibt es eine wichtige Szene, die beschreibt, wie Jesus als Erwachsener nach Nazareth zurückkehrt. Die Dörfler untereinander tuscheln allerlei über ihn. Man achte sorgfältig auf ihre Ausdrucksweise: „Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon?“ (Mk 6,3). Matthäus schöpfte aus Markus und berichtete dieselbe Geschichte, aber man schaue, wie durchdacht er den Sachverhalt umformulierte: „Ist das nicht der Sohn des Zimmermanns? Heißt nicht seine Mutter Maria, und sind nicht Jakobus, Joses, Simon und Judas seine Brüder?“ (Mt 13,55). Die geringfügige, aber entscheidende Variation ist sehr aufschlussreich. Während Jesus bei Markus der „Sohn der Maria“ ist, wird er bei Matthäus zum „Sohn des Zimmermanns“.

Ist dieser kleine Unterschied denn so wichtig, fragte Chaka verwundert. Ja, antwortete ich. Diese geschickte Umformulierung von Matthäus hat weitreichende Folgen. Im Judentum werden Kinder, wie bereits erwähnt, unweigerlich als Söhne oder Töchter des Vaters – nicht der Mutter – angesprochen. Selbst dann, wenn der Vater schon gestorben ist. Indem man Jesus als „Sohn der Maria“ bezeichnet, deutet man implizit auf einen ungenannten Vater hin (vom Heiligen Geist konnten die Dörfler nichts wissen). Damit galt Jesus als Bastard.

Das Johannesevangelium unterstützt diese Aussage. Irgendwann hielt sich Jesus in Jerusalem auf und lieferte sich Wortgefechte mit seinen jüdischen Kritikern. Als die Diskussion immer hitziger wurde, drohte sie fast in Handgreiflichkeiten auszuarten. Eine der Erwiderungen, die die Kritiker Jesus entgegenschleuderten, lautete: „Wir stammen nicht aus einem Ehebruch“ (Joh 8,41) – im Gegensatz zu dir, wäre man versucht zu ergänzen. Das war ein gemeiner Tiefschlag: Ein eindeutiger Versuch, Jesu Ansehen durch Hinweis auf ein Gerücht über seine uneheliche Geburt zu untergraben.

Die sogenannten Pilatus-Akten, ein christlicher Text aus dem 4. Jahrhundert, schildern die Vernehmung Jesu durch Pontius Pilatus. Eine der Beschuldigungen, die seine Feinde gegen ihn vorbrachten, lautete, er entstamme „unzüchtigem Verkehr“. Wohl niemand fasst diesen Text als die realistische Schilderung des Jesus-Prozesses auf, aber er liefert einen Beleg für die Nachhaltigkeit des Vorwurfs der Unehelichkeit.10

Also, meldete sich Chaka, lass mich mal sortieren, was du gesagt hast. Zwei der Evangelisten, Markus und Johannes, schreiben tatsächlich nichts über die Zeugung durch den Heiligen Geist. Sie erwähnen vielmehr Ereignisse aus dem Leben Jesu, die das Gegenteil vermuten lassen. Aber die anderen beiden, Matthäus und Lukas sind fest davon überzeugt. Und dafür müssen sie doch Gründe haben.

Ja, aus ihrer Sicht haben sie die schon, antwortete ich. Nach ihrer Vorstellung konnte und durfte der göttliche Jesus nicht von Menschen gezeugt werden. Hierzu war nur Gott selbst in der Lage. Für diese Überzeugung war von Vorteil, dass der Glaube an von Göttern gezeugten Menschen in der antiken griechisch-römischen Welt weit verbreitet war. Es gab ganze Heerscharen von bedeutenden Persönlichkeiten, denen nachgesagt wurde, sie seien die Frucht der Verbindung einer sterblichen Frau mit einem Gott: Platon, Empedokles, Herakles und Pythagoras. Es ist durchaus einsichtig, dass die Urchristen, die Jesus für ebenso erhaben und himmlisch hielten wie es die Griechen bezüglich ihrer Götter taten, ihm eine solche übernatürliche Geburt zuschrieben. Es war eine Möglichkeit zu unterstreichen, dass Jesus zugleich Mensch und Gott war.11

Darüber hinaus hatten Matthäus und Lukas mit der Erzeugerrolle des Heiligen Geistes gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Die göttliche Herkunft Jesu untermauert und das Stigma der unehelichen Schwangerschaft von Maria beseitigt. Dieser geniale Schachzug war allerdings nur möglich, weil die damals geltende aristotelische Biologie in der Frau nur das leere Gefäß für den allein zeugenden männlichen Partner sah. Nach dieser Logik sind Frauen an der Zeugung nicht aktiv beteiligt. Selbst heute noch reden wir davon, dass Frauen „ein Kind empfangen“, also nur passiv an der Zeugung beteiligt sind. Spätestens mit der Entdeckung vom weiblichen Ei im Jahre 1827 durch K. E. von Baer und der damit verbundenen Erkenntnis des hälftigen Anteils der Frau an der Zeugung, lässt sich der Gedanke der göttlichen Zeugung Jesu nicht mehr aufrecht erhalten. Die menschliche Maria war hälftig beteiligt.

Was würdest du sagen, meldete sich Chaka wieder, wenn das weibliche Ei ebenfalls durch Einwirkung des Heiligen Geistes ersetzt worden wäre? Gut gedacht, räumte ich nach einer Überlegungspause ein. Dann wäre Maria allerdings nicht die genetische Mutter, sondern nur die Leihmutter Jesu.

Trotz des Einwandes von Chaka sind die Hinweise gegen eine Vaterschaft durch den Heiligen Geist erdrückend. Dies hat die katholische Kirche allerdings nicht von dem Dogma abgehalten, dass Maria eine „immerwährende Jungfrau“ (semper virgo) gewesen sei. Danach war sie ihr Leben lang Jungfrau und hat überhaupt nie mit irgendeinem Mann geschlechtlich verkehrt.

Die Mär von der immerwährenden Jungfrau

Viele antike Göttinnen waren Jungfrauen, etwa Artemis, Athene und Dike. Die Geburt Jesu durch eine Jungfrau entsprach somit der heidnischen Umgebung, und Maria konnte leicht als Fortsetzung der großen Muttergöttinnen der antiken Völker angesehen werden. Schon bald erhielt Maria Titel, wie sie die Muttergottheiten hatten, und in den folgenden Jahrhunderten nahm die Marienverehrung orientalisch-ausschweifende Formen an. Seinen Höhepunkt erreichte die Marienverehrung am 1. November 1950, als Papst Pius XII. die leibliche Aufnahme Marias in den Himmel verkündete. Es ist das erste und einzige Dogma, das ausdrücklich auf die 1870 proklamierte päpstliche Unfehlbarkeit bei „Ex-cathedra“-Aussagen gestützt wurde. In der diesbezüglichen Enzyklika Munificentissimus Deus heißt es: „Es ist ein von Gott geoffenbartes Dogma, dass die immerwährende Jungfrau Maria, … mit Leib und Seele zur himmlischen Glorie aufgenommen wurde.“ Es folgt die Mahnung: „Sollte daher, was Gott verhüte, einer wagen, das entweder zu leugnen oder absichtlich in Zweifel zu ziehen, was von Uns definiert wurde, so soll er wissen, dass er vom göttlichen und katholischen Glauben völlig abgefallen ist“.

Man kann sich zwar schwer vorstellen, dass in Deutschland ausgebildete katholische Theologen solche Aussagen wirklich glauben, aber wenn ihre Kritik öffentlich Anstoß erregt und wenn sie sich zudem schon anderweitig beim Klerus unbeliebt gemacht haben, müssen sie zumindest um ihre kirchliche Existenz fürchten. Als die kirchenkritische Uta Ranke-Heinemann, die weltweit erste Theologieprofessorin, öffentlich die Jungfrauengeburt ablehnte, nahm die Kirche dies zum Anlass, ihr 1987 die Lehrbefugnis zu entziehen. Genau so erging es 1991 dem Theologen Eugen Drewermann. Trotzdem werden seine Werke in der Theologie bis heute zu Rate gezogen. Nur nicht in Rom.

Chaka meldete sich stirnrunzelnd zu Wort: Wie ist das denn mit den Geschwistern von Jesus? Wurden sie ebenfalls vom Heiligen Geist gezeugt?

Nein, antwortete ich, der Heilige Geist wird zwar auch heute noch gelegentlich bei überraschenden Schwangerschaften als Erklärungsversuch bemüht, aber das ist nicht ernst gemeint. Ernst meint es aber in dieser Sache die Katholische Kirche mit ihrem Dogma und schießt dabei ein Eigentor. Sobald man den Standpunkt einnimmt, Maria sei eine „immerwährende Jungfrau“ gewesen, muss man die Brüder und Schwestern Jesu irgendwie wegerklären.12 Dabei deutet der nachfolgende, bereits erwähnte Markustext darauf hin, dass Jesus wahrscheinlich das älteste von mindestens sieben Kindern war: „Es ist doch der Zimmermann, Marias Sohn. Wir kennen seine Brüder Jakobus, Joses, Judas und Simon. Und auch seine Schwestern leben alle unter uns“ (Mk 6,3). Die Schwestern erwähnt Markus nur, ohne ihre Anzahl oder ihre Namen anzugeben, aber frühchristliche Überlieferungen lassen vermuten, es seien zwei gewesen: Maria und Salome.13 Matthäus, der weitgehend Material von Markus übernahm, hat dieselbe Namensliste, gibt aber anstelle von Joses (eine Kurzform, wie etwa „Hannes“ für Johannes) die vollständige Form Joseph an. Lukas dagegen lässt die Liste völlig aus. Heute sind viele Menschen erstaunt, wenn sie hören, dass Jesus Geschwister hatte.

Um die Doktrin der immerwährenden Jungfräulichkeit Marias zu bestätigen, behauptet die katholische Theologie, Jakobus, Joses, Judas und Simon seien Vettern von Jesus gewesen; die orthodoxe Kirche des Ostens wiederum lehrt, Jesus hätte Stiefgeschwister gehabt, Josefs Kinder aus einer früheren Ehe.

Aus den Evangelien kann aber weder eine Unterstützung für die Vettern- noch für die Stiefgeschwisterversion abgeleitet werden.14 Das Wort, das für Jesu Brüder verwendet wird, ist adolphoi – und an keiner Stelle im Neuen Testament bedeutet adolphoi Stiefbruder, Stiefschwester oder Vetter.15 Wenn es sich um Kinder aus einer früheren Ehe handeln würde, ergäbe sich zudem die Frage, warum sie Maria und Josef nicht auf ihrer späteren Reise nach Bethlehem und Ägypten – über die noch berichtet wird – begleiteten.

Paulus, der älteste christliche Autor, spricht unmissverständlich von Jakobus als dem „Bruder des Herrn“ (Gal 9,5), dann allgemein von den „Brüdern des Herrn“ (1.Kor 9,5). Ähnliches ist von Hegesippus, einem frühzeitlichen Kirchenhistoriker um das Jahr 170 zu hören. Er nannte Jakobus nicht nur einen Bruder von Jesus, sondern stellt klar, dass er ein „Bruder im Fleische“ gewesen sei. Der frühe christliche Kirchenschriftsteller Tertullian spricht ebenfalls von den Brüdern Jesu. Da Tertullian große Achtung vor der Unberührtheit hatte, sollte man meinen, dass ihm die Sache mit der immerwährenden Jungfräulichkeit bestimmt gefallen hätte. Er nahm diese Idee aber nicht auf. Auch Paulus erwähnt nichts von eine Jungfrauengeburt. Es hört sich eher nach dem Gegenteil an, wenn er schreibt: „Geboren von einer Frau“ (Gal 4,4), nicht etwa: von einer Jungfrau.16

Es gibt keinen rationalen Einwand gegen die Vorstellung, dass Jesus Teil einer großen Familie war. Die Vermutung liegt daher nahe, dass Josef und Maria völlig normal als Mann und Frau zusammenlebten. Die jüdische Kultur sah vor, dass verheiratete Paare Kinder bekamen: Es war eine religiöse Pflicht, keine freie Entscheidung. Die einfachste Erklärung ist die, die wir in den Evangelien finden. In diesem Punkt hat die Bibel Recht.17

Die für viele lächerlich anmutende Diskussion um die Jungfräulichkeit Marias ist letztlich wohl auf einen Übersetzungsfehler zurückzuführen. Um die Geburt Jesu in Einklang mit den alttestamentarischen Prophezeiungen zu bringen, berufen sich Lukas und Matthäus auf die griechische Version von Jesaja 7,14. Dort ist von einer Jungfrau (griech. „parthenos“) die Rede. Die ursprüngliche hebräische Fassung verwendete den Begriff „alma“, was jedoch nicht „Jungfrau“, sondern lediglich „junge Frau“ bedeutet.18

Als Fazit darf festgehalten werden, dass wir nicht wissen, wer der Vater von Jesus war. Der Heilige Geist war es jedenfalls nicht. Die Evangelien widersprechen sich bei dieser Frage zudem selbst. Einerseits wird versucht, umständlich darzulegen, dass Jesus über Josef aus dem Hause Davids stammt, andererseits wird behauptet, der Heilige Geist habe ihn gezeugt. Beides zugleich ist unmöglich.

Probleme mit der Glaubwürdigkeit der biblischen Erzählungen gibt es nicht nur bei Jesu Vorfahren, sie setzen sich – wie wir im folgenden Kapitel sehen werden – nahtlos mit seiner Geburt fort.

Kapitel 2: Jesus wird geboren ...

Mit Chaka hatte ich an diesem Dezembertag einen längeren Spaziergang gemacht. Der Stadtteil von Münster, in dem wir unterwegs waren, war weihnachtlich beleuchtet und an manchen Stellen roch es nach Glühwein. Ich erinnerte mich an die anheimelnde Stimmung, die ich als Kind in meinem Geburtsort Neuss verspürt hatte, wenn zu dieser Jahreszeit in der Schule Weihnachtsgeschichten vorgelesen wurden. In Münster führten nur wenige Hundebesitzer ihren Vierbeiner aus. Es war zu kalt, zu nass und zu stürmisch. Ich war froh, als wir wieder zu Hause waren.

Die Witterungsverhältnisse in Palästina zu der Zeit, in der Jesus geboren wurde, mögen nach dem Evangelisten Lukas ähnlich denen im winterlichen Münster gewesen sein. Er schreibt: „In jener Nacht lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde ...“ (Lk 2,8). Die besinnliche Geschichte von Lukas hat nur einen Fehler. Sie konnte sich nicht zur Weihnachtszeit ereignet haben. Und zwar alleine schon aus einem einfachen Grund: Bethlehem liegt recht hoch, exakt 778 Meter über dem Meeresspiegel, und die Hügel rund um den Ort Bethlehem sind zu Weihnachten normalerweise mit Schnee bedeckt. Deshalb lagerten dort um die Weihnachtszeit bestimmt nicht nachts Hirten mit ihren Herden unter freiem Himmel. Sie wären jämmerlich erfroren.

Die Frage der Jahreszeit ist nur eine kleine und nicht die einzige Inkorrektheit. Wichtiger ist die Frage, ob Jesus in Bethlehem, wie die Bibel sagt, oder in Nazareth, wie die Historiker meinen, geboren wurde und wann dies war. Und ebenso wichtig ist die Frage, ob die weiteren Geschichten der Evangelisten, mit denen begründet werden soll, warum Jesus in Bethlehem zur Welt kam, zutrafen.

Ist es nicht egal, wo Jesus zur Welt kam? Wichtig ist doch, was in seinem späteren Leben passierte, nicht sein Geburtsort, meinte Chaka. Für uns macht es wirklich keinen Unterschied, wo Jesus geboren wurde, antwortete ich. Für die Juden war es aber sehr wichtig. Lass es mich kurz erklären.

Der Messias musste in Bethlehem geboren werden!

Nach der Prophezeiung im Alten Testament (Micha 5,2) soll der lang erwartete Messias der Juden in Bethlehem, der Stadt Davids, zur Welt kommen. Das Wort „Messias“ stammt übrigens vom hebräischen masiah und bedeutet, dass jemand geweiht und mit Öl gesalbt wird. Die griechische Variante heißt Christos. Daher haben die Christen ihren Namen.19

Ähnlich wichtig wie der richtige Geburtsort Bethlehem war den Juden, dass der Messias aus dem Geschlecht Davids stammt. Deshalb hatte Matthäus, wir erinnern uns, zu Beginn seines Evangeliums den Stammbaum von Jesus detailliert aufgeführt, in dem auch David genannt wird. Matthäus bezeichnete Jesus daher als „Sohn Davids“. Bei Lukas verhieß ein Engel Maria, dass ihr Sohn Jesus auf dem „Thron seines Vaters David“ sitzen würde (Lk 1,32). Die zwei Gedanken hängen eng miteinander zusammen. Nicht jeder Nachkomme Davids bestieg Davids Thron, aber niemand bestieg den Thron, der nicht Davids Nachkomme war.