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Der deutsche Bomberpilot Theodor springt mit seiner Besatzung über der italienischen Front ab. Dort findet er Anschluss und muss in deutschen Schützengräben kämpfen. Er schildert die grausamen Szenen, die wachsende Verzweiflung und die immer kleiner werdende Hoffnung vor Ort. Als die Kompanie weiterzieht, gelangt sie in ein kleines, italienisches Dorf, wo sie beschließt, die Nacht zu verbringen. Theodor schließt mit der schüchternen, italienischen Bauerntochter Luna Bekanntschaft und verliebt sich in sie. Doch plötzlich wendet sich das Blatt. Die Amerikaner überraschen die Truppe in der Nacht und erschießen die Deutschen gnadenlos. Theodor kann mit seiner Geliebten flüchten und lässt den Krieg hinter sich. Der Beginn einer aufregenden und zugleich tragischen Liebesgeschichte ….
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Seitenzahl: 375
Veröffentlichungsjahr: 2018
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1. Auflage 2018
Copyright © 2018 by Andreas M. Riegler
Verlag: Neopubli GmbH, Berlin
Alle Rechte sind dem Autor vorbehalten, insbesondere das derÜbersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durchRundfunk und Fernsehen, auch einzelne Teile.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie,Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne Genehmigung des Autorsreproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet,vervielfältigt oder verbreitet werden.Druck und Bindung: epubli GmbH, Berlin
Printed in Germany
Inhalt
Titelseite
Impressum
Anfang
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Ende
Dieses Werk stellt keinerlei Bekenntnisdar, sondern berichtet von einer ganzenGeneration, von einer Zeit, die sich einstvielleicht so zutrug. Es soll von all dem Schrecken, Graus undTod berichten, den die Welt damalserlebte. Die Darstellung desNationalsozialismus soll eine Anklage derPropaganda und der Schuld des Volkesmit den Taten jedes und jeder Einzelnendarstellen. Die Sicht des Protagonistensoll diese Umstände verdeutlichen.
Möge all die Zeit vergangen und all dieSchreie verstummt, all Krieg beendet undall das Blut versickert sein. MögenMädchen wieder über all die Gräbertanzen und Sträuße pflücken. Möge dieMenschheit gelernt haben, möge dieVergangenheit eine Lehre darstellen undmögen alle Seelen nun in Frieden ruhenund ihr Geist in Frieden nun miteinanderweilen.
Denn die Welt ist bereit dafür!
1.
Heftig wird an meinem Arm gerüttelt. So ruhig war es doch. Ich will nicht mehr. Warum kann es nicht vorbei sein? Ich öffne langsam meine Augen und blicke in das schöne, unschuldige Blau des Himmels. Dort, wo wir uns doch alle etwas von unserem Leben erhoffen. Da oben, wo der Frieden wartet und alles enden wird. Eine Wolke schiebt sich langsam vor die andere, doch sie ist grau und dunkel.Der Traum endet. Die Geräusche werden lauter und der hohe Ton der Ruhe leiser. Mein Kopf schmerzt. Ich möchte doch nicht durch die Erde geschliffen werden, wie ein Sandsack. Ich blicke zur Seite und sehe Erde. Ein paar Grashalme erinnern noch an die wunderschöne Wiese, die hier einst gewesen ist. Lautes Geschrei höre ich von meinem Kameraden. In der Ferne blitzen die Maschinenpistolen auf. Mein Helm und meine Feldflasche geben ein metallisches Geräusch ab, doch es wird von dem lauten Knallen übertönt.Da zieht man mich auch an meinem Freund vorbei. Er hat mir einst das Bild seiner Geliebten gezeigt. Er wollte sie nach alldem heiraten. Sein lebloser Blick sieht mir in die Augen. Die Kugeln, die mir gelten, prallen in seinen zerfetzen Körper. All die Toten. All die Krater und all das Blut.
Ich möchte melden, dass mein Herz noch schlägt, doch die Lust hat mich verlassen, die Lust am Leben. Gönne mir doch das Aus.
Seine kalten Finger spüren in mir noch das Leben. Ich verziehe meine Augenbrauen mit einem schmerzhaften Blick des Unwillens, der Hingabe und der Verzweiflung. Er holt den Splitter der Granate aus meiner seitlichen Brust. Viele dürfte es jedoch nicht getroffen haben, da er mir etwas Aufmerksamkeit schenkt. Ich widme seinem Gesicht nur wenig Hingabe, da ich nichts verstehe. Er ist zu leise. Ich nicke nur dankbar. Der hohe Ton ist noch immer da und erinnert mich an die Ruhe. Ich blicke auf das rote Kreuz auf seinem Helm. Das unschuldige Weiß, das das Kreuz hervorhebt ist rot und braun verschmutzt. Rot das Blut und Braun die Erde, wo wir alle enden werden.
Ich bin doch noch da und will nicht wie ein Toter auf dem kalten Boden liegen, der mir meine Wärme raubt. Ich rolle mich zur Seite und sehe dem langen Gang in der Erde entlang. Viele bekannte Gesichter. Die einzigen, für die es sich zu leben lohnt. Von dem, mit dem roten Kreuz, über dessen Schulter ich meinen Arm gelegt habe, werde ich stützend vorwärts geführt, wo ich mich in die Nähe meiner Kameraden geselle. Langsam wandert mein Blick den Graben entlang. Alle sind sie tapfere Männer. Alle haben Träume. Jeder hat seine eigene Geschichte und jeder trägt eine andere Welt in sich. Ich spüre das warme Blut meine Leiste herabrinnen. Doch mein Wille ist stark. Ich möchte all das überstehen. Viel Schlimmeres habe ich doch schon gesehen.
Ich blicke hinüber und kaue an einer halben, trockenen Scheibe Brot, die den Verletzten gereicht wird.
Ein Vordringen war also nicht möglich. Viel zu stark sind die anderen. Vor lauter Wut dem Krieg gegenüber, fangen schon die Tränen an zu laufen, die ich nur mit Mühe zurückhalten kann. Viel zu groß ist der Schmerz der Wunde, viel zu groß ist der Schmerz des Gesehenen.Wieder stehen uns ein paar Tage in dem kalten Schützengraben bevor. Die Narben des Krieges lassen sich schon sehen. Wieder wird es eine neue geben und es wird nicht die letzte sein.
2.
Die letzten Tage waren hart. Die Nächte werden immer kälter und der Nebel immer dichter. Die Reserven immer knapper und die Hoffnung immer zweifelhafter. Vor ein paar Tagen hat eine Granate eingeschlagen und drei Kameraden in Stücke gerissen. Dabei kam auch unser Funker um, dessen Posten ich nun zugeteilt bekommen habe. Täglich rufe ich mit dem Meldegerät um Hilfe, doch ernst genommen wird man nicht. Wie oft wurde uns schon Unterstützung zugesagt, doch das sind alles Lügen. Jeden Moment kann es mich treffen. All das hängt vom Zufall und vom Glück ab. Keiner kann es vorhersagen. Nicht einmal der Feind selbst.
Der Tag ist kalt und nebelig. So kalt wie noch nie. Ich schaue meinem eigenen Atmen zu und frage mich, wie lange er wohl noch da sein wird. Die einen reden über ihr Heim, die anderen warten einfach nur ab. Niemand kennt meine Geschichte. Ich will nicht, dass sie jemand kennt. Sie ist das Einzige, was mir geblieben ist. Das Einzige, was noch mir gehört. Steine fallen auf meinen Stahlhelm. Die Erde scheint zu beben. Von weiter Ferne des Grabens höre ich rufen: „Sie sind da! Die Panzer sind da!“Der Ruf hört sich für mich an, wie das Singen einer Nachtigall. Ich kann es nicht glauben. Sie sind da. Schnell hebe ich unsere Fahne auf, auf der ich eben gesessen bin und schwenke sie hin und her, damit es keine Verwechslung gibt. Das Symbol der Verbundenheit. Der Adler mit dem Kreuz. Es liegt in meiner Hand. Die anderen scheinen einzusehen und hissen die Weiße. Ich glaube nicht, dass die Panzergarde sie sieht, es macht auch keinen Unterschied. Für sie hat die letzte Stunde geschlagen. Allesamt werden erschossen. Und wer hilflos mit erhobenen Händen hervorkommt, der wird durchlöchert, bis nichts mehr von ihm zu sehen ist.
So ist es nun mal. Keiner kann es erklären, aber sie sind doch anders als wir. Sie sind Helden, die Panzer. Sie haben uns befreit. Mit strengem Blick und mieser Miene sehen sie uns an und heben die rechte Hand in Richtung des Himmels. „Heil sind wir alle!“, so rufen wir. Alle kriechen aus dem Loch in der Erde. Alle sind wir erlöst. Nun können wir wieder aufrecht gehen. Beeindruckt von dem schweren Gerät formatieren wir uns in Reih und Glied. Ich bilde die letzte Reihe. Alles kommt uns wie ein Traum vor. Der Krieg hat sich in uns hineingefressen. Im Marsch gehen wir voran. Mit Hunger und Durst, mit den Gedanken an den Tod. Noch ein letztes Mal sehen wir in den Graben hinein, während wir entlang marschieren. Der Tod winkt uns von unten empor und ruft uns zu, mit teuflischem Lachen: „Wir sehen uns wieder! Ich stehe stets hinter dir, Soldat.“ Die Toten im Graben lassen wir alle zurück. Wir tun so, als würden wir sie nicht kennen, waren sie doch einst unsere Brüder. Alle sehen sie zu uns, doch wir leben nicht mehr zu unseren Gunsten. Wir leben nur mehr aus Angst vor dem Tod.
Nur mehr die Hälfte aller Männer ist noch da. Und ich habe alle gekannt. In Begleitung der Panzer gehen wir den Weg entlang. Noch aus weiter Ferne kann man das Rauchen der Leichen und der Granaten erkennen. Die qualmende Erde, die Auswirkungen unseres Daseins, lassen meinen Atem stocken. Dieses Gebiet ist gezeichnet. War es doch einst ein reines Feld, auf dem Mädchen Blumen pflückten. Jetzt ist es vorbei. Möge diese Erde den Frieden wieder finden und wieder Blumen wachsen lassen. Mögen all die Patronen und Toten in der Erde versinken und diese Geschichte vergessen lassen. Möge all das hier vorbei sein.Der Schlamm lässt mich bis zu den Knöcheln einsinken. Es ist hart und mühsam. Mit einem kurzen Blick zurück kann man noch immer meine Abdrücke im Schlamm erkennen. Es sind zwei Füße, die auf dieser entweihten Erde gewandert sind. Doch nicht mehr. Sie sehen so einsam aus, neben all den vielen meiner Kameraden. Wird die Einsamkeit jemals gebrochen? Wird meine Seele wieder hell erleuchten oder wird sie so enden? Werde ich denn für immer einsam sein? Wenn ich von dieser Erde gehe und fliegen lerne, wer würde schon an mich denken. Meine Geschichte wird verstummt bleiben, wie die der Patronen unter dem Schlamm.
Ein langer Marsch ist es. Ohne Pause gehen wir. Der Atem ist schwer und die Kälte macht sich an meinem Rachen bemerkbar.Durch schöne Landschaft wandern wir. Wir Krieger, mit unserem Gefährt. Zwischen Rapspflanzen und Mohnblumen gehen wir hindurch. Mit den Gewehren in der Rechten und über die Blumen streichend mit der Linken. So wie wir durch die schöne italienische Landschaft spazieren, kommen in uns die heimatlichen Gefühle wieder hoch. Die Gefühle des Friedens und der Unschuldigkeit. Schöne Blumen sind es. Und jede hat noch ihr Geheimnis unter der Erde. Jede Blume hat ihre Aufgabe und ihren Sinn. Sie scheint, meinen in den Schatten zu stellen. Ich möchte mir eine pflücken, doch nicht vor den Kameraden. Schnell eine gelbe Blüte abgezupft und in meinem Feldgeschirr verstaut.
Hinter der Baumreihe vor uns, sehe ich schon eine Turmspitze. Ein Gotteshaus. Es ist ein kleines Dorf mit kleinen Häusern. So unschuldig und klein. Alle haben Angst. Es ist unbesetzt. Alle wollen fliehen, doch wir heben die rechte Hand zum Himmel und jeder weiß Bescheid, wir sind Helden.
Es ist dämmrig und der Nebel wird dichter. „So bleiben wir doch in unserem kleinen Dorfe“, kommentiert der Gruppenführer.
Sofort fällt mir ein hübsches Mädchen von zierlicher Figur auf. Mit wunderschönen Augen und einem zart geformten Mund, worauf ein zärtliches Lächeln zu sehen ist. Wenn ich sie nur haben könnte. Es wartet doch sonst niemand auf mich. Doch ihr Blick gehört dem auf dem Panzer. Sie hat sich in ihn verliebt. So Fürchterliches habe ich gesehen, so viel Mut hatte ich bewiesen. So viel habe ich erlebt und so oft habe ich einen Blick in die Feindesaugen gewagt. Doch die größte Waffe ist eine Frau. Sie kann einen Mann mit nur einem Blick erstarren lassen und über ihn gleichzeitig die Herrschaft erlangen. Sie ist ein Meisterwerk, das von Gott erschaffen wurde. Der Zufall hat mich zu ihr geführt. Oder ist es doch das Schicksal, das mich führt?
3.
Ich muss immer daran denken. Der Krieg ist ein Teil von mir geworden. Ich könnte nicht mehr ohne ihn. Viel zu viel hängt daran. Meine Kameraden wurden für mich wie eine Familie. Doch immer, wenn ich an das Gesehene denke, fahre ich mir durch die Haare und fange an zu frieren. Ich ruhe mich auf einem Heuhaufen mit meinen Kameraden aus. Er ist schon halb kaputt und mit Frost übersehen. Es ist so kalt, aber wir wollen doch erst später hineingehen. Es würde uns allen gut tun, über alles zu sprechen, doch stattdessen reden wir über Frauen und Sängerinnen. Ein älterer Kamerade namens Karl hat eine Gitarre aufgetrieben und fängt an zu singen. Er singt über das Zuhause. „Ach, wie vermiss ich es. Wie schön war es. Doch irgendwann gibt’s ein Wiedersehen.“ Er singt es aus ganzer Seele. Da er mit vollem Herzen dabei ist, steigen wir allesamt mit ein.
Ich habe sie beobachtet. Ich weiß, wo ihr Haus liegt. Wie sie wohl heißen mag? Ist es die schöne Friede oder ist es doch die schüchterne Barbara. Ich weiß, was meine Aufgabe ist. Doch soll ich? Ich weiß nicht recht. Meinen Kameraden sage ich kein Wort. Sie ist doch mein, sonst kommt der Karl oder jemand anderes mir zuvor. Nun sehe ich meine Pflicht ein und erhebe mich. Mit den Händen greife ich in das Heu hinein und verschmutze sie mir. Doch an der braun-grünen Uniform sieht man es nicht. Ich gebe vor, mir einen Schlafplatz zu suchen und verabschiede mich. Ich fühle mich unwohl. Mein Herzschlag fühlt sich an, als hätte neben mir eine Granate eingeschlagen. Lange überlege ich, ob ich an der grün gestrichenen Holztür klopfen soll. Doch wenn ich denke – an den Graben –, sollte ich doch nicht vor so etwas Scheu haben. Ich klopfe dreimal fest, damit man es nicht überhören kann. Es gibt drei dumpfe Geräusche ab. Die Farbe blättert schon von ihrer Türe. Nun muss ich hier durch. Was macht man nicht alles für die Liebe. Leise höre ich Schritte. Sie kommen immer näher. Mit einem Ruck ist die Türe offen. Ein großer Mann mit schwarzem Haar und Vollbart. Ihr Vater. Er überragt mich mit seiner Größe. Das macht es mir nicht gerade einfach. Mit meinem wenig Italienisch und Handgefuchtel versuche ich, um Essen zu bitten. Er versteht und führt mich in einen Raum, in dem das hübsche Mädchen sitzt. Sie essen nur bei Kerzenlicht. Im Kamin glüht noch die Asche. Sie sitzt ihrer Mutter gegenüber. Sie sieht so wunderschön aus. Schöner, als ich je zuvor ein Mädchen gesehen habe. Sie ist Gottes Kunstwerk. Nun sieht sie mich mit großen Augen an. Mit ihren grünblauen Augen, die mich an das Meer erinnern und perfekt mit dem Weiß harmonieren. Mit der Uniformmütze unter der Achsel lächle ich ihr in das schöne Gesicht. Ihre Augen brennen mir Wunden in die Seele. Sie strahlen mich groß und glänzend an. Ich würde vor ihr weinen, könnte ich es noch. Sie ist die eine, von der ich schon so oft geträumt habe. Ihr Vater, der hinter mir in der Türe steht, zeigt zu einem Sessel an einem Ende des Tisches. Am anderen nimmt er selbst Platz. Das Mädchen sieht wieder kurz auf zu mir. Als ich ihren Blick auffange, schaut sie jedoch sofort wieder auf ihren Teller mit den Kartoffeln und dem Brot. Der Tisch ist wunderbar gedeckt. Kartoffeln, Brot und Rüben. Ihr Blick wandert langsam den Tisch entlang auf meine Hände und schlussendlich zu meinem Gesicht. Wir sehen uns kurz in die Augen, doch der Vater hat es bemerkt und sagt mit strenger und erhobener Stimme: „Luna!“, sodass ihre schönen Augen ängstlich werden und sie ihren Blick wieder absenkt.Meine weiteren Versuche, ihr in ihre schönen Augen zu sehen, erwidert sie nicht. Die Mutter sieht ihn mitleidsvoll an, doch das mit seiner Tochter scheint ihm nicht willkommen zu sein.
Ich sehe mir sie möglichst genau an, damit ich sie mir in meinen Träumen besser vorstellen kann. Sie ist schlank und in ein schönes Kleid gehüllt, ist dünn und so um die siebzehn. Ihre Zähne sind strahlend weiß und wenn sie lächelt, sieht man kleine Grübchen in ihrer hellen Wange. Ihr glattes, dunkelblondes Haar macht einen majestätischen Eindruck auf mich. Ihr Geruch ist mir so lieb. Sie ist ein Engel. Sie sieht ihren Eltern überhaupt nicht ähnlich. Ihre Mutter ist eine kräftige Magd, mit braunem Haar und ihr Mann ein Starker. Wie also so ein schwaches, zartes Geschöpf?
Nach einiger Zeit merke ich, dass mein Gehen nun erwünscht wird. So verabschiede ich mich von ihnen, blicke noch ein letztes Mal in ihre Augen und gehe mit einem Lächeln, vollem Magen und einem liebenden Herzen. Ich hatte doch noch nie Glück mit Mädchen. So kommt doch immer für jeden die Zeit. Doch eine Stimme sagt in mir: „Es ist nicht so bestimmt.“ Als ob mich meine Seele warnen würde. Sie lebt anders und sie braucht einen richtigen Verehrer mit Blumen, der nachts Steine auf ihre Scheibe wirft, keinen, der sie beschützen kann, denn dafür hat sie doch schon ihren Vater. Ich fühle mich schwer und verletzt. Mit jedem Gedanken, den ich über sie verschwende, wird mein Herz schwerer, bis ich es schließlich in meinem Halse spüre. Dieses Monster! Sie ist einfach zu schön für diese Welt. Ihr Blick mit ihren Augen, die Türe zur Vollkommenheit, all das Wunderbare. Ihr Haar, mit ihrer Haut, sind eine zärtliche Harmonie. Nur eine Berührung der Zärtlichkeit und Wunden werden zu Narben. Ihr Lächeln, mit ihrer Lieblichkeit, macht selbst den tapfersten Soldaten zu ihrem Untertan. Denn Liebe ist, was Liebe ist.
Der Weg zu meinen Kameraden kommt mir länger vor als zuvor. Schon von weitem höre ich sie singen. Heute lassen sie sich gehen. Das haben wir uns doch verdient. Warm ums Herz, komme ich zu den Kameraden. Nur mit Mühe bekomme ich einen Krug Most ab, der mir die Nacht mit meinen Kameraden versüßt und mich von den Schmerzen des Krieges für eine Zeit erlöst und mich für all das belohnt.
Mit Blick auf den Panzer singen wir. Wir singen der Nacht entgegen und offenbaren uns unsere Geheimnisse, reißen Sprüche oder denken einfach nur nach.
Morgen werde ich schon wieder fort sein. Die schöne Luna werde ich hier lassen müssen. Sie wird sich mit einem anderen vermählen und wird mich vergessen. Aber so ist er nun mal, der Krieg. Er besteht eben nicht nur aus körperlichem Schmerz. Das ist nur der Schmerz, den man dem Gegenüber noch zusätzlich bereiten möchte.
Der Mond scheint so hell. Das Gegenteil unser. Ich blicke hinauf und sehe eine andere Welt. Sie leuchtet so hell. Fast scheint es so, als würde sie mich mit ihrer Schönheit einladen. Der Mond scheint so hell, mit seiner wunderbaren Ausstrahlung, dass der Nebel für ihn kein Hindernis ist. Alle sehen den gleichen. Wie viele Hoffnungslose sehen jetzt wohl zu ihm? Wie viele Sterbende oder Verletzte? Wie viele verliebte Mädchen und verlorene Mütter? Wie viele Herrschende und wie viele Soldaten? Sie sehen alle den gleichen. Er scheint für uns. Er scheint für alle.
Ich blicke zu dem mächtigen Panzer. Was für ein schönes Gerät es doch ist. So standhaft und fest. So königlich und selbstbewusst. Und die Flagge weht im Wind. In dieser Nacht wacht sie über unsere Köpfe und erinnert uns, wofür wir kämpfen. Schwarz wie die Nacht, Weiß wie die Hingabe und Rot wie die Pflicht und die Achtsamkeit. Sie hat uns in ihrem Bann, denn es ist nun mal die Pflicht. Ich habe gelernt, ihr zu folgen, in Schlachten und in Hinterhalte, in stürmisch kalte Nächte. Wir folgten ihr in Finsternis auf Felder und in tiefe Gräben, gerade, wo sie uns erschien. Mit Blut des Kameraden, in Stöhnen, im Jammern und im Zagen, folgen wir, ohne zu fragen. Nun kämpfen wir nur noch für sie. Unser Leben gilt nur noch ihr. Sonst blieb uns nichts.Ich bin und bleibe ein Soldat. Ich werde für ihn das Mädchen verlassen und werde schon morgen wieder in bittere Kämpfe ziehen. Denn Liebe, in diesen Zeiten, gibt es nicht, nicht für uns Soldaten. Liebe macht uns schwach und grau. Liebe, nicht von dieser Welt, nichts was mich von allem hält.
Ich versuche zu schlafen, doch am Heuhaufen wird noch gefeiert. Ich nehme mir die Freiheit und lege mich unter den Panzer. Dort gibt der Motor noch seine Wärme ab und ich habe für diese Nacht meinen Frieden gefunden. Ich spüre die Unlust und die Schwäche. Meine Augen schließen sich und ich wünsche mir, von der schönen Luna zu träumen.
4.
Plötzlich werde ich schreckhaft wach. Irgendetwas scheint ganz und gar nicht in Ordnung zu sein. Oder liege ich etwa falsch? Wer geht denn da? Wer redet denn da? Ich habe das Gefühl, dass es nicht unsere sind. Die Stimmen und Wörter hören sich fremd an. Wollen wir jetzt etwa früher aufbrechen?Anscheinend wurde uns eine andere Kompanie geschickt. Verwirrt und noch halb im Traumland versunken, blicke ich durch die Laufrollen, die die schweren Ketten halten und sehe Schatten im dichten Nebel. Mit schlechtem Italienisch höre ich Rudolf aus meiner Kompanie sagen: „Ah Kameraden! I nostri compagni!“ Doch der fremde Schatten legt sein Gewehr an und sagt: „We are not your companions!”Es sind nicht die Italiener. Es sind unsere Feinde, unser schlimmster Albtraum.Rudolf ruft laut auf und dann kommt auch schon der Schuss. Und der zweite. Und der dritte. Ich schrecke bei jedem auf. Mein Herz fängt an fest zu schlagen.Einer nach dem anderen. Sie hallen nach, so laut sind sie. Sie klingen, wie das Verderben selbst. Sie haben alle ein Echo. Es ist ein Massaker. Nun sind wir alle verloren. Nun haben sie uns überrascht. Jeder, der kommt, wird erschossen. Alle liegen wehrlos am Rücken und zeigen ihnen die Handflächen und ergeben sich. Doch es gibt für sie kein Erbarmen. Nun werden unsere Taten bestraft.Noch nie habe ich um mein Leben mehr gefürchtet. Ich zittere am ganzen Leibe. Ich friere. So wehrlos liege ich da und sehe meinen Kameraden beim Sterben zu. Ganz ohne Wehr, als wäre es ein böser Traum.
Ich muss hier weg! Schnell springe ich auf, doch dann ist es schon geschehen. Der Stahlhelm und der Panzer stießen zusammen und so werde ich nun auch verenden. Schnell krieche ich unter dem Panzer hervor und versuche mich im dichten Nebel zu verstecken. Kriechend versuche ich zu flüchten, doch sie haben mich entdeckt. Ich höre die Schüsse und sehe die Gewehre aufblitzen. Jeden Moment müssen sie mich treffen. Doch ich bin noch ganz. Jede Sekunde ist es so weit. Wann prallt die Kugel in mein Fleisch? Plötzlich sehe ich das schöne Mädchen in meinen Gedanken. Ich muss sie holen! Für sie bin ich da. Sie kann ich noch retten. Ich muss sie warnen! Nun laufe ich so schnell ich kann. Ich muss sie retten! Ich muss hier weg!Ich habe in der Hektik der Flucht die Orientierung verloren. Meine Hand zittert und der Herzschlag pocht mir in den Ohren. Wo bin ich nur? Alles sieht so anders aus. Ich höre sie, die anderen. Sie kommen und durchsuchen alle Häuser. Doch wo ist das der Schönen? Ich laufe zur Türe des ersten, zur Fassade des zweiten, ich finde es nicht. Doch jetzt! Dieses Haus kommt mir bekannt vor. Noch eines oder nein, zwei weitere und dann bin ich bei ihr. Wie viele sind es? Sie hasten zu mir. Sie sind dicht hinter mir. Es muss eine ganze Armee sein. Ich höre Pferde traben und das Zaumzeug klirren. Ich höre den Klang von Kutschen und das Bellen von Hunden. Ich sehe ein. Sie sind nur ein paar Meter hinter mir. Ich muss mich verstecken. Hier, bei dem Busch. Schnell hüpfe ich dahinter. Nein, hier sieht man mich. Bleibt mir noch Zeit? Ich hüpfe über einen Zaun und lege mich auf den kleinen Acker, zwischen Kürbissen und Salat und warte ab. Ich habe kaum noch Hoffnung. Ich höre nur mehr das Aufbrechen der Türen und das Rufen der Soldaten. Sie eilen an mir vorbei. Alle hetzen sie. Es sind unsere Feinde. Die, denen man nicht einmal in unseren schlimmsten Albträumen gegenüberstehen möchte. Was war geschehen? Wie konnten sie uns so überstürzen?Jetzt ist es Zeit. Ich hüpfe wieder auf den Weg und gehe wie einer von ihnen auf das Haus des Mädchens zu. Immer wieder blicke ich zurück, doch meine Uniform erscheint unter dem Mondlicht wie eine der ihren. Mit hastigem Schritt trete ich voran. Die Türe steht offen. Ich höre jemanden auf der Treppe laut aufrufen. So schnell ich kann, laufe ich die Stiegen hoch. Dann sehe ich ihn vor mir. Es ist ein Soldat. Groß ist er. Ich stürme zu ihm die Stiege hinauf, lege meinen Arm um seinen Hals und drücke zu, so fest ich kann. Er soll sterben. Hat er ihr etwas angetan? Schreckliche Geräusche sind es, die er von sich gibt. Sollte ich etwa loslassen? Doch ich bleibe stark. Ich spüre, dass er aufgibt. Ich spüre, dass er schwächer wird und dann fühle ich die Leere in meinem Arm. Es ist leise. Er macht nichts mehr. Er ist tot. In der Stille des Todes erhebe ich mich. Nur die Rufe der Soldaten, die an dem Haus vorbeilaufen, nur ihre schweren Schritte und der kalte Hauch des Todes. Es scheint mir, wie ein Traum zu sein. Wie ein Albtraum, aus dem ich nicht erwachen kann. So verschlafen und unwirklich. So dunkel und düster. Langsam schreite ich den langen Flur entlang, der mit schönem Kirschholz ausgekleidet ist. Ich öffne die erste Türe und blicke hinein, doch da ist sie nicht. Auch nach der dritten habe ich sie nicht gefunden. Wo ist sie denn? Ein leeres Himmelbett steht im letzten Zimmer und plötzlich ist ein leises Schluchzen zu hören. So hilflos und verzagt. Sie muss sich darunter verstecken, das arme Mädchen. Ich muss zu ihr.Mit ruhigem Schritt nähere ich mich dem Bett. Ein schönes Bett ist es, worin dieses wunderschöne Mädchen ruht. Ich lege mich auf den Boden. Es ist dunkel da unten, doch ich kann sie weinen hören. Ich spüre sie in mir. Ich spüre ihre Nähe in meinem Herzen. Bei jedem Schluchzer schluchzt mein Herz mit. Ich strecke meine Hand aus, doch sie versteckt sich und fürchtet das Schlimmste. Leise sage ich: „Hallo, Luna! Luna! Keine Angst!“ Sie versteht wahrscheinlich nur ihren Namen. Langsam schiebt sich ihre Hand von ihrem Gesicht und ich sehe ihre Augen wieder. Sie weint. Eine einsame Träne rinnt ihre Wange hinab, bis sie am Boden zerschellt. Ich sehe sie an. Da verstummt ihr Schluchzen. Ganz aufmerksam ist sie, aus Angst und wohl aus Hoffnung. Ihre Augen und ihre Lider sind rot angelaufen. Ihre Haare zerzaust. Wie schön sie doch ist. Ich muss sie retten. Ratlos liege ich nun da und sehe ihrer Verzweiflung zu, die mich erstarren lässt. Langsam schiebe ich mich unter das Bett, zu ihr. Nun liege ich an ihrer Seite. Ich spüre die Wärme und ihren Atem. Ich fühle sie und rieche sie. Doch ich spüre auch ihre Ratlosigkeit und Verwirrung. Ich spüre, dass ihr kalt ist. Schnell ziehe ich meine Jacke aus und versuche ihr diese unter dem Bettrost überzulegen. Ich sehe das Hakenkreuz mit dem Adler, das am Ärmel aufgenäht ist. Immer stärker kann ich sie riechen. Ich fühle nach ihrer Hand. Sie ist warm, so warm. Fast schäme ich mich für die Kälte meiner. Sie sieht mich an. Das Wasser in den Augen glänzt. Am liebsten würde ich sie küssen. Doch die Trauer in mir und die Hilflosigkeit ist zu groß. Ich flüstere zu ihr: „Du musst mir vertrauen!“, obwohl ich weiß, dass sie mich nicht verstehen kann. Sie flüstert auch etwas, doch ich verstehe nicht. Es hört sich verzweifelt an, fast wie ein Betteln. Ich spüre wieder ihren warmen Atem an meiner Wange. Fester drücke ich ihre Hand. Sie fühlt mich an ihr. Doch wir müssen hier schnell fort. Wir müssen fort von hier!
Langsam schiebe ich mich wieder unter dem Bett hervor. Zuerst ich. Sollen sie mich doch zuerst erwischen. Dann reiche ich ihr meine Hand. Auch sie kommt nun unter dem Bett hervor. Mein Herzschlag fängt nun wieder an, wie wild zu pochen. Nicht nur aus Angst und Ratlosigkeit, sondern auch aus Liebe zu ihr. Wie sie nun steht vor mir, so ganz in weiß, sich aufbäumt zur zarten Gestalt und in Dunkelheit zu leuchten scheint, wie ein Engel, der verloren weint, im Kriege dieser Zeit. Wir müssen fort von hier! Komm, lass uns gehen! Ich bringe dich in Sicherheit und sei es meine letzte Tat. Langsam und mit zittrigen Beinen richtet sie sich auf. Ich ziehe sie an der Hand und sage: „Komm!“ Schnell läuft sie mir hinterher und lässt sich von mir führen. Sie erschrickt, als wir über den toten Soldaten hinwegspringen. Er liegt so dar, seine Augen geöffnet und sein Mund so hilflos aufgerissen, als wollte er einen Schrei ausstoßen. Seine Hände sind erbarmend und voller Ergebung und Hingabe ausgestreckt. Wie dieses schöne Mädchen über ihn hinwegspringt, so gefasst und so voller Eile. Wie ihr weißes Nachthemd über ihm erbarmend schwebt. Geschwind die Treppen hinuntergelaufen und dann schnell weg. Alles voller Soldaten. Wie sollen wir nur fort von hier? Ich lehne neben der Türe und warte ab. Unsere Hände sind verschwitzt. Sie sieht so schön aus. So ratlos. Mit ihrem Dunkelblond und dem Nachthemd. Ruckartig ziehe ich ihre Hand. Es ist Zeit. Schnell laufen wir in Richtung des Ackers, an dessen Ende ein Wald liegt. Vor dem Weg machen wir halt. Es sind zu viele. Suchend blicke ich um mich und mache eine Pferdekutsche aus, hinter der wir uns verstecken. Die zweite Hand lege ich auf das Rad des Wagens und spähe an ihm vorbei. Das Feld sehe ich schon, doch es ist zu gefährlich. Wie soll ich sie nur retten? Wenn sie eine Kugel trifft, möchte auch ich getroffen werden. Ich möchte sie in den Himmel begleiten. Sie würde mir das Fliegen lehren. Da bemerke ich, dass ich ihre Hand vor lauter Aufregung viel zu fest halte. Mein Blick wandert von den Händen in ihr Gesicht. Ängstlich und schmerzerfüllt sieht sie mich an. Sie sieht mir tief in die Augen. Ich lasse ihre Hand los und wende meinen Blick in Richtung des Ackers. Nun liegt es in meiner Hand. Nur noch auf den richtigen Zeitpunkt abwarten. Und da ist er gekommen. Wir legen unser Leben in die Hände des Schicksals und laufen los. Mit einem Ruck führe ich sie im Laufschritt in Richtung des Feldes. „Schnell! Lauf schon!“ Schützend laufe ich hinter ihr. Ohne Schuhe eilt sie über die Wiese in den gepflügten Acker. Doch sie haben uns entdeckt. Sie kommen und laufen uns hinterher. Schüsse sind zu hören. Sie stolpert und stützt sich an mir ab. Ihre Hand klammert sich an meiner Schulter fest. Sie kann nicht mehr. In ihrem Haar hat sich ein verwelktes Blatt verfangen. Sie sieht mich hilflos und erbarmungsvoll an, als wäre alles aus. Als könnte ich etwas dafür. Schnell hebe ich sie auf und trage sie über den unebenen Acker. Warum schießen sie denn noch? Reicht es ihnen denn nicht schon? Die Munition, die ihr verschwendet, ist doch viel kostbarer, als wir es sind! Lasst uns doch gehen! Warum wollt ihr denn unseren Tod, wenn wir euch doch fürchten und fliehen? Wir sind doch keine Gefahr mehr. Jetzt sieht uns auch schon keiner mehr. Wir sind im Nebel verschwunden. Ich danke Gott für unser Leben, für sie und für den dichten Nebel, der uns umhüllt und verbirgt und all die Kugeln für uns fing. Sie stöhnt vor Erschöpfung. Ihre Hand ist kalt. Die Jacke halte ich in der Hand und lege sie ihr wieder um. Mit einer Hand fasse ich ihr an den Rücken, mit der anderen an ihre Beine. Nun trage ich sie wieder. Bleibe tapfer Soldat! Der Wald ist nicht mehr weit.
Erschöpft erreichen wir das Ende des weiten Feldes. Ich setze sie auf einen umgefallenen Baumstamm. Ihre Füße sind blau gefroren und ihre Knie aufgeschürft. Erschöpft und blass blickt sie mich an. Ihre roten Lippen beben. Ratlos sehe ich zu ihr. Ich muss sie wärmen. Ich ziehe meine Socken aus und ziehe sie über ihren bleichen Fuß. Auch mein Hemd lege ich über ihre schönen Beine. Mit blauen Lippen sieht sie mich an, ohne einmal wegzusehen. Immer in meine Augen hinein. Ihr Haar ist so zerzaust. Ich streiche mit meiner Hand über das Hemd, unter der sich ihre Beine aufwärmen. Mit zitternder Stimme und stotterndem Ton knie ich vor ihr nieder. Sie sieht zu mir herab. „Luna! Ich heiße …“, gleichzeitig hole ich meine Erkennungsmarke heraus und wiederhole den Satz nochmals: „Ich heiße Theodor!“Sie sieht mich nur an. Verliebt bin ich in sie. Hat sie denn auch Platz für mich in ihrem Engelsherzen? Ich setze mich neben sie auf den feuchten, moosbesetzten Baumstamm. Wir beide blicken durch die erste Baumreihe hindurch, in den grauen Nebel, wo die Geräusche herkommen und sich all das Grauen abspielt. Wo das Wiehern der Pferde und das Rufen der Männer zu hören ist. Was ist geschehen?
5.
Sie sagt ganz leise und mit weher, schmerzender Stimme: „Mio papà! Mia mamma!“ Ich sehe sie nur an und lege meinen Arm über ihre Schultern. Wurden sie auch umgebracht? Ich bin verwirrt. Harte Winde und kalte Nächte haben wir ausgeharrt. War das der Lohn? Haben sich die Kameraden den Tod nicht anders vorgestellt? Wollten sie nicht noch einmal ihren Frauen in die Augen sehen und ihr Kind umarmen? Haben sie sich nicht etwas Besseres erhofft? Warum wurde ich nicht getroffen. Hat es Gott so gewollt? Habe ich noch eine Bestimmung? Muss man denn zuerst das eine verlieren, um das andere zu bekommen? Lieber wäre es mir, aufzuwachen und weiter zu ziehen. Für all meine Kameraden, die mich einst retteten, würde ich sie aufgeben, die schöne Luna.Die Nacht wird noch länger andauern. Langsam spüre ich die Kälte meinen Körper emporkriechen. Ihr wird es genauso ergehen. Sie, mit ihrem Nachtkleid. Sie sitzt nur da und blickt in die Ferne, in Richtung des Dorfes. Langsam werden die Geräusche leiser. Die Müdigkeit macht mir zu schaffen. Mit wehleidigem Blick sieht sie hinaus in die Welt. Sie hat Angst. Sie kann sich nicht wehren. Sie kann es nur über sich ergehen lassen, nur abwarten. Sie ist so unschuldig, so voller Frieden, gefangen in einer Welt, die sie nicht verdient.Viel zu schüchtern ist sie, sich auf meine Beine zu legen oder ihrem müden Kopf auf meiner Schulter eine Pause zu gönnen. So müde ist sie doch. Ich bin doch ein Mörder und das weiß sie. Das Hakenkreuz sagt alles. Selbst hat sie mein Opfer gesehen. Der Soldat, er hätte ihr doch etwas angetan, oder? Ich habe es doch wegen ihr getan. Er wird noch immer dort liegen. Wie lange wird er wohl noch dort sein? Ich kenne nicht seinen Namen. Ich weiß nichts von ihm. Ich habe sein Gesicht nie lachen oder weinen gesehen. Ich habe ihn noch nie sprechen gehört. War es denn notwendig oder hätte er mir doch nichts zuleide getan? Was ist es, was mich kämpfen lässt? Ist es der Stolz oder der Trieb, die Jagd oder der Krieg?Wessen Frau lasse ich weinen? Wessen Geschichte habe ich verändert? Wessen Kinder lasse ich auf ihren Vater warten? Was habe ich getan? Und wie viele waren es? Ich kann nicht zurückdenken. Es schmerzt zu sehr. Die Wut in mir hatte die Wut der anderen angetrieben. Jeder erwartet vom anderen aufzuhören. Bis nur mehr der Rauch in den Himmel steigt und das Feld rot gefärbt ist. Wann wird man einsehen? Wann wird man verstehen?
Ich blicke sie an. Ich sehe ihre Unsicherheit. Langsam wandert ihr Blick in meine Augen. Würde sie denn nicht mehr da sein, wär’ ich nicht gewesen? Oder wäre alles anders? Wäre ich nicht, würde ich nun ihre Haut nicht spüren. Ihr Haar, das mir vom kühlen Herbstwind in das Gesicht geweht wird, der mir den Geruch von Blut und Tod der nahen Front, dem Grabe der Zeit, das ich geschaffen habe, als drohendes Andenken meiner Taten, entgegenströmt. Schüchtern und beschämt, mit einem Ansatz eines Lächelns, sammelt sie es und legt es wieder hinter ihr Ohr zu den anderen. Ratlos sehen wir uns in die Augen. Was nun? Ich sehe den Knoten in ihrem Hals. Alles hat sich gesammelt. Sie will nicht weinen, vor einem Soldaten. Sie ist so stark. Ein so tapferes Mädchen. Warum? Sie muss es doch nicht sein. Sie kann sich bei mir ausweinen und ich verspreche sie zu trösten. Ich verspreche für sie da zu sein. Ich würde alles für sie tun. Wie schön und abermals schön doch ihre Augen sind. Schluchzen fängt sie an. Zuerst nur ganz leise, bei jedem Male ihre Lippen sich nur zart bewegen. Doch dann lauter. Das Wasser wird immer mehr in ihren Augen. Sie versucht es zu verdrängen, doch es ist zu spät. Eine Träne rinnt ihrer Wange hinab. Mit meinem Zeigefinger fange ich sie auf und fahre ihr mit dem Daumen über ihre zarte Wange. Ich lege meine Arme um ihren Rücken und sie legt ihren Kopf auf meine Schulter. Ihr warmer Atem auf meiner Haut macht mein Herz weich. Die nassen Tränen und das Schluchzen brechen mir das Herz. Ich würde auch gerne weinen, doch kann es nicht, nicht nach allem, was geschah. Wie lange mag es schon her sein? Wann habe ich das letzte Mal die Nähe eines Menschen gespürt? Mit jedem Schluchzen ihres Herzens weint auch meines mit und erwacht allmählich aus dem ewigen Schlaf der Grausamkeit. Vor meinen Augen erscheint das Bild, wie mich einst mein Vater in Uniform umarmte, bevor er fortzog. Und als ich meine kranke Mutter umarmte, bevor ich fortzog. Lebt sie denn noch? Einmal habe ich geschrieben, doch ich schrieb, dass es mir gut gehe. Ich versuchte das Blut auf meinen Fingern wegzuwischen, damit sie sich keine Sorgen macht. Und dann schoss ich weiter, voller Wehmut ging ich dem Drange nach, an diesem Tag. Doch niemals hätte ich mit so etwas gerechnet, mit einem Ruf, von Gott herab. Hat er etwa weggesehen? War er sonst doch nicht bei mir? Niemals hätte ich gedacht, die Haut eines so schönen Mädchens noch einmal berühren zu dürfen. Wie hingebungsvoll sie doch ist. Lange drücke ich sie an mich. Ich spüre ihre Haare an meinem Mund, ihren Herzschlag und ihre malerische Haut, die durch den kühlen Wind mit Gänsehaut überzogen ist. Ich will, dass sie es spürt, dass ich für sie da bin. Ich will, dass sie spürt, dass mein Herz im gleichen Takte schlägt und ich ebenso unschuldig bin, trotz des Blutes und der Erde an den Händen. Ich habe nur meine Pflichten getan. Sonst wäre ich nicht hier. Unter meiner Uniform ist eine Seele. Eine, die auch einst so rein und hell war. Doch nun ist sie verschmutzt und gebrochen. Nun ist sie kaputt und krank, doch du kannst sie wieder heilen. Du, mein schönes Mädchen. Mein Engelchen, für mich entsandt. Ich nehme den Stahlhelm ab und werfe ihn zu Boden. Ich werde all das hinter mir lassen. Der dreckige Adler blickt mich an. Lass mich! Du hast mich doch in der Hand. Doch hast du mich zu ihr geführt. Zu ihr, an meine Brust. Sie flüstert plötzlich mit zitternder und feuchter Stimme, die sich so wehleidig anhört, wie das Schreien eines sterbenden Hundes: „Grazie! Grazie soldato Theodor!“ Ich drücke sie fester an mich und streiche mit der Hand über ihren Rücken. Mein Herz ist gebrochen. Langsam löst sie sich. Sie sieht doch so müde aus. Ich lade sie ein, ihren Kopf auf meine Beine zu legen. Langsam rutscht sie hinab und legt ihr Haupt vertrauenswürdig und hingebungsvoll auf meine Schenkel. Ihre Haare verdecken nun meine Beine und ragen hinab, zur feuchten Erde nieder, in der ich zuvor noch lag. Ihre Ohren sind so schön gefertigt, so zart, von hoher Macht geschmiedet. Doch das Schönste ist ihr Mund und die zarte Nase. Diese kleine aber doch breite Nase. Wie rund sie ist. Wie perfekt sie ist. Der Mund mit dem Rot. Das ständige zufriedene Lachen in ihren Mundwinkeln. Ihr Hals, der so bleich da liegt. Dieser schöne Hals, der zu ihrer Brust führt. Ach, ist sie nicht schön!
Besorgt und doch zufrieden sehe ich in die Ferne. Der Nebel hat wohl nie ein Ende. Nach einer Weile kann man die ersten Hausdächer schon erkennen. Soll ich es noch einmal dort hinüber wagen? Das Mädchen erfriert mir sonst. Doch ich bleibe noch bei ihr. Ich werde da sein, für den Engel, bis in alle Ewigkeit. Hier liegt sie. Die Augen geschlossen. Ihr Atem ist flach. Die Hände auf ihrem Bauche. Ich greife vorsichtig nach ihrer Hand und halte sie fest. Ich wärme ihre Finger und flüstere ganz zart zu ihr, in ihren Traum hinein: „Ich werde für dich da sein!“ Dann fahre ich mit meinen Fingern über ihre feine Stirn und lege ihre Haare zurück, die der Wind über ihre Augen trug.
Die Müdigkeit macht sich erkennbar, doch ich bleibe wach und wache über sie. Ich habe meinen Sinn gefunden. Er liegt auf meinen Beinen. So viel habe ich gesehen und erlebt, doch jetzt bin ich bei dir. Ich habe meinen Frieden gefunden. Alles gebe ich auf für dich, denn du bist alles für mich.
Ich werde mit ihr flüchten, heute noch. Doch zuerst werde ich es wagen. Ich werde ihr etwas besorgen, damit sie nicht mehr frieren muss. Ich werde sie beschützen. Bis zum letzten Moment dieses Lebens werde ich für sie da sein.
6.
Die Sonne schleicht sich langsam in die Dunkelheit ein und lässt einen neuen Tag anbrechen. Der Nebel wird vom Winde vertragen und der eiskalte Tau rollt den Blättern hinab. Ein neuer Tag für uns zwei. Die Sonnenstrahlen scheinen durch die Äste auf uns herab. Sie sehen aus wie Engelsstrahlen. Als würde Gott mir sich offenbaren. Als würde er mir zeigen, dass meine Gebete erhört wurden. Sie scheinen hell in ihr Gesicht, auf ihre Lider. Sie sieht aus wie ein Engel mit goldenem Haar, der von ihrem Vater geweckt wird. Die warme Sonne holt sie sanft aus ihrem Schlaf. Langsam bewegen sich ihre Augenlider, nach Stunden. Sie öffnet ihre Augen und sie sehen mich erschrocken an. Als wäre das Geschehene alles nur ein Traum gewesen. Sie hebt ihren Kopf an und blickt sich um. Ihre Haare legt sie mit ihrem Finger hinter ihr Ohr. Ich merke, wie sich meine Beine langsam wieder durchbluten und das taube Gefühl verschwindet. Die Müdigkeit macht sich bemerkbar. Jetzt wäre doch der richtige Zeitpunkt, noch einmal in das Dorf zurückzukehren. Auf der anderen Seite scheint es ruhig zu sein. Doch soll ich sie alleine lassen? Ratlos blicke ich um mich. Wie sollte ich es ihr nur erklären. Nach kurzem Überlegen greife ich in meine Brusttasche. Der Block, der für Funksprüche gedacht war. Ich zeichne für sie. Ich zeichne ihr meinen Plan. Ich zeige es ihr und sie sieht mich schon wieder mit ihren erschrockenen, großen und nassen Augen an. Ihr scheint der Plan wohl nicht bekommen zu sein. Ich greife nach dem Stahlhelm. Ich spüre ihre Blicke. Sie hat Angst. Sie will nicht alleine gelassen werden. „No!“, sagt sie mit befehlendem Ton und greift zu meinem Helm. Ich sollte ihn wohl wieder auf den Waldboden legen und ihn für immer liegen lassen. Doch ich muss mich umsehen, dort. Ich lege meine Arme über ihre und drücke zu. Ich drücke sie an mich. Noch einmal höre ich sie mit piepsender Stimme sagen: „No!“ Nun war es eher eine Bitte. Ein Wunsch. Doch ich muss noch einmal in das Dorf. Ich löse mich von ihr und gehe. Noch vor der ersten Baumreihe, drehe ich mich um und blicke zu ihr zurück. Sie steht so hilflos im Wald. Wie sie mich ansieht, zwischen den Bäumen und dem Laub. Wie sie dort steht, wartend auf mich, ein zartes Leben. Besorgt ist ihr Blick. Ihre Brüste lassen sich durch das dünne Nachthemd erkennen, doch beschämt hält sie sich die grüngraue Uniformjacke vor. Hartherzig wende ich meinen Blick von ihr und hetze in Richtung des Dorfes, ohne mich noch einmal zu ihr umzudrehen. Selbst wenn ich sterbe, weiß ich nun, ich kann mein Herz niemals verlieren, denn ich hab es ihr gegeben.