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Lyrik im Trialog In Erinnerung an bedeutende Ereignisse der Zeit zwischen 1954 und 2001 sind sich die drei Autorinnen dieses Gedichtbands poetisch begegnet. Die zugeworfenen Gedichte sind die Impulse für eine Kommunikation im Trialog, der die lyrische Freiheit nutzt und ausspricht, was in Worte zu fassen ist. Sie sind unabhängig voneinander nicht denkbar, weil sie inhaltlich und emotional miteinander verknüpft sind. Dennoch haben sie eine individuell erkennbare Form, ihren je eigenen Rhythmus und sprachlichen Duktus. Diese unterschiedlichen biografisch-fiktiven Perspektiven auf das reale Ereignis in Versform, erzeugen eine Spannung, die im Dreierschritt für das jeweilige Thema überraschende Räume öffnen, und bieten den Lesern und Leserinnen eine dreidimensionale Sicht auf das Geschehen.
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Seitenzahl: 48
Veröffentlichungsjahr: 2019
Manon Haccius
Sabine Hammer
Renate Haußmann (Hg.)
Die Zeit ist Zeuge
Gedichte zu Dritt
© 2019 Manon Haccius, Sabine Hammer, Renate Haußmann (Hg.)
Idee: Renate Haußmann, Schreibweise Hamburg
Satz und Gestaltung: Renate Haußmann
Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
978-3-7482-7342-4 (Paperback)
978-3-7482-7343-1 (Hardcover)
978-3-7482-7344-8 (e-Book)
Jedes Wesen ein Schrei danach gelesen zu werden.
(Simone Weil)
Lyrik im Trialog
In Erinnerung an bedeutende Ereignisse der Zeit zwischen 1954 und 2001 sind sich die drei Autorinnen dieses Gedichtbands poetisch begegnet. Die zugeworfenen Gedichte sind die Impulse für eine Kommunikation im Trialog, der die lyrische Freiheit nutzt und ausspricht, was in Worte zu fassen ist. Sie sind unabhängig voneinander nicht denkbar, weil sie inhaltlich und emotional miteinander verknüpft sind.
Dennoch haben sie eine individuell erkennbare Form, ihren je eigenen Rhythmus und sprachlichen Duktus. Diese unterschiedlichen biografisch-fiktiven Perspektiven auf das reale Ereignis in Versform, erzeugen eine Spannung, die im Dreierschritt für das jeweilige Thema überraschende Räume öffnen, und bieten den Lesern und Leserinnen eine dreidimensionale Sicht auf das Geschehen.
«Die Zeit ist Zeuge» ist Band 3 der Serie Konzeptionelle Lyrik.
If you can dream it
you can do it.
(Walt Disney)
4.7.1954
DAS WUNDER VON BERN
David gegen Goliath
Wir sind wieder wer
Von Vorbildern und Idolen
David gegen Goliath
Wunder passieren immer wieder
Außenseiter
Bekommen viel Aufmerksamkeit.
Das Publikum
Will sie kämpfen seh’n.
Ihre Niederlage
Ist jedoch vorprogrammiert.
Favoriten
Erwarten neue Triumpfe.
Ihre Fans
Wollen Siege feiern.
Die Medaillen
Glänzen in der Julisonne.
Trainer
Laufen aufgeregt hin und her.
Jubel und Entsetzen
Prägen ihre Schreie.
Dieser Spielverlauf
Irritiert alle im Stadion.
Einige Zuschauer
Liegen sich in den Armen.
Hoffnung
Breitet sich aus.
Kriegsverlierer
Entdecken alte Lebensfreude.
Ungarische Fähnchen
Fallen zu Boden.
Ein zweiter Platz
Wär’ unfassbar schmerzlich.
Verzweifelte Spieler
Jagen den Ball.
Das Wunder
Kann tatsächlich gescheh’n.
Der Sieg
Zum Greifen nah.
Herbergers Ruf
Wir schaffen das.
Macht das WUNDER wahr.
(Sabine Hammer)
wirtschaftswunder
und dann
dann wurde das vorkriegsmotorrad
gegen ein auto ausgetauscht
klein gelb
zwei zylinder 25 ps
wir sind wieder wer
wir schaffen das
mutter häkelt mützen
in heimarbeit
vater verkauft policen
der volksfürsorge
ein nebenverdienst am abend
nein meine frau arbeitet nicht
ich werd ja wohl
meine familie ernähren können
und meine kinder
die sollen es mal besser haben
am wochenende
fahren wir ans meer
die karge freizeit
ist beschränkt
samstag nachmittag
bis sonntag früher abend
vater raucht eine zigarre
auf dem familienfoto
vor dem symbol
neuen selbstbewusstseins
(Renate Haußmann)
Underdog
Nein dieser David ist kein Underdog
Konzentriert steht er da
Ganz präsent und bereit
Die Augen auf das Ziel gerichtet
Nackt aber nicht verletzlich
Weiß er um seine Kraft
Um seine Wendigkeit und Körperbeherrschung
Ernst denn es geht um Leben und Tod
Die Steinschleuder schon zur Hand
Gleich wird das Wurfgeschoss
Goliaths Stirn treffen
Genau zwischen den Augen.
Oder der junge Nuba
Nach dem Kräftemessen im Ringen
Noch in der Spannung des Wettstreits
Die Haltung fast wie Michelangelos David
Stolz spricht aus seinem Blick
Nackt der schlanke athletischer Körper,
Kbein Posing
Sondern ruhiges Selbstverständnis
Seine vibrierende Präsenz
Sprengt fast das Foto
Das Riefenstahl vor 50 Jahren schoss.
Wie anders dagegen Balotelli
Auch ein Sohn Afrikas
Vom Schicksal nach Europa gespült
Ein Könner im Fußball
Wenn nicht Trotz ihm ein Bein stellt
Treffsicherer Schütze der EM 2012
Reißt er sich das Trikot vom Leib
Nach dem zweiten Tor gegen Deutschland
Steht trotzig, herausfordernd da – posiert er?
Sollen wir seinen definierten Sixpack bewundern?
Aber warum dreht er dann
Die Fäuste nach innen vor dem Bauch
Und macht die Schultern so breit?
Jedes seiner Tore sprengt Sklavenketten!
Er fühlt sich als David gegen Übermächte
Im Herzen ein Underdog.
(Manon Haccius)
Wir sind wieder wer
am morgen danach
heute nimmt er das motorrad
ohne helm
im gürtel der alten fliegerjacke
hängt die brottasche
brüchiges braunes leder
fritz walter
steckt hinter dem mettwurstbrot
ein zerknittertes portrait
das sammelbild aus der
zigarettenschachtel
trägt er immer bei sich
vom ersten tag der wm
es regnet
ein letzter blick zurück
seine frau steht am fenster
sie winkt zuversicht
wie jeden morgen
erst dann weckt sie die kinder
als seine tochter geboren wurde
war sie achtzehn
am abend wird sie wieder dort stehen
ihn erwarten
voller freude am leben
er nimmt sich vor blumen zu kaufen
und für die kinder weintrauben
trotzige tränen
vermischen sich mit regentropfen
sie werden es schaffen
so wie der junge rahn
einer von uns
der nichts zu tun hat
mit den eliten
den aufsteigern aus den ruinen
den steigbügelhaltern der mächtigen
die sich schon wieder satt machen
auf kosten der jungen
und der frauen und kinder
die ihre zukunft im krieg verloren
in der bude auf dem betriebshof
warten die kollegen
in dem stolz auf ihre mannschaft
mischt sich anerkennung
für den gegner
der im selben moment
eines traumes beraubt wurde
(Renate Haußmann)
Fußballfreie Zone
Ich bin in einer fußballfreien Zone aufgewachsen
Im Jahrzehnt nach den „Wir sind wieder wer“-Jahren
Bei uns klebte niemand sonntags am Radio
Um einer Spielübertragung zu folgen
Niemand sammelte Bildchen der Helden von Bern
Ihre Namen waren nicht Thema am Familien-Esstisch
Wir gingen sonntags wandern
Oder – manchmal – in die Kirche
Aber nicht auf den Fußballplatz.
Fußball blieb für mich ein Nebengeräusch
Die WM im Abi-Jahr berührte mich nicht
Eine Ausnahme vielleicht das WM-Endspiel 1986
Vor dem Fernseher einer Jugendherberge
Irgendwo zwischen Leipzig und Bitterfeld
Auf Agrarexkursion in der DDR
Die polnische Gruppe in der Herberge
Drückte demonstrativ uns Westdeutschen die Daumen
Ein leiser Hauch Rebellion in der alten Burg.
Mit über 70 entdeckte meine Mutter ihr Fußballherz
Mein Vater guckte halb amüsiert mit.
Ich glaube, mir reichte auch heute noch
Eine fußballfreie Zone zum Wohlfühlen.
(Manon Haccius)
Hinter der Fassade
Dicht gewachsene Thujahecken
Verstecken das Eigenheim.
Der frisch polierte VW