Die Zimtsternprinzessin - Kay Noa - E-Book

Die Zimtsternprinzessin E-Book

Kay Noa

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Beschreibung

Wer glaubt schon noch an Märchen? Juli jedenfalls nicht, denn während sie verzweifelt versucht, den Glühweinstand ihrer kranken Großmutter vor dem Bankrott zu bewahren, scheint sich wirklich alles gegen sie verschworen zu haben: Eine faule Cousine, ein hübscher, aber unfreundlicher Krankenpfleger und ein Verkehrsunfall lassen sie verzweifeln und kein Prinz, der sie retten könnte, weit und breit. Als eine schrullige alte Dame ihr drei Wünsche verspricht, gibt sie daher diese leichtfertig für andere hin. Ist damit die Chance auf ein Happy End vertan oder besteht noch Hoffnung auf ein Märchenwunder? In ihrer typisch humorvollen Weise erzählt Kay Noa eine fröhlich-leichte Aschenputtelvariante

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Seitenzahl: 173

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Die Zimtsternprinzessin

Kay Noa

Impressum

Nachdruck, Vervielfältigung und Veröffentlichung - auch auszugsweise - nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages!

Im Buch vorkommende Personen und Handlung dieser Geschichte sind frei erfunden und jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist zufällig und nicht beabsichtigt.

Copyright © 2021 dieser Ausgabe Obo e-Books Verlag,

alle Rechte vorbehalten.

M. Kluger

Fort Chambray 

Apartment 20c

Gozo, Mgarr

GSM 2290

Covergestaltung: Claudia Toman

Inhalt

1. Punschplätzchenrausch

2. Lebkuchenparty

3. Pflastersteindepot

4. Spitzbubenstreich

5. Schokotränchen

6. Pfeffernussmix

7. Kulleraugenblicke

8. Butterplätzchenstyling

9. Schwarz-Weiß-Gebäck

10. Spekulatius-Poker

11. Dominosteinwälle

12. Mandelmondschein

13. Dankeschön

Winterzauber …

Eingeschneit - Ein Weihnachtshörbuch!

Über OBO e-Books

1

Punschplätzchenrausch

Obwohl Juli im August geboren war und daher Name und Geburtstag etwas anderes vermuten ließen, liebte sie nichts so sehr wie den Winter. Also den richtigen Winter wohlgemerkt. Einen, der sich zu benehmen wusste, und bei dem Frau Holle ihre Kissen und nicht ihren Wischmop ausschüttelte und es in schönen dicken Flocken schneite und nicht gräulich grauenvoll schnieselte. Für Juli, die sich zu ihrer romantischen Seite bekannte, war Winter, wenn an einem klaren Tag die Sonne Eiszapfen zum Funkeln brachte und der eigene Atem in kleinen Wölkchen nach oben stieg.

Winter bedeutete Schlittenfahren und Schneeballschlachten in einer verschneiten Welt aus weiß und pastellblau mit fröhlichen Farbtupfern in Form von Schals und Mützen.

Winter duftete nach Maronen und Bratäpfeln, die am knisternden Kaminfeuer mit einer Kanne Tee und einem guten Buch genossen wurden. Oder einem Glühwein nach einem Tag in der Kälte.

Deshalb war sie auch sofort bereit gewesen, für ihre erkrankte Oma auf dem Christkindlmarkt einzuspringen und deren alteingesessenen Glühweinstand, das Punsch-Plätzchen, mit der berühmten Alt-Münchner Rezeptur zusammen mit ihrer Cousine zu betreuen. Die Stadtverwaltung verstand da keinen Spaß. Wenn eine Bude nicht besetzt war, verlor man sein Standrecht und die Stände am Weißenburger Platz in Haidhausen waren sehr begehrt.

Und doch war das ein Fehler gewesen. Ein dummer, unverzeihlicher Fehler, der bewies, dass Romantik verdammt oft naiv war und das wiederum nur ein höfliches Wort für doof.

Auch ihre Cousine hatte sich das ganz anders vorgestellt. Sissy war dabei weniger auf Winterromantik hereingefallen und auch unter Weihnachtsmann verstand das lüsterne Luder keine netten Opis mit Rauschebart, sondern eher die mit roten Zipfelmützen nur notdürftig getarnte Variante der Chippendales. Entsprechend enttäuscht war sie jedenfalls gewesen, als sich keineswegs junge, heiße, bevorzugt schöne und alleinstehende Millionäre an ihrem Stand versammelten, um sich um die verführerische Glühweinkönigin zu prügeln. Sissy zeigte sich auch heute in hautengem weißen Wollpulli mit tiefen Ausschnitt und einem glitzernden roten Schal mit einer kecken, schräg aufgesetzten Baskenmütze. Ärgerlich war nur, dass diese Textilien neu und empfindlich waren und daher für den Einsatz am Glühweinstand nur bedingt geeignet. Deshalb also fiel Sissy für viele, speziell anstrengende Arbeiten leider aus. Vor allem, weil tatsächlich das Publikum so bunt gemischt wie auf dem rechtlichen Christkindlmarkt auch war, und die wenigen, Sissys gehobenen Ansprüchen genügenden, Herren zumeist in weiblicher Begleitung. Dies schlug nun Sissy deutlich aufs Gemüt und die gelangweilte Haltung, mit der sie auf ihrem Handy spielend im Stand saß, die wartende Kundschaft beharrlich ignorierte und Juli allein rotieren ließ, machte sie für niemanden interessanter.

Nach einer Woche war sie dann morgens zu spät gekommen und abends früher gegangen und nach zwei Wochen war Juli froh darum gewesen. Blöd war nur, dass Sissy weiterhin darauf bestand, dass sie das Trinkgeld teilten.

Inzwischen fieberte Juli obwohl sie ihrer Großmutter wirklich von Herzen gerne half, dem Heiligen Abend entgegen – und damit dem letzten Markttag. Manchmal wäre Juli am Liebsten einfach davon gelaufen.

„Hallo?”, riss sie eine ungeduldige Stimme aus ihren Fluchtfantasien, „Ich warte!”

„Entschuldigung”, wandte sich Juli dienstbeflissen dem Kunden zu. „Ich war abgelenkt. Es war ein langer Tag…”

„Nicht nur für dich, also was hat das mit meiner Bestellung zu tun? Augen auf bei der Berufswahl kann ich nur sagen.”

Allerdings, denn bei solchen Stoffeln, wäre ich als Auftragskiller auch viel besser, dachte Juli und lächelte professionell. Ihre Oma brauchte die Einnahmen vom Stand dringend. Weder die Bank noch der Gerichtsvollzieher hatten in den Schreiben, die sich auf dem Küchentisch stapelten, diesbezüglich Raum für Zweifel gelassen.

„Hier ist ihr Glühwein und ein Punschplätzchen als Entschädigung dazu.”

Sie reichte dem Kunden die Tasse und den glasierten Stern. Viele Kunden kauften danach auch die Plätzchen und das brachte heiß ersehnte Zusatzeinnahmen.

„Was soll ich mit dem Zuckerzeug?”, herrschte der sie ungnädig an und ließ den Stern zu Boden fallen.

„Die meisten Gäste freuen sich…” Juli war verwirrt. Wer an einem Glühweinstand bestellte, war üblicherweise nicht gegen Zucker. Wusste der Kerl nicht, woraus das Zeug bestand, dass er sich da gerade gekauft hatte?

Neugierig betrachtete sie den Kerl genauer. Soweit es unter der dem nasskalten, tristen Schniesel-Wetter angemessenen Vermummung aus Mütze und Schal zu erkennen war, hätte der Rüpel durchaus Sissys Interesse wecken können. Ein schönes Gesicht und ausdrucksstarke graue Augen. Schade, dass in der schönen Schale eine offenbar faule Nuss steckte.

„Macht fünf Euro fünfzig mit Pfand”, sagte sie daher ohne besondere Begeisterung und hielt die Hand auf. Warum erstaunte sie nur nicht, dass er ihr das Geld abgezählt über den Tresen schob und dann ohne ein weiteres Wort ging.

„Was war das denn für ein Sahnestückchen?”, fragte Sissy, die sich gerade um die Pfandrückgabe kümmerte. „Hast du seine Jacke gesehen? Die war bestimmt teuer. Dass von der Sorte nicht mehr vorbeikommen.”

„Tja, man freut sich auch über kleine Gesten.” Juli schüttelte den Kopf. Wie konnte man nur auf einem Planeten leben und so verschieden sein? Sie zum Beispiel könnte nicht einmal sagen, welche Farbe diese Jacke gehabt hätte und wenn ihr Leben davon abhängen würde. Dafür legte sie Wert auf so seltsame Dinge wie Manieren.

Ein Wort, das zugegebenermaßen in Sissys Welt eine eher untergeordnete Rolle spielte.

Sissy war mit ihrem Freund völlig zufrieden gewesen, der als Inhaber einer Kette von Fitness-Studios ein Vermögen verdiente und viel Wert darauf legte, dass das auch jeder bemerkte. Er hatte Sissy regelmäßig mit irgendwelchen Gym-Girls betrogen, weil das eigentlich immer rauskam und er dann Sissy als Zeichen seiner Reue immer teure Geschenke gemacht hatte, war für Sissy alles in Ordnung. Immerhin hatten die zwei sich danach gegenseitig und lautstark ihre unverbrüchliche, einzig wahre große Liebe geschworen. Als ließe sich das in Karat und Dezibel ausdrücken!

Seufzend stellte Juli fest, dass sie sich bisweilen selbst schon sehr altmodisch fand.

Sie gab einem Pärchen das Wechselgeld und sah sich nach Sissy um.

„Wir brauchen neue Tassen. Holst du bitte welche?“

„Oh Mann!“ Sissy verdrehte die Augen und steckte ihr Handy weg. „Dass du auch mal einen Handgriff selber machen kannst.“

„Du meinst, neben der Bedienung unserer Kunden, dem Befüllen der Kocher, dem …“

Juli unterbrach sich und setzte ihr bestes Christkindl-Lächeln auf: „Einen wunderschönen Abend! Wie kann ich Ihnen den denn versüßen?“

Die alte Dame, mit einem farbenfrohen, offenbar selbst gestrickten Schal und dazu passender Mütze, sah sie misstrauisch an. Hinter ihrer großen Brille wirkten ihre Augen riesig, fast wie die einer Eule.

„Sie sind aber nicht Betty“, sagte sie dann. Es klang vorwurfsvoll.

Juli nahm an, dass mit Betty ihre Großmutter gemeint war, die wie Sissy auch auf Elisabeth getauft war. „Ich bin ihre Enkelin und vertrete sie heuer auf dem Christkindlmarkt.“

„Vertreten? Aber warum denn? Ohne Betty ist der Haidhauser Markt einfach nicht derselbe.“

„Sie hat uns die Rezeptur verraten“, erwiderte Juli fröhlich. „Keine Sorge, Sie werden keinen Unterschied bemerken. Wir arbeiten mit feinsten Zutaten und setzen den Wein selbst an.“

„JULI!!!“, brüllte hinter ihr Sissy. „Verdammt, du wolltest die Tassen doch! Schwing dich aus dem Weg, bevor ich alles fallen lasse.“

Klirrend knallte sie ihr die Kiste mit den frischen Tassen auf den Tresen und funkelte Juli zornig an. „Mir reicht es jetzt endgültig. Während du den ganzen Tag mit den Leuten plauderst und sie vom Kaufen abhältst, lässt du mich schuften! Ich geh jetzt. Hab nämlich auch noch ein Leben ohne diesen Gestank von billigem Wein und Zucker! Allein vom Geruch dieser Punschplätzchen werde ich schon ganz besoffen!“

Mit gemischten Gefühlen sah Juli zu, wie Sissy sich ihre Jacke schnappte und dann mit hochrotem Kopf aus dem Stand stürmte und im dichten Gedränge verschwand.

Gut war, dass damit die Stimmung um ungefähr 300 Prozent stieg. Schlecht war, dass Juli nun allein den Feierabend-Ansturm überstehen musste.

„Bekomme ich jetzt vielleicht endlich meinen Pfand?“, rief ihr eine Stimme zu, die sie schon kannte.

„Aber natürlich!“ Juli drehte sich zu dem Rüpel von vorhin um und lächelte. „Hat der Glühwein geschmeckt?“

„Wenn er warm gewesen wäre, noch besser. Aber immerhin war er stark. Der betäubt die Grauen der kommenden Stunden.“ Dabei lächelte er sogar. Juli bedauerte, dass ein solcher Depp so schöne Augen hatte. Die Welt war ungerecht. „Darf ich Ihnen noch einen Schluck spendieren?“, sagte sie aber brav. „Um die Grauen noch etwas mehr zu lindern. Es wäre mir eine Freude.“

„Nein, obwohl ich einem solchen Lächeln nur ungern eine Freude verwehre.“ Der ruppige Ton war verflogen. Immerhin …

„So betrunken sollte ich auch nicht sein, das schickt sich nicht im Nachtdienst. Gibst du mir jetzt meinen Pfand?“

Juli gab ihm die Münzen und drehte sich um, um die wartenden Kunden zu bedienen.

Eine ungeduldig dreinschauende Mutter, die für sich und ihren pickeligen Sohn zwei Tassen mit Kinderpunsch haben wollte und eine Gruppe, die gleich zehn Tassen bestellte.

Juli kam kaum hinterher. Alleine war der Stand wirklich der Vorhof zur Hölle!

Erst als sie wieder einigermaßen Luft bekam, entdeckte sie am äußersten Eck des Standes noch einen farbenfroh gewandeten Kunden. Die Eulen-Oma war immer noch da. Herrgott! Hatte sie die arme alte Dame wirklich vergessen? Das war zu peinlich, zumal sie ja offenbar eine Freundin ihrer Oma war.

„Es tut mir so leid“, rief sie und eilte zu der Dame. „Jetzt habe ich Sie in dem Trubel tatsächlich einfach mitten im Satz stehen lassen. Darf ich Sie auf einen Glühwein einladen? Mit den besten Wünschen meiner Oma!“

„Das macht doch nichts.“ Die alte Dame wehrte weitere Entschuldigungen mit einer Handbewegung ab. „In meinem Alter hat man nicht mehr so viele Termine. Und Sie schlagen sich wacker, obwohl so viel zu tun ist. Ihr Lächeln ist geeignet, den Winter zu vertreiben, denn es kommt von Herzen. Mehr Sorge macht mir Betty. Geht es ihr gut?“

„Den Umständen entsprechend“, sagte Juli. „Sie hat einen komplizierten Oberschenkelhalsbruch und liegt im Krankenhaus.“

„Herrje! Sag ihr einen lieben Gruß von Dahlia; Dahlia Durgan. Ich werde sie aber schnellstmöglich selbst besuchen.“

„Dann lassen Sie uns auf ihr Wohl trinken, Frau Durgan“, sagte Juli und hob ihren Kinderpunsch. „Sorgen Sie sich nicht um Oma. Bei ihr ist bald alles wieder wie es sein soll. Nur den Stand konnte sie beim besten Willen nicht betreuen. Darum habe ich ausgeholfen.“

„Sie machen das sehr gut, darum ist der Stand auch so gut besucht“, lobte die Dame und nippte an dem Glühwein, den Juli ihr mitsamt einem Zimtstern hingestellt hatte. „Allein ist der Stand furchtbar viel Arbeit. Ich habe Betty früher ab und an geholfen und weiß, wovon ich spreche. Was machen Sie denn sonst?“

„Ich studiere.“ Juli lächelte. „Pädagogik, ich möchte Erzieherin werden.“

„Das ist aber schön, wenn so freundliche Menschen Lehrer werden. Dann gebe ich den Nachwuchs doch nicht ganz verloren.“

„Mit dem werde ich nicht viel zu tun haben. So wie es aussieht, werde ich direkt von der Uni zum Arbeitsamt müssen, um mich arbeitslos zu melden. Moment…“

Juli nahm leere Tassen und Pfandmarken entgegen, schenkte neuen Glühwein aus, scherzte mit ein paar Kunden, füllte Glühwein nach und wandte sich wieder der alten Dame zu, die gerade an ihrem Zimtstern knabberte.

„Sie machen das sehr gut. Auch die Plätzchen.“

„Das ist nicht schwer, Frau Durgan. Wenn man gute Zutaten nimmt und mit Liebe nach alter Tradition verarbeitet, wird das Ergebnis immer schmecken. In diesen Rezepten steckt generationenlange Erfahrung.“

„Man merkt Ihnen die Leidenschaft für das alte Handwerk an“, lobte Frau Durgan. „Wäre Bettys Nachfolge keine Option für Sie? Der Stand ist gewiss lukrativ, wenn er mit einem so schönen Konzept geführt wird.“

Juli schüttelte den Kopf, lächelte aber angesichts des erwartungsvollen Leuchtens in Frau Durgans Augen, die hinter der Brille riesig vergrößert wurden. Sie wusste ja nicht, dass Oma für Sissys letzte Eskapade, als sie betrunken den Ferrari ihres Lovers geschrottet hatte, einen guten Teil des Ersparten geopfert hatte, obwohl die Behandlung einiger ihrer Seniorenleiden nur zum Teil von der Kasse übernommen wurden. Das alles hatte tiefe Löcher in Omas ohnehin nicht vorhandene Polster gerissen und so stand es Spitz auf Knopf, dass der Gerichtsvollzieher demnächst den ganzen Stand pfändete. Die Bank hatte ihnen eine Frist bis zum Jahreswechsels gesetzt, um ein Sanierungskonzept vorzulegen, das Juli beim besten Willen nicht hatte. Doch damit wollte sie Omas Freundin nicht belasten.

„Mal sehen“, log sie. „Noch habe ich meine Träume nicht ganz aufgegeben.“

Wieder wurden sie unterbrochen. Der Stand war allein wirklich nur schwer zu managen!

„Entschuldigung“, sagte sie, als sie zurückkehrte

„Sie leisten sich in Ihrem Alter noch Träume?“, fragte Frau Durgan, als sei nichts gewesen. „Das ist ungewöhnlich. Mädchen in Ihrem Alter sind sonst so abgeklärt und rational.“

„Ich bin eben romantisch, langweilig und altmodisch“, grinste Juli, während sie die Tassen umsortierte. „Ich lese lieber Bücher als Musik zu streamen, fahre lieber Ski als Snowboard – ein lebender Anachronismus.“

„Na, so weit würde ich nicht gehen. Es ist gut, wenn man an seine Wünsche glaubt. Aber mit dem Job hier können Sie sich gewiss den einen oder anderen erfüllen.“

Juli schenkte aus, nahm Tassen entgegen und verteilte Zimtsterne. Dann kam sie zurück.

„Nein. Ich nehme nur Trinkgeld. Damit kommt man nicht weit. Oma kann nur eine Hilfskraft bezahlen und das Geld bekommt Sissy. Ich möchte, dass Oma ruhig schlafen kann und behalte kein Geld für mich. Das reicht nicht für Wünsche, nicht einmal für kleine. Und daher bin ich ganz froh, dass es die nur im Märchen gibt. In der echten Welt kann man nicht wünschen, sondern muss hart arbeiten.“

„Das muss man auch im Märchen. Wünsche wollen wie das Glück gepflegt werden.“ Frau Durgan musterte sie mit schief gelegtem Kopf. „Es ist in allen Welten dasselbe. Alles, was sich zu begehren lohnt, lohnt sich auch zu kämpfen. Und je besser man vorbereitet, dass Wünsche einen erreichen können, desto wahrscheinlicher ist es, dass es auch so kommt.“

Sie zog ihre altmodische mit Perlen verzierte Geldbörse aus der Manteltasche. „Bitte nehmen Sie das hier.“

Juli starrte auf den 10-Euro-Schein und schüttelte den Kopf. „Ich habe Sie eingeladen! Damit wir auf das Wohl meiner Oma trinken. Das ist mein größter Wunsch“, seufzte Juli, „dass sie schnell wieder gesund wird.“

„Das allerdings kann man nicht kaufen.“ Frau Durgan nickte ernst. „Wie die meisten Herzenswünsche, nicht wahr?“ Dann wuchtete sie ihre altmodische Henkeltasche auf den Tresen und kramte darin herum. Es handelte sich um ein buntes Stück mit jeder Menge seltsamer Anhänger, die an den Fransen der Tasche festgeknotet waren. Irgendwie sah sie aus, als sei sie bei Woodstock in der vordersten Reihe dabei gewesen.

Amüsiert sah Juli zu, während sie zwei weiteren Gästen Glühwein nachschenkte und Pfandmarken sortierte. Das verzweifelte Wühlen in Handtaschen war ein generationenübergreifendes Frauenleiden.

„Wenn ich schon nicht bezahlen darf“, sagte Frau Durgan und zwinkerte ihr hinter ihrer Eulenbrille zu „dann will ich Ihnen wenigstens etwas schenken.“

„Aber das ist doch wirklich nicht nötig“, wehrte Juli verlegen ab. „Ich freue mich viel mehr, wenn Sie sich die Zeit nehmen und meine Oma besuchen. Ihr ist so langweilig und es ist so traurig, wenn man Weihnachten im Krankenhaus verbringen muss.“

„Das schließt sich nicht aus“, bemerkte Frau Durgan streng, packte überraschend Julis Hand und drückte etwas hinein. „Und manchmal braucht auch das Glück Pfandmarken. Nehmen sie das Geschenk an, Sie haben ein paar Wünsche verdient. Auf Wiedersehen, Juli!“

Sie winkte noch einmal zum Abschied und Sekunden später hatte sie die Menge verschluckt. Juli sah nachdenklich auf ihre zur Faust geballte Hand. Behutsam bewegte sie ihre Finger, um zu ertasten, was in ihrer Handfläche verborgen lag.

Murmeln? Nein!

Dafür war es zu unregelmäßig. Immerhin war sie ziemlich sicher, dass es sich um drei Teile handelte. Weich und nachgiebig.

In Julis Magen begann es zu kribbeln. Dass Neugier sich wie Verliebtheit anfühlte, erstaunte sie. Oder vielmehr nicht. Ein Stück weit war Verliebtheit ja Herzensneugier.

2

Lebkuchenparty

Eigentlich wechselte sich Juli mit Sissy auch bei den Besuchen ihrer Großmutter ab. Eigentlich.

Aber irgendwie hatte Sissy immer gute Gründe, warum es ihr an ihren Tagen nicht passte. Arzttermine, Migräne, Freundinnen, die sie vor liebesbekümmerten Selbstmord bewahren musste …

Juli, deren Gesundheit deutlich stabiler war, vermutete, dass das daran lag, dass ihr Leben auch sonst in viel langweiligeren Bahnen verlief. Und sie fragten auch Freundinnen nicht um Rat in Liebesaffären. Vermutlich, weil Juli – anders als Sissy – weder mit dramatischen Beziehungen noch mit spektakulären Trennungen aufwarten konnte.

Jedenfalls führte das dazu, dass es Juli war, die nun täglich vor Eröffnung des Christkindlmarktes im Krankenhaus vorbei sah, um dort ihrer Großmutter wenigstens ein bisschen Gesellschaft zu leisten. Es war schon traurig, dass die gesamte Großfamilie über die halbe Welt verstreut lebte. Auch Juli war erst zum Studium nach München zurückgekehrt und heilfroh, dass sie in dem alten Hexenhaus am Stadtrand bei ihrer Oma untergekommen war. Die Mieten in der Stadt hätte sie sich auch als ausgebildete Lehrerin mit Festanstellung nicht leisten können.

Sissy, die keine Hemmungen hatte, sich von ihrer hart arbeitenden Mutter, Studiengeld auszahlen zu lassen, wurde dagegen nicht müde, über die elende Bruchbude zu schimpfen. Trotzdem war sie auch im Hexenhaus untergekommen, nachdem das letzte Gym-Girl mit einem Babybauch die arme Sissy von ihrem goldenen Thron gestoßen hatte. Und seither ließ sie alle wortreich an ihrem Leid teilhaben.

Manchmal fragte sich Juli, die wann immer sie ein paar Euro verdienen konnte, Miete zahlte, warum sie das dumme Weib auch noch deckte, wenn wieder einmal Geschirr oder Wäsche liegen geblieben waren. Stattdessen räumte sie noch hinter ihr auf. Der Klügere gibt nach, hieß es.

„Ja“, schnaubte Juli, während sie endlich einparkte und den Weg zur Klinik einschlug. „Solange, bis er selbst der Dumme ist.“ Soweit es sie betraf, konnte man kaum noch dümmer sein. Ein irgendwie deprimierender Gedanke. So oder so, denn dieses Verhalten besiegelte die Weltherrschaft der unverschämten Idioten.

„Juli!“, begrüßte sie eine übermüdet aussehende Schwester. „Wie schön, dass Sie da sind! Ihre Großmutter erwartet Sie schon. Sie hatte keine gute Nacht. Die Operation verlief gut, aber die Wunde schmerzt eben.“

„Die Ärmste“, seufzte Juli und zog ein Päckchen aus der Tasche. „Ich habe hier für euer Team ein paar Lebkuchen. Es ist nicht viel, aber es kommt von Herzen.“

„Das ist aber lieb“, sagte die Krankenschwester und nahm das Päckchen entgegen. Ihre Freude wirkte ehrlich.

Lächelnd ging Juli weiter.

„He!“ Fast wäre sie von einem Pfleger, der gerade ein leeres Bett vor sich her aus einem der Zimmer schob, über den Haufen gefahren worden. „Pass doch auf!“

„Entschuldigung …“, stammelte Juli, die den Kerl wirklich nicht gesehen hatte. „Ich war in Gedanken.“

„Das verstehe ich“, bemerkte der Pfleger bissig. „Das muss dich total überrascht haben. So unverhofft einem echten Gedanken zu begegnen.“

Kopfschüttelnd wollte er schon an ihr vorbeifahren, als er Juli erkannte und siegessicher angrinste. „Du bist das Zimtsternchen vom Glühweinstand! Was machst du denn hier?“

„Mir war nach schlechtem Benehmen und deshalb hab ich nach dir gesucht“, erwiderte Juli mit spöttisch schief gelegtem Kopf.

„Freut mich, dass ich einen so bleibenden Eindruck hinterlassen habe.“

Dieses Mal erreichte sein Lächeln tatsächlich seine Augen.

Wie konnte man nur auch noch stolz darauf sein, für einen Trampel gehalten zu werden. Der Kerl hatte ein Ego groß wie ein Kleiderschrank!

„Schau nicht so bös. Das gehört zu meiner Rolle als Bad Boy. Du musst dagegen süß sein, Zimtsternchen.“

„Ich heiße Juli“, sagte Juli betont würdevoll. Was bildete der Kerl sich denn ein?

„Dafür kannst du nichts.“ Er lachte, während er nun endgültig das Bett an ihr vorüberschob. „Aber mach dir nichts draus. Mein Name ist auch nicht besser.“

„Und wie heißt du?“, rief Juli ihm hinterher, doch zu spät. Er war schon in einem Aufzug verschwunden.

Also ging Juli weiter.

„Juli, mein Sonnenschein!“, begrüßte sie kurz darauf ihre Großmutter und kämpfte sich hektisch im Bett in eine aufrechte Position. „Wie schön, dass du kommst. Mit dir zieht immer ein Stück Sommer in diese tristen Hallen.“

„Dabei mag ich den Winter lieber“, erwiderte Juli und bückte sich zu ihrer Oma, um ihr ein Küsschen auf die Wange zu drücken.

Wie edles Pergament fühlte sich die Haut unter ihren Lippen an. Zart und trocken, kühl und sehr empfindlich.

„Ach Juli, man wünscht sich immer, was man nicht hat. Das ist der Fluch unserer Rasse, die uns immer weiter vorwärts treibt – zum Guten wie zum Schlechten.“

„Wie geht es dir denn, Oma?“