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David Fisher hat sein ganzes Leben lang nach den Regeln gespielt. Er wurde in eine Mennoniten-Familie hineingeboren, deshalb hat er stets seinem Vater gehorcht, die Familienfarm übernommen, geheiratet und wurde Vater zweier Kinder. Jetzt sind seine beiden Kinder im College, seine Frau ist verstorben und er führt die Farm allein und ohne Freude, dabei zählt er die Tage seines nur halb gelebten Lebens. Christie Landon, Grafikdesigner, Manhattaner und schwuler Partyboy aus Leidenschaft, braucht eine Veränderung. Jetzt ist er dreißig und findet, dass es an der Zeit ist, erwachsen zu werden und an seine Zukunft zu denken. Als sein bester Freund eine Überdosis nimmt, beschließt Christie, die Stadt für eine Weile zu verlassen. Er macht sich auf den Weg zu einem kleinen Haus in Lancaster County, Pennsylvania, um sich zu erholen und nachzudenken. Aber das Leben auf dem Land ist langweilig, abgesehen von dem attraktiven Silberfuchs, der nebenan wohnt. Um seine kreative Seite beim Kochen auszuleben, beschließt Christie, an seinen verwitweten Nachbarn heranzutreten, um sich die Mahlzeiten und die Kosten für die Einkäufe zu teilen. David ist einverstanden und schnell stellen die ungleichen Männer fest, dass sie gern Zeit miteinander verbringen. Christie fordert David heraus, über die Grenzen seiner Welt hinauszudenken und weckt Gefühle, die lange vergessen schienen. Wenn David sich von der Vergangenheit befreien kann, erhält er vielleicht eine zweite Chance auf sein Glück.
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Seitenzahl: 353
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Von Eli Easton
David Fisher hat sein ganzes Leben lang nach den Regeln gespielt. Er wurde in eine Mennoniten-Familie hineingeboren, deshalb hat er stets seinem Vater gehorcht, die Familienfarm übernommen, geheiratet und wurde Vater zweier Kinder. Jetzt sind seine beiden Kinder im College, seine Frau ist verstorben und er führt die Farm allein und ohne Freude, dabei zählt er die Tage seines nur halb gelebten Lebens.
Christie Landon, Grafikdesigner, Manhattaner und schwuler Partyboy aus Leidenschaft, braucht eine Veränderung. Jetzt ist er dreißig und findet, dass es an der Zeit ist, erwachsen zu werden und an seine Zukunft zu denken. Als sein bester Freund eine Überdosis nimmt, beschließt Christie, die Stadt für eine Weile zu verlassen. Er macht sich auf den Weg zu einem kleinen Haus in Lancaster County, Pennsylvania, um sich zu erholen und nachzudenken.
Aber das Leben auf dem Land ist langweilig, abgesehen von dem attraktiven Silberfuchs, der nebenan wohnt. Um seine kreative Seite beim Kochen auszuleben, beschließt Christie, an seinen verwitweten Nachbarn heranzutreten, um sich die Mahlzeiten und die Kosten für die Einkäufe zu teilen. David ist einverstanden und schnell stellen die ungleichen Männer fest, dass sie gern Zeit miteinander verbringen.
Christie fordert David heraus, über die Grenzen seiner Welt hinauszudenken und weckt Gefühle, die lange vergessen schienen. Wenn David sich von der Vergangenheit befreien kann, erhält er vielleicht eine zweite Chance auf sein Glück.
Inhalt
Zusammenfassung
Widmung
Danksagung
Teil 1: Aussaat
1
2
3
4
5
6
7
8
Teil II: Keimung
9
10
11
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13
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15
16
17
Teil III: Die Ernte
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19
20
21
22
Teil IV: Festmahl
Epilog
Cherry Date Cookies
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Copyright
Für meinen eigenen Farmer, den Silberfuchs.
Vielen Dank an meine treuen Betaleser Kate, Veronica und RJ! Ihr seid mir immer eine große Hilfe, eine bessere Autorin zu werden, deshalb schulde ich euch so viel.
Ich liebe die Vorstellung, dass es nie zu spät ist, sein Leben zu ändern, einen besseren Schulabschluss zu machen oder einen neuen Beruf zu ergreifen, eine neue Liebe oder sogar eine neue Familie zu finden. Es wäre tragisch, wenn es nicht so wäre, oder? Dazu verdammt zu sein, auf ewig denselben Weg zu gehen, kann die Hölle auf Erden sein. Es ist nicht leicht, einen ausgetretenen Pfad zu verlassen, aber letztendlich ist es die Mühe wert. Dies ist die Geschichte über die zweite Chance eines Mannes.
DAVID SETZTE sich, lehnte sich mit dem Rücken an die Holzbohlen des Kuhstalls und beobachtete, wie Gertrude starb. Als es dem Ende zuging, öffnete sie ihre großen, braunen Augen und schaute ihn lange an. Im Schein der Laternen warfen ihre Wimpern tiefe Schatten, daher konnte David nicht erkennen, welche Emotionen in ihren Augen zu erkennen sein mochten. War sie dankbar, dass er hier bei ihr war? Wusste sie, dass es an der Zeit war, zu gehen? War sie erleichtert, dass sie diese Farm, auf der sie ihr ganzes, langes Leben verbracht hatte, verlassen würde?
Aber sie war nur eine Kuh. Wahrscheinlich dachte sie nichts dergleichen. Als sie ihre Augen wieder schloss, war es das letzte Mal. Eine Stunde später hörte sie auf zu atmen und war gegangen.
Mit ihrem Tod schien still und leise eine Ära zu Ende zu gehen. David war dabei gewesen, als Gertrude geboren wurde. Sie war die erste Kuh, die ihm gehört hatte, das war schon vor ihrer Geburt so bestimmt worden, ein Geburtstagsgeschenk seiner Eltern. Er hatte sie aufgezogen und sie auf dem Bauernmarkt in Harrisburg präsentiert, als er in der elften Klasse war. Sie war ein wunderschönes Jersey-Rind mit klassischen Linien und hatte an diesem Tag den dritten Platz belegt. David war vor Stolz fast geplatzt. Gertrude war viele Jahre lang eine zuverlässige, starke Milchkuh gewesen.
Ein Farmer wurde wegen seiner Tiere nicht sentimental. Das war einfach dumm. Aber David hatte sich nicht überwinden können, Gertrude zu schlachten, als ihre Milchproduktion nachließ. Sie hatte noch zehn Jahre lang die halbe Menge Milch produziert, bis er sie in Rente geschickt hatte. Wenn ihn jemand danach fragte, erklärte er, dass es gut war, eine erfahrene Kuh zu haben, um den jüngeren Rebellen zu zeigen, wo es lang ging. Sie wusste, wie man andere Kühe und Färsen zur Räson bringen musste. Aber die Wahrheit war, dass David es einfach nicht über sich gebracht hatte, sie in den Truck zu schicken, der sie zum Schlachter gebracht hätte.
Sie war ein Teil seiner Kindheit, deshalb war es gut, dass sie nun tot war. Denn Gott allein wusste, der Junge in ihm war eine lange zurückliegende Erinnerung.
Er schaltete die Lichter in der Scheune aus und ging zurück zum Haus. Es war dumm gewesen, bei ihr zu bleiben. Am Tage musste die Arbeit erledigt werden, ob er genug geschlafen hatte oder nicht. Er war zu alt für so was.
Das Licht in der Küche war an, als er hereinkam. Er schaute auf die Uhr. Es war kurz nach fünf Uhr morgens. Amy musste wach sein.
In den letzten beiden Jahren war Amy in den Sommerferien vom College nach Hause gekommen, um im Lancaster Hospital ein Praktikum als Krankenschwester zu machen und auf der Farm beim Gemüsehandel zu helfen. Sie war es auch, die sich um die Kunden kümmerte. Sie erstellte Flyer, packte die Erzeugnisse in Kisten und traf sich jede Woche mit den Kunden, wenn sie ihre Pakete abholen wollten. Sie war sehr gut darin. Er wünschte, er könnte ihr mehr bezahlen, aber wie bei allem anderen auf der Farm, waren die Profite daraus nur sehr gering. David konnte sich nicht vorstellen, wie viele der Farmer zurechtkamen. Sein Großvater hatte die Farm abbezahlt, aber dennoch blieb nach Steuerabgaben, Unterhaltskosten und Tierfutter nur gerade genug übrig, um über die Runden zu kommen. Die Soße war dünn, wie sein Vater zu sagen pflegte.
Er öffnete die Glastür und sah Amy in ihrem Bademantel, die gerade frische Eier aus dem Kühlschrank holte.
„Hey Dad.“ Sie gähnte. „Was hast du so früh in der Scheune gemacht?“
„Gertrude ist gestorben.“
„Oh! Das ist schade.“ Amy schien nicht sehr betroffen zu sein, aber sie hatte schon sehr jung gelernt, sich nicht an die Tiere zu binden.
Er nahm ein Glas aus dem Schrank, ging zum Kühlschrank und goss sich etwas Orangensaft ein. Aber als er davon trinken wollte, merkte er, dass er einen harten, dicken Kloß im Hals hatte. Er stellte das Glas wieder auf die Anrichte und holte tief Luft. Lächerlich. Als Susan gestorben war, hatte er sich nicht so erstickt gefühlt. Allerdings war sie schon mehrere Jahre lang krank gewesen. Am Ende war ihr Tod ein Segen.
„Dinge leben. Dinge sterben. Das ist der Lauf des Lebens.“ Seine Stimme war rau, doch der Kloß löste sich und er trank seinen Saft.
Als er sein Glas abstellte, beobachtete Amy ihn argwöhnisch. „Du klingst so zynisch. Ich mache mir Sorgen um dich, Dad. Du solltest das Angebot von Mrs. Robeson zum Abendessen annehmen. Ich glaube, sie mag dich wirklich.“
„Ich bin nicht an Mrs. Robeson interessiert.“
Amy verdrehte die Augen. „Du solltest ihr eine Chance geben. Mom ist jetzt seit zwei Jahren tot. Sie hätte nicht gewollt, dass du für immer allein bleibst. Und Mrs. Robeson hat Joe und mich in der Sonntagsschule unterrichtet. Sie ist sehr nett.“
David gab Amy einen warnenden Blick. „Ich möchte nicht über mein Liebesleben sprechen, vielen Dank auch. Willst du diese Eier kochen oder wartest du darauf, dass sie schlüpfen?“
Amy lachte prustend, aber sie öffnete den Schrank und holte eine Pfanne heraus. „Sklaventreiber! Ich mache mir einfach Sorgen um dich. Ich finde es schrecklich, dass du hier allein bist, wenn ich wieder zur Schule fahre. Joe kommt ja kaum nach Hause.“
„Das macht mir nichts aus.“
„Ich weiß! Das ist ja das Problem. Du verwandelst dich in einen Eremiten. Wenn ich das nächste Mal nach Hause komme, hast du bestimmt einen Bart, der bis zu deinem Bauchnabel reicht. Ich weiß, dass du von Mikrowellenmahlzeiten, Hot Dogs und Chips lebst. Das ist nicht gesund. Du solltest wieder heiraten. Ich weiß, dass Pastor Mitchell das auch so sieht.“
„Pastor Mitchell will bloß seine alten Jungfern und Witwen verheiraten, damit er ihnen nicht mehr die Hand halten muss. Daran bin ich nicht interessiert.“
David meinte es nicht vollkommen ernst, aber Amy keuchte dennoch auf. „Dad! Das kannst du doch nicht sagen!“
David wackelte ohne Reue mit den Augenbrauen und verließ die Küche.
Er ging nach oben und nahm eine Dusche. Unter dem heißen Wasser machte sich die schlaflose Nacht bemerkbar und er wusste, es würde ein langer Tag werden. Warum hatte er sich verpflichtet gefühlt, bei Gertrude zu bleiben? Sie hatte wahrscheinlich nicht einmal bemerkt, dass er da war. Aber beim Gedanken an sie überkam ihn wieder Traurigkeit. Ein Bild entstand in seinem Kopf ‒ von fallenden Blättern und einem Jungen, mit dem er darin gespielt hatte, lachend. Er hatte keine Ahnung, wieso er daran gedacht hatte.
Er kam aus der Dusche und wischte mit der Hand den beschlagenen Spiegel ab. Er betrachtete sich kritisch und überlegte, ob er das Rasieren heute Morgen ausfallen lassen konnte. Sein Spiegelbild überraschte ihn, wie immer. Er fühlte sich so alt. Er rechnete stets damit, graue Haare und ein faltiges Gesicht zu sehen, wenn er in den Spiegel schaute. Aber es gab nur an seinen Schläfen wenige graue Strähnen in dem dunkelbraunen Haar und in seinem kurz geschnittenen Bart. Sein Gesicht war nicht jung, aber es hatte auch keine Falten. Seit dem Tod von Susan hatte er etwa fünfzehn Kilo abgenommen, deshalb sah er jünger aus.
Schön. Er mochte nicht alt aussehen, aber er fühlte sich so. Und plötzlich verstand er, warum er bei Gertrude geblieben war. Er wollte zusehen, wie sie schließlich doch noch von der Farm entkam, indem sie ihren Körper einfach zurückließ und dorthin ging, wohin niemand ihr folgen konnte.
Eines Tages würde David auch gehen, vielleicht auf die gleiche Art. Er würde seine Augen schließen, verschwinden und nur eine leere Hülle zurücklassen. Aber, lieber Gott, er war im letzten Mai erst einundvierzig geworden. Selbst wenn er so starb wie sein Vater, im Alter von achtundfünfzig Jahren, würde er noch viele Jahre warten müssen.
Einfach ... warten.
Er konnte den melancholischen Ausdruck in seinem Spiegelbild nicht ertragen. Narrheit! Mit einem angewiderten Schnauben trocknete David sich ab und putzte seine Zähne, dabei mied er den Blick in den Spiegel. Er beeilte sich. Arbeit erwartete ihn und es gab niemanden, der sie für ihn erledigte.
CHRISTIE KAM in der kleinen Toilettenkabine auf die Füße. Er musste sich mit der Hand an der Wand abstützen, um hochzukommen, aber ob das am Alkohol oder seinen dreißig Jahre alten Knochen lag, konnte er nicht sagen. Die schwarzen Wände erzitterten unter seiner Hand durch das Wumm Wumm vom Bass der Musik.
„Das war toll! Kann ich mich revanchieren?“ Der junge, heiße Latino schaute Christie hoffnungsvoll an.
„Nein danke. Nicht nötig.“
Christie war nicht gekommen, aber das war in Ordnung. Er wurde hart und es fühlte sich gut an, wenn er die Hand in seiner Hose hatte, aber er hatte den Drang, zum Höhepunkt zu kommen, verloren. Und das hatte definitiv etwas mit den Dirty Martinis zu tun. Den Martinis und der Langeweile. Er hatte nur eingewilligt, mit dem Typen zu gehen, weil dieser offensichtlich ein Tourist war und seinen ganzen Mut zusammengenommen hatte, um Christie anzusprechen. Er hatte den jungen Mann nicht zurückweisen wollen. Außerdem war er heiß, mit heller, karamellfarbener Haut und großen, ausdrucksvollen Augen. Er war so jung und unerfahren, dass er praktisch leuchtete.
„Großartig. Oh ‒ warte. Ich habe etwas.“ Der Typ holte ein Tütchen mit drei blauen Pillen aus seiner Tasche. „Das ist X. So ein Kerl hat mir eine Probe gegeben. Der Stoff soll klasse sein.“ Er öffnete das Tütchen, nahm eine Pille heraus und hielt Christie die anderen hin.
„Nein danke. Ich habe schon genug getrunken.“
Der Kerl zuckte mit den Schultern und schluckte die Pille trocken. „Dann heb sie dir für später auf. Und denk dabei an mich.“ Er zwinkerte, schloss das Tütchen und stopfte es in die Vordertasche von Christies enger Jeans.
„Danke.“ Christie lächelte. Er hatte nicht vor, die Pillen zu nehmen, aber es war nett, dass der Kerl sie ihm angeboten hatte.
„Viel Spaß noch!“
Der heiße Typ verließ die Toilette. Christie folgte ihm langsam. Er wusch seine Hände und spülte seinen Mund aus. Im Spiegel sahen seine Pupillen riesig aus, das Schwarz wurde nur von einem schmalen, blauen Streifen umrahmt. Er sah ausgepowert aus, alt. Plötzlich fühlte er sich müde. Er wollte nach Hause.
Draußen im Club arbeitete er sich durch die Menge. Es war Samstagabend und der Boiler Room war voll bis zum Anschlag. Dafür hatte Christie keine Geduld. Es hatte sich in letzter Zeit falsch angefühlt, er war seiner üblichen Szene gegenüber kritischer. Sein Blick wanderte über die Menge auf der Suche nach seinem Mitbewohner Kyle.
Auf der Tanzfläche und an der Bar war die übliche Mischung aus Touristen, die eine „schwule New Yorker Club-Erfahrung“ erleben wollten, und Stammgästen, die sich hier und dort zusammengerottet hatten. Christie kannte sie alle. Er war selbst einer von ihnen. Und natürlich waren da noch ein paar Idioten, die den Blick auf ihr Handy gerichtet hatten. Was schaut ihr euch da an? Grindr? Ihr seid in einem Club, ihr Arschlöcher.
Die aufkommende Verärgerung erinnerte ihn daran, warum er von der Szene langsam genug hatte. Alles war so oberflächlich, so vergänglich. Die Touristen kamen und gingen, die regulären Gäste blieben und wurden Jahr für Jahr gehässiger und zynischer ‒ und nicht zuletzt älter. Christie eingeschlossen.
Und, um Himmels willen, lag es an ihm oder wurden die Twinks jeden Tag jünger? Babys, alle miteinander. Christie war ebenfalls wie sie gewesen. Jetzt fühlte er sich wie Gammelfleisch. Die Freude daran war verschwunden, aber es war schwer, eine acht Jahre alte Gewohnheit zu durchbrechen. All seine Freunde in der Stadt waren Teil der Szene, ganz besonders Kyle. Sein bester Freund dachte noch nicht einmal im Traum daran, sich vom Feiern zu verabschieden.
Christie entdeckte Kyle auf der Tanzfläche mit Billy. Billy war auch ein Stammgast. Er war ein großer, muskelbepackter, netter Kerl, der ernsthaft auf Kyle stand. Sie hatten ein paar Mal miteinander geschlafen, aber Kyle war der Letzte, der sich binden wollte. Er hatte heute Abend mit mindestens einem Anderen, von dem Christie wusste, etwas gehabt, ein hübscher Rotschopf. Er sah ebenfalls erschöpft aus.
Christie kämpfte sich zu ihm durch. „Hey!“, brüllte er. „Ich mache mich auf den Weg.“
Kyle schmollte, dann nahm er Christies Hände und zwang ihn zum Tanzen. Sie tanzten ein paar Minuten zusammen, aber Christie hatte wirklich genug. Es war nach ein Uhr morgens und er wollte einfach nur nach Hause. „Bleibst du noch?“, fragte er Kyle.
Kyle schüttelte den Kopf. „Nein, ich komme mit. Lass uns gehen.“ Er küsste Billy leidenschaftlich, dann winkten sie ihren Bekannten zu, während er Christie zum Ausgang zog.
Sie liefen die sechs Blocks zu ihrer Wohnung. Christie liebte es, im East Village zu leben, aber er musste zugeben, dass die Nähe zum Boiler Room ein entscheidender Faktor in der Entscheidung gewesen war, sein winziges, aber teures Appartement unterzuvermieten. Auf jeden Fall war es einer der Gründe, warum Kyle eingezogen war. Die Wohnung hatte nur ein Schlafzimmer, aber Christie bezahlte mehr Miete, deshalb hatte er das Zimmer für sich. Kyle hatte ein Schrankbett im Wohnzimmer. Es war ein andauernder Kampf, die Wohnung davor zu bewahren, im Chaos zu versinken, aber trotz der vielen Nachteile hatte das Appartement drei entscheidende Vorteile: seine Lage, seine Lage und seine Lage.
Sie schleppten sich praktisch gegenseitig die Treppe hinauf. Wie immer, nachdem sie im Club gewesen waren, schleuderten sie ihre Schuhe weg, wanden sich aus ihren engen Jeans und setzten sich in ihrer Unterwäsche für eine letzte Runde auf die Couch. Kyle zündete einen Joint an und Christie holte eine halb volle Flasche Rotwein aus der Küche und entkorkte sie. Er lümmelte sich wieder auf die Couch, dabei stellte er die Flasche auf seine Handfläche, um zu testen, wie nüchtern er war. Sie schwankte, und das nicht zu knapp.
„Du verschüttest ihn noch, Idiot!“, beschwerte Kyle sich. „Und das ist, äh, Wotwein.“
„Wotwein?“ Christie kicherte. Kyle reichte ihm den Joint und er nahm einen tiefen Zug. Nur einen. Er war von den Martinis immer noch ziemlich betrunken.
„Wot!“, versuchte Kyle es erneut. „W-Rrrot! Rot! Wein!“
Sie lachten beide auf und besagter Rotwein kippte gefährlich. Christie reichte Kyle den Joint und führte die Flasche an die Lippen. „Wir sollten ihn besser austrinken, sonst verschütte ich ihn noch.“
Kyle nahm einen Zug, hielt den Rauch und blies ihn in einer duftenden Wolke wieder aus. Er nahm sofort einen weiteren, dabei zog er so fest, dass das Papier rot aufflammte. Mann, der Kerl konnte einen Joint innerhalb von Minuten aufrauchen. Er hielt Christie den Joint hin.
„Nein danke.“
Kyle zuckte mit den Schultern und nahm noch einen tiefen Zug.
„Gott sei Dank muss ich morgen nicht früh aufstehen. Sonntage sind klasse“, seufzte Christie. Er fürchtete sich jetzt schon vor dem Kater, der ihn erwartete.
„Nur dass nach dem Sonntag der Montag kommt“, beschwerte sich Kyle, dabei klang er komisch, denn er versuchte, den Rauch einzuhalten.
„Erinner mich nicht daran.“
Christie hatte seinen Job als Grafikdesigner immer geliebt, aber in letzter Zeit fehlte ihm die Inspiration und das Verhältnis zu seinem Boss hatte sich auch verschlechtert. Er wusste, dass es seine Schuld war. Er leistete keine so gute Arbeit mehr wie früher. Er sollte vielleicht eine Kunstgalerie besuchen, um neue Motivation zu finden. Vielleicht konnte er das morgen tun ‒ ein entspannter Sonntag mit Kunst.
Sein Blick fiel auf einen Stapel Dokumente, die auf dem Couchtisch lagen. Oder ... Lancaster County, Pennsylvania. Konnte er dort vielleicht neue Inspiration finden? Er schnaubte. Eher würde er dort frischen Dung finden.
Kyle bemerkte, wohin er schaute. Er begann zu singen, laut und absichtlich falsch. „Old McDonald hat ‘ne Farm, i-ei-i-ei-o!“
„Halt den Mund!“
Kyle grunzte wie ein Schwein und schnüffelte an Christies Schulter. Christie lachte.
„Ich sage dir andauernd, es ist keine Farm, sondern nur ein Haus“, protestierte Christie.
„Es ist nicht in der Stadt, also ist es eine Farm. Fliegen, Schweinemist und wirklich, wirklich, wirklich großer Mais oder grüne Bohnen oder was auch immer.“
„Du bist so breit. Es ist ein kleines Haus auf dem Land. Hör auf, mich vollzusabbern und mach das Ding aus, bevor du dir die Finger verbrennst.“ Christie schubste Kyle weg und Kyle drückte den Joint mit trübem Blick im Aschenbecher aus.
„Ich wünschte, mir würde eine reiche Verwandte etwas hinterlassen“, murmelte Kyle.
Christies Tante Ruth war nicht reich gewesen, aber scharfsinnig und sparsam. Sie hatte Christie ihr Haus schuldenfrei hinterlassen. Der Anwalt meinte, er könnte es für einhunderttausend Dollar verkaufen, aber Christie wollte es sich vorher zumindest einmal ansehen. Er hatte schöne Erinnerungen an das Haus, als er sie in seiner Kindheit besucht hatte.
„War das der letzte Joint?“, murrte Kyle.
„Ja. Aber wir haben beide genug. Zeit fürs Bett.“
„Fuck.“ Kyle klang niedergeschlagen. Er rieb sich mit den Daumenballen über die Augen. „Was ist mit Pillen? Hast du welche?“
Christie schaute auf seine Uhr. „Meine Güte, Kyle, es ist zwei Uhr morgens.“
„Ach komm schon! Gras reicht mir einfach nicht mehr. Ich kann sonst nicht schlafen. Hast du jetzt etwas oder nicht?“
Christie schaute seinen Freund an, oder er versuchte es zumindest. Alles war etwas verschwommen. Verdammt, er hatte heute Abend wirklich zu viel getrunken. Er hatte im Club fünf Dirty Martinis getrunken, außerdem den Shot, den Mick ihm gekauft hatte. Das alles im Lauf von drei Stunden, es schien also nicht sehr viel. Aber eines musste man bedenken, wenn man ein regelmäßiger Gast im Boiler Room war ‒ die Barkeeper waren mit dem Alkohol in den Drinks sehr großzügig, außerdem hatte Christie nicht viel zu Abend gegessen. Ein einziger Zug am Joint hatte gereicht, dass er sich nicht mehr gut fühlte. In seinem Kopf dröhnte es.
Kyle hingegen setzte sich auf und schaute ihn erwartungsvoll an. War er tatsächlich noch nicht high genug? Egal. Christie war nicht sein Babysitter. Und es war ja auch nicht so, dass sie noch irgendwohin wollten.
Er nahm das Tütchen, das der Kerl aus der Toilette ihm gegeben hatte, und warf es Kyle zu. „Ein Typ hat sie mir gegeben. Er meinte, es wäre X. Aber ich kenne ihn eigentlich nicht, also solltest du vielleicht nicht ‒“
Kyle hatte das Tütchen bereits geöffnet. Er warf beide Pillen in seinen Mund und schluckte.
„Hey!“
„Tut mir leid, wolltest du auch eine?“ Kyle legte die Hand auf seinen Mund. Er sah betreten aus.
„Du bist so gierig!“
Kyle kicherte immer heftiger, bis er lauthals lachend halb auf Christie lag. „Es tut mir leid! Wirklich, wirklich leid! Das war unhöflich! Es waren ja auch deine Pillen! Oh mein Gott!“
„Blödmann!“
„Ich bin kein Blödmann!“ Kyle setzte sich auf, zog die Schultern zurück und setzte sein strahlendstes Lächeln auf. Nein, Kyle war kein Blödmann. Er war einfach hinreißend. Er hatte platinblondes Haar, große, blaue Augen und einen zierlichen Körperbau, genau wie Christie. Sie könnten praktisch Zwillinge sein. Die Männer liebten Kyle und er war ein echter Schatz. Außerdem war er eine richtige Schlampe, aber er würde einem sein letztes Hemd überlassen. Andererseits sollte gerade Christie sich nicht über Schlampen beschweren.
Kyle wankte ein wenig, während er sich in Pose warf, und seine Augen sahen komisch aus. Christie begann, sich Sorgen zu machen. Kyle hätte diese beiden Pillen nicht gleichzeitig nehmen sollen. „Du musst etwas Wasser trinken, Ky. Ich hole welches.“
Er ging in die Küche, um Wasser zu holen. Es war wirklich an der Zeit, den Abend zu beenden. Würde Kyle überhaupt schlafen können, nachdem er zwei Tabletten X genommen hatte? Oder wäre er noch stundenlang wach und würde versuchen, Christie in ein Gespräch zu verwickeln? Oh Gott, bitte lass ihn nicht durchdrehen, wie vor ein paar Monaten, als er irgendwelche Pillen im Club genommen hatte. Er hatte Christie in dieser Nacht wirklich Angst gemacht.
Christie stand am Spülbecken und ließ das kalte Wasser einen Moment lang laufen. Er blinzelte und kam wieder zu sich. Er füllte zwei Gläser und brachte sie ins Wohnzimmer.
„Ich will, dass du das ganze Glas trinkst. Du wirst ‒“
Kyle war auf der Couch zusammengesunken. Seine Pupillen waren nach oben gerollt und unter seinen leicht geöffneten Augenlidern war nur ein schmaler, weißer Streifen zu sehen. Aus seinem Mund drang Schaum und sein Körper zuckte leicht.
Christie schrie: „Kyle!“
Sofort erhielt der Abend ein anderes Gesicht. Die beiden Gläser, die Christie in der Hand gehalten hatte, landeten auf dem Boden und zerbrachen, das Wasser spritzte überall hin. „Kyle, oh mein Gott!“
Glas schnitt in Christies bestrumpfte Füße, als er zur Couch stolperte, doch er zuckte nur kurz und lief weiter. Er rüttelte an Kyles Schultern und zog an seinem Kinn, dabei musste er dagegen ankämpfen, dass Kyle die Zähne zusammenbiss. „Kyle, geht es dir gut? Kyle!“
Christie schaute sich um, verzweifelt auf der Suche nach etwas, das Kyles Mund offen halten würde. Wie sollte er atmen, wenn sein Mund voller Schaum und klebrigem Zeug war? Christie stürzte wieder in die Küche und holte ein Handtuch, dabei zerschnitt er erneut seine Füße. Er rannte zurück, dabei drehte er es zu einem Seil, das er zwischen Kyles Zähne zwang. „Oh Gott. Oh mein Gott!“
Er tastete nach seinem Handy auf dem Couchtisch und wählte 911. „Helfen Sie mir! Bitte! Mein Freund, er hat eine Überdosis genommen. Er hat Krämpfe!“
„Beruhigen Sie sich, Sir. Nennen Sie mir Ihre Adresse.“
Christie nannte der Frau die Adresse. „Wir wohnen im sechsten Stock, Appartement 613. Bitte beeilen Sie sich!“
„Der Krankenwagen ist unterwegs. Und jetzt, Sir, müssen Sie sich beruhigen und ihm helfen. Können Sie das?“
Die Dispatcherin ‒ Gott segne sie für ihre strengen, aber fürsorglichen Worte ‒ erklärte Christie, wie er Kyles Atemwege freimachen konnte. Er krampfte nicht mehr, aber er war nun bewusstlos. Die Dame erklärte Christie, wie er Kyle lagern sollte, damit er nicht erstickte.
Christie tat alles, was sie sagte, aber er hatte das Gefühl, dass er alles falsch machte. Er war mit den Nerven am Ende und immer noch zu betrunken, um klar denken zu können. Er nahm Kyles Handy mit einer Hand und schickte eine kurze Nachricht an Billy. Er brauchte sofort Hilfe.
Nur Sekunden schienen vergangen zu sein, als Billy an ihre Tür hämmerte und Christie ihn hereinließ. Billy sagte nichts, sondern fiel sofort neben Kyle auf die Knie und begann, ihn wiederzubeleben. Er schien zu wissen, was er da tat. Sein Gesicht war weiß vor Angst und in seinen Augen standen Tränen.
„Sir?“ Christie hatte vergessen, dass er immer noch das Handy in der Hand hatte.
„Mein Freund macht gerade Herzdruckmassage“, flüsterte Christie der Frau zu.
Ihm war, als müsste er sich übergeben. Das Zimmer wurde grau und das Handy glitt aus seinen Fingern, als Entsetzen ihn packte.
Was, wenn ich zu high gewesen wäre, um den Notruf zu wählen?
Was, wenn stattdessen ich diese Pillen genommen hätte oder wir beide jeweils eine? Ginge es mir dann genauso wie Kyle? Wer hätte dann den Notruf gewählt?
Wird Kyle sterben? Wie soll ich mit mir selbst leben, wenn Kyle stirbt?
Zum ersten Mal seit acht Jahren betete Christie. Er betete ehrlich und von ganzem Herzen. Bitte Gott, bitte lass Kyle überleben. Ich schwöre, ich werde das Feiern für immer aufgeben und nie wieder Alkohol oder eine andere Droge anfassen. Lass Kyle nur überleben!
In der Ferne kam der Klang von Sirenen näher, dann wurde Christies Welt schwarz.
„CHRISTIE? SIND Sie wach?“
Christie öffnete die Augen. Er lag in einem Krankenhausbett. Über ihm stand ein Arzt und leuchtete mit einem Licht in Christies Augen. „Da sind Sie ja. Sie müssen mir sagen, was Ihr Freund Kyle heute Nacht genommen hat. Das ist sehr wichtig. Verstehen Sie das? Und ich muss auch wissen, was Sie genommen haben.“
Er war im Krankenhaus? Er musste ohnmächtig geworden und dann von der Ambulanz mitgenommen worden sein. Himmel. Er versuchte, sich aufzusetzen, und der Arzt ließ es zu, dabei beobachtete er ihn genau. Er hatte eine Infusion und fühlte sich halbwegs klar, auch wenn sein Kopf fürchterlich wehtat.
„Geht es Kyle gut?“
„Nein“, sagte der Doktor ohne Weichheit in der Stimme. „Es geht ihm nicht gut. Wir haben ihm den Magen ausgepumpt, aber wir müssen wissen, was sich in seinem Blutkreislauf befindet.“
Christie erzählte ihm, was Kyle wahrscheinlich im Club getrunken hatte, außerdem von dem Rotwein, dem Joint und den beiden Tabletten, die angeblich Ecstasy gewesen waren.
Das Gesicht des Doktors wurde hart. „Wissen Sie, wie gefährlich es ist, Christie, von Fremden Drogen anzunehmen?“
Christie wusste es. Aber alle im Club teilten ihre Drogen. Normalerweise war alles in Ordnung. Aber dieses Mal nicht. „Es war dumm“, stimmte er zu.
Ich hätte Kyle die Pillen niemals zeigen dürfen. Ich hätte sie in den Müll werfen sollen, sobald der Typ die Toilette verlassen hatte.
Durch den verurteilenden Blick im Gesicht des Arztes fühlte Christie sich beschissen. Wie war es nur so weit gekommen? Er war streng erzogen worden, hatte eine Schulbildung genossen, um die andere ihn beneideten, einen guten, professionellen Job, sah recht annehmbar aus und hatte ein Appartement in Manhattan ... er hatte alles. Also wieso fand er sich in einer Szene wieder, die aus Intervention hätte stammen können?
Das bin ich nicht. Er war kein Alkoholiker oder Drogensüchtiger, er feierte einfach gern an den Wochenenden. Jeder, den er kannte, tat dasselbe. Und dennoch war er hier.
„Also, wir wissen nicht, was für Pillen das waren, aber es war kein Ecstasy. Sie wissen nicht mehr darüber?“, drängte der Doktor weiter.
Christie schüttelte den Kopf. „Der Mann, der sie mir gegeben hat, hat auch eine geschluckt, also kann er nicht gewusst haben, dass sie gefährlich sind.“ Er beschrieb die Pillen, so gut er konnte ‒ also praktisch nur klein und blau. Er konnte sich nicht erinnern, ob sie eine Markierung gehabt hatten.
Der Arzt runzelte die Stirn und notierte alles. Er ließ sich auch den Latino von Christie beschreiben. Er sagte nichts, als Christie sich nicht an dessen Namen erinnern konnte. „Ich werde es der Polizei mitteilen. Der Mann, der Ihnen die Pillen gegeben hat ‒ er könnte vielleicht in Schwierigkeiten sein, wenn er auch eine genommen hat.“
„Es tut mir leid“, wiederholte Christie sinnlos.
„Und Sie haben keine derartigen Pillen genommen?“
„Nein, das habe ich Ihnen doch schon gesagt ‒ Alkohol und einen Zug Gras. Das war alles.“
„Sie waren bewusstlos, als der Krankenwagen ankam und Ihre Füße waren aufgeschnitten. Ihr Blutalkoholspiegel lag bei 2,4 Promille. Ist Ihnen bewusst, Christie, dass ein Wert von 3,5 Promille tödlich sein kann?“
„Wir waren schon wieder zu Hause“, sagte Christie hilflos, aber sein Magen brannte. Er war wirklich betrunken gewesen. Fast zu betrunken, um Kyle zu helfen. Er bewegte die Füße unter dem Laken und fühlte die Verbände. Jetzt, wo er sich daran erinnerte, dass er sich an den Glasscherben geschnitten hatte, begannen sie wehzutun. „Wird Kyle überleben?“ Die Worte blieben ihm fast im Halse stecken.
Der Ausdruck des Doktors wurde endlich weicher. „Das wird er. Er hatte Glück. Dieses Mal. Und was Sie angeht, wir geben Ihnen Flüssigkeit und testen stündlich Ihr Blut. Wenn Ihr Blutalkoholspiegel unter 0,8 Promille liegt, dürfen Sie gehen. Aber wenn Ihnen noch irgendetwas einfällt, was Kyle helfen könnte, lassen Sie es uns hoffentlich wissen.“
Christie nickte erleichtert. Er schaute dem Doktor nach, dann betrachtete er die Infusionsnadel in seinem Arm und beschloss: Es war an der Zeit für eine Veränderung.
„DIE FRISCHGEBACKENEN Ehemänner dürfen sich jetzt küssen.“
Christie beobachtete, wie Kyle und Billy sich begeistert küssten. Der Anblick erzeugte eine seltsame Mischung aus Hoffnung, Eifersucht und Besorgnis. War es wirklich das, was Kyle wollte? Würde es ihm gut gehen?
Seit jener Nacht vor drei Monaten, als Kyle fast gestorben war, hatte dieser sich verändert. Sowohl für Christie als auch für Kyle war diese Nacht ein Weckruf gewesen, allerdings war Kyles Verwandlung extrem. Er hatte einen kalten Entzug gemacht ‒ kein Alkohol, keine Drogen, keine Clubs. Und er war fest mit Billy zusammen. Es war sogar Kyle gewesen, der die berühmte Frage gestellt hatte. Er war überzeugt, dass es an der Zeit war, sich niederzulassen.
All das waren gute Veränderungen, aber Christie machte sich Sorgen wegen der Geschwindigkeit, in der alles passiert war. Er hoffte, dass Kyle sich an seinen Entschluss hielt und wirklich glücklich war.
Es war schwer zu glauben, dass ein Teil ihres Duos ‒ Kyle und Christie, die wilden, erstaunlichen Partyboys ‒ verheiratet war. Natürlich sehnte Christie sich ebenfalls danach. Er wollte eine stabile Beziehung, eine Chance, sich mit jemandem ein Zuhause aufzubauen, jemanden, auf den er sich verlassen konnte und der mit ihm durch dick und dünn ging. Aber es zu wollen war eine Sache, jemanden zu finden eine ganz andere. Er konnte sich nicht vorstellen, sich mit einem der Männer, die er kannte, niederzulassen. Seine Beziehungen begannen immer mit großer Verliebtheit und endeten mit einer Enttäuschung.
Wahrscheinlich erwartete er zu viel, aber er wollte nicht hinter jemandes Karriere oder dessen Verlangen, durch die Betten zu ziehen, zurückstehen, oder auch hinter der Eitelkeit seines Partners. Es hatte einen denkwürdigen Prince Charming gegeben, der lieber ins Fitnessstudio gegangen war, als zu der Geburtstagsfeier zu erscheinen, die Kyle für Christie organisiert hatte. Das hatte das Ende dieser ‘Beziehung’ markiert.
Aber Billy war wirklich ein lieber Kerl. Wenigstens hatte Kyle gut gewählt.
Die Zeremonie war vorbei und Billy und Kyle umarmten ihre Gäste. Im Zimmer des Standesamtes in der Worth Street waren ungefähr zwanzig Leute. Die meisten waren Freunde, aber Kyles Mom war da. Sie sah elegant aus in ihrem apricotfarbenen Kostüm, auch wenn ihr Gesicht voller verlaufenem Mascara war. Billys Eltern waren auch da. Sie sahen ein wenig überwältigt aus.
Kyle umarmte Christie. „Ich bin verheiratet. Ist das zu glauben?“
„Du hast so ein Glück. Billy ist ein toller Kerl.“ Bitte brich ihm nicht das Herz.
„Ich weiß! Er ist zu gut für mich, aber ich bin einfach selbstsüchtig.“ Kyle lehnte sich zurück und lächelte Christie verträumt an. „Jetzt müssen wir nur noch für dich einen Ehemann finden.“
Christie lachte. „In Lancaster County wohl kaum.“
Da sah Kyle ihn traurig an und schob die Unterlippe vor. „Ich kann nicht glauben, dass du mich verlässt.“ Er umarmte Christie erneut.
„Du hast mich zuerst verlassen.“
„Ja, aber aus gutem Grund.“
Kyle hatte vor vier Wochen verkündet, dass er aus ihrer gemeinsamen Wohnung ausziehen würde. Christie hätte sich einen anderen Mitbewohner suchen können, aber das Appartement war zu klein, um es mit jemandem zu teilen, der nicht praktisch sein Bruder war. Außerdem lag es zu nah an den Clubs und all ihren Partyfreunden. Zu verführerisch.
Christie brauchte ebenfalls eine Veränderung ‒ eine drastische Veränderung. Deswegen hatte er entschieden, das Appartement aufzugeben, sich eine sechsmonatige Pause von Manhattan zu gönnen und in dem Haus zu wohnen, das er von seiner Tante geerbt hatte. Das würde ihm genug Zeit geben, ihre Sachen durchzugehen, das Haus zurechtzumachen und es zu verkaufen. Das schien ihm das Richtige zu sein. Sie hatte ihm ihren Besitz hinterlassen, inklusive ihres gesamten Hab und Guts. Er wollte sich selbst darum kümmern, statt einen Fremden zu engagieren, der sich durch ihre Sachen wühlte. Außerdem brauchte er eine Pause vom Leben in der Stadt. Er fühlte sich sehr wehmütig, wenn er an das Landleben dachte. Ironisch. Als er aufgewachsen war, konnte er seiner Kleinstadt gar nicht schnell genug entkommen. Er hätte nicht in einer Million Jahren gedacht, dass er dieses Leben vermissen würde.
„Du kommst doch zurück, oder?“, fragte Kyle und studierte Christies Gesicht. „Wenn du das Haus deiner Tante verkauft hast. Du kommst zurück?“
„Ich werde innerhalb von einem Monat die Wände hochgehen. Natürlich komme ich zurück. Ich kann mir wohl kaum im ländlichen Pennsylvania ein schwules Leben aufbauen.“
Da runzelte Kyle die Stirn. „Sei vorsichtig, okay? Da gibt es bestimmt viele Hinterwäldler. Und, du weißt schon, Republikaner!“
Christie lachte. „Ich glaube nicht, dass Schwule dort gehängt werden, Kyle.“ Jedenfalls hoffe ich das.
Billy gesellte sich zu ihnen und schlang seine starken Arme um sie beide. Er sah so glücklich aus, dass Christies Herz wehtat. „Ihr beide seht heute toll aus. Babe, komm und begrüß meine Eltern.“
Kyle küsste Billys Wange. „Ich bin gleich da, Schatz.“
Billy entfernte sich und Kyle umarmte Christie ein letztes Mal. Dabei schwang etwas Angst mit. „Wer hätte das gedacht? Ich bin verheiratet und du verlässt die Stadt. Aber wir kommen schon klar, nicht wahr?“
Christie murmelte zustimmend, aber er hatte ebenfalls Angst.
EIN FREMDER war in das Haus von Ruth Landon gezogen. David hatte den Mann aus der Ferne gesehen. Er war jung, blond und sah aus wie ein Stadtmensch, von seinen teuren Stiefeln und den engen Jeans bis zu seinem Haarschnitt. Er war wahrscheinlich Ruths Erbe. David hatte gehört, dass sie ihr Haus einem Neffen hinterlassen hatte.
Er hatte seine Pflichten vernachlässigt, denn es war ihm unangenehm, mit dem jungen Mann zu sprechen, aber er konnte es nicht mehr länger aufschieben. Also hatte er am Mittwoch, nachdem Earl die Kühe zum zweiten Mal gemolken hatte und nach Hause gegangen war, und David selbst seine Arbeiten auch erledigt hatte, beschlossen hinzugehen. Er duschte, stellte eine Fertigmahlzeit in den Ofen und zog seine beste Jacke aus Wildleder und Lammfell an, dann ging er über den Kiesweg zum Landon-Grundstück.
Die Lichter in dem kleinen Backsteinhaus waren eingeschaltet, also vermutete David, dass der Fremde zu Hause war. Das ist geschäftlich. Kein Grund, nervös zu sein. Er klopfte an die Vordertür. Es gab keine Antwort, deshalb versuchte er es erneut.
„Hallo?“ Der Fremde kam um das Haus herum. Gott, von Nahem sah er noch extravaganter aus. Sein gutes Aussehen überraschte David. Sein hellblondes Haar war im Nacken kurz, aber länger an den Seiten und fiel ihm in Strähnen ins Gesicht. Er hatte große, blaue Augen. Sein Gesicht war zart, mit einer langen, schmalen Nase, einem kleinen Kinn und einem fein geschnittenen Mund. Er hatte eine durchschnittliche Größe, aber war ziemlich dünn, und seine blaue Jeans war hauteng. Kleine, silberne Ringe mit Kugeln zierten seine Ohren. Er trug ein hellblaues Langarmshirt, das zu seinen Augen passte, eine schwarze Daunenweste und Stiefel mit einem Fellrand. Dieses Outfit sah modischer aus als alles, was David in seinem ganzen Leben jemals getragen hatte.
David wandte den Blick ab und konzentrierte sich auf die Weste des Mannes, damit er ihm nicht in die Augen sehen musste.
„Ich dachte, ich hätte jemanden gehört. Hi! Wer sind Sie?“
Die Stimme des Mannes war freundlich, wenn auch sehr hoch, als wäre er jünger als Mitte zwanzig, wonach er aussah.
„Hi. Ich bin David Fisher. Mir gehört die Farm nebenan.“ Er kam näher und streckte die Hand aus und der Fremde schüttelte sie.
„Oh, hi! Ja, ich habe Sie schon bei der Feldarbeit gesehen. Ich bin Christie Landon. Meine Tante Ruth hat hier gewohnt.“
David steckte die Hände in die Taschen seiner Jeans, denn es war ihm unangenehm. „Ruth war eine gute Frau. Mein herzliches Beileid.“
Christie runzelte die Stirn. „Danke. Ja, ich hatte sie leider seit ein paar Jahren nicht mehr gesehen, aber sie war eine sehr coole Dame. Hey, macht es Ihnen etwas aus, wenn wir nach hinten gehen? Ich bin gerade dabei, Blätter zu verbrennen und ich habe Angst, dass ich den östlichen Teil von Pennsylvania in Brand setze, wenn ich sie unbeaufsichtigt lasse.“
Christie lachte über sich selbst und David entspannte sich ein wenig. Stadtmensch oder nicht, Christie schien nicht abfällig oder hochnäsig zu sein. „Sicher.“
Christie ging voraus um das Haus herum. David bemerkte, dass das Gras dringend geschnitten werden musste. Es war Anfang Oktober, also hatte es das Wachstum für dieses Jahr eingestellt, doch es war wahrscheinlich seit Monaten nicht mehr gemäht worden. Es war zu lang und sollte über Winter nicht so bleiben. Vielleicht sollte er seinen Rasentraktor anbieten.
Oder vielleicht sollte er sich einfach aus Christie Landons Angelegenheiten heraushalten.
Ruth hatte in einer Ecke ihres Gartens ein altes Fass aufbewahrt, in dem man Dinge verbrennen konnte. David hatte oft gesehen, wie sie es benutzte. Jetzt wanden sich kleine Rauchwölkchen darüber, schwarz und schwächlich.
„Ähm, ich war nicht sicher, was ich mit all den Blättern anfangen sollte, also habe ich es gegoogelt. Da habe ich gelesen, dass man sie verbrennen kann und Tante Ruth hatte dieses Fass, also habe ich vermutet, dass sie es so gemacht hat. Aber ich glaube, ich mache es nicht richtig.“
Er hatte gegoogelt, was man mit heruntergefallenen Blättern macht? Der Gedanke erstaunte David, aber Christie klang unsicher und Davids Instinkt sagte ihm, sich nachbarschaftlich zu verhalten und Hilfe anzubieten. Wenn er eins wusste, dann, dass es eine endlose Aufgabe war, Blätter zu entsorgen.
Er ging zu dem Fass und spähte hinein, was bei dem Rauch nicht so einfach war, aber er wusste bereits, wo das Problem lag. „Die Blätter sind zu nass. Deshalb brennen sie nicht gut.“
Er gestattete sich einen Blick zu Christie, um dessen Reaktion zu sehen. Christie biss sich auf die Lippe und sah verlegen aus. „Oh. Das klingt logisch. Ich habe sie einfach aufgeharkt und da reingestopft.“
„Letzte Nacht hat es ziemlich viel geregnet. Man lässt sie am Besten liegen, bis sie getrocknet sind, bevor man sie zusammenharkt.“
Christie nickte. Seine blauen Augen glitzerten vor Selbstironie. „Gut zu wissen. Ich schätze, ich bin scheiße als Hausbesitzer.“
Bei dieser Sprache blinzelte David. „Scheiße“ war ein Wort, das die meisten Leute, die er kannte, nicht benutzten. Er starrte zu dem Fass voller Blätter, unsicher, was er als Nächstes sagen sollte. Sie gewöhnen sich daran? Sie können mich wegen der Blätter jederzeit um Rat fragen?
„Also sind Sie einfach vorbeigekommen, um sich vorzustellen? Oder kann ich etwas für Sie tun, David?“
David spürte, wie sich sein Nacken erhitzte. „Ja, ich, ähm, wollte über Ihr Feld sprechen.“
„Mein Feld?
David deutete Richtung Westen zu seiner Farm. „Ihr Land erstreckt sich in diese Richtung. Zwei Morgen davon gehören zu diesem Maisfeld dort. Ihre Tante hat erlaubt, dass ich es mit meinen Feldern zusammenlege, und ich habe ihr jeden Dezember Pacht dafür bezahlt. Deshalb habe ich mich gefragt, ob Sie dasselbe tun würden oder ob Sie andere Pläne mit dem Land haben.“
„Oh mein Gott!“ Christie schaute überrascht auf das Feld. „Ich besitze Mais?“
Bei dem Erstaunen in seiner Stimme musste David ein Lächeln unterdrücken. „Naja, nicht direkt. Sie besitzen das Land. Ihre Tante hat es mir im letzten Jahr verpachtet, also gehört der Mais technisch gesehen mir.“
„Wie viel von diesem Feld gehört mir? Zwei Morgen, sagten Sie?“
Er klang, als könnte er sich zwei Morgen nicht bildlich vorstellen, deshalb trat David näher an Christie heran, um es ihm zu zeigen. „Sehen Sie diesen Baum an der Straße? Der mit dem krummen Ast. Ungefähr dort endet das Land Ihrer Tante. Folgen Sie dieser Linie direkt bis zu dieser roten Scheune dort. Was dazwischen liegt, sind zwei Morgen.“
„Der Hammer!“
David sah Christie zweifelnd an, aber das schien etwas Gutes zu sein. „Äh, auf dem Boden sind Markierungen, aber man kann sie von hier aus nicht sehen.“
Christie trat einen Schritt zurück, wohl um besser sehen zu können, dabei kam er David sehr nah. David wollte ihm aus dem Weg gehen, aber er wollte nicht schreckhaft wirken. Sein Herz begann zu hämmern.
„Bauen Sie dort immer Mais an? Wann, ähm, pflügen Sie ihn nieder? Unter? Ernten! So nennt man das. Wann ernten Sie ihn? Schmeckt er gut? Es wäre einmalig, Mais zu essen, der auf meinem eigenen Land gewachsen ist.“
Christie schaute David über die Schulter hinweg an. Seine blauen Augen hatten lange, blonde Wimpern und sie waren hübsch, zu hübsch, wie bei einem Mädchen ‒ und sie waren ihm viel zu nah. Aber es waren auch wissbegierige und lebendige Augen. Christies Gesicht hingegen war aus dieser kurzen Entfernung sehr männlich. An seinem Kinn und seiner Oberlippe wuchsen feine Stoppeln und seine Nase und seine Augenbrauen waren ausgeprägt. Etwas an dieser Mischung sorgte dafür, dass David heiß und kalt zugleich wurde.
Er zwang seine Füße zwei Schritte zurück. „Ähm. Nein. Nicht nur Mais. Alle paar Jahre baue ich Sojabohnen oder eine Zwischenfrucht an.“