Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Im mittelalterlichen England steht die Pflicht über allem. Die Ehre eines Mannes ist wichtiger als sein Leben und Homosexualität wird weder von der Kirche noch von der Gesellschaft geduldet. Sir Christian Brandon wuchs in einer Familie auf, die ihn für seine ungewöhnliche Schönheit und seine Abstammung hasste. Kleiner als seine sechs rücksichtslosen Halbbrüder musste er mithilfe seines Verstandes und seines Talents für Listen überleben, was ihm den Spitznamen Krähe einbrachte. Sir William Corbet, ein als "der Löwe" bekannter stattlicher Ritter, hat seine unnatürlichen Neigungen ein Leben lang unterdrückt. Er ist fest entschlossen, das Ideal des edlen Ritters zu verkörpern. Als er sich eines Tages auf den Weg macht, um seine Schwester zu retten, nachdem er von ihrer Misshandlung durch ihren adeligen Ehemann gehört hat, zwingen ihn die Umstände, Sir Christians Hilfe anzunehmen. Diese Partnerschaft stellt all seine Moralvorstellungen auf die Probe und letztendlich gar sein Verständnis von Pflicht, Ehre und Liebe.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 220
Veröffentlichungsjahr: 2016
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Von Eli Easton
Im mittelalterlichen England steht die Pflicht über allem. Die Ehre eines Mannes ist wichtiger als sein Leben und Homosexualität wird weder von der Kirche noch von der Gesellschaft geduldet.
Sir Christian Brandon wuchs in einer Familie auf, die ihn für seine ungewöhnliche Schönheit und seine Abstammung hasste. Kleiner als seine sechs rücksichtslosen Halbbrüder musste er mithilfe seines Verstandes und seines Talents für Listen überleben, was ihm den Spitznamen Krähe einbrachte.
Sir William Corbet, ein als „der Löwe“ bekannter stattlicher Ritter, hat seine unnatürlichen Neigungen ein Leben lang unterdrückt. Er ist fest entschlossen, das Ideal des edlen Ritters zu verkörpern. Als er sich eines Tages auf den Weg macht, um seine Schwester zu retten, nachdem er von ihrer Misshandlung durch ihren adeligen Ehemann gehört hat, zwingen ihn die Umstände, Sir Christians Hilfe anzunehmen. Diese Partnerschaft stellt all seine Moralvorstellungen auf die Probe und letztendlich gar sein Verständnis von Pflicht, Ehre und Liebe.
Inhalt
Zusammenfassung
Widmung
Danksagung
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
Epilog
Mehr Bücher von Eli Easton
Biographie
Von Eli Easton
Besuchen Sie Dreamspinner Press
Copyright
Für alle, die für die Menschenrechte der LGTB-Gemeinschaft kämpfen.
URSPRÜNGLICH WURDE 2013 eine kürzere Version dieser Geschichte für das „Love Has No Boundaries“-Event der Gruppe für M/M-romance auf goodreads.com verfasst. Danke an Angel für die wundervolle und inspirierende Anregung dazu. Außerdem erwiesen sich die Moderatoren der Gruppe als äußerst hilfreich beim Verbessern der ersten Fassung. Ein großes Dankeschön auch an meine ersten Korrekturleserinnen Kate Rothwell und Kim Whaley.
England, 1300
ALS WILLIAM ihn zum ersten Mal sah, ritt er mit einem rotgoldenen Pferd auf den Turnierplatz. Auf der Vorderseite seines leuchtend blauen Waffenrocks breitete ein weißer Adler seine Schwingen aus, was ihn als einen von Lord Brandons Söhnen kennzeichnete. Glänzende Panzerplatten bedeckten Schultern, Arme und Oberschenkel, während er darunter Beinlinge und Stiefel trug.
Es gehörte zu den Gewohnheiten eines Kriegers, sich einen Gegner – oder einen Rivalen – genau anzusehen. So schämte sich William nicht, als er den jungen Mann eingehend musterte. Die wenige Panzerung, die er trug, wirkte trotz ihres Glanzes brauchbar. Sie wurde eindeutig benutzt und war mehr als nur das Kostüm eines eitlen Gecken. Um seine Hüften war ein schwarzer Gürtel geschlungen worden, der den Kontrast der schlanken Taille und schmalen Brust zu seinen breiten Schultern betonte. Er schien den Speisen nur im rechten Maß zu frönen und ritt sein Pferd leicht wie eine Feder. Williams Blick fiel auf seine Sporen: vergoldet. Er war ein echter Ritter. Andererseits wusste William, dass dies vom Sohn eines Adligen erwartet wurde und nicht in jedem Fall hart erarbeitet war.
Da im Augenblick das Bogenschießen stattfand, war die Kleidung des jungen Ritters eher elegant als schützend. Er trug weder Helm noch Zöpfe oder Perlen. Sein nahezu schwarzes Haar war entgegen der Mode beinahe barbarisch kurz geschnitten. Doch bei ihm führte die strenge Kriegerfrisur lediglich dazu, dass mehr von seinem Gesicht zu erkennen war – dem schönsten Gesicht, das William je gesehen hatte. Länglich, schmal und zart mit vollen, geschwungenen Lippen und einer geraden Nase. Im Kinn war ein Grübchen zu erkennen und über großen, dunklen Augen wölbten sich breite Brauen. Seine Haut war hell wie eine Schüssel Sahne, während auf den stolzen Wangenknochen ein Hauch von Rosa lag, für den jede Maid ihre eigene Mutter getötet hätte. Es mochte an der Vorfreude auf den Wettkampf liegen.
William konnte sich in Sekunden einen Eindruck von jemandem verschaffen und änderte diesen selten. Seiner Meinung nach gab es für den Kampf geschaffene Männer, ungehobelt und grob. Solche Männer wollte man an seiner Seite – wenn sie nach einigen Bechern Wein nicht gar zu unausstehlich wurden. Und dann gab es Männer, die dazu geschaffen worden waren, Frauen Freude zu bereiten. Als hätte Gott sie einzig auf die Welt geschickt, damit sie das Blut einer Frau für das Bett ihres Ehemannes in Wallungen brachten und auf diese Weise den Fortbestand des Menschengeschlechts sicherstellten. Unter der letztgenannten Gruppe hätten sich natürlich Männer befinden können, die denen der ersten an Kampfgeschick gleichkamen, doch William hatte es selten erlebt. Vielleicht war es eine Frage der Motivation: Welcher Mann stieß, wenn man ihn vor die Wahl stellte, nicht lieber zwischen die Schenkel eines Weibes, anstatt auf dem Übungsplatz mit seiner Lanze zu stoßen? Schönheit war häufig müßig.
Dieser junge Ritter gehörte eindeutig zu den Männern, an denen sich Frauen ergötzten. So viel Schönheit hatte William bisher bei keinem Mann erlebt. Wenn er ganz ehrlich war, hatte er sie auch bei keiner Frau erlebt, was ihm nicht gerade Vertrauen einflößte. Er nahm das Jubeln weiblicher Stimmen wahr, das den Reiter empfing und Williams Einschätzung treffend unterstrich. Der junge Mann ritt an ihm vorbei … und sah ihn an.
Es handelte sich nicht um einen flüchtigen Blick. Er begegnete Williams eigenem, als der Ritter noch zehn Schritte entfernt war, und wich nicht von ihm, bis er ihn erreicht hatte. Der Mann wandte sogar kurz den Kopf, als er ihn passiert hatte, bis er den Blick endlich von William löste. Doch William betrachtete ihn weiter – er wich niemandes Blick aus. Stoisch stand er mit ausdruckslosem Gesicht da. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, Äonen, die er in diese Augen schaute. Sie waren dunkelbraun, voller Wärme und Leben. Trotz der unbewegten Miene des Ritters schienen sie ihm etwas mitzuteilen, auch wenn William die Sprache nicht verstand. Ihr Blick drang bis in sein Innerstes vor und löste Gefühle in ihm aus, bei denen sich sein Magen zusammenzog.
Verwirrung? Neugierde? Entrüstung?
Was hatte er mit diesem Blick beabsichtigt? Sie kannten sich nicht. War es eine Herausforderung gewesen? Ein an einen Fremden gerichteter Willkommensgruß? Die Bewunderung eines jüngeren Kämpfers für einen erfahrenen? Hatte er von Williams Können gehört? Oder ihn mit jemandem verwechselt?
William war auf dem Rückweg von den Ställen gewesen, zu denen er sein müdes Pferd nach der letzten Runde der Tjost gebracht hatte, als er stehen geblieben war, um dem Aufmarsch der Bogenschützen zuzusehen. Nun fand er sich zwischen einer Gruppe aus zur Burg gehörenden Arbeitern wieder. Bei einem von ihnen handelte es sich um den Schmied, dessen muskulöser Körper in eine verschrammte Lederschürze gehüllt war.
„’n Bekannter von Euch?“, fragte er William. „Die Krähe?“
Der Schmied schien die Blicke bemerkt zu haben. William runzelte die Stirn. „Nein. Hast du Krähe gesagt?“
Der Mann lachte. „Aye, armer Junge. Is’ der jüngste von sieben Brüdern. Die besseren Namen war’n schon weg.“
Ein zweiter Mann, faltig und vom Alter gebeugt, mischte sich ein: „Schaun wa mal: Da wär’ Bär, Keiler, Fuchs …“
„Dachs!“, warf ein dritter Mann lebhaft ein. „Das ist Sir Peter Brandon.“
„Aye, Dachs. Falke heißt auch einer, nich’?“
„Sir Thomas“, stimmte der Schmied heiter zu.
„Na dann, einer fehlt noch …“ Der Faltige dachte angestrengt nach.
„Löwe?“, schlug der dritte Mann vor.
Der Schmied warf einen wissenden Blick auf Williams Waffenrock. „Den Titel hat keiner von denen verdient. Und wenn’s die beiden Ältesten nich’ geschafft haben, schaffen’s die andern auch nich’. Ältere Brüder lassen sich das nich’ gefallen.“
„Deswegen auch Krähe“, schnaubte der Faltige amüsiert.
„Jagdhund“, steuerte der dritte Mann bei. „Sir Malcolm ist das.“
„Jagdhund! Das wär’n alle. ’s er nich’ der Fährtensucher? Sieht ’nem Jagdhund auch ’n bisschen ähnlich.“ Faltengesicht bleckte demonstrativ die Zähne und schnappte in die Luft. Ein fauliger Gestank mischte sich in die Brise.
Williams Blick wurde erneut von der Krähe angezogen, als der aufrecht im Sattel sitzende Mann davonritt. Von hinten wirkten die Schultern noch breiter. Sein Rücken wurde wie ein V zu seiner beinahe zierlichen Taille hin schmaler. William spürte, wie sich seine Lippen kräuselten. „Und der hier? Die Krähe? Sind Lord Brandons Söhne alle wie er? Meiner Erfahrung nach hat ein Mann, dem die Weiber so zugetan sind, meistens Mühe, ein Schwert zu heben. Ganz zu schweigen davon, es zu benutzen.“
Der Schmied warf ihm einen finsteren Blick zu. „Sir Christian heißt er. Aye, stattlich genug is’ er wohl, aber die Sporen hat er sich verdient. Diese Brüder von ihm kennen kein Pardon. Hart wie Eisen, jeder Einzelne von denen.“
„Aye, er is ’n Draufgänger, der Sir Christian. Gucken wir ihm beim Schießen zu“, sagte Faltengesicht voller Vorfreude. Mit seinen Gefährten schloss er sich der Menge an, die auf die für die Schützen aufgestellten Ziele zuströmte.
Der Schmied zögerte, bevor er ihnen folgte, und fragte William freundlich: „Kommt Ihr mit? Nichts Besseres als das Schießen heute.“
Es war verlockend. Er hätte gern gesehen, ob die Krähe neben dem noblen Auftreten auch Talent besaß. Doch letztendlich entschied er sich dagegen. Obwohl er nicht sicher war, was er von dem jüngsten Brandon halten sollte und was sein Blick bedeutet hatte, warnte ihn ein beunruhigendes Gefühl, dass es das Beste sei, sich von ihm fernzuhalten.
„Nein, ich bin gerade auf der Suche nach einer Mahlzeit. Gehabt euch wohl.“
William machte sich auf den Weg zu den Ständen, die Speisen anboten. Er war aus einem bestimmten Grund hier, nämlich um bei Lord Brandon sein Anliegen vorzubringen. Sich einen seiner Söhne zum Feind zu machen wäre da keine gute Idee gewesen. Genauso wenig durfte er sich durch Weiber, Spiele oder Kämpfe ablenken lassen. Sein Gesuch war zu wichtig – sowohl für Elaine als auch für ihn.
Hinter ihm ertönte der dumpfe Knall von Pfeilen, die ihr Ziel trafen, und der tosende Jubel der Menge.
„DER PREIS für den Sieger des Bogenschießens geht an unseren Sir Christian Brandon!“ Lord Brandon hielt den Geldbeutel vor den Zuschauern in die Höhe, bevor er ihn Christian überreichte.
Christian verneigte sich förmlich. „Vater.“
Die Menge jubelte und Lord Brandon lächelte Christian zu. Auch wenn es sich nicht um ein strahlendes Lächeln handelte, wie er es bereitwillig und häufig seinen Brüdern schenkte, lag dennoch aufrichtige Wärme darin.
Ein Hochgefühl durchströmte Christians Körper. Es war ein guter Tag gewesen. Mit den Zuschauern auf seiner Seite hatte er das Bogenschießen problemlos gewonnen. Und jetzt das hier. Die Stunden und Tage und Jahre, die er sich mit dem Bogen geübt hatte, waren es wert gewesen, wenn er damit seinen Vater stolz machen konnte.
Lady Gwendolyn beugte sich vor. Ihre Lippen waren weich und parfümiert, als sie ihm einen langen Kuss auf die Wange gab. Das Murmeln der Menge verwandelte sich in ermutigendes Gejohle und einige laute Rufe nach mehr. Christian täuschte Schüchternheit vor und senkte den Kopf, woraufhin ihm die Männer seines Vaters lachend auf den Rücken klopften. Trotzdem entgingen ihm nicht die geringschätzigen Blicke, die seine Brüder Stephen und Duncan tauschten.
Sollten sie doch neidisch sein oder sich über ihn lustig machen. Es kümmerte ihn nicht. Um das zu beweisen, wandte er sich der Menge zu, um den Beutel hochzuhalten und scherzhaft zu salutieren. Der Jubel nahm noch zu. Doch als er so die Zuschauer betrachtete, ertappte er sich dabei, wie er nach einem bestimmten Gesicht suchte, dessen Lippen ganz sicher nicht weich oder parfümiert waren.
Er entdeckte es nicht.
DER RITTER, der über seiner Rüstung einen roten Wappenrock mit weißem Löwen trug, tauchte erst am späten Nachmittag wieder auf. Der Fremde trat in der Tjost gegen Christians Bruder Sir Peter an und wurde als Sir William Corbet angekündigt. Sein Name kam Christian bekannt vor, doch er glaubte sich zu erinnern, dass die Corbets ziemlich weit im Südosten lebten. Weshalb hatte Sir William wegen eines gewöhnlichen Turniers einen derart weiten Weg auf sich genommen? Befand er sich lediglich auf der Durchreise und wollte die Gelegenheit nutzen, sich einige Münzen zu verdienen? Oder suchte er gar nach einem neuen Herrn? Würde er dann bleiben?
Als sein Blick vor dem Bogenschießwettbewerb auf das Gesicht des Ritters gefallen war, hatten sowohl sein Herz als auch sein Verstand für einen Moment ausgesetzt, als wären sie wie Holzspäne von einer Flamme verbrannt worden. Selbst jetzt, mit durch das Visier seines Helms verdecktem Gesicht, zog er mühelos die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich. Er war groß und muskulös, saß aufrecht und selbstbewusst im Sattel. Sein Pferd lenkte er leicht und geschickt, während er mit kontrollierter Kraft die Lanze führte. Peter war wie die meisten seiner Brüder wie ein Fels gebaut und einer der besten Lanzenstecher. Doch Sir William wich Peters erstem Angriff mühelos aus, nur um ihn anschließend zielsicher an der Schulter zu treffen und ihn vom Pferd zu stoßen.
William brachte sein Pferd zum Stehen und saß trotz der schweren Rüstung ab, um sich unter dem Mittelseil hindurchzuducken und Peter auf die Füße zu helfen. Peter nahm seinen Helm ab, rotgesichtig und atemlos. Christian war kurz beunruhigt: Peter konnte schrecklich aufbrausend sein und er verlor nicht gern. Doch dieser ergriff mit einem Nicken Williams Hand und hob sie in die Höhe, um ihn als Sieger anzuerkennen. William sagte etwas, das Peter zum Lachen brachte, während die Menge beiden zujubelte.
Als William zur Tribüne schritt, um Lord Brandons Glückwünsche in Empfang zu nehmen, entledigte er sich ebenfalls seines Helms. Er war atemberaubend.
Da Christian nicht weit von seinem Vater stand, konnte er den Anblick aus nächster Nähe in sich aufnehmen. William besaß hellbraunes Haar, das bis knapp unter seine Schultern reichte, und ernste, aber gütige braune Augen. Sein kantiges Gesicht zierten volle Lippen und ein kurz gestutzter Bart. Er wirkte zäh – wie ein Mann, den man lieber nicht hintergehen sollte. Zugleich strahlte er jedoch eine Ausgeglichenheit und Ehrlichkeit aus, die einem zeigte, dass er andere ebenfalls nicht hintergehen würde. Kurz gesagt war er genau das, was ein Ritter sein sollte – nobel, kraftvoll und ehrbar. Jemandem wie ihm war Christian nie zuvor begegnet. Verlangen wallte in ihm auf, dieses gefürchtete, berauschende, unwillkommene Gefühl, das ihn schmerzhaft überfiel wie eine Schlange, die ihre Zähne in seiner Brust vergrub.
Christian wurde klar, dass er den Mann offen anstarrte. Mit einem lautlosen Fluch schaute er sich um. Hatte es jemand bemerkt?
Niemand beachtete ihn.
Lord Brandon warf William den Beutel mit Münzen zu, den dieser geschickt auffing, bevor er sich verbeugte. Sein Blick fiel auf Christian, woraufhin Christian es wagte, ihm mit einem zögerlichen Lächeln zuzunicken. Da wurde Williams Gesichtsausdruck plötzlich kühl und er wandte sich ab – ganz bewusst, wie es schien –, um wieder in die Menge zu blicken und den Menschen noch einmal zuzuwinken.
Die abweisende Reaktion schmerzte wie ein plötzlicher Messerstich. Er schaute enttäuscht zur Seite – nur um festzustellen, dass ihn doch jemand beobachtete. Aus dem hageren Gesicht seines Bruders Malcolm begegnete ihm ein missbilligender, viel zu wissender Blick.
ALS CHRISTIAN durch die Korridore der Burg schritt, nahm er die gemurmelten Glückwünsche von Bediensteten und Gästen kaum wahr.
Zu intensiv kreisten seine Gedanken noch um Sir William Corbet. Er war nicht der Einzige gewesen, den der Fremde beeindruckt hatte. Die Damen auf der Tribüne hatten noch den ganzen Nachmittag über ihn geflüstert. Offenbar war er der Sohn und Erbe eines niederen Adligen, Lord Geoffrey Corbet, dessen Ländereien sich fünfzig Meilen südöstlich befanden. Außerdem erzählte man sich – und diese Information interessierte die Damen ganz besonders –, dass Sir William noch unverheiratet war.
Bei Gott, er hasste das, hasste es alles! Jede der albern kichernden Damen in seinem Umfeld, von seiner in die Jahre gekommenen entfernten Cousine Erme bis hin zu seiner großäugigen jungen Nichte Myrtle, besaß das Recht, Interesse an Sir William zu zeigen oder ihn sogar mehr oder weniger sittsam zu umwerben. Wäre Christian Lord Brandons Tochter gewesen, hätte er gute Aussichten auf eine Eheschließung mit einem Ritter wie Sir William gehabt. Doch in der Realität war seine Reaktion auf den Mann ein beschämendes Geheimnis, das er unterdrücken musste. Das Ganze war hoffnungslos und sogar gefährlich. Leider hatte er sich trotz dieses Wissens nicht zurückhalten können und Sir William zu kühn angesehen – erst auf dem Weg zum Bogenschießen und erneut auf der Tribüne. Sobald sich ihre Blicke getroffen hatten, war es ihm unmöglich gewesen, sich loszureißen.
Leise fluchend ging er weiter den langen Gang zum abgelegenen Teil der Burg mit seinem Zimmer entlang. Er war so dumm. Wenigstens war es nur ein Blick gewesen. Er hatte nichts Unrechtes getan.
Noch nicht. Gott, noch nicht.
Hätte er sich doch nur davon überzeugen können, dass verstohlene Blicke und in seinem Herzen verborgene Sehnsüchte niemandem schadeten – vielleicht hätte er sich dann darauf freuen können, Sir William beim abendlichen Festmahl wiederzusehen und …
Ein leises Geräusch riss Christian aus seinen Gedanken. Noch während er herumgeworfen und kräftig gegen die Wand gepresst wurde, hielt er bereits seinen Dolch in der Hand.
Malcolms hassverzerrtes Gesicht starrte auf ihn herab, als sich der muskulöse Unterarm seines Bruders gegen seine Kehle drückte. Der Ärmel eines Kettenhemds schnitt in die empfindliche Haut seines Halses ein, denn der Arm presste sich so fest auf seine Luftröhre, dass er sie ernsthaft zu verletzen drohte. Christian schob seinen Dolch unter den Rand des Kettenhemdes, bis die Spitze sich in Malcolms Oberschenkel bohrte. Sein Bruder kniff keuchend die Augen zusammen und der Druck auf Christians Kehle ließ nach.
Malcolms Atem stank nach Bier und einem leichten Aasgeruch, der ihn in letzter Zeit begleitete, als ob etwas in seinem Innern verrottete. Gleichzeitig nahm seine Launenhaftigkeit stetig zu, was allerdings niemand außer Christian wahrhaben zu wollen schien.
Er zischte Christian ins Gesicht: „Du hältst dich wohl für etwas ganz Besonderes, nicht wahr, Eure Hoheit?“
„Nein.“
„Sonnst du dich in deinem Erfolg, mein Bruder? Erregt dich dein eigener Sieg?“
Malcolm presste grob einen Oberschenkel zwischen Christians Beine, der schockiert aufkeuchte. Malcolm war schon immer grausam gewesen, allerdings nie mit sexuellem Unterton. Er konnte von Glück sagen, dass Malcolms Angriff seinen Körper nach den warmen Gedanken an Sir William gründlich abgekühlt hatte.
„Lass mich los, Bruder, oder ich werde diese Klinge ganz versenken“, drohte Christian. Seine Stimme war durch den Druck auf seine Kehle leise und heiser, was sie allerdings nicht weniger gefährlich klingen ließ. Die Spitze des Dolchs hatte sich durch Malcolms Beinling und seine Haut geschoben. Christian achtete sehr auf den Zustand seiner Waffen. Diese Klinge war spitz und scharf genug, um sich so bereitwillig in Fleisch zu versenken wie ein Mann zwischen den Schenkeln einer Hure.
Malcolm warf ihm einen höhnischen Blick zu, zog sich jedoch zurück. „Ich habe bemerkt, wie du ihn angesehen hast.“ Er spuckte angewidert auf den Boden.
Christian schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, was du meinst. Du bist verrückt.“ Allerdings spürte er trotz seiner Worte, wie ihn die Tatsache, von Malcolm ertappt worden zu sein, heftig erröten ließ.
„Ich habe dich durchschaut, Christian. Ich weiß, was du bist. Und ich werde dich umbringen und deine Eingeweide zu Würsten verarbeiten, bevor ich zulasse, dass du den Namen unseres Vaters entehrst.“
Christian verbarg sein Entsetzen hinter einer ausdruckslosen Miene. Malcolm hatte ihn schon immer gequält, doch ganz so bösartig hatte er ihn bisher nicht erlebt.
„Das würde ich niemals tun“, antwortete er kühl, ohne seinen Dolch zu senken.
„In der Tat. Dafür werde ich schon sorgen.“ Wie um ihm zu zeigen, dass er ihn nicht fürchtete, streckte Malcolm eine Hand aus, um spöttisch an seinem Kiefer entlangzustreicheln. „Denk immer daran, du schamlose Hündin: Ich sehe alles.“
Als Christian sich ihm entzog, ließ Malcolm endlich von ihm ab und ging weiter. Christian dachte kurz darüber nach, dass es für jemanden mit dem Beinamen Hund keine besonders gute Idee war, andere herablassend als einen solchen zu bezeichnen.
Andererseits war es sinnlos, Malcolm verstehen zu wollen. Irgendetwas stimmte mit ihm nicht und es wurde von Jahr zu Jahr schlimmer. Mit klopfendem Herzen legte Christian bewusst ruhig den Rest des Weges zu seinem Zimmer zurück. Doch nachdem er die Tür geschlossen hatte, schob er den Riegel vor und lehnte sich zitternd dagegen.
Malcolm hasste ihn, hatte ihn immer gehasst. Nur was hatte diesen Ausbruch provoziert? Lag es wirklich allein daran, wie er Sir William angesehen hatte? Oder hing es mit der Anerkennung zusammen, die sein Sieg ihm eingebracht hatte? Mit dem freundlichen Nicken seines Vaters? Malcolm gefiel es nicht, wenn ihr Vater Christian Aufmerksamkeit schenkte – was allerdings nichts Neues war.
Dann erinnerte er sich an etwas anderes: Lady Gwendolyn, die ihm einen lieblichen Blick zuwarf und ihre Lippen länger als nötig auf seiner Wange verweilen ließ. Beim letzten Festmahl der Burg war ihm aufgefallen, wie Malcolm sie gierig und voller Verlangen angesehen hatte. Und Malcolms gewalttätiger Ausbruch vor wenigen Minuten hatte sehr wie Eifersucht gewirkt.
Gott, ich will sie nicht! Am liebsten hätte Christian die Tür geöffnet und es laut hinausgeschrien. Doch Malcolm war schon lange fort.
IM ALTER von acht Jahren war Christian Page im Haushalt seines Vaters geworden. Die meisten Jungen wurden dafür zu anderen Burgen geschickt, doch er war lediglich ein siebter Sohn. Regeln und Gebräuche wurden da weniger ernst genommen. Sein Vater behandelte seine Bediensteten streng und seine älteren Brüder verlangten viel. So verrichtete er seinen Dienst, bis er alt genug für die Rolle eines Knappen war.
Seine Brüder übten sich oft und lange auf dem Platz neben den Ställen. Wenn er gerade keiner anderen Aufgabe nachging, verlangte man von ihm, sich ihnen anzuschließen. Anfangs freute er sich darauf und sah mit leuchtenden Augen die stumpfen Holzschwerter und die beweglichen Ziele an. Doch sobald er sich auf dem Übungsplatz befand, wurde er herumgeschubst, schikaniert und verprügelt, während man von ihm erwartete, gleich mit seinen älteren Brüdern mithalten zu können und nicht nachzulassen. Der Unterricht im Umgang mit der Waffe wurde zu einer erniedrigenden Qual, der er nicht entrinnen konnte.
So verschluckte Finsternis den Rest seiner Kindheit, als wäre sie von einem schwarzen Drachen mit messerscharfen Zähnen verschlungen worden. Der einzige Trost war seine Schwester Ayleth, die seine Wunden versorgte und ihn des Nachts in den Armen hielt, während er weinte. Manchmal weinte sie mit ihm.
Der sechs Jahre ältere Malcolm stand mindestens zweimal kurz davor, ihn auf dem Übungsplatz zu töten. Allein der wachsame Blick des Ritters Sir Andrew, der sie unterrichtete, verhinderte das. Niemand anders bemerkte es – oder zumindest gab es niemand zu. Doch Christian wusste es und Malcolm ebenfalls. Zwar verdankte er seinen anderen Brüdern zahlreiche Schrammen und halbherzige Beschimpfungen, allerdings hasste ihn keiner von ihnen so sehr wie Malcolm. Kein anderer von ihnen brach ihm Rippen, zerquetschte ihm Finger oder trat ihn so fest zwischen die Beine, dass er eine Woche lang Blut pinkelte.
Mit Malcolm stimmte schon damals etwas nicht und es wurde nur schlimmer. Christian wusste, dass sein Vater und seine anderen Brüder sich ebenfalls sorgten, jedoch erfuhren sie niemals, wie schlimm es wirklich war, da Malcolm sich seine grausamste Seite für Christian aufsparte. Wenn Christian sich beschwerte, wirkte er daher schwach und kindisch. Hin und wieder ermahnten Thomas, Stephen oder einer der anderen Malcolm, ihn in Ruhe zu lassen, was allerdings nicht lange Wirkung zeigte und ihm auf Dauer nicht helfen konnte. Es war nicht genug. Und sein Vater? Der edle Lord tat ihre Auseinandersetzungen als kleines Ärgernis ab.
Letztendlich blieb Christian keine Wahl: Um zu überleben, musste er stärker werden, bis er schließlich so brutal und wild kämpfte wie seine Brüder. Sein lieblicher Mund lernte, aggressiv die Zähne zu zeigen, während sich sein scharfer Verstand Listen und Täuschungsmanövern zuwandte.
Einmal, als Malcolm seinen dreizehnjährigen Bruder „versehentlich“ vom Heuhaufen stieß, den sie gerade aufschichteten, schob Christian ihn gegen einen Wagen und stellte ihm eine einzige Frage: warum?
„Weil du schwach bist, Bruder“, antwortete Malcolm mit tiefer, furchterregender Stimme. „Schwach und klein. Und du weißt, was mit dem Kümmerling eines Wurfs passiert.“
„Ich bin kein Kümmerling!“, protestierte Christian, wenngleich eine unerklärliche Scham in ihm aufstieg.
Malcolms einzige Antwort war ein boshaftes Lächeln.
So kam es dazu, dass Christian jede Nacht Türen und Fenster verschloss und selbst innerhalb der Burg mehrere scharfe Messer bei sich trug. Durch seine Zeit als Knappe entkam er seinen Brüdern einige Jahre, was sie zu den besten Jahren seines Lebens machte. Leider holte ihn sein altes Leben so sicher wieder ein wie Treibsand einen Mann in die Tiefe zog: Sein Vater beorderte ihn zurück. Nachdem er sich seine Sporen verdient hatte, war er ein Ritter und als Ritter musste er seinem Vater dienen.
Bei all den Menschen, die ihn dort in ihr Bett, in die Ehe oder in den Tod locken wollten, war die Burg seines Vaters gefährlicher als jedes Schlachtfeld.
BEI SEINER Ankunft hatte William darum gebeten, bei Lord Brandon vorsprechen zu dürfen. Er verbrachte fünf Nächte mit den anderen Gästen im Rittersaal der Burg, bis man ihm seine Bitte gewährte. Das Warten fiel ihm schwer, denn seine Sorge um Elaine machte ihn unruhig. Trotzdem zwang er sich dazu – schließlich war Lord Brandon seine größte Hoffnung.
Um sich die Zeit zu vertreiben, half William bei den Kampfübungen der jungen Männer, be- und entlud Wagen und machte sich auch sonst nützlich, wann immer es möglich war. Manchmal durchstreifte er auf Tristan stundenlang die Umgebung der Burg. Und er übte sich in Geduld.
Zwischendurch kam er mit zwei Söhnen des Lords ins Gespräch, Sir Thomas und Sir Stephen. Sie tauschten sich über Schlachten sowie weit entfernte Adlige und ihre Bewaffnung aus und er nutzte die Gelegenheit, um sich bei ihnen einzuschmeicheln, so sehr es sein Stolz und seine Ehre erlaubten.
Auch Christian sah er einige Male, zumindest aus der Ferne. Es erinnerte ihn jedes Mal an die Blicke, die sie am Turnierplatz getauscht hatten – was wiederum dazu führte, dass William unruhig und wütend wurde. Gegen seinen Willen starrte er den jungen Mann an. Doch wenn Sir Christian sich zu ihm umdrehte, wandte er sich ab. Als Sir Christian einmal eindeutig auf ihn zuging, um ihn anzusprechen, gab er sogar vor, es nicht zu bemerken, und schwang sich auf sein Pferd, um davonzureiten.
Ihm war klar, wie feige und unhöflich er sich verhielt. Trotzdem redete er sich ein, dass er nichts mit Sir Christian gemeinsam haben könne und es besser sei, peinliche Situationen zu vermeiden.
Am Abend des sechsten Tages, als der größte Teil der Turniergäste die Burg verlassen hatte, aß Lord Brandon allein mit seiner Familie zu Abend. William wurde eingeladen, sich zu ihnen zu gesellen und sein Gesuch vorzubringen.
Lord Brandon hatte an der Stirnseite der Tafel Platz genommen. Sein ältester Sohn Edward saß zu seiner Linken, der zweitälteste Stephen zur Rechten, und so reihten sich seine Söhne an beiden Seiten des Tisches auf. Frauen und Kinder befanden sich an einem weiteren Tisch, während ein dritter den höchstrangigen Rittern und einigen Gästen Platz bot. William wusste, dass eine Gelegenheit für ein privateres Gespräch mit dem Burgherrn unwahrscheinlich war. Es hieß wohl jetzt oder nie.