Dienstvereinbarungen nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland (MVG-EKD) - Christian Warns - E-Book

Dienstvereinbarungen nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland (MVG-EKD) E-Book

Christian Warns

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Beschreibung

Der Autor nimmt eine dogmatische Betrachtung des im Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland vorgesehenen Rechtsinstituts der Dienstvereinbarung vor. Ausgehend vom verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht der Kirche wird zu zentralen Fragen Stellung genommen, die sich aus dem Zusammenspiel der Privatrechtsordnung mit dem kirchlichen Recht ergeben. Behandelt wird zum einen die kirchengesetzlich angeordnete normative Wirkung der Dienstvereinbarung. Zum anderen erfolgt eine tiefgehende Auseinandersetzung, in welchem Umfang den Dienstvereinbarungsparteien die Befugnis zur Regelung von Arbeitsbedingungen zukommt. Ein besonderes Augenmerk wird darauf gerichtet, dass das kirchliche Rechtsinstitut stets in seiner Eigenständigkeit gegenüber der Betriebsvereinbarung zu würdigen ist.

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INAUGURALDISSERTATIONzur Erlangung der Doktorwürdeder Juristischen Fakultät derRuprecht-Karls-Universität Heidelberg

vorgelegt 2018 vonChristian Warns

Berichterstatter:

Prof. Dr. Markus StoffelsProf. Dr. Thomas Lobinger

Christian Warns

Dienstvereinbarungen nachdem Mitarbeitervertretungsgesetzder Evangelischen Kirche inDeutschland (MVG-EKD)

1. Auflage 2019Alle Rechte vorbehalten© 2019, Lambertus-Verlag, Freiburg im Breisgauwww.lambertus.deUmschlaggestaltung: Nathalie Kupfermann, BollschweilDruck: Franz X. Stückle Druck und Verlag, EttenheimISBN 978-3-7841-3229-7ISBN eBook 978-3-7841-3417-8

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einführung

A. Anlass und Gegenstand der Untersuchung

B. Gang der Untersuchung

C. Weitere hervorzuhebende Untersuchungsschwerpunkte

Erstes Kapitel: Grundlegung

§ 1 Staatskirchenrechtliche Grundlegung

A. Verhältnis von Staat und Kirche

I. Staatliche Perspektive

1. Staatskirchenrechtlicher Kompromiss der Weimarer Reichsverfassung

2. Regelung des Staatskirchenrechts unter dem Grundgesetz

3. Verhältnis von Selbstbestimmungsrecht und Religionsfreiheit

4. Zusammenfassung

II. Kirchliche Perspektive

III. Zusammenfassung

B. Selbstbestimmungsrecht der Kirche und Mitarbeitervertretungsrecht

I. Einfachgesetzliche Exemtionen zugunsten der Kirche

II. Verfassungsrechtliche Garantie und Mitarbeitervertretungsrecht

1. Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts

a. Begriff der Religionsgemeinschaft

b. Ordnen und Verwalten

c. Bestimmung der eigenen Angelegenheiten

2. Schranke des für alle geltenden Gesetzes

a. Entwicklung des Schrankenbegriffs: Von der Heckel‘schen Formel zur Abwägungslösung

b. Kritik an der Abwägungslösung und Vorzugswürdigkeit eines kollisionsrechtlichen Ansatzes

c. Grundgesetzlicher Einfluss auf das kirchliche Mitarbeitervertretungsrecht

C. Zusammenfassung zur staatskirchenrechtlichen Grundlegung und Folgerungen für die weitere Untersuchung

§ 2 Leitideen des kirchlichen Mitarbeitervertretungsrechts

A. Kirchlicher Auftrag

B. Dienstgemeinschaft und vertrauensvolle Zusammenarbeit

§ 3 Die kirchliche Dienstvereinbarung im Überblick

A. Unterscheidung zweier Dienstvereinbarungstypen

I. Organisationsdienstvereinbarungen

II. Materielle Dienstvereinbarungen

B. Zustandekommen der Dienstvereinbarung

I. Abschluss durch rechtsgeschäftliche Vereinbarung

II. Schriftform und Bekanntgabe

III. Freiwilligkeit des Abschlusses

C. Geltungsbereich der Dienstvereinbarung

D. Beendigung der Dienstvereinbarung

E. Rechtsschutzmöglichkeiten

Zweites Kapitel: Die normative Wirkung

§ 4 Legitimationsbedürfnis für die normative Wirkung

§ 5 Rückführung der normativen Wirkung auf die freiheitliche Selbstbestimmung der Arbeitsvertragsparteien

A. Begünstigende Regelungen – Vertrag zugunsten Dritter

B. Zurechnung fremden Handelns – rechtsgeschäftliche Unterwerfung unter ein Dritthandeln

I. Keine rechtsgeschäftliche Unterwerfung unter das Handeln der Mitarbeitervertretung

II. Keine rechtsgeschäftliche Unterwerfung unter das Handeln der Dienststellenleitung

1. Keine ausdrückliche rechtsgeschäftliche Unterwerfung

2. Keine konkludente rechtsgeschäftliche Unterwerfung

III. Keine rechtsgeschäftliche Unterwerfung unter das Handeln der Dienstvereinbarungsparteien

C. These von der Arbeitsvertragsrechtsakzessorietät des Betriebsverfassungsrechts

D. Ergebnis zur Rückführbarkeit der normativen Wirkung auf die freiheitliche Selbstbestimmung der Arbeitsvertragsparteien

§ 6 Rückführung der normativen Wirkung auf die staatliche Rechtsetzungsmacht

A. Staatlich-demokratische Legitimation der normativen Wirkung der Betriebsvereinbarung

I. Übertragung staatlicher Rechtsetzungsmacht auf die Betriebsparteien

II. Kritik der Vorstellung einer übertragenen Rechtsetzungsmacht

III. Staatliche Anerkennung der privatrechtlichen Regelbildung

IV. Folgerungen

B. Staatlich-demokratische Legitimation der normativen Wirkung der kirchlichen Dienstvereinbarung aufgrund eines staatlichen Geltungsbefehls

I. Geltung aufgrund einer Analogie zu § 77 Abs. 4 BetrVG?

1. Staatlicher Geltungsbefehl für kirchliche Arbeitsrechtsregelungen – § 4 Abs. 1 TVG analog?

2. Staatlicher Geltungsbefehl für kirchliche Dienstvereinbarungen – § 77 Abs. 4 BetrVG analog?

II. Geltung aufgrund der §§ 118 Abs. 2 BetrVG, 112 BPersVG?

III. Geltung aufgrund von Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV?

C. Ergebnis zur Rückführbarkeit der normativen Wirkung auf die staatliche Rechtsetzungsmacht

§ 7 Rückführung der normativen Wirkung auf die kirchliche Rechtsetzungsmacht

A. Standpunkt des 1. Senats des Bundesarbeitsgerichts

B. Überblick zu den Standpunkten im Schrifttum

C. Ansatz von Thüsing: Normative Wirkung aufgrund staatlicher „Pflicht zur Gleichbehandlung“

D. Eigener Standpunkt zur normativen Wirkung der Dienstvereinbarung

I. Grundsatz – Wirkung kirchlichen Rechts im staatlichen Rechtskreis

II. Unerheblichkeit des Einwands bindender Rechtswahl

1. Wahl der Privatrechtsordnung – Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

2. Wahl der Privatrechtsordnung und Ausgestaltung des Mitarbeitervertretungsrechts als einheitliche Ausübung des Selbstbestimmungsrechts

III. Normative Wirkung der Dienstvereinbarung als Ergebnis einer Kollisionsauflösung

1. Normative Wirkung der Dienstvereinbarung als Ergebnis einer kollisionsrechtlichen Zuordnung des kirchlichen Selbstverständnisses und der Privatautonomie

2. Normative Wirkung der Dienstvereinbarung zugleich als Ausgleich zwischen der Privatautonomie und dem staatlichen Schutzpflichtauftrag

3. Zusammenfassung

IV. Ergänzende Überlegungen zur normativen Wirkung

1. Regelungsbefugnis des kirchlichen Gesetzgebers und Gestaltung des kirchlichen Dienstes mittels der staatlichen Privatrechtsordnung

2. Vermeidung von Widersprüchen bei der praktischen Anwendung des Mitarbeitervertretungsgesetzes

E. Fazit zur normativen Wirkung der Dienstvereinbarung

Drittes Kapitel: Die Reichweite der Regelungsbefugnis

§ 8 Rechtsvergleichender Ansatz der Literatur

A. Meinungsspektrum zur Reichweite der Befugnis der Betriebsparteien, Arbeitsbedingungen durch eine Betriebsvereinbarung zu regeln

I. Rechtsprechung und Teile des Schrifttums: Umfassende Regelungsbefugnis für alle Arbeitsbedingungen

II. Gegenstimmen in der Literatur: Begrenzte Befugnis zur Regelung von Arbeitsbedingungen

III. Zusammenfassung des Meinungsspektrums

B. Bewertung des rechtsvergleichenden Ansatzes

C. Fortgang der Untersuchung

§ 9 Kirchengesetzliche Vorschriften als Grundlage einer umfassenden Regelungsbefugnis

A. § 36 MVG-EKD als Grundlage einer umfassenden Regelungsbefugnis?

B. §§ 33 und 34 MVG-EKD als Grundlage einer umfassenden Regelungsbefugnis?

C. § 35 MVG-EKD als Grundlage einer umfassenden Regelungsbefugnis?

D. Ergebnis: Keine generelle mitarbeitervertretungsgesetzliche Anerkennung einer umfassenden Regelungsbefugnis

§ 10 Bestimmung der Reichweite der Regelungsbefugnis in Anlehnung an die Vorschriften über die Beteiligung der Mitarbeitervertretung – §§ 37 ff. MVG-EKD

A. Reichweite der Regelungsbefugnis in den Angelegenheiten des § 40 MVG-EKD

I. Wortlautanalyse des § 40 MVG-EKD

II. Logisch-systematischer Bezugsrahmen des § 40 MVG-EKD

1. Systematischer Einfluss von § 47 MVG-EKD (Initiativrecht)

2. Systematischer Zusammenhang von § 40 MVG-EKD und § 38 Abs. 1 MVG-EKD

a. Implikationen der verschiedenen Begründungsansätze zur Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung

b. Unbestimmbarkeit der kirchengesetzgeberischen Motive für die Anordnung der Unwirksamkeitsfolge

c. Stellungnahme zur logisch-systematischen Relevanz des § 38 Abs. 1 MVG-EKD

3. Logisch-systematischer Zusammenhang zwischen dem Günstigkeitsprinzip und der Lesart des § 40 MVG-EKD

III. Teleologische Erwägungen zu § 40 MVG-EKD

1. Konkretisierung der möglichen Zwecke anhand der zum Betriebsverfassungsgesetz diskutierten Funktionen betrieblicher Mitbestimmung

a. Schutzfunktion der betrieblichen Mitbestimmung

b. Teilhabefunktion der betrieblichen Mitbestimmung

c. Ausgleichsfunktion der betrieblichen Mitbestimmung

d. Überlegungen zum weiteren Gang der Untersuchung

2. Teilhabe des Arbeitnehmerkollektivs als Funktion der Mitbestimmung nach § 40 MVG-EKD

a. Teilhabe aufgrund der Stellung der Mitarbeitervertretung als gleichberechtigter Partner und Repräsentant?

b. Genereller Kollektivbezug der Mitbestimmungstatbestände als Konsequenz der Teilhabefunktion?

c. Stärkung des Individualschutzes und nicht bloß kollektive Teilhabe durch § 40 lit. b) und lit. j) MVG-EKD

d. Unvereinbarkeit des Topos der Subjektstellung der Mitarbeitervertretung mit einer abschließenden Aufzählung der mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten

e. Ausrichtung der Mitbestimmung in personellen Angelegenheiten

f. Fazit zur Teilhabefunktion

3. Schutz des einzelnen Arbeitnehmers als Funktion der Mitbestimmung nach § 40 MVG-EKD

a. Wirkungsweise des Mitarbeitervertretungsrechts

b. Unergiebigkeit von Historie und Genese

c. Methodische Überlegungen zur Ermittlung der mutmaßlichen Regelungsabsicht des Gesetzgebers

d. Entscheidung gegen eine vertragsimparitätskompensierende Wirkung des Mitarbeitervertretungsgesetzes

e. Fazit zur Schutzfunktion

4. Horizontaler Interessenausgleich der Arbeitnehmer untereinander als Funktion der Mitbestimmung nach § 40 MVG-EKD

a. „Non liquet“ als Ergebnis einer Analyse der Einzeltatbestände des § 40 MVG-EKD

b. Genese des § 40 MVG-EKD

c. Systematische Betrachtung: Ausgleichsfunktion im Rahmen der personellen Angelegenheiten – das Zustimmungsverweigerungsrecht nach § 41 Abs. 1 lit. b) Var. 2 MVG-EKD

d. Fazit zur Ausgleichsfunktion

IV. Ergebnis zur Reichweite der Regelungsbefugnis in den Angelegenheiten des § 40 MVG-EKD

B. Folgerungen für die allgemeine Regelungsbefugnis der Dienstvereinbarungsparteien

Viertes Kapitel: Die Grenzen der Regelungsbefugnis

§ 11 Grenzziehung zur Sicherung der Individualfreiheit des Arbeitnehmers

A. Bedeutung des Günstigkeitsprinzips

B. Keine gegenständliche Begrenzung der Dienstvereinbarung auf generelle Regelungen

C. Keine Grenzziehung durch eine gerichtliche Billigkeitskontrolle

D. Zwingendes Recht als Grenze der Regelungsbefugnis

I. Unanwendbarkeit der Schranken rechtsgeschäftlicher Freiheit

1. Keine AGB-Kontrolle der Dienstvereinbarung

a. Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur

b. Stellungnahme zur AGB-Kontrolle kirchlicher Dienstvereinbarungen

2. Unzulässigkeit des Rückgriffs auf die privatrechtlichen Schranken rechtsgeschäftlicher Freiheit

II. Bindung an „Recht“ und „Billigkeit“ nach Maßgabe des § 33 Abs. 1 S. 3 MVG-EKD

1. Bindung an die „Billigkeit“

2. Bindung an das „Recht“

a. Inhaltliche Bestimmung: zwingende Rechtssätze der kirchlichen und staatlichen Arbeitsrechtsordnung

b. Im Einzelnen: einfachgesetzlich vermittelter Individualschutz im staatlichen Recht

c. Im Einzelnen: Bindung an die in den Grundrechten zum Ausdruck kommende, im Privatrecht wirksame objektive Werteordnung

III. Ergebnis: Individualschutz durch umfassende Bindung an das geltende Recht

§ 12 Grenzziehung zur Sicherung der Koalitionsfreiheit

A. § 36 Abs. 1 S. 2 MVG-EKD: Vorrang der auf koalitionären Rechtsvorschriften beruhenden Regelungen

I. Voraussetzungen der Sperrwirkung

1. „Rechtsvorschrift“ im Sinne des § 36 Abs. 1 S. 2 MVG-EKD

2. „Regelungen“ im Sinne des § 36 Abs. 1 S. 2 MVG-EKD

II. Reichweite der Sperrwirkung

III. Bedeutung der Sperrwirkung des § 36 Abs. 1 S. 2 MVG-EKD für die Regelungsbefugnis der Dienstvereinbarungsparteien

B. § 36 Abs. 1 S. 3 MVG-EKD: Erweiterung der Vorrangregelung für Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen

I. Begriff der Üblichkeit

II. Gegenständlicher Bezugspunkt der Sperrwirkung

1. Begriff der Arbeitsentgelte

2. Begriff der sonstigen Arbeitsbedingungen

a. Hintergründe der Begriffsdiskussion

b. Folgerungen für die Begriffsbestimmung im Rahmen des § 36 Abs. 1 S. 3 MVG-EKD

III. Ausnahmen von der Sperrwirkung

1. Vorrang der Dienstvereinbarung im Bereich der mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten

2. Aufhebung der Sperrwirkung durch Öffnungsklauseln

IV. Bedeutung der Sperrwirkung des § 36 Abs. 1 S. 3 MVG-EKD für die Regelungsbefugnis der Dienstvereinbarungsparteien

C. Ergebnis: Sicherung der Koalitionsfreiheit durch § 36 Abs. 1 S. 2 und 3 MVG-EKD

Zusammenfassende Thesen

Erstes Kapitel: Grundlegung

§ 1 Staatskirchenrechtliche Grundlegung

§ 2 Leitideen des kirchlichen Mitarbeitervertretungsrechts

§ 3 Die kirchliche Dienstvereinbarung im Überblick

Zweites Kapitel: Die normative Wirkung

§ 4 Legitimationsbedürfnis für die normative Wirkung

§ 5 Rückführung der normativen Wirkung auf die freiheitliche Selbstbestimmung der Arbeitsvertragsparteien

§ 6 Rückführung der normativen Wirkung auf die staatliche Rechtsetzungsmacht

§ 7 Rückführung der normativen Wirkung auf die kirchliche Rechtsetzungsmacht

Drittes Kapitel: Die Reichweite der Regelungsbefugnis

§ 8 Rechtsvergleichender Ansatz der Literatur

§ 9 Kirchengesetzliche Vorschriften als Grundlage einer umfassenden Regelungsbefugnis

§ 10 Bestimmung der Reichweite der Regelungsbefugnis in Anlehnung an die Vorschriften über die Beteiligung der Mitarbeitervertretung – §§ 37 ff. MVG-EKD

Viertes Kapitel: Die Grenzen der Regelungsbefugnis

§ 11 Grenzziehung zur Sicherung der Individualfreiheit des Arbeitnehmers

§ 12 Grenzziehung zur Sicherung der Koalitionsfreiheit

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Der Autor

Vorwort

Die Untersuchung wurde von der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg im Wintersemester 2019/2020 als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung konnten bis zum 25. Juli 2018 berücksichtigt werden. Die Änderungen, die das Mitarbeitervertretungsgesetz im Rahmen seiner Neubekanntmachung vom 1. Januar 2019 erfahren hat, konnten nicht mehr in die Betrachtungen einfließen.

Danken möchte ich zunächst meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Markus Stoffels, an dessen Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht und Unternehmensrecht ich viele lehrreiche Jahre – zunächst als studentische Hilfskraft und später als wissenschaftlicher Mitarbeiter – verbringen durfte. Rückblickend betrachtet, war diese Zeit sowohl für meine fachliche als auch für meine persönliche Entwicklung prägend. Der stets offene und unvoreigenommene Austausch – nicht zuletzt auch zu Fragen des kirchlichen Arbeitsrechts – hat maßgeblich dazu beigetragen, dass diese Untersuchung zur Dienstvereinbarung entstehen konnte. Den spannenden Vorlesungen zum Arbeitsrecht von Herrn Prof. Dr. Thomas Lobinger verdanke ich es, dass überhaupt ein Interesse am Arbeitsrecht bei mir geweckt wurde; ein besonderer Dank gilt ihm auch für die Übernahme und Erstellung des Zweitgutachtens.

Zu danken habe ich allen Mitarbeitern des Lehrstuhls, mit denen es mir eine große Freude war, in den vielen Jahren zusammenarbeiten zu dürfen. Für die vielen fachlichen Gespräche und das freundschaftliche Miteinander danke ich besonders Diana Buntner, Dr. Sabrina Traeger, Dr. Michel Hoffmann, Hazel Franke, Theresa Bauerdick, Verena Hettche und Florian Klein. Nicht unerwähnt bleiben darf auch Nicole Bung, die im Sekretariat als die gute Seele des Lehrstuhls bei sämtlichen Nöten die erste Anlaufstelle ist und ganz maßgeblich zum guten Arbeitsklima am Lehrstuhl beiträgt.

Ein besonders großer und herzlicher Dank gebührt meinen Eltern, Rose-Maria und Dr. Rüdiger Warns, die nicht nur in theologischen Fragen hilfreiche Gesprächspartner waren, sondern mir durch ihre großartige Unterstützung und Förderung erst die akademische Ausbildung ermöglicht haben.

Von Herzen dankbar bin ich für die fachliche Unterstützung, die unendliche Geduld und den stets liebevollen Beistand, die mir meine Lebenspartnerin Maxi-Madelaine Liebholz während des gesamten Forschungszeitraums hat zukommen lassen.

Heilbronn, im Oktober 2019

Christian Warns

Einführung

A. Anlass und Gegenstand der Untersuchung

Das Zweite Kirchengesetz über Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Deutschland 2013 (Mitarbeitervertretungsgesetz der EKD – MVG-EKD)1 vom 12. November 2013 stellt als besonderes mitarbeitervertretungsrechtliches Rechtsinstitut die Dienstvereinbarung zur Verfügung. Bei ihr handelt es sich um eine kirchenrechtliche Regelungsform, durch die die Mitarbeitervertretung und die Dienststellenleitung (Dienststellenpartner2) gemeinsam und einvernehmlich zum einen die mitarbeitervertretungsrechtliche Organisationsstruktur und zum anderen die Arbeitsbedingungen in einer kirchlichen Dienststelle gestalten können.3

Mit der Verwendung des Begriffs der „Dienstvereinbarung“ orientiert sich das Mitarbeitervertretungsgesetz terminologisch am Personalvertretungsrecht.4 Der Begriff der „Dienstvereinbarung“ bezeichnet im staatlichen Kontext das personalvertretungsrechtliche „Pendant zur Betriebsvereinbarung“.5 Der arbeitsrechtswissenschaftliche Diskurs behandelt jedoch seither vorwiegend das betriebsverfassungsrechtliche Rechtsinstitut der Betriebsvereinbarung, während es vertiefte Untersuchungen zur Dienstvereinbarung kaum gibt.6 Als gewissermaßen kleine Schwester partizipiert letztere allerdings an den zur Betriebsvereinbarung gefundenen Erkenntnissen.7 Ganz ähnlich verhält es sich bislang mit der wissenschaftlichen Auseinandersetzung zur kirchlichen Dienstvereinbarung. Auch sie wurde nur selten zum Gegenstand eigenständiger Untersuchungen gemacht; überwiegend beschränkt sich die einschlägige Literatur darauf, die Erkenntnisse zur Betriebsvereinbarung zu übertragen.8

Der ausschließlich vergleichende Blick läuft jedoch Gefahr, Unterschiede zwischen den Rechtsinstituten zu übersehen, herkömmliche Ansichten unreflektiert zu übertragen oder gar die selbstständige kritische Beurteilung des Rechtsinstituts aus reiner Bequemlichkeit zu vermeiden. Eine allein auf das Mittel des Vergleichs setzende Würdigung der Dienstvereinbarung vermag das Bedürfnis nach möglichst präzisen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht zu befriedigen und sollte daher stets nur eine Notlösung in Ermangelung besserer Alternativen darstellen. Die in den vergangenen Jahren fortschreitende Vereinheitlichung des Mitarbeitervertretungsrechts in den evangelischen Gliedkirchen bietet nunmehr zudem die Chance, sich mit einem fast9 für den gesamten Bereich der evangelischen Kirche einheitlich ausgestalteten Rechtsinstitut der Dienstvereinbarung zu befassen.10

Die große Zahl der im Bereich der evangelischen Kirche Beschäftigten bietet schließlich schon für sich genommen genügend Anlass, sich vertieft mit dem mitarbeitervertretungsrechtlichen Rechtsinstitut der Dienstvereinbarung zu befassen. Im Jahr 2017 waren etwa 701.000 Menschen hauptamtlich in Einrichtungen der evangelischen Kirche beschäftigt;11 hiervon entfielen 465.000 Mitarbeiter auf die diakonischen Einrichtungen,12 während knapp 236.000 Mitarbeiter in der verfassten Kirche tätig waren.13 Das Mitarbeitervertretungsrecht gilt für fast alle diese Mitarbeiter. Mitarbeiter im Sinne des Mitarbeitervertretungsgesetzes sind nach § 2 Abs. 1 MVG-EKD alle in öffentlich-rechtlichen Dienst- oder privatrechtlichen Dienst- oder Arbeitsverhältnissen oder zu ihrer Ausbildung Beschäftigten einer Dienststelle; lediglich für Personen im pfarramtlichen Dienst, in der pfarramtlichen Ausbildung sowie für Lehrende an Hochschulen und Fachhochschulen kann das gliedkirchliche Recht gemäß § 2 Abs. 2 MVG-EKD andere Regelungen vorsehen. Da bei insgesamt über 80 Prozent aller Dienststellen tatsächlich auch eine Mitarbeitervertretung eingerichtet ist,14 hat die Dienstvereinbarung als maßgebliches Regelungsinstrument der Dienststellenpartner für eine Vielzahl von Beschäftigten eine praktische Relevanz.

Indes rechtfertigen nicht nur diese Überlegungen die vertiefte juristische Auseinandersetzung mit dem Rechtsinstitut der Dienstvereinbarung. Auch das Bundesarbeitsgericht befasste sich in der jüngeren Vergangenheit wiederholt mit diesem Regelungsinstrument.15 Hierbei erwähnte der 1. Senat obiter dictum in einer Entscheidung vom 24.06.2014, dass die kirchengesetzlich durch § 36 Abs. 3 MVG-EKD vorgesehene unmittelbare und zwingende (unabdingbare) Wirkung der Dienstvereinbarung im staatlichen Rechtskreis ohne Bedeutung sei.16 Aufgrund dieses Angriffs auf eine zuvor fast einhellig17 befürwortete Eigenschaft auch der kirchlichen Dienstvereinbarung sah sich jüngst ein Literaturvertreter zu der grundsätzlichen Frage „Dienstvereinbarung Quo Vadis?“18 veranlasst. Die mit diesem Ausruf verbundenen Anzeichen der Verunsicherung verdeutlichen auf einen Blick, vor welche Schwierigkeiten das Bundesarbeitsgericht den Rechtsanwender stellt; es nimmt ihm den Orientierungspunkt im Umgang mit der kirchlichen Dienstvereinbarung, denn unbewusst wird dem Rechtsanwender das tertium comparationis im Verhältnis zu der staatlichen Regelungsform der Betriebsvereinbarung entzogen. Die Möglichkeit eines simplen Vergleichs entfällt, da nun zumindest scheinbar Wesensverschiedenes miteinander verglichen wird. Für den wissenschaftlichen Diskurs zur kirchlichen Dienstvereinbarung kann diese Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts allerdings nur befruchtend wirken; sie fordert dazu auf, die Dienstvereinbarung als ein selbstständiges kirchenrechtliches Rechtsinstitut wahrzunehmen und sie als solches zum Gegenstand der rechtswissenschaftlichen Forschung und Kontroverse zu machen.19

Diese Bearbeitung will sich diesem Auftrag stellen und einen Grundlagenbeitrag zum kirchenrechtlichen Rechtsinstitut der Dienstvereinbarung leisten. Indessen erfordert es der Umfang der gesamten Thematik, den Untersuchungsgegenstand auf einige wesentliche Aspekte zu beschränken.

Zunächst soll die bundesarbeitsgerichtliche Rechtsprechung zur unmittelbaren und zwingenden Wirkung der Dienstvereinbarung aufgegriffen und auf ihre Stichhaltigkeit überprüft werden. Da mögliche Konflikte zwischen kirchlicher Rechtsetzung und staatlicher Rechtsordnung am deutlichsten im Rahmen der privatrechtlichen Ausgestaltung des kirchlichen Dienstes hervortreten, liegt es nahe, den Untersuchungsschwerpunkt auf die Frage zu legen, ob und – falls dies zu bejahen ist – inwieweit privatrechtlich ausgestaltete Arbeitsverhältnisse der unmittelbaren und zwingenden Gestaltung durch eine kirchliche Dienstvereinbarung zugänglich sind. Diese Gewichtung ist zudem vor dem Hintergrund gerechtfertigt, dass die überwiegende Zahl aller Mitarbeiter im kirchlichen Dienst ohnehin auf der Grundlage eines nach den Maßstäben der staatlichen Privatrechtsordnung abgeschlossenen Arbeitsvertrags beschäftigt ist20. Die eigentliche Bedeutung einer unmittelbaren und zwingenden Wirkung der Dienstvereinbarung verbleibt jedoch solange im Vagen, wie ungeklärt ist, welche Regelungen als Gegenstand einer Dienstvereinbarung überhaupt in Betracht kommen. Dies führt zu der Frage, in welchem Umfang die Dienstvereinbarungsparteien befugt sind, Arbeitsbedingungen zu regeln.

Aufgrund dessen lassen sich abschließend zwei Hauptschwerpunkte für diese Untersuchung benennen: Zum einen gilt es zu überprüfen, ob der Dienstvereinbarung eine unmittelbare und zwingende Wirkung für das privatrechtlich ausgestaltete Arbeitsverhältnis zukommt. Zum anderen ist zu ermitteln, in welchem Umfang die Dienstvereinbarungsparteien befugt sind, Arbeitsbedingungen für den einzelnen Mitarbeiter festzulegen.

1ABl. EKD 2013, S. 425 ff.

2Der Begriff der „Dienststellenpartner“ wird in der vorliegenden Arbeit als gemeinsame Bezeichnung von Dienststellenleitung und Mitarbeitervertretung verwendet. Er ist synonym zu dem im staatlichen Betriebsverfassungsrecht verwendeten Begriff der „Betriebsparteien“ zu verstehen, auf den bewusst im Kontext dieser Arbeit als Bezeichnung für die Dienststellenpartner verzichtet wird, da das kirchliche Mitarbeitervertretungsrecht nicht an den Betrieb, sondern an die Dienststelle als maßgebliche Organisationseinheit anknüpft.

3AKS/Andelewski, MVG.EKD, § 36 Rn. 1, 13; Baumann-Czichon/Gathman/Germer, MVG-EKD, § 36 Rn. 1 f., 7 f.; Fey/Rehren, MVG-EKD, § 36 Rn. 1, 3; Schielke, Mitarbeitervertretungsgesetz, S. 229.

4Fey, ZMV 1996, 117; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 19 Rn. 41; Schielke, Mitarbeitervertretungsgesetz, S. 229.

5So Richardi/Dörner/Weber/C. Weber, Personalvertretungsrecht, § 73 Rn. 1, 4; ebenso auch Altvater/Berg, BPersVG, § 73 Rn. 1.

6Repräsentativ für das vorrangige Interesse an der Betriebsvereinbarung ist auch die beträchtliche Anzahl von Habilitationsschriften, die sich mit ihr befassen, während es zur Dienstvereinbarung keine entsprechend umfangreiche Untersuchung gibt, vgl. zur Betriebsvereinbarung nur die Habilitationsschriften von Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses; Veit, Die funktionelle Zuständigkeit des Betriebsrats; Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie.

7Vgl. zu dem verweisenden Vorgehen nur Altvater/Berg, BPersVG, § 73 Rn. 1 ff.; Richardi/Dörner/Weber/C. Weber, Personalvertretungsrecht, § 73 Rn. 1 ff.; Ilbertz/Widmaier/Sommer, BPersVG, § 73 Rn. 12, 16, 19 f., 22.

8Vgl. zu dieser Vorgehensweise nur die einschlägige Kommentarliteratur zu § 36 MVG-EKD: AKS/Andelewski, MVG.EKD, § 36 Rn. 1 ff.; Baumann-Czichon/Gathman/Germer, MVG-EKD, § 36 Rn. 1 ff.; weniger ausgeprägt, wenngleich häufig mit Verweisen auf die übrige Kommentarliteratur zum Mitarbeitervertretungsgesetz Fey/Rehren, MVG-EKD, § 36 Rn. 1 ff.

9Zur Umsetzung des Mitarbeitervertretungsgesetzes in den Gliedkirchen Fey/Rehren, MVG-EKD, Einleitung Rn. 44 ff.

10Um nicht sogleich wieder unnötige Unschärfen zu provozieren, wird in dieser Arbeit davon abgesehen, die für das Mitarbeitervertretungsrecht der evangelischen Kirche ermittelten Ergebnisse auf das Recht der römisch-katholischen Kirche zu übertragen. Auch die Rahmenordnung für eine Mitarbeitervertretungsordnung (MAVO) kennt zwar die Dienstvereinbarung als mitarbeitervertretungsrechtliches Rechtsinstitut. Anders als in der evangelischen Kirche steht indessen die Dienstvereinbarung aufgrund der Regelung des § 38 MAVO überhaupt nur zur Regelung einzelner, abschließend festgelegter Angelegenheiten zur Verfügung. Daher sollte auch vor einer Übertragung der in dieser Arbeit gefundenen Ergebnisse stets genauestens überprüft werden, ob die Dienstvereinbarung nach dem Recht der römisch-katholischen Kirche nicht eine abweichende Beurteilung verlangt.

11EKD, Zahlen und Fakten, S. 20; siehe auch die entsprechende Angabe bei Fey/Rehren, MVG-EKD, Einleitung Rn. 1.

12EKD, Zahlen und Fakten, S. 31 (Statistik aus dem Jahr 2014).

13EKD, Zahlen und Fakten, S. 20 (Statistik aus dem Jahr 2017).

14Vgl. die Nichtamtliche Begründung zum Zweiten Kirchengesetz über Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Deutschland 2013 (MVG-EKD) vom 13. November 2013, S. 1, abrufbar unter http://www.kirchenrecht-ekd.de/document/12677 (Stand: 25.07.2018).

15Siehe nur BAG vom 22.03.2018 – 6 AZR 835/16, BeckRS 2018, 13917; vom 24.06.2014 – 1 AZR 1044/12, AP Nr. 74 zu § 611 BGB Kirchendienst; vom 20.12.2012 – 2 AZR 32/11, NZA-RR 2013, 627, 630 [Rn. 38 ff.]; vom 29.09.2011 – 2 AZR 523/10, NZA 2012, 628 ff.; vom 19.02.2003 – 4 AZR 11/02, NZA 2004, 54 ff.; ferner zu einer Dienstvereinbarung nach § 38 MAVO BAG vom 19.06.2007 – 1 AZR 340/06, AP Nr. 4 zu § 1a KSchG 1969.

16Vgl. BAG vom 24.06.2014 – 1 AZR 1044/12, AP Nr. 74 zu § 611 BGB Kirchendienst [Rn. 12]; zustimmend LAG Berlin-Brandenburg vom 25.01.2017 – 15 Sa 1891/16, BeckRS 2017, 108497 [Rn. 18]; die Frage offenlassend hingegen der 6. Senat, vgl. BAG vom 22.03.2018 – 6 AZR 835/16, BeckRS 2018, 13917 [Rn. 43].

17Stellvertretend für die Befürworter der normativen Wirkung siehe nur Fey, ZMV 1996, 117, 118; Joussen, ZTR 2007, 300, 303 m.w.N.; gegen die unmittelbare und zwingende Wirkung zuvor ausdrücklich nur Schliemann, NZA 2005, 976, 977; Reichold, ZMV-Sonderheft 2007, 14, 21.

18Wiszkocsill, ZMV 2017, 78.

19Erfreulich ist es, dass in der Literatur die kirchliche Dienstvereinbarung jüngst wiederholt in grundlegenderen Beiträgen in den Blick genommen wurde; vgl. nur Joussen, RdA 2016, 320 ff. („Die normative Wirkung kirchlicher Dienstvereinbarungen nach § 36 Abs. 3 MVG.EKD und § 38 Abs. 3a MAVO“); Reichold, ZTR 2016, 294 ff. („Regelungskompetenz und Normwirkung von Betriebs- und Dienstvereinbarungen (insbesondere in kirchlichen Einrichtungen)“); Klumpp, ZAT 2017, 172 ff. („Normative Wirkung kirchlicher Dienstvereinbarungen“).

20Hierzu Baumann-Czichon/Gathman/Germer, MVG-EKD, Einleitung Rn. 9.

B. Gang der Untersuchung

Für die Bearbeitung dieser beiden Hauptschwerpunkte wird eine grobe Untergliederung von insgesamt vier Kapiteln gewählt. Am Ende der Arbeit werden die wichtigsten Erkenntnisse in Thesen zusammengefasst.

Der Untersuchung zur Dienstvereinbarung wird im ersten Kapitel21 zunächst eine thematische Grundlegung vorangestellt. Bereits die ausgewählten Bearbeitungsschwerpunkte lassen erkennen, dass die Ergebnisfindung stets davon abhängig sein wird, in welchem Verhältnis kirchliches und staatliches Recht stehen. Bevor daher das Rechtsinstitut der Dienstvereinbarung eingehender in den Blick genommen werden kann, bedarf es der Klärung, wie sich kirchliche und staatliche Rechtsetzung zueinander verhalten. Ein besonderes Augenmerk ist in diesem Kontext auf die in Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV enthaltene verfassungsrechtliche Verbürgung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts zu legen, da die Möglichkeiten eines kirchenrechtlichen Einwirkens in den säkularen Rechtskreis durch diese Verfassungsbestimmung abschließend vorgegeben werden (hierzu unter § 1).22 Daneben bedarf es vorab einer Einschätzung, welche rechtlichen Konsequenzen sich aus den in der Präambel zum Mitarbeitervertretungsgesetz aufgeführten Leitideen für die Beurteilung der kirchlichen Dienstvereinbarung ergeben können. Kirchlicher Dienst ist nach dem Selbstverständnis der Kirche kein Selbstzweck, sondern stets dem kirchlichen Sendungsauftrag verpflichtet; die Präambel weist darauf hin, dass die gemeinsame Verantwortung für den Dienst der Kirche und ihrer Diakonie die Dienststellenleitung und die Mitarbeiter zu einer Dienstgemeinschaft verbindet und sie zu vertrauensvoller Zusammenarbeit verpflichtet (hierzu unter § 2).23 Ausgehend von diesen allgemeinen Grundlagen erfolgt sodann anhand der mitarbeitervertretungsrechtlichen Vorschrift des § 36 MVG-EKD eine überblicksartige Analyse des Rechtsinstituts der Dienstvereinbarung. Mit diesen die Grundlegung abschließenden Ausführungen werden die notwendigen Verständnisvoraussetzungen für die in den folgenden Kapiteln zu erörternden Bearbeitungsschwerpunkte geschaffen (hierzu unter § 3).24

Im Mittelpunkt des zweiten Kapitels25 steht die Frage nach der unmittelbaren und zwingenden, kurz der normativen Wirkung der Dienstvereinbarung. Der zentrale und die Untersuchung in diesem Kapitel leitende Gedanke ergibt sich aus der Überlegung, ob und auf welche Weise sich eine normative Wirkung gegenüber den Regelungsadressaten legitimieren lässt. Es wird aufgezeigt werden, dass im Grunde drei unterschiedliche Ansätze für die Legitimation einer Normwirkung in Betracht kommen (hierzu unter § 4).26 Der erste Ansatz setzt auf die Vorstellung, dass sich die normative Wirkung auf einen freiheitlichen Akt der Selbstbestimmung der Arbeitsvertragsparteien zurückführen lassen kann (hierzu unter § 5).27 Der zweite Ansatz bezieht demgegenüber die normative Wirkung der Dienstvereinbarung auf einen Akt staatlicher Rechtsetzung (hierzu unter § 6).28 Der dritte Ansatz geht wiederum von einer eigenständigen kirchlichen Legitimationsquelle aus und fragt, ob und in welchem Umfang der kirchliche Gesetzgeber in der Lage ist, die Dienstvereinbarung mit einer normativen Wirkung gegenüber ihren Regelungsadressaten auszustatten (hierzu unter § 7)29. Ausgehend von dem dritten Ansatz wird die normative Wirkung der Dienstvereinbarung in Abhängigkeit von der Reichweite der Regelungsbefugnis bejaht werden.

Im dritten Kapitel30 wird untersucht, wie weit die Befugnis der Dienststellenpartner zur Regelung von Arbeitsbedingungen in einer Dienstvereinbarung reicht. Aufgegriffen wird zunächst ein im Schrifttum verbreiteter Vorschlag, dem zufolge die Reichweite der Regelungsbefugnis schlicht in Anlehnung an das staatliche Rechtsinstitut der Betriebsvereinbarung bestimmt werden soll (hierzu unter § 8)31. Dieser Weg ist jedoch aus mehreren Gründen nicht gangbar, weshalb im Anschluss eine umfassende Auswertung der Vorschriften des Mitarbeitervertretungsrechts erfolgt, mittels derer versucht wird, die Reichweite der Regelungsbefugnis der Dienstvereinbarungsparteien positiv zu bestimmen. Zu diesem Zweck werden verschiedene Normen untersucht, aus denen sich eine umfassende Regelungsbefugnis ergeben könnte. Jedoch wird sich im Ergebnis keine Vorschrift des Mitarbeitervertretungsgesetzes als tragfähige Grundlage für die Annahme einer umfassenden Regelungsbefugnis erweisen (hierzu unter § 9)32.

Dieser Befund wird die Veranlassung dazu geben, die Reichweite der Regelungsbefugnis mittelbar anhand der Vorschriften über die Beteiligung der Mitarbeitervertretung zu bestimmen (hierzu unter § 10)33. Der weiteren Vorgehensweise in jenem Abschnitt liegt die Überlegung zugrunde, dass die Regelungsbefugnis der Dienstvereinbarungsparteien innerhalb des Kernbereichs der betrieblichen Mitbestimmung zugleich als Maßstab für die Regelungsbefugnis außerhalb dieses Kernbereichs herangezogen werden kann. Infolgedessen wird ein Schwerpunkt der Untersuchung auf den zentralen Beteiligungstatbestand des § 40 MVG-EKD über die Mitbestimmung in organisatorischen und sozialen Angelegenheiten gelegt werden. Ausgehend vom Zweck der Mitbestimmung wird schließlich der nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz erforderliche Umfang der Regelungsbefugnis in den mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten erschlossen. Die Teleologie der Mitbestimmung wird tragend für die Annahme sein, dass sich die Regelungsbefugnis der Dienststellenpartner in den mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten an den einseitigen Gestaltungsbefugnissen der Dienststellenleitung orientiert. Da sich diese Erkenntnis als verallgemeinerungsfähig erweisen wird, lässt sich als Ergebnis des dritten Kapitels konstatieren, dass sich die Befugnis der Dienstvereinbarungsparteien zur Regelung von Arbeitsbedingungen zumindest im Regelfall akzessorisch zur einseitigen Regelungsbefugnis der Dienststellenleitung verhält. Deshalb sind die Dienststellenpartner grundsätzlich dazu berechtigt, für die Mitarbeiter sowohl begünstigende als auch belastende Regelungen zu treffen, wenn die Dienststellenleitung in einer nicht mitbestimmten Dienststelle zu einer einseitigen Gestaltung gegenüber den Mitarbeitern befugt wäre. Obgleich die Regelungsbefugnis der Dienstvereinbarungsparteien daher im Grundsatz nur von begrenztem Umfang ist, wird sich zudem erweisen, dass sich das Regelungsinstrument der Dienstvereinbarung einer individual- oder kollektivvertraglich begründeten Erweiterung der Regelungsbefugnis der Dienststellenpartner nicht verschließt. Die Regelungsbefugnis der Dienstvereinbarungsparteien kann deshalb durch den Arbeitsvertrag oder einschlägige Arbeitsrechtsregelungen respektive Tarifverträge erweitert werden.

Mit dem vierten Kapitel34 wird ausgehend von den Erkenntnissen des dritten Kapitels die Frage aufgeworfen, inwieweit es einer zusätzlichen Grenzziehung bedarf, wenn die Befugnis der Dienstvereinbarungsparteien zur Regelung von Arbeitsbedingungen dem Grunde nach gegeben ist. Mögliche Beschränkungen sind zum einen unter dem Aspekt der Sicherung der Individualfreiheit des Arbeitnehmers (hierzu unter § 11)35 und zum anderen hinsichtlich der Sicherung der Koalitionsfreiheit (hierzu unter § 12)36 zu diskutieren. Zum Schutz der Individualfreiheit wird es im Ergebnis für ausreichend gehalten, dass die Dienststellenpartner bei der Regelung von Arbeitsbedingungen durch eine Dienstvereinbarung nach § 33 Abs. 1 S. 3 MVG-EKD an die zwingenden Rechtssätze sowohl der kirchlichen als auch der staatlichen Arbeitsrechtsordnung gebunden sind. Schließlich gewährleistet § 36 Abs. 1 S. 2 und 3 MVG-EKD den Vorrang koalitionärer Regelungsformen, sodass auch die koalitionsfreiheitsgemäße Ausgestaltung des Rechtsinstituts der Dienstvereinbarung festgestellt werden kann.

21Siehe S. 25 ff.

22Siehe S. 26 ff.

23Siehe S. 61 ff.

24Siehe S. 69 ff.

25Siehe S. 79 ff.

26Siehe S. 82 ff.

27Siehe S. 85 ff.

28Siehe S. 98 ff.

29Siehe S. 124 ff.

30Siehe S. 149 ff.

31Siehe S. 151 ff.

32Siehe S. 169 ff.

33Siehe S. 179 ff.

34Siehe S. 261 ff.

35Siehe S. 263 ff.

36Siehe S. 297 ff.

C. Weitere hervorzuhebende Untersuchungsschwerpunkte

Einige Einzelfragen, die in dieser Untersuchung en passant behandelt werden, sollen – die Einführung abschließend – zur leichteren Orientierung ebenfalls vorab benannt werden.

Im ersten Kapitel wird ein besonderes Augenmerk auf die Schrankenbestimmung des Art. 137 Abs. 3 WRV gelegt und ihre Bedeutung für den verfassungsrechtlichen Gewährleistungsgehalt des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts herausgearbeitet (hierzu unter § 1 B. II. 2.)37. Des Weiteren wird der für das kirchliche Arbeitsrecht zentrale Begriff der „Dienstgemeinschaft“ kritisch gewürdigt und seine nur begrenzte Relevanz für die weitere Untersuchung zur Dienstvereinbarung aufgezeigt (hierzu unter § 2 B.)38.

Im zweiten Kapitel werden die Ansätze gewürdigt, mittels derer versucht wird, im staatlichen Recht eine normative Wirkung der Betriebsvereinbarung zu begründen (hierzu unter § 6 A.)39. Ferner wird kritisch zu der Auffassung Stellung bezogen, dass eine normative Wirkung der Dienstvereinbarung allein schon deshalb nicht in Betracht komme, weil sich die Kirche im Wege einer bindenden Rechtswahl auf die Anwendung der staatlichen Privatrechtsordnung festgelegt habe (hierzu unter § 7 D. II.)40.

Im dritten Kapitel erfolgt anlässlich der Untersuchung zur grundsätzlichen Reichweite der Regelungsbefugnis der Dienstvereinbarungsparteien eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem durch die §§ 37 ff. MVG-EKD geregelten Verfahren der Beteiligung der Mitarbeitervertretung (hierzu unter § 10 A.)41. Eingehend wird der Frage nach der Zweckrichtung der Mitbestimmung und des Mitarbeitervertretungsrechts nachgegangen; aufgegriffen werden die klassischen Ansätze zur Schutz-, Teilhabe- und Ausgleichsfunktion der betrieblichen Mitbestimmung und auf ihre Relevanz für das kirchliche Mitarbeitervertretungsrecht überprüft (hierzu unter § 10 A. III.)42.

Im vierten Kapitel wird zur Bedeutung des Günstigkeitsprinzips vor dem Hintergrund einer begrenzten Regelungsbefugnis Stellung genommen (hierzu unter § 11 A.)43. Untersucht wird ferner, ob die Dienstvereinbarung als kirchenrechtliches Rechtsinstitut einer AGB-Kontrolle nach Maßgabe der §§ 305 ff. BGB zu unterziehen ist (hierzu unter § 11 D. I. 1.)44. Schließlich wird der Nachweis geführt, dass auch die Dienstvereinbarungsparteien in gewissem Umfang einer Grundrechtsbindung unterliegen; befürwortet wird eine privatrechtsvermittelte Grundrechtsbindung (hierzu unter § 11 D. II. 2. c.)45. Erörtert wird außerdem, wie der von der Vorrangtheorie und der Zwei-Schranken-Theorie geführte Streit um die zutreffende Verhältnisbestimmung der §§ 77 Abs. 3, 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG die Auslegung des Mitarbeitervertretungsrechts beeinflusst (hierzu unter § 12 B. II. 2.)46.

37Siehe S. 42 ff.

38Siehe S. 62 ff.

39Siehe S. 98 ff.

40Siehe S. 132 ff.

41Siehe S. 180 ff.

42Siehe S. 199 ff.

43Siehe S. 264 ff.

44Siehe S. 270 ff.

45Siehe S. 285 ff.

46Siehe S. 308 ff.

Erstes Kapitel:Grundlegung

§ 1 Staatskirchenrechtliche Grundlegung

Die Evangelische Kirche in Deutschland, die Landeskirchen und die verschiedenen privatrechtlich organisierten Einrichtungen der Kirche wie das Diakonische Werk e. V. greifen zur Ausgestaltung des kirchlichen Dienstes überwiegend auf die vom staatlichen Gesetzgeber ausgestaltete Privatrechtsordnung zurück. So wird insbesondere das Rechtsverhältnis zwischen dem einzelnen Mitarbeiter und dem kirchlichen Dienstgeber nicht selten durch einen Arbeitsvertrag begründet und ausgestaltet. Demgegenüber handelt es sich beim Mitarbeitervertretungsrecht um klassisches Kirchenrecht, das unabhängig von staatlichen Stellen durch die kirchlichen Organe erlassen wird. Aufgrund des Mitarbeitervertretungsgesetzes kann in einer Dienststelle eine Mitarbeitervertretung eingerichtet werden, die wiederum gemeinsam mit der Dienststellenleitung gewisse Angelegenheiten, die die Mitarbeiter einer Dienststelle betreffen, regeln darf. Als zentrales Regelungsinstrument wird ihnen durch das Mitarbeitervertretungsgesetz die Dienstvereinbarung als kirchenrechtliches Rechtsinstitut zur Verfügung gestellt. Insoweit nun allerdings durch eine Dienstvereinbarung auch die privatrechtlich begründeten Rechtsverhältnisse innerhalb einer Dienststelle ausgestaltet werden sollen, stoßen mit der Privatrechtsordnung einerseits und dem Mitarbeitervertretungsrecht andererseits staatliches und kirchliches Recht aufeinander. Dies führt unweigerlich zu der Frage, in welchem Verhältnis kirchliches und staatliches Recht stehen; hieran schließt sich die Frage nach dem grundsätzlichen Verhältnis von Staat und Kirche an.

A. Verhältnis von Staat und Kirche

Für die Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche sowie ihrer Rechtsordnungen bietet es sich zunächst an, aus der jeweiligen Perspektive das Verhältnis näher zu betrachten. Begonnen wird mit der staatlichen Perspektive, im Anschluss wird der Blick auf die kirchliche Perspektive gelenkt.

I. Staatliche Perspektive

Die Sichtweise des Staates auf die Rechtsetzung der Kirchen wird maßgeblich durch das Verfassungsrecht bestimmt. Als zentrale Vorschrift, die das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen anerkennt, ist die durch Art. 140 GG in das Grundgesetz inkorporierte Vorschrift des Art. 137 Abs. 3 WRV zu betrachten:

„Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.“

1. Staatskirchenrechtlicher Kompromiss der Weimarer Reichsverfassung

Art. 137 Abs. 3 WRV ist Teil eines historischen Kompromisses in der Frage um die Trennung von Staat und Kirche, den die verfassungsgebende Nationalversammlung mit den Staatskirchenartikeln der Weimarer Reichsverfassung umgesetzt hat. Einigkeit bestand in der Nationalversammlung jedenfalls im Grundsatz darüber, dass parteiübergreifend die Abgeordneten eine Trennung47 von Kirche und Staat befürworteten.48 Gestritten wurde allerdings darüber, wie weitgehend diese Trennung vorzunehmen sei. Es waren vor allem die Vertreter der SPD und der USPD, die forderten, die Religionsgemeinschaften den privaten Vereinen vollständig gleichzustellen und kirchliche Privilegien umfänglich abzubauen.49 Nur am Rande wurde indes auch eine staatliche Einmischung in das Selbstverwaltungsrecht der Kirche gefordert.50 Demgegenüber wollten die Vertreter der bürgerlichen Parteien (DVP, DDP, DNVP) und des Zentrums an einigen Privilegien der Kirchen wie dem Körperschaftsstatus oder dem Besteuerungsrecht festhalten. Insbesondere die Diskussion51 um den – damals noch hoch umstrittenen und ungeklärten – Körperschaftsstatus verdeutlicht, dass einerseits eine Einflussnahme des Staates auf die Kirche,52 andererseits aber auch die Möglichkeit eines behördlichen Tätigwerdens der Kirchen befürchtet wurde.53 Dass schließlich eine privilegierte Stellung der Kirchen gegenüber privaten Vereinen in der Weimarer Verfassung ihren Niederschlag finden konnte, war zum einen der Anerkennung der Kirchen als Träger gesellschaftlicher Verantwortung – insbesondere im Wohltätigkeitsbereich –54 und zum anderen der Ermöglichung des privilegierten Status auch für andere Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsverbände geschuldet55. Dass die besondere Rechtsposition der Kirchen jedoch nur innerhalb gewisser Grenzen des staatlichen Rechts gewährleistet werden sollte, darüber bestand ebenfalls Einigkeit, sodass die Schrankenformel in den Wortlaut aufgenommen wurde, ohne dass jedoch der Begriff des für alle geltenden Gesetzes näher diskutiert worden wäre.56

2. Regelung des Staatskirchenrechts unter dem Grundgesetz

Ebenso wurde auch bei der Entstehung des Grundgesetzes diskutiert, wie die Trennung von Staat und Kirche nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus57 verankert werden könne.58 So waren insbesondere in zwei Anträgen zunächst weitreichende Kirchenartikel durch die Fraktionen der CDU/CSU, des Zentrums und der Deutsche Partei vorgeschlagen worden. So formulierte der erste Antrag noch: „Die Kirchen werden in ihrer Bedeutung für die Bewahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlagen des menschlichen und staatlichen Lebens anerkannt und vom Staat geachtet und geschützt. Aus eigenem Recht ordnen und verwalten sie ihre Angelegenheiten selbstständig und dürfen in ihrer freien Entfaltung nicht beschränkt werden.“59 Im zweiten Antrag hieß es sodann in abgeschwächter Form: „(1) Die Kirchen werden in ihrer Bedeutung für die Wahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlagen des menschlichen Lebens anerkannt. […] (2) Die Kirchen und Religionsgemeinschaften ordnen ihre Angelegenheiten selbständig aus eigenem Recht. […]“60

Diese Anträge stießen insbesondere bei SPD und FDP auf Bedenken und erwiesen sich nicht als konsensfähig. Grund dafür war die Frage nach der bundesrechtlichen Kompetenz; so sollte die Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche den Ländern vorbehalten bleiben. Ungeklärt war zudem, welche Konsequenzen sich aus einer Abweichung von den Weimarer Vorschriften für das Verhältnis von Kirche und Staat ergeben könnten.61 Zustimmung erfuhr schließlich der Kompromissvorschlag, dass die in der Weimarer Verfassung getroffene Regelung zum Staatskirchenrecht auch im Grundgesetz ihren Niederschlag finden solle.62 Einigen konnte man sich auf die vom Fünfer-Ausschuss vorgeschlagene Fassung des Art. 140 GG. Nach einigen kleineren Änderungen wurde dieser Artikel in der noch heute geltenden Fassung durch den Hauptausschuss beschlossen.63 Der konkrete Inhalt von Art. 137 Abs. 3 WRV wurde hingegen nicht mehr beraten.64

Trotz des „eigentümlichen parlamentarischen Entstehungsvorgangs“65 ist nicht zu verkennen, dass die Staatskirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung durch Art. 140 GG als unmittelbares und gleichwertiges Verfassungsrecht einbezogen sind.66 Mit Blick auf die Auslegung von Art. 137 Abs. 3 WRV und das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen haben die bereits zur Weimarer Zeit bestehenden antagonistischen Standpunkte durch die Inkorporation auch unter dem Grundgesetz weiter ihre Bedeutung. Durch die „Einbettung in das gesamte Wertsystem des Grundgesetzes“67 ist der Antagonismus jedoch nicht allein innerhalb der Vorschrift aufzulösen, sondern es muss immer das gesamte Grundgesetz als Wertentscheidung in den Blick genommen werden.68

Der Antagonismus hat auch heute noch seine volle Bedeutung; nach der Wiedervereinigung hielt die Gemeinsame Verfassungskommission – trotz geäußerter Bedenken in einzelnen Parteien – eine Änderung der Staatskirchenartikel nicht für notwendig.69 Die Bedeutung der Kirchen in der Gesellschaft mag zwar abgenommen haben, ihre verfassungsrechtlichen Gewährleistungen haben dadurch aber – jedenfalls bisher – nicht an Kraft verloren.70

3. Verhältnis von Selbstbestimmungsrecht und Religionsfreiheit

Der veränderte Stellenwert71 der durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG garantierten Religionsfreiheit unter dem Grundgesetz im Verhältnis zur Ausgestaltung in der Weimarer Zeit durch Art. 135 WRV könnte allerdings zur Folge haben, dass die aus der Weimarer Verfassung ins Grundgesetz übernommenen Staatskirchenartikel nunmehr durch die Religionsfreiheit vollständig überlagert werden. Ausgangspunkt dieser Überlegung ist die Entwicklung der Grundrechtsdogmatik: So wird durch Art. 4 GG nach einhelliger Auffassung auch ein korporatives Grundrecht garantiert.72 Die Kirche hat als Zusammenschluss der einzelnen Gläubigen Anteil an der durch die einzelnen Kirchenmitglieder vermittelten Religionsfreiheit und übt in ihrem Handeln diese Religionsfreiheit wiederum aus. Vor diesem Hintergrund könnte es naheliegen, dass die grundrechtliche Gewährleistung der Religionsfreiheit auch eine Garantie zugunsten einer umfassenden Selbstbestimmung der Institution Kirche beinhaltet.73

Bereits der besondere historische Entstehungsprozess des Selbstbestimmungsrechts lässt jedoch daran zweifeln, dass Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV keinen eigenen Bedeutungsgehalt mehr gegenüber der Religionsfreiheit haben soll. Die Diskussionen um das Selbstbestimmungsrecht zeigen, dass die Vorschrift des Art. 137 Abs. 3 WRV nicht ausschließlich zur Abgrenzung solcher Regelungsbereiche dienen sollte, die zugleich Ausdruck der Religionsausübung sind. So wird schwerlich die Erhebung von Kirchensteuern, die Verwaltung von Grundvermögen oder aber auch die schlichte Organisation von Arbeitsabläufen bereits unmittelbar eine Religionsausübung darstellen.74 Unberührt bleibt, dass es sich hierbei um Tätigkeiten handelt, die eine ungehinderte Religionsausübung fördern können. Sie stellen aber keine notwendige Bedingung für die Religionsausübung dar und müssen nicht zwingend den Religionsgemeinschaften zur eigenen Regelung überlassen werden. Gleichwohl gibt es allerdings auch Bereiche, in denen sich die Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts und die Ausübung der Religionsfreiheit offensichtlich überschneiden. So wird durch die Entscheidung über Glaubensinhalte die Religionsfreiheit ausgeübt; erfolgt die Entscheidung durch die verfasste Kirche, so handelt es sich zugleich um einen Akt, mit dem die Kirche ihr Selbstbestimmungsrecht wahrnimmt.

Für letzteren Fall leuchtet es ein, dass „das Selbstbestimmungsrecht grundrechtlich unterfüttert“75 ist.76 In ersterem Fall ist hingegen ein eigenständiger Anwendungsbereich des Selbstbestimmungsrechts gegeben, bei dem der Versuch versagt, das Selbstbestimmungsrecht allein auf die Religionsfreiheit zurückzuführen. Das Schaffen von günstigen Bedingungen für die Religionsausübung stellt noch keine Betätigung der Religionsfreiheit dar. Vielmehr zeichnet sich dort deutlich der Charakter des Selbstbestimmungsrechts als weiterreichendes Freiheitsrecht der Institution Kirche ab.77 Es dient der Abgrenzung von Regelungsbereichen zweier Institutionen, des Staates einerseits und der Kirche andererseits. Zutreffend ist in dieser Hinsicht auch die Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts, wenn es in Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht betont, dass es „der Freiheit des religiösen Lebens und Wirkens der Kirchen und Religionsgesellschaften (Art. 4 Abs. 2 GG) die zur Wahrnehmung dieser Aufgaben unerlässliche Freiheit der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung hinzufügt.“78

Die Einordnung des Selbstbestimmungsrechts als selbständige institutionelle Gewährleistung wird durch die Beratungen der verfassungsgebenden Nationalversammlung von Weimar bestätigt, die die Trennung von Kirche und Staat in der Weimarer Verfassung als eine Trennung von Institutionen diskutierten.79 Nur so lässt sich auch die für die Beibehaltung des Sonderstatus tragende Argumentation, die sich auf die besondere gesellschaftliche Verantwortung der Kirche bezieht, zutreffend verstehen; die Verantwortung der Kirche wurde nicht als kollektive Verantwortung der einzelnen Gläubigen wahrgenommen, sondern als die gesellschaftliche Verantwortung der Kirchen als Institutionen. Bezeichnend ist, dass diejenigen Vertreter, die damals die Bedeutung der Institution Kirche bezweifelten, gerade die Vergleichbarkeit der Kirchen mit einfachen privatrechtlichen Vereinen betonten; entgegen diesen Stimmen wurde jedoch den Kirchen eine privilegierte Stellung eingeräumt. Die historische Verankerung des Selbstbestimmungsrechts unterstreicht damit die eigene Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts gegenüber der Religionsfreiheit. Die Gegenthese, nach der das Selbstbestimmungsrecht vollständig durch die Religionsfreiheit überlagert sei, ist folglich ahistorisch.80

Das Verständnis als institutionelle Garantie ermöglicht es, dem Selbstbestimmungsrecht eine eigenständige Bedeutung auch gegenüber der Religionsfreiheit abzugewinnen, soweit sich beide überschneiden: Die Religionsfreiheit hat als grundrechtliche Gewährleistung zuvorderst eine Abwehrfunktion gegenüber staatlichen Beschränkungen.81 Aufgrund der durch Art. 1 Abs. 3 GG vermittelten Grundrechtsbindung darf der staatliche Gesetzgeber lediglich solche Beschränkungen der Religionsfreiheit vornehmen, die im Hinblick auf einen verhältnismäßigen Ausgleich mit anderen Verfassungsgütern erforderlich sind.82 Insoweit ein Konflikt verschiedener Verfassungsgüter im Raum steht, hat der Staat diesen zu antizipieren und die widerstreitenden Verfassungsgüter in einen Ausgleich zu bringen. Bedeutsam ist jedoch, dass ausschließlich der staatliche Gesetzgeber die Befugnis zur ausgleichenden Regelung innehat, nicht hingegen der Grundrechtsberechtigte selbst. Die garantierte Religionsfreiheit wird demnach im Regelfall eine durch den Staat umrissene, in diesem Sinne „fremdbestimmt“ ausgestaltete Freiheit sein. Wird nun das garantierte Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften ins Spiel gebracht und das institutionell verbürgte Recht als Gewährleistung von eigenen Regelungskompetenzen verstanden, so erfolgt aufgrund des Selbstbestimmungsrechts nach Art. 137 Abs. 3 WRV eine Verschiebung der Kompetenz. Im Grundsatz ordnen und verwalten die Religionsgesellschaften ihre eigenen Angelegenheiten selbst; dass sie dies nur innerhalb des für alle geltenden Gesetzes dürfen, ihnen damit also ebenfalls eine Bindung auferlegt wird, ändert nichts an der grundsätzlich gegebenen Umkehrung der Regelungskompetenzen. Erst aufgrund des Selbstbestimmungsrechts obliegt es im Grundsatz allein den Religionsgesellschaften, sowohl ihre Angelegenheiten auszugestalten als auch sie zugleich mit anderen widerstreitenden Rechtspositionen abzustimmen; eine vergleichbar weitgehende Kompetenz folgt nicht bereits aus dem Grundrecht der Religionsfreiheit.

Damit steht Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV, soweit durch die Selbstbestimmung auch die Religionsfreiheit ausgeübt wird, in seiner Anwendung mit einer eigenen Bedeutung neben Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Eine vollständige Überlagerung des Selbstbestimmungsrechts durch die Religionsfreiheit findet nicht statt.83 Wenn der Staat eine Regelung trifft, ist diese sowohl an Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV als auch an Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zu messen; im Rahmen von Art. 137 Abs. 3 WRV ist die Entscheidung des Verfassungsgebers zugunsten einer eigenen Regelungskompetenz der Religionsgesellschaft zu berücksichtigen; diese kann – soweit die Außenschranke des für alle geltenden Gesetzes nicht betroffen ist – in ihrer maximalen Reichweite eine staatliche Regelungskompetenz vollständig verdrängen. Soweit sich für die Kirche aufgrund des Selbstbestimmungsrechts eine umfassende Regelungskompetenz ergibt, hat die Religionsfreiheit keinen weiterreichenden Regelungsgehalt; die institutionelle Garantie des Art. 137 Abs. 3 WRV verhilft in diesem Fall auch der Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zu einer umfänglichen Geltung.

4. Zusammenfassung

Für die staatliche Sicht auf die Kirche als Institution lässt sich festhalten, dass die Kirche wegen ihrer Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung einen besonderen Freiraum bei der Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten zugestanden bekommt, der weiter ist als derjenige sonstiger privatrechtlicher Vereinigungen.84 Das Selbstbestimmungsrecht gewährleistet den Kirchen als institutionelle Garantie eine besondere Regelungskompetenz. Zu Überschneidungen mit dem Schutzbereich der Religionsfreiheit kann es insoweit kommen, als die Regelung einer selbstbestimmten Angelegenheit zugleich als Ausübung der Religionsfreiheit erscheint. Ist ein Tätigwerden der Kirche allerdings bereits umfänglich durch das Selbstbestimmungsrecht nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV gedeckt, so verwirklicht sich in gleichem Maße auch die korporative Religionsfreiheit. Als primärer Bezugspunkt der kirchlichen Selbstbestimmung steht damit die Gewährleistung des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV im Vordergrund.

II. Kirchliche Perspektive

Ein Perspektivenwechsel soll nun noch einen Einblick ermöglichen, wie die Kirche die ihr seitens des Staates garantierte Regelungskompetenz wahrnimmt. Bedarf es zur Klärung der rechtstheologischen Frage nach der innerkirchlichen Legitimität von Kirchenrecht noch der näheren theoretischen Grundlegung in weiteren Arbeiten85, soll es für die vorliegende Arbeit ausreichen, sich an der praktischen Einschätzung der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Gliedkirchen hinsichtlich der Setzung von Kirchenrecht zu orientieren.86

Das Bewusstsein für ein selbstbestimmtes kirchliches Wirken tat sich in der evangelischen Kirche erstmals vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus auf. Als ein Meilenstein des protestantischen Selbstverständnisses, dass kirchliche Regelungen zur Wahrung des innerkirchlichen Propriums notwendigerweise vom Staat unbeeinflusst zu treffen sind, ist die Barmer Theologische Erklärung von 1934 anzuführen; die dort formulierten Grundsätze finden über Art. 1 Abs. 3 S. 1 GO-EKD auch Eingang in die Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland. Die Evangelische Kirche in Deutschland und ihre Gliedkirchen haben vor diesem Hintergrund allesamt eigenes Kirchenrecht erlassen und gehen zugleich von ihrer Eigenlegitimation aus. Nach Auffassung der Kirche ist die eigene Rechtsetzung auf ihren Auftrag – die Verkündigung des Evangeliums – bezogen und nimmt ihm gegenüber eine dienende Funktion ein.87

Dass der Kirche durch das Grundgesetz die Freiheit eingeräumt ist, ihre eigenen Angelegenheiten zu ordnen und zu verwalten, hat indessen ebenfalls Einfluss auf den praktischen Umgang mit der eigenen Rechtsetzungsbefugnis.88 Die verfassungsrechtlich gewährleistete Freiheit bedarf zum einen der Ausfüllung durch den kirchlichen Gesetzgeber, zum anderen geht mit der verfassungsrechtlichen Verankerung zugleich eine Rücksichtnahme auf die übrige Verfassungsordnung einher. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass das kirchliche Recht auch von anderen Notwendigkeiten – beispielsweise durch Gesichtspunkte der „Regelhaftigkeit“ und „Erwartungssicherheit“ – nicht unbeeinflusst bleibt und es insoweit anderen „Institutionalisierungsprozessen“ vergleichbar ist.89

Festhalten lässt sich daher für den Blickwinkel der EKD, dass die Kirche die verfassungsrechtlich gewährte Freiheit annimmt und im Hinblick auf den kirchlichen Auftrag ausgestaltet.90 Hierbei hat das Kirchenrecht zwar gegenüber dem kirchlichen Auftrag eine dienende Funktion; die praktische Ausgestaltung folgt jedoch nicht allein geistlichen, sondern durchaus auch weltlich-pragmatischen Erwägungen.

III. Zusammenfassung

Die dienende Funktion des Kirchenrechts gegenüber dem kirchlichen Auftrag macht aus der Perspektive der Kirche die Rechtsetzung zu einer eigenen Aufgabe, die nur von ihr selbst wahrgenommen werden kann. Diesem Selbstverständnis gibt auch die Gewährleistung des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV Raum. Diese historisch brisante und viel diskutierte Vorschrift anerkennt die Kirchen als Träger einer besonderen gesellschaftlichen Verantwortung. Aus diesem Grund ist ihnen in Form einer institutionellen Garantie durch das Grundgesetz eine grundsätzlich umfassende Regelungskompetenz für die eigenen Angelegenheiten gegeben. Dem Selbstbestimmungsrecht sind allein durch die Schranke des für alle geltenden Gesetzes Grenzen gezogen; dadurch obliegt es dem Staat, über die Rechtsgüterzuordnung zu wachen, soweit es zum Konflikt des Selbstbestimmungsrechts mit anderen durch den Staat zu schützenden Rechtsgütern kommt. Insofern zugleich der Anwendungsbereich der Religionsfreiheit eröffnet ist, unterstützt sie das Selbstbestimmungsrecht der Kirche, ohne jedoch weitergehende Befugnisse der Kirche zu begründen, wenn bereits das Selbstbestimmungsrecht vollumfänglich zur Geltung gelangt. Im Vordergrund steht deshalb zunächst immer die Verfassungsvorschrift des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV.

B. Selbstbestimmungsrecht der Kirche und Mitarbeitervertretungsrecht

Das Selbstbestimmungsrecht nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV markiert folglich die entscheidende Trennlinie zwischen kirchlicher und staatlicher Rechtsetzungskompetenz. Zugleich dient es als Mittler für die Anerkennung kirchlichen Handelns im staatlichen Rechtskreis. Im Vorgriff auf die weitere Untersuchung soll diese Trennlinie und Mittlerstellung im Hinblick auf das Mitarbeitervertretungsrecht und die Dienstvereinbarung als kirchenrechtliches Rechtsinstitut noch näher umrissen werden.

I. Einfachgesetzliche Exemtionen zugunsten der Kirche

In einem nicht veröffentlichten Rechtsgutachten des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland konstatierte Rudolf Smend bereits 1951: „Die vom Bund zu erlassenden Betriebsverfassungsgesetze sind kein allgemeines Gesetz i.S. des Art. 137 Abs. 3 WRV. Jedoch sind die Kirchen als verpflichtet anzusehen, kirchengesetzlich eine Regelung des Rechts ihrer Arbeitnehmer auf Beteiligung und Mitbestimmung in den Betrieben und Verwaltungen zu schaffen.“91 Tatsächlich ist die Anwendung der staatlichen Gesetze über die Arbeitnehmermitbestimmung auf kirchliche Rechtsverhältnisse überwiegend durch den staatlichen Gesetzgeber ausgeschlossen worden. So findet sich in § 118 Abs. 2 BetrVG die Ausklammerung für das Betriebsverfassungsrecht92 und in § 119 BPersVG jene für das Personalvertretungsrecht des Bundes; die Landespersonalvertretungsgesetze sehen teilweise entsprechende Ausklammerungen vor.93 Für den Bereich der leitenden Angestellten hält § 1 Abs. 3 Nr. 2 SprAuG eine Exemtion bereit.

II. Verfassungsrechtliche Garantie und Mitarbeitervertretungsrecht

Während demnach das einfache staatliche Recht auf dem Gebiet des Betriebsverfassungs- und des Personalvertretungsrechts überwiegend Exemtionen zugunsten der Kirche vorhält, gilt es nunmehr diese Bereichsausnahmen im verfassungsrechtlichen Kontext zu verorten. Es ist der Nachweis zu führen, dass es der Kirche im Rahmen des verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrechts zukommt, ein eigenes Mitarbeitervertretungsrecht zu regeln. Berücksichtigung finden muss schließlich, welche Bindungen dem kirchlichen Gesetzgeber durch das Verfassungsrecht bei der Ausgestaltung des Mitarbeitervertretungsrechts auferlegt sind, deren Missachtung einer Geltung des kirchlichen Rechts im staatlichen Rechtskreis entgegenstünde.

1. Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts

Das kirchliche Mitarbeitervertretungsrecht lässt sich als Ausfluss des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts begreifen, wenn die Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse innerhalb kirchlicher Dienststellen vom Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts erfasst ist.

a. Begriff der Religionsgemeinschaft

Träger des durch Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV gewährleisteten Selbstbestimmungsrechts sind die Religionsgemeinschaften. Selbstverständlich ist es, dass die verfassten Kirchen in Deutschland – in der evangelischen Kirche sind dies die jeweiligen Landeskirchen sowie ihre Zusammenschlüsse94 – dem Begriff der Religionsgesellschaft unterfallen. Insoweit werden in dieser Arbeit die Begriffe „Religionsgesellschaft“ und „(verfasste) Kirche“ synonym verwendet.

Das Bundesverfassungsgericht hat das Recht der verfassten Kirche, ihre eigenen Angelegenheiten zu ordnen und zu verwalten, allerdings nicht darauf beschränkt, dass die Kirche allein für die verfasste Kirche Regelungen erlassen darf. Vielmehr soll es ihr auch möglich sein, den Geltungsbereich des kirchlichen Rechts auf Einrichtungen zu erstrecken, die eine gewisse Nähe und Verbindung zur verfassten Kirche aufweisen.95 Dabei stellt die Rechtsprechung keine hohen Anforderungen an die bestehende Beziehung zwischen verfasster Kirche und zugeordneter Einrichtung. Ausreichend sei es, dass die Kirche nach ihrem Selbstverständnis die Einrichtung als die Ihrige begreift.96 Dem ist beizupflichten unter dem Gesichtspunkt, dass es der verfassten Kirche möglich sein muss, nach ihrem Selbstverständnis den kirchlichen Auftrag in der Gesellschaft wahrzunehmen; welcher Rechtsform und insbesondere welcher Organisationsform sie sich dazu bedient, darf hingegen keine maßgebliche Bedeutung haben.97 Insoweit daher in plausibler Weise die Zuordnung einer bestimmten Einrichtung zur verfassten Kirche begründet wird, muss dies für die Einbeziehung in den Anwendungsbereich der kirchlichen Gesetzgebung ausreichen. Die Zuordnung ist jedenfalls dann nachvollziehbar, wenn die Kirche einen ordnenden und verwaltenden Einfluss auf die Einrichtung ausüben kann98 und die Einrichtung die Zugehörigkeit zur Kirche nicht bestreitet99. Die Zuordnung privatrechtlicher Einrichtungen darf jedoch nicht dazu verleiten, diese Einrichtungen nunmehr unmittelbar selbst als Träger des Selbstbestimmungsrechts zu betrachten mit der Folge, dass sie unabhängig von der verfassten Kirche Regelungen treffen könnten; das Selbstbestimmungsrecht und die damit verbundenen Privilegien sind ausschließlich der Religionsgesellschaft, also der verfassten Kirche zugeordnet.100

Für das Mitarbeitervertretungsrecht in der evangelischen Kirche hat dies zur Folge, dass nicht nur die Dienstverhältnisse mit der EKD oder einer Landeskirche der Rechtsetzungsmacht der Kirche unterliegen, sondern auch solche Dienstverhältnisse in privatrechtlich organisierten Einrichtungen wie dem Diakonischen Werk e.V.101 oder Krankhäusern in kirchlicher Trägerschaft102. § 1 MVG-EKD erhebt einen entsprechend weitreichenden Geltungsanspruch für das Mitarbeitervertretungsgesetz.

Dieser Erstreckung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts auf privatrechtliche Einrichtungen der evangelischen Kirche tragen die staatlichen Arbeitsgesetze mit ihren Exemtionen zugunsten der Kirche allerdings nur teilweise Rechnung. So schließen die § 118 Abs. 2 BetrVG, § 112 BPersVG und § 1 Abs. 3 Nr. 2 SprAuG zwar ausdrücklich karitative und erzieherische Einrichtungen aus dem Anwendungsbereich der jeweiligen Gesetze aus. Infolgedessen unterfallen auch die meisten Einrichtungen der evangelischen Kirche bei einer weiten Auslegung nicht dem Anwendungsbereich der staatlichen Gesetze. Weitergehend sind jedoch auch sonstige Einrichtungen der Kirche, die im Zusammenhang mit ihrem Verkündigungsauftrag stehen, im Wege der verfassungskonformen Auslegung aus dem Anwendungsbereich der Gesetze herauszunehmen.103 Von den Exemtionen werden demnach nur solche Einrichtungen nicht erfasst, die auch nach dem kirchlichen Selbstverständnis in keiner Weise zum Verkündigungsauftrag beitragen und ausschließlich der gewerblichen Betätigung dienen.104

b. Ordnen und Verwalten

Die Kirche kann nach Art. 137 Abs. 3 WRV ihre eigenen Angelegenheiten ordnen und verwalten. Der Bereich des Ordnens umfasst dabei legislative Aufgaben, also die eigenverantwortliche Rechtsetzung. Beim Verwalten handelt es sich um die notwendige Ergänzung des Ordnens im Sinne der Gewährleistung einer exekutiven Eigenverantwortung, namentlich der Leitung und Organisation der Kirche und ihrer Einrichtungen samt Umsetzung der im Bereich des Ordnens erlassenen Vorschriften. Umfasst ist weiterhin auch die eigene Rechtskontrolle.105

Das Bundesverfassungsgericht umreißt das Selbstbestimmungsrecht daher in ständiger Rechtsprechung als eine „rechtlich selbstständige Gewährleistung, die der Freiheit des religiösen Lebens und Wirkens der Kirchen und Religionsgemeinschaften die zur Wahrnehmung dieser Aufgaben unerlässliche Freiheit der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung hinzufügt“.106 Insoweit eine eigene Angelegenheit gegeben ist, können die Kirchen folglich ihr eigenes Recht setzen, die Durchführung durch eine eigene Verwaltung sicherstellen und eine von der staatlichen Judikative unabhängige Gerichtsbarkeit einrichten.

c. Bestimmung der eigenen Angelegenheiten

Die maximale inhaltliche Reichweite des Selbstbestimmungsrechts wird durch den Rahmenbegriff der eigenen Angelegenheiten festgelegt. Aufzuzeigen ist, dass das Mitarbeitervertretungsrecht als eigene Angelegenheit der Kirche in den Anwendungsbereich der Vorschrift fällt.

aa. Maßstab: Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft

Die inhaltliche Konkretisierung, wann eine eigene Angelegenheit vorliegt, erfolgt nach heute überwiegender Ansicht nach dem Selbstverständnis der jeweiligen Religionsgemeinschaft;107 die materielle Definitionskompetenz steht mithin den Religionsgesellschaften zu.108 Dieser Auffassung hat sich auch das Bundesverfassungsgericht angeschlossen.109 Der Grund für diese Zuordnung der materiellen Definitionskompetenz liegt darin, dass andernfalls immer eine staatliche Einflussnahme auf den vom Selbstbestimmungsrecht erfassten Bereich möglich bliebe. Der Staat liefe Gefahr, das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften zu begrenzen, ohne hierfür eine Rechtfertigung vornehmen zu müssen. Er könnte sich ungehindert in die Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften einmischen und damit den von Art. 137 Abs. 3 WRV bezweckten Schutz unterlaufen. Zur subjektiven Bestimmung durch die Religionsgesellschaft gibt es deshalb keine Alternative, sollen die Religionsgesellschaften unabhängig vom Staat ihre eigenen Angelegenheiten festlegen.110 Der Staat unterfällt folglich einem Definitionsverbot.111 Zudem wird der Staat regelmäßig faktisch aufgrund fehlender Sachkompetenz nicht beurteilen können, ob es sich um eine eigene Angelegenheit der jeweiligen Religionsgemeinschaft handelt oder nicht.112

bb. Auswirkung der Schrankenregelung auf die Schutzbereichsbestimmung

Von der Problematik, wie die Bestimmung der eigenen Angelegenheiten zu erfolgen hat, ist die Frage zu trennen, in welchem Verhältnis das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften zu anderen Freiheiten, Rechtsgütern und Interessen steht. Den Ausgleich und die Zuordnung sicherzustellen und zu überwachen, ist nach der Wertung der Schrankenregelung des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV die Aufgabe des Staates.113 Ob das Selbstbestimmungsrecht betroffen ist und welches Gewicht der jeweiligen eigenen Angelegenheit zukommt, kann der Staat jedoch nicht unabhängig bestimmen, sondern er ist in diesem Punkt an das von der Religionsgesellschaft festgelegte Selbstverständnis gebunden.114 Es kommt durch den Schrankenvorbehalt mithin nicht zu einer inhaltlichen Neubestimmung der eigenen Angelegenheiten durch den Staat, sondern zu einer Zuordnung der von der Kirche definierten eigenen Angelegenheit zu anderen von der kirchlichen Regelung betroffenen Rechtsgütern. Dass damit auch eine Begrenzung des Selbstbestimmungsrechts der Kirche einhergehen mag und dieses nicht vollumfänglich auf Kosten anderer Rechtsgüter verwirklicht werden darf, ist bereits dem Vorgang, der auf einen Ausgleich der widerstreitenden Rechtspositionen abzielt, immanent. Er stellt jedoch die Neutralität des Staates im Hinblick auf die Bestimmung, was unter die eigenen Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften fällt, nicht in Frage. Die dem Staat durch das Grundgesetz auferlegte Aufgabe erschöpft sich danach in der Wahrnehmung der Rechtsgutszuordnung; einer eigenen Definitionskompetenz des Staates hinsichtlich der Bestimmung der eigenen Angelegenheiten bedarf es darüber hinaus nicht.115

cc. Bestimmung des Selbstverständnisses – Mitarbeitervertretungsrecht als eigene Angelegenheit

Demnach hat die Kirche nach ihrem Selbstverständnis festzulegen, welche Bereiche sie als eigene Angelegenheit ansieht. Hierzu bedarf es nunmehr jedoch noch innerhalb der Religionsgesellschaft der Kompetenzzuordnung. Nur das durch ein legitimiertes Organ der Religionsgemeinschaft geäußerte Selbstverständnis kann für die Bestimmung der eigenen Angelegenheit maßgeblich sein.116 Für die evangelische Kirche in Deutschland bedeutet dies, dass das jeweils zuständige Organ der Landeskirche bzw. des landeskirchlichen Zusammenschlusses definiert, ob eine eigene Angelegenheit vorliegt. Im Bereich des Mitarbeitervertretungsrechts ist diese Entscheidung durch die jeweils zuständige Landessynode für die Einrichtungen der Landeskirche bzw. für die Evangelische Kirche in Deutschland durch deren Synode als Kirchengesetzgeber zu treffen. Für das Mitarbeitervertretungsrecht zeigt sich die Entscheidung, dass es sich um eine eigene Angelegenheit der Kirche handelt, jedenfalls im Erlass eines Mitarbeitervertretungsgesetzes durch die Evangelische Kirche in Deutschland sowie die verschiedenen Landeskirchen beziehungsweise in deren Zustimmung zum Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland.117

2. Schranke des für alle geltenden Gesetzes

Unterfällt das Mitarbeitervertretungsrecht daher grundsätzlich dem Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts, so hängt die Reichweite der Geltung des Mitarbeitervertretungsgesetzes maßgeblich von der Bedeutung und der Auslegung der Schrankenbestimmung des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV ab. Da die Kirche nicht außerhalb der Gesellschaft existiert, ist es selbstverständlich, dass es einer Auflösung von möglich erscheinenden Kollisionen zwischen dem Selbstbestimmungsrecht und anderen Freiheiten, Interessen und Rechtsgütern bedarf. Insbesondere im Bereich des Mitarbeitervertretungsrechts liegen solche Kollisionen geradezu auf der Hand, stehen dem Regelungsanspruch der Kirche hinsichtlich der mitarbeitervertretungsrechtlichen Angelegenheiten doch jedenfalls das Sozialstaatsprinzip als Staatszielbestimmung sowie grundrechtlich geschützte Positionen der Mitarbeiter und der Koalitionen gegenüber.

Erst durch die Schrankenbestimmung wird die Trennlinie zwischen kirchlicher und staatlicher Rechtsetzung abschließend festgelegt. Da das kirchliche Recht nur innerhalb der verfassungsrechtlichen Anerkennung in den staatlichen Rechtskreis hineinzuwirken vermag, entscheidet die Festlegung der Schranken zugleich über die Außengrenzen der kirchlichen Rechtsetzung. Insofern die Bestimmung des Schutzbereiches durch das Selbstverständnis der Kirche geprägt ist, überrascht es allerdings auch nicht, dass die „Schranke des für alle geltenden Gesetzes“ als verbleibendes Korrektiv seit ihrer Einführung Gegenstand zahlreicher Diskussionen war und fortwährend einem interpretatorischen Wandel unterlegen ist.

a. Entwicklung des Schrankenbegriffs: Von der Heckel‘schen Formel zur Abwägungslösung

So wurde zu Beginn der Weimarer Zeit überwiegend angenommen, dass die Schranke des für alle geltenden Gesetzes im Sinne eines allgemeinen Gesetzesvorbehaltes zu verstehen sei.118 Durch Johannes Heckel wurde schließlich erstmals die Diskussion darauf gelenkt, dass die bisherige Interpretation als allgemeiner Gesetzesvorbehalt überschießend sei. Heckel bezog sich auf die Erfahrungen des Kulturkampfes und verstand vor diesem Hintergrund das für alle geltende Gesetz als „ein Gesetz, daß trotz grundsätzlicher Bejahung der kirchlichen Autonomie vom Standpunkt der Gesamtnation als sachlich notwendige Schranke der kirchlichen Freiheit anerkannt werden muss; m. a. W. jedes für die Gesamtnation als politische, Kultur- und Rechtsgemeinschaft unentbehrliche Gesetz, aber auch nur ein solches Gesetz.“119 Quintessenz dieser Beschränkung ist nach Heckel, dass nur zwingende Interessen des deutschen Gesamtvolkes zu einer Verengung der kirchlichen Autonomie führen dürfen.120 Wurde diese Heckel‘sche Formel in der Anfangszeit der Bundesrepublik noch teilweise von Literatur121 und Rechtsprechung122 rezipiert, setzte sich doch die Erkenntnis durch, dass sie mangels systematischer und teleologischer Verankerung eines handhabbaren Maßstabes entbehrt.123

Das Bundesverfassungsgericht124 sowie Teile der Literatur125 griffen stattdessen die Bereichsscheidungslehre auf. Nach dieser Lehre unterteilen sich die möglichen kirchlichen Wirkungsbereiche in die rein innerkirchlichen, die rein staatlichen und die gemeinsamen Angelegenheiten. Den innerkirchlichen Bereich soll der Staat nicht regeln können, während im Bereich der gemeinsamen Angelegenheiten das kirchliche Selbstbestimmungsrecht durch das staatliche Recht berücksichtigt werden müsse. Bei rein staatlichen Angelegenheiten sollen die Religionsgemeinschaften mangels einer Betroffenheit in den eigenen Angelegenheiten ausnahmslos dem staatlichen Recht unterfallen.126 Zwischen den einzelnen Bereichen sollte nach den Kriterien der „Natur der Sache“ oder der „Zweckbestimmung“ abgegrenzt werden,127 also eine objektiv-rechtliche Bestimmung der eigenen Angelegenheiten vorgenommen werden.

Die Bereichsscheidungslehre ist indessen nur schwerlich mit dem Wortlaut von Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV zu vereinbaren, der gerade anordnet, dass die Religionsgemeinschaft ihre Angelegenheiten innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes ordnet und verwaltet; dies bedeutet jedoch, dass bereits die verallgemeinernde Aussage, es gebe einen innerkirchlichen Bereich, der sich per se einer staatlichen Regelung verschließe, schwerlich zutreffen kann.128 Jedenfalls entzieht es sich aber einer objektiven und allgemeingültigen Feststellung, wo der innerkirchliche Bereich aufhören soll. Die zur Abgrenzung zwischen den einzelnen Bereichen verwendeten Begrifflichkeiten verschleiern zudem, dass die Definitionskompetenz für die Gewichtung der von der Kirche benannten eigenen Angelegenheiten auf den Staat, namentlich die Judikative übertragen wird. Schließlich bieten die genannten Abgrenzungskriterien keinen nachvollziehbaren Maßstab,129 sodass es zu einer willkürlich getroffenen Abgrenzungsentscheidung kommen muss. Folglich wird durch die Bereichsscheidungslehre nicht nur die Definitionskompetenz bezüglich der eigenen Angelegenheiten auf den Staat verlagert, sondern zusätzlich auch eine willkürliche Begrenzung130 des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts ermöglicht. Dadurch wird im Ergebnis aber die Grundidee des Art. 137 Abs. 3 WRV – die Selbstbestimmung der Kirche in den eigenen Angelegenheiten – negiert.

Diese Bedenken führten dazu, dass das Bundesverfassungsgericht seinen Standpunkt um die Jedermann-Formel ergänzte. Danach sollte kein für alle geltendes Gesetz vorliegen, wenn die Kirche in ihrer Besonderheit durch staatliche Gesetze härter betroffen sei als ein Jedermann.131 Die Jedermann-Formel kann die genannten Bedenken jedoch nicht ausräumen und ist selbst dem Vorwurf ausgesetzt, dass es sich bei ihr inhaltlich nur um ein Wiederaufleben des allgemeinen Gesetzesvorbehalts der Weimarer Zeit handelt.132

Im Verlauf weiterer Entscheidungen ging das Bundesverfassungsgericht deshalb zu einer Abwägung zwischen den kollidierenden Rechtsgütern – dem Selbstbestimmungsrecht einerseits und den staatlich zu schützenden Interessen andererseits – über, ohne sich jedoch ausdrücklich von den früheren Begründungsansätzen zu lösen.133 Die Abwägungslehre, die insbesondere von Hesse134 im Anschluss an Martin Heckel135 vertreten und ausgestaltet wurde, geht davon aus, dass aufgrund des Charakters des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts als Freiheitsrecht eine der allgemeinen Freiheitsgrundrechtsdogmatik entsprechende Abwägung durchzuführen sei, durch die im Wege praktischer Konkordanz zwischen dem Selbstbestimmungsrecht und den entgegenstehenden Rechtspositionen ein Ausgleich herbeigeführt werden soll, der beiden Positionen zu bestmöglicher Entfaltung verhilft.136 Dieser Ansatz bestimmt bis heute die Vorgehensweise des Bundesverfassungsgerichts.137