Dietrich Bonhoeffer und die Jugendarbeit - Andrew Root - E-Book

Dietrich Bonhoeffer und die Jugendarbeit E-Book

Andrew Root

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Beschreibung

Dietrich Bonhoeffers Leben war stark geprägt von seinem Engagement für junge Menschen ob als ehrenamtlicher Mitarbeiter in der Sonntagsschule oder Leiter von Konfirmandengruppen. Bonhoeffer lebte vor, was es bedeutet, "ganz für andere da zu sein". Andrew Root stellt diese bisher wenig beachtete Facette von Dietrich Bonhoeffers Wirken vor. Er zeigt eindrücklich, wie Bonhoeffers Erfahrungen in der Jugendarbeit seine Theologie und sein Verständnis von Gemeinschaft bestimmten. Nicht nur diejenigen, die Bonhoeffer besser verstehen möchten sondern vor allem auch diejenigen, die heute über die theologische und geistliche Grundlage ihrer christlichen Jugendarbeit nachdenken, finden in Bonhoeffers Gedanken wertvolle Inspiration.

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Seitenzahl: 426

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Andrew Root

Dietrich Bonhoefferund die Jugendarbeit

Jesus nachfolgen und gemeinsam leben

Herausgegeben vonJudith Hildebrandt und Andreas Jägers

Deutsch von Renate Hübsch

Copyright 2014 by Andrew Root

Originally published in English under the titleBonhoeffer as Youth Workerby Baker Academic, a division of Baker Publishing Group, Grand Rapids, Michigan, 49516, U.S.A.

All rights reserved.

Bibelzitate sind folgender Ausgabe entnommen:

Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017,

© 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

Zitate Bonhoeffers folgen der Ausgabe Dietrich Bonhoeffer Werke

(DBW), 17 Bde, hg. von Eberhard Bethge u. a.,

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2015.

Die Nutzung von Bild-, Sprach- und Textdaten für sog. KI-Trainings und ähnliche Zwecke ist nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung erlaubt.

© der deutschen Ausgabe: 2025 Brunnen Verlag GmbH, Gießen

Gottlieb-Daimler-Str. 22, 35398 Gießen

[email protected]

www.brunnen-verlag.de

Lektorat: Uwe Bertelmann

Fotos: www.dietrich-bonhoeffer.net

Umschlaggestaltung: Jonathan Maul

Satz: Brunnen Verlag GmbH

ISBN Buch 978-3-7655-2215-4

ISBN E-Book 978-3-7655-7778-9

Für Owen, der so sehr dem Zehnjährigen gleicht, der seinen Herrn Wolf verloren hat.

Inhalt

Geleitwort

Vorwort der Herausgeber der deutschen Ausgabe

Über den Autor (Andreas Jägers)

Einführung in die deutsche Ausgabe (Judith Hildebrandt)

Vorwort

1 Jugendarbeit und Dietrich Bonhoeffer

Teil 1 Die Geschichte von Dietrich Bonhoeffers Einsatz in der Jugendarbeit

2 Der Jugendarbeiter Dietrich Bonhoeffer

3 Die Ursprünge des Jugendarbeiters

4 Die Idylle zerbricht

5 Vom Jugendlichen zur Jugendarbeit

6 Tränen um Herrn Wolf

7 Das Kind als eschatologisch

8 Zurück nach Berlin – wieder einmal

9 Sie haben ihren Lehrer zu Tode geärgert!

10 Die junge Generation und der Führer

11 Acht Thesen über die Jugendarbeit der Kirche174

12 Finkenwalde

13 Rückkehr zur Jugendarbeit

14 Ein Schicksal formt sich

Teil 2 Nachfolge und Gemeinsames Leben Ein Leitfaden für die Jugendarbeit

15 Jugendarbeit und Nachfolge

16 Jugendarbeit und Gemeinsames Leben

Register

Geleitwort

Bonhoeffers Bedeutung für die kirchliche Jugendarbeit ist bisher nur ganz selten untersucht worden. Die Untersuchung von Andrew Root, zuerst 2016 auf Amerikanisch erschienen, war die erste umfassende Arbeit dazu. Mittlerweile hat auch Judith Braun eine Dissertation zum Thema vorgelegt, die unter dem Titel „Dietrich Bonhoeffers gemeindepädagogisches Wirken im Rahmen seines Kirchenverständnisses“ 2019 als Buch erschienen ist. Dennoch ist die Arbeit von Root weiterhin aktuell und äußerst lesenswert. Dem Brunnen Verlag ist zu danken, dass er sie der deutschsprachigen Leserschaft zugänglich gemacht hat.

Root zeigt im ersten Teil seines Buches, dass der kirchlichen Jugendarbeit ein zentrales Interesse Bonhoeffers galt. Seine Biografie umfasst eine Vielzahl unterschiedlicher Stationen der Mitarbeit in der Jugendarbeit. Tatsächlich gab es keine Zeit in der Mitte von Bonhoeffers Leben, in denen er nicht in der Kinder- und Jugendarbeit tätig gewesen wäre. Dabei finden sich die besonderen Akzente, die seine Mutter im Rahmen der religiösen Erziehung ihrer Kinder setzte, wozu auch Elemente herrnhutischer Frömmigkeit gehörten, in Bonhoeffers eigener Jugendarbeit wieder. Er war überdies – wie seine Mutter – ein begnadeter Erzähler biblischer Geschichten. Der Konfirmandenunterricht stellte Bonhoeffers erste Begegnung mit der Jugendarbeit im kirchlichen Raum dar und besaß für ihn nachhaltige Wirkung. Bonhoeffers spätere Tätigkeit im Grunewalder Kindergottesdienst markierte den Beginn einer Erfolgsgeschichte in der kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit, in der er sowohl mit seiner Persönlichkeit als auch mit seinem Einsatz beeindruckte. Er muss eine natürliche Begabung für die Jugendarbeit mitgebracht haben. Da seine Kindergottesdienstansprachen erhalten geblieben sind, können wir uns einen guten Eindruck von ihrem Inhalt machen. Sie gehen stark auf die Lebenswelt der Kinder ein, sind mit Beispielen ausgeschmückt und enthalten Lehren für Kinder, in denen die bürgerlichen Werte von Bonhoeffers Elternhaus präsent sind. Dabei fällt ein freier Umgang mit den zugrunde liegenden Bibeltexten auf. Aufgrund seines späteren Pazifismus und unter dem Eindruck der NS-Diktatur hätte er in späterer Zeit vermutlich anders formuliert. Durch den Besuch der katechetischen Seminare an der Universität kommt es erstaunlicherweise zu keiner Veränderung im Hinblick auf die Gestaltung der Ansprachen. Bemerkenswert ist, dass auch während des Auslandsvikariats in Barcelona, das sich an das Theologiestudium anschloss, und während des Studienaufenthalts am Union Theological Seminary in New York nach der Habilitation an der Berliner Universität sein Engagement in der Jugendarbeit einen herausragenden Stellenwert behielt. In Harlem arbeitete er regelmäßig in der Sonntagsschule einer schwarzen Baptistengemeinde mit, was offensichtlich nicht ohne Einfluss auf ihn selbst geblieben ist: Er fand hier zu einem persönlichen Glauben an Jesus Christus. Nach Deutschland zurückgekehrt, verfasste er Thesen zur Jugendarbeit der Kirche, die wohl als Grundsätze für das Verhältnis zwischen der Bekennenden Kirche und der Jugend in ihr zu verstehen sind. Auch im Rahmen des von der Bekennenden Kirche in Finkenwalde bei Stettin eingerichteten Predigerseminars, zu dessen Direktor Bonhoeffer 1935 berufen wurde, kam der Ausbildung der Vikare für die Jugendarbeit eine wichtige Bedeutung zu. Die Finkenwalder Katechetik-Vorlesung enthält die ausführlichste Konzeption Bonhoeffers für die Jugendarbeit. Besonders in der Vorlesung über den Konfirmandenunterricht spiegeln sich seine eigenen Erfahrungen in der Kinder- und Jugendarbeit wider. Bonhoeffer fordert darin eine Unterweisung zur Beichte für Konfirmandinnen und Konfirmanden – äußerst ungewöhnlich im Rahmen der damaligen (und auch der heutigen) Konfirmandenarbeit. Bemerkenswert sind auch die beiden Katechismusentwürfe Bonhoeffers von 1931 und 1936. Sie zeigen, welche Dringlichkeit das Anliegen eines neuen, für alle verständlichen Katechismus für ihn besaß. So weit zur Einführung in den ersten Teil des Buches mit spannenden Einblicken in Bonhoeffers Wirken als Jugendarbeiter und wie dieses seinerseits sein theologisches Denken beeinflusst hat.

Im zweiten Teil stellt Root Bonhoeffers bekannte Bücher „Nachfolge“ und „Gemeinsames Leben“ der Realität kirchlicher Jugendarbeit in der Gegenwart gegenüber. Dabei ist er sich des Anachronismus seines Vorgehens durchaus bewusst. Sein Ziel besteht jedoch darin, der bloßen Erfolgsorientierung der kirchlichen Jugendarbeit in den USA in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg mit der besonderen inhaltlich-theologischen Ausrichtung der Jugendarbeit Bonhoeffers einen Spiegel vorzuhalten. Anders als sonst üblich geht Root dabei davon aus, dass die Fragestellungen der „Nachfolge“ für Jugendliche und junge Erwachsene wichtig – und nicht etwa theologisch abständig bzw. zu hoch – sind und dass die Themen aus dem „Gemeinsamen Leben“ primär für Jugendmitarbeiterinnen und -mitarbeiter Bedeutung besitzen. Root will in Aufnahme der Überlegungen Bonhoeffers zeigen, dass die Aufgabe der kirchlichen Jugendarbeit auch heute noch darin besteht, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu zeigen, dass Jesus sie in seine Nachfolge ruft. Diese Aufgabe können Jugendmitarbeiter primär durch Freundschaft, Gebet und Zeugnis gegenüber Jugendlichen erfüllen. Eine an der Nachfolge Jesu Christi ausgerichtete Jugendarbeit wird sich für Root nicht an die Stärken der Jugendlichen, sondern an ihre Schwächen richten, da Letztere junge wie alte Menschen in die Nähe des Kreuzes Christi zu bringen vermögen. Es geht in der Jugendarbeit darum, Jugendlichen zu helfen, dass sie Jesus in seinem Kreuzesleiden finden, weil sie allein von dort her neues Leben bekommen können.

Noch etwas anderes lässt sich, so Root, aus Bonhoeffers beiden Büchern lernen: Bonhoeffer hat trotz Wertschätzung der Gemeinschaft diese nie idealisiert bzw. verklärt. Anders in der Jugendarbeit heute, wo Jugendmitarbeiter und Jugendliche häufig versucht sind, einem Gemeinschaftsideal zu erliegen. Auf die kurzfristige Euphorie aufgrund von erregenden gemeinsamen Freizeiterfahrungen folgt jedoch schnell die Frustration über die Realität der Gemeinschaft in der normalen Ortsgemeinde. In der kirchlichen Jugendarbeit geht es für Root in Anlehnung an Bonhoeffer darum, deutlich zu machen, dass echte christliche Gemeinschaft sich dem Wirken des Heiligen Geistes verdankt und nicht irgendwelchen emotionalen Gipfelerlebnissen. An dieser Stelle kommt nochmals die Einzelbeichte ins Spiel: Regelmäßig angeboten, kann sie allen Beteiligten in der Jugendarbeit helfen, trotz unvermeidlicher gegenseitiger Verletzungen beieinanderzubleiben und dadurch gemeinsam die Nähe Jesu Christi zu erfahren.

Roots Buch zeigt, dass er ein gewiefter Kenner von Biografie und Theologie Dietrich Bonhoeffers ist. Vor allem gelingt es ihm, dessen Wirken in der Jugendarbeit – immerhin eines Theologen, der in diesem Jahr vor genau 80 Jahren von den Nazis umgebracht wurde – für deren heutige Herausforderungen fruchtbar zu machen. Kirchliche Jugendarbeit hat die Aufgabe, Jugendliche zu konsequenter Hingabe des Lebens an Jesus Christus und zu einem ungeteilten Vertrauen in seine Liebe einzuladen.

Leipzig, im Sommer 2025

Peter Zimmerling

Vorwort der Herausgeber der deutschen Ausgabe

Dietrich Bonhoeffer ist – nach Martin Luther – der vielleicht bedeutendste deutsche Theologe überhaupt. Seine Lebensgeschichte ist vielen vertraut. Das Lied Von guten Mächten hat eine große Wirkung in Kirche und Gesellschaft entfaltet. Doch ein wichtiger Aspekt seines Lebens und Wirkens bleibt weitgehend unbeachtet: Bonhoeffers tiefes Anliegen für Kinder und Jugendliche. Sein Engagement für junge Menschen durchzog sein ganzes Leben – sei es als ehrenamtlicher Mitarbeiter in der Sonntagsschule, als Konfirmandengruppenleiter, in der Arbeit mit arbeitslosen Jugendlichen, als Organisator ökumenischer Jugendtreffen oder als Ausbilder von Studenten der Bekennenden Kirche. Wir freuen uns von daher sehr, anlässlich des 80. Todesjahres von Dietrich Bonhoeffer die deutsche Ausgabe des schon 2016 erschienenen Buches Bonhoeffer as Youth Worker von Prof. Dr. Andrew Root herausgeben zu können und damit Bonhoeffers theologisches Erbe für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen auch einer breiten deutschen Leserschaft leichter zugänglich zu machen.

Andrew Root beleuchtet in diesem Werk diese besondere Facette von Dietrich Bonhoeffers Wirken. Er zeigt auf, wie tief Bonhoeffers Erfahrungen in der Jugendarbeit seine Theologie und sein Verständnis vom gemeinsamen Leben prägen. Ausgehend von Bonhoeffers Kindheit bis zu seiner Zeit in Finkenwalde verdeutlicht Root, dass Bonhoeffers theologisches Denken wesentlich in seiner Arbeit mit Kindern und Jugendlichen verwurzelt und ohne diese Perspektive nicht vollständig zu erfassen ist. Bonhoeffers theologische Sicht auf Kinder und Jugendliche als integraler Bestandteil der Gemeinde liefert einen wichtigen Beitrag zur theologischen Grundlegung und Ausrichtung der christlichen Jugendarbeit. Zugleich bietet sie wertvolle Impulse für eine Neuorientierung – einen theological turn(bzw. eine theologische Wende) – in der Jugendarbeit.

Durch unsere eigene langjährige Erfahrung in der Praxis der Kinder- und Jugendarbeit kennen wir die Chancen, aber auch die Herausforderungen, vor denen christliche Jugendarbeit heute steht. Wir sind überzeugt, dass eine theologische Sichtweise auf Kinder und Jugendliche den Weg zu einem theological turn in der Jugendarbeit eröffnen kann. Das Buch Bonhoeffer und die Jugendarbeit liefert dazu einen bedeutenden Beitrag. Es ist nicht nur für die Bonhoeffer-Forschung relevant, sondern setzt wichtige Impulse für die christliche Kinder- und Jugendarbeit heute. Wir wünschen uns, dass es gelesen, diskutiert und weitergedacht wird – zum Wohl junger Menschen und zur Erneuerung der christlichen Jugendarbeit.

Gießen und Bad Liebenzell, im Sommer 2025,

Judith Hildebrandt und Andreas Jägers

Über den Autor(Andreas Jägers)

Der Autor dieses Buches, Andrew Root (*1974), gilt als einer der bekanntesten zeitgenössischen Praktischen Theologen der USA. Als Inhaber der Professur für Youth and Family Ministry am Lutherischen Seminar in St. Paul, Minnesota beschäftigt er sich mit der christlichen Kinder- und Jugendarbeit und hat bereits 21 Bücher1 und eine Vielzahl von Aufsätzen und andere Veröffentlichungen2 zum Thema herausgegeben. Er kann als einer der weltweit führenden Forscher auf dem Feld der christlichen Kinder- und Jugendarbeit gelten.3

Root stammt aus einer evangelisch-lutherischen Gemeinde. Er studierte am Fuller Theological Seminary in Pasadena, Kalifornien. Dort wurde er besonders vom Systematischen Theologen Ray Anderson geprägt, der ihn an das Werk von Dietrich Bonhoeffer heranführte. Seinen Doktortitel erhielt Root am presbyterianischen Princeton Theological Seminary unter Richard Osmer, der zu seinem zweiten theologischen Mentor wurde. Root selbst betrachtet sich als gleichermaßen lutherisch und presbyterianisch geprägten Theologen.

Andrew Root plädiert für eine Theologische Wende in der christlichen Jugendarbeit [engl. Theological Turn in Youth Ministry], was bedeutet, dass sich Jugendarbeit nicht von aktuellen Trends bestimmen lassen sollte. Es geht ihm aber auch nicht in erster Linie um theologisch-dogmatische Lehre für Kinder und Jugendliche, sondern vielmehr um einen „theologischen“ Lebensstil, der Kinder und Jugendliche als von Gott angesprochene Geschöpfe wahrnimmt und Kinder- und Jugendarbeit als einen zutiefst theologischen Dienst ansieht. In der Praktischen Theologie muss es für ihn „about the concrete and lived“4 gehen und daher nach der Begegnung von „the divine and the human“5 gefragt werden.

In seinem Werk versucht Root Brücken zu anderen theologischen Traditionen zu schlagen, indem er beispielsweise Elemente aus der orthodoxen Theologie aufnimmt oder evangelikale Strömungen reflektiert. Der stärkste Einfluss auf seine Theologie geht aber auf Dietrich Bonhoeffer zurück. Bereits in seiner Dissertation Revisiting Relational Youth Ministry6 greift er stark auf dessen Verständnis von Beziehung und Gemeinschaft zurück. Seither zieht sich Bonhoeffer als ständige theologische Referenz durch sein Werk. Das vorliegende Buch kann, durch die Verbindung des Themas der christlichen Kinder- und Jugendarbeit mit seinem theologischen Vordenker Dietrich Bonhoeffer, als eine Herzensangelegenheit von Andrew Root betrachtet werden.

Im deutschsprachigen Raum wurde Root bisher kaum rezipiert. Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um die erste Übersetzung eines seiner Bücher ins Deutsche. Ebenfalls für das Jahr 2025ist ein Band mit Aufsätzen, die ein Querschnitt zu seinem bisherigen Schaffen darstellen, in deutscher Sprache angekündigt.7

  1 Vgl. https://www.andrewroot.org/books/ [2025-01-17].

  2 Vgl. https://www.andrewroot.org/category/articles/ [2025-01-17].

  3 Im Academic Handbook in Youth Ministry Research wird er, neben dem Mitverfasser Jos de Kock, am häufigsten zitiert. Außerdem wurde sein Werk in eigenen Teilkapiteln dargestellt. Vgl. De Kock, Jos / Norheim, Bård: The FiveQuestions. An Academic Handbook in Youth Ministry Research, Eugene, OR: Pickwick Publications 2022, 87ff.

  4Root, Andrew: Christopraxis. A Practical Theology of the Cross, Minneapolis, MN: Fortress 2014, 8.

  5 Ebd., 12.

  6Root, Andrew: Revisiting Relational Youth Ministry. From a Strategy of Influence to a Theology of Incarnation, Downers Grove, ILL: IVP 2007.

  7 Dabei handelt es sich um seine Referate bei der Konferenz Theory and Practice of Youth Ministry, die vom 20. bis 21.06.2024 an der Internationalen Hochschule Liebenzell (IHL) mit Andrew Root als Hauptreferent stattfand. Das Buch ist für 2025 angekündigt und wird im Kohlhammer-Verlag unter dem Titel Ein „theological turn“ in der christlichen Jugendarbeit. Impulse von Andrew Root erscheinen.

Einführung in die deutsche Ausgabe(Judith Hildebrandt)

Bonhoeffer und die Jugendarbeit wurde von einem US-Amerikaner geschrieben, der die deutsche Geschichte und Theologie sehr gut kennt, besonders das Leben und Wirken von Dietrich Bonhoeffer. Dennoch ist die amerikanische Jugendarbeit seine Bezugsgröße, die sich in mancher Hinsicht von der deutschen Jugendarbeit unterscheidet. Die folgenden Hintergrundinformationen sollen zum besseren Verständnis des Buches beitragen.

Jugendarbeit in den USA ist teilweise geprägt von privaten und unabhängigen Organisationen, sogenannten „parachurch organizations“, die sich auf spezifische Zielgruppen wie z. B. High-School- oder College-Studierende konzentrieren. Oft ist die Jugendarbeit in Gemeinden eingebettet, die große Ressourcen haben und Jugendprogramme wie Sommerlager, Konferenzen und Worship-Events anbieten. Es gibt teilweise einen starken Fokus auf Spendenfinanzierung und freiwilliges Engagement. Dies führt mitunter zu Erfolgsdruck und einer stärkeren Fokussierung auf Zahlen, was von Andrew Root kritisiert wird. Lange Zeit sei das primäre Maß für Erfolg die Frage gewesen: „Wie viele junge Menschen kommen?“ Die Grundhaltung, ständig nach neuen Methoden und Trends zu suchen, um messbaren Erfolg zu erzielen, bezeichnet Andrew Root als technischen Ansatz von Jugendarbeit. Dem möchten er und andere einen theological turn entgegensetzen.

Die Situation der christlichen Jugendarbeit in Deutschland hat eine bewegte Geschichte und daher auch besondere gewachsene Strukturen. Historisch ist die Jugendarbeit in Deutschland während der Industrialisierung im 19. Jh. – ausgehend von Einzelinitiativen – „neben den Kirchen“ entstanden. Zu einer Massenbewegung wurde sie dann – zur Zeit Bonhoeffers – am Anfang des 20. Jh. durch die bündische Jugendbewegung, was sich bis heute darin auswirkt, dass es große Jugendverbände gibt, die als Vereine organisiert sind. Erst als die NS-Regierung staatlich unabhängige Jugendarbeit verboten hatte, wanderten große Teile der christlichen Jugendarbeit unter das Dach örtlicher Kirchengemeinden. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sich die Jugendarbeit in Deutschland neu orientieren. Die neu gegründete BRD übernahm dabei bewusst Mitverantwortung und förderte durch gesetzliche Strukturen Jugendarbeit von freien Trägern (verankert im SGB VIII). In der Folgezeit entstanden verschiedene Dachverbände, die bis heute gegenüber der Politik für Jugendarbeit einstehen und die Interessen junger Menschen vertreten. Während der Aufarbeitung der Nazivergangenheit im Deutschland der 1970er-Jahre wurden in der kirchlichen Jugendarbeit vermehrt sozialpädagogische Aspekte einbezogen. Die aktive Beteiligung der Jugendlichen wurde zu einem zentralen Wert. Die sogenannte „Polarisierungsdebatte“ zwischen eher sozial bzw. diakonisch ausgerichteter Jugendarbeit und traditionell missionarischen Jugendarbeiten, die den Fokus auf die Kommunikation des Evangeliums legten, kann inzwischen als überwunden gelten. Gegenwärtig sind rückgängige Zahlen von Teilnehmenden und ein größer werdendes Finanzierungsproblem die wohl größten Themen innerhalb der christlichen Jugendarbeit.

Trotz dieser nationalen Unterschiede können die Bezüge, die Root zur aktuellen Situation von Jugendarbeit herstellt, und das Anliegen eines theological turns für unsere Jugendarbeit in Deutschland äußerst relevant sein. Auch bei uns steht die christliche Jugendarbeit ständig in der Gefahr, einen technischen Ansatz zu verfolgen: Wer greift neue Trends am schnellsten auf? Wer hat die innovativsten Projekte? Wer generiert die größte Aufmerksamkeit in den sozialen Medien? Wer hat die meisten Teilnehmenden? Andrew Roots Deutung von Dietrich Bonhoeffer kann uns helfen, die christliche Jugendarbeit kritisch zu reflektieren und als einen zutiefst theologischen Dienst an und mit jungen Menschen zu verstehen. Möglicherweise würde ein theological turn auch der christlichen Jugendarbeit in Deutschland guttun.

Einige Hinweise, die bei der Lektüre des Buches hilfreich sein können:

An wenigen Stellen konnten die Originaltexte deutschsprachiger Zitate aus verschiedenen Gründen nicht ermittelt werden; diese Passagen sind als „Rückübersetzung“ gekennzeichnet.

Aus englischen Texten gehen die Geschlechter nicht immer eindeutig hervor. Diese Publikation richtet sich nicht ausschließlich an ein akademisches Publikum, sondern auch an Praktizierende in der Jugendarbeit. Die Übersetzerin hat aus Gründen der besseren Lesbarkeit überwiegend das generische Maskulin verwendet. Es sei aber erwähnt, dass Andrew Root selbst in seinen Texten bewusst Beispiele von Frauen verwendet, um inkludierend zu sein.

Einige Ausdrücke in Zitaten von Dietrich Bonhoeffer wirken aus heutiger Sicht rassistisch. Dabei ist wichtig zu bedenken, dass sich unser Sprachgefühl und die Sensibilität für solche Themen in den letzten Jahrzehnten stark verändert haben. Bonhoeffer setzte sich für verfolgte Jüdinnen und Juden ein und pflegte enge Freundschaften mit Menschen anderer Hautfarbe. Seine Wortwahl sollte deshalb im historischen Kontext verstanden werden.

Judith Hildebrandt hat auf Grundlage der Übersetzung die Kapitel 1–8 überarbeitet. Ab Kapitel 9 wurden die Texte von Andreas Jägers inhaltlich durchgesehen. Grundsätzliche Fragen bzgl. der Übersetzung von Begriffen und problematische Passagen wurden jeweils gemeinsam bearbeitet.

Von Anfang an war es uns ein Anliegen, dass dieses Buch nicht nur im akademischen Kontext, sondern auch in der Praxis der Jugendarbeit Beachtung findet. Um sich über die Bedeutung der Inhalte für die Praxis der Jugendarbeit vor Ort leichter austauschen zu können, wurden deshalb am Ende eines jeden Kapitels Fragen zur Reflexion ergänzt. Sie sollen der Leserschaft in der Jugendarbeit helfen, als Team über die Inhalte gemeinsam zu reflektieren und ins Nachdenken zu kommen.

Vorwort

Bücher werden immer für einen bestimmten Adressaten geschrieben. Und die besten Bücher gewöhnlich für den Autor. Vor allem theologische Bücher müssen, wie ich glaube, vom Autor für den Autor geschrieben werden. Die Leserschaft profitiert vom Dienst des Theologen, der den Mut hat, während des Schreibens mit Gott um den Glauben zu ringen. Die großen klassischen Texte der christlichen Tradition – etwa Athanasius’ Über die Inkarnation des Logos, Augustinus’ Bekenntnisse,LuthersVon der Freiheit eines Christenmenschen und sogar Barths Römerbrief – scheinen alle in erster Linie für den Autor selbst geschrieben worden zu sein.

Dieses Buch hier dürfte keineswegs eine vergleichbare Wirkungsgeschichte zu erwarten haben wie die oben genannten Werke. Aber auch dieses Buch wurde in erster Linie für seinen Autor geschrieben, für mich. Erwachsen ist es aus einer großen Freude. Es gab mir die Gelegenheit, etwas aus Dietrich Bonhoeffers Leben darzustellen, das bisher noch von keinem Bonhoefferforscher direkt behandelt worden ist. Ich habe in dieses Projekt Zeit und Konzentration investiert, um tief in Bonhoeffers Geschichte einzutauchen, die mich seit beinahe zwei Jahrzehnten fasziniert. Es erlaubte mir außerdem, einen Aspekt von Bonhoeffers Leben aufzuzeigen, von dem ich zutiefst hoffe, dass er für viele kirchliche Mitarbeiter, die sich täglich für junge Menschen einsetzen und sie unterstützen, von großem Nutzen sein wird.

Bücher werden also für den Autor geschrieben. Aber sie müssen auch in die Welt gebracht werden, damit sie dann zu Büchern für andere werden können. Dieses Buch ist in erster Linie für Mitarbeitende in der Jugendarbeit, für Jugendpastoren und Jugendreferenten. Es untersucht, inwiefern Dietrich Bonhoeffer – dieser große theologische Denker des 20. Jahrhunderts, der seinen Glauben bis zur letzten Konsequenz gelebt hat, bis zum Tod – selbst als Jugendpastor tätig war. Tatsächlich zeigt dieses Buch, dass es zwischen 1925 und 1939 (die entscheidenden Jahre in Bonhoeffers Leben) kaum Zeiten gab, in denen er nicht entweder in der Kinder- oder Jugendarbeit aktiv war. Ich hoffe sehr, dass dieses Buch ein Geschenk für alle ist, die sich in der Jugendarbeit engagieren, indem es aufzeigt, dass ihre Arbeit auf den breiten Schultern eines Dietrich Bonhoeffer ruht. Auf den folgenden Seiten werden sie nicht nur Bonhoeffers Weise kennenlernen, Jugendarbeit zu gestalten. Ich hoffe, sie werden in meiner Darlegung der Konsequenzen von Bonhoeffers Gedanken auch Inspiration für ihre eigene Jugendarbeit heute finden.

In erster Linie ist dieses Buch also für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Jugendarbeit gedacht, aber es richtet sich auch an Menschen, die sich wissenschaftlich mit Bonhoeffer befassen. Jugendmitarbeiter möchte ich anregen, Bonhoeffer als einen ihrer Vorfahren zu entdecken. Für Bonhoefferforscher hoffe ich, eine Lücke in der Diskussion über ihn aufzuzeigen bzw. sie zu schließen. Bonhoeffers Jugendarbeit war bisher noch nie Gegenstand einer gründlichen Untersuchung, und wo sie ins Gespräch gebracht wurde, geschah es meist, um andere Gesichtspunkte zu untermauern.8 So hat beispielsweise sein Engagement in der Sonntagsschule in Harlem keine Diskussion darüber ausgelöst, warum dieser junge Pfarrer die Arbeit mit jungen Menschen stets anderen Feldern des pastoralen Dienstes vorgezogen hat. Dieses Buch möchte die bisher fehlende Studie über den zentralen Stellenwert der Jugendarbeit für Dietrich Bonhoeffer sein.

Wenn Bücher nicht mehr nur für den Autor, sondern auch fürandere relevant werden, gibt es in der Regel Vermittler oder auch Geburtshelfer, die diesen Schritt ermöglichen, indem sie das Projekt auf Herz und Nieren prüfen, um sicherzustellen, dass es dazu taugt, in der Welt zum Einsatz zu kommen. Ich hatte das Glück, solche Menschen im Zusammenhang dieses Projektes um mich zu haben. Dirk Lange, mein Kollege am Luther Seminary, war so freundlich, während seines Sabbaticals Zeit zu opfern, um das Manuskript zu lesen. Dan Adams, ein amerikanischer Pastor, der in Südafrika lebt und eine eigene Arbeit über Bonhoeffer schreibt, nahm sich ebenfalls die Zeit, das Manuskript zu lesen. Ein besonderes Geschenk für mich während der letzten sieben Jahre war es, viel reisen zu können und so viele treue Diener des Evangeliums in aller Welt kennenzulernen. Dan war einer davon und seine Erkenntnisse als angehender Bonhoefferexperte und Jugendpastor waren bereichernd. Danken möchte ich auch Bob Hosack vom Baker Verlagshaus, der in diesem Buch Potenzial sah. Robert Hand bei Baker half maßgeblich dabei, den Entwurf lesbarer zu machen. Ebenfalls danke ich Erik Leafblad für seine sorgfältige Arbeit am Register.

Aber mein abschließender und größter Dank gilt Kara Root, die immer die Erste ist, die alles, was ich schreibe, liest und mir im Blick auf Argumentation, Stil und Gesamtausrichtung ihre Einschätzung gibt. Meine ersten Bonhoefferstudien machte ich mit Kara zusammen am theologischen Seminar, ihre Fingerabdrücke sind von daher überall im Buch zu entdecken.

  8 Mittlerweile ist eine Dissertation erschienen, die in eine ähnliche thematische Richtung weist: Judith Braun, Dietrich Bonhoeffers gemeindepädagogisches Wirken im Rahmen seines Kirchenverständnisses. Arbeiten zur Religionspädagogik (ARP) Band 67, Göttingen: V&R 2019 [Anmerkung der Herausgeber].

1Jugendarbeit und Dietrich Bonhoeffer

Die Entdeckung eines Vorfahren

Der Raum war überfüllt mit Mitarbeitern aus der Jugendarbeit, und ich wusste, dass ihre Anwesenheit nichts mit mir zu tun hatte. Ich war ein absoluter Neuling in der Referentenszene der Jugendarbeit, und die allermeisten der Anwesenden hatten keine Ahnung, wer ich war. Ich hatte auf dieser großen Konferenz bereits einen Workshop angeboten, in dem es um eines der immer relevanten Themen in der Jugendarbeit gegangen war, etwa „Teenager in Krisen begleiten“ oder etwas in der Art. Zu diesem Workshop, angesetzt in einem Raum für mehrere Hundert Teilnehmer, waren vielleicht um die zwanzig skeptische Teilnehmer erschienen, hatten sich in größtmöglichem Abstand zueinander im Raum verteilt, als gäbe es einen Wettbewerb zu gewinnen, wer die meisten Stühle zwischen sich und einen anderen bringen konnte. Das größte Grüppchen war nah am Eingang stehen geblieben in der beruhigenden Gewissheit, wenn die Sache langweilig würde, könnten sie jederzeit den Abflug machen und sich einen anderen Workshop suchen.

Für diesen zweiten Workshop erwartete ich also in etwa dasselbe, und mein innerer Prognostiker sah voraus, dass der Mangel an Teilnehmern sich nicht nur fortsetzen, sondern noch verschlimmern würde. Der erste Workshop war zumindest noch direkt praxisbezogen gewesen, es ging um Jugendarbeit ganz praktisch. Und wenn es etwas gab, was die Teilnehmer bei dieser Konferenz wollten, dann war es Know-how für die Praxis.

Ich bereitete meinen Computer für den zweiten Vortrag vor, stöpselte Kabel ein und stellte ein paar Folien um, und die ersten vereinzelten Teilnehmer betraten den Raum. Bald wurde aus dem Tröpfeln ein Strömen und schließlich eine regelrechte Flut. Die Ankommenden suchten sich einer nach dem anderen ihre Plätze, schoben sich aneinander vorbei, um noch einen Stuhl in der Mitte einer Reihe zu bekommen. All diese praxisorientierten Konferenzteilnehmer mit ihrem Hunger nach Know-how und neuen Ideen drängten sich hier zusammen und wollten einen Vortrag hören, der keinerlei Praxisbezug versprach; sie hatten nicht die leiseste Idee, wer ich war oder wie das Thema ihnen in ihrem Berufsalltag konkret helfen könnte. Und doch waren sie da – und das nur aufgrund des Titels des Workshops: „Dietrich Bonhoeffer und die Jugendarbeit.“

Gegen Ende meines etwa fünfzigminütigen Vortrags reihte sich einer nach dem anderen in die Schlange derjenigen ein, die noch mit mir sprechen wollten. Aber kaum einer hatte eine konkrete Frage; vielmehr standen sie da, um ein Eingeständnis abzugeben, um mir zu sagen: „Hey, danke, Bonhoeffer ist mein Held“ oder „Ich bin gekommen, weil ich Bonhoeffer so interessant finde.“ Fast eine ganze Stunde lang stand ich da und hörte, wie einer nach dem anderen bekundete, wie dieser deutsche Pfarrer sie beeindruckt hatte. Viele erklärten verlegen, aber freimütig, sie wüssten eigentlich wenig über Bonhoeffer, aber das wenige, das sie wussten, habe sie tief angesprochen und großen Eindruck auf sie gemacht.

Bonhoeffer und die Jugendarbeit

An jenem Tag wurde deutlich, dass Jugendmitarbeiter ganz ähnlich ticken wie so viele andere, die Dietrich Bonhoeffer fasziniert und die bei ihm Inspiration finden. Auf nahezu jeder Liste bedeutender Christen steht Bonhoeffer in den oberen Rängen; und über alle unterschiedlichen Gruppierungen hinweg (ob liberal oder konservativ, landeskirchlich oder evangelikal, Jugendpastoren oder Pfarrer)9 hat Bonhoeffer einen Platz in deren offiziellem oder inoffiziellem Pantheon einflussreicher christlicher Persönlichkeiten.

Es könnte aber auch sein, dass gerade Jugendmitarbeiter eine besondere (und so oft unerschlossene) Verbindung zu Bonhoeffer haben. Wie meine Erfahrung unterstreicht, genießt Bonhoeffer unter Jugendmitarbeitern Bewunderung. Aber unter all den Äußerungen, die ich an jenem Tag hörte, war keine, die zur Sprache brachte (oder sich bewusst zu sein schien), wie eng Bonhoeffer gerade den Jugendmitarbeitern durch die gemeinsame Berufung, jungen Menschen zu dienen, verbunden war. Es hat in der Tat den Anschein, dass die meisten Bonhoefferverehrer (von Wissenschaftlern ganz zu schweigen) vergessen oder übersehen haben, in welchem Ausmaß und welcher Tiefe Jugendarbeit sein Leben und Wirken geprägt hat. Man könnte sogar mit Recht sagen (und ich versuche das im Folgenden zu zeigen), dass ein zentraler Zugang zum Verständnis Bonhoeffers darin liegt, ihn als Jugendpastor und/oder als talentierten Denker zu sehen, der einige der kreativsten theologischen Perspektiven des frühen 20. Jahrhunderts von seinem Blick auf junge Menschen her entwickelt hat. Mitarbeiter in der Jugendarbeit fühlen sich wie so viele andere zu Bonhoeffer hingezogen, sie sehen ihn aber eher als einen Theologen, den sie schätzen, denn als einen Vorfahren und Gewährsmann für ihr ureigenes Berufsfeld. Dieser Vorfahre könnte am Anfang einer sich langsam herausbildenden Strömung in der Jugendarbeit an sich stehen.

Vorfahre einer Bewegung

Manche vertreten die Meinung, kirchliche Jugendarbeit sei ein nordamerikanisches Nachkriegsphänomen.10 Wenn dies richtig wäre, dann wäre es recht seltsam, einen Deutschen, der 1945 ermordet wurde, ihren Vorfahren zu nennen. Wie wir in späteren Kapiteln sehen werden, wäre Dietrich Bonhoeffer höchstwahrscheinlich ein entschiedener Gegner vieler Formen der amerikanischen Jugendarbeit gewesen, wie sie sich seit ihren Anfängen entwickelt haben. Schließlich war Bonhoeffer gegen zu überschwänglich geistliche Bestrebungen wie die Oxford-Bewegung11 und war geprägt von einer gewissen Geringschätzung des unternehmerischen Geists der amerikanischen Religion und ihres Bestrebens, den Glauben vor allem in die Tat umzusetzen, ohne ihn zu durchdenken (und zu bekennen).12 Dietrich Bonhoeffer entsprach von seinem intellektuellen Anliegen und seiner persönlichen Veranlagung her ganz undgar nicht dem stereotypen Bild, das wir heute von Menschen haben, die Jugendarbeit machen.

Es wäre also in keiner Weise angemessen, Dietrich Bonhoeffer den Vorfahren der Jugendarbeit, wie sie in Nordamerika betrieben wird, zu nennen. Aber es wäre auch ein großes Versäumnis, nicht zu sehen, wie zentral für Bonhoeffer die Jugendarbeit war. Wenn ich also Bonhoeffer einen Vorfahren einer Bewegung nenne, dann geht es mir darum, Jugendarbeit von ihrer Erscheinungsform im Nachkriegsnordamerika abzukoppeln und Bonhoeffer mit der von mir und Kenda Creasy Dean sogenannten „theologischen Wende in der Jugendarbeit“ in Verbindung zu bringen (etwas, was wir als globaler und reflektierter sehen als die nordamerikanische Jugendarbeit der Nachkriegszeit).13

Kenda Creasy Dean und ich haben beobachtet, wie sich unter Jugendmitarbeitern langsam eine Bewegung entwickelt hat, die wir als theological turn14 bezeichnen. Und wir versuchen, diese Bewegung zu fördern. In ihr finden sich Jugendmitarbeiter, die sich als Reaktion auf ihren bisherigen beruflichen Einsatz oder auf das übergreifende Ethos der „fixen Idee des Industriemodells“ amerikanischer Jugendarbeit stärker dem Theologischen zugewandt haben. Und das taten sie nicht aus akademischen oder intellektuellen Gründen, sondern aus pastoralen. Sie glauben, dass die Hinwendung zum Theologischen ihnen einen Bezugsrahmen und eine Ausrichtung für ihre Arbeit mit und für junge Menschen geben kann.

Es sind Leute, die Jugendarbeit nicht länger als ein technisches Unterfangen betrachten, das dem Ziel dient, ein berufsbezogenes Problem zu lösen, etwa Jugendlichen eine religiöse Überzeugungzu vermitteln oder sie religiös zu unterhalten oder moralisch und geistlich auf sicheres Terrain zu stellen. Stattdessen sehen sie Jugendarbeit als einen konkreten Ort, an dem sie das Wirken Gottes reflektieren und daran teilhaben können.15 Die Hinwendung zum Theologischen ist für sie eine Möglichkeit, klarer zu bestimmen, welche Form ihre Arbeit annehmen soll.

Wir könnten es auch so sagen: Die Jugendarbeit in Nordamerika ist seit ihren Anfängen Mitte des 20. Jahrhunderts von einer technologischen Denkweise geprägt; Jugendarbeit in den USA war großenteils eine Technologie. Das technologische Zeitalter ist die Epoche, in der die amerikanische Gesellschaft in den Griff eines verheerenden Drangs nach dem Neuen und Besseren geriet (und nur eine technologische Gesellschaft konnte dieses Neue und Bessere bieten). Es überrascht nicht, dass es diese Epoche ist, in der die Anfänge der heutigen Formen der amerikanischen Jugendarbeit liegen.

Technologie ist Wissenschaft, die fachlichen Zielen dient, um etwas zu erreichen oder ein Problem so zu lösen, dass Kapital vermehrt wird.16 Jugendarbeit wurde als Technologie konzipiert, die man brauchte, um das Problem der religiösen Gleichgültigkeit von Jugendlichen zu lösen; sie existierte daher – wie jede Technologie – für den Zweck funktionierenden Wachstums. Daher wurde sie so gestaltet, dass sie Kapital vermehrte, indem sie das technische Problem löste, für das sie erschaffen wurde. Das berufsbezogene Problemwar geringes religiöses Engagement (Jugendliche waren keine Kirchenfans) und unmoralisches Verhalten (Jugendliche nahmen Drogen, hatten Sex und lasen nicht in der Bibel). Als Technologie, die diese Probleme zweckmäßig lösen sollte, konnte Jugendarbeit nur anhand der Kapitalvermehrung beurteilt werden, die sie erzielte. Erfolg war ablesbar, wenn mehr Jugendliche am Sonntag in die Kirche oder während der Woche zur Jugendgruppe kamen, wenn mehr Jugendliche drogenfrei und sexuell enthaltsam lebten – die Jugendarbeit erreichte das berufsfeldbestimmte Ziel, für das sie geschaffen war. Und als Technologie bestand ihr Nutzen (ihre Daseinsberechtigung) nur darin, den erwünschten Mehrwert hervorzubringen, um dieses Ziel zu erreichen.

Dieses technologische Ethos empfinden mehr und mehr Jugendmitarbeiter als einengend. Sie fühlen sich gefangen in diesem technologischen Berufsverständnis, so als sei es ihre Aufgabe, ständig auf der Suche nach dem nächsten großen Programm, Modell oder der zündenden Idee zu sein. Mit anderen Worten: Sie sehen sich gezwungen, dem nächsten großen technologischen Durchbruch nachzujagen, der es ihnen endlich ermöglichen wird, ihr Kapital exponentiell zu vermehren (indem sie eine große Gruppe Jugendlicher vorweisen können, die nicht sexuell enthaltsam sind). Nicht wenige in der Jugendarbeit fragen sich mittlerweile, ob ihr Auftrag nicht doch umfassender ist oder ob er sich darin erschöpft, Technologien so zu handhaben, dass sie religiöses Kapital steigern. Sie fragen vielmehr nach Gott und danach, wie er an Jugendlichen wirkt – oder ob solche tiefer gehenden Gedanken und Überlegungen von der Technologiesucht der Jugendarbeit aufgesogen werden. Es sind diese Leute, die sich mutig vom technologischen Modell abgewendet haben und nach dem Handeln Gottes in ihrer Arbeit mit Jugendlichen fragen, die einen theological turn vollzogen haben.

Die hohe Teilnahme an meinem Workshop zu Bonhoeffer schockierte mich, denn das Thema (und, wie ich zu zeigen hoffe, Bonhoeffer selbst ebenfalls) stand dieser Bindung der Jugendarbeit an das Technologische durchaus entgegen. Es mag unter anderem dieser ganz andere Ausgangspunkt Bonhoeffers sein, der ihn für viele so anziehend macht. Wir hören bei ihm etwas anderes, etwas, das uns von unserer Abhängigkeit von einem technologischen Verständnis unserer Arbeit wegzieht, etwas, das uns dazu bringt, unser berufliches Handeln auf die Offenbarung Gottes zu gründen.

Wenden wir uns unserem Vorfahren zu

Kenda Creasy Dean und ich haben im Blick auf die Jugendarbeit eine Wendung vom Technologischen zum Theologischen beobachtet, und wir haben versucht, diese Entwicklung zu unterstützen. Wir haben uns bemüht, Jugendmitarbeiter zu ermutigen, ihre Arbeit nicht als Mittel zur Lösung eines dienstbezogenen Problems zu sehen, das dabei hilft, das Kapital zu vermehren (das Technologische), sondern vielmehr als einen Ort, an dem man der Offenbarung Gottes unmittelbar neben dem Menschsein der jungen Menschen selbst begegnen kann (das Theologische). Wir glauben, Jugendarbeit solle darauf abzielen, etwas vom Handeln Gottes im und durch das Leben junger Menschen in- und außerhalb der Kirche widerzuspiegeln.

Aber um genau zu sein, muss ich betonen, dass der theological turn keine Wende zur Theologie ist.17 Es gibt vielmehr bedeutsame Unterschiede. Eine Hinwendung zur Theologie würde bedeuten, sich mit Dogmen und Traditionen zu beschäftigen in der Annahme, wenn man diese in die Köpfe der Jugendlichen hineinbekommt,habe man sein Ziel erreicht. Eine solche Hinwendung zur Theologie ginge das Risiko ein, sich von der konkreten und lebendigen Erfahrung der Jugendlichen abzuschotten.18 Wir sprechen vielmehr von einem theological turn, weil dies gerade die sehr konkrete19 und gelebte Erfahrung junger Menschen als Ort der Begegnung mit Gott zu entfalten sucht.20

Jugendarbeit, die auf Theologie setzt, will jungen Menschen Modelle formalen Wissens nahebringen (sie auf die Glaubenslehren einnorden). Jugendarbeit, die im Technologischen verhaftet ist, zielt darauf ab, Zahlen zu erhöhen und Verhalten zu verbessern. Eine Jugendarbeit, die sich dem Theologischen zuwendet, bemüht sich, an der konkreten und gelebten Erfahrung von Jugendlichen teilzuhaben, denn sie versteht dies als ebenden Ort, an dem sie am Handeln und Sein Gottes selbst teilhaben kann.21

Denjenigen unter uns, die versuchen, den theological turn in der Jugendarbeit mitzuvollziehen, möchte ich auf den Seiten dieses Buches zeigen, inwiefern wir Erben Dietrich Bonhoeffers sind. Es wäre unmöglich, Bonhoeffer zum Gewährsmann der technologisch orientierten nordamerikanischen Jugendarbeit zu machen. Nicht nur seine Geschichte und sein Lebenskontext würden dies nicht zulassen, auch sein eigenes Denken und sein Lebensengagement stehen dem entgegen. In gleicher Weise wäre es schwierig, Bonhoeffer zum Stammvater einer Hinwendung zur Theologie in der Jugendarbeit zu machen. Bonhoeffer war zweifellos sehr bewandert in Dogmatik und den kirchlichen Bekenntnisschriften und vermittelte sie auch seinen Konfirmanden. Aber letzten Endes zeigt die konkrete Form seiner Arbeit mit jungen Menschen, dass es ihm nicht darum ging, Informationen in die Köpfe der Jugendlichen zu bekommen, sondern an ihrem Leben teilzunehmen, um so gemeinsam die Offenbarung Gottes in Jesus Christus zu erfahren.

Ich bin überzeugt: Was heute viele so sehr an Bonhoeffer fasziniert, ist diese Konzentration auf das Theologische, dieser Fokus auf Gottes Handeln in unserem konkreten Leben. Und dass er selbst in dem Bemühen lebte und starb, Jesus Christus im konkret gelebten Leben nachzufolgen, ist der Grund dafür, dass sich heute Säle mit Menschen füllen, die seine Geschichte hören möchten.22

Dietrich Bonhoeffer, so werde ich argumentieren, ist der Vorfahre derer, die heute für einen theological turn in der Jugendarbeit stehen. Denjenigen unter uns, die eine solche Wende anstreben, hoffe ich zu zeigen, inwiefern wir in den Fußstapfen Bonhoeffers gehen und inwiefern wir uns auf ihn berufen und von ihm lernen können. Dietrich Bonhoeffer ist der Vorfahr des theological turn, weil er auf unvergleichliche Weise drei Aspekte miteinander verwoben hat: die Arbeit mit jungen Menschen, einen Fokus auf konkrete Erfahrungen und das Bekenntnis zum Offenbarungscharakter von Gottes fortgesetztem Handeln in der Welt durch Jesus Christus. Auf den Seiten dieses Buches wird Bonhoeffer also unser Lehrer sein. Wir werden den Reichtum seines theologischen Denkens erkunden und herausfinden, was wir aus seinem Leben und seinen Schriften für unsere eigene Hinwendung zum Theologischen heute lernen können.

Um diese Reise zu beginnen, müssen wir dort ansetzen, wo jegliches Gespräch über Bonhoeffer beginnen muss: bei seiner Biografie. Nahezu keines der bisher über Bonhoeffer veröffentlichten Bücher hat der Verlockung widerstanden, ein oder zwei Kapitel seiner Biografie zu widmen. Dieses Vorhaben hegt die Hoffnung, nicht einfach der Faszination von Bonhoeffers Lebensgeschichte zu erliegen (und die ist zweifellos faszinierend), sondern in dieser Geschichte nach dem Teil zu schürfen, der so oft übersehen oder unterbewertet worden ist: Bonhoeffers Arbeit mit jungen Menschen. Daher werde ich versuchen, in Teil 1 die Geschichte des Jugendpastors oder Jugendseelsorgers Dietrich Bonhoeffer zu erzählen; in Teil 2 werde ich zwei seiner wichtigsten Schriften – Nachfolge und GemeinsamesLeben – im Blick auf ihre Bedeutung für die Jugendarbeit heute untersuchen.

Zum Weiterdenken

„Jugendarbeit, die auf Theologie setzt, will jungen Menschen Modelle formalen Wissens nahebringen (sie auf die Glaubenslehren einnorden). Jugendarbeit, die im Technologischen verhaftet ist, zielt darauf ab, Zahlen zu erhöhen und Verhalten zu verbessern. Eine Jugendarbeit, die sich dem Theologischen zuwendet, bemüht sich, an der konkreten und gelebten Erfahrung von Jugendlichen teilzuhaben, denn sie versteht dies als ebenden Ort, an dem sie am Handeln und Sein Gottes selbst teilhaben kann.“

Welcher Unterschied besteht für Andrew Root zwischen einem technischen und einem theologischen Ansatz in der Jugendarbeit?

Warum könnte ein technischer Ansatz von Jugendarbeit ein Problem sein und was ist die Herausforderung eines theologischen Ansatzes?

Woran erkennen wir technische Ansätze in der Jugendarbeit und wie können wir anfangen, einen theological turn zu vollziehen, also Jugendarbeit auf das „Theologische“ auszurichten?

  9Stephen Haynes diskutiert diese Liste in seinem interessanten Buch The Bonhoeffer Phenomenon: Portraits of a Protestant Saint (Minneapolis, MN: Fortress, 2004).

 10 Natürlich gab es schon vor der Mitte des 20. Jahrhunderts viele jugendorientierte oder auf die Jugend ausgerichtete Initiativen, aber die Jugendarbeit als das professionelle Phänomen, das sie heute ist, begann sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Nordamerika zu entwickeln. Für Weiteres zu dieser Geschichte siehe Andrew Root, Revisiting Relational Youth Ministry (Downers Grove, IL: IVP, 2007); Mark Senter, The Coming Revolution in Youth Ministry (Wheaton: Victor Books, 1992); und Thomas Bergler, The Juvenilization of American Christianity (Grand Rapids, MI: Eerdmans, 2012).

 11 Bonhoeffer kam während seiner Zeit in Finkenwalde in Kontakt mit der englischen Oxford-Bewegung, die sich in den 1920er-Jahren unter Studenten in Cambridge und Oxford entwickelt hat und sich seit den 1930ern in verschiedene Länder ausbreitete. Man nahm an, dass diese englische Gruppierung und Bonhoeffers eigene Seminargemeinschaft vieles gemeinsam hätten. Aber Bonhoeffer sah keine Gemeinsamkeiten, er fand scharfe Worte über die ausufernde Zurschaustellung von Spiritualität in der Oxford-Bewegung.

 12 Siehe z. B. sein Aufsatz „Protestantismus ohne Reformation“ (Dietrich Bonhoeffer, Illegale Theologenausbildung: Sammelvikariate 1937–1940, DBW 15, 431ff., sowie die vielen Briefe aus den Jahren 1930–31 an Max Diestel in Deutschland, in denen er über seine Erfahrungen mit der amerikanischen Kirche berichtet. Bonhoeffer war kein Fan davon.

 13 Siehe Andrew Root und Kenda Creasy Dean, The Theological Turn in Youth Ministry (Downers Grove, IL: IVP, 2011).

 14 Die Formulierung theological turn hat sich international als fachspezifischer Begriff etabliert. Aus diesem Grund wird auf eine entsprechende deutsche Übersetzung verzichtet.

 15 Siehe auch meine Reihe „A Theological Journey through Youth Ministry”; mit den vier Büchern: Taking Theology to Youth Ministry (Grand Rapids, MI: Zondervan, 2012); Taking the Cross to Youth Ministry (Grand Rapids, MI: Zondervan, 2012); Unpacking Scripture in Youth Ministry (Grand Rapids, MI: Zondervan, 2013) und Unlocking Eschatology and Mission in Youth Ministry (Grand Rapids, MI: Zondervan, 2013).

 16 Es kann sich dabei um soziales oder kulturelles Kapital handeln – oder um noch viel mehr. Am häufigsten jedoch ist dieses Kapital wirtschaftlicher Natur. Innovationen und ihre Förderung entstehen oft aus finanziellen Motiven: wegen des Geldes, das sie einbringen, und des Wachstums, das sie ermöglichen.

 17 Ein ähnliches Argument bringt Mark Lewis Taylor vor. Obwohl meine und seine Gedanken in vielerlei Hinsicht sehr unterschiedlich sind, finde ich seine Unterscheidung zwischen Theologie und Theologischem hier hilfreich. Siehe The Theological and the Political: On the Weight of the World (Minneapolis, MN: Fortress, 2011).

 18 Auf das Theologische weist Bonhoeffer – in seinen eigenen Worten – folgendermaßen hin: „Die Theologie ist Auslegung des Bekenntnisses unter bestimmten Gesichtspunkten und dauernder Prüfung des Bekenntnisses an der Schrift. Der Glaube entsteht allein aus der Predigt des Wortes Gottes, er bedarf nicht der Theologie, aber die rechte Predigt bedarf des Bekenntnisses und der Theologie. Der Glaube, der durch die Predigt entsteht, sucht seine Bestätigung wiederum an der Schrift und den Bekenntnissen und treibt so selbst Theologie.“ Dietrich Bonhoeffer, Konspiration und Haft 1940–1945, DBW16, 496.

 19 Ernst Feil sagt: „Bonhoeffer suchte Gott als dem concretissimum; Gott war ihm konkrete Wirklichkeit und zugleich das Geheimnis, das uns nahe ist; in ihm liegt die eigentliche Wirklichkeit, die über die vermeintliche positivistisch verstandene Wirklichkeit hinausgeht.“ (Die Theologie Dietrich Bonhoeffers: Hermeneutik, Christologie, Weltverständnis [Berlin: Ev. Verlagsanstalt, 1977], 103).

 20 Mit dieser Verpflichtung kann sich, wie es bei meiner Arbeit der Fall war, das Theologische zweifellos der Dogmatik zuwenden. Ich bin ausgesprochen für klare Lehre. Aber in Anlehnung an Bonhoeffer müssen wir durch das Konkrete und Gelebte zum Diskurs mit der Lehre veranlasst werden. Wer das Konkrete und Gelebte ausklammert, tappt in die Falle der „Theologie“, wie ich den Begriff hier verwende.

 21 Diesen theologischen Schwerpunkt habe ich auch Christopraxis genannt. Christopraxis ist eine Perspektive, die ihren Ursprung im Denken von Ray Anderson hat, der sie durch intensive Lektüre von Dietrich Bonhoeffer gewann. Diese theologische Perspektive findet starke Resonanz in der neueren Missionstheologie. Sowohl Kenda Creasy Deans Interesse an missionaler Theologie als auch unsere wechselseitige Prägung durch unsere praktisch-theologischen Perspektiven bewegen uns dazu, das Theologische so zu betrachten, wie wir es tun.

 22 Die Bedeutung des konkreten Lebens erläutert David Hopper: „In seinen Chicagoer Vorlesungen von 1961 machte [Eberhard] Bethge dieses Motiv der ‚Konkretion‘ zum Gegenstand seiner einleitenden Vorstellung von Bonhoeffers Denken. Zwei Punkte waren ihm dabei wichtig: Erstens, dass für Bonhoeffer Konkretion ein ‚wesentliches Attribut der Offenbarung‘ sei, und zweitens, dass die Botschaft der Kirche an die Welt ebenfalls konkret sein müsse. In Bezug auf den ersten Punkt stellte Bethge fest, dass in den frühen und auch in den späteren Schriften ‚im Zentrum von Bonhoeffers Theologie […] die Inkarnation steht‘. Es kann keine Spekulation über einen Gott vor oder außerhalb dieser Konkretion geben. Der inkarnierte Gott ist der einzige, den wir kennen. Wir können uns Konkretheit nicht einmal vorstellen als etwas, das Gott später zu seinem Wesen hinzugefügt hätte. Alles, was wir wissen, und das ist atemberaubend, ist, dass die inkarnierte Konkretheit das Attribut IST, soweit wir es denken können.“ (A Dissent on Bonhoeffer [Philadelphia, PA: Westminster, 1975], 64).

Teil 1Die Geschichte von Dietrich Bonhoeffers Einsatz in der Jugendarbeit

2Der Jugendarbeiter Dietrich Bonhoeffer

Am Ende von Kapitel 1 habe ich eine kühne Behauptung aufgestellt, die ich nun rechtfertigen muss. Ich habe behauptet, Dietrich Bonhoeffer sei der erste Jugendarbeiter, der seine Arbeit aus der Orientierung am Theologischen heraus verstand und gestaltete. Diese Behauptung ist leicht übertrieben, aber ich bin bereit, sie zu vertreten. Übertrieben ist sie, weil die Behauptung, er sei „der Erste“, ziemlich schwer zu beweisen ist. Es gab in der Geschichte der Kirche (und insbesondere außerhalb des Protestantismus) eindeutig andere Pfarrer oder Theologen, von denen man behaupten könnte, dass sie vor Bonhoeffer Theologen der Jugendarbeit oder der Jugendseelsorge waren. Allerdings könnte es sehr schwierig sein, jemanden, der vor dem 20. Jahrhundert lebte, mit unseren modernen Vorstellungen von Jugendarbeit in Verbindung zu bringen, denn vorher waren die modernen Konzepte von Kindheit und vor allem von Jugend nicht annähernd so präsent und so bestimmt wie zu Bonhoeffers Zeit und später.

In diesem Kapitel geht es jedoch nicht darum, darüber zu debattieren, wer „der Erste“ war; ich gebe zu, dass es schwer ist, das Wort „Erste“ in meiner Behauptung zu beweisen. Aber während der Rang des „Ersten“ schwer zu beweisen ist, ist das Element des „Theologischen“ in meiner Aussage unbestreitbar. Es wäre schwierig, Bonhoeffer in einem anderen als einem theologischen Licht zu sehen. Immerhin ist er Autor komplexer theologischer Bücher wie Akt und Sein und bedeutender christologischer Vorlesungen und Essays über Ethik. Und dies sind nicht einfach Werke der Theologie, sondern, wie fast alle Bonhoeffer-Interpreten bestätigen würden, Werke des Theologischen (wie ich es im letzten Kapitel definiert habe). Bonhoeffer war von Anfang bis Ende bestrebt, über Gottes Handeln im und durch das konkrete und gelebte Leben nachzudenken. Ich kann mir vorstellen, dass es nur wenige gibt, die das „Theologische“ in meiner Behauptung infrage stellen würden.

Doch in diesem Kapitel geht es um meine Aussage, Dietrich Bonhoeffer sei [ein] Jugendarbeiter.23 Teil 1 dieses Buches zielt darauf ab, diesen Punkt historisch zu belegen. Aber ich hoffe, mit Teil 1 mehr zu bewirken, als nur zu zeigen, dass Bonhoeffer Jugendarbeit gemacht hat. Ich werde auch darlegen, dass Bonhoeffers Arbeit mit der Jugend seine theologische Arbeit beeinflusst hat. Und ich möchte zeigen, dass seine Jugendarbeit für ihn von zentraler Bedeutung war und seine Vorstellungen vom pastoralen Dienst maßgeblich geprägt hat.

Das „Bonhoeffer-Phänomen“

Jede biografische Arbeit über Dietrich Bonhoeffer steht in Gefahr, seine Biografie als bloße Bestätigung der eigenen Überzeugung zu lesen. Dietrich Bonhoeffer ist zur Gallionsfigur vieler unterschiedlicher Gruppierungen gemacht worden, die ihn alle als ihren Heiligen beanspruchen.

Es ist ziemlich ungewöhnlich, dass man über so reichhaltiges historisches Material zu einem Menschen verfügt (es mangelt nicht an ausführlichen wissenschaftlichen Biografien über ihn) und dennoch so unterschiedliche Interpretationen seiner Person findet. StephenHaynes hat diese Tatsache das „Bonhoeffer-Phänomen“ genannt.24 Dieses kristallisiere sich um das herum, was ich in meinem in Kapitel 1 erwähnten Workshop erlebt habe: eine überwältigende Begeisterung für und Faszination durch Bonhoeffer, die sich allzu oft mit einem Mangel an Verständnis für seine tatsächliche Biografie verbindet (die wissenschaftlichen Biografien werden selten gelesen).

Aber wer war Bonhoeffer wirklich? Welche inneren Überzeugungen prägten sein Denken und Wirken? In Teil 1 versuche ich nicht nur, den Jugendarbeiter Bonhoeffer sichtbar zu machen, sondern hoffe auch, Menschen im Berufsfeld Jugendarbeit darüber zu informieren, wer Dietrich Bonhoeffer war, und ihnen zu helfen, seine Geschichte und seinen Lebensentwurf zu verstehen.

Die Revolutionären

Haynes demonstriert ausführlicher, als ich es hier tue, wie insbesondere drei unterschiedliche Gruppen Bonhoeffer für sich beansprucht haben. Dies geschieht in der Regel, indem sie einen Aspekt seiner Biografie als zentral erklären, um eine eigene theologische Position oder Berufsauffassung zu rechtfertigen. Die erste Gruppe, die dies tat, nennt Haynes die „Revolutionären“. Tatsächlich war es diese Gruppe, die Bonhoeffer aus der Unbekanntheit zu Ruhm verholfen hat. Als Bonhoeffer starb, war er im Grunde genommen ein unbekannter junger Pastor und Theologe. Er hatte einige Bücher geschrieben und viele (darunter auch einen Karl Barth) mit seinem Potenzial beeindruckt. Aber tragischerweise starb er eben auch als ein Mensch „mit Potenzial“, vom Krieg verschluckt, bevor er einen wirklichen Einfluss ausüben konnte.

Zwei Jahrzehnte nach seinem tragischen Tod begann seine nachhaltige Wirkungsgeschichte auch außerhalb von Deutschland. Sie setzt mit der Veröffentlichung von Bonhoeffers Briefen aus dem Tegeler Gefängnis (Widerstand und Ergebung) auf Englisch an. Diese Briefe wurden in den 1960er-Jahren von einer Reihe englischsprachiger revolutionärer Theologen aufgegriffen, die die Möglichkeit eines atheistischen Christentums ausloteten. Sie stürzten sich auf bestimmte Formulierungen und Gedanken Bonhoeffers, um ihre eigene Position zu untermauern. Vor allem Bonhoeffers Konzept des „religionslosen Christentums“ erregte ihre Aufmerksamkeit, und sie machten Bonhoeffer zum Gesicht eines radikalen (Anti-) Christentums. Haynes stellt fest: „Für die Radikalen ist Bonhoeffer ein ‚Seher‘ – ein Mann, der seiner Zeit voraus war und mit geradezu unheimlichem Vorauswissen die Zukunft wahrgenommen hat.“25

Wie Haynes ausführt, war für die Revolutionären Bonhoeffers Gefängniserfahrung der zentrale Aspekt zur Deutung seiner Person.26 Sie ignorierten die früheren bekenntnishaften und theologischen Äußerungen Bonhoeffers rundheraus oder redeten sie klein und behaupteten, dass Bonhoeffer im Gefängnis eine radikale Veränderung vollzogen habe, in der er alles Bisherige hinter sich gelassen habe, selbst die eng verbundene konservative Familie, in der er aufwuchs. Jegliche Bedeutung von Orthodoxie, Gemeinschaftund der Offenbarung Jesu Christi wurde von den Vertretern der revolutionären Auslegung der Einfachheit halber aus Bonhoeffers Vermächtnis gestrichen.

Diese historische/theologische Deutung wäre die Standardsicht auf Bonhoeffer geworden, hätte nicht Bonhoeffers überlebender Schüler und engster Freund entschieden dagegen protestiert. Eberhard Bethge, der Adressat der meisten Briefe Bonhoeffers aus dem Gefängnis, stellte sich gegen die radikale Bonhoeffer-Interpretation und mahnte, Bonhoeffer könne nicht als Vertreter der Gott-ist-tot-Theologie der 1960er-Jahre (oder heute als radikal postmoderner Theologe) gelesen werden.27 Bethge bestand darauf, dass es im Denken und Leben Bonhoeffers zwar eine Entwicklung gegeben habe, aber keinen Bruch.

Die Liberalen

Durch direkte Gespräche mit Bethge entstand eine weitere Gruppe von Bonhoeffer-Interpreten – Haynes nennt diese Interpreten „die Liberalen“. Diese Gruppe war begeistert von Bonhoeffers Einsatz für soziale Gerechtigkeit und untersuchte insbesondere Bonhoeffers Widerstand gegen den Nationalsozialismus und sein Eintreten für die Juden. Aber, so erklärt Haynes, diese historischen Realitäten sind nicht die zentrale biografische Brille, durch die sie Bonhoeffer sehen. Sie stützen sich stattdessen auf die Themen Widerstand, Eintreten für die Schwachen und den Ruf nach Gerechtigkeit, die sich auf Bonhoeffers Erfahrungen in New York City und insbesondere in Harlem in den Jahren 1930–31 konzentrieren. Diese hauptsächlich amerikanischen liberalen Theologen sehen den historischen Schlüssel zu einer zutreffenden Bonhoeffer-Interpretation in seinen Erfahrungen mit Afroamerikanern als Vorläufern der Bürgerrechtsbewegung in Amerika.28 Es besteht kein Zweifel, dass diese Erfahrung Bonhoeffer ein Leben lang geprägt hat. Von da an verwendete Bonhoeffer Negro Spirituals in seiner Arbeit; er spielte die Platten, die er in New York gekauft hatte, seiner Konfirmandengruppe vor und dann seinen Studenten am Seminar der illegalen Bekennenden Kirche in Finkenwalde. Bonhoeffer, so scheint es, benutzte die Negro Spirituals, um seinen Studenten zu helfen, den Schritt ins Theologische zu tun. Die intensive Gefühlsdichte der Spirituals wurde für ihn zu einem Weg, Gott im konkreten und gelebten Leben zu suchen.

Es ist unmöglich, Bonhoeffer außerhalb einer irgendwie gearteten Richtung des Liberalismus zu sehen. Immerhin hat er in Berlinpromoviert, der Bastion des liberalen Denkens.29 Er studierte in New York am Union Theological Seminary. Und er war ein guter Familienfreund des Kirchenhistorikers und Berliner Mitbürgers Adolf von Harnack, einem Giganten des liberalen Denkens. (Bonhoeffer fuhr nicht nur wöchentlich mit Harnack im Zug von Grunewald zur Universität, sondern ihm wurde auch die Ehre zuteil, bei dessen ehrenvollem Begräbnis die Laudatio auf den großen Theologen zu halten.)

Doch Bonhoeffer hat sich auch mit einigen deutlichen Schritten vom Liberalismus entfernt. Zum Beispiel begeisterte er sich 1926 für das Denken von Karl Barth, dem Theologen, der gegen Bonhoeffers Lehrer in Berlin zu Felde zog und deren Theologie den Bankrott erklärte.30

Von seinem Cousin Hans-Christoph von Hase erhielt Bonhoeffer einige der ersten Vorlesungen Karl Barths. Von Hase war nach Göttingen gegangen, um Medizin zu studieren, wurde aber nach einer Barth-Vorlesung zum Theologiestudium bekehrt. Nun hörte er jede Barth-Vorlesung, schrieb sie Wort für Wort handschriftlichmit (für deutsche Studenten zu jener Zeit nicht ungewöhnlich) und schickte sie an seinen Cousin in Berlin.

Auch in den Klassenzimmern des Union Seminary in New York stellte sich Bonhoeffer gegen den Liberalismus. Er trat in New York