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Die digitale Transformation wird in vielen Fällen nicht ausreichen, um die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen. Digital Rebirth ist mehr, es bedeutet eine Neukonzeption der Ziele, Leistungen, Kultur und Prozesse eines Unternehmens, inklusive der technologischen Plattform. Dieses Buch präsentiert praktische Rahmenbedingungen für den Digital Rebirth. Es richtet sich an etablierte große und mittlere Unternehmen, an deren Zulieferer und Dienstleister ebenso wie an jüngere Unternehmen und Startups. Und damit an Vorstände und Eigentümer, Führungskräfte, Unternehmensgründer und Consultants. - In jedem Kapitel beschreibt es bewährte Konzepte des Digital Rebirth, von der digitalen Neuausrichtung über digitale Plattformen und Ökosysteme bis zu Hinweisen, wie man von überkommenen Auffassungen zu neuartigen Denkweisen kommt und sich von unternehmerischem Ballast und alten Prozessen befreit. - Es zeigt deutlich, wie bekannte Unternehmen den Rebirth bereits gemeistert haben - oder gerade dabei sind, sich zu einem der Spielmacher der digitalen Wirtschaft zu entwickeln. - Darstellungen für Unternehmen und Branchen werden unterstützt durch Beschreibungen der Ansätze, Methoden und praktische Tools. - Der Inhalt des Buchs dient als Grundlage für Workshops, Management-Meetings sowie Führungskräfte-Brainstormings, wie sie von den Autoren bereits erfolgreich durchgeführt wurden. - Am Ende des Buchs wird der Ansatz des Digital Rebirth zu einem Set von fünf digitalen Treibern zusammengefasst, als Tools für eine zielgerichtete und erfolgreiche Unternehmensneuausrichtung. Das Konzept des Digital Rebirth zeigt deutlich, dass etablierte Business- und Wettbewerbsmodelle unter dem Aspekt des Internet der Dinge, künstlicher Intelligenz, Industrie 4.0 und cloudbasierten Diensten nicht mehr ausreichen, die digitale Welt abzubilden und zu verstehen. Inhalt Digital Rebirth. Weil Digitale Transformation und Roadmaps nicht ausreichend sind Was Digitalisierung wirklich bedeutet. Trends, Konsequenzen, Mythen Was Digitalisierung von uns verlangt. Neue Denkweisen, richtige Fragestellungen Das Kernkonzept des Digital Rebirth. Der Aufbau digitaler Unternehmensplattformen Horizontaler Digital Rebirth. Unternehmens-Ökosysteme gestalten und pflegen Vertikaler Digital Rebirth. Die Nutzung cloudbasierter Dienste Prozesse, Menschen, Qualifikationen. Die Fähigkeiten zum Digital Rebirth entwickeln Digital Leadership. Die Neuausrichtung von Unternehmen Das Werkzeug. Fünf Treiber für erfolgreichen Digital Rebirth Fazit. Digital Rebirth als entscheidender Impulsgeber für Unternehmen "Eine zeitgemäße Orientierungshilfe für Manager und Berater in praktisch jeder Branche." ? Prof. Dr. Thomas Bauer
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Seitenzahl: 366
Veröffentlichungsjahr: 2018
Digital Rebirth
Wie sich intelligente Unternehmen neu erfinden
Von Marius Leibold und Sven C. Voelpel
ISBN 978-3-89578-737-9 (EPUB)
Vollständige EPUB-Ausgabe von Marius Leibold und Sven C. Voelpel, Digital Rebirth
ISBN 978-3-89578-478-1 (Printausgabe)
Eine gemeinsame Publikation von Publicis Pixelpark und Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA
Publicis Pixelpark, Erlangen
www.publicis-books.de
© 2018 Publicis Pixelpark Erlangen – eine Zweigniederlassung der Publicis Pixelpark GmbH
Marius Leibold berät seit mehr als 20 Jahren Führungskräfte von Unternehmen in den USA, Europa, China, Asien/Australien und Afrika. Leibold ist Professor Emeritus der Stellenbosch University in Südafrika, Gastprofessor an der Universität von North Carolina, der Business School Netherlands sowie der Massey University (Neuseeland) und gilt als einer der führenden Experten bei der Beratung auf dem Weg in die digitale Zukunft.
Sven C. Voelpel ist Experte für Excellence, Professor für Business Administration an der Jacobs University Bremen und Gründungspräsident der WISE Group. Er war Gastprofessor am INSEAD, in Tsinghua und St. Gallen sowie Gastdozent an der Harvard University, hat große Erfahrung in Führungskräfte-Workshops und ist ein international anerkannter Redner.
Derzeit erscheinen eine Menge Artikel, Bücher und Blogs zum Thema der digitalen Transformation, und es ist ebenfalls ein ganz wichtiges Thema für Berater und Konferenzen. Wie es aussieht, will jeder sein Geschäft auf eine Plattform bringen, die dem Unternehmen erlaubt, in die Ökosysteme einzusteigen, in denen es sich die besten Talente, Technologien und Informationen sichern kann. Das ändert die Art, wie wir miteinander konkurrieren, indem es die Grundlage des Wettbewerbs von der Effizienzoptimierung hin zur Ausweitung und Vertiefung von Beziehungen verschiebt.
Zum Beispiel geht es in der Automobilindustrie nicht mehr nur um den Bau von Autos. Da künstliche Intelligenz und hohe Rechenleistung immer mehr mit modernen Fahrzeugen und Konsumgütern verschmelzen, denken die Unternehmen darüber nach, wie sie „Mobilitätslösungen“ anbieten können – eine Disruption, die den Charakter der Unternehmen und ganzer Branchen verändert.
Auch meine Branche, die Bauindustrie, ist stark von diesem Wandel betroffen. Das Netzwerken wird überlebenswichtig, Bauwerke entstehen unter Nutzung gemeinsamer digitaler Plattformen, Maschinen kommunizieren miteinander, zur Qualitätssicherung entstehen unendlich viele Daten, die verwaltet werden müssen. Wir müssen uns das schnell expandierende Wissen rechtzeitig aneignen und an die richtigen Adressaten weitergeben, die richtigen Talente anziehen, und natürlich auch Lieferanten, Partner, Kunden und die eigenen Ressourcen „dirigieren“ – da geht es nicht mehr nur um digitale Transformation mit ihren Rationalisierungseffekten, sondern es braucht eine neue Denkweise: Digital Rebirth. Soviel ich weiß, ist dieses Buch das erste, das dieses Thema als derart radikalen Schritt thematisiert und den Begriff „Digital Rebirth“ einführt, als Synonym für eine neue Art zu denken, ein Unternehmen und seine Ökosysteme zu führen und sein Geschäft zu betreiben. Dadurch ist es eine zeitgemäße Orientierungshilfe für Manager und Berater in praktisch jeder Branche.
Prof. Dr. Thomas Bauer, Vorstandsvorsitzender der Bauer AG
Vizepräsident des Verbands der Europäischen Bauindustrie (FIEC), ehemaliger Präsident des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie e.V. (2011 bis 2016), Vizepräsident beim Bundesverband der Deutschen Industrie (seit 2012), Honorarprofessor an der Technischen Universität München
Im vergangenen Jahr sind Millionen Euro in Initiativen zur digitalen Transformation geflossen, die jedoch mehrheitlich scheitern. Einem neuen Bericht des Datenbank-Plattform-Anbieters Couchbase zufolge verfehlen 90 Prozent aller Digitalisierungsprojekte die Erwartungen und bringen nur langsam geringfügige Verbesserungen. Die Studie belegt, dass „80 Prozent aller 450 im Mai/Juni 2017 befragten, für die digitale Transformation zuständigen Führungskräfte aus Unternehmen in den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland die Gefahr sehen, bei der digitalen Transformation auf der Strecke zu bleiben.“ 1
Dieses Buch liefert mit dem Konzept des Digital Rebirth eine ganz neue Herangehensweise. Es präsentiert praktische, in Unternehmen und Branchen bewährte Rahmenbedingungen für den Digital Rebirth von Unternehmen, die sich dadurch von aktuellen Ansätzen zur digitalen Transformation abheben. Letztere fokussieren sich auf die Einbettung digitaler Technologien zur Steigerung der Agilität und Effizienz von Unternehmen, während die grundlegende, durch die Auswirkungen der Digitalisierung bedingte Notwendigkeit eines Rebirth ihres Charakters, ihrer Ausrichtung und ihrer Geschäftspraktiken zu kurz kommt. In einem Satz: In diesem Buch geht es um den Digital Rebirth – nicht um digitale Transformation.
Digitale Transformation ist kurzsichtig und wird in vielen Fällen nicht ausreichen. Digital Rebirth ist mehr. Er umfasst eine revolutionäre Neuausrichtung (oder Neukonzeption) der Ziele (oder Zwecke), der Kultur und der Prozesse eines Unternehmens inklusive der entsprechenden unternehmerischen und technologischen Plattformen im Business-Ökosystem. Die zunehmende Konnektivität erfordert dynamische Unternehmensplattformen, die über die linearen Grenzen von Geschäftsmodellen hinausgehen und Unternehmen ermöglichen, in unternehmensübergreifenden Wirtschaftssystemen für die Verbraucher neuen Wert zu schaffen – Systeme, die sich aus einem orchestrierten Spektrum von Konsumenten, Partnern, Zulieferern, Vertrieben, Entwicklern und Technologieanbietern zusammensetzen.
Die digitale Transformation von Geschäftsmodellen hat ihren Ursprung in überlieferten industriellen Konzepten wie digitalen Roadmaps, digitalisierten Wertschöpfungsketten, der Digitalisierung von Customer Journey und Customer Engagement, Digital-Core-Lösungen, digitalem Change-/Pivot-Management und Digital Playbooks. Das sind quasi digitale Effizienzzwangsjacken, die zum Niedergang und letztlich zum Ende vieler Unternehmen führen. Im Grunde brauchen Unternehmen Digital Rebirth, um in einem neuen Format mit neuer Ausrichtung und einer veränderten Rolle in der Gesellschaft zu überleben. Unternehmenslenker müssen sich frei machen von den Fesseln der Konzepte und Vorgehensweisen überkommener Geschäftsmodelle.
Von diesem Buch sollen in erster Linie Unternehmen mit traditionellen, etablierten, klassischen Geschäftsmodellen profitieren, aber auch junge Unternehmen und digitale Startups, die sich zu „Digital Natives“ der Unternehmenslandschaft entwickeln. Gelesen und verwendet werden sollte das Buch von Aufsichts- oder Verwaltungsrats- und Vorstandsmitgliedern, CEOs, C-Suite-Executives, Fachbereichsleitern, Führungskräften, Jungunternehmern und Startup-Chefs, aber auch von deren Beratern und Dienstleistern. Darstellungen und „Steckbriefe“ von Unternehmen und Branchen werden unterlegt mit konkreten Hinweisen zu Ansätzen, Methoden und praktischen Tools für den Digital Rebirth. Das Buch liefert die ideale Grundlage für Unternehmensworkshops, Management-Meetings sowie Führungskräfte-Brainstormings, wie sie von den Autoren bereits erfolgreich durchgeführt wurden.
In jedem Kapitel beschreibt das Buch bewährte Konzepte des Digital Rebirth, von der digitalen Neuausrichtung über übernehmensübergreifende digitale Praktiken, digitale Plattformen und Ökosysteme und der Anleitung, wie man von überkommenen Auffassungen zu neuartigen Denkweisen gelangt und sich von unternehmerischem Ballast und alten Prozessen befreit, bis hin zur Neuerfindung der Digitalisierungsmentalität. Am Ende des Buches wird dieser Ansatz des Digital Rebirth zu einem Set von fünf digitalen Treibern zusammengefasst, die dazu beitragen sollen, eine zielgerichtete, erfolgreiche Unternehmensneuausrichtung umzusetzen. Wir wünschen uns, dass dieses Buch verantwortliche Manager effektiv dabei unterstützt, eine tragfähige Digitalisierung voranzutreiben – und den erfolgreichen Rebirth ihrer Unternehmen.
Marius Leibold, Charlotte, USASven C. Voelpel, Bremen, Deutschland Juni 2018
„Wie wir es sehen, verkaufen wir nicht länger Produkte, sondern Lösungen, Anwendungen und ganze Systeme. Wir verkaufen Wert statt Funktionalität. Wer es nicht schafft, die Lücke zwischen Digitalisierung und Gesellschaft zu schließen, der wird es bei Industrie 4.0 oder dem Internet of Things nicht weit bringen.“2 – Joe Kaeser, CEO, Siemens
„Mindestens 40 Prozent aller Geschäfte werden in den nächsten 10 Jahre sterben, wenn man nicht herausfindet, wie man das Unternehmen ändern muss, um sich den neuen Technologien anzupassen.“3 – John Chambers, CEO (1995-2015) und Executive Chairman (2015-2017), Cisco Systems
„Es gibt ungelöste Probleme mit der Initiative „Factories of the Future“, die dazu führen könnten, dass Deutschland verwundbar ist. Viele der Projekte konzentrieren sich darauf, Wartungsprobleme über softwaregestützte Analysen von Maschinen zu lösen oder Wartungspersonal mit Tablets auszurüsten, um Reparaturen im Werk schneller ausführen zu können. So etwas lässt sich leicht von Wettbewerbern kopieren. Das ist nur Effizienz. Das ist nicht radikal.“4 – Guenter Korder, CEO, Intelligent Technical Systems Ostwestfalen Lippe (OWL)
„Wir müssen unser Geschäftsmodell ganz anders definieren. Ein Hauptziel ist dabei der Aufbau einer offenen digitalen Branchenplattform.“5 – Oliver Falk, CFO von Kloeckner Metals Europe
„Das Versicherungsgeschäft entwickelt sich weg von der reinen Entschädigung für finanzielle Verluste hin zur physischen Risikoprävention. Versicherer, die den auf Lösungen für die Risikoerfahrungen von Kunden ausgerichteten Unternehmenszweck der nächsten Generation verstehen und umsetzen, werden diese Branche nachhaltig verändern.“6 – Robert Cummings, Leiter der SAP Business Unit for Insurance
„Die Zeiten, in denen wir einfach hochwertige Shirts und Schuhe verkauft haben, sind vorbei. Wir verwandeln uns von einem Sportbekleidungsunternehmen in eine erlebnisorientierte Plattform für Gesundheits-, Fitness- und Wellnesslösungen.“7 – Kevin Plank, CEO, Under Armour
„Erfolgreiche Unternehmen konkurrieren nicht mehr über ihre Marken. Stattdessen stehen ihre Plattformen im Wettbewerb zueinander.“8 – Zhang Ruimin, CEO, Haier Group
Bild 1 Die Valley-of-Death-Erfahrung9
Es gibt viel Hype um die digitale Transformation von Unternehmen und Geschäftsmodellen und um digitale Roadmaps für Unternehmen. Die meisten etablierten Unternehmen bleiben dabei jedoch nach wie vor Gefangene ihres Geschäftsmodells. Ihre Digitalisierungsbestrebungen werden kaum ausreichen, um ihr Überleben zu sichern, was nicht nur an der Kurzsichtigkeit des Managements liegt, sondern auch an prozessbedingten Engpässen.
Ohne echten Digital Rebirth steht den meisten der bestehenden Unternehmen eine Valley-of-Death-Erfahrung bevor.
Dieses Buch zeigt, dass Unternehmen überkommene Geschäftsmodelle aufgeben und ihre Denk- und Handlungsweise radikal auf digitale Plattformen und Ökosysteme umorientieren müssen. Digitale Roadmaps ohne klare, zeitgemäße digitale Denkweise und einen funktionierenden Kompass für Zielorientierung und digitale Leistungsfähigkeit sind gefährlich unzulänglich.
Daniel Cohen, VP bei Adobe Systems, formuliert das folgendermaßen: „Ursprünglich verfolgten wir mit unserer digitalen Strategie das Ziel, unser traditionelles Modell und ein neues Abomodell parallel laufen zu lassen. Doch dann entschieden wir uns für die Strategie, die Boote hinter uns zu verbrennen, um unsere Umstellung auf das neue Modell zu beschleunigen. Es gab keinen Weg zurück in unser altes unternehmerisches Selbstverständnis, und das mussten wir unseren Beschäftigten begreiflich machen.10
Eine zeitgemäße Orientierungshilfe
Wozu dieses Buch? Was ist daran so anders?
Brauchen wir einen Digital Rebirth? Das sagen Topmanager
Die „Valley-of-Death“-Kurve: Jenseits des Transformationshype zu Rebirth und neuem Leben
Kapitel 1
Introduction: The Why of Digital Rebirth
Kapitel 2
What is Really Happening? How Digital Trends and Forces are Causing Digital Company Rebirth
Kapitel 3
Was Digitalisierung von uns verlangt. Neue Denkweisen, richtige Fragestellungen
Kapitel 4
Das Kernkonzept des Digital Rebirth. Der Aufbau digitaler Unternehmensplattformen
Kapitel 5
Horizontaler Digital Rebirth. Unternehmens‑Ökosysteme gestalten und pflegen
Kapitel 6
Vertikaler Digital Rebirth. Die Nutzung cloudbasierter Dienste
Kapitel 7
Prozesse, Menschen, Qualifikationen. Die Fähigkeiten zum Digital Rebirth entwickeln
Kapitel 8
Digital Leadership. Die Neuausrichtung von Unternehmen
Kapitel 9
Das Werkzeug. Fünf Treiber für erfolgreichen Digital Rebirth
Kapitel 10
Fazit. Digital Rebirth als entscheidender Impulsgeber für Unternehmen
Verwendete Literatur
„Anfangs verglichen wir uns mit jungen Fintechs und mit der Startup-Welt. Das brachte uns zu der Erkenntnis, dass wir uns vollständig digitalisieren müssen – ein bisschen digitale Kosmetik ist zu wenig.“11 – Piyush Gupta, CEO, DBS Bank, Singapore
Dieses Buch zeigt, dass digitale Transformation nicht reicht. Die Voraussetzung, dass ein Unternehmen im digitalen Zeitalter überleben kann, ist Digital Rebirth – und zwar aus folgenden Gründen:
Die Digitalisierung eröffnet neue Möglichkeiten für die Vernetzung von Menschen und Organisationen in Echtzeit. Dabei wird neuartiger Wert für die Verbraucher geschaffen und weitergegeben. Das ist komplett anders als bei traditionellen Wertschöpfungsprozessen, bei denen die Kontrolle und das völlständige Eigentum an Ressourcen einschließlich Forschung und Entwicklung Bestandteil der Wertschöpfungskette war.
Die Digitalisierung wird derzeit in erster Linie als Effizienzverbesserungsaufgabe gesehen – im Sinne von mehr Geschwindigkeit, Agilität und Customer Engagement in Echtzeit – sowie als Problem der „Digitalisierung von Geschäftsmodellen“, nicht aber als bahnbrechende neue Denkweise und Geschäftsmethode, also als der Digital Rebirth, der im Zeitalter digitaler Konnektivität gebraucht wird.
Wir möchten in diesem Buch klarstellen, dass die Digitalisierung nicht als technologisches Erweiterungsmodul bestehender Geschäftsmodelle verstanden werden darf. Vielmehr verändert das digitale Zeitalter das gesamte Wesen eines Unternehmens – ja, ganzer Branchen. Überdies hat sie tiefgreifende Auswirkungen auf die leitenden und auch alle sonstigen Beschäftigten eines Unternehmens. Wir beschreiben, wie Unternehmen einen echten Digital Rebirth, der über digitale Transformation hinausgeht, angehen und umsetzen können – und wir wollen sie dazu animieren. Wir zeigen auf, wie Führungskräfte in die falsche Richtung geraten können, weil sie zur Digitalisierung die falschen Fragen stellen. Wir verraten auch, was die richtigen Fragen sind. Eine falsche Frage ist zum Beispiel: „Wie schaffen wir in der digitalen Wirtschaft neuen Wert für unser Unternehmen?“ Die richtige Frage wäre: „Wie versetzen wir andere in die Lage, in der vernetzten digitalen Wirtschaft für sich und gemeinsam mit unserem Unternehmen Wert zu schaffen?“
Die zahllosen neuen Möglichkeiten durch die Vernetzung von Informationen gehen beispielsweise aus den Konzepten der Smart City oder der Smart Insurance (Bild 2) hervor.
Bild 2 Intelligente Konzepte: Smart City und Smart Insurance12
Smart Insurance bedeutet
mit einer IoT-Versicherung vernetzte Wohnungen, Geräte, Gesundheitsbetriebe, Autos und Gebäude
Systeme, die unkompliziert und agil reagieren und schnelles Feedback garantieren
Rahmenbedingungen für innovative Versicherungsverträge und elektronische Schadenregulierung
Künstliche Intelligenz für 24/7-Kundenerfahrungen
Kognitive Schnittstellen zur Versicherung: Augmented und Virtual Reality (AR, VR), Chatbots, Versicherungs-Big-Data und Smart Analytics
Vorhersehbares Verhalten bei Kontakten von Kunden und Versicherungen
Innovative Umsatzmodelle für Versicherungen
Vernetzte Anwendungen zur Risikominderung
Die digitale Wirtschaft ist eine Wirtschaft mit vernetzter Intelligenz, die versteht, dass mit den eigenen Beschäftigten vernetzte Outsider außerhalb des Unternehmens inzwischen kollektiv mehr Kreativität, mehr Ressourcen und mehr Innovation bieten können als eigene (intern) Beschäftigte und Ressourcen allein. Die Nutzung digitaler Netzwerkeffekte von Outsidern und Insidern beeinflusst Charakter, Zielsetzung, Prozesse und Innovationsfähigkeit von Unternehmen ebenso wie das Wachstum und den Nutzen für alle beteiligten Stakeholder. Kurz, traditionelle Unternehmen und Geschäftsmodelle lassen sich nicht einfach digital transformieren, sondern müssen einem Rebirth unterzogen werden, indem Zielsetzungen und Grundlagen neu definiert werden, die die Intelligenz von Verbrauchern, Zulieferern, Partnern, Vertriebsstellen, Research-Diensten und anderen Beteiligten in Echtzeit effektiv ausschöpfen. Der folgende Steckbrief zeigt, wie Under Armour das geschafft hat.
Under Armour: Rebirth zur weltgrößten digitalen Fitness‑Plattform13
Viele halten Under Armour (UA) für einen Sportartikelanbieter – mit spezifischen Produkten für alle möglichen Sportarten. In der heutigen digital vernetzten Welt trifft das aber nicht mehr zu. UA ist zur weltweiten Plattform für Fitness Communitys geworden – mit dem Ziel, das Leben aller Menschen so zu verändern, dass sie fitter und gesünder werden. Under Armour hat inzwischen über 200 Millionen registrierte Nutzer, und die Community wächst weiter. Das Unternehmen unterhält direkte Beziehungen zu diesen Nutzern, aber auch zu Hunderten von Zulieferern und Servicepartnern, die allesamt auf seiner Unternehmensplattform digital vernetzt und optimal eingesetzt werden. Nach Aussage von Kurt Kendall, Vice President bei UA, lag der Fokus bei der Unternehmensgründung ganz auf physischen Produkten wie Shirts, Schuhen und ähnlichen Artikeln. Heute geht es mehr um die digitale Plattform, die das Unternehmen „orchestriert“ und über die auch verwandte Produkte gebrandet werden – innovative Ideen von Kunden eingeschlossen.
Zunächst wurde eine vernetzte Fitness-Plattform eingerichtet, um im Anschluss Fitness- und Bekleidungsprodukte in das zu integrieren, was heute als „Digital Experience“ bezeichnet wird, und worin die Fitness-Produkte und Dienstleistungen einfließen. Für Under Armour sind der Schuh, das Shirt, die Mütze, das Handtuch und das Vitaminpräparat ein Produkt seiner digitalen Plattform, die eingesetzt wird, um das übergreifende Fitness-Erlebnis der Nutzer zu optimieren. Das physische Produkt ist außerhalb des Unternehmens nicht vom digitalen Produkt zu trennen. Ziel und Fokus des Unternehmens ist eine digital integrierte Nutzererfahrung, die sich durch eine Vielzahl digitalisierter Netzwerk-Interaktionen ständig weiterentwickelt und Innovationen schafft. Über all seine digitalen Plattformen ermöglicht UA weltweit bereits mehr als 10 Milliarden Interaktionen pro Jahr, die alle auf die Optimierung des Nutzererlebnisses ausgerichtet sind.
Wie unterscheidet sich dieser Ansatz von den laufenden Initiativen vieler Unternehmen zur digitalen Transformation?
Die meisten Unternehmen sind noch in den Denkstrukturen ihres bisherigen Geschäftsmodells gefangen – mit Zielmärkten, Produkten und bestehenden Wertschöpfungsketten, auf die die Digitalisierung als Effizienzmechanismus aufgesetzt wird. Das entspricht noch immer einer „One-Way-Pipeline“-Produktorientierung, bei der am einen Ende das Unternehmen steht und am anderen der Kunde. UA hat mit seinem Digital Rebirth ganz klar den Sprung geschafft – weg von einem mechanistischen eingleisigen Businessmodell zu einem holistischen, plattformbasierten Netzwerk der Wertgenerierung, Wertschöpfung und Wertentwicklung für den Kunden, indem es die Innovationskraft vieler Beteiligter dirigiert. Hätte sich UA für die Digitalisierung des Geschäftsmodells entschieden, wäre es in der traditionellen Fitnessindustrie und ihren Prozessen hängen geblieben. Stattdessen hat sich das Unternehmen ein dynamisches neuartiges Geschäft erschlossen – auf der Grundlage einer breiteren Zielsetzung und einer Plattform, die sich wegbewegt von der Fitnessindustrie, hin zur Optimierung des Wohlbefindens und des Gesundheitsökosystems ganzer Communitys.
Die übergeordnete Logik ist in diesem Zusammenhang, dass die Welt und ihre Unternehmen vom Zeitalter des industriellen Werts ins Zeitalter des digitalen Werts übergehen, was neben neuen Kapazitäten und Prozessen im Unternehmen auch ein neues Verständnis von Führung erfordert. In seinem letzten Buch, „Weltordnung“, behauptet Henry Kissinger, die Welt sei immer dann in größter Gefahr, wenn sich die internationale Ordnung von einem System auf ein anderes umstellt. Er schreibt: „Wird aber das Gleichgewicht zerstört, entfallen diese Zwänge, worauf sich das Feld für maximale Forderungen und die radikalsten Akteure öffnet. Dann herrscht so lange Chaos, bis wieder ein neues Ordnungssystem errichtet wird.“ Eine ernüchternde Warnung, die allerdings im politischen Kontext geäußert wurde. Doch auch die Umstellung vom industriellen auf ein digitales Zeitalter bedeutet, dass mit herkömmlichen, mechanistischen, linearen Managementpraktiken gebrochen werden muss, um dynamische, nichtlineare, kombinierte, konnektive Outside-Inside-Prozesse einzuführen. Einstellungen lassen sich aber nicht von heute auf morgen verändern. Durchaus verständlich also, dass viele Führungskräfte ängstlich, zögernd oder sogar desorientiert an die Digitalisierung herangehen.
Wir hören immer wieder, wie begeistert Unternehmen aus aller Welt von ihren Initiativen zur digitalen Transformation sind. Manche entwickeln eigene Anwendungen, digitalisieren ihre Businessmodelle, analysieren oder integrieren ihre Customer Journey oder realisieren eine neue digitale Strategie für den Geschäftsverkehr. Andere entscheiden sich für den Einsatz neuer Big-Data- und Analyse-Tools. Oft werden immense Summen investiert, und stets ruhen große Hoffnungen auf dem Erfolg, etwa durch digitale Hubs, sogenannte Accelerator-Programme und Startups. Doch die angestrebten Ziele bleiben häufig unerreicht, weil der Fokus in aller Regel darauf liegt, wie die Technologie das bisherige Geschäftsmodell umgestalten kann – und nicht darauf, wie man sich die digitalen Innovationseffekte der Technologie voll und ganz zu eigen machen könnte.
Allzu oft errichten traditionelle Unternehmen eine Art digitale Fassade, die dem Kunden den Eindruck einer digitalen Erfahrung vermittelt. In Wirklichkeit wird das alte Businessmodell aber nur abgewandelt. Echter Digital Rebirth verlangt, sich komplett von seinen überkommenen Einstellungen, Zielen und Organisationsprozessen zu lösen und sich voll und ganz auf gemeinsam erzielte Ergebnisse auszurichten, statt lediglich auf effizientere oder agilere Infrastruktur und Technologien.
So kann eine Bank über ihre interaktive Handy-App (als digitale konnektive Anwendung) Informationen vom Kunden schneller erhalten als früher. Wenn es aber aufgrund unveränderter administrativer Prozesse weiterhin Wochen dauert, einen Kreditantrag anzunehmen oder abzulehnen, so bringt das keinen echten Vorteil. Auf der Suche nach einer digitalen Welt, in der alles automatisch und sofort funktioniert, wird sich der Kunde unweigerlich für einen Mitbewerber entscheiden, der auf seine persönlichen Bedürfnisse eingeht, einen individuell auf ihn zugeschnittenen Kredit in Echtzeit übermittelt und so eine längerfristige Kundenbeziehung begründet und positive Erfahrungen vermittelt.
In den vergangenen zehn Jahren haben das exponentielle Wachstum und die Möglichkeiten digitaler Technik faszinierende Chancen eröffnet. Maschinen unterhalten sich mit Hilfe von Computeralgorithmen. Am anderen Ende stehen digital vernetzte Menschen, die die Big-Data-Explosion verfolgen, analysieren und darauf reagieren. Ärzte nutzen Algorithmen, die anhand der Krankengeschichte und genetischer Informationen in Echtzeit Symptome erkennen und Diagnosen stellen – Therapieempfehlungen und Präventionsmaßnahmen inklusive. Autos werden mit datengesteuerter Präzision so programmiert, dass sie dem Fahrer die optimale Strecke und Ausweichrouten zu seinem Fahrziel vorgeben. Selbst digitale Ersatzteilbibliotheken für 3D-Drucker wachsen rasch. Möglicherweise sind die Geräte schon bald so weit, dass sie alles ausdrucken können, was wir brauchen. Dann mutieren sie vielleicht zu 4D-Druckern, die sich selbst replizieren.
Angesichts der rasanten Entwicklung des Spektrums und der Leistung neuer digitaler Technologien und der Konnektivität ist der Trugschluss verbreitet, dass auch die Produktivität entsprechend steigt. Einem von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) 2017 veröffentlichten Bericht zufolge ist das aber nicht der Fall.14 Die meisten Industrie- und Schwellenländer verzeichnen sogar rückläufige Raten, und zwar in fast allen Sektoren und bei großen und kleinen Unternehmen gleichermaßen. Noch aufschlussreicher ist allerdings die Feststellung der OECD, dass dieser Trend auch solche Bereiche betrifft, in denen die digitale Innovation erwartungsgemäß den Informationsaustausch, die Kommunikation und die Finanzierung verbessern sollte.
Zwar haben fast 5 Milliarden Menschen auf unserem Planeten jederzeit Zugriff auf einen Computer (also ein internetfähiges mobiles Endgerät wie ein Smartphone), doch offenbar hat sich unsere Digitalisierung nicht in Produktivitätssteigerungen bei den Unternehmen übersetzt. Die Ursache: Die Unternehmen verändern ihre Einstellungen, Herangehensweisen und Prozesse nicht so, dass das Potential der Technologie voll ausgeschöpft werden kann. Sie halten die digitale Transformation ihrer Businessmodelle für ausreichend, bräuchten aber einen Digital Rebirth. Sich breiter und schneller zu vernetzen, ist eine Sache. Das in der Gesellschaft gezielter und effektiver zu nutzen, eine ganz andere.
Die folgende Box verdeutlicht den Unterschied zwischen linear konzipierter digitaler Transformation und auf exponentiellem Denken beruhendem Digital Rebirth.
Digital Rebirth: Revolution statt Transformation15
Ist die Annahme realistisch, dass eine weitere wirtschaftliche Umwälzung schwerwiegendere Konsequenzen haben könnte als seinerzeit die landwirtschaftliche und die industrielle Revolution? Von deren nachhaltiger Wirkung ist nicht jeder überzeugt: Douglas Engelbard, der Erfinder der Computermaus, hat sogar prophezeit, die digitale Revolution werde letztlich weit bedeutsamer sein als die Schrift, der Buchdruck oder die Automatisierung von Landwirtschaft und Fertigung.
Jonathan Becher, Chief Digital Officer bei SAP, betont, dass es sich bei der digitalen Revolution tatsächlich um eine Revolution handelt, nicht um eine Transformation. Die Agrarrevolution veränderte das Leben der Menschen, die industrielle Revolution ihre Arbeitswelt. Die digitale Entwicklung dagegen verändert gleichzeitig, wie die Menschen leben und arbeiten. Beispiele dafür sind selbstfahrende Autos, Drohnen, 3D-Druck, künstliche Intelligenz, die viele Arbeitsplätze überflüssig macht, und virtuelle Realität, wie sie zum Beispiel im Baugewerbe, in der Modeindustrie und im Wohnumfeld Anwendung findet.
Früher gab es nur wenig Disruption, sodass erfolgreiche Businessmodellstrukturen, Unternehmensstrategien, wiederholbare Prozesse, Top-down-Planung und hierarchisch gesteuerte Tätigkeiten in aller Regel Skaleneffekte hervorriefen. Die digitale Revolution unterscheidet sich aber grundlegend von vorausgegangenen Umwälzungen. Sie wirkt vor allem exponentiell und kann Kreativität ganz anders nutzen. Ein Beispiel dafür sind die Entwicklungen in der BIotechnologie: Mendels Buch über Genetik erschien 1866. Heute, keine 200 Jahre später, wird das Genom-Editing-Tool CRISPR für Menschen, die an genetisch bedingten Erkrankungen leiden, schon bald von immensem Nutzen sein.
Aus jeder Revolution gehen reaktionäre und proaktive Unternehmen hervor. Engelbard zufolge ist es fast unmöglich, mit dem exponentiellen Wachstum im neuen digitalen Zeitalter Schritt zu halten, während man die Revolutionäre in einer linearen Welt durchaus einholen konnte. Evangelos Simoudis, Gründer von Synapse Partners, vertritt die Überzeugung, dass große Unternehmen lernen sollten, sich wie Startups zu verhalten, indem sie einen Teil ihrer „erbrüteten“ Ideen Beschäftigten überlassen, die nicht ihren Forschungs- und Entwicklungsstrukturen angehören. Dass soll keinesfalls heißen, Startups wären stabiler als größere Unternehmen, sondern lediglich, dass Turbulenzen in der digitalen Entwicklung von Unternehmen unvermeidlich sind – und dass man ihnen mit Digital-Rebirth-Denkweisen und -prozessen begegnen sollte.
Selbst Digital Natives wie digitale Startups müssen bevorstehende Veränderungen vorwegnehmen und ausloten, denn einmalige Innovation ist keine endgültige oder Dauerlösung. Engelbard gibt zu bedenken: „Revolutionen und die damit einhergehenden Veränderungen können Angst machen. Untätig zu bleiben, ist dennoch definitiv die schlechteste Entscheidung, die man treffen kann.“
Für viele Topmanager treten deren Unternehmen im Wettbewerb mit physischen Produkten und Dienstleistungen an – mit der sprichwörtlichen „besseren Mausefalle“ – und mit den dafür nötigen eigenen (oder steuerbaren) Ressourcen, die ihnen genau das immer wieder ermöglichen. Doch im Zeitalter der Netzwerk-Konnektivität findet Wettbewerb zunehmend über Plattformen statt, nicht über konkrete Produkte: Wer die bessere Plattform aufbaut, verschafft sich klare Konkurrenzvorteile. Stellen Sie sich beispielsweise eine intelligente Mausefalle vor, mit Sensoren, die drahtlos mit einem cloudbasierten Mäusefangdienst kommunizieren. Hausbesitzer und Kammerjäger könnten den Fallenstatus mit ihren Smartphones über eine Plattform-App überwachen und würden per SMS informiert, wenn Köder nachgelegt oder Fallen überprüft werden müssen. Dieser Vergleich gilt für alle Unternehmen in allen Branchen, nicht nur für die bekannten Unternehmen der Sharing Economy wie Uber, Lyft, Airbnb, Google und Amazon. Die Umstellung von Produkten auf Plattformen fokussiert sich auf die Mitgestaltung von Produkten und Dienstleistungen, die es jedem Besitzer einer intelligenten Falle ermöglichen, sich in Echtzeit mit einer intelligenten Plattform zu vernetzen und mit ihr zu kommunizieren. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Verbraucher, der über Echtzeit-Mitwirkung auf der digitalen Plattform nun ebenfalls zum Mitgestalter von Produkten und Dienstleistungen wird.
Heute steht jedes Unternehmen früher oder später vor der grundlegenden Frage: Wie kann ich andere (externe Stakeholder, inklusive Verbrauchern) und uns (die Mitarbeiter und Lieferanten) gemeinsam in die Lage versetzen, für uns und unsere Aktionäre Wert zu schaffen – und auch für die Stakeholder selbst und deren Aktionäre? Wenn Sie eine bessere Mausefalle bauen, rennt Ihnen der Rest der Welt nicht automatisch die Türe ein. Mit der richtigen Plattform haben Sie aber auf jeden Fall die besseren Karten. Es ist also schwierig, die Unternehmer in ihrer Denkweise von ausschließlich physischen Produkten (zum Beispiel Autos) und Dienstleistungen (zum Beispiel Hausärzte) abzubringen, doch unbedingt notwendig, sich eine neue Mentalität anzueignen, um nicht in die Falle der Flickschusterei zu tappen – in Gestalt einer unzulänglichen digitalen Transformation. Sowohl die Autoindustrie als auch die Hausärzte laufen Gefahr auszusterben, wenn Software die Welt erobert und physische Produkte und Dienstleistungen an Bedeutung verlieren gegenüber der nichtphysischen digital-konnektiven Intelligenz, die über die gemeinsame Nutzung dieser physischen Objekte und Leistungen im Netzwerk bestimmt. Der Digital Rebirth ist daher für alle bestehenden Unternehmen – für die „etablierten, traditionellen Altunternehmen“ und ebenso für ihre traditionellen Branchen – keine Option, sondern eine Notwendigkeit.
Den Digital Rebirth anzunehmen, ist nicht so einfach, wie folgender Steckbrief der Autoindustrie deutlich macht.
Warum sich Autobauer nach wie vor auf die Autoindustrie fokussieren16
Autos voller Elektronik, die ihren Fahrern Verkehrsinformationen geben, erfüllen den durchschnittlichen Fahrer bereits mit Ehrfurcht. Wie es scheint, haben dabei Hersteller von Premiumfahrzeugen in jeder Hinsicht die Nase vorn.
Andrew Shipilov, Strategieprofessor bei INSEAD, ist da anderer Ansicht. Seines Erachtens gehen Hersteller physischer Produkte den Digital Rebirth ihrer Businessmodelle nicht gründlich und auch nicht kreativ genug an. Sie haben noch nicht begriffen, dass „der physische Vermögenswert selbst erst der Anfang ist. Der eigentliche Wert liegt in dem breiteren Wertpotential konnektiver Intelligenz für die Kunden.“
Als Beispiel führt er BMW an. Jeder BMW wird mit einer Plattform (Connected Drive) geliefert, die dem Käufer ermöglicht, Apps zu erwerben, über die er Verkehrsinformationen beziehen, Nachrichten senden und empfangen und den Motor fernstarten kann. Allerdings muss der BMW-Besitzer mehrere Hundert Euro zahlen, damit er die Apps auf diese Plattform laden kann.
Ebenso ermöglicht die Fahrzeugelektronik dem Fahrer, zwischen verschiedenen Fahrmodi zu wählen. Zwar sind alle BMW-Modelle der 3er-Reihe mit dem gleichen Vierzylindermotor ausgestattet, doch die Elektronik des billigeren Modells lässt nur eine geringere PS-Zahl zu. Shipilov fragt sich, warum Autobauer ihren Käufern nicht gestatten, Motorleistung zu mieten, oder ihnen Upgrade-Optionen anbieten. Dann könnten sie sich je nach Bedarf unterschiedliche Fahrerlebnisse verschaffen. Der Hauptgrund dafür ist nach Shipilovs Erfahrung, dass solche Unternehmen wollen, dass die Konsumenten ihr altes Fahrzeug verkaufen und sich ein neues, besseres anschaffen. Shipilov räumt ein, dass dies dem traditionellen Geschäftsmodell zufolge zwar nachvollziehbar sei, der Anbieter dadurch jedoch zurzeit nicht nur keine Neukunden gewinne, sondern auch auf neue Einnahmequellen verzichte.
Er führt Tesla als Beispiel für ein Unternehmen an, das ein Modus-Upgrade anbietet, durch das sich die Beschleunigungszeit eines Fahrzeugs um 10 Prozent verringern lässt, ohne dass man sich ein neues Modell anschaffen muss. Dieses Upgrade kann man aber nicht mieten, obwohl das technisch möglich wäre, sondern man muss dafür rund 10.000 US-Dollar zahlen!
Als Gegenbild verweist Shipilov auf das Businessmodell von Apple, das Geld mit Begleitprodukten verdient und seine Apps recht günstig oder gar kostenlos anbietet. Seiner Ansicht nach lässt sich daraus lernen, dass man Kunden stets kostenfreien Zutritt in einen digitalen Shop gewähren, dann aber geringe Beträge für die Produkte berechnen sollte, die sie dort kaufen.
Die Hersteller physischer Produkte (wie Fahrzeuge, Kühlschränke oder Küchenherde) haben ganz offensichtlich verstanden, dass digitale Konvergenz die Zukunft ist. Dessen ungeachtet fehlt ihnen für einen durchdachten Digital Rebirth häufig die dafür erforderliche ganzheitliche Perspektive oder zumindest der richtige kreative Blick auf die digital transformierten Geschäftsmodelle. Der physische Vermögenswert an sich ist erst der Anfang. Der eigentliche Wert liegt in dem breiteren Wertpotential konnektiver Intelligenz für die Kunden, mit neuen Wertgenerierungsprozessen, neuen Wertschöpfungsmechanismen und neuen Methoden, dem Kunden Wert zur Verfügung zu stellen.
Aus diesen Beispielen wird eine ganze Reihe unternehmensinterner Barrieren für den Digital Rebirth deutlich. Dazu gehören:
Das Problem, den Fokus in den Köpfen der Managementteams von physischen Vermögenswerten und Produkten auf digitale Vermögenswerte mit konnektiver Intelligenz zu verschieben.
Der Reiz und die Faszination digitaler Technologien als Selbstzweck.
Das ausgeprägte Paradigma des Businessmodell-Denkens und der Businessmodell-Innovation in betriebswirtschaftlichen Fakultäten, Beratungsunternehmen und Unternehmenstools, mit einer Begeisterung für die Eleganz und nachweisliche Funktionalität traditioneller Ansätze und Methoden, obwohl diese mittlerweile rasch obsolet werden.
Der Widerstand gegen alles Neue, das den erfolgreichen Absatz bestehender Produkte und Dienstleistungen durch Kannibalisierung gefährden könnte.
Die Angst, bisherige Zuliefer- und Vertriebspartner und -prozesse aufzumischen.
Eine Fixierung auf traditionelle Produktpreis- und Umsatzmodelle, gepaart mit dem Widerwillen, unerprobte Modelle einzuführen – beispielsweise Umsatzmodelle auf der Grundlage von Service-Abos (wie später noch näher erläutert).
Der entscheidende Punkt: Diese Barrieren sind durch Bestrebungen zur digitalen Transformation von Geschäftsmodellen nicht zu überwinden, da diese inkrementell, linear, partiell und mechanistisch bleiben, und dabei oft auch langsam. Nötig ist dagegen eine entschlossene Abkehr von überkommenen Businessmodellen und deren Praktiken – ein Rebirth. Dieser ist auch ohne größere Beeinträchtigung der aktuellen Umsatzströme möglich.
Unternehmen kämpfen mit dem Digital Rebirth – zum einen, weil traditionelle Paradigmen und Einstellungen des industriellen Zeitalters Barrieren darstellen, zum anderen schlicht deshalb, weil Berater und Wissenschaftler, die in dieser überkommenen Mentalität verwurzelt sind, kurzsichtige Ratschläge erteilen. Dieses Phänomen wird häufig als „Pfadabhängigkeit“ bezeichnet, also als Bindung an Verfahren, die bisher gut funktioniert haben oder noch gut funktionieren, deren Effektivität aber rasch abnimmt.
In diesem Kapitel wurde dargelegt, dass Unternehmen und ganze Branchen im Zuge des aufgehenden digitalen Zeitalters vor drastischen Veränderungen stehen – nicht nur infolge des technischen Fortschritts, sondern vor allem aufgrund seiner Umwälzungseffekte auf Geschäftspraktiken und Führung. Unternehmen brauchen den Digital Rebirth. Digitale Transformation reicht nicht aus.
Die folgenden Kapitel zeigen, vor welchen Hindernissen und Herausforderungen etablierte Unternehmen stehen und wie sie diese in der Praxis überwinden und auf den Digital Rebirth setzen können, bevor es zu spät ist. Die Fenster der Möglichkeiten für den Rebirth von Unternehmen werden sich in den nächsten Jahren rasch schließen. Viele Digital-Native-Startups drängen bereits auf den Markt und sichern sich einflussreiche Positionen. Sich mit Startups zusammenzutun oder eigene Startup-Hubs oder technologische Accelerator-Programme einzurichten, ist nicht genug – das liefe auf die Aufrechterhaltung bestehender Businessmodelle mit allen ihren Defiziten hinaus, nicht auf den eigentlich notwendigen Digital Rebirth von Unternehmen.
Workshop 1 (Fallbeispiel)
Digitale Versicherungs-Startups („Insurtechs“) und die Herausforderungen für etablierte Branchenvertreter17
Rückblickend würden die meisten Menschen sicher bestätigen, dass sich in Sachen Versicherungen zu ihren Lebzeiten wenig verändert hat – wie schon bei ihren Eltern oder gar Großeltern.
Laut Rakesh Shetty, Head of Marketing for Strategic Industries bei SAP, ist die Versicherungslandschaft jedoch nicht absolut versteinert. Die Geschäftsmodelle der Hälfte aller Versicherer werden von neuen, äußerst flexiblen Konkurrenten ins Wanken gebracht. Hinzu kommt, dass disruptive Fintechs (zum Beispiel MoneySuperMarket und Lemonade) und neue Technologien (wie Smart Sensors und Wearables zum medizinischen Gebrauch) die klassischen persönlichen Begegnungen zwischen Versicherungsmakler und Kunde überflüssig machen. Versicherer können digitale Tools und von ihren Kunden bezogene Daten einsetzen, um Dienstleistungen anzubieten, die dem digitalen Lebensstil dieser Kunden entsprechen. Digital Lifestyle Insurer und Connected Insurer sind zwei solche neue Versicherungsmodelle.
Das Digital-Lifestyle-Modell ist jeweils auf einen Einzelkunden ausgerichtet, nutzt in der Folge die Kenntnisse über diesen Kunden, prognostiziert seine Bedürfnisse und greift ihm in den verschiedenen Phasen des Versicherungslebenszyklus jeweils im richtigen Moment mit dem Angebot geeigneter, stark personalisierter Dienstleistungen und Produkte unter die Arme. Mittels Social Media, Kontextmarketing und interaktive Bedarfsanalysen wendet es sich an junge Versicherungskunden.
Das Connected-Insurer-Modell erklärt Shetty so: Die Versicherer, ihr geschäftliches Netzwerk und ihre Technologiepartner erfinden auf Plattformen gemeinsam innovative neue Produkte und Dienstleistungen und generieren neue, kräftigere Umsatzströme. Dass die Versicherungen diese Plattformen flexibel und schnell anpassen können, kann ihren Blick auf ihre Partner verändern – und deren Blick auf sie. Shetty hält ein vertikales Netzwerk, das Einzelmärkte wie Reisen oder Erwerbstätigkeit bedient, für durchaus werthaltig, doch ein in Echtzeit mit anderen vertikalen Netzwerken verknüpftes für wirklich revolutionär. Cloudbasierte Dienste sind erforderlich, um die vielen Partner zu vernetzen und die Daten in Echtzeit zu verarbeiten.
Lemonade hat ein Versicherungsprodukt im Angebot, das an die Gründung der Brandversicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit erinnert. Nach ihrem Vorbild zahlen Gruppen kleiner Versicherungsnehmer in einen Vorschussfond ein und erhalten Erstattungen, wenn am Ende der Laufzeit des Versicherungsvertrags Geld übrig ist. Ähnliche Unternehmen gibt es in Deutschland, Großbritannien und China, doch Lemonade war wahrscheinlich Ende 2016 der einzige eingetragene Risikoträger dieser Art. Daniel Schreiber, CEO von Lemonade, meint, der eigentliche Rebirth des Versicherungswesens stehe noch bevor.
Bild 3 Das Lemonade-Produkt ist „sofort verfügbar, unkompliziert und rundum erfreulich“18
Man könnte meinen, dass die meisten Versicherer mit Blick auf die Generation Y, die sich durch wenige wertvolle Besitztümer, begrenzte finanzielle Mittel, einen Hang zu Onlinekäufen und zur Nutzung von Apps und keinerlei Interesse an persönlichen Kontakten auszeichnet, am liebsten das Handtuch werfen würden. Diesen Eindruck bestätigt der bekannte Autor Jordan Crook in einem Blogbeitrag – umso mehr, als klassische Versicherungen keine Policen für bestimmte Geräte oder für begrenzte Zeit anbieten, wie es junge Menschen bräuchten.
Doch die Rettung naht – zum Beispiel in Form von Trov, einer On-Demand-Versicherungsplattform, die genau das bietet. Sie verlangt lediglich Angaben zu Marke und Modell des zu versichernden Objekts und generiert dann die für die Versicherung erforderlichen Metadaten. Bei Eingang der vom Versicherten erteilten Informationen wirft Trov einen sekundengenauen Preis aus. Der Kunde kann den Versicherungsschutz für verschiedene Produkte dann mit einem Wisch an- oder abstellen.
Die Versicherten verwalten ihre Prämienzahlungen und Schadensfälle über die Trov-App. Trov unterhält aber auch eine Partnerschaft mit einem Versicherungsanbieter in einer Region, der die Bilanzierungspflicht und die Regulierung übernimmt.
Crook zufolge sind die richtigen Partnerschaften, Tools und Infrastrukturen Voraussetzung für Innovation im Versicherungsgewerbe. Sie können gewährleisten, dass Versicherer in einer von exponentiellen Veränderungen geprägten Zeit nicht ins Schleudern geraten. Und diese Grundlagen erfordern auch „formale Strategien, eigene Budgets, klare Ziele und Kennzahlen“ für Partnerschaften, mit denen sich die aktuelle und künftige Nachfrage mit den richtigen Produkten und Leistungen bedienen lässt.
FRAGEN
1. Woran scheitert die digitale Transformation etablierter Unternehmen in der digitalen Wirtschaft?
2. Welche Kräfte haben dazu geführt, dass neue Versicherungsgesellschaften/Startups entstanden sind?
3. Stirbt die traditionelle Versicherungsbranche aus, überlebt sie oder wird sie in neuer Gestalt wiedergeboren?
4. Versicherer werden Probleme haben, in dieser Ära der exponentiellen Veränderungen im Wettbewerb zu bestehen. Warum? Welche Barrieren gibt es?
5. Wie unterscheidet sich „die vernetzte Versicherung“ vom traditionellen Geschäftsmodell und seinen Interaktionen?
6. Steht Ihr Unternehmen – und Ihre Branche – vor ähnlichen Herausforderungen wie die Versicherungswelt?
„Die Zukunft ist schon da, aber sie ist ungleichmäßig verteilt.“19 – William Gibson, Schriftsteller
Das digitale Zeitalter ermöglicht zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte den Zugriff auf Daten, Informationen und Erkenntnisse aus weitverstreuten Quellen in Echtzeit – also live –, und damit die Chance auf schnelle Analysen, Prognosen und flexible Reaktionen. Grundlage dafür sind die allgegenwärtige Konnektivität und das In-Memory Computing, die wiederum auf mobile Endgeräte und gigantische Rechenleistungen zurückgehen – man denke nur an Cloud-Connectivity, Sensoren, soziale Medien, künstliche Intelligenz (AI), 3D/4D-Druck und ähnliche technologische Neuerungen, die vor allem seit Mitte 2015 auf den Markt drängen. Durch die mehr als flächendeckende Anbindung sowie die exponentiell gestiegene Rechenleistung werden die Verbraucher auf ihrer Reise durch die Konsumwelt von Tausenden und Abertausenden von intelligenten Produkten, Prozessen und Stakeholdern in Echtzeit angesprochen (und zwar über das Internet of Things (IoT), also die automatisierte Konnektivität von Produkten, Menschen, Dienstleistungen und Objekten über das Internet).
Doch wodurch unterscheidet sich das intelligente digitale Zeitalter so radikal? Durch die Handlungskompetenz und die Einbindung der Verbraucher und Partner (oder Stakeholder) mittels der in intelligente Endgeräte eingebetteten Software. Die Verbreitung von Wissen in Echtzeit über die proaktiven Vernetzungsmöglichkeiten zahlreicher Stakeholder wird aufgrund der Dynamik von Social, Mobile, Analytics and Cloud (SMAC) zum Kinderspiel. Innovation, Kreativität, Prozesse, Kompetenzen und auch die Organisationsstrukturen von Unternehmen sprengen inzwischen deren Grenzen, da sie neuen Wert aus Produkten und Dienstleistungen schöpfen und neue Umsatzströme generieren – durch das große Miteinander von Kunden und Stakeholdern, die gemeinsam Neues schaffen und entwickeln, ja sogar besitzen. Zum ersten Mal in der Geschichte verlagert sich die Schaffenskraft weg von wenigen Lieferanten oder Ressourcenverwaltern auf die Schultern vieler Stakeholder. Dies verändert die Spielregeln, verändert, wie Unternehmen wahrgenommen werden, wie sie strukturiert sind, betrieben, finanziert und bewertet werden und welchen Zweck sie verfolgen.
Damit Unternehmen auch in diesem Umfeld einer immer stärker werdenden Schwarmintelligenz weiter wachsen und erfolgreich sein können, müssen sie umdenken. Sie müssen das Was und Wie der Kundenbindung überdenken und sich mit der gemeinsamen Schaffung von Nutzervorteilen auseinandersetzen. Anders ausgedrückt: Unternehmenszweck, Vision, Strukturen und Prozesse müssen neu formuliert werden, da sie für das vergangene Industrie- und Informationszeitalter ausgelegt sind. Es geht also nicht nur darum, bestehende Geschäftsmodelle oder Wertschöpfungsketten und Abläufe zu digitalisieren. Es geht vielmehr um die Neuorientierung, Neuinterpretation und vor allem den Rebirth des Unternehmens als Einheit – und dazu gehört auch, seinen grundsätzlichen Unternehmenszweck, die Unternehmensnatur und die Art und Weise seiner Geschäftstätigkeit neu zu gestalten.
Es ist erstaunlich, wie stark sich in den meisten Branchen die treibenden Kräfte der traditionellen Wertschöpfungskette (die Verflechtung von Angebot und Nachfrage) durch die Konnektivität von Handys und sozialen Medien sowie den Zugriff auf Big Data schwerpunktmäßig von der Angebotsseite hin zur Nachfrageseite verlagert haben. In der Vergangenheit trieben die Unternehmensführungen Innovationen und Branchendynamik, indem zum Beispiel IT, F&E und das Marketing intern gesteuert wurden. Die zunehmende Schwarmintelligenz hat die schöpferischen Kräfte – beispielsweise von IT, Innovation, Produktdesign und -entwicklung – von interner Bearbeitung nach draußen, zu den Verbrauchern und anderen Stakeholdern, verlagert. Dazu passt auch die sinngemäße Aussage „Die besten Innovatoren arbeiten nicht für uns“ (das Joy’sche Gesetz 20).
Aufgrund dieses Wandels sehen sich die Führungsteams mit einer neuen Herausforderung konfrontiert: Wie lassen sich die wachsenden kreativen und innovativen Kräfte dieser Externen zum gegenseitigen Vorteil bündeln – und/oder koordinieren? Welchen Anreiz können ihnen die Unternehmen bieten, damit sie am Ball bleiben und ihren Beitrag zum Wohle des Unternehmens auch weiterhin leisten? Und wie lässt sich das gemeinsam mit den damit befassten Mitarbeitern realisieren, während zugleich ein bestehendes Geschäftsmodell gemanagt werden soll, das zwar aus dem industriellen Zeitalter stammt, aber nichtsdestotrotz noch Gewinne abwirft? Lesen Sie in der folgenden Box, wie Volvo mit dieser Problematik umgeht.
Wie Volvo seine Geschäftsgrundlage vollständig neu erdachte
Vor 2010 hätten es wohl nur wenige Volvo-Fans für möglich gehalten, dass ihr Fahrerlebnis noch viel mehr Spaß bereiten könnte. Das Management von Volvo Cars war aber überzeugt, dieses Ziel durch den Einbau digitaler Technologien zu erreichen und damit auch noch eine neue Einnahmequelle für den Autobauer zu erschließen. In einem Artikel von Svahn, Mathiassen und Lindgren (2017)21 heißt es, das Unternehmen setze auf innovative, extern entstehende Ökosysteme und wolle sicherstellen, jederzeit mit der neuesten Unterhaltungselektronik Schritt zu halten. Die Vision des Führungsteams war, dass einige der digitalen Funktionen ihrer Fahrzeuge auch nach der Produktion und dem Verkauf noch aktualisierbar sein sollten, was einen erheblichen Mehrwert für ihre Kunden darstellt.
Keine einfache Aufgabe, da mit der Außenwelt und dem Fahrer verbundene Fahrzeuge bedeuteten, dass sich das Unternehmen quasi neu erfinden und zugleich sicherstellen musste, dass sein Kerngeschäft weiterhin rund lief. Ein Rebirth des Unternehmens war unumgänglich, wollte es die Chancen der digitalen Technologie nutzen. Allen Beteiligten war klar, dass diese Umstellung auch Auswirkungen auf die Identität und Kultur des Unternehmens haben würde. Anfangs war nicht jede Führungskraft mit von der Partie, da dieser Schritt von manchen Topmanagern als hochriskantes Unterfangen mit geringen Ertragsaussichten angesehen wurde.
Zum Glück hatte das Führungsteam von Volvo Cars eine sehr klare Vorstellung vom Umfang dieses Projekts, auch wenn es sich über die Details noch im Unklaren war. Es kommunizierte seine Vision im ganzen Unternehmen und stellte die personellen und finanziellen Mittel bereit, um die Reise beginnen und zu einem erfolgreichen Abschluss bringen zu können.
Volvo Cars, das seit seiner Gründung auf einen Nischenmarkt und spezielle Produkte setzte, initiierte ein Portfolio unterschiedlicher Produktplattformen mit jeweils begrenztem Umfang und spezifischem Fokus. Nach und nach wurden diese Plattformen um weitere Ziele und zusätzlichen Mehrwert für die Kunden ergänzt. Der ursprüngliche Fokus auf Produktplattformen verlagerte sich auf digitale Unternehmensplattformen, was neue, unvorhergesehene digitale Dienste in einem wachsenden Ökosystem schuf.
Svahn et al. kommen zu dem Schluss, dass sich so manche Lektion aus dem Rebirth von Volvo Cars lernen lässt, allem voran die Erkenntnis, dass digitale Innovation via Plattformen nicht allein eine neue technologische Plattform oder Innovationsschmiede darstellt, sondern eine Fähigkeit, von der das gesamte Unternehmen und alle Ökosysteme profitieren. Die Entwicklung einer digitalen Innovationsschmiede ist dabei kein Vorhaben, das sich ohne entsprechende Mentalität, die Umstrukturierung des Unternehmens und die Entwicklung der Fähigkeit zur digitalen Innovation verwirklichen lässt. Und nur mit einer klaren Kommunikation der mit dem Rebirth eines Unternehmens verbundenen Anforderungen, der Klärung der Frage nach Sinn und Zweck dieses Projekts sowie der Bereitstellung der erforderlichen Mittel ist es in einem zunehmend digitalem Geschäftsumfeld möglich, in Sachen Innovation konkurrenzfähig zu sein.
Wer sich mit diesen Herausforderungen auseinandersetzen will, muss zunächst wissen, welche Kräfte und Tendenzen es sind, die den weltweiten Wandel vom industriellen zum digitalen Zeitalter bewirken.
Die folgende Box illustriert die allgemein akzeptierte Definition der vierten industriellen Revolution, sprich der Industrie 4.0, im Vergleich zu den bisherigen industriellen Zeitaltern.
Die vierte industrielle Revolution im historischen Kontext
Industrie 1.0Energie aus Wasser und Dampf ermöglicht die maschinelle Fertigung: Ende des 18. Jahrhunderts und in einem Großteil des 19. Jahrhunderts.
Industrie 2.0Elektrische Energie ermöglicht ab Anfang des 20. Jahrhunderts die Massenproduktion.
Industrie 3.0Elektronik ermöglicht die automatisierte Produktion (vor allem in den 1980er und 1990er Jahren, bis Anfang der 2000er).
Industrie 4.0Internet of Things (IoT): Durch das Verschmelzen der physischen mit der digitalen Welt stehen Daten in Echtzeit zur Verfügung und die Produktion kann über Netzwerke, Menschen und Maschinen, die miteinander in Verbindung stehen, weiter automatisiert werden – als Folge von digitalen Plattformen und einem Ökosystem der Wertgenerierung, -schöpfung und -lieferung, vor allem seit 2015, von wo an die Zahl der mobilen vernetzten Endgeräte, Sensoren, AI, 3D/4D-Druck und anderer technologischer Weiterentwicklungen förmlich explodiert ist.
Oft wird jedoch übersehen, dass die ersten drei oben genannten industriellen Revolutionen lediglich das Rückgrat der industriellen Wirtschaft bilden – die Herstellung von Waren und die Bereitstellung von Dienstleistungen erfolgte mechanistisch unter Kontrolle der dafür eingesetzten Mittel und wurde von den Unternehmen gesteuert. Die vierte Revolution ist hingegen eine radikale Abkehr vom industriellen Zeitalter und wird häufig als digitale Wirtschaft oder IoT-Wirtschaft bezeichnet. Neue Wertschöpfung gelingt hier vor allem durch intellektuelles Kapital wie Software und Algorithmen, die mit neuen Technologien vernetzt sind. Der Ausspruch „Software is(s)t die Welt“ ist inzwischen ein geflügeltes Wort, das heißt, vernetztes intellektuelles Kapital wird zunehmend wichtiger als das Eigentum an irgendwelchen Ressourcen. Doch dieses Konzept wird oft missverstanden, da nicht die Software entscheidend ist, sondern sämtliche Innovationen, die mithilfe von Software über Ökosysteme der Unternehmen entstehen, und auch, wie sie zum Vorteil des Unternehmens genutzt werden können. Auf diesen Punkt werden wir in den nachfolgenden Kapiteln noch näher eingehen.
Die dritte und die vierte Phase der industriellen Revolution wurden erst durch die IT-Revolution ermöglicht, die in drei sogenannten Computing-Wellen, basierend auf den jeweils verfügbaren technologischen Plattformen, erfolgte. Die erste Welle begann in den 1950er Jahren und geht auf die Entwicklung von Großrechnern zurück. Bei der zweiten Welle spielten PCs die Hauptrolle; sie beherrschten die IT-Landschaft etwa von 1985 bis 2005. Die dritte Welle haben wir mobilem Cloud-Computing zu verdanken, das über soziale Vernetzung, mobile Endgeräte, Big-Data-Analyse und Cloud-Technologien – die sogenannten SMAC-basierten Anwendungen – erfolgt.
Die dritte Welle wird durch sechs technologische „Akzeleratoren“ beeinflusst (siehe Bild 4