Digitale Kompetenz im Beruf - Ulrich Hemel - E-Book

Digitale Kompetenz im Beruf E-Book

Ulrich Hemel

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Beschreibung

The digital transformation of work involves more than just technological innovation. Successful digitalization alters the social space within companies. The development of digital competence in the workplace therefore needs to focus on the whole person, the way they think, their communication skills, actions and the way in which they deal with emotions. Starting from this basic approach, the authors present Ulrich Hemel=s multidimensional competence model and outline the steps involved in the development of digital competence. In the process, they look at the central areas of development in which interpersonal collaboration is changing as a result of digitalization: communication, mobile working, management, learning and employee recruitment. The aim of this holistic approach to competence development in the workplace is to achieve a reflective way of shaping one=s own work in the spirit of digital sovereignty and fairness.

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Seitenzahl: 319

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Sebastian König/Simon Drescher/Ulrich Hemel

Digitale Kompetenz im Beruf

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

 

 

1. Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-041122-7

E-Book-Formate:

pdf:    ISBN 978-3-17-041123-4

epub: ISBN 978-3-17-041124-1

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Vorwort

Wir lernen Tag für Tag. Durch unsere Fähigkeit als Menschen, uns Wissen anzueignen und neue Fertigkeiten auszubilden, können wir uns der Welt anpassen – oder versuchen, die Welt an uns anzupassen. Dieses doppelte Vermögen, das der Anpassung und das der Gestaltung, ist im Beruf besonders dann gefragt, wenn sich die grundlegende Form der Zusammenarbeit verändert. Eine solche, tiefgreifende Veränderung ist die digitale Transformation. Sie betrifft Unternehmen als Organisationen und soziale Systeme genauso wie die einzelne Person und deren individuelle, berufliche Kompetenz.

Es gibt bereits viel über diese digitale Transformation zu lesen. Oft wird sie dabei aus rein technologischer oder ökonomischer Sicht beleuchtet oder aus einer bewusst digitalisierungskritischen Perspektive. Digitalisierung ist dann entweder ein rein technisches Phänomen, bei dessen Analyse jedoch der Mensch als wichtigster Bezugspunkt fehlt. Oder Digitalisierung ist das Andere zum Menschen, die kalte Technologie, der eine humanistische Perspektive entgegengestellt werden muss.

Im vorliegenden Buch wollen wir eine andere Haltung einnehmen. Wir wollen weder den Menschen gegen die Digitalisierung verteidigen, noch versuchen, die digitale Transformation ohne ihre wichtigsten Akteure – konkrete Personen – zu erklären. Unser Interesse gilt vielmehr der digitalen Transformation als Entwicklungsfeld für alle Personen, die von ihr berührt sind und aktiven Einfluss auf die Ausgestaltung der Digitalisierung ihres Unternehmens nehmen möchten. Digitalisierung ist hier kein Gegensatz zur sozialen Interaktion in Unternehmen, sondern eine andere, neue Form dieser sozialen Welt, mit eigenen Anforderungen und Gesetzmäßigkeiten.

Der Ausgangspunkt unserer Gedanken ist daher die Frage, wie sich die digitale Zusammenarbeit wirksam und verantwortungsvoll gestalten lässt. Dafür, so unser Ansatz, brauchen Menschen digitale Kompetenz im Beruf. Die Entwicklung dieser Kompetenz und ihre Voraussetzungen zu beschreiben, ist Ziel dieses Buches. Wir konzentrieren uns dabei in vielen Erläuterungen und praktischen Beispielen auf die beruflichen Anforderungen an Menschen in Unternehmen. Alle Reflexionen und Handlungsempfehlungen lassen sich unserer Erfahrung nach aber auch auf andere Organisationen, in denen Menschen professionell zusammenarbeiten, übertragen.

Die Idee zu diesem Buch hatte Ulrich Hemel, Bildungsforscher, langjähriger Berater für Unternehmen und Organisationen sowie Direktor des Weltethos-Instituts in Tübingen. Aus der Verbindung von wissenschaftlichen Kompetenzmodellen, der praktischen Unternehmensberatung und dem Weltethos-Gedanken eines verantwortlichen und ethisch reflektierten Handelns, hat sich ein Kerngedanke unseres Buches ergeben: Digitale Kompetenz ist Teil dessen, was einen Menschen zur Person macht. Die Entwicklung der Kompetenz, seine eigene, digital-soziale Lebenswelt zu gestalten, ist daher auch ein Lernen über die eigene Identität. Dieses Identitätslernen mit ethischer Sprach- und Handlungsfähigkeit zu verbinden, ist das Anliegen der Weltethos-Perspektive in diesem Buch. Es zeigt sich vor allem in den Ideen digitaler Souveränität und digitaler Fairness.

Die digitale Transformation als Lern- und Entwicklungsfeld lässt sich sowohl mit wissenschaftlichen Modellen als auch aus der Erfahrung praktischer Beratung heraus beschreiben. Sebastian König und Simon Drescher bringen dafür ihre Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Forschungs- und Beratungsprojekt »Disruptive Rhetoric. Strategische Innovationsförderung in Unternehmen« ein. Dieses mehrjährige Projekt wurde von den Innovation Grants der Universität Tübingen gefördert und fand in enger Kooperation mit global operierenden, mittelständischen Unternehmen statt. Die Interviews, Datenerhebungen und Beratungsprojekte, die wir im Rahmen dieser Förderung durchführen konnten, haben zu weiten Teilen zu diesem Buch beigetragen. Darüber hinaus sind Beobachtungen und Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen und Organisationen in die Darstellungen in diesem Buch eingeflossen.

Unsere gemeinsame Arbeit am Thema digitale Kompetenz versteht sich auch als Versuch, die verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, aus denen wir Autoren kommen, mit den praktischen Erfahrungen, die wir in der Beratung gemacht haben, zu einem einheitlichen Bild zu ordnen. Gleichwohl ist dieses Buch nur ein Ausschnitt und eine Momentaufnahme. Zweifelsohne ließe sich über die Gestaltung des digitalen sozialen Raums im Beruf noch viel mehr sagen.

Wir möchten an dieser Stelle besonders Kristina Janackova und Maria Spohr dafür danken, in akribischer Arbeit und mit großer Zuverlässigkeit die Fertigstellung unseres Manuskriptes begleitet zu haben.

Uns hat die gemeinsame Arbeit an diesem Buch viel Spaß gemacht und auch gegenseitig neue Erkenntnisse beschert. Wir hoffen, unseren Leser:innen geht es genauso.

Tübingen, im Mai 2022

Sebastian König, Simon Drescher und Ulrich Hemel

Inhalt

Vorwort

Teil I Beschreibung digitaler Kompetenz

1      Digitale Transformation

1.1      Was heißt Transformation?

1.2      Von der technologischen zur sozialen Transformation

1.3      Transformationsdruck und die Kompetenz zur Gestaltung

1.4      Worum geht es in diesem Buch?

2      Digitale Kompetenz und Kompetenzentwicklung

2.1      Was heißt Kompetenz?

2.2      Ein Modell digitaler Kompetenz

2.3      Kompetenz, Persönlichkeit und Werte

Teil II Entwicklungsfelder digitaler Kompetenz

3      Digitale Kommunikation

3.1      Kognitive Kompetenz: Erkenntnisse aus der Kommunikationswissenschaft

3.2      Kommunikative Kompetenz: Wie wir über Kommunikation sprechen können

3.3      Pragmatische Kompetenz: Maßnahmen und Entscheidungen für die digitale Kommunikation

3.4      Emotionale Kompetenz: Distanzkommunikation und das Bedürfnis nach Nähe

3.5      Ein Beispiel aus der Praxis

3.6      Das Wichtigste in Kürze

3.7      Leseempfehlungen

4      Mobile Working

4.1      Kognitive Kompetenz: Erkenntnisse aus Soziologie und Sozialpsychologie

4.2      Kommunikative Kompetenz: Wie wir über Mobile Working sprechen können

4.3      Pragmatische Kompetenz: Regeln für den Umgang mit Mobile Working

4.4      Emotionale Kompetenz: Soziale Bedürfnisse als Erfolgstreiber für Mobile Working

4.5      Ein Beispiel aus der Praxis

4.6      Das Wichtigste in Kürze

4.7      Leseempfehlungen

5      Digitale Führung und digitales Leadership

5.1      Kognitive Kompetenz: Erkenntnisse aus der Organisationslehre

5.2      Kommunikative Kompetenz: Eine offene Feedbackkultur

5.3      Pragmatische Kompetenz: Regeln für die digitale Führung und digitales Leadership

5.4      Emotionale Kompetenz: Der bewusste Umgang mit Emotionen in der Führungsarbeit

5.5      Ein Beispiel aus der Praxis

5.6      Das Wichtigste in Kürze

5.7      Leseempfehlungen

6      Digitales Lernen

6.1      Kognitive Kompetenz: Erkenntnisse aus Pädagogik und Lernpsychologie

6.2      Kommunikative Kompetenz: Wie können wir über Lernen sprechen?

6.3      Pragmatische Kompetenz: Maßnahmen zur Etablierung einer digitalen Lernkultur

6.4      Emotionale Kompetenz: Lernen ist mehr als eine Frage der Intelligenz

6.5      Ein Beispiel aus der Praxis

6.6      Das Wichtigste in Kürze

6.7      Leseempfehlungen

7      Digitales Recruiting und Onboarding

7.1      Kognitive Kompetenz: Der Übergang von der analogen zur digitalen Personalgewinnung

7.2      Kommunikative Kompetenz: Die Präsentation von Identität und Werten

7.3      Pragmatische Kompetenz: Vier Regeln für erfolgreiches digitales Onboarding

7.4      Emotionale Kompetenz: Psychologische Aspekte beim Onboarding

7.5      Ein Beispiel aus der Praxis

7.6      Das Wichtigste in Kürze

7.7      Leseempfehlungen

Teil III Kontext und Ziel digitaler Kompetenz

8      Strategische Kompetenzentwicklung

8.1      Wissenschaftlicher Hintergrund

8.2      Data Literacy

8.3      Fünf Schritte zum strategischen Entwicklungsplan

8.4      Ein Beispiel aus der Praxis

8.5      Das Wichtigste in Kürze

8.6      Leseempfehlungen

9      Digitale Souveränität und Fairness

9.1      Was ist digitale Souveränität?

9.2      Reflexion über digitale Souveränität

9.3      Digitale Fairness als Zielbild

9.4      Kompetenzaufbau für digitale Fairness

9.5      Ein Beispiel aus der Praxis

9.6      Das Wichtigste in Kürze

9.7      Leseempfehlungen

10   Abschluss und Ausblick

10.1    Digitale Kompetenz jenseits technischen Wissens

10.2    Übersicht über die fünf Entwicklungsfelder

10.3    Zielbild digitaler Kompetenzentwicklung

10.4    Ausblick

Literaturverzeichnis

Über die Autoren

Teil I   Beschreibung digitaler Kompetenz

1        Digitale Transformation

1.1      Was heißt Transformation?

Im Jahr 1690 präsentierte der Ingenieur und Erfinder Denis Papin einen Apparat, bei dem er einen Zylinder mit etwas Wasser füllte und dann einen beweglichen Kolben einführte. Erhitzte er den Zylinder, dehnte sich das Wasser als Wasserdampf aus und bewegte den Kolben im Zylinder, so dass eine mechanische Bewegung entstand.

Diese Konstruktion erscheint uns heute recht primitiv und doch gehört sie zu den Anfängen einer Epoche rasanter technologischer Entwicklungen, die in der Erfindung der Dampfmaschine und schließlich in der Industriellen Revolution mündete. Denis Papin konnte damals nicht ahnen, dass sein Apparat Teil einer Zeitenwende war, die nicht nur technologische Transformationen mit sich brachte, sondern eine radikale Veränderung der Arbeitswelt und der Gesellschaft nach sich zog.

Heute gehen wir davon aus, dass sich wieder eine Epochenwende vollzieht, eine erneute technologische Transformation, die wir die digitale Transformation nennen. Wir meinen damit den Prozess der digitalen Veränderung von Unternehmen, aber auch des politischen und gesellschaftlichen Lebens bis hinein in das Privatleben.

Wie bei der Erfindung Papins ist auch uns nicht immer bewusst, welchen Beitrag eine einzelne Technologie, eine technische Anwendung, eine neue Software oder ein innovatives Geschäftsmodell zur digitalen Transformation leistet. Als unmittelbar Beteiligten fehlt uns die historische Distanz, um sagen zu können, in welchem Stadium sich die digitale Transformation genau befindet. Stehen wir erst am Anfang der neuen, digitalisierten Arbeitswelt und erleben bisher nur die Vorboten der radikalen Transformation, so wie Papins Apparat auch nur der Vorbote noch einflussreicherer Erfindungen war? Wir kennen zwar nicht die Antwort auf die Frage, aber wissen trotzdem, dass wir bereits Teil der digitalen Transformation sind und täglich mit ihren Folgen konfrontiert werden.

Wer sagt, dass sich etwas transformiert, meint nicht nur die Veränderung einzelner Merkmale an einer Sache. Transformation bedeutet, dass sich die Sache selbst verändert. Der Begriff Transformation beschreibt also nicht nur Veränderungen innerhalb eines Systems, sondern die Veränderung des Systems an sich.1

Die digitale Transformation wird als die vierte, grundlegende Veränderung der Arbeitswelt im Zeitalter der Industrialisierung gesehen: Erst erfolgte die Industrielle Revolution mit der Dampfmaschine, dann die Massenproduktion durch Elektrifizierung und Fließband sowie schließlich die Automatisierung durch den Computer. Die Digitalisierung hat die Arbeitswelt nahezu vollständig erfasst und wird Unternehmen weitreichend verändern. Umso wichtiger ist es, zu verstehen, was genau sich durch die digitale Transformation verändert und welchen Einfluss wir auf die Digitalisierung eines Unternehmens nehmen können. Wenn wir uns inmitten der Transformation unserer Arbeitswelt befinden, sollten wir erkennen, welcher Instrumente wir uns bedienen können, um den Wandel aktiv zu gestalten.

Dabei können wir nicht auf alle Bereiche der digitalen Transformation einwirken. Viele entziehen sich entweder unserer Kenntnis oder unserer Reichweite. Aber wir können an den Punkten ansetzen, wo die Digitalisierung unser tägliches Handeln im Unternehmen betrifft. In diesem Buch wird es um diese täglichen Entwicklungsfelder gehen, um die digitale Zusammenarbeit von Menschen in Betrieben und die Frage, wie sie ihre tägliche Arbeit in der Führung über die Distanz, in virtuellen Meetings, in digitalem Onboarding und anderen Interaktionen weiterentwickeln können. Ziel dieses Buches ist es, zu beschreiben, wie Manager: innen in ihren Betrieben die digitale Transformation selbst gestalten können.

Obwohl wir hier den Begriff der digitalen Transformation verwenden, werden wir im Folgenden nicht über Technik oder Informatik schreiben. Wie passt das zusammen? Um diese Frage zu beantworten, schauen wir uns zunächst an, welche Dimensionen die digitale Transformation hat und welche davon sich auch jenseits der Technik auf uns auswirken.

1.2      Von der technologischen zur sozialen Transformation

Wir haben die digitale Transformation gerade in eine Reihe mit anderen epochalen Entwicklungen unserer Arbeitswelt gestellt. Transformationen dieser Art vollziehen sich in kleinen Schritten, selbst, wenn es bisweilen herausragende Ereignisse geben mag, die eine beschleunigende oder radikalisierende Wirkung auf den Prozess haben. Transformationen beschreiben keinen plötzlich neuen Zustand, sondern eine kontinuierliche Veränderung. Deshalb liegt die Betonung des Begriffs Transformation vor allem auf dem Prozess, weniger auf dem Ergebnis des Wandels.2

Wie die Erfindung Denis Papins entfalten die meisten Ereignisse einer Transformationsgeschichte für sich genommen noch keine disruptive Wirkung auf ihre Umwelt. Papins Apparat war aus heutiger Sicht nicht mehr als ein mechanischer Versuchsaufbau an der Schwelle zum Zeitalter der Industrialisierung. Dennoch tragen die einzelnen Entwicklungen in ihrer Gesamtheit dazu bei, dass sich eine Technologie herausbildet, die irgendwann von einem bloßen Experiment zu einer konkreten technischen Anwendung wird.

Diese Statusveränderung, vom Experiment im Labor zur Anwendung in der Praxis, markiert einen wichtigen Schritt für Transformationsprozesse: Von diesem Moment an können neue Technologien als ökonomisches Potenzial in der Arbeitswelt genutzt werden und verdrängen unterlegene vom Markt. Damit verändern sie zugleich die Unternehmen, in denen sie zum Einsatz kommen und den Alltag der Menschen, die mit ihnen arbeiten.

Allen oben genannten Transformationen, von der Industrialisierung über die Massenfertigung bis zur kommerziellen Nutzung des Computers, ist diese Entwicklung gemein. Sie waren in ihren Anfängen ausschließlich eine Frage der Technik, ein exklusives Handlungsfeld von Ingenieursleistungen und Entwicklungen, die den Raum des technisch Möglichen neu vermaß. Sobald sich die neuen Ideen aber als Produkte oder Produktionsmethoden kapitalisieren ließen und sich am Markt aufgrund des durch sie entstehenden Wettbewerbsvorteils durchsetzen konnten, waren sie nicht mehr nur Gegenstand der Technik, sondern wurden zu einer ökonomischen Marktmacht. Und wiederum erst mit den durch sie entstehenden Veränderungen für die Menschen, bekamen sie eine soziale Dimension. Daraus ergibt sich ein Prozess von einer technologischen Grundlagenentwicklung zur ökonomischen Marktmacht, die zur Veränderung des sozialen Raumes führt:

Dar. 1: Der Prozess der technischen Transformation

Hat diese Entwicklung einmal stattgefunden, verläuft der weitere Transformationsprozess natürlich nicht mehr linear in eine Richtung. Die Transformation besteht dann in einem Verhältnis wechselseitiger Beeinflussung und Weiterentwicklung, bei der sich die Technologie ebenso den sich verändernden ökonomischen, wie auch sozialen Bedingungen anpassen muss, wie diese von der technischen Dimension beeinflusst werden.

Vor diesem Hintergrund besteht die digitale Transformation, obwohl der Begriff primär auf die technologische Dimension verweist, auch aus einer sozialen Transformation. Mit sozialer Transformation meinen wir die Veränderung des Zusammenlebens und der täglichen Interaktion zwischen Menschen durch die Instrumente und Folgen der Digitalisierung. Ein Beispiel für diese Transformation ist die Entwicklung der Zusammenarbeit eines Teams von der physischen Anwesenheit in einem Büro hin zur Arbeit im Homeoffice. Durch die technische Veränderung der Kommunikationswege und Kollaborationsmöglichkeiten verändert sich das Sozialleben der Teammitglieder. Sie sehen einander weniger, sprechen vermehrt über Videokonferenzen miteinander und entwickeln neue Kommunikations- und Interaktionsroutinen. Wenn sich der physikalische Raum für das Team verändert, etwa durch die Verlagerung des Arbeitsortes vom Büro nach Hause, verändert sich damit auch der Raum der sozialen Interaktion. Vor allem aber verändert sich die Interaktion selbst.

Alles das hat Auswirkungen auf die Zusammenarbeit sowie auf das Selbstbild und die Wahrnehmung von Arbeit bei jedem Einzelnen. Der hier beschriebene soziale Raum schließt die Gesamtheit dieser Phänomene mit ein, er besteht aus allen Aspekten der Interaktion zwischen Menschen in Unternehmen aber auch der Selbstwahrnehmung von Menschen in ihrem Beruf.

Der Weg von einer technologischen hin zu einer sozialen Transformation birgt auch einige begriffliche Herausforderungen, denen wir uns in gebotener Kürze stellen wollen. Insbesondere die Begriffe digital, virtuell und online werden häufig nicht klar definiert und auch nicht trennscharf verwendet. Wir können an dieser Stelle die heterogene und inkonsistente Verwendungsweise, die in unterschiedlichen Diskursen entstanden ist, nicht auflösen, doch möchten wir unser Begriffsverständnis zum Ausdruck bringen. Terminologisch bezeichnen wir mit ›digital‹ die Verwendung eines digitalen Mediums oder Systems, das mit einem Binärcode arbeitet. Mit dem Begriff ›virtuell‹ meinen wir hingegen den Aufbau einer neuen immersiven Wirklichkeit.3 Viele Formen der Virtualität entstehen durch den Einsatz digitaler Medien und Systeme, indem gezielt Simulationstechniken eingesetzt werden. Wichtig ist es, zu verstehen, dass der Einsatz von Simulationstechniken wie VR-Brillen keine notwendige Bedingung für Virtualität ist. Der Effekt immersiver Realitäten ist alt und kann auch durch analoge Medien wie Buch oder Theater angeregt werden. Ferner haben die Erfahrungen der Covid19-Pandemie verdeutlicht, dass auch einfache Display- oder Interaktionstechniken das Potenzial haben, eine neue immersive Realität zu erzeugen. Aus diesem Grund werden wir im Weiteren von virtuellen Meetings und virtuellen Teams ausgehen, denn hier liegt der Fokus auf dem Aufbau einer neuen Realität. Im Unterschied dazu sprechen wir von digitaler Kommunikation, digitalem Lernen und digitalem Leadership oder digitalem Recruiting und Onboarding, denn hier ist es noch nicht klar, ob eine neue immersive Realität entsteht. Im Kontrast zu digital und virtuell meint der Begriff ›online‹ lediglich einen bestimmten Vernetzungsstatus. Im Zusammenhang des digitalen Arbeitens ist der Status ›online‹ eigentlich immer gegeben. Der Begriff wird also nur dann eingesetzt, wenn der Punkt der Vernetzung betont werden soll.

1.3      Transformationsdruck und die Kompetenz zur Gestaltung

Die digitale Transformation ist längst unumkehrbar. In ihrer ökonomischen Bedeutung ist sie so dominant, dass sich ihr kein Unternehmen langfristig verschließen kann. Wer nicht digitalisiert, wird vom Markt verdrängt, schon deshalb, weil der Markt selbst zunehmend digital wird. Damit ist die digitale Transformation von Unternehmen zu einem Massenphänomen geworden.

Aus Unternehmenssicht lassen sich drei Säulen der digitalen Transformation voneinander unterscheiden: die Digitalisierung von Geschäftsmodellen, die Digitalisierung von Geschäftsprozessen und schließlich die Digitalisierung der gesamten Organisation in Abläufen und Kommunikation.4

Durch die konvergente Entwicklung zur Digitalisierung am Markt entsteht ein Transformationsdruck auf alle Beteiligten am Markt. Die Notwendigkeit zur Veränderung setzt zunächst bei den beiden erstgenannten Säulen der Digitalisierung ein: der Entwicklung von Geschäftsmodellen und -prozessen. Um sich im Wettbewerb behaupten zu können, sind Unternehmen in diesen Bereichen einem hohen Innovationsdruck ausgesetzt. Wenn dabei allerdings die dritte Säule der digitalen Transformation, die Digitalisierung des gesamten Unternehmens, nicht Schritt hält, verliert die Organisation den Anschluss an die Entwicklung digitaler Arbeitsabläufe und Prozesse.5

Der Anpassungsdruck der digitalen Transformation betrifft daher nicht nur die technologische und ökonomische Dimension unternehmerischen Handelns. Auch die soziale Dimension erfasst jeden Betrieb von Grund auf. Sie zeigt sich überall dort, wo die Kommunikation zunehmend oder ausschließlich digital abläuft, Teams über räumliche Distanz hinweg miteinander arbeiten und Prozesse der Aus- und Weiterbildung in die Virtualität verlagert werden. Beispiele dafür sind digitale Learning Management Systeme oder der Ersatz von Präsenztrainings durch E-Learning-Angebote. Für global operierende Unternehmen sind manche dieser Entwicklungen unvermeidlich. Sie führen aber immer auch zu einer digitalen Re-Konfiguration des sozialen Raumes in einem Betrieb.

Der Transformationsdruck auf ein Unternehmen bedeutet daher auch einen Anpassungsdruck auf die Menschen, die in diesem Unternehmen arbeiten. Digitale Transformation ist nicht nur eine Frage strategischer Unternehmensausrichtung. Sie ist, wenn sie konsequent und erfolgreich durchgeführt werden soll, auf eine kontinuierliche Organisations- und Personalentwicklung angewiesen. Unternehmen, die nur in die Digitalisierung ihrer Produkte und Prozesse investieren, nicht aber auf die digitale Handlungsfähigkeit ihrer Mitglieder achten, werden nicht in der Lage sein, die digitale Transformation erfolgreich zu gestalten. Eine adäquate Anpassung an die digitale Arbeitsumgebung muss daher auch von allen Mitarbeitenden erfolgen.

Diese Anpassung ist für viele Menschen herausfordernd. Sie erfordert Kenntnisse über die Verfügbarkeit und Anwendung digitaler Programme und Plattformen aber auch eine kritische Reflexion der Wirkung, die digitale Interaktion über diese Programme und Plattformen haben kann. Sie erfordert, seine eigenen Routinen und Gewohnheiten zu überdenken und an die digitale Arbeitsumgebung anzupassen. Und sie erfordert die Bereitschaft, sich diesen Herausforderungen zuzuwenden und nach Lösungen zu suchen, wo die Digitalisierung der Zusammenarbeit zu Herausforderungen führt. Mit anderen Worten: Diese Anpassung erfordert Kompetenz.

Daher ist die beste Antwort auf Fragen der digitalen Transformation in einem Unternehmen eine möglichst breite Kompetenzentwicklung aller Mitarbeitenden. Jede Investition in den Erwerb und Ausbau ihrer digitalen Kompetenz im Beruf ist eine Investition in die Kompetenz zur Gestaltung der Zukunft. Die organisationale Transformation lebt von genau dieser Gestaltungskompetenz. Denn Transformationsprozesse lassen sich weder im Vorhinein vollständig planen noch ausschließlich zentral steuern. Jeder Transformationsprozess ist in seiner Umsetzung auf die Mitarbeit und Unterstützung durch die betroffenen Personen bis in alle Bereiche eines Unternehmens hinein angewiesen.

1.4      Worum geht es in diesem Buch?

Wenn der beschriebene Veränderungsdruck in Unternehmen nur durch die Ausbildung einer digitalen Kompetenz aller Beteiligten zu bewältigen ist, stellt sich die Frage, wie diese Kompetenzentwicklung gestaltet werden kann. Das zentrale Motiv dieses Buches ist daher die Frage: Wie lässt sich eine digitale Kompetenz im Beruf ausbilden?

Um diese Frage zu beantworten, schauen wir uns in Teil I dieses Buches den Begriff Kompetenz genauer an: Was meint digitale Kompetenz? Dazu stellen wir ein Modell vor, das aus vier einzelnen digitalen Kompetenzen besteht. Sie alle gehören in ihrer Gesamtheit zur persönlichen Entwicklung eines Menschen und in unserem Sinne zur individuellen Entwicklung eines verantwortungsvollen Umgangs mit der digitalen Transformation im Beruf.

In Teil II untersuchen wir, worauf sich die angestrebte digitale Kompetenz in Unternehmen bezieht. Dieser Teil ist den Anwendungsgebieten der beruflichen Kompetenzentwicklung gewidmet. In einem Unternehmen gibt es verschiedene Bereiche menschlicher Handlungen, in denen digitale Kompetenzen erforderlich sind, um die Arbeitswelt zu gestalten. Diese Bereiche sind die digitale Kommunikation, die mobile Zusammenarbeit über räumliche Distanz hinweg, die digitale Führung, digital durchgeführte Lern- und Entwicklungsprozesse sowie die digitale Eingliederung von neuem Personal in das Unternehmen. Wir nennen diese Bereiche die Entwicklungsfelder innerhalb einer digitalen Transformation. Das bedeutet, dass sich auf diesen Feldern die zentralen Entwicklungen des sozialen Raums hin zu einer digitalen Zusammenarbeit in einem Unternehmen abspielen.

Das erste Entwicklungsfeld ist die digitale Kommunikation. Kommunikation ist die Grundlage dafür, dass sich Menschen in einem Unternehmen zusammenschließen können, als Team zusammenarbeiten, sich gemeinsame Ziele stecken und ihre Handlungen aufeinander abstimmen, um diese Ziele zu erreichen. Diese Kommunikation auch in der Virtualität zu entwickeln, stellt eine notwendige Grundbedingung für alle anderen Entwicklungsschritte dar.

Das zweite Entwicklungsfeld ist die Arbeit über Distanz hinweg. Mobile Working und Homeoffice werden dauerhafte Arbeitsformen der Zukunft. Hier spielt Kommunikation wieder eine große Rolle, aber es geht auch um die Frage, wie Menschen persönlich mit der Arbeit über Distanz zurechtkommen und wie sich die Distanz auf die Identität von Teams und die Identifikation mit einem Unternehmen auswirken kann.

Das dritte Entwicklungsfeld betrifft die digitale Führungsarbeit. Die Führung von Mitarbeitenden gehört zu den wichtigsten Einflussfaktoren für den Erfolg eines Unternehmens. Sie auch in der Virtualität wirkungsvoll zu gestalten, ist eine ständige Herausforderung für Teamleitung und Management.

Das vierte Entwicklungsfeld betrifft das Lernen und die Weiterbildung innerhalb eines Unternehmens. Für eine nachhaltige digitale Transformation ist ein Konzept zur digitalisierten Personalentwicklung eine notwendige Voraussetzung. Das wiederum setzt voraus, eine Lern- und Entwicklungskultur zu gestalten, die sich auch an die Umstände einer digitalen Unternehmenswelt anpassen lässt.

Das fünfte Entwicklungsfeld ist schließlich die Auswahl und vor allem die Eingliederung neuer Mitarbeitender in ein Unternehmen. Gutes digitales Recruiting und Onboarding können die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens entscheidend beeinflussen. Die sensible Phase der Integration in ein Unternehmen muss für alle, die diesen Prozess ganz oder teilweise online durchlaufen, genau geplant und auf die Bedürfnisse derer, die neu in das Unternehmen kommen, abgestimmt werden.

Wenn auf diesen fünf Feldern keine Entwicklung digitaler Kompetenz geschieht, verlieren Unternehmen wertvolles Potenzial und Ressourcen, um die eigene digitale Transformation erfolgreich durchzuführen. Gelingt hingegen eine kompetente Digitalisierung auf diesen Entwicklungsfeldern, lässt sich dadurch der gesamte soziale Raum eines Unternehmens beeinflussen. Damit trägt die Kompetenzentwicklung in den genannten Bereichen menschlicher Interaktion auch zu einer Gestaltung der allgemeinen Unternehmenskultur bei.

In Teil III des Buches weiten wir nochmals den Blick und nehmen die Gesamtheit der sozialen Interaktion in Unternehmen, insbesondere aus einer ethischen Perspektive in den Blick. Daher fragen wir nach Konzepten eines selbstbestimmten und vertretbaren Handelns in der digitalen Transformation, die über den Begriff der digitalen Kompetenz hinausgehen. Hier befassen wir uns zum einen mit digitaler Souveränität und zum anderen mit digitaler Fairness im Beruf.

Bei allen Überlegungen steht dabei immer das Bild eines selbstbestimmt handelnden und in seiner vollen Persönlichkeit wahrgenommenen Menschen im Vordergrund. Die digitale Transformation ereignet sich nicht einfach, sie wird gemacht. Sie ist keine plötzliche technische Entwicklung, sondern ein Gestaltungsprozess, der von Menschen durchgeführt wird. Sie ist Produkt der Entscheidungen von Menschen in der Geschäftsführung, im Management und der Teamleitung, die in Unternehmen über konkrete Maßnahmen beraten, sie umsetzen, nachhalten und evaluieren. Wir können in diesem Sinne bei den genannten Personen auch von den Akteur:innen und Gestalter:innen der Digitalisierung sprechen. Als Triebkraft der digitalen Transformation begreifen wir daher nicht technologische Potenziale, sondern die Fähigkeiten, Fertigkeiten und den Willen zur Realisierung dieser Potenziale durch die Mitarbeitende und Führungskräfte eines Unternehmens. Mit anderen Worten: Die entscheidende Ressource für die digitale Transformation ist digitale Kompetenz.

Kompetenzen gehören immer zu realen Menschen, die diese Kompetenzen besitzen. Durch freie, selbstbestimmte Entscheidungen und Handlungen können Kompetenzträger:innen Einfluss auf ihre Umwelt und andere Menschen nehmen. Dieser Einfluss ist ihre Handlungsmacht, wir können sie auch ihre digital agency nennen. In diesem Buch geht es daher auch um die Frage, wie Führungskräfte ihre digitale Handlungsmacht im Beruf erweitern können. Unser Buch richtet sich besonders an die Führungskräfte, die in ihren Unternehmen wirksamen Einfluss auf die digitale Transformation nehmen wollen, aber auch an Mitarbeitende und Führungskräfte in anderen Organisationen, die eine digitale Transformation im Beruf durchlaufen.

Neben der digitalen Kompetenz spielt dabei auch eine Reflexion der Werte eine Rolle, die ein Unternehmen als sozialen Raum prägen sollen. Werte bilden die Maßstäbe unseres Handelns, sie entscheiden darüber, ob wir Maßnahmen der digitalen Transformation unterstützen, akzeptieren oder ablehnen. Dazu gehört neben der Ausbildung digitaler Kompetenz auch die Fähigkeit, Werte zu reflektieren und sie als Ordnungsstrukturen unseres Handelns in den digitalen Raum zu übertragen. Die Transformation der Werte in Handlungsmaximen für das Digitale ist eine wichtige Entwicklungsstufe zur digitalen Selbststeuerung. Dieses Ziel, die digitale Transformation in einem Unternehmen kompetent und wertorientiert zu beeinflussen, nennen wir schließlich digitale Souveränität.

1      Wagener (1997), 179–191.

2      Reißig (2019), 15.

3      Kramer (2014), 5–11.

4      Drescher/S. König/Hepp (2021), 211.

5      Drescher/S. König/Hepp (2021), 210–212.

2        Digitale Kompetenz und Kompetenzentwicklung

2.1      Was heißt Kompetenz?

Wir haben gesagt, die beste Strategie für Unternehmen im Umgang mit der digitalen Transformation besteht in der Kompetenzentwicklung von Mitarbeitenden. Was aber ist eine kompetente Person? Im alltäglichen Sprachgebrauch werden mit Kompetenz oft tiefes Fachwissen und Erfahrung ausgedrückt. Wer auf einem Gebiet kompetent ist, kennt sich dort besonders gut aus. Dabei ist zumeist mitgemeint, dass eine kompetente Person auch in der Lage ist, ihr Wissen zur Anwendung zu bringen. Kompetenz ist daher nicht das Gleiche wie reines Wissen und theoretische Gelehrsamkeit, sondern zeigt, dass jemand praktisch handeln kann.6

In Pädagogik und Bildungsforschung wird hier häufig von Fähigkeiten und Fertigkeiten gesprochen.7 Der Begriff Fähigkeiten bezieht sich dabei vor allem auf das Denken, die Wahrnehmung und die Erkenntnisfähigkeit eines Individuums, während Fertigkeit die praktische Realisierung von Fähigkeiten in Form konkreter Handlungen meint. Kompetenzen beziehen sich also auf ein Zusammenspiel von Denken und Handeln, oder etwas fachsprachlicher ausgedrückt: eine Kombination aus einer kognitiven und einer pragmatischen Ebene.

Dieses Verständnis von Kompetenz ist vor allem instrumentell geprägt. Kompetent sein heißt dann, dass sich jemand besonders gut auf eine Sache versteht, weil er Wissen über diese Sache hat und auch weiß, wie er dieses Wissen in angemessene Handlungen überführen kann. Eine Pianistin zum Beispiel kann nicht nur Noten lesen und hat ein ausgeprägtes musikalisches Verständnis, sondern kann auch ihre Finger im Sinne einer motorischen Fertigkeit so bewegen, dass sie die richtigen Tasten in angemessener Geschwindigkeit und Dynamik bespielt.

Wenn wir noch genauer darüber nachdenken, was es heißt, im Beruf kompetent zu sein, fällt auf, dass noch mehr als nur eine Verständnisleistung in Verbindung mit einem technischen Können gemeint sein kann. Eine Folge des Zusammenspiels von Fähigkeit als Erkenntnisvermögen und Fertigkeit als Handlungsvermögen ist, dass die kompetente Person dadurch selbstständig und selbstorganisiert ist.8 Wer kompetent ist, ist nicht darauf angewiesen, von anderen Menschen auf ein Problem hingewiesen zu werden oder gesagt zu bekommen, wie dieses Problem zu lösen ist. Der kompetente Mensch erkennt Probleme von allein und kann seine Fähigkeiten und Fertigkeiten für ihre eigenständige Lösung nutzen. Kompetenz ist also auch ein Schlüssel zur Selbstständigkeit und Autonomie einer Person.

Vor diesem Hintergrund kann sich Kompetenz auch auf der motivationalen Ebene zeigen.9 Kompetent sein heißt dann, verkürzt gesagt, nicht nur, handeln zu können, sondern auch handeln zu wollen. Kompetente Personen gestalten ihre Umgebung also proaktiv, indem sie selbstgesteuert und eigenwirksam Potenziale erkennen und ihre Umwelt so verändern, dass sie für die eigen Arbeit und die Ziele eines Unternehmens am zuträglichsten sind. Das macht Kompetenzen zur zentralen Ressource für Veränderungsprozesse.

Wenn wir Kompetenz in dieser Breite erfassen, heißt kompetent sein mehr, als eine bestimmte Fähigkeit auf einem Sachgebiet auszubilden. Wenn Kompetenz auch die Aspekte von Autonomie, Selbststeuerung und Motivation mit einbezieht, werden Kompetenz und Kompetenzerwerb zu Aspekten der Persönlichkeit. Dieses Verständnis, das wir auch Kompetenz 1 nennen können, sieht die Ausbildung von Kompetenz als Beitrag zur Ausbildung der Persönlichkeit eines Menschen. Dem gegenüber steht das engere Konzept der Kompetenz als reiner Fähigkeit, dass wir in Abgrenzung als Kompetenz 2 bezeichnen.10

In diesem Buch gehen wir von dem beschriebenen, weiten Kompetenzbegriff im Sinne der umfassenden Kompetenz 1 aus. Er beschreibt ein großes Potenzial für die digitale Transformation von Unternehmen. Denn die eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie der Wille, sie für die Gestaltung seines Umfeldes zu nutzen, prägen das Selbstbild einer Person und wirken sich gemeinsam mit charakterlichen Dispositionen auf das Erleben und die Verhaltensweisen von Menschen im Beruf aus. Während der letztgenannte Aspekt, die charakterlichen Dispositionen einer Person, verhältnismäßig stabil und beständig bleibt, lassen sich Kompetenzen in hohem Maße verändern und entwickeln. Die Veränderung von menschlichem Verhalten und ihrer Bereitschaft, sich neuen Herausforderungen zu stellen, kann daher besonders gut über die Ausbildung einer entsprechenden Kompetenz erfolgen. Damit ist die Ausbildung einer digitalen Kompetenz im Beruf die ideale Voraussetzung für die Gestaltung der digitalen Transformation in Unternehmen.

2.2      Ein Modell digitaler Kompetenz

Wenn wir Kompetenz als umfassenden Beitrag zur Persönlichkeitsentfaltung verstehen, muss die Entwicklung von Kompetenz folglich auch die zentralen Aspekte der Persönlichkeitsentwicklung widerspiegeln. Wir schlagen daher vor, die allgemeine Kompetenz eines Menschen als ein Zusammenspiel aus vier einzelnen Kompetenzbereichen aufzufassen:

•  kognitive Kompetenz

•  kommunikative Kompetenz

•  pragmatische Kompetenz

•  emotionale Kompetenz

Diese vier Bereiche decken die zentralen Aspekte des Denkens, des Austausches mit anderen, des Handelns und des Fühlens einer Person ab.

Kognitive Kompetenz

Unter kognitiver Kompetenz können wir zunächst das Wissen und weitergefasst auch die Bildung eines Menschen verstehen. Da sich Kompetenz aber immer auch in der Anwendung von Wissen zeigt, gehören auch die geistigen Fähigkeiten zur Nutzung von Wissensstrukturen zur kognitiven Kompetenz. Das heißt, die Fähigkeit zu analytischem Denken, das Erkenntnisvermögen die Befähigung zum kritischen Urteilen.

Kognitive Kompetenzentwicklung heißt dementsprechend, das Verstehen und die Urteilsfähigkeit zu trainieren. Dazu gehört der Erwerb von Wissen ebenso wie die Übung in (kritischem) Denken und die Reflexion über Sachverhalte, über die man zuvor nicht nachdenken konnte oder lediglich ein unzureichendes Verständnis darüber hatte. Wer seine kognitiven Kompetenzen entwickelt, ist damit auch in der Lage, sich eine Meinung zu bilden. Die Ausbildung kognitiver Kompetenz schult damit auch das kluge Abwägen von Gründen und die Reflexion von Einstellungen.

Kommunikative Kompetenz

Die kommunikative Kompetenz besteht im Wesentlichen in der menschlichen Standpunkt- und Dialogfähigkeit. Beide Fähigkeiten bilden die grundsätzlichen Spielarten menschlicher Kommunikation: Bei der Standpunktfähigkeit geht es darum, ob und wie sich eine Person überhaupt artikulieren kann. Wer seinen Standpunkt vertritt, teilt anderen mit, wie er sich und die Welt sieht – das heißt, was er für wahr oder wahrscheinlich hält, weiß oder glaubt, wünscht und will. Erweitert wird diese grundlegende Fähigkeit durch den Dialog, bei dem es zunächst darauf ankommt, nicht nur sich selbst als Sprechenden wahrzunehmen, sondern auch andere Menschen und ihre Standpunkte. Daraus entsteht der Austausch von Personen untereinander, mit welchem Erfolg in der Verständigung auch immer. Die kommunikative Kompetenz deckt diese beiden Grundformen des menschlich-kommunikativen Verhaltens ab.

Kompetenzentwicklung im kommunikativen Sinne reicht von der bloßen Fähigkeit, sich irgendwie mitzuteilen bis zur Beherrschung feiner Sozialtechniken in der Kommunikation. Besonderes rhetorisches Geschick etwa ist eine Spielart kommunikativer Kompetenz, die zugleich zu einem wichtigen Erfolgsfaktor für einen Menschen werden kann.

Pragmatische Kompetenz

Pragmatische Kompetenz bezeichnet die Fähigkeit eines Menschen, Pläne in die Tat umzusetzen. Das reicht von einfachen motorischen Handlungen, wie etwa dem Schlagen eines Nagels in die Wand bis hin zu komplexen sozialen Interaktionsformen, dem Verhalten auf einem Firmenevent, der Moderation einer Vorstandssitzung oder der Führung eines Teams. Insbesondere für diese letztgenannten Handlungen, die aus einer Folge vieler einzelner Handlungsschritte bestehen, gilt, dass pragmatische Kompetenz auch die Fähigkeit zur Rollenübernahme und Ausgestaltung sozialer Rollen bedeutet. Die Übernahme von Rollen lernt jeder Mensch von Kindheit an und wir alle erfüllen täglich verschiedene Rollen.

Für die Ausbildung pragmatischer Kompetenz sind Erfahrungen von zentraler Bedeutung, aber auch die Überprüfung der eigenen Wirkung anhand eigener Beobachtungen und der Rückmeldungen anderer. Die Entwicklung pragmatischer Kompetenz ereignet sich permanent im täglichen Vollzug, wobei eine immer gleiche soziale Umgebung vor allem zur Festigung von Rollenkompetenzen führt, während sich verändernde Umstände zur Ausbildung neuer Rollen führen können. Dieser Aspekt ist insbesondere in Hinblick auf die Veränderungsprozesse im Rahmen der digitalen Transformation von Bedeutung.

Emotionale Kompetenz

Die emotionale Kompetenz befähigt den Menschen dazu, mentale Eindrücke und Empfindungen wahrzunehmen und mit ihnen umzugehen. Emotionen sind komplexe Reaktionen, die Gefühle auslösen aber auch körperliche Reaktionen verursachen können. Dies bei sich selbst und anderen wahrnehmen und interpretieren zu können, stellt bereits eine wichtige soziale Fähigkeit dar. Darüber hinaus befähigt die emotionale Kompetenz auch dazu, mit den eigenen Emotionen und denen anderer Menschen angemessen umgehen zu können. Wir sind für unsere Darstellungen hier nicht auf eine besondere psychologische oder soziologische Terminologie des Emotionalen festgelegt, sondern können auch die Reaktion auf eher unbestimmte Konzepte wie Stimmungen oder Launen unter die emotionale Kompetenz von Personen fassen.

Ein weiterer Aspekt emotionaler Kompetenz besteht darin, nicht nur auf Emotionen und Gefühle reagieren zu können, sondern sie auch selbst aktiv beeinflussen zu können. An dieser Stelle wird besonders deutlich, wie eng die Verbindung von Kompetenz und Persönlichkeit ist. Die Ausbildung emotionaler Kompetenz gehört für jeden Menschen zum Entwicklungsprozess seines Charakters dazu und hinterlässt einen prägenden Eindruck auf andere Menschen.

Interdependenz aller Kompetenzen

Die kurzen Ausführungen zu den einzelnen Kompetenzen erhellen sofort, dass alle Kompetenzen aufeinander aufbauen und sich gegenseitig bedingen. So sind beispielsweise das Verständnis und die Reflexionsfähigkeit von sozialen Erwartungen und Rollen, die wesentlich auf kognitiver Kompetenz basieren, eine Grundlage für die Ausübung dieser Rollen im Rahmen der pragmatischen Kompetenz. Und die Fähigkeit, Emotionen anderer erkennen und deuten zu können, wie es die emotionale Kompetenz ermöglicht, befördert wesentlich die Dialogfähigkeit im Rahmen der kommunikativen Kompetenz. Die Reihe derartiger Abhängigkeiten ließe sich problemlos um ein Vielfaches fortsetzen.

Diese Verflechtung der einzelnen Kompetenzen zeigt uns, dass die Ausbildung zur Kompetenz holistisch, also ganzheitlich gestaltet werden muss, soll sie nicht zu einer einseitigen Fokussierung auf Fähigkeiten führen, die dann aus den Zusammenhängen des täglichen Lebens gleichsam herausgeschnitten werden müssen. Eine Kompetenzentwicklung betrifft daher auch immer alle vier Ebenen der vorgestellten Kompetenzbereiche. Wenn wir also im Folgenden dieses Modell der vier Kompetenzen auf die Frage nach der digitalen Kompetenz im Beruf anwenden, werden wir uns immer überlegen, was diese digitale Kompetenz auf allen vier Ebenen menschlicher Kompetenzausbildung bedeutet.

Digitale Kompetenz

Der Zusatz »digital« vor dem Wort Kompetenz fügt keine neue Kompetenz zum hier vorgestellten Modell der vier Kompetenzen hinzu. Digitalisierung ist keine eigene Kompetenz – wohl aber erfordert sie Kompetenz. Wie wir gesehen haben, geht es hier immer um das Zusammenspiel aller vier Kompetenzen, der kognitiven, kommunikativen, pragmatischen und der emotionalen. Sie müssen sich auf die digitale Welt beziehen und diese kognitiv, kommunikativ, pragmatisch und emotional erfassen und verarbeiten.

»Digitale Kompetenz« drückt also aus, dass sich die vier Kompetenzen auf die digitale Welt beziehen. Die digitale Welt erfordert von uns keine völlig neuen Fähigkeiten, aber eine Anpassung unserer Fähigkeiten aus der analogen Welt, um auch digital noch wirksam zu sein. Das gilt insbesondere für den Beruf.

In Kapitel 1 haben wir die zentralen Entwicklungsfelder des sozialen Raumes in Unternehmen eingeführt. Auf diesen Entwicklungsfeldern findet die digitale Transformation der Zusammenarbeit und des Zusammenlebens in Betrieben statt. Sie aktiv zu beeinflussen und so zu gestalten, dass sich die Kooperation aller Mitarbeitenden eines Unternehmens auch digital wertschöpfend gestaltet, ist die zentrale Aufgabe der digitalen Transformation von Arbeit.

Aus der Betrachtung des Kompetenzmodells können wir nun ableiten, dass wir jedes dieser Entwicklungsfelder in allen vier Kompetenzen untersuchen müssen. Nehmen wir zum Beispiel das Entwicklungsfeld Mobile Working, also den zunehmenden Trend, Arbeit mit Hilfe digitaler Methoden und Technologien ortsunabhängig zu organisieren und durchzuführen. Für eine kompetente Gestaltung dieses Entwicklungsfeldes ist Wissen über die entsprechenden digitalen Technologien ebenso erforderlich, wie die Reflexion der Auswirkungen auf den sozialen Raum für alle Beteiligten. Dieses Wissen geht über in die Urteils- und Entscheidungsfähigkeit, welche Maßnahmen getroffen werden müssen, um die positiven Aspekte von Mobile Working auf den sozialen Raum in Unternehmen nutzen zu können, dabei aber die negativen Auswirkungen auf das Sozialleben der Mitarbeitenden möglichst gering zu halten. Das alles führt dann zur Erweiterung der digital-kognitiven Kompetenz einer Führungskraft, die mit der Ein- oder Durchführung von Mobile Working-Regelungen in ihrem Team befasst ist.

Wir müssen das Beispiel an dieser Stelle nicht fortführen. Die Ausführungen zu allen vier Kompetenzbereichen auf den einzelnen Entwicklungsfeldern bilden den gesamten Teil II dieses Buches. Die Grundstruktur ist dabei immer, zu jedem Entwicklungsfeld zunächst zu beleuchten, was eine Führungskraft über das jeweilige Thema wissen sollte (kognitive Kompetenz), was es bei der Kommunikation über dieses Thema zu beachten gilt (kommunikative Kompetenz), welche Handlungsempfehlungen – zumindest in Auswahl – gegeben werden können (pragmatische Kompetenz) und welche emotionalen Aspekte dabei zu beachten sind (emotionale Kompetenz). Wie bereits in Kapitel 1 ausgeführt, bildet die Veränderung des sozialen Raumes, nicht die technologische Betrachtung der digitalen Transformation, den Hintergrund aller Darstellungen.

2.3      Kompetenz, Persönlichkeit und Werte

Kompetenz ist immer Teil dessen, was uns zur Person macht. In diesem Sinne gehört zum Beispiel auch die Kompetenz einer Führungskraft zu ihrer beruflichen Persönlichkeit. Schon aus diesem Grund muss in einem Buch über digitale Kompetenz im Beruf immer die Person im Mittelpunkt stehen.

Auch Maschinen können etwas, was wir in einem abgeleiteten Sinne als Fähigkeit bezeichnen können. Für den Dampfapparat von Denis Papin, den wir zu Beginn von Kapitel 1 beschrieben haben, scheint das Wort »Fähigkeit« noch sehr hoch gegriffen, eine »Kompetenz« würden wir diesem Apparat wohl nicht zuschreiben. Hier bleiben die Komplexität der menschlichen Lern- und Anpassungsfähigkeit, die Urteilsfähigkeit sowie die variablen Einsatzmöglichkeiten von Wissen und Fertigkeiten des Menschen der Maschine kategorisch überlegen. Durch die technologische Entwicklung der Digitalisierung steht diese Abgrenzung zwischen Mensch und Maschine jedoch in Frage. Computerprogramme, die zu maschinellem Lernen und Künstlicher Intelligenz führen, weisen ebenfalls Lern- und Urteilsfähigkeit auf.

Die Abgrenzung des Menschen von Künstlicher Intelligenz ist zu einer eigenen Frage in vielen Disziplinen und Debatten geworden, über den Unterschied zwischen Mensch und Tier hinaus.11 Es ist nicht notwendig, an dieser Stelle die Argumente dieser Debatten zu wiederholen. Entscheidend für unser Verständnis von Kompetenz ist, dass Maschinen mit Künstlicher Intelligenz zwar über zahlreiche Merkmale verfügen, die wir auch als Voraussetzungen des Kompetenzbegriffs ansehen. Eine Person wird jedoch nach wie vor durch viele Attribute ausgemacht, die einer Maschine nicht zukommen.

Eines der wichtigsten Attribute ist die Selbstbestimmung der Person. Menschen sind in ihrem Dasein nicht zweckgebunden. Und obwohl wir am Arbeitsplatz primär den Zweck unserer Stelle bzw. unserer Rolle im Unternehmen erfüllen, ist der Sinn der Arbeit nicht in gleicher Weise auf reine Funktionalität limitiert wie bei Robotern und Computern. Menschen erfüllen diverse soziale Funktionen in Unternehmen und sind darüber hinaus in der Lage, sich selbst und ihrem Tun einen Zweck zu geben oder auch den Zweck ihres Tuns zu hinterfragen. Wir erkennen das in den Momenten, in denen sich Mitarbeitende nur noch in ihrer Funktionalität wahrgenommen fühlen: Wo Menschen auf ihren funktionalen Wert reduziert werden, stellt sich ihnen die Sinnfrage, vielleicht auch die Frage nach ihrem Selbstwert. Das ist bei Maschinen niemals der Fall.