Digitalisierung und Führungspraxis - Josef G. Böck - E-Book

Digitalisierung und Führungspraxis E-Book

Josef G. Böck

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Beschreibung

- Wirkt sich die fortschreitende Digitalisierung auf die Führung unserer Unternehmen aus? - Können wir auf Führung verzichten, wenn alles durch Algorithmen gesteuert werden kann? - Verändern sich Form und Inhalt von Führung? - Wie können wir digitale Führungshilfen nutzen?Der Autor zeigt, warum in Unternehmen die Frage nach Autorität und Verantwortung mit jedem Digitalisierungsschritt neu gestellt werden muss und welche Antworten es gibt. Das Buch richtet sich vor allem an kleine und mittelständische Unternehmen, aber auch Führungskräfte in großen Unternehmen finden neue Ansatzpunkte für ihre Überlegungen rund um die digitale Transformation. Mit Downloadmaterial zum Buch auf myBook+.

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Inhaltsverzeichnis

Hinweis zum UrheberrechtImpressumVorwort1 Grundlagen und Thesen1.1 Digitalisierung und Update auf Führung X.01.2 Zehn Thesen aus der Praxis eines Digitalisierers 2 Das Spielfeld der digitalen Transformation2.1 Drei Richtungen digitaler Transformation2.2 Produktivität und Digitalisierung2.3 60 Jahre digitale Transformation2.3.1 Eine kurze Geschichte digitaler betrieblicher Informationssysteme2.3.2 Erkenntnisse für kleine und mittlere Unternehmen2.4 Betriebliche Informationssysteme als Führungswerkzeuge2.5 Treiber der digitalen Transformation2.6 Das Konzept der Digital Leadership 2.7 Digitalisierung und Erfolg3 Warum es Führung gibt und was die Digitalisierung daran ändert3.1 Google und sein Führungsexperiment3.2 Führung als soziales Ordnungselement3.3 Führung als Auftrag der Stakeholder 3.4 Vom Ende der Führung3.5 Digitale Transformation als Angriff auf Führung4 Was Führungskräfte machen und was Digitalisierung daran ändert4.1 Elon Musk als Führungskraft4.2 Barnard, Drucker, Malik, Sprenger & Co.4.3 Verantwortung als Führungsinhalt4.4 Digitalisierung und »Führung« als Dienstleistung5 Wie geführt wird und was Digitalisierung daran ändert5.1 Jeff Bezos als Chef5.2 Führungsprinzipien und digitale Werkzeuge5.3 Digitale Hilfsmittel und Führungsaufgaben5.4 Digitaler und analoger Methodenmix in der Führung6 Die Macht der Follower 6.1 Follower bei Uber 6.2 Digitale Kompetenz als Generationenthema 6.3 Digitalisierung und Employability 6.4 Aufgabenerledigung und digitale Helfer7 Die Führung von Produktentwicklern in die digitale Transformation7.1 Mark Zuckerberg als oberster Produktentwickler7.2 Leistungsversprechen digitaler Produkte7.3 Die Praxis des digitalen Innovationsmanagements7.4 Produktentwicklung, Partizipation und Führung7.5 Führung und Disruption als Strategie7.6 Vom Handwerker zum Digitalisierer 8 Führung und digitale Kompetenz8.1 Die digitale Kompetenz von Führungskräften8.1.1 Der alleindenkende Serviceleiter8.1.2 Die disziplinierte Vertriebsleiterin8.1.3 Die gewissenhafte Buchhalterin8.2 Die digitale Kompetenz der Topmanager8.3 Digitale Kompetenz in Zeiten der Veränderung9 Lehren aus der Erkundungstour10 Beispiellösungen für die eigenen Einschätzungen10.1 Beispiele10.1.1 Entstehung und Ausübung von Führungsautorität10.1.2 Einordung der betrieblichen Softwarelösungen10.1.3 Persönliche Erfolgskriterien10.1.4 Einschätzung zur Begründung von Autorität10.1.5 persönliche Begründungen, warum jemand Führungskraft sein will10.1.6 Die Führungsaufgaben von Stefan Weber10.1.7 Vision eines Führungsansatzes10.1.8 Die Grundüberzeugungen von Stefan Weber10.1.9 Werkzeuge zur Partizipation und Kommunikation10.1.10 Geführte und Autorität10.1.11 Die Digitalisierungsfähigkeit unserer Produkte10.1.12 Einschätzung der eigenen Produkte nach Christensen 10.2 Zusammenführung10.2.1 Grundstruktur der Auswertung10.2.2 Interpretationen der Ergebnisse aus den AufgabenLiteraturverzeichnisStichwortverzeichnisZum AutorArbeitshilfen Online
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Hinweis zum Urheberrecht

Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht GmbH, Stuttgart

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Print:ISBN 978-3-7910-4339-5Bestell-Nr. 10304-0001ePub:ISBN 978-3-7910-4340-1Bestell-Nr. 10304-0100ePDF:ISBN 978-3-7910-4341-8Bestell-Nr. 10304-0150

Josef G. Böck

Digitalisierung und Führungspraxis

1. Auflage, Juni 2019

© 2019 Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht GmbH

www.schaeffer-poeschel.de

[email protected]

Bildnachweis (Cover): © ranjith ravindran, shutterstock.com

Produktmanagement: Dr. Frank Baumgärtner

Lektorat: Elke Schindler, Spabrücken

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung, des auszugsweisen Nachdrucks, der Übersetzung und der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, vorbehalten. Alle Angaben/ Daten nach bestem Wissen, jedoch ohne Gewähr für Vollständigkeit und Richtigkeit.

Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart

Ein Unternehmen der Haufe Group

Vorwort

Was dieses Buch will

Dieses Buch breitet vor Führungskräften und Geführten das aus, was ich bei meiner systematischen Beschäftigung mit dem Thema gefunden habe, um die Natur der digitalen Transformation aus der Sicht von Führungskräften in Betrieben zu beleuchten. Ich möchte Entscheidern damit Zeit sparen.

Ich will die gängigen Leistungsversprechen der Digitalisierung hinterfragen und darstellen, welche davon in der Praxis bisher nachweisbar eingetreten sind und welchen Führungskräfte deshalb bei der Entwicklung ihrer Digitalisierungsstrategie glauben können. Ich möchte Entscheidern Enttäuschungen ersparen und ihre Ressourcen schonen.

Dieses Buch versucht, die Digitalisierung unserer Unternehmen nicht in einen Topf zu werfen mit allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen, auch wenn diese durch die Digitalisierung aller unserer Lebensbereiche befördert werden. Ich möchte einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen Digitalisierung und Führung herstellen. Dies soll die Komplexität der Führungsarbeit reduzieren.

Während viele Diskursteilnehmer angesichts der Leistungsversprechen den Einsatz digitaler Hilfsmittel für die Führung für unabdingbar und paradigmenverändernd halten, komme ich von der Führungsaufgabe her und frage, welches Problem ein digitales Tool anders oder besser lösen kann als Methoden, die wir alle seit Jahrzehnten in der Managementausbildung lernen und in der Praxis anwenden.

Was dieses Buch nicht will

Dieses Buch entwickelt keine neue Führungstheorie. Ich habe bei der Beschäftigung mit der einschlägigen Literatur keinen Grund dafür gefunden, warum wir in der weiteren digitalen Transformation nicht mit dem Wissen arbeiten können, das wir in den letzten Jahrzehnten entwickelt haben. Ich gehe davon aus, dass die Leserinnen und Leser nicht noch eine Interpretation von Führung brauchen, sondern daran interessiert sind, ihre eigene in einer Wechselwirkung mit modernen digitalen Technologien weiterzuentwickeln. Je mehr sie dabei ihre individuellen Führungsansätze als Ausgangspunkt nehmen und bei ihren Begrifflichkeiten bleiben können, desto leichter werden sie entscheiden können, welche Aspekte der Digitalisierung sie wie angehen wollen und was ein Update auf Führung X.0 konkret für sie beinhaltet.

Ich liefere keinen Diskursbeitrag zur ewig offenen Frage, an was wir schlechte Führung erkennen und wie gute Führung heute aussieht. Dafür gibt es für mich zu viele erfolgreiche Firmen mit vollkommen unterschiedlichen Führungskonzepten und -persönlichkeiten. Es wird aber sehr wohl deutlich, auf welche Führungsansätze digitale Technik seit Jahrzehnten welchen Einfluss hat und was in dieser Hinsicht absehbar zu erwarten ist.

Ich versuche auch nicht zu definieren, was heute jede Führungskraft an digitalen Werkzeugen nutzen sollte, um zeitgemäß zu führen. Ich gehe vielmehr von einem Zusammenspiel von analogen und digitalen Methoden und Hilfsmitteln aus, das sich bei vielen Führungskräften in unserem Kulturkreis über viele Jahrzehnte ausgebildet hat und stelle dar, wie sich dieses Miteinander für wen durch die Digitalisierung individuell verändert.

Ich beschreibe die im Buch näher betrachteten Unternehmen und Führungskräfte so, wie sie digitale Werkzeuge in der Praxis nutzen und wie sie ans Thema Digitalisierung herangehen. Ich leite daraus ab, was moderne digitale Helfer für Führungskräfte realistisch zu leisten vermögen. Ich entwerfe keine futuristischen Musterlösungen und entwickle keine idealen Prozesse für sie. Ich stelle vielmehr die Kriterien und Benchmarks vor, die Führungskräfte bei ihren Entscheidungen für digitale Werkzeuge nutzen oder nutzen sollten.

Ich bringe auch nicht den erhobenen Zeigefinger des Besserwissers mit, der zur Eile, zum radikalen Umdenken oder zum Abwenden von bisherigen Praktiken drängt. Ich halte es nicht für motivierend, anderen Menschen, zumal Führungskräften, vorzugeben, was sie tun und lassen sollen. Ich halte mehr davon, die Optionen und deren Grenzen zu beschreiben, innerhalb derer Entscheider agieren. Als Leitplanke haben wir dafür auf der einen Seite unsere Gesetze und unsere gesellschaftlichen Normen. Die andere Seite ist der unternehmerische Erfolg. Ich bin davon überzeugt, dass die Missachtung einer der Leitplanken mittel- und langfristig dazu führt, dass Organisationen keine Kunden und Führungskräfte keine Mitarbeiter mehr gewinnen. Ich bin mir aber auch dessen bewusst, dass wir Menschen vieles machen und ausprobieren, nur weil es möglich ist. Bis wir gelernt haben, was davon im Sinne der Leitplanken Fehlentwicklungen und ungewollte Nebenwirkungen sind, brauchen wir Zeit. Ich möchte mit meiner Erkundungstour einige der Antwortzeiten verkürzen.

Sinnvolles Computerwissen für dieses Buch

Das Buch ist für Führungskräfte und Geführte, die ein Allgemeinwissen zu betrieblichen Informationssystemen und modernen digitalen Kommunikations- und Interaktionstechnologien haben. Im Text geht es um digitale Architekturen und große Linien der Digitalisierung. Die präsentierten Konzepte, Technologien und Anwendungen sollen für Digital Immigrants und Digital Natives verstehbar sein und für IT-ler erklären, was passiert, wenn Führung und Digitalisierung aufeinandertreffen. Das Anwendungswissen von Sachbearbeitern in unseren Unternehmen wird nicht vorausgesetzt, es wird aber an manchen Stellen zur Abgrenzung von Führungs- und Fachaufgaben genutzt.

Gendern und Leserinnenansprache

Ich habe vor dem Schreiben überlegt, wie ich den Text gendern will. Meine Ratgeberinnen und Ratgeber waren der Meinung, dass es sie bei diesem Thema in ihrem Lesefluss beeinträchtigen würde, wenn ich meinem Plan konsequent folgte, für alle Akteure auch die weibliche Form zu verwenden. Auch für meine Idee, die Kapitel abwechselnd weiblich und männlich zu gendern, fand ich keine Fürsprecher. In Bezug auf die Geschlechterrepräsentation liest sich der Text also traditionell. Dies gibt nicht meine Überzeugung wieder, dass Führung und Digitalisierung geschlechterunabhängig diskutiert werden sollten.

Danksagung

Die Idee zu diesem Buch trage ich seit Jahren mit mir herum. Seit die Idee im Herbst 2017 konkreter wurde, habe ich großmütige Hilfe von Freunden, ehemaligen Kollegen, Bekannten und deren Freunden und Bekannten erhalten. Ich danke ihnen allen aufrichtig für die Gedanken und die Zeit, die sie in dieses Projekt und damit ich mich investiert haben.

Der erste und größte Dank gebührt Ilona Jerger als erster Leserin meiner ersten Kapitel. Viel mehr noch als für ihr ehrliches Feedback bin ihr dankbar für ihre täglich bewiesene Geduld, meine oft als Vorträge formulierten Gedanken über sich ergehen zu lassen. Ich entschuldige mich auf diesem Weg gleichzeitig für meine Phasen geistiger Abwesenheit in den letzten Monaten.

Viel gelernt habe ich aus den Anmerkungen meines langjährigen Kollegen Ralf Faschinger in der Mitte des Projekts. Seine Fachkunde und seine inspirierend kritische Auseinandersetzung mit meinem Text haben bei mir einige Schalter umgelegt. Auch das fertige Manuskript hat er sich noch einmal intensiv angesehen. Ich danke ihm für die vielen Stunden des Nachdenkens über meine Arbeit.

Mein Dank geht auch an Frank Kirchner, der als Verfechter agiler Methoden meine Wahrnehmung des Themas und dessen Einfluss auf die Unternehmensentwicklung mit seinem Feedback auf den Text geschärft hat.

Sonja Heller hat die Grafiken für dieses Buch erstellt. Sie war, wie im letzten gemeinsamen Projekt, mit ihrer Kompetenz, ihrer Kreativität und ihrer Geduld wieder eine ungeheure Bereicherung für meine Arbeit.

Ein ganz besonderer Dank gilt der Lektorin dieses Buches, Elke Schindler. Ihr Sachverstand, ihre Präzision bei der Textarbeit und vor allem ihre Kreativität beim Umgang mit meinen Exkursen und Praxisbeispielen haben der Ordnung des Textes und der Klarheit der Darstellung enorm geholfen. Und schließlich möchte ich dem Programmleiter des Verlags, Dr. Frank Baumgärtner, für sein Vertrauen in mein Exposé und mich danken. Seine ambitionierte Zeitvorgabe für die Fertigstellung meines Textes hat alle meine Ressourcen aktiviert.

Josef Böck, Achmühle im Februar 2019

1 Grundlagen und Thesen

1.1 Digitalisierung und Update auf Führung X.0

»Es gibt einen Mythos, wonach heutzutage Computer die wichtigen Entscheidungentreffen, die früher von Menschen getroffen wurden […]. In Wirklichkeit sieht es so aus,dass die Menschen die Verarbeitung von Informationen, auf denen Entscheidungengegründet sein müssen, enorm komplexen Computersystemen überlassen haben.Mit wenigen Ausnahmen haben sie sich das Recht vorbehalten, Entscheidungenzu treffen, die auf dem Ergebnis dieser Rechenprozesse beruhen. Damit könnendie Menschen die Illusion aufrechterhalten, und mehr ist es oft nicht,dass im Grunde sie es sind, die entscheiden.«

Weizenbaum 1978, S. 63

Diese Zeilen stammen aus dem Buch Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft von Joseph Weizenbaum, das erstmals im Jahr 1976 veröffentlicht wurde. Bis zu seinem Tod im Jahr 2008 war der am Massachusetts Institute of Technology (MIT) lehrende Professor einer der wirkungsmächtigsten Entwickler und Kommentatoren digitaler Technologie. Es ist eine zentrale Frage dieses Buches, ob wir als Führungskräfte in Organisationen Weizenbaums Einschätzung jemals geteilt haben, dass Algorithmen die Vorarbeit für Entscheidungen liefern und Menschen diese dann treffen oder dass Computer die Entscheidungsgewalt sogar schon übernommen haben, und wenn ja, woher dieser Eindruck kommt.

In den Jahrzehnten seit der Veröffentlichung dieser Zeilen hat sich digitale Technik enorm weiterentwickelt und die Frage, ob Computer in unseren Tagen den Entscheidern immer noch zuliefern oder inzwischen selbst Handelnde sind, stellt sich für die Verantwortlichen in den Organisationen mit jedem Fortschritt betrieblicher Informationssysteme neu. In der Führungskräftebefragung der deutschen Wertekommission 2017 haben sieben Prozent der befragten deutschen Manager geantwortet, sie verbänden mit dem digitalen Wandel eine sehr hohe, 13,2 Prozent eine hohe Erwartung eines Machtverlusts und 44 Prozent meinten, sie wüssten es nicht. Ich habe mir mit diesem Buch zum Ziel gesetzt, die Gefühle vor allem dieser verunsicherten Führungskräfte ernst zu nehmen und auf eine Erkundungstour zu gehen, um die Unsicherheiten deutlich verkleinern zu helfen. Schließlich erwarten gleichzeitig 8,6 Prozent der Manager aus der Anwendung digitaler Technologie mit »sehr hoher Wahrscheinlichkeit« mehr Einfluss, 27,1 Prozent sehen dieser Entwicklung immerhin noch mit einer »hohen Erwartung« (Hattendorf et al. 2018, S. 27) entgegen. Ich will untersuchen, in welchem Kontext bei Führungskräften welche Haltung entsteht und was das für ihre Rolle bei der weiteren Digitalisierung ihrer Verantwortungsbereiche bedeutet.

Heute sind Algorithmen für Führungskräfte Ressourcen, die sie sich über drei unterschiedliche Wege ins Haus holen: als Bestandteile von Produkten und Leistungen, als Werkzeuge in den Unternehmensprozessen und im Weizenbaum'schen Sinne als Informationslieferanten für Entscheidungs- und damit Führungsarbeit. Dieses Buch konzentriert sich auf drei Fragen:

Wer und was treibt Führungskräfte, sich immer weiter mit Digitalisierung zu beschäftigen und damit in die digitale Transformation ihrer Organisationen und Produkte?Wie können digitale Ressourcen Führungskräften bei der Erreichung ihrer Ziele helfen und wo übernehmen Algorithmen selbst schon Managerrollen?Welche Gestaltungsmacht haben Führungskräfte in diesem Prozess und wo bleiben ihre Autorität und Verantwortung angesichts der Bedeutung der Algorithmen für die Unternehmenspraxis?
AUFGABE

Ihre eigene Einschätzung – Aufgabe 1

Bevor Sie mich auf meiner Erkundungstour durch die Digitalisierung und ihren Einfluss auf die Führung begleiten, bitte ich Sie, sich selbst als Führungskraft einzuschätzen. Überlegen Sie mithilfe der Abbildung 1.1, welcher Anteil Ihrer Arbeit Sacharbeit ist und welcher Führungsarbeit. (Wer sich als Follower, also als »Geführter«, analysieren will, der kann dafür analog die Abbildung 6.1 nutzen). Beide Teile zusammen sollten 100 Prozent ergeben. Dann überlegen Sie für Ihre Arbeit als Führungskraft, zu welchem Anteil Sie rein analog Ihre Führungsaufgabe aus sich selbst heraus (aus Ihrem Gefühl, in persönlichen Gesprächen, aus Nachdenken, aus Zuhören und durch individuelle Anleitung für Ihre Mitarbeiter) ohne digitale Hilfsmittel erledigen. Dann schauen Sie auf all Ihre digitalen Helfer, mit denen Sie Ihre Führungsarbeit digital stützen oder vorbereiten (Daten sammeln, Überprüfung der Arbeit der Mitarbeiter, digitale Kommunikation Ihrer Einsichten und Anleitungen) und geben ihnen ebenfalls einen Anteil innerhalb ihrer Führungsarbeit. Und als Letztes schauen Sie auf die digitalen Helfer, an die Sie Führungsaufgaben und Autorität übertragen haben, für die Sie aber immer noch die Ergebnisverantwortung tragen. Hierher gehören auch die Anteile Ihrer Führungsautorität, die Sie an Algorithmen verloren haben, ohne das bewusst beeinflusst zu haben und die trotzdem in Ihrem Verantwortungsbereich Wirkung entfalten.1 Alle Teile zusammen sollen den Anteil der Quellen ihrer Autorität als Führungskraft ergeben. Schauen Sie sich dann die Antwort eines IT-Leiters eines mittelständischen Softwarehauses auf diese Aufgabe an (vgl. Abbildung 10.1).

Abb. 1.1: Die Anteile von Sach- und Führungsarbeit einer Führungskraft (FK) heute. Der Anteil der Führungsarbeit ist unterteilt in analog, digital unterstützt und vollständig digitalisiert (Quelle: eigener Entwurf)

Wir werden im Laufe des Buches diese Grafik immer wieder hernehmen und untersuchen, ob Sie noch das gleiche Bild von sich haben und auch, ob Sie nach der Lektüre eines Abschnitts ein Gefühl dafür entwickeln, in welche Richtung Sie die Zusammensetzung der vier Anteile lenken wollen.

Der Geltungsbereich der Erkenntnisse

Der Gegenstand meiner Arbeit ist der einzelne Betrieb mit einem Schwerpunkt auf dem unteren bis gehobenen Mittelstand. Diese Konzentration bedeutet, dass ich mich vor allem der Erkenntnisse der Betriebswirtschaft mit allen ihren Teilgebieten und den ihr zuarbeitenden Wissenschaften wie Organisationspsychologie, Evolutionsbiologie und Informatik bediene. Volkswirtschaft oder Soziologie kümmern sich primär nicht um die Vorgänge in den Unternehmen und spielen deshalb nur insofern eine Rolle als sie das wirtschaftliche und soziale Umfeld unserer Unternehmen bearbeiten und damit Einsichten für die Führung von Unternehmen bereitstellen. Die volkswirtschaftliche, politische oder die gesellschaftliche Wirkung von Organisationen auf den Arbeitsmarkt, in ihren Ansprüchen an Bildungseinrichtungen oder durch die gesellschaftlichen Folgen von in den Betrieben entwickelten oder eingesetzten Technologien sollen untergeordnete Rollen spielen.

Führung ist für mich kultur-, mentalitäts- und zeitabhängig. Die in diesem Buch gemachten Beobachtungen und vorgestellten Forschungsergebnisse stammen aus Mitteleuropa und den USA, die Bewertungen sind aber durch Erfahrungen und Zahlenmaterial aus Deutschland geprägt. Sie werden deshalb bei Leserinnen und Leser in diesem Kulturraum leichter andocken als bei anderen. Wer anderswo bzw. mit einem anderen Erfahrungshintergrund an Führung herangeht, der kann aus dem Buch mitnehmen, auf welche Haltung zum Thema Digitalisierung er in Deutschland mit höherer Wahrscheinlichkeit trifft als in anderen Ländern.

Aus der Dynamik der digitalen Transformation aller unserer Lebensbereiche ergibt sich auch ein zeitlicher Gültigkeitsbereich. Ich schaue zur Beurteilung der bisher eingetretenen Veränderungen 30 bis 50 Jahre zurück und rechne mit einer Gültigkeit der gemachten Beobachtungen und gezogenen Schlüsse von zehn bis 15 Jahren. Dieser Horizont ergibt sich zum einen aus dem aktuell zu beobachtenden Innovationstempo digitaler Technologien und deren jetzt schon absehbaren Effekten und zum anderen aus der Veränderungsgeschwindigkeit menschlicher Fähigkeiten, Ängste und Sehnsüchte.

Materialauswahl als Folge meines Wertesystems

Es wäre naiv zu glauben, dass die Auswahl meiner Quellen, die beigezogenen wissenschaftlichen Analysen und Theorien und die daraus entwickelten Schlussfolgerungen nicht durch meine Werte geprägt wären.

Einer meiner Werte ist, dass ich schnelle Lösungen von komplexen Sachverhalten oder Problemen mit Skepsis betrachte. Ich meine, nachhaltige Lösungen entstehen dann, wenn wir uns als Führungskräfte an manchen Stellen wirklich aufs Detail einlassen, bevor wir unsere Schlussfolgerungen ziehen und Entscheidungen treffen. Ich leuchte viele Aspekte des Themas soweit aus, wie ich meine, dass die Befunde Führungskräften bewusst sein sollten, wenn sie ihre Handlungsoptionen in Richtung Digitalisierung bewerten und Entscheidungen treffen wollen. Ein anderer Wert ist, dass ich Ergebnisse hinterfragen will, indem ich bewusst danach suche, ob jemand mit dem gleichen Material oder bei den gleichen Fragen vielleicht zur genau gegenteiligen Einsicht gelangt ist und wenn ja, warum. Optimistische Verfechter digitaler Technologien sollen deshalb genauso zu Wort kommen wie pessimistische Analytiker unserer gegenwärtigen Führungskultur. Ein dritter meiner Werte ist, dass ich das verwendete Material vor den Leserinnen und Lesern in einer Weise ausbreite, verdichte und zuspitze, dass sie neugierig aufs Weiterbohren in ihrem eigenen Umfeld und bei sich selber werden, bevor sie ihre Entscheidungen für die Praxis treffen. Ich helfe dabei, indem ich die Antworten auf die im Buch aufgeworfenen Fragen und die sich ergebenden Ansätze in der Praxis eines real existierenden Unternehmens vorstelle. Diese sind höchst individuell und damit Benchmarks für die Leserinnen und Leser, aber keine Musterlösung. Dann ist da noch meine Überzeugung, dass ich mit meiner Darstellung des Sachverhalts nur dann eine Hilfe für die praktische Arbeit meiner Leserinnen und Leser schaffe, wenn ich das Material nach ihrem Nutzen für die Ziele des Buches aussuche. Ich habe den Mut gefasst, vieles wegzulassen, was ich mir zwar im Laufe der Arbeit angesehen habe, was sich nach genauerer Analyse aber als nicht zu meinen Zielen und meinen Fragestellungen passend herausgestellt hat. Und nicht zuletzt leitet mich die Überzeugung, dass ein Preis einer Führungsposition Verantwortung ist – für das Wohl der Mitarbeiter, für die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens und für den Einsatz von Algorithmen zur Bewältigung der eigenen Führungsaufgaben wie auch als Teil eigener Produkte und interner Prozesse. Mir scheint ein Miteinander in Unternehmen nicht möglich, wenn nicht jeder mindestens die Verantwortung für sein eigenes Tun und Lassen übernimmt.

Begriffsklärungen

Wir gründen und betreiben Unternehmen, wenn wir den Mut dazu haben, eine Chance im Markt zu nutzen, diese aber nicht alleine bewältigen können. Sobald mehrere Menschen zusammenarbeiten wollen, stellt sich die Frage, wie sie es mit Führung halten wollen. Günter W. Maier definiert in der Online-Version des Gabler Wirtschaftslexikons Führung als die »durch Interaktion vermittelte Ausrichtung des Handelns von Individuen und Gruppen auf die Verwirklichung vorgegebener Ziele« (Maier 2018). In der Druckausgabe des mehrbändigen Werkes sind Führungskräfte

»Personen oder Personengruppen, die Willensbildung und Willensdurchsetzunggegenüber anderen Personen wahrnehmen unter Übernahme der hiermit verbundenen Verantwortung (mit Entscheidungs- und Anforderungsbefugnissen ausgestattete F.). Aufgrund rechtlicher und organisatorischer Regelungen besitzen F. die Befugnis anderen Personen Weisungen zu erteilen, denen diese Personen zu folgen verpflichtet sind.«

Gabler 1988, S. 1929 f.

Wenn wir diese Definition auf unser Erkenntnisinteresse anwenden, dann zeigt sich, dass unsere Frage, was digitale Medien zur Erreichung der Ziele und, allgemeiner, zur Durchsetzung des Willens einer Führungskraft beitragen oder ob sie sogar selber Ziele vorgeben können, nicht nur eng mit Führung verbunden ist, sondern mit ihr eine Wechselwirkung eingeht. Führungskräfte erwarten sich vom Einsatz digitaler Technologie in der Regel Produktivitätssteigerungen, Qualitätsverbesserungen, Geschwindigkeitserhöhung, Reichweitenvergrößerung und die Chance, neue Services oder gar Geschäftsmodelle zu entwickeln. Genauso passt in diese Definition das Nutzenversprechen moderner digitaler Technologie, Verantwortliche bei der Vermittlung und Durchsetzung ihrer Pläne zu unterstützen, sei es durch digitale Kommunikation im engeren Sinn oder durch die Vorgabe von Prozessen, die mit betrieblichen Informationssystemen immer in die Unternehmen einziehen. Für unseren Zusammenhang wird dabei deutlich, dass der so oft thematisierte Unterschied zwischen einem Anführer (engl. Leader), einer Führungskraft (engl. Executive) oder einem Manager in diesem Buch nicht gemacht werden muss. Es gibt keine digitale Technik für Leader, die sich von derjenigen »normaler« Führungskräften in der Praxis unterscheidet, zumal wir im Deutschen diese Differenzierung sprachlich nicht vornehmen.

Statt des Begriffs »Mitarbeiter« werde ich in diesem Buch überwiegend den Begriff Follower verwenden. Während der Begriff des Followers im Kontext von Social Media in der breiten Öffentlichkeit für eine Beziehung zwischen Nutzern verwendet wird, wird er insbesondere in der aktuellen amerikanischen Führungsforschung als Bezeichnung für all die Menschen verwendet, die unabhängig von ihrer vertraglichen Beziehung einer Führungskraft untergeordnet sind oder sich ihr zugeordnet fühlen. »Mitarbeiter« impliziert für mich im Deutschen ein Angestelltenverhältnis. In vielen Strukturen gehören aber auch projektbezogen Angehörige anderer Organisationseinheiten oder freie Mitarbeiter in den Verantwortungsbereich einer Führungskraft. Für mich schließt der Begriff »Follower« alle diese Varianten ein.

Ich werde im Laufe des Buches Computer, digitale Technik, digitale Medien, Software und Algorithmen weitgehend als Synonyme gebrauchen (OECD 2017, S. 8). Sie alle stehen für und sind Teil der weltumspannenden Entwicklung, durch die analoge Produkte und analog erbrachte Leistungen in digitale Informationen übersetzt oder rein digitale Produkte und Leistungen geschaffen werden (Brynjolfsson/McAfee 2014 S. 19; Weizenbaum 1978, S. 68). Natürlich gibt es zwischen diesen Begriffen für technische Experten Unterschiede. Für unseren Zweck spielen diese aber eine untergeordnete Rolle.

Die Konzentration auf die Wechselwirkung von Führung und Digitalisierung drängt moderne und ausschließlich analog funktionierende Führungswerkzeuge in meinen Überlegungen an den Rand. Scrum, agile Methoden oder Ko-Kreation mögen für viele eng verbunden sein mit digitalen Medien oder gar aus der Informatik kommen, nüchtern betrachtet sind sie aber immer darauf zu prüfen, ob sie auch komplett analog funktionieren. Für viele aktuell gehypte Werkzeuge trifft dies ohne große Übersetzungsschwierigkeiten zu. Deren Anwendung zum Weitertreiben der digitalen Transformation unserer Produkte, Leistungen und Prozesse macht sie nicht digital.

Auf was ich aufbaue

Das Thema Digitalisierung in der Führungspraxis wird von mehreren universitären Fachgebieten bearbeitet. Da ein Überblick über den jeweiligen Forschungsstand jeden Rahmen sprengen würde, beschränke ich mich auf die Beiträge der jeweiligen Disziplinen, die den hier vorgelegten Text entscheidend geprägt haben.

Der Einfluss der Informatik auf dieses Buch speist sich aus drei Quellen. Die eine sind die Lehrbücher der Wirtschaftsinformatik, die an unseren Universitäten verwendet werden. Als Beispiele seien Laudon/Laudon/Schoder mit Wirtschaftinformatik. Eine Einführung (2015) und Hansen/Neumann mit Wirschaftsinformatik 1 (2015) genannt. In beiden Büchern findet sich ein ausgezeichneter Überblick über die Geschichte der Digitalisierung aus Sicht von Wirtschaftsunternehmen.

Die zweite Quelle sind Kommentatoren und kritische Begleiter der Entwicklung aus der Informatik, wie der schon erwähnte Joseph Weizenbaum oder der den Nutzenversprechen von Computern äußerst differenziert gegenüberstehende Thomas K. Landauer (1995). Die dritte Quelle sind Technologie-Vor- und Nachdenker aus High-Tech-Unternehmen und deren Forschungs- und Entwicklungsabteilungen wie Jaron Lanier (2018). Für uns sind all diese Beiträge aus der Informatik wichtig, um die technologischen Konzepte und deren gedachte und reale Möglichkeiten zu verstehen. Dabei wird unter anderem deutlich, wie weit zurück die Wurzeln der heute gehypten Themen wie künstliche Intelligenz und Machine Learning reichen und schon Gegenstand der Forschung und Entwicklung waren.

Ein eigenes Gebiet stellt die Wirkung der Digitalisierung auf Wirtschaftsunternehmen dar. Dieses Thema ist zwar nicht deckungsgleich mit Digitalisierung und Führung, kümmert sich aber um die Effekte der Digitalisierung in den Unternehmen und liefert damit die Leitplanken, innerhalb derer sich Führungskräfte mit ihrem Engagement für die Digitalisierung in ihren Verantwortungsbereichen bewegen. Besondere Aufmerksamkeit verdienen dabei die Arbeiten von Eric Brynjolfsson und Andrew McAfee mit allen ihren Veröffentlichungen, die unter anderem zu ihrem Buch The Second Machine Age (2014) geführt haben.

Zum Thema Führung ist die Forschungslage deutlich unübersichtlicher. Es beteiligen sich Evolutionsbiologen und -psychologen, Neurowissenschaftler, Organisationspsychologen, Wirtschaftswissenschaftler vor allem aus der Betriebswirtschaft, Soziologen und Dozenten an Führungsakademien oder -lehrstühlen an der Diskussion. Für die Managementlehre inner- und außerhalb von Universitäten möchte ich Peter F. Drucker, Barbara Kellerman, Fredmund Malik, Simon Sinek und Reinhold K. Sprenger anführen. In Deutschland tauchen vor allem im Zusammenhang mit Digitalisierung und Führung die Beiträge von Utho Creusen, Wolfgang Jäger, und Thorsten Petry an vielen Stellen auf. In der Neurobiologie und Neurowissenschaft gehört Robert Sapolsky zu den herausragenden Forschern. Seine Beiträge zu Hierarchien in menschlichen Gemeinschaften haben mich sehr beeindruckt (Sapolsky 2017). Da Führen unter anderem heißt, Entscheidungen zu treffen, rückt die Neuroökonomie immer mehr in den Vordergrund. Das Fachgebiet befindet sich in der Umbenennung in Neuroscience of Decision Making und findet über die Arbeiten von Michael S. Gazzaniga (Gazzaniga/Ivry/Mangun 2009) Einzug in dieses Buch.

Wer sich auf die Suche nach einer all diese Gebiete integrierenden Theorie zum Zusammenhang von Digitalisierung und Führung macht, der findet noch keine wissenschaftliche Publikation, die das leisten würde. Wir befinden uns noch in der Phase der Datenerhebung. Diese geschieht zu einem ganz wesentlichen Teil in Umfragen, die häufig von Verbänden und großen Unternehmen in Auftrag gegeben werden. Ich werde im Buch immer wieder auf die Ergebnisse von Bitkom und der Wertekommission zurückgreifen, die ihre Umfragen seit vielen Jahren machen und deshalb zur Beobachtung von Trends und Veränderungen aufschlussreiche Werte liefern.

Alle gerade erwähnten Diskursbeiträge beschreiben auf wissenschaftlichem Niveau, was sie beobachten und messen. Anders ist es bei einem großen Teil populärwissenschaftlicher Autoren und Berater, die ihre Expertise zum Thema mit Publikationen untermauern wollen, indem sie vortragen, wie Führungskräfte mit der Digitalisierung umgehen sollten. Ein Teil der Arbeiten kommt von öffentlich nur sporadisch wahrgenommenen Autoren. Wegen ihrer plakativen Titel oder zuspitzenden Thesen werden sie von Journalisten und den durch sie bedienten Medien aufgegriffen und prägen die öffentliche Wahrnehmung. Die Zahl solcher Publikationen, die mehr Ängste schüren als Hoffnung verbreiten und eher den radikalen Wandel in der Führung fordern als die langsame Anpassung, ist unüberschaubar. Ich habe viele von ihnen gelesen, führe die Diskussion über sie außerhalb dieses Buches in Form von Rezensionen auf der Webseite the-human-side-of-business.com fort.

Der digitale Wandel hat die Verlage und die Medienbranche grundlegend verändert. Damit haben sich auch die Orte der Auseinandersetzung mit dem Thema Digitalisierung und Führung weiterentwickelt. Für Nutzer analoger Medien bieten Zeitungen und Zeitschriften immer noch einen tages- oder monatsaktuellen Zugang zu wichtigen Entwicklungen. Ich habe sie deshalb in meine Analyse mit einbezogen. Parallel sind Blogs für Texte und YouTube für bewegte Bilder als öffentlich wahrnehmbare Diskussionsbeiträge enorm in ihrer Bedeutung gewachsen. Auch solche Beiträge habe ich verarbeitet, wenn sie mir in ihren Argumenten und in ihrer Bedeutung über den Tag hinaus zu weisen schienen. Zwischen den tagesaktuellen Medien und Büchern stehen die Beiträge in Fachzeitschriften. Sie waren früher dafür da, zwischen tagesaktuellen Einsichten und der Reife eines Themas für das Buchformat für reflektierte Beiträge von Experten zu sorgen. Bei Zeitschriften mit Qualitätskontrolle ist das prinzipiell immer noch so. Gleichzeitig verschmilzt die Zeitschriftenform bei manchen Verlagen mit der Buchform, wenn in Sammelwerken jedes Kapitel wegen seiner Mehrfachverwertbarkeit wie eine eigenständige Veröffentlichung gestaltet ist. Bücher als Konsistenz stiftende Monografien werden damit seltener. Das ist auch beim Thema Digitalisierung und Führung zu beobachten. Wir können uns als Leser nicht mehr darauf verlassen, dass eine Publikation schon deshalb für Qualität steht, weil ein Verlag sie akzeptiert hat. Das macht für uns als Leserinnen und Leser das Auffinden überzeugender Publikationen immer schwieriger und immer wieder vom Zufall abhängig. In diesem Bewusstsein sind die in diesem Buch verarbeiteten Quellen nicht nur durch mein Wertesystem und meine Bewertung geprägt, sondern auch der Tatsache geschuldet, dass ich auf manche Arbeit einfach nicht aufmerksam geworden bin. Die im Literaturverzeichnis aufgeführten Materialen sind diejenigen, die ich genutzt habe, aber nicht annäherungsweise diejenigen, die wahrscheinlich eine Berücksichtigung verdient hätten.

Aufbau des Buches und Leserichtungen

Im folgenden Abschnitt dieses Kapitels präsentiere ich die Thesen, die ich im Hinterkopf hatte, als ich mich an die konkrete Arbeit am Thema gemacht habe. Ich verweise bei jeder These auf einen oder mehrere Abschnitte im Buch, in dem ich die These aufgreife. Damit können die Leserinnen und Leser den Inhalt des Buches von den Thesen aus erkunden.

Wer lieber der Kohärenz schaffenden Gliederung des Buches folgt, für den steckt das Kapitel 2 das Spielfeld ab, auf dem sich Führung und Digitalisierung ganz grundsätzlich begegnen. Ich entwickle dabei ein einfaches Modell einer digitalen Architektur für die Erledigung der Sach- und Führungsaufgaben in unseren Unternehmen, auf das ich im gesamten Text immer wieder zurückgreife. Dann folge ich in den Kapiteln 3, 4 und 5 dem Vorschlag von Simon Sinek, der in seinen Büchern und öffentlichen Auftritten den Verantwortlichen in Unternehmen empfiehlt, zuerst nach dem Why als Daseinsberechtigung ihrer Unternehmen, dann nach dem What, also dem Inhalt ihrer Tätigkeit, und zum Schluss nach dem How zu fragen (Sinek 2009). Ich halte diese drei Fragen in dieser Reihenfolge für die Analyse unseres Führungsverhaltens für besonders inspirierend und wundere mich, dass ich das für dieses Thema noch nirgends so gelesen oder gehört habe. Wenn wir mit dieser Struktur an die Wechselwirkung von Führung und Digitalisierung in der Praxis herangehen, verringert sich die mit dem Thema verbundene Komplexität zu einem guten Teil.

Keine Führungskraft ohne Follower. In Kapitel 6 gebe ich den Stand der wissenschaftlichen Diskussion zu den Mitarbeitern unserer Unternehmen wieder und beleuchte, was sich durch die Digitalisierung an der IT-Kompetenz, an der Employability und an der Fähigkeit, in Unternehmen eigenverantwortlich Aufgaben zu erledigen, in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Auf der Digitalisierung von Produkten und Leistungen liegt ein besonderer Schwerpunkt in unseren Unternehmen. Der Bereich läuft in der Regel unter dem Begriff Forschung und Entwicklung und erfordert ganz besondere Kompetenzen. Es geht in Kapitel 7 darum, wie sich die Entwicklung von analogen und digitalen Produkten unterscheidet, welche großen Trends dabei eine Rolle spielen und wie sich die Leistungsversprechen der Unternehmen durch die Digitalisierung der Produkte verändern. Im 8. Kapitel rücken Führungskräfte in ihren Verantwortungsbereichen in den Mittelpunkt, wenn ich die Frage stelle, wie digitale Hilfsmittel die Kompetenz von Führungskräften bei der Erledigung ihrer Führungsaufgaben beeinflussen. Kapitel 9 fasst in zwölf als Lehren formulierten Thesen die Erkenntnisse aus den Betrachtungen der acht vorhergehenden Kapitel zusammen, bevor in Kapitel 10 einer der Protagonisten des Buches seine Antworten auf die im Buch gegebenen Ermunterungen zum aktiven Mitmachen für sich bearbeitet. Es handelt sich dabei nicht um Musterlösungen, sondern um einen Benchmark für Leserinnen und Leser, die der Einladung zur Selbstanalyse gefolgt sind.

1.2 Zehn Thesen aus der Praxis eines Digitalisierers

These 1: Die Digitalisierung all unserer Lebensbereiche wird von ambitionierten und klugen Menschen vorangetrieben. Kluge und ambitionierte Menschen waren in unserer Geschichte auch für die größten Katastrophen verantwortlich (alle Kapitel).

These 2: Algorithmen tun bisher nichts, was nicht irgendwann ein Mensch initiiert hat. Ab dem Moment, in dem ein Algorithmus in der Welt ist, entwickeln Menschen den Algorithmus in einer Wechselwirkung weiter (Kapitel 7).

These 3: Der Umgang mit der Digitalisierung aller unserer Lebensbereiche offenbart Mentalitätsunterschiede zwischen den Regionen der Welt. Führungskräfte können deshalb nicht einfach Erfahrungen und Herangehensweisen von einem Kulturkreis auf einen anderen übertragen (Kapitel 5).

These 4: Die aktuelle digitale Transformation unserer Produkte ist noch nicht so weit fortgeschritten, dass nicht noch alle Schlussfolgerungen vorläufig wären. Die Betrachtungszeiträume sind noch zu kurz und alle Beteiligten noch in der Lernphase. Bei der Digitalisierung unserer Prozesse sind wir weiter (Kapitel 2 und 7).

These 5: Durch die Digitalisierung werden Experimente mit neuen Produkten und Leistungen billiger und die Möglichkeit zu deren Individualisierung steigt. Wer sich diese Möglichkeiten als Führungskraft nicht wenigstens ansieht, verpasst Chancen (Kapitel 7).

These 6: Die Rollen von Führungskräften und Geführten werden heute eher bilateral verhandelt als hierarchisch vorgegeben. Digitale Medien sind sowohl bei der Verhandlung als auch bei der Umsetzung ein Faktor (Kapitel 5 und 6).

These 7: Menschliche Organisationen sind komplexe Systeme zweiter Ordnung. Die Mitglieder können auf Entwicklungen in ihrer Umwelt reagieren und ihr Verhalten anpassen. Das bedeutet, dass Führungskräfte keiner technischen Zwangsläufigkeit hilflos ausgeliefert sind, sondern die Anwendung digitaler Medien und Algorithmen für ihre Organisationen in der Hand haben. Was dabei herauskommt, ist – wie in allen komplexen Systemen – nicht immer verlässlich vorherzusagen (Kapitel 8).

These 8: Wenn wir Entscheidungen ein Gesicht geben, dann können Menschen damit leichter umgehen als wenn Maschinen Entscheidungen treffen. Mit einem menschlichen Gesicht werden Verantwortungen klarer (Kapitel 3).

These 9: Die Produktivitätsgewinne durch die Digitalisierung von Prozessen sind nicht einfach zu berechnen. Die Anbieter von ERP-, CRM-, Kommunikations- und Kooperationslösungen versuchen sich daran seit Jahrzehnten. Geschäftsmodelle und Branchen unterscheiden sich dabei erheblich (Kapitel 2).

These 10: Die Digitalisierung unserer Produkte, Leistungen und Unternehmensprozesse kostet enorme Ressourcen. Sie vergrößert die Kluft zwischen kleinen, regional operierenden KMUs (kleine und mittlere Unternehmen) und großen Organisationen (Kapitel 2 und 7).

1 Als Beispiele seien genannt: digitale Qualitätsmessungen der Arbeit Ihres Teams, digitale Verteilung von Aufgaben an Mitarbeiter ohne Ihr Eingreifen.

2 Das Spielfeld der digitalen Transformation

Der Branchenverband der deutschen Digitalindustrie Bitkom stellt in seiner 2018er-Ausgabe des Digital Office Index fest, dass sich die deutschen Unternehmen in ihrer Digitalisierungsstrategie, in ihren konkreten Nutzenerwartungen, in der Geschwindigkeit der Umsetzung und in den zur Verfügung stehenden Ressourcen unterscheiden (Bitkom 2018). In diesem Kapitel soll es darum gehen, warum das so ist und welche Auswirkungen das hat. Ich suche Antworten auf die Fragen, wer die Macht hat, die Digitalisierung voranzutreiben, auf welchen Stand das wen gebracht hat und welche Konsequenzen für die Führungspraxis sich daraus ergeben.

Ich möchte mich der Welt der Digitalisierung und der Führung in allen Kapiteln mit der Beobachtung von real existieren Unternehmen annähern. Ich habe dafür in der Regel weltweit bekannte Namen wie Google, Tesla, Facebook, Amazon und Uber gewählt. Eine Beschäftigung mit den in diesen Unternehmen praktizierten Führungsansätzen liefert nicht nur für viele von uns spannende Einblicke. Sie gelten in der öffentlichen Wahrnehmung als Musterbeispiele moderner Unternehmen, an denen sich viele orientieren. Als Neugründungen der letzten Jahrzehnte konnten sie fast vorbedingungslos Strukturen aufbauen, deren genauere Analyse sich für unser Thema lohnt. Sie haben mit ihren Geschäftsmodellen und Managementtechniken Beeindruckendes erreicht. Es wird beim genaueren Hinsehen auch klar, wo sie als Inspiration dienen können und wo sie Muster aufweisen, die viele von uns nicht in ihre Verantwortungsbereiche übertragen können.

Als Gegengewicht dazu beschreibe ich sehr konkret einen Vertreter aus unserem Wirtschaftsraum und dessen Führungskräfte auf dem Weg in die digitale Transformation, der nach den Maßstäben der Bitkom-Studie »durchschnittlich« in seinem Digitalisierungsbemühen ist. Ich beobachte das Unternehmen bei der strukturierten Übergabe von einem Altgesellschafter an die nächste Unternehmergeneration. Dieses Beispiel nenne ich hier die Spezialpumpen Alt GmbH. Ich habe sowohl die Branche sowie den Ort der Handlung als auch die Namen der handelnden Personen so verändert, dass sich alle Protagonisten geschützt fühlen können. Eine Übereinstimmung mit real existierenden Personen und Unternehmen wäre rein zufällig. Alle hier dargestellten Sachverhalte, Rollen der beteiligten Personen sowie genutzte und diskutierte Technologien sind deren tägliche Praxis.

2.1 Drei Richtungen digitaler Transformation

Bernhard Alt hat aus dem Gas- und Wasser-Installationsbetrieb seines Vaters eine mittelständische Spezialpumpenfirma mit 60 Mitarbeitern in Augsburg und einer kleinen Produktion in Bratislava gemacht, in der 40 Kollegen arbeiten.

Seit der Übernahme der Firma 1990 hängt sein Herz an der Produktentwicklung und dem Prototypenbau für Kollegen. Den Vertrieb, den Service und andere Ressorts des Unternehmens hat er nach der Umwandlung des Unternehmens in eine GmbH an langjährige Weggefährten im Unternehmen übergeben. Einige von ihnen haben inzwischen ihrerseits schon Nachfolgerinnen und Nachfolger gefunden. Den Standort Bratislava hat ein slo wakischer Mitarbeiter aufgebaut, der im Jahr 2000 zum Unternehmen kam und der nach sieben Jahren in Deutschland wieder zurück in seine Heimat wollte. Er leitet den Standort völlig selbstständig. Einige seiner Mitarbeiter werden von Führungskräften von Deutschland aus gecoacht.

Die aktuell vorhandene IT wurde von den Mitarbeitern in kleinen Projekten mit viel Vertrauen in externe Partner im Laufe der Jahre ohne große strategische Debatten Stück für Stück implementiert. Bernhard Alt setzte durch seine Budgetvorgaben die Rahmen. Diese hat er nur wenig verändert, auch wenn er vor zwei Jahren den 20 Jahre jüngeren Stefan Weber, einen Wirtschaftsingenieur, eingestellt hat, damit der sich um die Prozesse im Unternehmen und um »die betrieblichen Informationssysteme« kümmert. Der Firmengründer hat über die Jahre vier wichtigen Mitarbeitern je fünf Prozent des Unternehmens übertragen und Stefan Weber hat jetzt nach zwei Jahren zwei Prozent Anteile mit der Aussicht bekommen, dass er einmal die Mehrheit der Unternehmensanteile erwerben und damit einen Generationswechsel einleiten kann. Bevor Stefan Weber den nächsten Schritt zu gehen bereit ist, will er, dass der seiner Meinung nach herrschende digitale Innovationsstau aufgelöst wird. Konkret hat er drei Innovationsbereiche identifiziert, die er in einem Grobkonzept für den Altgesellschafter formuliert.

Der erste Innovationsschwerpunkt besteht in der Unterstützung der internen Prozesse durch eine zeitgemäße IT-Landschaft. Das in Deutschland und in Bratislava seit 15 Jahren eingesetzte Enterprise-Resource-Planning (ERP)-System ist zwar an beiden Standorten das gleiche, aber die beiden Systeme laufen auf zwei Servern und haben wegen lokaler gesetzlicher Regeln unterschiedliche Funktionalitäten. Updates wurden in beiden Systemen seit Jahren auf das gesetzlich absolut Notwendige beschränkt, weil ja »alles gut läuft« und Bernhard Alt die Zeit für Migrationsprojekte nicht investieren wollte. Der Hersteller hat jetzt die Unterstützung der aktuell eingesetzten Versionen abgekündigt. Die Schnittstelle zwischen den Systemen in Deutschland und Slowenien ist ein täglicher Datentransfer – sie ist bei Änderungen aufwendig zu pflegen und fehleranfällig. Die 2015 angeschaffte Customer-Relationship-Management (CRM)-Lösung ist nicht mit dem ERP-System verbunden und führt zu Doppelarbeiten. Der Webshop ist eine kleine Stand-Alone-Anwendung und erlaubt keine Interaktion mit den Kunden im Sinne eines Informationsaustausches direkt aus dem ERP. Das intern eingesetzte Office-Paket ist auf so einem alten Stand, dass sich die Anwender immer wieder darüber beschweren, dass sie zu Hause bessere Versionen einsetzen und vor allem, dass damit die gemeinsame Arbeit an den gleichen Dateien einen enormen Organisationsaufwand verursacht.

Stefan Weber schwebt vor, dass das ERP-System auf eine Version migriert wird, die nur einen Server notwendig macht, den alle Anwender über einen Browser in einer Private Cloud nutzen. Damit würden die Kollegen gleichzeitig mobil und könnten wirklich effizient im Homeoffice oder von den Servicekunden aus arbeiten. Eine Integration von CRM, ERP und Office-Anwendungen soll den Anwendern bei ihrer täglichen Arbeit helfen und für die Kunden soll es eine Plattform geben, auf der sie nicht nur Produkte und Ersatzteile bestellen können, sondern über eine Social-Media-Funktion in einen Austausch mit dem Unternehmen und anderen Kunden treten können. Für die Migration der Anwendungen und Daten mit den dafür notwendigen Spezifikationen und Workshops und der Ausbildung der Mitarbeiter rechnet Stefan Weber mit ungefähr drei Jahren. Es wäre eine aus seiner Sicht kontrollierte Transformation der betrieblichen Informationssysteme.

Der zweite Innovationsschwerpunkt betrifft die Pumpen. Zwar wird deren Entwicklung durch CAD- und andere Spezialprogramme unterstützt, aber im Moment fehlt den Systemen eine Integration ins ERP-System, um beispielsweise Varianten und Stücklisten auch kaufmännisch sinnvoll verwalten zu können. Viel schlimmer ist für Stefan Weber, dass die Innovationen bisher nicht einmal gedanklich in Richtung »aktive Online-Überwachung« der Pumpen gehen. Seiner Überzeugung nach müssen die Bauteile mit Sensoren ausgerüstet werden, damit die Anwender und der Hersteller ihren Zustand online überprüfen können und Fehler erkannt werden, bevor sie zu einem Stillstand der Pumpen führen. Letzteres löst jedes Mal einen Notfalleinsatz der Servicemannschaft mit entsprechendem Reiseaufwand aus. Er ist davon überzeugt, dass sie sich in Richtung Internet of Things bewegen müssen, wenn sie nicht von den großen Anbietern der Branche aus dem Markt gedrängt werden wollen, die alle an dieser Funktionalität ihrer Produkte arbeiten, die unter anderem unter dem Begriff Predictive Maintanance (vorausschauende Wartung) diskutiert wird. Mit einem Augenzwinkern schwärmt er von einem eigenen »Internet of Pumps«.

Der dritte Innovationsschwerpunkt, den Stefan Weber sieht, ist der Einsatz der Informationstechnologie zur Steuerung des Unternehmens und die Chance zur Übertragung von mehr Verantwortung auf die einzelnen Angestellten. Er ist dafür, dass nicht nur die Führungskräfte, sondern alle Mitarbeiter viel mehr Einsichten in die Daten der Systeme erhalten, damit sie mehr selbst entscheiden können als im Moment. Alle Module vom CRM bis zum Service im ERP sollen für alle Mitarbeiter zumindest einsehbar sein – nur bei der Finanzbuchhaltung würde er die Einsichtsrechte beschränken. Er selbst möchte für sich und die Führungskräfte ein Cockpit einrichten, in dem alle wichtigen Kennzahlen des Unternehmens minutenaktuell sichtbar sind, idealerweise auch von mobilen Geräten aus. Seine Idealvorstellung ist, dass er sich um die Zukunft des Unternehmens kümmern kann und im Tagesgeschäft nur dann eine Rolle übernimmt, wenn es darum geht, Eskalationen und Sonderprojekte zu managen. Mit seinen Kollegen aus der Führungsmannschaft hat er schon gesprochen. Sie finden das alles gut durchdacht und stehen nach seiner Überzeugung hinter seinem Vorhaben.

Bernhard Alt schaut sich das Konzept sehr genau an und findet, dass da sehr viel Nachvollziehbares dran ist. Er bittet Stefan Weber deshalb, als nächsten Schritt mal auszurechnen, was die Auflösung des Digitalisierungsstaus dem Unternehmen konkret bringen würde. Dann würden sie weitersehen.

2.2 Produktivität und Digitalisierung

Aus dem BWL-Teil seines Studiums kennt Stefan Weber Investitionsrechnungen und Produktivitätsüberlegungen. Als er die alten Bücher herausholt und sich im Internet auf den neuesten Stand bringt, stellt er fest, dass die Frage des Altgesellschafters gar nicht so einfach zu beantworten ist.

Das Produktivitätsparadoxon

Wer wie Stefan Weber der vornehmlich auf der Ebene der Volkswirtschaft geführten Diskussion über die Produktivität von IT-Investitionen nicht gefolgt ist, der mag erstaunt sein, dass Robert Solow schon im Jahr 1987 zum ersten Mal in einer Rezension in der New York Review of Books über das Buch Manufacturing Matters von Stephen S. Cohen und John Zysman die These aufstellte, dass sich die Digitalisierung bis dahin nicht auf die Produktivität der Unternehmen ausgewirkt habe2. Er schreibt:

»What this means is that they [Cohen und Zysman; Anm. des Autors], like everyone else, are somewhat embarrassed by the fact that what everyone feels to have been a technological revolution, a drastic change in our productive lives, has been accompanied every­where, including Japan, by a slowing-down of productivity growth, not by a step up.You can see the computer age everywhere but in the productivity statistics.«

Solow 1987, S. 36

Im Jahr 1993 gab Eric Brynjolfsson diesem Phänomen den Namen Productivity Paradox (Produktivitätsparadoxon) und motivierte damit eine ganze Reihe von Forschern, sich den Befund genauer anzuschauen (Brynjolfsson 1993). Wie Brynjolfsson betrachten die Wissenschaftler die Entwicklung der Produktivität pro Arbeitsstunde und die Gesamtproduktivität anhand des Bruttoinlandsprodukts durch die Jahrzehnte und kommen zum Ergebnis, dass diese beiden Werte bis in die späten 1960er- oder frühen 1970er-Jahre ständig gewachsen sind. Wir reden hier von Wachstumswerten von durchschnittlich 1,9 Prozent bei der Gesamtproduktivität und von 2,9 Prozent bei der Arbeitsproduktivität. Beide Werte sanken in den Jahren danach auf 0,2 Prozent beziehungsweise 1,1 Prozent. Dieser Befund gilt für die meisten hochindustrialisierten Länder (Hank 2018, S. 22; Triplett 1999, S. 310). Zwischen 1996 und 2004 gab es nochmal eine Steigerung auf die Werte vor 1970, seither sind sie wieder gefallen (Brynjolfsson/McAfee 2014, S. 125; Gründler 1997; Landauer 1995, S. 11; Phelps 2015, S. 6). Daran ändert auch die enorme Produktivität der erfolgreichen Silicon-Valley-Unternehmen nichts, weil diese nur drei Prozent des nationalen Einkommens und einen noch kleineren Teil der nationalen Beschäftigung ausmachen (Phelps 2015, S. 7).