Discover Ametsbichl - Christoph Ametsbichler - E-Book

Discover Ametsbichl E-Book

Christoph Ametsbichler

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Beschreibung

Einfach mal raus aus dem Alltagsstress. Weg von Allem und Jedem. Wer hat diesen Wunsch noch nicht verspürt?! Wenn mal wieder so gar nichts richtig zu laufen scheint... Die Frage ist bloß: Wohin? Naja, in die Arktis zum Beispiel! Das ewige Weiß... die ewige Stille. Klingt komisch? Ist aber so! Und wo würde ich es schaffen, endlich mal wieder Zeit für mich zu finden, wenn nicht an einem der abgeschiedensten Plätze der Erde? In Grönland, um genauer zu sein... Einem der letzten unerforschten Flecken. Perfekt also für 4 Wochen voll Abenteuer, Abgeschiedenheit und Erlebnissen, bei denen wohl nur eine Handvoll Menschen von sich behaupten können, sie hätten auch nur ansatzweise Derartiges erlebt. Die Flucht vorm tristen Alltag Deutschlands in eine andere Welt, die vor Lebensfreude und Entdeckergeist nur so strotzt. Unterlegt mit zahlreichen, atemberaubenden Situationsaufnahmen.

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Inhalt

Vorwort

Der dicke fette Spatz (die Sau!)

Kapitel 1:

Vor dem Start ist nach dem Start – oder so ähnlich

Kapitel 2:

… oder doch nicht…

Kapitel 3:

Herzlich willkommen… und jetzt zeig mal was Du drauf hast

Kapitel 4:

Auf dem Weg ins Nirgendwo

Kapitel 5:

Ausgesetzt in der Wildnis

Kapitel 6:

Die große Wanderung

Kapitel 7:

Der große Tag

Kapitel 8:

Jetzt taut’s

Kapitel 9:

Zurück zum Start…

Kapitel 10:

… wie die Zeit vergeht…

Vorwort

„Wie kommt man denn auf derartige Ideen“ oder „Also sowas ist doch kein Urlaub mehr“. Derartige Aussagen sind bei mir irgendwie inzwischen an der Tagesordnung. Ja, ich glaube man kann sagen ich stehe auf Abenteuer. Immer wieder stelle ich mir vor, was ich denn als Nächstes machen kann. Als „Urlaub“ sozusagen.

Wobei ich mich ja stark gegen dieses Wort „Urlaub“ sträube. Denke ich dabei schließlich immer an das erste Mal, an dem es mir erlaubt war, „die Brise der weiten Welt zu schnüffeln“. Tunesien war damals das Ziel, als ich kurzerhand zum Flughafen fuhr und mir ein Last-Minute Flugticket besorgte.

„Hauptsache raus aus Deutschland“ hatte ich im Kopf. Wohin, war mir eigentlich scheißegal. „All Inclusive Urlaub nach Tunesien… das hört sich doch gar nicht so schlecht an”, dachte ich mir, als ich das günstigste aller Angebote auswählte. Und ich sollte es bereuen. Oh mein Gott… und wie ich das bereuen sollte, als ich mich am komplett verdreckten Strand Tunesiens inmitten bierbäuchiger Touristen langweilte.

Trotzdem ahnte ich nicht, zu was ich damals den Grundstein gelegt hatte. Sozusagen mental einen Auftakt geschaffen hatte. Obwohl dieser Urlaub – und diese Reise kann man wohl wirklich als Urlaub bezeichnen – ein absoluter Horror für mich war will ich seitdem mehr. Und mehr… und mehr. Ich hatte einen Akzent gesetzt.

„Wie meint er jetzt das?“ Ganz einfach. Mein Freundeskreis in dem kleinen Dorf, in welchem ich aufwuchs, war nicht wirklich reisefreudig. „Ja, wär schon cool!“ waren die Standardaussagen meines damals besten Freundes. Stets wartete ich jedoch vergeblich, dass er irgendwann mal eine seiner „Ja, wär schon cool!“-Ideen in die Tat umsetzt und seinen Arsch in die Höhe bekommt.

Proaktives Handeln war angesagt. Und so lernte ich, mich selbst in Bewegung zu setzen, wenn ich etwas will. Mich nicht auf Andere zu verlassen bei der Verwirklichung eigener Träume. Der Traum war damals noch klein… All-Inclusive in Tunesien. Über die Zeit wurden die Träume allerdings immer größer, als es mich in immer entferntere und verstecktere Ziele verschlug. Ja, diesmal konnte man von Reisen sprechen. Nichts mehr von „schlecht gemixten Cocktails an einer miefigen Hotelbar zischen“.

Warum sich also über die Zeit mein Reiseextremismus derart gesteigert hat? Ganz einfach: Zur Selbstverwirklichung. Je mehr ich durch die Lande gereist bin, desto mehr erhöhte sich meine Erwartungshaltung. Wie ein Heroinsüchtiger… nur dass es bei mir um Erfahrungen ging.

So bin ich abgestumpft gegenüber Dingen, die andere Menschen wohl als hochverrückt und als absolutes Highlight empfinden.

Inzwischen brauche ich schon mehr als nur nen simplen Schuss, um heute noch high zu werden. Was wohl der Grund ist, weshalb ich erwähnte Fragen doch so oft zu hören bekomme. Vor allem bei Vorbereitungen auf meine Grönlandreise hat mich wohl doch schon so Mancher mit fragwürdigem Blick angesehen. Als ob er es mit einem psychisch Instabilen zu tun hätte. Weiss nicht… vielleicht ist das ja auch der Fall. Aber solange es mich glücklich macht… warum also nicht?!

„Um was geht es denn überhaupt?”, könnte man sich fragen. Nach all dem Trara, das ich jetzt um dieses Thema gemacht habe und dieser mehr als ausführlichen Hinführung. Kurz gesagt: Das Buch handelt von einer Expedition in die Arktis… wie der Titel wohl schon vermuten lässt.

Die als Untertitel hinzugefügte „Midlife-Crisis“ dürfte hier auch eine Rolle spielen… aber ich kann versprechen, dass sich Diese eher mit einer Nebenrolle zufriedengeben wird. Wie der Bösewicht in einem schlechten James Bond Film (sind die nicht alle schlecht…), der zwar seinen provisorischen Auftritt hat… aber doch hofft Jeder, dass der Arsch endlich abnippelt.

„Hm… was kommt denn als Nächstes?“ Ich habe mich also entschlossen, eine Expedition in die Arktis zu unternehmen. Wohl Einer der letzten unerschlossenen Flecken dieser Erde. Man bekommt schon einen Eindruck für das „warum?“, wenn man sich die ersten Zeilen dieser Ausführung aufmerksam durchgelesen hat.

Richtig, aus reiner Abenteuerlust! Auf eigene Faust Grönland zu erforschen. Isoliert in stürmischen Schneestürmen auf einer der größten Inseln der Welt. Hört sich das nicht romantisch an?

Zwar hatte ich eine Idee… an einem konkreten Plan fehlte es mir allerdings anfangs noch. „Ja was will ich denn genau machen?“ So ist es ja allzu oft beim Reisen.

Wenn ich mal wieder irgendwo angekommen war auf meinen zahlreichen Trips. „So, jetzt bin ich da. Und was mach ich jetzt?“ Diese Situation möchte man doch bei derartigen Unternehmungen in eine der tödlichsten Regionen der Erde vermeiden. Also suchte ich mir aufgrund der Tatsache, dass mein Freundeskreis größtenteils immer noch nicht aus Reiseverrückten bestand einen Partner, mit dem ich diesen Plan schmieden konnte. Einen Plan, wie ich die Zeit in Grönland effektiv nutzen könne… und letzten Endes vielleicht sogar überleben würde. Gesucht, gefunden. Und zwar in Form eines Logistikunternehmens namens „Tangent Expeditions“, welches sich seit Jahren auf derartige Unternehmungen spezialisiert hatte.

Und falls sich nun jemand fragt: „Wie kann man sich denn bitte auf sowas spezialisieren?“… der kann sich sicher sein, dass er nicht der Erste ist, der mir diese Frage stellt. In kurzen Worten also: Is halt einfach so!

Ich hatte mich also im Vorfeld der Planungen mit Paul Walker, Besitzer des englischen Unternehmens beraten, was ich denn für Möglichkeiten hätte. Das Gute an ihm war, dass er sich auskennt wie kein Anderer in der Region. Seit über 20 Jahren verbrachte er jeden Winter in dieser nördlichen Region und hat dabei bereits zahlreiche Expeditionen veranstaltet. Expeditionen in Gebiete, die zuvor noch kein Mensch gesehen hat.

Und stets führte er Protokoll. Über die Entdeckungen, die auf diesem Wege gemacht wurden. Und auch über die Erstbesteigungen der zahlreichen Gebirge, die in dem Gebiet zu finden waren.

Somit hatte er zu bereits zu Beginn unserer Planungen den perfekten Überblick, um mir folgende Frage zu beantworten: „Welche Region ist noch komplett unentdeckt hier in Grönland?“ Die Wahl fiel auf ein selten besuchtes Gebiet in den Stauning Alps, einem Gebirge im Nordosten Grönlands. „Wir setzen Dich dort per Schneemobil aus, und zusammen mit einem internationalen Bergführer wirst Du dann die Gegend erkunden“.

In großen Teilen der Gegend war tatsächlich noch keine Menschenseele gewesen. Der Plan also, sich auf Skiern fortzubewegen und dabei das große Areal auszukundschaften. Vor allem, das auch zu dokumentieren. Bis wir irgendwann nach ein paar Wochen Isolation in der Wildnis wieder abgeholt werden würden. Ebenfalls per Schneemobil – versteht sich von selbst. Da es hier noch keine Gasthäuser gab, müssten wir konsequenterweise in Zelten übernachten. Was eine weitere Herausforderung darstellen würde.

„Das Besondere an dem Trip ist, dass Dein Guide selbst noch nie in dieser Gegend war, und es für ihn daher genauso besonders sein wird wie für Dich.“ „Wie kann man denn mit einem englischen Bergführer reisen, der selbst noch nicht einmal in dieser Gegend war?”, haben mich Viele gefragt. Ganz einfach… „Hier war noch kein Mensch!“ Klingelts? Oder: „Ich hätte gedacht, dass Du da mit einem Eskimo unterwegs sein würdest.“ Aber Leute… denkt doch mal nach: Wenn ein Eskimo noch nie wo war… dann kann er mir genauso wenig helfen wie jeder Andere.

So war ich ganz zufrieden, mit jemandem unterwegs zu sein, der sich generell gut in Extremsituationen auskannte… und hoffentlich wüsste, wie er mir bei abgehenden Lawinen und 100 Meter tiefen Gletscherspalten aus der Patsche helfen kann.

Also „long story short“: viel Spaß beim Lesen!

Der dicke fette Spatz(Die Sau!)

Puff… es ist so weit! Kaum zu glauben, aber der unerreichbare Tag ist endlich gekommen. Letztendlich sollte sich mein Traum erfüllen. Ein Traum, der sich vor Jahren leicht in meinem Kopf abgesetzt hat. Wie ein Spatz der sich einen Zweig geschnappt hat… ganz unschuldig anmutend… sodass niemand irgendwie vermuten möchte, er lege gerade den Grundstock für eine weitere Zukunft… genau das ist es aber was er vor hat (sorry schon mal an alle Vogelkundler, falls Spatzen keine Nester bauen sondern in Mülltonnen hausen… oder Ähnliches, aber wie hier gilt auch für den Rest des Buches: wer Fehler findet darf sie gerne behalten).

Jedenfalls ist da dieser fiese Spatz, der sich nun über die Jahre mehr und mehr Äste sammelte. Und irgendwann ist aus dem ursprünglich einzelnen Zweig, den der Kleine angeschleppt hat, ein vollständig ausgewachsenes Nest geworden, in dem sich der Fettsack mit Kind und Kegel niedergelassen hat.

So ist das auch mit Grönland. Ich kann mich noch dran erinnern als ich vor was weiß ich wie vielen Jahren nach Kanada geflogen bin. Die Laune, sprich innere Gemütsruhe war – gelinde gesagt –absolut fürn Arsch. Kurz davor hatte meine Freundin nach knapp drei Jahren Beziehung per Telefon mit mir Schluss gemacht. Um mich abzulenken hatte ich beschlossen diese Reise anzutreten… die ich bereits zuvor buchte um sie zu besuchen. Welche dato in diesem Land wohnte… und mit jener, welcher ich ebenfalls eine bereits gebuchte zweiwöchige Rundreise durchs Land machen wollte… was ja nicht klappte, weil sie eine Woche davor mit mir per Telefon Schluss gemacht hatte. Ich glaube auch der Letzte hat nun den Zynismus in dieser Ausführung erkannt. Egal, ich saß also in meinem Flugzeug nach Kanada… tief geknickt und dem Suizid nahe, als ich aus dem Fenster sah und sich mir majestätische Pyramiden aus weißem Pulverschnee auftun. Zumindest konnte ich vermuten, dass es Pulverschnee sei, da ich ja etwa 10.000 Meter darüber in einer Boeing hinwegsauste.

Was allerdings außer Frage stand war: Was sich hier meinen Augen bot war absolut atemberaubend! Es war wie Liebe auf den ersten Blick, die mich meinen vorherigen Liebeskummer für einen kurzen Augenblick vergessen ließ. Die weiten Landschaften schienen so ewig weit und abgesetzt von jeglichem Leben. Genau richtig also für mich. Wie eine andere Welt, die auch heutzutage noch der fast vollkommenen erschlossenen Welt moderner Zivilisation zu trotzen schien.

Und das ist allem Anschein nach auch der Fall – so habe ich es zumindest gelernt.

Die Idee war geboren. Und immer weiter setzte sie sich in meinem Kopf ab. Mit jedem Abenteuer, das ich erlebte, brachte dieser gierige Mietnomaden-Spatz “Grönland” einen weiteren Ast in das Nest, das er gerade in meinem Gehirn erbaute. Reisen und Erlebnisse dienten ihm dabei als Futter. Mit jedem Berg, den ich jemals erklettert habe, jedem antarktischen Eisberg, der vor mir einstürzte, jeder außergewöhnlichen Bekanntschaft, die ich im Laufe der Zeit geschlossen hatte… Mit jedem dieser Schritte wuchs die Sehnsucht in mir, dieser eisigen und endlos weißen Schönheit einen Besuch abzustatten.

Ich erinnere mich an meine Kindheit, als ich es zu meinem offiziellen Lebensziel erklärte, einmal alle Kontinente bereist zu haben. Desillusion folgte auf den Schritt, als mir bewusst wurde, dass die Antarktis ebenfalls ein Kontinent ist. Da ist es wieder… „Das schaffst Du doch nie!“

Dennoch hat mich meine Lebensphilosophie dazu gebracht, trotz meiner limitierten Erwartung, bereits im Alter von 28 Jahren den Lebenstraum meines jungen Ichs erfüllt zu haben. Und zwar inklusive der Antarktis.

Immer mehr hatte mich diese Lebensweise über die Jahre zudem dazu gebracht, an mich selbst zu glauben. Mal mehr, und ok… etwas öfter auch ein bisschen weniger… jedoch immer noch oft genug um meine persönlichen Grenzen weiter und weiter auszudehnen.

Niemals die Träume hinten anzustellen, das war mir im Laufe meines Lebens wichtig geworden. Zwar bin ich seit meiner Kindheit von meiner Mutter stark als „Träumer“ betitelt. Trotzdem würde ich sagen, dass mich diese Eigenschaft weit gebracht hat in meinem jungen Leben.

Ich kann weiß Gott nicht sagen, dass ich bereits “innere Glückseligkeit” gefunden habe. Guten Gewissens kann ich allerdings sagen, dass ich weiterhin den Weg danach suche. Ein Punkt, den nicht ein Jeder von sich behaupten kann.

Träume… Visionen… Das sind Dinge, die ein Jeder haben sollte.

Seit ich nach dieser ersten Bekanntschaft mit der Arktis also erfahren hatte, dass sie tatsächlich noch weitgehend unerforschte Regionen beherbergt… und obendrein noch Möglichkeiten für Erstbesteigungen unbekannter Berge bietet war der Plan gefasst. Mein innerer Spatz hatte also bereits Eier gelegt. Ich würde nach Grönland reisen! Hauptziel wäre es, einem dieser Berge einen Namen zu verpassen.

Als Zeichen für alles auf den ersten Augenblick unerreichbar Erscheinende. Und dafür, wie weit man dann doch aus eigener Kraft gelangen kann.

„Ametsbichl! Perfekt! Das passt doch als Name!“ Wie praktisch, dass mein Nachname das Wort „Hügel“ in altbayerischer Sprache beinhaltet. Somit bliebe das Element des Witzes auch nicht ganz unberührt, bei der Namenswahl für meinen zukünftigen Schicksalsberg. Aufbäumend in meiner Schicksalsregion… der Arktis.

Und zum Thema Träume und Visionen: Was für ein besseres Statement kann man an sich selbst machen, als einen Berg in der tödlichsten Region zu besitzen, der nach Einem Selbst benannt ist. Wobei es sich beim Schreiben des Wortes “tödlich” irgendwie auf einmal nicht mehr ganz so reizvoll anhört. Aber egal… die Eier in meinem Gehirn müssen schließlich ausgebrütet werden.

Um alle durch diese Gesellschaft begründeten Selbstzweifel zu beseitigen. Als nehme man seine eigene Geschichte, fasst alle Kritik als Zweizeiler zusammen, nur um sie mit einem lauten „Fuck you!“ ins Gesicht der zivilen Welt zu knallen. “Eigener Berg also, hä? Und was haben SIE so vorzuweisen, Herr Müller?”

Der Wille ist also von Anfang an dagewesen… bloß, wo kommt die notwendige Kohle her?! Wusste doch dass die Sache einen Haken hat. Eigentlich hatte ich ja für dieses Jahr eine ausgedehnte Reise nach Südamerika geplant - Kolumbien und dann Angel Falls in Venezuela. Oder doch mit dem Motorrad durch Madagaskar? Je mehr ich in meinem Leben bereits gereist bin, desto mehr ist die Anzahl der möglichen Abenteuer für die Zukunft gestiegen… fällt mir gerade auf.

Über mehrere Jahre habe ich meine Grönlandreise geplant, jedoch ist es immer wieder an den hohen Expeditionskosten gescheitert. Das Ziel war bereits in die Reisekategorie „Da bietet sich schon irgendwann die Gelegenheit“ abgerutscht. Eine Gruppe, von der wohl ein Jeder weiß, dass deren Mitglieder auf Immer und Ewig im guten Willen gefangen sind… jedoch nie zum Zug kommen werden.

Wie es der Teufel allerdings so will hat sich urplötzlich dieses Jahr eine Chance aufgetan, das Ganze günstiger zu gestalten, als es die ursprüngliche Kalkulation hergab. Paul Walker hatte wohl einen Weg gefunden seine Kosten zu senken. Es ist wie eine einmalige Gelegenheit. Und seien wir mal ehrlich, wenn ich jetzt nicht zugeschlagen hätte, hätte es niemals geklappt.

Um also nun nicht weiter auf die Folter zu spannen: Nach ca. 6-monatiger Vorbereitungszeit sitze ich nun in Helsinki und warte auf meinen Weiterflug nach Island.

Yeah, ich habs getan! Island? Ja, Island…! Zumindest fürs Erste.

Es ist gar nicht so leicht nach Grönland zu gelangen. Dann, wenn es sich um die unerforschte Wildnis dieser rar besiedelten Gegend handelt. So werde ich mich in Reykjavik mit Expeditionsorganisator und meinen anderen Reisebegleitern treffen bevor wir uns zusammen ins ewige Eis der grönländischen Arktis wagen.

Kapitel 1

Vor dem Start ist nach dem Start – oder so ähnlich

Bereit zum Aufbruch… mal wieder

Ok, mir ist klar… das war jetzt erst mal eine riesen Salbe, die ich im Intro losgelassen habe. Daher soweit schon mal danke an alle die noch immer fleißig am Lesen sind. Jedoch denke ich, dass es wichtig ist, meine Beweggründe zu verstehen, wie man denn eigentlich auf die blöde Idee kommt eine Reise nach Grönland zu unternehmen. Und das auch noch freiwillig. Viele Stellen in diesem Buch könnte man sonst als puren Masochismus abstempeln. Und so falsch würde man damit wohl auch gar nicht liegen. Wenn… und auch nur wenn… man denn die Geschichte dazu nicht kennt die mich zu all diesem Blödsinn verleitet hat. Und wohl auch in Zukunft noch oftmals verleiten wird. Aber dazu will ich jetzt mal gar nicht zu viel wegnehmen.

Dank des warmen Winters in Deutschland fiel die Vorbereitung auf meinen Trip in die Arktis eher "human" aus. Ich meine, die Ziele waren ambitioniert gesteckt: Jedes Wochenende draußen in den Bergen bei eisigen Temperaturen übernachten. Regelmäßige Skitouren, bei denen ich gewichtsmäßige Adäquate ausgeschlachteter Militärflugzeuge hinter mir herziehe, und, und, und!

Die Realität sah leider etwas anders aus. Sei es, weil Väterchen Frost Mitleid mit mir hatte und sich dachte "Der dumme Junge ist schon gestraft genug" oder aus anderen Gründen. Der Winter blieb aus. So wurden aus meinen Guten Vorsätzen vereinzelte Fahrten ins Ausland um wenigstens ein bischen der deutschen Wintersauna zu entgehen. Hier nochmals danke an meinen guten Freund Paul, der sich nie zu schade war, mich auf meinen Sturkopffahrten zu unterstützen. Mehr noch: Bei jeder noch so blödsinnigen Idee sogar noch einen oben draufzusetzen.

Jedoch schafften wir es, vereinzelte Wintertouren zur Vorbereitung durchzuführen. Ja, sogar bei komplett unzureichender Ausrüstung auf dem Gipfel des Biberkopfes in den Schlaf zu frieren. Meinen Vorsätzen allerdings hatte das auf gar keinen Fall Genüge getan. Umso Verständlich also, dass ich umso nervöser wurde, je näher der große Tag der Abreise kam. Das Beängstigendste war die absolute Abgeschiedenheit der Arktis, die bereits auf mich wartete.

Auf unseren Kurztrips nach Italien, Österreich… oder wo auch immer hin dachten wir uns nicht viel. Was auch immer schief gehen würde, in den europäischen Alpen wäre man so oder so relativ sicher.

In Grönland ist das ein anderes Kaliber. "Oh shit, jetz hab ich doch glatt meine Kuscheldecke vergessen…" Dumm gelaufen würde ich sagen. Hier würde es niemanden geben, der Einem helfen kann. Und selbst wenn es den gäbe… wenn er irgendwie erreichbar wäre… dann wäre dieser Typ derart weit entfernt, dass man ihm als Bo Frost Kost entgegenstrahlt sobald er seinen Weg zu Einem durchgebahnt hat.

Guter Rat war daher teuer bei derartigen Unterfangen und ich wollte sichergehen, dass auch wirklich ALLES stimmt, bevor es losgeht.

"Hab ich daran gedacht? Und was passiert, wenn das und das kaputt geht?" etc. Bei meinen Planungen kam ich Schnell vom Hundertsten ins Tausendste. Das Ganze beschleunigt von meiner Berufskrankheit des Projektmanagers, der alles bis aufs minutiöseste durchplanen will.

Alle Risiken waren mir bekannt… aber ich bin mir nicht sicher ob das eine gute Sache war. Da ich dadurch viele Risiken kannte, die ich gerne bewusst außen vor gelassen hätte. Schließlich konnte ich mich ja nicht um alles kümmern. Und der große Tag sollte irgendwann kommen.

Doch nicht nur meine Nervosität macht mir dieser Tage zu schaffen. Es hat sich bei mir noch ein weiteres Gefühl breitgemacht, welches mich auf meiner Reise begleiten wird! Seit geraumer Zeit ist mir mehr und mehr klar geworden, dass ich vom ursprünglichen Leben, wie ich es mir nach zahlreichen „Erleuchtungen“ zum Ziel gesetzt hatte abgewichen bin.

Mehr und mehr habe ich über die Jahre and Begeisterungsfähigkeit verloren, welche mich früher doch so sehr ausmachte. Es war mir immer ein riesen Spaß gewesen… ach was sage ich… es war mir eine Erfüllung, das Leben in vollen Zügen bei den Eiern zu packen. So verdammt stolz war ich darauf, meinen Traum zu leben. Ständig neue Abenteuer in der Weltgeschichte zu erleben – und zwar wie, und wann ich es möchte.

Dieser Lebensstil, den ich mir herausgesucht hatte, scheint mir jedoch mehr und mehr zur Farce zu verkommen. Eine Leidenschaft, die sich irgendwann ins Zwanghafte verkehrt hatte. “Du musst das jetzt erreichen”.

Ok, das hört sich jetzt von meinem Standpunkt etwas heuchlerisch an. Klassisch nach der Note "Jammern auf hohem Niveau". Bin ich doch gerade dabei in ein Flugzeug zu steigen, um das größte Abenteuer meiner bisherigen Geschichte zu erleben. Aber dieses Problem hat rein gar nichts mit meiner bevorstehenden Reise zu tun.

Es ist wie ein Virus, der mich in letzter Zeit stark heimsucht. Ein Virus, von dem ich hoffe ihn irgendwie in der Arktis heilen zu können.

Erinnere ich mich daran wie ich vor drei Jahren voller Lebenslust und Hochmut nach einer Weltreise aus Argentinien zurückkehrte, nur um noch und noch mehr sehen zu wollen. Mit der Idee mich selbst zu verwirklichen, und niemals zu rasten. Schaue ich mich jetzt an… drei Jahre später, ist all das verflogen.

Meine damalige Reiselust ist in eine Zwanghaftigkeit gewichen, mehr und mehr Orte zu besuchen. Nicht mehr Spaß und Erfüllung sind im Vordergrund. Sondern die Angst davor, wieder in das Raster der Durchschnittlichkeit zu verfallen.

Reisen scheint mir inzwischen als Vorwand zu dienen, dass ich immer noch die selbe Person bin die, damals dick bepackt und voller Tatendrang aus dem Flugzeug stieg. Die Person, auf die ich so derart stolz war und welche ich mir geschworen hatte, immer zu bleiben.

Richtig… die Midlife-Crisis hat mich voll am Wickel. Eins ist mir klar vor Abreise ins ewige Eis: Ich muss irgendwas ändern!

Um jeden Preis will ich wieder der quietschvergnügte Aufreißer werden, der ich damals war. Fragt sich nur wie? Eine Frage, die sich hoffentlich in der grenzenlosen Abgeschiedenheit beantworten wird.

Als wichtige Information sollte ich nun an dieser Stelle ebenfalls erwähnen, dass ich kurz vor der Reise den Entschluss fasste, endlich meine Zelte abzubrechen. Und zwar langfristig. Irgendwohin… egal wohin. Aber Hauptsache raus aus Deutschland, sobald ich aus Grönland zurückkomme.

Eines meiner Hauptgefühle ist, dass ich meine Weltreise zu früh abgebrochen habe. Ich meine… das Schlimmste für mich ist es im Leben rückwärts gehen zu müssen. Das aber genau scheint der Fall gewesen zu sein. Als hätte meine Auszeit / Weltreise nie stattgefunden.

Oder – noch schlimmer – als wäre mein Leben nur kurz mit mir Gassi gegangen um mich dann wieder zurück über "Los" zu schicken.

Zurecht fragen sich die meisten Leser wohl nun, "reden wir hier eigentlich noch über die Arktis Expedition"? JA! Denn jetzt kommt es: Das Schicksal ist eine hinterlistige, fiese Pottsau die immer wieder versucht uns zu testen. Beziehungsweise ist es auch wie ein weiser alter Mann, der Gefallen daran gefunden hat, Suchende mit Rätseln zu testen, bevor sie ihren Weg finden.

Und so tat sich für mich eine Gabelung auf, als ich kurz vor meiner Reise ein verlockendes Angebot meiner Firma bekommen habe, permanent nach Madrid zu migrieren. Innerlich habe ich, so denke ich, bereits den Entschluss gefasst alle meine Zelte abzubrechen. Meine Arbeit zu kündigen und mich neuen Abenteuern auf der großen weiten Welt zu widmen. So wurde mir also mit diesem Angebot ein zusätzlicher Gewissenskonflikt mit auf die Reise nach Grönland gegeben. Es heißt nun charmantes, bezahltes und gemütliches Leben innerhalb der Komfortzone des wunderschönen Spanien, oder durch "konstruktive Zerstörung" einen neuen Lebensabschnitt im Leben zu beginnen. Eine neue Weltreise als Alternative zum Berufsleben im Ausland.

Um ehrlich zu sein hat der gemütliche Lebensstil in letzter Zeit so seine Spuren hinterlassen. Die Entscheidung, einen gut bezahlten Job im – doch über die Jahre arg ersehnten und schwer erarbeiteten – Ausland abzulehnen wird keine Leichte werden. Gepaart mit der Unsicherheit, ob diese Entscheidung, wieder auf Reisen zu gehen, überhaupt des Rätsels Lösung ist. Wie ein Kampf "David gegen Goliath" scheint mein innerer Gewissenskonflikt zeitweise.

Kapitel 2

… oder doch nicht…

Rauchschwaden auf Island statt Eisberge in Grönland

Es erscheint mir wie eine Ewigkeit in der ich nun unterwegs bin. Bis jetzt sind es nur zwei Tage, klar. Aber der Fakt dass sich all mein Hab und Gut in einem gut verpackten Rucksack befindet, der eine andere Reise angetreten hat als ich selbst, machte die Reise mit Zwischenstopp in Helsinki nicht unbedingt komfortabel. Zwei Tage Leben aus dem Handgepäck… jippeye!

Endlich fühle ich mich wieder als richtiger Backpacker. Das Gefühl, ungewaschen durch die Straßen zu schlendern. Andere Dinge im Fokus zu haben als die tägliche Dusche oder die saubere Buze… es ist alles schlagartig wieder da. Wie oft habe ich bereits aus der Not eine Tugend gemacht, wenn ich schlicht und einfach mal wieder den gewohnten westlichen Luxus missen musste?

Und da ist sie nun wieder: die Einfachheit die uns immer wieder im Leben zeigt, wie sinnlos doch so manche Etabliertheiten sind. Und wie einfach wir doch trotzdem durchs Leben kommen, wenn wir nichts anderes bei uns haben als das Paar Klamotten am eigenen Leib.

Ob mir mein Gepäck auf dem Flug zu meinem ersten Ziel Island abhandengekommen ist? Scheiße… nein… das wäre einer meiner Albträume gewesen. Vielmehr musste ich gleich zu Beginn eine Odyssee mit Übernachtung in Finnland antreten, bevor ich letztendlich in Reykjavik angekommen bin.

Mein Gepäck war da allerdings schlauer und hat gleich den direkten Weg genommen. Und so sind wir also doch letzten Endes wieder glücklich vereint.

An meiner Hygienesituation hat das allerdings nichts verändert. Durch all die Kniffeleien und Tricks, die Unmengen an benötigter Ausrüstung in ein erträgliches Packmaß zu bringen kann ich nicht mal daran daran denken, mein Hab und Gut vor Ankunft in Grönland zu entpacken. Ungeöffnet liegt mein Rucksack seit Ankunft in Island bereit.

"Dann gehts halt mal wieder ohne Dusche weiter”, denke ich mir… oder auch nicht.

Noch vor meiner geplante Abreise von Reykjavik nach Akureyri, dem Ort an dem ich auf meinen Weitertransport nach Grönland warten sollte, erreicht mich die freudige Nachricht, mein Weiterflug könnte sich verzögern.

Nun ja, "könnte" ist ungefähr so durchschaubar wie ein Bioladen neben dem Oktoberfest. Natürlich ist es genauso gekommen. Was mir nun die Freude beschert an einem wunderschönen (aber todlangweiligen) Ort in Island festzustecken.

Akureyri. Ein Ort, an dem ich unter normalen Umständen nicht tot überm Gartenzaun hängen möchte.

Um ehrlich zu sein amüsiert es mich allerdings, dass genau das zu einem Abenteuer gehört. Das Unberechenbare! Durch genau diese Kleinigkeiten versuche ich doch dem Alltag zu entkommen. Da würde es mir doch schon fast scheinheilig vorkommen, wenn bereits zu Beginn alles glattläuft bei einem Unterfangen wie Diesem.

"Starker Sturm mit Geschwindigkeiten von 50kmh und extremer Schneefall" – allem Anschein nach ist das der Grund für unser zeitweiliges Zeit totschlagen am nördlichen Arsch Islands.

Diese Information hat mich per Email erreicht. Aber wenigstens kann ich mir hier nach Tagen endlich mal wieder den Luxus einer Dusche gönnen. Wenn schon in einem Nest verrotten… dann wenigstens wohlduftend! Es soll sich ja bloß um eine extra Nacht handeln.

Voller Elan spurte ich also am nächsten Tag die Treppen meines Hotels herunter. Wohl wissend: Endlich ist es soweit. Der Abflug nach Grönland ist nach Tagen des „Zeit-Totschlagens“ und unvorhergesehenen Verzögerungen gekommen. Gespannt sitzen bereits alle Expeditionsteilnehmer am Frühstückstisch… freudestrahlend dass nun auch für sie das Warten ein Ende hat.

Wir sind zwei Gruppen. Neben uns gibt es eine Gruppe Engländer (irgendwie sind es immer Engländer und Deutsche die so einen verrückten Mist machen), welche mit meiner Gruppe zusammen nach Grönland kommen werden. In Constable Point – dem Flughafen und Basiscamp, von welchem die Unternehmung losgeht – werden sich unsere Wege dann trennen.

Noch vor uns wird sich die Gruppe nach “Liverpool Land” verabschieden, von wo sie selbstständig per Tourenski ihren Weg zurück nach Constable Point machen. So zumindest der Plan. Wobei sich manche von Ihnen eines Kites mit mehreren Quadratmetern Spannweite bedienen, um sie mit rasanten Geschwindigkeiten durchs Eis zu ziehen.

"Per Kite durch die Arktis”, denke ich mir. "Das ist auch mal eine geniale Idee für eines meiner nächsten Abenteuer". Und ZACK… die Idee für Eine meiner nächsten Reisen ist geboren.

Das ist das, was ich so am Reisen liebe. Daran, neue Menschen und deren Geschichten zu treffen: Sie inspirieren Einen fast regelmäßig neue Dinge auszuprobieren. Sie bringen Dich auf Ideen auf die man selbst nie kommen würde, und welche man mit den eigenen Erfahrungen und Wünschen kombiniert, um daraus etwas Neues zu erschaffen.

Eine Art von Kreativität, die uns viel öfter im Leben begegnen sollte, und welche meiner Meinung nach den echten Schlüssel für Erfolg darstellt: Sich nicht vor Wandel und dem Unplanbarem verschließen, sondern dem “Fremden Typ” namens „Leben“ öfter mal im eigenen Heim zu beherbergen anstatt ihn klatschnass im Regen stehen zu lassen: "Nein danke, wir brauchen nix!”

Und dabei spreche ich bei Erfolg nie von irgendeiner Karriereleiter im Beruf. Vielmehr geht es doch darum, das Glück im Leben zu suchen, um so viel wie nur möglich aus sich zu machen im Leben. Auf mentaler Ebene - versteht sich von selbst.

Aber zurück in mein Gasthaus in Akureyri, in welchem ich mich noch immer befinde. Neben der fremden Gruppe gibt es hier ebenfalls meine eigene Gruppe, die sich mental auf die Abreise vorbereitet. Meine Teamkollegen habe ich bereits vor Tagen in Reykjavik getroffen, wo sie mich in einem gnadenlos vollgestopften Jeep abholten um die kurze Strecke von ca. 400km nach Akureyri anzutreten.

Beinahe in Phötusstellung haben wir uns neben unsere Gepäckstücke im Fahrzeug gequetscht, ächzend und jammernd, als mir bereits nach kurzer Zeit der Hintern taub wurde. Aber hey: herzlich willkommen im Backpacker Leben. Schampus und Sprudelbad gibts zu Hause in der Welt, aus welcher ich mich mehr als glücklich vollends vor einigen Tagen verabschiedet hab…

DAS hier ist die Welt des “Traveller Chris”. DAS sind wohl nun die Leute, mit denen ich in den nächsten paar Wochen engsten Raum teilen werde. Bereits davor war ich sehr aufgeregt, wie sie wohl sein werden. Die Menschen, an die ich auch das kleinste Bischen Privatsphäre abgebe. Schließlich werden sie entscheiden, ob sich die Erfahrung als voller Erfolg entpuppt, welchen ich mein Leben lange nicht mehr vergessen werde… oder ob das “nicht mehr vergessen” daher rührt, dass sich bereits nach zwei Stunden laszive Mordgedanken in meinem Kopf festsetzen. Hass, den ich durch ein permanentes inneres "reg Dich nicht auf, der Onkel macht nur Spaß" besänftigen muss.

Tom, mein Führer, ist so ziemlich wie ich ihn mir im Vorhinein vorgestellt hatte. "A oida Hund" wie wir ihn in Bayern nennen würden, sprich: die Erfahrung strahlte bereits aus seinen Augen, als ich ihn zum ersten Mal sah. Er erscheint wie die manifestierte Ruhe in Menschengestalt.

Was mich stark beruhigt… wird es doch er sein, in wessen Hände ich mein Leben innerhalb der nächsten drei Wochen legen werde. Seine bedachte, und vor allem sehr reife Art gibt mir Zuversicht dass die Expedition ein voller Erfolg werden wird. Mit einer Art Vaterfigur zur Seite, die einen ständig auf den Boden der Tatsachen zurückträgt.

Und dann ist da noch Roman, der andere Expeditionsteilnehmer. Bereits im Vorfeld hatten wir Kontakt per Email. Wobei er sich als netter, hilfsbereiter Typ herauskristallisierte. Ein Eindruck, der sich auch auf unserem ersten Zusammentreffen bestätigte… obwohl ich bei ihm im Laufe der ersten beiden Tage bereits das Gefühl bekommen habe: "Ok, mit ihm könnte es ab und zu ein bischen schwieriger werden". Er hat nicht diese gelassene und zuversichtliche Art von Tom, die geradezu wie ein Türsteher die Öffnung zu seinem Gemüt zu bewachen scheint. Breit grinsend weist sie jegliche Unruhe mit den Worten "Du kommst hier net rein" von der Tür.

Nein, vielmehr scheint in Romans Gemütszustand der weiße Hase mit dem Wecker aus "Alice im Wunderland" seine Runden zu drehen… ständig im Panikmodus er könnte etwas verpassen. Er macht auf mich keinen sehr reifen und überlegenen Eindruck, sodass ich mich in Todesgefahr an einem Seil hängen sehen könnte, welches von ihm über einem Abgrund gehalten wird. Immer bliebe das dumpfe Gefühl er lässt im kritischsten Moment los weil sein Handy klingelt. “Romaaaaaan… neeeeein!!!” als ich so immer weiter im Abgrund verschwinde, während Roman ausgelassen mit seiner Mutter an der anderen Leitung quatscht. Ja, ich weiß, da gibt es keinen Handyempfang, wo wir hinreisen. Nun keine Klugscheissereien bitte… das macht Roman schon genug den lieben langen Tag lang.

Und das ist auch die andere Sache, die mich stört. Immer findet er etwas an Anderen, bei dem er nachbohren kann. "Was, Du hast nur 1 Eisaxt dabei? Ich hab mehr dabei!" "Oh, Deine Isomatte ist aber schon etwas groß!" "Du benutzt den Satz 'Um ehrlich zu sein' ja schon ganz schön oft. Ich zähl jetzt mal mit". Und schon fängt meine innere Löwenbändigung an "ruhig Brauner! Der Onkel macht nur Spaß".

Na das kann ja was werden in den nächsten paar Wochen, wenn wir alle drei im Zelt gefangen sind. Drei Körper im Schneesturm aufeinander gequetscht in einem 4-qm-Zelt. Ständig Sätze im Ohr wie "Du atmest aber ganz schön laut" oder "Deine Nase ist aber ganz schön groß". Aber das bleibt abzuwarten.

Rückblende mal wieder auf die aufgeregten Expeditionsteilnehmer im Frühstückssaal des Hotel Akureyri. Die Vorfreude förmlich ins Gesicht geschrieben. Los gehts! Hektisch verlässt jeder den Saal als es daran geht endlich aufzubrechen. Zu lange hat jeder nun gewartet. Mit der inneren Unruhe, was uns denn auf der anderen Seite des Ozeans erwarten wird. Unmengen an Koffern und Skitaschen, schlafsackgroße Daunenjacken und andere Gepäckstücken haben sich inzwischen im Vorraum des Hotels positioniert um ins hintere Ende des Kleinbusses zum Flughafen beladen zu werden. Mit dem Wissen, dass wir die nächsten sind. Als der Kleinbus, beladen mit Expeditionsteilnehmern am Horizont verschwindet.

Die Zeit verstreicht, und – um ehrlich zu sein – wir sind noch gut mit letzten Aktivitäten beschäftigt. Und da kommt es… neeeeeein! Das darf einfach nicht wahr sein. Der Bus, welcher die anderen Expeditionsteilnehmer abholte, erscheint genauso wieder zurück, wie er vorher das Hotel verlassen hat: vollbepackt mit den anderen Expeditionsteilnehmern!

"Es ist abgeblasen!" Ich will es einfach nicht glauben. Waren doch vorher alle noch derart optimistisch dass der Flug heute stattfinden kann. Naja, das war wohl mal wieder nix. Immer und immer mehr beginne ich zu resignieren. Es soll wohl einfach nicht sein. Mich beschleicht das Gefühl, ich werde die komplette Zeit der Expedition in Island festsitzen. So weit bin ich gekommen, und nun scheitert es an der letzten Meile. Aber was soll man tun: Entweder man regt sich auf und zergeht in Selbstmitleid… Oder man versucht das Beste daraus zu machen.

"Das Beste" bietet sich spontan in Form eines Tagesausflugs der anderen Gruppe, die zu einem nahe gelegenen Vulkan geht. Noch einen Tag in der 15.000 Einwohnern Stadt "Akureyri" abzugammeln… dafür ist mir meine Zeit eigentlich zu schade. Noch dazu, da durch diese ewige Warterei meine eh schon teure Reise immer teurer und teurer wird.

Schon etwas komisch der Gedanke, dass ich dadurch, meine Reise nicht antreten zu können, sogar noch mehr Geld verbrate als wäre ich voll beladen mit den zahlreichen Eindrücken und Abenteuern, die in Grönland auf mich wartet – nur getrennt durch eine vereiste Flugzeuglandebahn, die uns einfach nicht willkommen heißen will!

Jap, ein Tagesausflug, das ist es jetzt was ich brauche. Seitdem ich in Island ankommen bin, bin ich derart auf Grönland fixiert, dass ich die Eindrücke, die dieser atemberaubende "Zwischenstopp" für mich bereit hält, noch gar nicht wahrgenommen habe. Plus: Ich bin endlich wieder unter Menschen. Ich meine… RICHTIG unter Menschen! Nicht nur ein flüchtiges Hallo oder verstohlenes Grinsen wenn man sich im Treppenhaus trifft. Und so gehts auf Sightseeing Tour mit den Engländern.

Tom und Roman haben sich entschlossen zurückzubleiben. Was mir nur allzu Recht ist. Wenn wir die nächsten 20 Tage direkt aufeinander verbringen, muss ich mich ja nicht bereits jetzt jede freie Minute an sie kuscheln.

Es ist malerisch, was sich hier auf unserem kleinen Exkurs ins Isländische Outback aufbietet. Skurrile Steingestalten, gegossen aus flüssiger Magma, scheinen einen mit dem Satz "Herzlich willkommen im Elfenland” willkommen zu heißen. Die von den Bergketten aufsteigenden Rauchschwaden lassen schon fast einen flächendeckenden Waldbrand vermuten… nur dass weit und breit keine Bäume in der Nähe sind. Es ist wie etwas nie Gesehenes… und das obwohl ich in meinem Leben bereits viel gesehen habe.

Bei einem Bad in den heißen Quellen der Gegend kann ich endlich mal seit Langem wieder sozialen Austausch genießen. Ernsthaft… wenn ich mich so an früher, zu meinen aktiven Weltreisetagen erinnere. Da konnte ich schon fast die Türschwelle des Hostels nicht übertreten, ohne das komplette Etablissement zu kennen und bei nem gemeinsamen Bierchen für den Rest des Abends besoffen zu sein. Ich war nie alleine! Ich musste mich sogar aktiv als Arschloch aufspielen um meine Ruhe zu haben, und selbst das hat einige neugierige Backpacker angelockt. Und jetzt?

Ich komme mir ab und zu so vor als könnte ich mir ein Kotelette um den Bauch binden und niemand würde sich mit mir abgeben. Ich hatte mir auf meinen letzten Reisen eingeredet das läge an den Zielen, die ich inzwischen wählte. Da mein Abenteuerhunger durch zunehmende Sättigung von dem der meisten Anderen abweicht. Eine andere These ist: Ich bin einfach zum Freak geworden.

Aber seien wir doch ehrlich: die plausibelste Erklärung ist einfach dass ich inzwischen älter geworden bin! Ich habe das nie wahr haben wollen. Vor allem weil ich nicht denke, dass ich inzwischen bereit bin, alt zu werden. Die Phase in der man reif sein muss… brrrrrrr. Soweit will ich nicht sein um mir Frau, Hund und Kind zuzulegen. Und es sagen doch so viele: „Man ist immer so alt wie man sich fühlt“ Das allerdings ist für mich eine Farce. Oder hat der Spruch schon mal gezogen, wenn man versucht, eine 18-Jährige aufzureisen? Bei mir jedenfalls nicht.

Durch Aktionen wie Dieser kann ich feststellen wie mein antrainierter Grummel wieder mehr einer Art von Wohlgefallen wich. Yippiiie!!! Nach Monaten voller Arbeitsstress und Alltagsmonotonie hatte ich wohl eine Auszeit nötiger als gedacht.

„Freudestrahlend hüpft er die Treppen seines Hotels in Akureyri herunter…“ Kommt dieser Satz Irgendjemandem bekannt vor? Richtig! Tag drei meines Zwangsaufenthaltes in Akureyri ist angebrochen. Und wieder einmal soll es heute per Kleintransporte nach Grönland gehen. So der offizielle Plan. Abwarten sag ich da nur!

„Same procedure as every year Miss Sophie?“ Und wieder verlässt der Kleinbus mit Leuten beladen das Hotel Richtung Flughafen. Die Spannung steigt. Werden sie wieder alle, wie bereits am Tag zuvor, mit langen Gesichtern zurückkommen. Pure Stille, als der Bus bei seiner Rückkehr vom Flughafen um die Ecke biegt. Wie bei einem Déjà Vue haben sich Tom, Roman und ich wieder mal Abfahrbereit vor dem Hotel versammelt. Und BAM!!!! Der Bus ist leer! Endlich geht es los.

Mit einem Schlag weicht die über Tage angestaute Resignation in mir und überschäumender Euphorie. Grönland ich komme!

Der kleine Flughafen ist voll mit Leuten, die ebenfalls die Flüge der letzten beiden Tage nachzuholen haben. „Jetzt bloß keinen Scheiß, ja?“ Noch bin ich nicht weg! Das Abenteuer Island ist noch nicht ums Eck. Musste ich ja schon öfter im letzten Moment auf der letzten Schwelle wieder umdrehen. Allein auf dieser bisher kurzen Reise. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, könnte man fast meinen das Land hat mich so lieb gewonnen dass es mich gar nicht mehr gehen lassen will.

Kombiniert mit meiner Reisephilosophie „Was auch immer schief gehen kann wird schief gehen“ ist die Sache also noch nicht geritzt.

Letztendlich kann ich aufatmen, als wir zusammen mit zwei amerikanischen Touristen, wessen Flug die letzten Tage ebenfalls abgesagt wurde in den Flieger einsteigen. Ich merke, wie es mir erst jetzt möglich ist, mich mental darauf vorzubereiten. Auf das Abenteuer im Eis. Selbst über die Eiseskälte in unserer Propellermaschine freue ich mich. Ein weiterer Schritt in die richtige Richtung.

Es scheint mir noch immer ein wenig surreal und ich kann es wohl kaum fassen, dass es jetzt endlich Wahrheit wird. Endlich wird sich mein Traum erfüllen, und ich werde tatsächlich arktischen Boden betreten. Kein Vorbeifliegen mehr. Und kein Träumen, während ich die skurrilen, abenteuerlichen Landschaften aus der Luft betrachte. Nein, diesmal wird es Wirklichkeit sein.

Und inmitten dieser surrealen Umgebung werde ich mir wieder einmal glaubhaft verdeutlichen, wie sehr man seine eigenen, als unerreichbar eingestuften Ziele und Visionen verwirklichen kann, wenn man sich nur einfach mal selbst kräftig in den Arsch tritt. Und vor Allem, nicht immer alles auf morgen verschiebt.

Komischerweise tendieren Menschen allerdings dazu sehr kreativ zu werden, wenn es darum geht, Ausreden zu erfinden, warum etwas noch nicht erledigt werden kann. „Morgen wird das sicher besser gehen“ Als ob morgen das große Ende aller Bürden und Hindernisse ansteht, und kein Mensch mehr eigene Entscheidungen treffen muss.

Inzwischen haben wir abgehoben und ein dicht bedecktes Wolkenmeer zieht unter unserem Flugzeug vorbei, als ich mir im Inneren sowas von Einen abschwitze. War es doch beim Einstieg noch schön kühl gewesen. Eine passende Einstimmung auf die Kälte, die auf der anderen Seite auf uns wartet.

So ist wohl in der Zwischenzeit irgendjemand auf die tolle Idee gekommen, die Heizung bis zum Anschlag aufzudrehen. Dass wir auch ja alle schön durchgeschwitzt ankommen.

Meine Mitreisenden haben die Gelegenheit beim Schopf gepackt, nochmal den letzten ausgedehnten Schlaf in humaner Umgebung für die nächsten paar Wochen zu genießen. Und so schlafen sie so friedlich wie das arktische Meer unter uns. Tief schlummernd, bedeckt unter einer tiefen Eischicht und abermillionen an vorbeitreibender Eisschollen. Behutsam, als wäre jeder einzelne Brocken Eis auf seinem unendlichen Schoß ein Einzelkind, das sie gegen die Außenwelt abzuschirmen versucht.

Und dann sind sie da auch schon wieder. Jene Eisriesen, welche mich damals auf meiner Reise nach Kanada so ins Staunen versetzten. Und sie haben an Pracht nichts eingebüßt. Über die Jahre der Abwesenheit. Wie eh und je erscheint als eigene Welt, die mich nun mit liebevoller Stimme begrüßt. „Schön, dass Du zurück bist, mein Lieber. Wo warst Du denn so lange?” Das ist eine lange Geschichte!

Schon nahezu unantastbar prahlen die komplett weiß bedeckten Steinkegel neben der in schwarz und blau schimmernden zugefrorenen See. Ein Anblick der immer noch - nach so vielen Jahren des Reisens - mit nichts zu vergleichen ist, das ich je irgendwo anders gesehen hätte. Während die Bergketten immer länger und ausgedehnter werden, kann ich sie dennoch nicht mit irgendwelchen Altbekannten wie den Alpen oder dem Himalaya vergleichen. Nein, es ist als hätte jemand die schönsten Berge aus all diesen Gebirgen genommen, und zusätzlich liebevoll mit Puderzucker bestreut.

Kein Wunder, dass ich bei derartiger Verzückung beinahe nicht mal bemerke, wie sich das Flugzeug inmitten dieser Prachtkulisse in den Landeanflug senkt und sanft am Boden aufsetzt. „Oh Mann, wie wird es wohl sein?” So viele Vorbereitungen habe ich für diesen Tag getroffen. „Wie wird es nun wohl sein?”, denke ich mir aufgeregt.

Nie war ich mit einer derart harten Umgebung konfrontiert. Und nun bin ich hier, um drei Wochen lang komplett fernab von jeglicher Zivilisation meine Überlebensfähigkeiten zu testen.

„Wird meine Ausrüstung der enormen Kälte und den starken Winde standhalten?“ Das ist die Hauptsorge, die mich seit Anbeginn plagt. Sie wird nun also letztendlich beantwortet werden.

Und das gleich mal mit einer schwungvollen Watschn ins Gesicht. Kälte prasselt wie eine Wand auf mich ein, als ich das winzigen Rollfeld – geschätzte 200 Meter lang – inmitten der kalten Wildnis betrete.

Das ist also Constable Point. Mein Zielflughafen in Grönland. Er erscheint wie ein kleiner Flughafen aus irgendwelchen Alien Filme der 60er Jahre. Eine kleine Forschungsstation inmitten vom Nirgendwo… prädestiniert für den Angriff eines schleimigen Monsters, mit welchem eine Horde von Wissenschaftlern um deren Überleben kämpfen würde. Gefangen inmitten im Nirgendwo, ohne jegliche Kommunikationsmöglichkeit nach außen. Einer jener schlechten Filme, in denen genau zwei Überlebende am Schluss übrig bleiben. Mann und Frau, Single, sind sich allerdings während ihres gemeinsamen Abenteuers näher gekommen.

Genau dieser erste Eindruck der provisorischen Forschungsstation wird nach Ankunft bei einer ausgiebigen Gepäckausgabe unterstrichen, bei welcher die Unmengen mitgeführter Steigeisen, Eisäxte und Taschen mit anderen Ausrüstungsgegenständen großzügig am Boden eines nebengelegenen Schuppen ausgebreitet werden. Zur Auswahl des potentiellen Besitzers (oder dem ders vorgibt zu sein). „Welcome to Greenland“.

Kapitel 3

Herzlich willkommen… und jetzt zeig mal was Du drauf hast

“Huskies im Sturm” um Constable Point