Diversitätskategorien in der Lehramtsausbildung -  - E-Book

Diversitätskategorien in der Lehramtsausbildung E-Book

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Beschreibung

Erste Basis Das Handbuch der "Diversitätskategorien in der Lehramtsausbildung" soll eine erste Basis für das Grundstudium an der Pädagogischen Hochschule schaffen. Ziele Ziel ist es zu zeigen, inwieweit Teilbereiche wie Geschlechter-, Migrations- oder Inklusionsforschung im Zusammenhang mit Lernen und Lehren in der Grundschule stehen. Dieses einführende Handbuch bietet praxisrelevante Einblicke, aber auch wissenschaftlich fundierte Ansatzpunkte. Es soll außerdem eine Annäherung an die Hauptprobleme und Diskursstränge der behandelten Felder bereitstellen. Die Themen Um die Kreuzungspunkte für die Praxis sichtbar zu machen, werden Themen aus aus Soziologie, Erziehungswissenschaft und Psychologie sowie den verschiedensten Fachdidaktiken behandelt

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Silvia Kronberger/Christoph Kühberger/Manfred Oberlechner (Hrsg.)

Diversitätskategorien in der LehramtsausbildungEin Handbuch

 

 

 

 

 

Kreuzungspunkte pädagogischer Bildung

Band 1

Herausgegeben von

Silvia Kronberger und Manfred Oberlechner

Silvia Kronberger/Christoph Kühberger/Manfred Oberlechner (Hrsg.)

Diversitätskategorien in der Lehramtsausbildung

Ein Handbuch

StudienVerlag

Innsbruck

Wien

Bozen

© 2016 by Studienverlag Ges. m. b. H., Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck

E-Mail: [email protected]

Internet: www.studienverlag.at

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-7065-5990-4

Buchgestaltung nach Entwürfen von Kurt Höretzeder

Satz: Studienverlag/Karin Berner

Umschlag: Studienverlag/hoeretzeder grafische gestaltung, Scheffau/Tirol

Dieses Buch erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.studienverlag.at

Inhaltsverzeichnis

Christoph Kühberger, Silvia Kronberger, Manfred Oberlechner

Vorwort

ALTER

Doreen Cerny

Alter(n) und Schule: Bezugspunkte für ein professionelles Grundverständnis von LehrerInnen über Alter(n) von Kindern im schulischen Handlungsfeld

Barbara Fageth, Gabriele Breitfuß-Muhr

Der Transitionsprozess – Entwicklungsgerechte Gestaltung des Übergangs vom Kindergarten in die Schule

GENDER

Silvia Kronberger

Die unerhörten Geschlechterfragen – Gendertheoretische Diskurse und die schulische Praxis

Silvia Kronberger

Geschlechterdemokratie ist schön – macht aber viel Arbeit. Erfahrungen mit Geschlechterdemokratie und geschlechtergerechter Sprache in der Volksschule

Johannes Maurek

Geschlechtergerechte Didaktik in digital gestützten Lehr-/Lernszenarios

SEXUALITÄT

Wolfgang Plaute

Theoretische Grundlegungen einer sexualpädagogischen Wegbegleitung in der Primarstufe

Sonja Hauser

Wird man von Liebe wirklich blind – sexualpädagogische Praxisbeispiele für die Primarstufe zu den acht Themenbereichen der WHO-Standards

SOZIALE SCHICHT

Iwan Pasuchin

Klasse/soziale Schicht im Kontext des Diskurses um Bildungsbenachteiligung

Iwan Pasuchin

„Diplomatenkinder sind doch keine Ausländer!“ Grenzen des Klassenkampfes vom Klassenzimmer aus am Beispiel des medienpädagogischen Projektes Lehen Style

BEEINTRÄCHTIGUNG

Eva Prammer-Semmler

Was heißt denn hier behindert?

MIGRATION

Paul Mecheril, Manfred Oberlechner

Migration bildet. Anforderungen an pädagogisches Handeln

Christine Trültzsch-Wijnen

Medienpädagogik als Querschnittsmaterie

Myriam Burtscher

Mathematik in der Grundschule: Mehr als (aus-)rechnen? Und: für alle?

Sabine Harter-Reiter

Leistungsbeurteilung und der Anspruch an Gerechtigkeit

NATION/ETHNIE

Patrick Duval

Die undefinierbare Nation: Themen und Perspektiven

Heinrich Ammerer

Geschichte im Sachunterricht am Beispiel „Volk“ bzw. „Kultur“

SPRACHE

Angela Seidl

Sprache

Doris Schönbaß

Der Umgang mit Diversität in der Lesedidaktik der Primarstufe

Eva Fuchs

Mehrsprachigkeit – vom Sprachenreichtum in Österreichs Klassenzimmern

Michael Manhart

Fachdidaktik Lebende Fremdsprache in der Volksschule

RELIGION

Hans Neuhold

Religiöse Vielfalt als Herausforderung und Chance.

Interreligiöses Lernen – die angstfreie Bewusstheit von religiöser Differenz fördern

HETEROGENITÄT/INDIVIDUALISIERUNG

Christoph Kühberger

Fachdidaktische Diagnose als notwendige Voraussetzung im Umgang mit Heterogenität – Subjektorientierte Zugänge für das historische Lernen

Christoph Kühberger, Elfriede Windischbauer

Diversität mit Individualisierung und Differenzierung begegnen

Andrea Bramberger, Bärbel Linsmeier

Lesen und Diversität.

LehrForschungsProjekt und Collaborative Teaching: Unterrichtsmodelle für Lese- und Diversitykompetenz – Forschungsdokumentation

AutorInnen

Vorwort

Kategorien dienen in den Wissenschaften nicht nur dazu, um Phänomene und Objekte systematisch einteilen zu können, sondern auch, um mit den in der Kategorie ruhenden Konzepten Phänomene und Objekte kritisch zu erschließen. Der vorliegende Band versucht zentrale Differenzkategorien, also jene Kategorien, welche zum Verständnis von Verschiedenheit beitragen, vorzustellen. Auf diese Weise sollen sie Lehramtsstudierenden – insbesondere angehenden Primarstufenlehrerinnen und -lehrern – grundlegend zugänglich gemacht werden. Ziel ist es daher zu zeigen, inwieweit Teilbereiche der Diversity Studies (u. a. Geschlechter-, Migrations-, Inklusionsforschung) im Zusammenhang mit Lernen und Lehren in der Grundschule stehen. Dazu bietet der Band von seiner Konzeption her zwei verschiedene Typen von Zugängen. Eher theoretisch gehaltene Beiträge mit soziologischer, erziehungswissenschaftlicher oder psychologischer Ausrichtung stellen einzelne Differenzkategorien und ihre Einbettung in wissenschaftliche Zusammenhänge in den Mittelpunkt. Daneben regen aber verstärkt (fach)didaktisch ausgerichtete Beiträge die Nutzung der Kategorien in schulischen Kontexten an, um Kreuzungspunkte zwischen Theorie und Praxis aufzuzeigen.

Diversitätskategorien denken zu können und sie in wissenschaftlichen Diskursen und pädagogischen Situationen zu berücksichtigen, ist ein erster Schritt, um in einem weiteren auch intersektionale Momente, also jene, in denen das Zusammenspiel mehrerer Diversitätskategorien beobachtbar ist, zu analysieren. Denn Bildungschancen hängen von verschiedenen Faktoren ab, nicht von einem. Vor allem definiert der soziale Status etwa zwischen Armut und Reichtum, dem Geschlecht, aber auch zwischen Migrationserfahrung und Mehrsprachigkeit, Fragen, die im Zusammenhang mit Sexualität und Körper, sexuellen Identitäten und Heteronormativität sowie Behinderung stehen, Alter und Religion – um hier zumindest einige der vielen Differenzlinien anzuschneiden – den Bildungserfolg einzelner Menschen.

Arbeitet man mit Diversitätskategorien gilt es jedoch stets zu beachten, dass solche Kategorien in den Wissenschaften einen spezifischen Zweck erfüllen, der sich – wendet man ihn unreflektiert auf pädagogische Kontexte an – schnell negativ auswirken kann. Daraus ergibt sich ein stets zu reflektierendes Spannungsverhältnis zwischen engen sozialwissenschaftlichen Kategorien, wie sie etwa in der quantitativen Forschung benötigt werden, und der Nutzung von Kategorien als Reflexionshorizonte im pädagogischen Tun.

Der Band versteht sich selbst als Ausgangspunkt für eine breitere Diskussion der vorgestellten Bereiche. Er gibt dazu grundlegende Orientierungslinien frei und will individuelle Vertiefungen zwischen Theorie und Praxis, die aus den vielfältigen pädagogischen Kontexten erwachsen, anregen. In diesem Sinn gilt es auch den Autorinnen und Autoren des Bandes für ihre dargelegten Perspektiven, angebotenen Zugänge und implizit mitzudenkenden Diskussionsanregungen zu danken.

Ch. Kühberger/S. Kronberger/M. Oberlechner, April 2016

ALTER

Doreen Cerny

Alter(n) und Schule: Bezugspunkte für ein professionelles Grundverständnis von LehrerInnen über Alter(n) von Kindern im schulischen Handlungsfeld

Alter(n) und Schule – eine Einführung

Der Beitrag beschäftigt sich mit dem Thema Alter(n) und Schule und zielt zum einen darauf, Alter(n) begrifflich zu fassen und grundlegende konzeptionelle Zugänge zum Alter(n) zu portraitieren. Zum anderen führt er an einem exemplarischen Beispiel in die Thematik der Transition ein.

Im Studium und in späterer Folge im Beruf stellt die Reflexion über das eigene Handeln einen wichtigen Bezugspunkt für professionelles Handeln dar. Im Zuge dieses Reflexionsprozesses ist es wichtig, Alter(n) aus einer intersektionalen Perspektive zu betrachten. Durch die „Intersektionalitätsbrille“ (Riegraf, 2010, S. 47) zu blicken meint, jene Überkreuzung einer gedachten Kategorie mit anderen, einer Person zugeschriebenen Eigenschaften in die eigene Sichtweise einzubeziehen: Auf welchen verschiedenen Ebenen können Menschen Andere (z. B. SchülerInnen, Eltern) denken? Wie gelingt es, Ausgrenzungs-, Diskriminierungs- bzw. Missachtensstrukturen sowie eindimensionale Sichtweisen auf eine Person z. B. aufgrund des zugeschriebenen Alters oder Geschlechts, des Gesundheitszustands, der kulturellen, sozialen Hintergründe, der religiösen Orientierung bewusst werden zu lassen und stattdessen Anerkennungsvarianten und Verständnisräume des So-Seins bzw. des So-geworden-Seins einer Person als auch Aneignungsgelegenheiten für Individuen zu ermöglichen? Das Bild der Überkreuzung verweist auf das von Crenshaw (zitiert nach Riegraf, 2010, S. 40) geprägte Bild einer Straßenkreuzung, welches die

Verwobenheit von Ungleichheiten und Differenzen, die sich wechselseitig verstärken, abschwächen oder auch verändern können [, betont]. Demnach lassen sich gesellschaftliche Ungleichheitslagen nicht angemessen erfassen, solange jeweils eine Dimension isoliert betrachtet wird, da sich Machtwege gegenseitig kreuzen, überlagern und überschneiden.

Den Beitrag begleiten Fragen und Aufgaben, welche die StudentInnen dazu anregen sollen, selbstständig während des Studiums über die Kategorie Alter(n) nachzudenken, Alter(n) für ihr professionelles Handeln auszubuchstabieren und Wechselbeziehungen von Alter(n) mit anderen Dimensionen (z. B. soziale, kulturelle, religiöse Orientierungen, Geschlecht, Gesundheit, Beeinträchtigungen, Körper, Bildung) für das LehrerInnensein herauszuarbeiten.

Zugänge zum Alter(n): Begriffe und konzeptueller Rahmen für ein Verständnis von Alter(n)

Die (angehenden) LehrerInnen richten bereits in den Praxisphasen ihres Studiums ihre Bildungsbemühungen auf das Kind in der Schulklasse aus. Die LeserInnen stimmen sicher mit der Autorin darin überein, dass ihr Hauptklientel – die SchülerInnen – „(…) eine zentrale Ressource der Gesellschaft [bilden] und die Bedingungen des Aufwachsens von Kindern [eine; D. C.] Voraussetzung für die Bildung und für die zukünftige Gestaltung einer Gesellschaft dar[stellen].“ (GlogerTippelt, 2002, S. 479) Schule wird bspw. neben der Familie und den Peers als eine wesentliche Sozialisationsinstanz verstanden, in der institutionelle Bildung vollzogen wird. Diese Instanz rahmt das Aufwachsen der Kinder, indem sie etwas lernen, heranreifen und auch erzogen werden. Die Institution Schule macht etwas mit den Kindern, sie werden nicht ausschließlich, aber auch durch Schule zu „(…) universalisierten und individualisierten Personen. Der Handlungsraum von Kindern wird durch Familie und Schule [u. a. auch durch Peers oder Medien; D. C.] bestimmt.“ (Schlemmer, 2004, S. 19) Die Auseinandersetzung mit dem Begriff der Bildung, vor allem aber mit der Nutzung dieses Begriffs für das Konzept der Kindheit ist multidimensional und komplex und soll nicht in aller Ausführlichkeit an dieser Stelle geführt werden. Für das Lehramtsstudium ist es unerlässlich, die wesentlichen Begriffe (darunter: Erziehung, Bildung, Sozialisation, Individuation), die mit Bildung und Alter(n) im Schulkindalter verwoben sind, zu kennen und voneinander unterscheiden zu können. Zur Klärung der Grundbegriffe kann den LeserInnen Seel und Hanke (2015, siehe vor allem S. 9ff. und S. 481ff.) empfohlen werden.

Auf den ersten Blick ist Alter(n) ein Prozess, dem alle Individuen ausgesetzt sind. So gibt es einen Beginnpunkt des Alter(n)s beim Menschen, der sich spätestens mit der Geburt manifestiert, und einen Endpunkt des menschlichen Alter(n)sprozesses, den Tod. Alter(n) betrifft alle Menschen und ist zudem „(…) eng an die biologische Entwicklung des menschlichen Organismus gebunden (…)“ (Burkart, 2008, S. 533); Alter(n) ist somit eine Kategorie, die zunächst biologisch gefasst werden kann. In dieser Lesart resultiert das biologische Alter „(…) aus einer ‚genetischen Programmierung‘ [Hervorhebung im Zitat] als auch aus den erfahrenen äußeren Einflüssen“ (Gerling & Naegele, 2005, S. 30) und kann als diskontinuierlich verlaufender Reifungsprozess des Organismus (Burkart, 2008, S. 534) gefasst werden. Die Anzahl der Kalenderjahre und das kontinuierliche Voranschreiten von Tag zu Tag, Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr beschreibt hingegen das kalendarische Alter (Burkart, 2008, S. 534).

Welche äußeren Einflüsse bestimmen Alter(n)sprozesse und inwiefern sind diese Einflüsse für das (außer-)schulische Handlungsfeld relevant? Halten Sie Ihre Ergebnisse graphisch fest. Platzieren Sie die Kategorie Alter(n) in die Mitte Ihrer Grafik und versuchen Sie anhand einer Mindmap die Einflüsse mit der Kategorie Alter(n) in Beziehung zu setzen.

Auf den zweiten Blick ist Alter(n) nicht eindeutig festgelegt und verläuft nicht in allgemeingültigen Bahnen, denn „(…) die Ausgestaltung von Lebensalter, Lebensphasen und Lebenslauf hängt von sozialen Regeln und kulturellen Deutungen ab und kann daher von Gesellschaft zu Gesellschaft, von Kultur zu Kultur erheblich variieren.“ (Burkart, 2008, S. 533) Ein markantes Beispiel für die soziale Konstruktion des Alter(n)s ist das Hochzeitsalter, die mit der Hochzeitszeremonie rituell gerahmte Beendigung der Kindheit und damit der Übergang in das Erwachsenenleben, das in verschiedenen Kulturen und in Abhängigkeit von gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen, religiösen Verhaftungen oder auch politischen Interessen einem Wandel unterlag. Alter(n) wird aber demgegenüber auch als ein Konstrukt betrachtet, das abhängig ist von äußeren Umständen wie Gesetzen, persönlichen oder gesellschaftlichen Auffassungen. Die Einteilung in Lebensalter ist dabei kein modernes Phänomen und ist gesellschafts- und kulturübergreifend:

Alle Gesellschaften nehmen eine Einteilung in Altersstufen und Lebensphasen vor, denn alle Gesellschaften sind mit der Frage konfrontiert, wie sie das Zusammenleben der verschiedenen Altersgruppen organisieren, wie sie mit Altern und Sterben der Individuen, dem historischen Wandel durch das Wegsterben der Generationen der Alten und das Nachfolgen von jungen Generationen umgehen; wie sie Lebensaltersstufen und damit auch Altersgruppen und Generationen voneinander unterscheiden wollen. (Burkart, 2008, S. 534)

Die Einteilung in Altersstufen und Lebensphasen kann nach der Lesart Burkarts bedeutsam für den Systemerhalt sein. Abseits der Diskussion um die Generationenverhältnisse ist an dieser Stelle zu hinterfragen, warum LehrerInnen eine Einteilung in Altersstufen und Lebensphasen vornehmen.

Ist es sinnvoll, als Lehrperson bei den Schulkindern eine Einteilung in Altersstufen vorzunehmen? Erstellen Sie eine „Pro-&-Kontra-Liste“, in der Sie in aussagekräftigen Stichworten auf der Pro-Seite darlegen, dass eine Altersstufeneinteilung angemessen ist. Auf der Kontra-Seite erarbeiten Sie, dass eine Altersstufeneinteilung unangemessen erscheint. Begründen Sie Ihre jeweiligen Standpunkte und beziehen Sie selbst Position!

Wie die LeserInnen an der Diskussion mit ihren KommilitonInnen bzw. im stillen Dialog mit sich selbst anzunehmenderweise feststellen konnten, steht ein Gedankengang im Mittelpunkt der Diskussion: Eine Einteilung in Altersstufen kann für LehrerInnen als Orientierung dienen, die Schulkinder in der Klasse bezüglich ihrer Leistung oder auch ihrer sozialen oder emotionalen Entwicklung einzuschätzen: Lehrpersonen schreiben Schulkindern bestimmte Eigenschaften altersabhängig zu. Diese Zuschreibungen entstehen mit der Perspektive auf das Lehramtsstudium im besten Fall aus den erlernten Theorien oder Konzepten aus dem Studium, die im Praxisfeld wiedererkannt und/oder hinterfragt werden (im schlechten Fall kommen diese Zuschreibungen ausschließlich aus Alltagsannahmen oder aus unreflektierten, tradierten verallgemeinerten Erwartungen und Erfahrungen). Die Frage stellt sich jedoch, welche Theorien sagen den angehenden LehrerInnen was über das Alter(n) und welche ist eine passende Theorie, um das Individuum angemessen betrachten zu können? Schließlich: Welche Rolle spielt das Alter, wenn sich LehrerInnen ein Bild von einer Person – von einem Schulkind – machen, und welche Merkmale, die eben prominent auf das Alter zugeschrieben werden, lösen bei den Erziehenden und Lehrpersonen ein förderliches oder hemmendes Bildungsengagement aus (Gloger-Tippelt, 2002, S. 480)?

Einerseits sind die theoretischen Basics, die Fachbegriffe und gleichsam auch die gesammelten Erfahrungen aus dem schulischen Handlungsfeld unverzichtbare Grundlagen dafür, eine professionelle Haltung als LehrerIn zu entwickeln. Aufmerksame LehramtskandidatInnen werden bemerkt haben, dass im Curriculum für das Lehramt einerseits Theorien und Begriffe bedeutsam für dieses Studium sind. Andererseits spielt aber die praktische Erfahrung eine ebenso wichtige Rolle für das Verständnis der LehrerInnen-Profession. Beide Erkenntniszugänge (Theorie und Praxis) zu einer Profession sind nicht als weit voneinander entfernte Pole zu verstehen, sondern als ineinander verschränkte Zugänge, aus denen dann auf Grundlage eines gelungenen Theorie-Praxis-Transfers eine professionelle Grundhaltung von LehrerInnen entstehen kann. Die für LehramtsstudentInnen unverzichtbare, mitunter vielleicht auch herausfordernde Auseinandersetzung mit wissenschaftlicher Literatur und Fachmeinungen gehört zu der professionellen Grundhaltung von angehenden LehrerInnen, um Alter(n)skategorien, -bilder und -prozesse der Schulkinder möglichst umfassend zu begreifen und mit ihnen umgehen zu können. Die unterschiedlichen fachlichen Positionen, begrifflichen Konzepte wie auch Theorien helfen und stabilisieren während des Lehramtsstudiums, die eigene – nicht ausschließliche, vielleicht aber auch unbewusste – Orientierung an selbstverständlichen und gesellschaftlich vermittelten Altersnormen und Altersrollen zu hinterfragen.

Prämisse 1: Theorien sind Helfer und Stabilisatoren während des Studiums, denn durch sie können eindimensionale Grundhaltungen sowie Annahmen, z. B. über eine Person/Gruppe oder Situation, hinterfragt werden.

Prämisse 2: Es gibt nicht die „richtige“ Theorie. Theorien ermöglichen aus ihrem jeweiligen Hintergrund eine mögliche Sichtweise z. B. auf eine Person oder ein Setting. Je nach Theorieherkunft können sich diese Sichtweisen voneinander unterscheiden oder sich gegenseitig unterstützen.

Prämisse 3: Theorie und Praxis bedingen sich gegenseitig: Professionelles Handeln in der Praxis kann durch theoretisches Wissen entstehen oder auch abgesichert werden; Theorien können sich u. a. aus praktischem Handeln weiterentwickeln.

Nach den bisherigen Ausführungen ist als Zwischenfazit festzuhalten: LehramtsstudentInnen finden sicher nicht die eine „richtige“ Theorie, mit der sich Verhaltensweisen, Prozesse oder Situationen erklären lassen. Vielmehr sind die angehenden Lehrpersonen diejenigen AkteurInnen im Studium und später im Beruf, die mit den Theorien und Konzepten arbeiten und diese als Tools nutzen können. Die Reduktion auf die Konzeptionen des biologischen Alters als auch auf das kalendarische Alter würde den AkteurInnen in der Schule, den Schulkindern, in keiner Weise gerecht werden. Alter(n) „(…) als bloße biophysische Erscheinungen zu verstehen, wäre unterkomplex und deshalb ein reduziertes Altersverständnis.“ (Schroeter & Künemund, 2010, S. 396)

Um hinter den Konstruktionsprozess von Alter(n) zu sehen und es aus mehreren (theoretischen bzw. konzeptionellen) Positionen heraus zu betrachten, ist es notwendig, die bisherig dargestellten Alter(n)szugänge zu erweitern: Jede Person hat ihre Alter(n)svorstellung von sich selbst (Selbstbilder des Alter(n)s) und anderen Personen (Fremdbilder des Alter(n)s). In diesem Zusammenhang werden das psychologische Alter und das psychisch-intellektuelle Alter, meist synonym verwendet, in der Literatur verhandelt. Es entsteht aus dem

komplexen Zusammenwirken (…) von Anlage und Umwelt. Die vorangegangenen Sozialisations- und Personalisationsprozesse stecken dabei den Verhaltensspielraum ab, und Einstellungen bzw. Handlungen zu sich selbst als alterndem Menschen, zum Alter generell und auch zu Tod haben Einfluss darauf, ob man bspw. eher aktiv oder eher zurückgezogen altert. (Reimann & Reimann, zitiert nach Gerling & Naegele, 2005, S. 30)

Das psychologische Alter ist eng an die Selbstsicht der Person über das eigene Alter gebunden. Hingegen verweist das soziale Alter vor allem auf die Fremdsicht von anderen Personen auf das Alter(n) des Individuums: In diesen sozialen Prozessen manifestieren sich sowohl gesellschaftlich vorherrschende Erwartungen und Ansprüche als auch zugewiesene Rollen und Normen das Alter(n) (siehe dazu auch Gerling & Naegele, 2005, S. 30; Burkart, 2008, S. 534; Schroeter & Künemund, 2010, S. 398). Folgende Beispiele sollen die Konstruktion des sozialen Alter(n)s verdeutlichen: So gelten beispielweise Nadine Angerer als Europas Fußballerin des Jahres 2013, zweimalige Weltmeisterin und fünffache Europameisterin sowie der italienische Fußballspieler und viermalige Welttorhüter Gianluigi Buffon (beide Jahrgang 1978) für den aktiven Profisport auf dem Fußballrasen bereits als relativ alt. In der Funktion als BundespräsidentIn würden beide im Jahr 2015 – mit 37 Jahren – jedoch als relativ jung bezeichnet werden (Gerling & Naegele, 2005, S. 30; zur Thematik der Deutungen und Relativität des sozialen Alters siehe auch Kielmansegg & Häfner, 2012). Ein Beispiel für den Einfluss von geschlechtsspezifischen Rollenerwartungen im sozialen Alter(n) von Frauen und Männern ist die PartnerInnenwahl (hier am Bsp. heterosexueller Paare): So verwundert es nicht, wenn sich Männer, z. B. in Mitteleuropa, mit (erheblich) jüngeren Frauen liieren; Erstaunen rief bzw. ruft es demgegenüber hervor, wenn Frauen Beziehungen mit (erheblich) jüngeren Männern führen. An beiden Beispielen zeigt sich, dass Alter(n) über Zuschreibungen erfolgt, relativ gedacht werden kann und durch geschlechtsspezifische Normierungen erfolgt.

Inwiefern eine altersabhängige Wirklichkeit über das Schulkind entsteht, ist abhängig von den AkteurInnen (z. B. Lehrpersonen) im institutionellen Bildungsraum (z. B. Schule) und ihren Vorverständnissen zur Thematik Alter(n). Kurzum: Alter(n) ist als soziale Konstruktion zu verstehen, die von Zuschreibungen abhängt, d. h. „(…) zu einem großen Ausmaß von moralisch-ethischen Kodizes, von normativen Setzungen, aber auch von sozialen Faktoren, von ökonomischen Verhältnissen und technisch-zivilisatorischen Errungenschaften (…).“ (Wieser, 2015, S. 114)

In der nachfolgenden Übersicht werden die Altersdefinitionen aus diesem Kapitel zusammengefasst:

 

Kalendarisches Alter

Bezeichnet die Zahl der Kalenderjahre, die sich aufgrund des Geburtsdatums errechnen lassen. Es schreitet kontinuierlich voran von Tag zu Tag und unterliegt einem Rhythmus der Zeit. (vgl. Burkhart, 2008, S. 534)

Biologisches Alter

Umfasst die Reifung des Organismus und ist beeinflusst durch Anlage und Umwelt. Es „(…) resultiert sowohl aus der ‚genetischen Programmierung‘ [Hervorhebung im Zitat] als auch aus den erfahrenen äußeren Einflüssen.“ (Gerling & Naegele, 2005, S. 30)

Psychologisches Alter

Beschreibt die Einschätzung und das Erleben des Alters und des Alternsprozesses aus der Selbstsicht des Individuums. Es entsteht aus dem „(…) komplexen Zusammenwirken [ ] von Anlage und Umwelt. Die vorangegangenen Sozialisations- und Personalisationsprozesse stecken dabei den Verhaltensspielraum ab (…).“ (Gerling & Naegele, 2005, S. 30)

Soziales Alter

Entsteht aufgrund sozialer Prozesse, in denen sich sowohl gesellschaftlich vorherrschende Erwartungen und Ansprüche als auch zugewiesene Rollen und Normen das Alter(n) manifestieren. Es ist eng an die Fremdsicht auf das Individuum gebunden. (vgl. Burkhart, 2008, S. 534)

Abbildung 1: Übersicht zu den Altersdefinitionen aus diesem Kapitel

Alter(n) als soziale Konstruktion – am Beispiel des Übergangs vom Kindergarten in die Volksschule

Für LehramtsstudentInnen ist es unumgänglich, sich mit der Thematik Alter(n) auseinanderzusetzen. Sie sind direkt mit dieser Diversitätskategorie in ihrem Berufsfeld konfrontiert, denn Schule ist (1.) ein komplex zu denkender sozialer Raum, in dem Interaktionen stattfinden und in dem SchülerInnen, LehrerInnen oder auch Eltern verschiedene Rollen einnehmen (siehe dazu auch Pitsch & Ayaß, 2008, S. 979). Die Sichtweise der LehrerInnen auf das Alter(n) der Schulkinder ist nicht ausschließlich auf das unterrichtliche Geschehen beschränkt. So erhalten LehrerInnen beispielweise zusätzliche Informationen über das Kind aufgrund von Elterngesprächen, in Notenkonferenzen mit KollegInnen oder über Beobachtungen des Kindes im außerunterrichtlichen Geschehen (z. B. auf dem Pausenhof, während des Wandertags). (2.) Das Alter(n)sbild ihrer schulischen HauptakteurInnen – der Volksschulkinder – ist von institutionellen Vorgaben (Festlegung des Schuleintritts) und Gesetzen (Schulpflicht) geprägt und gesteuert (siehe auch Burkart, 2008, S. 533). (3.) Außerdem sind LehrerInnen relevante PartnerInnen in Übergangsphasen, wie z. B. vom Kindergarten in die Schule. Nach dem Übergang der Kinder in die Volksschule stehen LehrerInnen im Hinblick auf das Schulalter der Kinder durchgängig bis zum nächsten Übergang in der Schulkarriere des Kindes vor multiplen Erwartungshaltungen z. B. der Eltern. Sie haben den SchülerInnen altersgemäß den Inhalt des Lehrplans zu vermitteln. Sie sollen altersgerecht kommunizieren. Sie mögen das Kind ressourcengestützt bis zur nächsten Statuspassage begleiten und ihnen wird die Kompetenz zugesprochen, eine möglichst umfassende Einschätzung über die passende nächstfolgende Schulform abzugeben. Sie sind damit ein einflussreicher Player in der Biographie der Schulkinder. Ihnen wird eine bedeutsame Rolle in diesem Transitionsprozess bspw. in der Zusammenarbeit mit den Eltern und im fachlichen Austausch zugeschrieben: Die differenzierte Betrachtung der Transitionsprozesse von Fageth & Breitfuß-Muhr (in diesem Band) soll einerseits verdeutlichen, wie stark der Übergang vom Kindergartenalter in die Volksschule vom Entwicklungsalter und den daran geknüpften Normalitätserwartungen dominiert wird. Andererseits zeigen die beiden AutorInnen auf, welche systemischen und institutionellen Überlegungen zum Übergang derzeit zur Umsetzung anstehen.

Transition wird als Fachbegriff genutzt, der einen Übergang im Sinne einer komplexen „(…) Schnittstelle von individuellen Handlungs- und Bewältigungsvermögen und gesellschaftlichen Handlungsvorgaben und -anforderungen“ beschreibt (Welzer, zitiert nach Schaupp, 2012, S. 132). Im Folgenden soll am Beispiel der Transition ein Blick auf die soziale Konstruktion Alter(n) beim angehenden Schulkind Toni geworfen werden:

Toni sitzt gemeinsam mit den Eltern am Abendbrottisch – Toni freut sich auf diesen Sommer, denn es wird zwei große Feste geben. Eines mit der ganzen Wackelzahngruppe diese Woche. Und das andere mit ihren/seinen besten Freunden und den Verwandten später. Die Koboldgruppe wollte zwar gern mitfeiern, die Kinder sind aber noch zu klein. Stolz verkündet sie/er, dass sie/er ja bald in die Schule kommt und nun schon groß ist und sich schon jetzt fragt, was wohl alles in der Zuckertüte zu finden ist. Toni möchte in ein paar Jahren nach der Schule PilotIn werden, das weiß sie/er schon ganz genau.

An dem fiktiven Fallbeispiel sollen im Folgenden drei wesentliche Aspekte erläutert werden, anhand derer sich der Konstruktionsprozess Alter(n) am Beispiel der Transition dokumentiert:

(1.) Aus der Eigensicht Tonis erfolgt der Übergang zunächst einmal in die Schule hinein. Herausgehoben wird in Tonis Bericht, dass zwei Feste gefeiert werden und dem Kind etwas mitgegeben wird in die neue Lebensphase (dt. Zuckertüte/österr. Schultüte). Ob mit oder ohne Zuckertüte, in den unterschiedlichen Kulturen wird der Übergang zur Schule durch einen Ritus gefeiert. Auch die Beendigung der Schule, der Berufsausbildung oder des Studiums werden durch Zeremonien markiert: die Abschlussfeier, die feierliche Übergabe des Zertifikats an LehramtstudentInnen, die erste große Reise (mit Freunden, ggf. ohne die Eltern). Die soziale Konstruktion Alter(n) entsteht somit zum einen über den Lebenslauf oder -ablauf als eine strukturelle Dimension. Im sog. Normallebenslauf wird das seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts vereinheitlichte Einschulungsalter (siehe Burkart, 2008, S. 537) als auch der Schulbesuch als etwas Selbstverständliches im Leben eines Kindes mitgedacht, weil der vorgelagerte Besuch einer Schule für das Erlernen eines Berufs gesellschaftlich als notwendig erachtet wird.

(2.) Toni berichtet, dass ihre/seine Gruppe und nicht die jüngeren Kindergartenkinder an dem Verabschiedungsfest im Kindergarten teilnehmen. Diese explizit geäußerte Gruppendifferenz ist als Beispiel für das Durchlaufen einer Statusbiographie zu beschreiben, d. h. als „(…) eine geregelte Abfolge von Positionen, deren Übernahme stark von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Altersgruppe abhängt“ (Burkart, 2008, S. 536). Erst in einem bestimmten Alter kommen die Kinder in die Gruppe der sog. großen Kinder und werden sukzessive auf den Schulbesuch vorbereitet. Die PädagogInnen und in späterer Folge die LehrerInnen sind aus der strukturellen Perspektive heraus betrachtet allgemein anerkannte Autoritäten, die die Kinder im Übergang und später hin zum erfolgreichen Schulabschluss begleiten sollen.

(3.) Wenn Alter(n) angemessen betrachtet werden soll, ist neben der strukturellen Dimension auch die subjektive Deutung und die Verarbeitung des Lebens(ver) laufs mitzudenken. In der Erzählung Tonis wird deutlich, dass sich nicht erst im Jugend- oder Erwachsenenalter biographische Orientierungsschemata ausbilden, sondern die „[b]iographischen Reflexionen schon in frühen Lebensphasen mit Überlegungen zur eigenen Zukunft [beginnen]“ (Burkart, 2008, S. 543) – der Berufswunsch PilotIn steht als subjektive Deutung, die prospektiv (vorwärts) ausgerichtet ist. Individuen können ihre Biographie in die Zukunft ausgerichtet entwerfen: Dies wird spätestens dann besonders virulent, wenn sich die Kinder in der vierten Volksschulstufe befinden und sie selbst, vor allem die Eltern als auch die LehrerInnen, mit der Entscheidung für die weiterführende Schulform die Lebensplanung (falls sich der Berufswunsch Tonis verfestigt) beeinflussen.

Die Autorin erinnert hier an das von Crenshaw geprägte Bild der Straßenkreuzung, welches zu Beginn des Beitrags skizziert wurde und auf die Lebenslage von Kindergartenkindern im Übergang zur Schule übertragen werden kann. LehrerInnen bewegen sich in den Worten Crenshaws auf „Machtwegen [, die sich; D. C.] gegenseitig kreuzen, überlagern und überschneiden“ (Crenshaw, zitiert nach Riegraf, 2010, S. 40). In dem hier geschilderten Beispiel dokumentiert sich Macht als (mögliche) einflussreiche Rolle, die LehrerInnen von außen zugeschrieben wird oder die sie sich selbst zuschreiben. Das zeigt sich z. B. auch an Steuerungsprozessen im unterrichtlichen (z. B. Aufrufverhalten der LehrerIn), aber auch außerunterrichtlichen Handeln (z. B. Empfehlungen des weiterführenden Schultypus).

Die Auseinandersetzung mit der Thematik Macht und Schule soll an dieser Stelle nicht ausführlicher erfolgen, es sei diesbezüglich auf Fend (2006), Jäckle (2009) sowie auf Ricken & Rieger-Ladich (2004) verwiesen. Individuen können jedoch auch ihre Biographie rückblickend entwerfen: So bilanziert z. B. der Namensgeber für die Pädagogische Hochschule Stefan Zweig in seinem Werk „Die Welt von Gestern“ seine Biographie, insbesondere seine Schulerfahrungen wie folgt: „Und der einzige wirklich beschwingte Glücksmoment, den ich der Schule zu danken habe, wurde der Tag, da ich ihre Tür für immer hinter mir zuschlug.“ (Zweig, [1944] 2013, S. 50) So eint Stefan Zweig und Toni zum einen ein vorgegebener Verlauf eines Lebensausschnitts, der sich sowohl mit Erwartungen an und der Reflexion über die Schulkarriere verstehen lässt. Wie sich Stefan (rückblickend) und Toni (erwartend) mit „(…) ihrer persönlichen Befindlichkeit mit diesen sozialintegrativen Erwartungen auseinandersetzen, wie sie sich dabei fühlen, erleben und betroffen sind, macht ihr ‚Sein‘ aus“. (Böhnisch, 1998, S. 68)

An diesem Beispiel wird deutlich, wie stark Alter(n), Schule und der Bildungsprozess miteinander verwoben sind und im Sinne der intersektionalen Perspektive als „interdependente Kategorien“ (siehe Walgenbach, 2010, S. 248) verstanden werden müssen.

Am Fallbeispiel Toni wird somit deutlich, dass das Sprechen über das Alter(n), z. B. von angehenden Schulkindern, konzeptionell auf verschiedenen Ebenen stattfinden kann. In der nachfolgenden Tabelle sind die wichtigsten Begriffe, über die Alter(n) erfasst wird, skizziert:

 

Alter(n)sbilder

„Bilder des Alters und Alter(n)s – oder kurz Alter(n)sbilder – beziehen sich nicht nur auf das Alter und die älteren Menschen selbst, sondern auch auf den biographischen Weg in das Alter hinein. Selbstbilder des Alter(n)s handeln vom eigenen Älterwerden und Altsein, Fremdbilder des Alter(n)s vom Älterwerden und Altsein anderer Menschen und Bevölkerungsgruppen. Der Begriff ‚Alter‘ selbst ist mehrdimensional und umfasst nicht nur das kalendarische Alter, sondern auch das biologische, psychologische und gesellschaftliche Alter. Was Alter(n) bedeutet und wer als ‚alt‘ oder ‚älter‘ bezeichnet wird, wird dadurch relativ und ist biographie-, geschlechts- und kontextabhängig. Alter(n)sbilder werden auf der institutionellen, kulturellen, interaktionalen und individuellen Ebene gebildet.“ (Amrhein, 2014, S. 231)

Altersnormen

Altersnormen legen innerhalb einer Gruppe der Gesellschaft fest, „(…) welches Verhalten für welches Alter angemessen ist (…).“ (Burkart, 2008, S. 533)

Altersrollen

Altersrollen regeln, „(…) wie das Individuum sein Leben im Prozess des Durchlaufs durch einen Lebenslauf mit altersbezogenen Rollen lebt.“ (Burkart, 2008, S. 533)

Diskurse des Alter(n)s

„Während der Belastungsdiskurs eine eher negative Sicht auf Lebenslagen im Alter hat (Armut, Krankheiten, Pflegebedürftigkeit, Einsamkeit, sozialer Rückzug), hebt der Potentiale- und Ressourcendiskurs positive Aspekte hervor (materielle Sicherheit, körperliche und geistige Aktivität, soziales Engagement, lebenslanges Lernen, soziale Partizipation, Verantwortung für die jüngere Generation.“ (Amrhein, 2014, S. 232)

Lebenslauf

Bezieht sich auf „strukturelle Aspekte wie gesellschaftlich vorgegebene Lebensphasen, Übergangsmöglichkeiten oder Altersnormen.“ (Burkart, 2008, S. 543) Dabei sind die Lebensalter „(…) so angeordnet und nach der Logik der modernen Gesellschaft strukturiert, daß wir über sie unser Leben planen können und uns gleichzeitig immer wieder vergewissern oder in Lebenskrisen damit konfrontiert werden, ob wir diese Planung überhaupt einhalten können, ob wir diesem Leben überhaupt gewachsen sind. ‚Dieses Leben‘ meint dann meist den ‚Lebenslauf‘, in welche wir seit unserer Kindheit hineinmanövriert werden und uns mit dem Alter zunehmend ständig zurechtfinden müssen.“ (Böhnisch, 1998, S. 68)

Biographie

„Mit Biographie ist die Gesamtheit subjektiver Deutungen und Verarbeitungen des Lebenslaufs gemeint, die Lebensgeschichte. Aus der Lebensgeschichte gewinnen wir auch unsere persönliche Identität.“ (Burkart, 2008, S. 543)

Statusbiographie

„Umschreibt eine geregelte Abfolge von Positionen, deren Übernahme stark von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Altersgruppe abhängt.“ (Burkart, 2008, S. 536)

„Institutionalisierung“ des Lebenslaufs

„(…) bedeutet, neben einer Standardisierung der Abläufe und einer stärkeren Konzentration um Durchschnittswerte, auch Normierung, eine Standardisierung im Sinne der Durchsetzung von Altersnormen [Hervorh. im Zitat]. Durchschnittswerte entwickeln sich zu Normen. Es ist nicht nur ‚normal‘, dass man in einem bestimmten Alter in die Schule geht, erwachsen wird, heiratet, Kinder bekommt, in den Ruhestand geht – es wird auch erwartet.“ (Burkart, 2008, S. 540)

Bezugspunkte für ein professionelles Grundverständnis von LehrerInnen über Alter(n) aus intersektionaler Perspektive – ein Fazit

Aus den Ausführungen in diesem Beitrag ergeben sich Bezugspunkte für die Ausbildung bzw. Vertiefung des professionellen Grundverständnisses von LehrerInnen, die Kategorie Alter(n) angemessen zu betrachten. Mit Hilfe der „Intersektionalitätsbrille“ (Riegraf, 2010, S. 47) kann der Blick auf das Alter(n) geschärft werden.

So gibt es (1.) nicht das oder ein Alter(n), sondern viele Varianten des Alter(n)s, die mit anderen Dimensionen in Beziehung stehen. Die Zuordnung von bestimmten Handlungen der SchülerInnen in das Entwicklungsalter mag für LehrerInnen von Nutzen sein, denn diese Zuordnung verspricht eine (gewisse) Sicherheit bzw. Orientierung für das eigene professionelle Ausgestalten des Unterrichts oder in der Beratung mit den Eltern. Wenn die LeserInnen bei der Metapher des Blickfelds verbleiben, so stellen sie sich ein Kaleidoskop vor. Durch das Verändern der jeweiligen Optik (Drehbewegung) verzahnen sich wiederum andere Formen und Muster ineinander und ergeben ein komplexes Gesamtbild. In dieses Gesamtbild gehört (2.) der aufmerksame Blick z. B. auf die machtvolle Position der LehrerIn. Wie dargelegt, bedeutet Macht in diesem Zusammenhang z. B. Steuerungsprozesse zu initiieren oder an diesen (un-)bewusst beteiligt zu sein. In der Reformulierung der klassischen schulbiographischen Deutung Böhnischs (1998, S. 68) können die Vorstellungen der LehrerInnen über das Kind und die daraus entstehenden Handlungsvollzüge für die Schulkinder im ungünstigen Fall dafür sorgen, dass sich biographische Chancen für sie verstellen und dass die Kinder so den Anschluss an die modernisierte Gesellschaft und die ihr eingelagerten Herausforderungen nicht bekommen oder verlieren. Im günstigen Fall können die ausagierten Vorstellungen der LehrerInnen aber auch dafür sorgen, dass Schulkindern Wege eröffnet werden und sie aus der institutionellen Lebenslaufperspektive etwas machen (können). (3.) Alter(n) ist somit biographisiert zu verstehen: Schulkinder haben je ihre biographischen Erfahrungen, auch wenn sie diese noch nicht so dezidiert erzählen können, wie es ältere Personen vermögen. Die LeserInnen erinnern sich an dieser Stelle an Toni. In ein paar Jahren nach der Schule, so Toni, möchte sie/er PilotIn werden. Unter vielen anderen Voraussetzungen benötigt Toni einen formalen Bildungsabschluss, um diesen Beruf erlernen zu können. Toni befindet sich am Beginn des Schulkindseins in der „(…) Spannung zu den gesellschaftlichen Lebensaltern und denen in ihnen erhaltenen Erwartungen selbst zu bewältigen und zu gestalten (…). Die Biographie [gleicht] als Medium der subjektbezogenen Steuerung und Selbstthematisierung einem ungeraden und nicht absehbaren Weg durch einen Lebenslauf, der institutionell zwar vorgegeben scheint, der aber an Übersichtlichkeit und Kalkulierbarkeit eingebüßt hat.“ (Böhnisch, 1998, S. 74)

Summa summarum: M. E. gehört es zu der professionellen Rolle der LehrerInnen, mögliche „Un/Sichtbarkeiten von Wechselbeziehungen“ (Walgenbach, 2010, S. 247) von Alter(n) mit anderen Dimensionen (z. B. sozialer, kultureller Hintergrund, religiöse Zugehörigkeit, Gesundheit, Geschlecht) zu identifizieren. Die Fragen danach, (a) welche Rolle das Alter spielt, wenn sich LehrerInnen ein Bild von einer Person – von einem Schulkind – machen, und (b), welche Merkmale, die eben prominent auf das Alter zugeschrieben werden, bei den Erziehenden und LehrerInnen ein förderliches oder hemmendes Bildungsengagement auslösen (Gloger-Tippelt, 2002, S. 480), sowie (c), wie mit diesen Zuschreibungsprozessen umzugehen sei, sind immer wieder zu stellende. Die LeserInnen ahnen den abschließenden Gedanken dieses Beitrags: (Angehende) LehrerInnen sind im Sinne des professionellen LehrerInnenwerdens, -seins und -bleibens immer wieder dazu aufgefordert, sich selbst Fragen – hier: zum Umgang mit Alter(n) in der Schule – zu stellen. Sie sind eigens in einem Bildungsprozess verhaftet, in ihrem beruflichen Professionalisierungsprozess. Bildung heißt im humboldtschen Sinn, sich mit sich selbst und in diesem Rahmen der (Schul-)Welt mit ihren AkteurInnen auseinanderzusetzen, z. B. eigenverantwortlich PartnerInnen für die Ausgestaltung des (Berufs-)Weges zu finden, sich kritisch mit Theorien, Konzepten und der eigenen Praxiserfahrung auseinanderzusetzen, letztendlich: sich selbst in verschiedenen Rollen zu entwerfen und zu verstehen, dass und warum es diverses Alter(n) gibt.

Literatur

Amrhein, L., Backes, G. M., Harjes, A. & Najork, C. (2014). Alter(n)sbilder in der Schule. Wiesbaden: Springer.

Böhnisch, L. (1998). Das Generationenproblem im Lichte der Biografisierung und der Relativierung der Lebensalter. In: J. Ecarius (Hrsg.), Was will die jüngere mit der älteren Generation? (S. 67–79). Wiesbaden: Springer.

Burkhart, G. (2008). Lebensalter. In: H. Willems (Hrsg.), Lehr(er)buch Soziologie. Für die pädagogischen und soziologischen Studiengänge, Band 2 (S. 533–549). Wiesbaden: Springer.

Fend, H. (Hrsg.) (2006). Neue Theorie der Schule. Einführung in das Verstehen von Bildungssystemen (S. 30–41). Wiesbaden: Springer. 3. Aufl., München: Reinhardt.

Gerling, V. & Naegele, G. (2005). Alter, alte Menschen. In: H.-U. Otto & H. Thiersch (Hrsg.), Handbuch Sozialarbeit. Sozialpädagogik. Neuwied: Luchterhand.

Gloger-Tippelt, G. (2002). Kindheit und Bildung. In: R. Tippelt (Hrsg.), Handbuch Bildungsforschung (S. 477–494). Wiesbaden: Springer.

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Kielmansegg, P. G. & Häfner, H. (Hrsg.) (2012). Alter und Altern: Wirklichkeiten und Deutungen. Wiesbaden: Springer.

Pitsch, K. & Ayaß, R. (2008). Gespräche in der Schule. Interaktion im Unterricht als multimodaler Prozess. In: H. Willems (Hrsg.), Lehr(er)buch Soziologie. Für die pädagogischen und soziologischen Studiengänge, Band 2 (S. 959–982). Wiesbaden: Springer.

Ricken, N. & Rieger-Ladich, M. (Hrsg.) (2004). Michel Foucault. Pädagogische Lektüren. Wiesbaden: Springer.

Riegraf, B. (2010). Intersektionen von Ungleichheiten und Differenzen: Kursbestimmung im Nebel zwischen Gesellschaftstheorie und politischem Gestaltungsanspruch. In: K. Böllert & N. Oelkers (Hrsg.), Frauenpolitik in Familienhand? Neue Verhältnisse in Konkurrenz, Autonomie oder Kooperation (S. 39–55). Wiesbaden: Springer.

Schaupp, U. (2011). Soziale Identität und schulische Transition. Gruppengefühl und -zugehörigkeit beim Übergang von der Primar- in die Sekundarstufe. Wiesbaden: Springer.

Schlemmer, E. (2004). Familienbiographien und Schulkarrieren von Kindern. Theorie und Empirie. Wiesbaden: Springer.

Schroeter, K. R. & Künemund, H. (2010). „Alter“ als Soziale Konstruktion – eine soziologische Einführung. In: K. Aner & U. Karl (Hrsg.), Handbuch Soziale Arbeit und Alter (S. 393–401). Wiesbaden: Springer.

Seel, N. M. & Hanke, U. (2015). Erziehungswissenschaft. Lehrbuch für Bachelor-, Master- und Lehramtsstudierende. Wiesbaden: Springer VS.

Walgenbach, K. (2010). Postscriptum: Intersektionalität – Offenheit, interne Kontroversen und Komplexität als Ressourcen eines gemeinsamen Orientierungsrahmens. In: H. Lutz, M. T. H. Vivar & L. Supik (Hrsg.), Fokus Intersektionalität. Bewegungen und Verortungen eines vielschichtigen Konzeptes (S. 245–256). Wiesbaden: Springer.

Wieser, R. (2015). Alte Frauen und ihre Religiosität: Intersektionalitäten zwischen „Alter(n)“, „Geschlecht“ und „Religion“. In: C. Brunnauer, G. Hörl & I. Schmutzhart (Hrsg.), Geschlecht und Altern. Interdisziplinäre Betrachtungen (S. 113–133). Wiesbaden: Springer.

Zweig, S. ([1944], 2013). Die Welt von Gestern – Erinnerungen eines Europäers. Köln: Anaconda.

Barbara Fageth/Gabriele Breitfuß-Muhr

Der Transitionsprozess – Entwicklungsgerechte Gestaltung des Übergangs vom Kindergarten in die Schule

Der folgende Beitrag fokussiert eine systemische Sicht auf aktuelle schulpraktische Entwicklungen zur Thematik der Übergangsgestaltung vom Kindergarten in die Grundschule.

Der Schuleintritt im Alter von sechs Jahren ist in Österreich für alle Kinder unabhängig von ihrem Entwicklungsalter oder sozialen Alter verpflichtend. Dabei handelt es sich um ein mehr oder weniger willkürlich festgesetztes Schuleintrittsalter, das sich im weitesten Sinne zum Beispiel am biologischen Alter orientiert, jedoch die intraindividuellen und interindividuellen Entwicklungsunterschiede nicht berücksichtigt. Daraus ergibt sich für die Schulpraxis die Notwendigkeit, u. a. mittels Individualisierung und Differenzierung den Übergang vom Kindergarten in die Grundschule bewusster und kindspezifischer zu gestalten. Eine Voraussetzung dafür ist die verstärkte Kooperation von Pädagoginnen und Pädagogen in Kindergarten und Grundschule.

Im Beitrag wird einerseits ein differenzierter Überblick über die anschlussfähigen Aspekte von Kindergarten und Schule in curricularer und organisatorischstruktureller Hinsicht gegeben, andererseits werden praktische Möglichkeiten einer anschlussfähigen Bildungsdokumentation aufgezeigt, die den intraindividuellen Entwicklungsunterschieden Rechnung tragen können.

Übergänge stellen ganz allgemein im Leben eines jeden Menschen wiederholt bedeutsame Ereignisse im Lebenslauf dar, die jeweils unterschiedlich große Veränderungen mit sich bringen. „Mit Übergängen sind einerseits Ablösungen von einem bisher vertrauten Lebenszusammenhang verbunden und gehen andererseits Anpassungen an eine neue, wenig vertraute Lebenssituation einher“ (Graßhoff et al., 2013, S. 14). Bei der Bewältigung dieser Übergänge entstehen immer wieder neue Herausforderungen und es wird ein fortwährendes Wechselspiel zwischen Verlusten und Gewinnen in einem dynamischen Prozess durchlebt. Zentral für die moderne Gerontologie (Alterswissenschaft) ist die Annahme, dass diese Dynamik nicht einseitig nur in Richtung von Verlusten weist, sondern dass es auch zu Gewinnen kommen kann.

In den vergangenen zehn Jahren ist der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule vermehrt in den Blickpunkt bildungspolitischer, bildungswissenschaftlicher und bildungspraktischer Diskussionen gerückt (vgl. u. a. Hanke, Backhaus & Bogatz, 2013; bmwfj, 2010; Wustmann, 2010) und ist damit für jede Lehrerin und jeden Lehrer im Schuleingangsbereich ein wichtiges Thema.

Abbildung 1: Transition im ko-konstruktiven Prozess (Griebel & Niesel, 2011)

Der Transitionsprozess vom Kindergarten zur Grundschule wird nach Griebel und Niesel (2011) als „Prozess verstanden, in dem das Kind, die Familie, die beteiligten Institutionen (Kindergarten, Grundschule) und die Gemeinschaft über einen bestimmten Zeitraum in einer spezifischen Verbindung stehen. Sie gestalten als Akteure gemeinsam diesen Prozess“ (vgl. Abbildung 1).

D. h., die Bewältigung des Übergangs soll nicht durch das Kind alleine stattfinden, sondern über das Zusammenwirken aller am Prozess Beteiligten. Dies schließt sowohl die Familie (Eltern, Geschwister, Großeltern), die Kindergartenpädagoginnen und -pädagogen und Lehrerinnen und Lehrer, andere Kinder (z. B. im Kindergarten und in der Grundschule) sowie Freunde und Bekannte mit ein. Griebel und Niesel (2011, S. 37) sprechen hierbei von Ko-Konstruktion und verstehen darunter die „Interaktion des Individuums mit der sozialen Umgebung“ zur Bewältigung der mit Übergängen verbundenen Lern- und Entwicklungsprozesse. Im Mittelpunkt dieses Modells stehen daher die Kommunikation zwischen und die Partizipation aller am Übergang Beteiligten in allen Phasen des Übergangsprozesses (Vorbereitung – Bewältigung – Abschluss). In diesem Prozess kommt wiederum dem Konstrukt des Alter(n)s insofern Bedeutung zu, da es sich bei Altersprozessen in vielen Bereichen um ein Produkt von persönlichen Faktoren und sozial-räumlicher Umwelt handelt. Eine gute Passung von Person und Umwelt ist ein zentraler Faktor für ein hohes Wohlbefinden oder eine hohe Selbstständigkeit im Alter.

Auf subjektiver Ebene stellt der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule für Kinder und deren Eltern ein wichtiges biografisches Ereignis dar. Sowohl die Buben und Mädchen als auch ihre Eltern sind mit einem veränderten Rollenbild – vom Kindergartenkind zum Schulkind und von Eltern eines Kindergartenkindes zu Eltern eines Schulkindes – konfrontiert. Nicht selten gehen damit auch Problembelastungen und Sorgen einher, wie etwa: „Wird mein Kind den Übertritt gut schaffen?“, „Wird es meinem Kind in der Schule gefallen?“.

Aber auch die beteiligten Pädagoginnen und Pädagogen sind in der Gestaltung des Transitionsprozesses gefordert, bestehende Glaubenssätze der jeweils „anderen“ zu reflektieren, und sehen sich in der Zusammenarbeit sowohl mit den Unterschieden als auch den Gemeinsamkeiten konfrontiert. Häufig werden überwiegend die „fundamentalen“ Unterschiede zwischen Kindergarten und Volksschule herausgestellt: hier der freiwillige Besuch, dort die Schulpflicht, hier das spielerische Lernen, dort der Lehrplan, hier flexibles Ankommen, Frühstück nach Bedarf und Freispiel nach eigener Entscheidung, dort die relativ festen Zeitstrukturen, womöglich im 45-Minuten-Takt und Schulglocke, hier die altersgemischte Gruppe, dort die altershomogene Gruppe. Aus dieser Sicht ist der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule für das einzelne Kind ein gravierender Einschnitt und eine grundlegende Änderung im Leben und Lernen des jungen Menschen. Auf der institutionellen Ebene bedeutet der Übergang für Pädagoginnen und Pädagogen sowohl im Kindergarten als auch in der Schule ohne Zweifel eine große Herausforderung. In professioneller Hinsicht steht primär der Auftrag im Vordergrund, die Bildungsprozesse der Kinder gemeinsam zu gestalten. Wenn wir uns also mit Transition befassen, schwingt dabei auch immer das Thema der Professionalisierung pädagogischer Praxis mit.

Vor diesem Hintergrund findet aktuell ein Paradigmenwechsel von der Betonung der Unterschiedlichkeiten der Bildungsinstitutionen Kindergarten und Schule hin zu einer Fokussierung der Gemeinsamkeiten für einen anschlussfähigen Bildungsprozess statt.

Anschlussfähige Aspekte von Elementar- und Primarpädagogik in curricularer Hinsicht

Nicht zuletzt aufgrund der Ergebnisse der internationalen Schulleistungsuntersuchungen (PISA, 2000, vgl. Baumert, Klieme & Neubrand, 2001) und damit der Einführung des verpflichtenden Kindergartenjahres (BGBl. I Nr. 99/2009) wird in den vergangenen Jahren der Kindergarten nicht länger als pädagogische Betreuungseinrichtung, sondern als eigenständige Bildungsinstitution vor dem Schuleintritt wahrgenommen. Mit der Einführung des bundesländerübergreifenden BildungsRahmenPlans für elementare Bildungseinrichtungen in Österreich wurde hierfür ein weiterer entscheidender Meilenstein gelegt (Charlotte Bühler Institut, 2009a). Für die Gestaltung des Transitionsprozesses gilt es also auch, die Vernetzung der Curricula BildungsRahmenPlan und Lehrplan der Grundschule (Wolf, 2009) differenziert zu betrachten. Letzterer betont, dass bei Schuleintritt an die Vorerfahrungen der Kinder aus dem Kindergarten anzuknüpfen ist und dabei die vertrauten „Formen des täglichen Lebens, der Sprache, des Spielens und des […] Lernens“ (Wolf, 2009, S. 26) in der Schule von den Lehrerinnen und Lehrern aufzunehmen sind, d. h. der biographische Aspekt (des Alters) mit zu berücksichtigen ist. In Tabelle 1 ist ersichtlich, dass bei näherer Betrachtung die wesentlichen pädagogisch-didaktischen Prinzipien des Grundschullehrplans1 bereits im BildungsRahmenPlan grundgelegt werden (vgl. u. a. Charlotte Bühler Institut, 2014).

 

Pädagogische Prinzipien des BildungsRahmenPlans

Allgemeine Bestimmungen und didaktische Grundsätze des Lehrplans

Lebensweltorientierung

Lebensbezogenheit & Anschaulichkeit

Empowerment

Aktivierung & Motivierung

Individualisierung/Differenzierung

Individualisieren, Differenzieren und Fördern

Sachrichtigkeit

Sachgerechtheit

Ganzheitlichkeit & Lernen mit allen Sinnen

Konzentration der Bildung

Inklusion

Integration

Bildungspartnerschaft

Zusammenarbeit mit Erziehungsberechtigten

Tabelle 1:Pädagogisch-didaktische Gemeinsamkeiten des BildungsRahmenPlans für elementare Bildungseinrichtungen und des Lehrplans für die Volksschule

Beide Bildungsinstitutionen formulieren vergleichbare pädagogische Grundsätze und Prinzipien: Sowohl im Kindergarten als auch in der Grundschule sind die Pädagoginnen und Pädagogen bemüht, Lehr- und Lerninhalte an der Lebenswelt des Kindes auszurichten (Lebensweltorientierung – Lebensbezogenheit) und diese sachrichtig zu vermitteln (Sachrichtigkeit – Sachgerechtheit).

Die Orientierung an der Lebenswelt des Kindes meint damit auch die Wahrnehmung der Komplexität zunehmender Vielfalt und Verschiedenartigkeit der Lebensrealitäten und einen sensiblen Umgang mit unterschiedlichen Einstellungen, Werten, Mentalitäten und Bedürfnissen der Kinder. Ebenso gilt es wahrzunehmen, dass auch geschlechtsspezifische, kulturelle oder altersbedingte Merkmale das soziale und betriebliche Miteinander im Schulalltag beeinflussen. Im Sinne von Riegraf ist hier die „Intersektionalitätsbrille“ (Riegraf, 2010, S. 47) aufzusetzen, sensibel für das gleichzeitige Zusammenwirken von sozialen Ungleichheiten bzw. Positionierungen zu sein und vorhandene (Bildungs-)Ungleichheiten auszugleichen, um so eine gerechte Teilhabe im Alltag für alle zu ermöglichen.

Ebenso wird in den Curricula der Fokus verstärkt auf die Beteiligung und Miteinbeziehung aller Sinne gerichtet: Ganzheitlichkeit und Lernen mit allen Sinnen – Konzentration der Bildung (vgl. Charlotte Bühler Institut, 2014, S. 3f.). Mit den in beiden Curricula angeführten Prinzipien der Individualisierung/Differenzierung soll der Unterschiedlichkeit der Kinder hinsichtlich ihres „Entwicklungstandes des Sozialverhaltens, der Kommunikationsfähigkeit, der Selbstständigkeit, der Interessen, der Motivation, des Vorwissens, der Lernfähigkeit, der Arbeitshaltung u. a.“ (Wolf, 2009, S. 35) Rechnung getragen werden.

Bereits im Kindergarten sind Bildungsbereiche definiert, die in den Pflichtgegenständen der Grundschule ihre Fortsetzung finden (vgl. Tabelle 2). In beiden Curricula stehen die Sprachbildung und Sprachförderung im Mittelpunkt. Für elementarpädagogische Einrichtungen gibt es hierzu einen eigenen umfassenden Bildungsplan-Anteil zur sprachlichen Förderung (Charlotte Bühler Institut, 2009b). Der Lehrplan der Volksschule sieht eine umfassende Bildung und Förderung in der deutschen und auch nichtdeutschen Erstsprache vor.

 

Bildungsbereiche BildungsRahmenPlan

(Pflicht-)Gegenstände der Volksschule

Sprache & Kommunikation

Bildungsplan-Anteil zur sprachlichen Förderung in elementaren Bildungseinrichtungen (Charlotte Bühler Institut, 2009b)

Deutsch, Lesen, Schreiben, Deutsch für Schüler/innen mit nichtdeutscher Muttersprache, muttersprachlicher Unterricht, verbindliche Übung „Lebende Fremdsprache“

Bewegung & Gesundheit

Bewegung & Sport

Ästhetik & Gestaltung

Bildnerische Erziehung, Textiles & Technisches Werken

Natur & Technik

Sachunterricht

Mathematik

Ethik & Gesellschaft

Religion/Sachunterricht

Emotionen & soziale Beziehungen

Tabelle 2: Vernetzung der Bildungsbereiche aus dem BildungsRahmenPlan mit den (Pflicht-)Gegenständen aus dem Lehrplan der Volksschule

Vergleicht man die Bildungs- und Lernformen der beiden Curricula, so zeigt sich, dass auch hinsichtlich der Begrifflichkeiten hohe Übereinstimmung besteht. Bei näherer Betrachtung fällt aber auf, dass besonders im Kindergarten Bildung und Lernen als ein lebenslanger Kompetenzerwerb durch eine aktive Auseinandersetzung des Menschen mit sich selbst und mit seiner Umwelt verstanden werden.

 

Bildung und Kompetenzen im BildungsRahmenPlan

Lernformen im Lehrplan der Grundschule

Lernen im Spiel

Lernen im Spiel

selbstbestimmtes Lernen

offenes Lernen/projektorientiertes Lernen

entdeckendes Lernen/Lernen am Modell

informierendes Lernen/entdeckendes Lernen

ständige Weiterentwicklung durch Impulse aus der sozialen und materialen Umwelt

wiederholendes und übendes Lernen

Tabelle 3: Gemeinsamkeiten der Bildungs- und Lernformen des BildungsRahmenPlans und des Lehrplans der Volksschule

Der BildungsRahmenPlan legt den Fokus insbesondere auf die Gestaltung eines ko-konstruktiven Lernprozesses zwischen Kind und Pädagogin bzw. Pädagogen, während im Lehrplan grundschulgemäße Lernformen angeführt sind, die bei der Planung des Unterrichts zu berücksichtigen sind, mit dem Ziel, insbesondere das selbstständige und zielorientierte Lernen zu fördern (vgl. Tabelle 3).

Anschlussfähige Aspekte von Elementar- und Primarpädagogik in organisatorisch-struktureller Hinsicht

Kindergarten

Grundschule

altershomogene/altersheterogene Gruppen

Jahrgangsklassen/gelegentlich jahrgangsübergreifender Unterricht

Tagesablauf

Stundenplan

Rituale/Jahreskreis

Rituale/Jahreskreis

Funktionsräume

Fachräume

Gruppenräume

Klassenräume

Tabelle 4:Organisatorisch-strukturelle Gemeinsamkeiten von Elementar- und Primarpädagogik

Hinsichtlich der Organisation und Struktur finden sich wesentliche Gemeinsamkeiten in den beiden Bildungseinrichtungen: Das Arbeiten mit überwiegend alterserweiterten Gruppen, d. h. heterogenen Gruppen, ist ein wesentliches Merkmal des Kindergartens. Der altersübergreifende Unterricht ist in niederorganisierten Grundschulen zu finden, eine Umsetzung in Regelschulen wird aber auch im Hinblick auf mehr Altersadäquatheit und Individualisierung vom Bundesministerium für Bildung und Frauen derzeit forciert.

Sowohl Kindergarten als auch Volksschule verfügen über einen strukturierten Tagesablauf, der sich lediglich in der Form der Differenziertheit unterscheidet. In beiden Institutionen werden in der Planung Rituale und der Rhythmus im Jahres- und Kulturkreis berücksichtigt (vgl. Tabelle 4).

Ergänzend zu den beschriebenen anschlussfähigen Aspekten in curricularer sowie organisatorisch-struktureller Hinsicht geht mit der Betrachtung der Gemeinsamkeiten auch die Berücksichtigung der Bildungsbiografie – und damit der Entwicklungsdokumentation – des einzelnen Kindes im Kindergarten einher. In der Schuleingangsphase soll daher die Meinung und Sichtweise der Fachkräfte aus dem Kindergarten in prognostischer Hinsicht verstärkt eingeholt werden. Die Frage muss lauten: „Welche Entwicklungsschritte des Kindes waren in letzter Zeit beobachtbar, welche sind zukünftig zu erwarten bzw. absehbar?“

Daher wird folgend in diesem Beitrag auf die Entwicklungsdokumentation eingegangen werden. Mit dem Tool des Entwicklungsportfolios wird jedes Kind selbst für die eigene biographische Reflexion sensibilisiert, da, wie Cerny (in diesem Band) erläutert, sich die biographischen Orientierungsschemata nicht erst im Jugendoder Erwachsenenalter bilden, sondern biographische Reflexionen bereits in frühen Lebensphasen gekoppelt an Überlegungen zur eigenen Zukunft beginnen. Diese Reflexionsprozesse und die sich daraus entwickelnde Selbstwahrnehmung des einzelnen Kindes sollen in die Gestaltung des Übergangsprozesses einbezogen werden.

Anschlussfähige Bildungsdokumentation und ihr Mehrwert für den Transitionsprozess

Die Gestaltung anschlussfähiger Bildungsprozesse setzt eine ressourcen- und prozessorientierte Dokumentation der Entwicklung jedes einzelnen Kindes voraus. Aktuell zeigt sich eine Tendenz dahingehend, dass die punktuelle Feststellung einer Schulfähigkeit, die durchaus irrtums- und fehleranfällig ist und sich primär am Geburtsalter des Kindes orientiert (Screening zur Feststellung der Schulreife am Tag X), einer entwicklungs- und prozessorientierten Sicht auf das Kind weicht und damit das intraindividuelle Entwicklungsalter des Kindes berücksichtigt. Dies gewährleistet, dass bereits im Kindergarten erstellte pädagogische Interventionen (Förderpläne) in der Grundschule eine zeitnahe und anschlussfähige Fortsetzung finden. Voraussetzungen dafür sind allerdings wiederum die Kooperation und der Austausch über die Bildungsbiografie des Kindes auf professioneller Ebene.

Hanke et al. (2013, S. 22) sehen sechs wesentliche Funktionen der Bildungsdokumentation am Übergang zur Grundschule:

(1)   Informationsaustausch über Kinder, der wertvoll ist, um die Entwicklung der Kinder nachvollziehen zu können,

(2)   Gestaltung einer individuellen, anschlussfähigen Förderung in der Grundschule,

(3)   Austausch der Pädagoginnen und Pädagogen über gegenseitige Verständnisweisen ihrer pädagogischen Arbeit,

(4)   gemeinsame Beratung und Förderung zwischen Pädagoginnen und Pädagogen im Kindergarten und in der Grundschule unter Miteinbeziehung der Eltern,

(5)   Würdigung der Arbeit im Kindergarten und

(6)   Wertschätzung der bisherigen Entwicklung der Kinder.

Eine wichtige Zielsetzung der Beobachtung und Dokumentation in Kindergärten betrifft das Sichtbarmachen und Verstehen der Aktivitäten und Interessen der Kinder: Mit eher offenen, aber gezielten Beobachtungen stehen die individuellen Aktivitäten der Kinder im Mittelpunkt. Verfahren, die dieser Zielsetzung zugeordnet werden, sind beispielsweise die Bildungs- und Lerngeschichten (Leu & Flämig, 2007) oder das Berliner Modell der Early Excellence Centres (Athey, 1990). Als besonders anschlussfähig erweisen sich die Bildungs- und Lerngeschichten nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass diese für verschiedene Zielgruppen zur Verfügung stehen: Bildungs- und Lerngeschichten in der frühen Kindheit (Leu & Flämig, 2007), am Übergang vom Kindergarten in die Grundschule (DJI, 2009a), im Hort (DJI, 2009b), in der Kindertagespflege (DJI, 2010) und für Kinder mit besonderem Förderbedarf (DJI, 2009c).

Ein weiteres Verfahren, das einen besonders prozess- und stärkenorientierten Blick auf das Kind ermöglicht, sind die sogenannten Stufenblätter. Diese Dokumentationsform steht sowohl für die Krippe/Krabbelstube (Bostelmann, 2010a), den Kindergarten (Bostelmann, 2010b) als auch für die Grundschule (Bostelmann, 2010c) zur Verfügung und trägt damit ebenfalls der Forderung nach Anschlussfähigkeit Rechnung. Aufgrund der Tatsache, dass es sich hier um eine Beobachtungsdokumentation handelt, die sich nicht an standardisierten Altersnormen orientiert, sondern tatsächlich die individuelle Entwicklung des Kindes in verschiedenen Entwicklungsbereichen in den Mittelpunkt rückt, erscheint dieses Verfahren ganz besonders für die Entwicklungsdokumentation geeignet.

Im Kindergarten wird z. B. die Sprachentwicklung eines Kindes mittels BESK’ 4–5 (BIFIE, 2011a) bzw. des BESK DaZ (BIFIE, 2011b) eingeschätzt. Werden die darauf aufbauenden Förderpläne ausgetauscht, kann die Schule an diese Arbeit nahtlos, d. h. ohne Zeitverlust anschließen.

Für einen gelingenden Transitionsprozess braucht es nicht nur den Austausch zwischen den einzelnen Pädagoginnen und Pädagogen, sondern darüber hinaus auch eine kontinuierliche und institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen Kindergarten und Grundschule.

Modelle zur Gestaltung des Transitionsprozesses zwischen Kindergarten und Volksschule

Im Folgenden werden zwei Modelle für eine kontinuierliche und institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen Kindergarten und Grundschule vorgestellt.

Faust (2012) geht von der Gestaltung des Transitionsprozesses auf drei Säulen aus (vgl. Abbildung 2). Während Vorhaben für die Kinder (u. a. gemeinsame Theaterbesuche, Leseprojekte, gegenseitige Schul- und Kindergartenbesuche) und auch gemeinsam organisierte Elternabende bereits im pädagogischen Alltag durchgeführt werden und weit verbreitet sind, gilt es zukünftig im Transitionsprozess den Fokus auch auf die Pädagoginnen und Pädagogen zu richten: Die Organisation gemeinsamer Fortbildung und institutionsübergreifender Betriebsausflüge können die Kooperation beispielsweise weiter vertiefen.

Abbildung 2: Kooperation auf drei Säulen (eigene Darstellung in Anlehnung an Faust, 2012, S. 15)

Gräsel, Fußangel & Pröbstel (2006) sowie Hanke et al. (2013) betonen in ihrem Modell Kooperationsniveaus auf drei Stufen:

–   Auf der ersten Stufe geht es vorrangig um die wechselseitige Information. Die Kooperation beruht überwiegend auf dem Austausch über Gegebenheiten und Vorhaben. Wesentliches Ziel dabei ist, sich gegenseitig kennenzulernen und ggf. bestehende Vorurteile abzubauen.

–   Das Niveau 2 kennzeichnet sich dadurch, dass die Durchführung gemeinsamer Kooperationsformen arbeitsteilig stattfindet. Die Aufteilung von Aufgaben bei der Kooperation der Pädagoginnen und Pädagogen aus dem Kindergarten und der Grundschule erfolgt unter Berücksichtigung der Stärken der jeweiligen Kooperationspartner. So wird etwa nicht nur die andere Institution zu einem Fest eingeladen und darüber informiert, sondern das Fest wird unter Aufteilung der Aufgaben gemeinsam geplant und gestaltet. Zum Beispiel wird von Kindergartenkindern ein Theaterstück aufgeführt, das von den Schulkindern musikalisch begleitet wird.

–   Die dritte Stufe der Kooperationsniveaus ist die Ko-Konstruktion. In der Zusammenarbeit findet ein gemeinsamer Austausch von Pädagoginnen und Pädagogen aus dem Kindergarten und der Grundschule in der Form statt, dass sie sich gemeinsam neues Wissen aneignen und gemeinsam zu neuen Aufgaben- und Problemlösungen gelangen. Die praktische Umsetzung gelingt, wenn Pädagoginnen und Pädagogen an gemeinsamen Fortbildungen teilnehmen, etwa in Form der Einladung der Pädagoginnen und Pädagogen aus dem Kindergarten zu den sogenannten SCHILFs (schulinternen Lehrerfortbildungen) oder die gemeinsame Absolvierung von Lehrgängen wie etwa dem Lehrgang „Frühe sprachliche Förderung“ an der Pädagogischen Hochschule Salzburg Stefan Zweig.

Abbildung 3: Kooperationsniveaus (eigene Darstellung in Anlehnung an Gräsel, Fußangel & Pröbstel, 2006 sowie Hanke et al., 2013)

Selbstverständlich haben in der Kooperation von Kindergarten und Grundschule alle drei Niveaus ihre Berechtigung und Bedeutung und die Sinnhaftigkeit der Wahl des Niveaus ist stets in Abhängigkeit der Kooperationsform zu betrachten und zu variieren.

Wirkung kooperativer Übergangsgestaltung auf Kinder, Eltern und Pädagoginnen und Pädagogen

Forschungsbefunde aus Finnland (Ahtola et al., 2011) zeigen, dass z. B. ein einmaliger Besuch der Schule bzw. des Unterrichts noch keine Wirkung auf die spätere schulische Entwicklung des Kindes hat. An dieser Stelle sei erwähnt, dass diese Form aktuell jedoch noch die in Salzburg am häufigsten praktizierte ÜbergangsAktivität ist (vgl. Fageth, 2014). Hingegen hat das Praktizieren vieler unterschiedlicher Kooperationsformen einen positiven Einfluss auf die spätere schulische Entwicklung des Kindes und ist für die Entfaltung der Fähigkeiten und Kompetenzen im Bereich Lesen, Schreiben und Mathematik bedeutsam. Besonders wirksam sind Kooperationsformen wie „bildungsstufenübergreifender Austausch über Curricula“ sowie die „Weitergabe schriftlicher Informationen über die Kinder“ zwischen Kindergarten und Grundschule. Diese Weitergabe von Bildungsdokumentationen oder ggf. von Förderplänen vom Kindergarten an die Grundschule ist seit 2014 auch in Salzburg unter gewissen rechtlichen Voraussetzungen (schriftliche Einverständniserklärung der Eltern) möglich und darüber hinaus erwünscht.

LoCasale-Crouch et al. (2008) bestätigen für die USA diese Ergebnisse aus Finnland und stellen weiters fest, dass durchschnittlich ca. 5,95 verschiedene Aktivitäten zur Übergangsgestaltung von den Pädagoginnen und Pädagogen in Kindergarten und Schule umgesetzt werden. Sie weisen auch darauf hin, dass Kinder von ihren Lehrpersonen positiver in Bezug auf ihr Problemverhalten und ihre Sozialkompetenzen eingeschätzt werden, je mehr Übergangsaktivitäten praktiziert werden. Darüber hinaus zeigt sich ein positiver Zusammenhang für Kinder aus sozialen und ökonomischen Risikofamilien.

Laut einer deutschen Untersuchung von Hanke et al. (2013) nimmt ein Drittel der Kindergarten-Eltern und sogar 38% der Grundschul-Eltern keine Kooperation zwischen Kindergarten und Schule wahr. Dieses Ergebnis ist möglicherweise auch für Österreich ein Aufruf, in der Elternarbeit auf noch mehr Transparenz und Information zu achten. Jene Eltern aber, die eine Kooperation wahrgenommen hatten, fühlten sich sowohl vor als auch nach der Einschulung stärker entlastet und waren dem Transitionsprozess gegenüber positiver eingestellt.

Auf Ebene der Pädagoginnen und Pädagogen bemerken Hanke et al. (2013), dass insbesondere hinsichtlich des Informationsaustauschs eine positive Wirkung durch die kooperative Übergangsgestaltung festgestellt werden kann. 70% bis 80% der Befragten berichten darüber hinaus, dass durch die Kooperation auch Verständnis und Vertrauen zwischen Kindergarten und Schule gewachsen sind. Ebenso gibt knapp die Hälfte der befragten Pädagoginnen und Pädagogen an, dass durch die Kooperation eine fachliche Weiterqualifizierung stattgefunden hat.

„Übergänge gestalten“ – Kooperation auf allen Ebenen im Bundesland Salzburg

Seit dem Jahr 2008 wird im Bundesland Salzburg dem Thema Transition besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Im Rahmen von Fachtagungen zum Projekt „Übergänge gestalten“ erhalten die Leiterinnen und Leiter von Kindergarten und Grundschule einerseits neue fachliche Inputs zum Thema und haben andererseits Gelegenheit, sich auszutauschen und die Kooperation zwischen ihren Einrichtungen zu intensivieren. Diese Tagungen werden vom Kindergartenreferat des Landes, vom Landesschulrat für Salzburg, dem Zentrum für Kindergartenpädagogik und der Pädagogischen Hochschule Salzburg Stefan Zweig organisiert. Die Transition wird damit auch auf übergeordneter Ebene realisiert.

Bei der Erhebung „Projekte zum Thema Übergänge gestalten 2009/2010“ (Land Salzburg, 2010) wurde von den teilnehmenden Pädagoginnen und Pädagogen aus den Kindergärten und Schulen eine Fülle von bereits praktizierten Kooperationsformen angegeben: Schnuppertage für Schulanfängerinnen und Schulanfänger werden an nahezu allen Standorten durchgeführt, häufig genannt werden auch gemeinsame Elternabende, gemeinsame Feste und Feiern, Leseprojekte und Lesepartnerschaften sowie Informationsaustausch auf Leitungsebene und gegenseitige Besuche. Diese Aktivitäten sind verständlicherweise in ländlichen Gebieten leichter zu organisieren, wo meist nur ein Kindergarten und eine Grundschule zusammenarbeiten. Eine besondere Herausforderung stellen diese Kooperationen – nach wie vor – im städtischen Bereich dar, da hier die Kinder von verschiedenen Kindergärten in unterschiedliche Schulen wechseln. Zentral ist hierbei jedoch nicht, dass konkret mit der einen zukünftigen Schule bzw. der einen zukünftigen Lehrkraft des Kindes kooperiert wird, sondern ganz allgemein, dass das Kind mit dem „System“ Schule vertraut wird.

Seit 2013 werden die Kooperationspartnerschaften zwischen den einzelnen Kindergärten und Grundschulen weiter vertieft und die fachliche Vernetzung sowie die Aktivitäten auf Ebene der Ko-Konstruktion ausgebaut.

Zusammenfassend sei festgehalten, dass ein gemeinsames Bildungsverständnis, die Vernetzung auf persönlicher und fachlicher Ebene, die Betonung sowie Berücksichtigung des Entwicklungsalters und weniger des Geburtsalters, der Austausch über die Bildungsdokumentation auf professioneller Ebene und gemeinsame Ziele die Grundlagen für einen gelingenden Transitionsprozess zwischen den beiden Bildungsinstitutionen Kindergarten und Grundschule sind (vgl. Fageth, 2015). Gute Kooperation erhöht die Bildungschancen für jedes Kind. Vor diesem Hintergrund ist die professionelle Gestaltung des Transitionsprozesses in jedem Fall lohnend.

Literatur

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1 An dieser Stelle muss betont werden, dass der aktuelle Lehrplan auf einer Fassung aus dem Jahr 1986 (Wolf, 2004, S. 67f) beruht und der BildungsRahmenPlan aus dem Jahr 2009 damit wesentlich jüngeren Datums ist.

GENDER

Silvia Kronberger

Die unerhörten Geschlechterfragen – Gendertheoretische Diskurse und die schulische Praxis

„On ne naît pas femme …“

Der Marmorsaal im Salzburger Schloss Mirabell ist berühmt dafür, einer der schönsten Orte der Welt für Hochzeitszeremonien zu sein. Täglich lassen sich dutzende Paare in dem Schloss trauen, das einst der katholische Erzbischof WolfDietrich von Raithenau für seine Lebensgefährtin Salome Alt errichten ließ, die beiden hatten gemeinsam 15 Kinder.

Vielleicht ist es diese Tradition, die die Salzburger Stadtväter bis in die 1980er Jahre dazu bewog, den Bräuten bei dieser Zeremonie den Salzburger Brautführer