Doktor Karen Horns Ökonomische Hausapotheke - Karen Horn - E-Book

Doktor Karen Horns Ökonomische Hausapotheke E-Book

Karen Horn

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Beschreibung

Gewöhnlich hängt sie im Bad an der Wand, als Blechkasten mit rotem Kreuz auf weissem Grund: die Hausapotheke. So einen praktischen Blechkasten, an dem man sich nach Bedarf bedienen kann, könnte man auch für andere Belange gut gebrauchen. Etwa, wenn man sich auf die Wirtschaft wieder einmal keinen Reim machen kann. Oder wenn wirtschaftspolitische Forderungen erhoben werden, die fast so plausibel erscheinen wie die Einwände dagegen. Wer es ganz genau wissen will, kommt wohl um ein Ökonomiestudium nicht herum. Doch ein Anfang wäre mit diesem kleinen Buch schon gemacht. Angelehnt an Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke, präsentiert Karen Horn den Reichtum der Ideen aus der ökonomischen Theoriegeschichte. Es kommen vor: Walter Eucken, Milton Friedman, Friedrich August von Hayek, Thomas Hobbes, John Maynard Keynes, Alan Krueger, Ludwig von Mises, Wilhelm Röpke, Paul A. Samuelson, Thomas Schelling u.a.

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Bibliografische Information der DeutschenNationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2019 NZZ Libro, Schwabe Verlagsgruppe AG

Der Text des E-Books folgt der gedruckten 1. Auflage 2019 (ISBN 978-3-03810-404-9)

Lektorat: Ingrid Kunz Graf, Stein am Rhein

Umschlaggestaltung: TGG Hafen Senn Stieger, St.Gallen

Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.

ISBN E-Book 978-3-03810-433-9

www.nzz-libro.ch

NZZ Libro ist ein Imprint der Schwabe Verlagsgruppe AG.

Vorwort

Üblicherweise hängt sie im Badezimmer an der Wand, als kleiner Blechkasten mit rotem Kreuz auf weissem Grund: die Hausapotheke. Manche Leute verstauen sie auch nur in einem Schuhkarton im Kleiderschrank. Aber auch dann finden sich darin Kopfschmerztabletten, Fieberthermometer, Hustensaft, Verbandsmaterial und vieles andere mehr. Was man eben so braucht, wenn es einem einmal nicht gut geht. Sie ist praktisch und ein bisschen beruhigend, die Hausapotheke, jene allzeit verfügbare medizinische Grundversorgung für den Alltag. Wer sie nicht hat, dem fehlt etwas.

So einen kleinen Apothekenschrank an der Wand oder im Schuhkarton, der alles Wichtige enthält, an dem man sich bei Bedarf bedienen kann – ja, den könnte man doch auch für andere Belange sehr gut gebrauchen. Da fiele einem so Manches ein, bis hin sogar zu wirtschaftlichen Fragen, die ja einiges an Magendrücken zu verursachen imstande sind. Zum Beispiel wenn man sich auf die Vorgänge auf den Weltmärkten wieder einmal keinen Reim machen kann. Oder wenn Leute wirtschaftspolitische Forderungen erheben, die einem fast so plausibel erscheinen wie die Einwände dagegen. Wer es ganz genau wissen will, der kommt zwar wahrscheinlich um ein Studium der Ökonomik nicht herum, wie auch die Hausapotheke nicht den Gang zum Arzt erspart, wenn es einmal kritisch wird. Und selbst dann ist man leider noch nicht gleich geheilt. Doch eine kleine Linderung fände sich vielleicht schon in einer Art kleinem Apothekenschrank der ökonomischen Grundversorgung, einem ideengeschichtlichen Vorrat im Lauf der Jahrhunderte errungener und bis heute so spannender wie bedenkenswerter wirtschaftstheoretischer Einsichten.

Hier ist er nun also, dieser kleine Apothekenschrank der Ökonomik, bestückt mit 50 kurzen Glossen, in denen jeweils eine Idee, eine Überlegung, eine Theorie, ein Konzept oder eine Diskussion vorgestellt, erklärt und eingeordnet wird, von der Antike bis hin zur Gegenwart. Es folgen jeweils, ganz knapp, die Herstellerangaben: Kurzporträts der Denker dahinter, Hintergrundinformation zu deren Werk, eine Auswahl an Schriften sowie ergänzende Literatur. Unter den ausgewählten Schriften ist diejenige Publikation mit einem kleinen Pfeil markiert, auf die sich die Glosse bezieht. Und noch ein Nutzungshinweis: Falls Sie direkt nach einem spezifischen Autor suchen möchten, bedienen Sie sich dafür am besten des biografischen Registers am Ende des Buches.

Nicht immer geht es um gerade jene Ideen, für die man diese Denker üblicherweise kennt. Lassen Sie sich überraschen. So oder so ist das Ziel, ihren Gedankenreichtum für Fragen von heute nutzbar zu machen. Denn anders als Arzneimittel haben Ideen nicht wirklich ein Verfallsdatum. Es lohnt sich immer, sich neu auf sie einzulassen, es einmal mit ihnen zu probieren. Manche kommen einem so selbstverständlich vor wie die Erkenntnis, dass man bei Fieber nicht noch körperlich schwer arbeiten sollte. Andere hingegen sind derart skurril, dass man sie doch besser gleich wieder vergisst, wie manche mittelalterliche Heilmethoden auch. Und noch weitere bringen einen dazu, den vom vielen Nachdenken geplagten Kopf zu lüften und dann beherzt um die Ecke zu denken. Manche lassen einen sofort frei durchatmen, wieder andere schmecken fast so scheusslich wie eine Gurgellösung und verstärken erst noch das bestehende Unwohlsein. Doch oft können gerade sie helfen, sich ein wenig Klarheit zu verschaffen und die wirtschaftliche Gegenwart zu begreifen, und sei es bloss aus der Sicht von Leuten, deren Meinung man eigentlich für unrettbar falsch hält.

Die 50 Bestandteile dieser Ökonomischen Hausapotheke sind in leicht veränderter Form zu einem grossen Teil aus einer ideengeschichtlichen Kolumne hervorgegangen, die ich für die Neue Zürcher Zeitung schreiben durfte – wofür ich mich vor allem bei deren Wirtschaftsressortleiter Peter Fischer bedanken möchte. Es empfiehlt sich, diese Mittelchen nicht alle auf einmal zu schlucken, sondern sich je nach Bedarf, nach Lust und Laune, aber bitte unbedingt in bekömmlicher Dosis, an das eine oder andere Thema heranzuwagen. Es sind leichte, wertende Stücke, Glossen eben, die keinerlei Anspruch darauf erheben, für die ganze ökonomische Wissenschaft zu stehen oder die betreffenden Gedanken schon erschöpfend zu behandeln. Auch Wundermittel sind sie nicht. Sie sollen bloss einen Denkanstoss geben. Sie sollen, wie man in der Medizin sagt, einen Reiz setzen. Und das nicht nur mit einer klaren, oft auch kritischen Meinung, mal mehr spöttisch, mal mehr nachdenklich vorgetragen, sondern vor allem eben untermauert mit einem beachtenswerten theoretischen Ansatz.

Der Einfall, die Kolumne – und nun auch das Buch – Ökonomische Hausapotheke zu nennen, war zugegeben ein wenig kühn. Natürlich war er seinerzeit inspiriert von der heissgeliebten Lyrischen Hausapotheke Erich Kästners, die 1936 in der Schweiz erschien. Welch Anmassung, mag man da hervorstossen, alte, doch eher seelenlose ökonomische Theorien auf dieselbe Stufe zu stellen wie die «seelisch verwendbaren Strophen» des Dichters! In der Tat, das geht nicht. Doch Kästners hübsche Idee der Mittelchen zur Bewältigung der Gegenwart, die lässt sich schon gut übertragen. Und parallel zu seinem «Nachschlagewerk, das der Behandlung des durchschnittlichen Innenlebens gewidmet ist», kann es doch vielleicht auch ein solches zur Behandlung des durchschnittlichen ökonomischen Rätselns geben, oder? Es richtet sich ja ebenfalls, «zumeist in homöopathischer Dosierung, gegen die kleinen und grossen Schwierigkeiten der Existenz» – der wirtschaftlichen, wohlgemerkt.

Sehen Sie, dagegen lässt sich nicht so furchtbar viel einwenden. Und so ist es also geschehen; heute halten Sie die Ökonomische Hausapotheke in der Hand. Darum also nehme man nun das passende Mittel, je nachdem, in welcher Rolle man sich gerade wiederfindet: als ein Mensch vielleicht, der erst einmal nur überhaupt irgendeinen Zugang zum sperrigen ökonomischen Fach gewinnen und seinen konzeptionellen Grundbedarf decken will; als Verbraucher oder Produzent oder beides zugleich, der wirtschaftliches Verhalten grundsätzlich verstehen will; als Pfennigfuchser, der man doch eigentlich ist und schon immer war; als Weltenbummler, der das Offene sucht und in der Weite den internationalen Handel findet; als Rivale, der sich nicht nur auf dem wirtschaftlichen Markt im Wettbewerb bewegt; als Staatsbürger mit einer Vorstellung davon, was in einem wohlgeordneten Land im politischen Prozess gemeinschaftlich zu regeln ist. Oder eines nach dem anderen. Auf die so überschriebenen Kapitel jedenfalls sind die Glossen und zugehörigen Kurzporträts samt Hintergrundinformationen verteilt. Ein biografisches Register am Ende des Buches erleichtert wie gesagt das Auffinden der Denker.

Und nun: Die Ökonomische Hausapotheke möge ihren Zweck erfüllen!

Karen Horn, Zürich, im Frühjahr 2019

NutzbringendesThemenverzeichnis

Grundausstattung

Wozu dient das Ganze?Eine Lehre von Zielen und Mitteln

Wie tickt der Mensch?Vom Economic man zum Homo oeconomicus

Was bringt uns Nutzen?Vom ersten bis zum letzten Bier

Wozu eigentlich Eigentum?Mein und Dein

Wann geht die Rechnung auf?Der Auktionator und das allgemeine Gleichgewicht

Was ist wichtiger, Angebot oder Nachfrage?Die zwei Seiten der Gesamtwirtschaft

Was gilt es immer zu bedenken?Was man sieht und was man nicht sieht

Wie beeinflussen sich Wirtschaft und Gesellschaft?Von Sein und Bewusstsein

Für Verbraucher und Produzenten

Woher kommt der Wohlstand?Die Kraft der Arbeitsteilung

Wozu Firmen und Konzerne?Lieber im eigenen Haus

Was tun Unternehmer?Die Unruhestifter und das Gleichgewicht

Wohin mit dem Laden?Die Strasse der Waschbecken

Wann setzt sich nicht das Beste durch?Die Maschen des Netzes

Wieso alle gleich behandeln?Kosten der Diskriminierung

Warum wird alles teurer?Keine Kur für die Kostenkrankheit

Was soll die Angeberei?Das ewige Ringen um Status

Warum bitte so lässig?Verführung zum Leichtsinn

Für Pfennigfuchser

Wehret dem Mammon!Der Geruch des Geldes

Was ist Verschwendung?Warum Luxus kein Luxus ist

Wie verändert uns das Geld?Die kalkulierende Rationalität der Moderne

Weshalb macht mehr Geld nicht glücklicher?Neid, Gewohnheit und optische Täuschung

Warum steigen die Preise?Regeln für Gelddrucker

Wozu der Zins?Zeit ist Geld

Welcher Zins genau?Geldmiete im Keller

Wie viel auf die hohe Kante?Wer nicht spart in der Zeit

Wann haben wir ausgesorgt?Das Experiment Grundeinkommen

Für Weltenbummler

Wann lohnt sich Aussenhandel?Jedem seinen Vorteil

Was kostet das?Der richtige Wechselkurs

Wer muss wandern?Hauptsache Effizienz

Warum päppeln wir heimische Industrien?Zölle für den Fortschritt

Wer darf mitmachen?Die Sache mit den Klubs

Wieso nicht lieber allein?Kosten der Sezession

Warum nicht einfach abhauen?Loyalität im Exil

Warum wird jemand Terrorist?Der Lockruf der Gewalt

Für Rivalen

Was ist das Problem mit dem Monopol?Mengen, Preise, Renten

Was bringt der Wettbewerb?Wie das Neue in die Welt kommt

Wie sieht Ordnung aus?Der Freiburger Kanon

Wie Kartelle auflösen?Den Knoten zerschlagen

Warum nicht noch mehr regulieren?Von Nähe und Anmassung

Was bewirken Patente?Kontrollierte Monopole

Wozu Wettbewerb zwischen Staaten?Steuerliche Extrawürste

Woher kommt der Populismus?Produzenten von Hass

Für Staatsbürger

Was soll der Staat tun?Menschen und Hosen

Was soll der Staat lassen?Drahtesel überall

Wieso ist die zweite Runde anders?Krise und Depression

Warum eigentlich wählen gehen?Die Logik des Denkzettels

Wieso sind Versprechen manchmal wenig wert?Der Zahn der Zeit

Wer wird einflussreich?Von Bauern und ihren Kartoffeln

Wann muss keiner verlieren?Reformen für alle

Wie verhindert man Krieg?Effektive Abschreckung

Register

Allgemeine Leseempfehlungen

Über das Buch und die Autorin

Grundausstattung

Wozu dient das Ganze?

Eine Lehre von Zielen und Mitteln

«Nationalökonomie ist, wenn die Leute sich wundern, warum sie kein Geld haben.» So hat Kurt Tucholsky 1931 zusammengefasst, was den Kern jenes Fachs ausmacht, das er als «Metaphysik des Pokerspielers» verlachte. Der deutsche Schriftsteller traf damit wenigstens insofern einen wunden Punkt, als die fortlaufende, kontroverse, mitunter auch zagende Selbstvergewisserung ihrer Vertreter über den Gegenstand der eigenen Bemühungen zu den Eigentümlichkeiten der Ökonomik gehört.

Das Fach selbst ist jung. Zwar haben die Menschen schon immer mit Knappheit umgehen müssen, und kluge Köpfe haben zu allen Zeiten über die Zusammenhänge und Gesetzmässigkeiten dieses Wirtschaftens nachgedacht. So stammt der Begriff «Oikonomia» aus der Antike, wo er indes nur die Tugend der guten Haushaltsführung bezeichnete. Als eigene Disziplin hat sich die Ökonomik erst im Zug der Aufklärung herausgebildet; das erste zusammenhängende gedankliche System zu der Frage nach den Bedingungen und dem Prozess der Entstehung von Wohlstand legte Adam Smith 1776 mit seiner berühmten Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations vor. Seither beginnt kein Lehrbuch ohne den Versuch, zunächst einmal auf einen Begriff zu bringen, um was es in dem Fach eigentlich geht. Die Unterschiede zwischen diesen Definitionen sind gross.

Die klassische Definition, die bis heute in jeder Einführungsvorlesung zur Volkswirtschaftslehre zu hören ist, stammt von Lionel Robbins und aus dem Jahr 1932: «Ökonomik ist eine Wissenschaft, die menschliches Verhalten als Beziehung zwischen gegebenen Zielen und knappen Mitteln mit alternativen Verwendungen untersucht.» Auf den ersten Blick klingt das einleuchtend. So kann man analysieren, wie zum Beispiel Unternehmer möglichst viel Gewinn erzielen, indem sie über den effizienten Einsatz knapper Produktionsfaktoren entscheiden, die sich auf verschiedene Weise nutzen und kombinieren lassen. Oder was Verbraucher tun müssen, wenn sie mit dem wenigen Geld, das sie gerade in der Tasche haben, möglichst viel anfangen wollen. Selbst Themen, die nicht der engeren wirtschaftlichen Sphäre angehören, lassen sich in dieses Raster einfügen, zum Beispiel die Frage nach der «optimalen» Partnerwahl. Von Kritikern als «Imperialismus» gegeisselt, bieten sich solche Weiterungen durchaus an, wenn man die Ökonomik als Entscheidungstheorie begreift.

Aber soll das schon alles sein? Wozu braucht man eine Wissenschaft, wenn doch jeder Computer solche statischen Aufgaben der linearen Programmierung zu lösen vermag? Anspruchsvoller als eine derartige Fokussierung der Effizienz ist eine offene Herangehensweise, die es erlaubt, die Dynamik des wirtschaftlichen Koordinationsprozesses in den Blick zu nehmen und alles das zu hinterfragen, was im herkömmlichen Robbins’schen Ansatz ausgeblendet bleiben muss. Was ist zum Beispiel, wenn Ziele und Mittel entgegen der üblichen Annahmen nicht gegeben, sondern veränderlich sind? Wenn die Menschen selbst gar nicht so genau wissen, sondern erst lernen, was ihren Nutzen steigert? Wenn es am Wissen über Möglichkeiten und Mittel mangelt? Oder wenn sich reale Personen anders verhalten als im Modell? Wer solche Fragen angehen will, der ist gut beraten, die Ökonomik in aller Breite als ein Fach zu betrachten und zu betreiben, das der Analyse von Kooperationsprozessen zum gegenseitigen Vorteil aller Beteiligten gewidmet ist. Das ist auch wesentlich spannender.

Lionel Robbins

Lionel Charles Robbins kam am 22.November 1898 in Sipson, einem Dorf am westlichen Rand der britischen Hauptstadt London, als Bauernsohn auf die Welt. Er studierte am University College London und an der London School of Economics (LSE), wo er von 1925 an auch selbst den Lehrstuhl für Political Economy innehatte. Zu seinen Lehrern gehörten Harold Laski, Edwin Cannan und Hugh Dalton. An der LSE war er eine prägende Figur. In der Zeit der beiden sich ausbreitenden Totalitarismen in Europa betreute er den Academic Assistance Fund seiner Hochschule, der Flüchtlingen aus der Wissenschaft finanzielle Unterstützung gewährte. Während des Zweiten Weltkriegs leitete er zudem die ökonomische Abteilung im Offices of the War Cabinet und war Delegierter der britischen Regierung auf der Bretton-Woods-Konferenz, auf der die Entscheidung fiel, die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds zu gründen. Im Jahr 1959 wurde er zum Life Peer erhoben und trug fortan den Titel Baron Robbins of Clare Market in the City of Westminster. Von seinem Lehrstuhl trat er 1961 zurück, um Chairman der Zeitung Financial Times zu werden. Lionel Robbins starb am 15. Mai 1984 in London.

WERK Am bekanntesten ist Lionel Robbins heute für seine methodologische Auseinandersetzung mit der Volkswirtschaftslehre. Im Zentrum stehen sein breites Paradigma der Ziel-Mittel-Beziehungen, seine Abgrenzung von normativer und positiver Theorie sowie seine apriorische Methode der Herleitung ökonomischer Gesetzmässigkeiten. Doch sein Wirken war breiter. Robbins befasste sich unter anderem mit dem Zusammenhang von Arbeitsangebot und Lohn sowie mit der Konjunkturtheorie. Hier stand er den Staatseingriffen gegenüber skeptischen, einen subjektiven Wertbegriff pflegenden Denkern der österreichischen Schule wie Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek nahe, zu denen er engen Kontakt pflegte. Im berühmten Streit über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer sozialistischen Wirtschaftsrechnung stand er auf ihrer Seite. Nach den Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg hingegen erkannte er an, dass es Situationen tiefer wirtschaftlicher Instabilität geben kann, in denen ein aktives staatliches Gegensteuern erforderlich ist, und bedankte sich bei John Maynard Keynes und Joan Robinson dafür, ihn mit ihrer Arbeit aus seinem «dogmatischen Schlummer» geweckt zu haben. In den späteren Jahren befasste er sich vertieft mit ideengeschichtlichen Fragen.

Ausgewählte Schriften

→ Essay on the Nature and Significance of Economic Science (1932), London, Macmillan.

The Great Depression (1934), London, Macmillan.

Classical Political Economy (1952), London, Macmillan.

The Evolution of Modern Economic Theory and Other Papers on the History of Economic Thought (1970), London, Macmillan.

Zur Vertiefung

Resende, Marcelo und Rodrigo M. Zeidan (2007), Lionel Robbins, A methodological reappraisal, CESifo Working Paper Nr. 2165.

Wie tickt der Mensch?

Vom Economic man zum Homo oeconomicus

Kaum eine analytische Abstraktion steht so in der Kritik wie der Homo oeconomicus. Nicht nur Anthropologen, Psychologen, Philosophen und Soziologen spotten darüber. Weil es nun einmal kein Geheimnis ist, dass niemand laufend vollständig rational, bestens informiert und eigennützig seine Entscheidungen trifft, hadern auch die Ökonomen selbst mit dieser Annahme, die sie vielen ihrer Modelle zugrunde legen – und versuchen sie mithilfe der modernen Verhaltensforschung zu korrigieren. Doch das Problem bräuchte eigentlich gar keines zu sein. Es entsteht erst durch Zuspitzung, Missverständnisse und undifferenzierten Umgang. Der Homo oeconomicus ist weder ein ideales Menschenbild noch eine Doktrin, sondern schlicht ein Instrument, das hilft, bestimmte Forschungsfragen genauer zu fokussieren und ökonomische Gesetzmässigkeiten herauszuarbeiten.

Es lohnt sich in diesem Zusammenhang, den methodologischen Aufsatz → On the definition of political economy von John Stuart Mill aus dem Jahr 1844 zur Hand zu nehmen und ihn genau zu lesen. In der für ihn typischen versöhnlichen Abgewogenheit bei konzeptioneller Strenge begrenzt der englische Philosoph und Ökonom darin den Gegenstand der politischen Ökonomie als Wissenschaft, wie er sie sieht. Er beschreibt, warum es der Balance von Abstraktion und Allgemeinheit bedarf, der gegenseitigen Kontrolle von theoretischer Herleitung und praktischer Beobachtung, der Übersetzung wissenschaftlicher Erkenntnis in konkrete Politik, der Konfrontation mit den Nachbardisziplinen. Ausgerechnet ihm schiebt man bis heute die Erfindung des Homo oeconomicus in die Schuhe.

Ein näherer Blick in den Originaltext zeigt zudem, dass Mill die modernen Homo-oeconomicus-Annahmen wie perfekte Rationalität, Information und Eigennützigkeit noch vollkommen fremd sind, die erst in der entscheidungstheoretischen Verengung der ökonomischen Analyse im 20. Jahrhundert aufkamen. Mills Abstraktion besteht bloss darin, sich in wirtschaftlicher Perspektive speziell für den Menschen als Wesen zu interessieren, «das Reichtum besitzen möchte und die relative Effizienz der Mittel zum Erreichen dieses Zieles beurteilen kann». Das bedeute indes nicht, erklärt Mill, dass dieser Antrieb der einzige oder auch nur dominant sei. Niemand, meint er, könne so töricht sein, das anzunehmen. Absichtlich von dieser Prämisse des «Economic man» auszugehen, sei jedoch der einzige Weg, relevante Zusammenhänge zu isolieren. Für die Zwecke der Ökonomik seien die vielfältigen anderen Bestrebungen nur in jenem Masse zu berücksichtigen, wie sie das Erwerbsmotiv erheblich konterkarierten, beispielsweise die Sehnsucht des Menschen nach Freizeit und nach Familienglück.

Dahinter steht Mills Verständnis der Ökonomik als Wissenschaft zur Erforschung jener komplexen «Phänomene, die sich aus dem Zusammenwirken der Menschen bei der Produktion von Reichtum ergeben, soweit diese Erscheinungen nicht durch das Anstreben irgendeines anderen Zieles modifiziert werden». Es geht also nicht vor allem um einzelwirtschaftliche Entscheidungen, sondern mehr um die umfassendere Frage, «wie die Menschheit unter dem Einfluss dieses Strebens Reichtum akkumuliert, wie sie durch gegenseitige Übereinkünfte die Institution des Eigentums sanktioniert, wie sie verschiedene Verfahren entwickelt, um die Produktivität ihrer Arbeit zu steigern, wie sie die Verteilung des Produkts vertraglich regelt, unter dem Einfluss der Konkurrenz». Alle anderen Fragen liessen sich allein mit der Ökonomik nicht beantworten, betont Mill. So viel Bescheidenheit muss sein.

John Stuart Mill

John Stuart Mill wurde am 20. Mai 1806 in Pentonville geboren, einem nördlichen Stadtbezirk Londons. Sein Vater, der Ökonom und Historiker James Mill, wollte aus dem sensiblen und vielseitig begabten Sohn ein Genie formen und liess ihm schon als Kleinkind eine stramme Ausbildung angedeihen. Im Alter von 16 Jahren trat Mill in die Dienste der East India Company ein, der mit allerlei Sonderrechten versehenen britischen Handelsgesellschaft. Dort legte er eine erfolgreiche Karriere hin, hatte 38 Jahre ein gutes Auskommen und fand nebenbei auch noch genug Zeit für sein wissenschaftliches Werk. Er heiratete 1851 Harriet Taylor, mit der ihn seit mehr als zwei Jahrzehnten eine intellektuelle Symbiose und tiefe Freundschaft verband, zwei Jahre nach dem Tod ihres ersten Ehemanns. Mithilfe einer grosszügigen Rente zog sich Mill 1858 aus dem offiziellen Berufsleben zurück und konzentrierte sich auf seine Studien. Im Jahr 1865 wurde er Abgeordneter der liberalen Whigs im britischen Unterhaus. Nach dem Ausscheiden aus der Politik zog er sich ins südfranzösische Avignon zurück. Dort starb John Stuart Mill am 8. Mai 1873.

WERK John Stuart Mill zählt zu den vielseitigsten und einflussreichsten freiheitlichen Philosophen und sozialreformerischen Ökonomen seines Jahrhunderts. Sein philosophisches Werk On Liberty (1859) enthält elementare Bausteine des liberalen Denkens, die heute nicht mehr wegzudenken sind, insbesondere das «harm principle», nach dem der einzige Zweck, um dessentwillen man mit Recht gegen ein Mitglied der Gesellschaft Gewalt gebrauchen darf, darin besteht, Schaden für andere zu verhüten. In seinen politischen Schriften setzte sich Mill unter anderem nachdrücklich für die rechtliche Gleichstellung und das Wahlrecht der Frau ein. In seinem ökonomischen Hauptwerk Principles of Political Economy (1848) bündelte er den damaligen Theoriebestand über die Quellen des Wohlstands in einer an das Werk von David Ricardo angelehnten Synthese. Die hieran anschliessende, bis heute dominierende neoklassische Theorie wäre nicht denkbar ohne Mills Betonung von Nutzen und Opportunitätskosten; ohne seine Trennung von Produktion und Verteilung; ohne seinen Economic man.

Ausgewählte Schriften

→ On the definition of political economy, and on the method of philosophical investigation in that science (1836), London and Westminster Review, Oktober, S. 1–29.

A System of Logic, Ratiocinative and Inductive, Being a Connected View of the Principles of Evidence, and the Methods of Scientific Investigation (1843), London, Parker.

Principles of Political Economy (1848), London, Parker.

On Liberty (1859), London, Parker.

Utilitarianism (1861), Fraser’s Magazine, London.

Zur Vertiefung

Hayek, Friedrich August von (1951), John Stuart Mill and Harriet Taylor, Their Friendship and Subsequent Marriage, London, Routledge and Kegan Paul.

Horn, Karen (2018), John Stuart Mill und der Homo oeconomicus, in: Hans G. Nutzinger und Hans Diefenbacher (Hrsg.), John Stuart Mill heute, Marburg, Metropolis, S. 107–116.

Was bringt uns Nutzen?

Vom ersten bis zum letzten Bier

«La première gorgée de bière»: So heisst ein hübsches Aperçu des französischen Schriftstellers Philippe Delerm, in dem er über die unnachahmliche, unwiederbringliche Wonne des jeweils ersten Schlucks Bier sinniert. Welcher Bierliebhaber kennt das nicht: Ein heisser Sommertag, der Durst ist gross, das Glas beschlägt im Nu unter dem kalten Getränk, der erste Schluck ist wie eine Erlösung. «Wie lang er scheint, dieser erste Schluck», seufzt Delerm und beschreibt «das trügerische Empfinden eines Vergnügens, das sich zur Unendlichkeit hin öffnet … Und zugleich weiss man es schon. Das Beste ist nun schon vorbei.» Man trinkt trotzdem weiter, mehr und mehr Bier, aber mit weniger und weniger Frohlocken. Es geht dann eigentlich nur noch darum, den ersten Schluck und den Schmerz darüber zu vergessen, dass er schon Vergangenheit ist. Eine poetischere Beschreibung dessen, was Ökonomen prosaisch den «abnehmenden Grenznutzen» nennen, kann man sich kaum vorstellen.

Auf die Idee, nicht den Gesamtnutzen zu betrachten, sondern den («marginalen») Zusatznutzen, der sich aus dem Konsum einer einzigen zusätzlichen Einheit eines zu betrachtenden Guts ergibt, kamen mehrere Ökonomen aus verschiedenen Ländern zugleich gegen Ende des 19. Jahrhunderts: Johann Heinrich von Thünen, Carl Menger und Léon Walras, aber auch Hermann Heinrich Gossen und Stanley Jevons. Man hat ihrer Erfindung den Namen «marginalistische Revolution» gegeben. Das ist nicht zu hoch gegriffen, denn tatsächlich haben sie das ökonomische Denken auf den Kopf gestellt.

Die Marginalbetrachtung ist ein gedanklicher Kniff, der zu erklären hilft, wie weit ein Konsument unter einer gegebenen Budgetrestriktion in Abhängigkeit von seinen höchst persönlichen und mithin subjektiven Nutzenempfindungen seinen Konsum ausdehnt. Auf die Produktionssphäre übertragen, lässt sich mit dieser Methode untersuchen, wie viel von einem Gut sinnvollerweise hergestellt wird, in Abhängigkeit nicht nur von den Kosten der jeweiligen Produktionsfaktoren, sondern auch vom Ertrag. Notwendig ist eine solche Herangehensweise deshalb, weil eben in den meisten Fällen der Zusatznutzen oder der Zusatzertrag bei weiterer Ausdehnung von Konsum oder Produktion abnimmt: So wie der erste Schluck Bier besser schmeckt als alle nachfolgenden, ist auch der Einsatz einer zusätzlichen Einheit eines Produktionsfaktors in seiner Nützlichkeit irgendwann ausgereizt. Der Grenznutzen kann auch negativ werden – spätestens wenn dem Biertrinker übel wird.

Der Clou dieser Betrachtungsweise aber liegt darin, dass es mit ihr gelungen ist, das sogenannte klassische Wertparadoxon zu lösen. Dieses Paradoxon ist über viele Generationen von Denkern am Beispiel von Wasser und Diamanten beschrieben worden: Wasser ist für den Menschen lebensnotwendig, Diamanten sind blosser Tand, und trotzdem ist Wasser in der Regel billig, und Diamanten sind teuer. Wie kann das sein? Man schlug sich mit der Unterscheidung von Gebrauchs- und Tauschwert herum, erging sich in Kostenvergleichen – ohne Resultat. Doch mithilfe der Marginalbetrachtung wurde nun klar, dass für Diamanten gerade deshalb so viel zu zahlen ist, weil sie so selten sind und man in der Regel nur wenige davon, wenn überhaupt, sein Eigen nennt, eben weil sie so teuer sind. Vom Wasser hingegen, das in Nordeuropa nicht knapp ist, nutzt man zum Trinken, Kochen und Waschen ohnehin schon derart viel, dass eine zusätzliche Einheit – sagen wir, ein Liter – mehr davon keinen sonderlichen Vorteil mehr bringt. Wo das Wasser knapp ist, zum Beispiel in südlichen Ländern, da stehen die Dinge natürlich anders. Dort wird das Wasser sozusagen zum Diamanten.

Heinrich Gossen

Hermann Heinrich Gossen wurde am 7. September 1810 als Sohn eines Steuereinnehmers im damals französisch besetzten Düren geboren. Auf Wunsch seines Vaters studierte der musisch und mathematisch begabte Sohn Rechts- und Staatswissenschaften in Bonn und Berlin. Im Alter von 24 Jahren trat er in Köln in den Staatsdienst ein, wo er es erst zehn Jahre später zum Königlich Preussischen Regierungs-Assessor brachte. Im Jahr 1845 wurde der wenig motivierte Beamte nach Erfurt versetzt, musste aber schon zwei Jahre später den Dienst quittieren. Dank des Erbes, das ihm sein annähernd zeitgleich verstorbener Vater hinterliess, konnte er sein weiteres Leben als Privatier fristen. Zurück in Köln, gründete er gemeinsam mit einem Belgier ein Versicherungsunternehmen gegen Hagelschlag und Viehsterben, das er auch zeitweilig – allerdings erfolglos – selbst leitete. Seine → Entwickelung der Gesetze des menschlichen Verkehrs und der daraus fliessenden Regeln für menschliches Handeln veröffentlichte er 1854. Es ist sein einziges Buch, das Ergebnis vieler Jahre des Nachdenkens. Zunächst blieb jegliche Wirkung aus. Heinrich Gossen starb, gerade einmal 47 Jahre alt, am 13. Februar 1858 in Köln.

WERK Heinrich Gossen war ein radikaler Denker. Er forderte nichts Geringeres als die Ablösung von Theologie und Philosophie durch die Naturwissenschaften und die Ökonomik. Man kann ihn als einen geistigen Erben Bernard Mandevilles lesen: Hedonismus und Eigennutz sind gut; das auf ihnen aufbauende gesellschaftliche Miteinander ist harmonisch; der Staat hat sich nicht in das Spiel der ökonomischen Kräfte einzumischen. Jeder Mensch sei vor die Aufgabe gestellt, sein Leben so einzurichten, dass es ihm den grösstmöglichen Genuss beschere. Gossen entwickelte in seinem Buch dazu, in heutiger Sprache ausgedrückt, eine umfassende statische und dynamische Theorie allgemeinen Gleichgewichts. In der Erforschung der Zusammenhänge formalisierte er jene an sich simple psychologische Beobachtung, die man später als «Gesetz des abnehmenden Grenznutzens» bezeichnet hat: «1. Die Grösse eines und desselben Genusses nimmt, wenn wir mit Bereitung des Genusses ununterbrochen fortfahren, fortwährend ab, bis zuletzt Sättigung eintritt. 2. Eine ähnliche Abnahme der Grösse des Genusses tritt ein, wenn wir den früher bereiteten Genuss wiederholen, und nicht bloss, dass bei wiederholter Bereitung die ähnliche Abnahme eintritt, auch die Grösse des Genusses bei seinem Beginnen ist eine geringere, und die Dauer, während welcher etwas als Genuss empfunden wird, verkürzt sich bei der Wiederholung, es tritt früher Sättigung ein, und beides, anfängliche Grösse sowohl, wie Dauer, vermindern sich umso mehr, je rascher die Wiederholung erfolgt.» (S. 4 f.)

Ausgewählte Schriften

→ Entwickelung der Gesetze des menschlichen Verkehrs und der daraus fliessenden Regeln für menschliches Handeln (1854), Braunschweig, Vieweg.

Zur Vertiefung

Kurz, Heinz D. (2009), Wer war Heinrich Gossen (1810–1858), Namensgeber eines der Preise des Vereins für Socialpolitik? Schmollers Jahrbuch, Journal of Applied Social Science Studies 129(3), S. 473–500.

Stanley Jevons

William Stanley Jevons wurde am 1. September 1835 als neuntes Kind eines selbstständigen Eisenhändlers in der Stadt Liverpool im Nordwesten Englands geboren. Sein Vater verfasste nebenbei ökonomische und juristische Schriften; seine Mutter war eine Tochter des Historikers William Roscoe. Sowohl naturwissenschaftlich als auch geistes- und sozialwissenschaftlich hochbegabt, studierte Jevons zunächst am University College in London und später an der University of London, unterbrochen von fünf Jahren, die er aus finanziellen Gründen als metallurgischer Prüfer an der neuen Münzprägeanstalt in Australien verbrachte. Dort entwickelte er ein ausgeprägtes Interesse für wirtschaftliche Fragen. Mit 31 Jahren wurde er am Owens College in Manchester, der heutigen Universität, zum Professor für Logik, Moralphilosophie und politische Ökonomie berufen. Im Jahr 1876 wechselte er auf einen Lehrstuhl am University College in London, gab diesen 1880 jedoch wieder auf. Stanley Jevons starb am 13. August 1882 nahe Hastings beim Schwimmen im Meer.

WERK Das Werk Jevons’ ist von stupender Fülle und Breite. Er forschte und schrieb über diverse Fragen aus so unterschiedlichen Fachgebieten wie der Physik, der Biologie, der Chemie, der Meteorologie, der Ressourcenökonomik, der Logik, der Moralphilosophie, der Ideengeschichte, der Soziologie, der Mathematik, der Statistik und den Wirtschaftswissenschaften. Er gilt als Erneuerer des Utilitarismus und als einer der wichtigsten Wegbereiter der mathematischen und empirischen Methode in der Ökonomik. Auch den heute weitverbreiteten Rückgriff auf psychologische Erkenntnisse zur Formulierung realistischer Verhaltensannahmen über das wirtschaftliche Handeln der Menschen findet man schon bei ihm im Rahmen der Fokussierung auf die individuelle Nutzenbetrachtung. Man zählt Jevons zu den treibenden Kräften der «marginalistischen Revolution», einer mathematisch darstellbaren Technik der Betrachtung des Einflusses kleinster (marginaler) Handlungsveränderungen auf die zu analysierenden Zielgrössen, und damit zu den Mitbegründern der subjektiven Wertlehre und der Neoklassik.

Ausgewählte Schriften

Brief account of a general mathematical theory of political economy (1862), Journal of the Royal Statistical Society, London, XXIX (Juni 1866), S. 282–287, und Section F der British Association (1862).

Pure Logic; or, the Logic of Quality apart from Quantity (1864), London, Edward Stanford.

→ The Theory of Political Economy (1871), London, Macmillan.

Principles of Science (1874), London, Macmillan.

Zur Vertiefung

Schefold, Bertram (1995), W. Stanley Jevons: Der Weg zum modernen Utilitarismus, in: Robert D. C. Black, Takashi Negishi und Ian Steedman (Hrsg.), William Stanley Jevons’ «Theory of Political Economy», Düsseldorf, Verlag Wirtschaft und Finanzen, S. 5–20.

Wozu eigentlich Eigentum?

Mein und Dein

Immer einmal wieder machen neue Studien zur Vermögensverteilung die Runde. Je ungleicher die Verteilung ist, umso lauter werden die Rufe nach staatlichen Eingriffen. Denn wie kann es sein, dass die Menschen, die in der Vermögensverteilung der Welt das oberste Perzentil ausmachen, mehr als die Hälfte des globalen Vermögens ihr Eigen nennen, wie es im Global Report 2017 der Credit Suisse hiess? Wie legitim kann schon ein Vermögenseigentum sein, das derart ungleich verteilt ist? Bevor auf der Grundlage dieses Befunds aber gleich allzu beherzt umverteilt wird, lohnt es sich, zunächst die wichtigsten theoretischen Begründungen für die Legitimität von Eigentum an sich zu betrachten. Denn die grundsätzliche Legitimität des Eigentums an Vermögen, das sich in Händen weniger ballen mag, lässt sich nicht leichterhand schon dadurch wegwischen, dass es nicht gleich verteilt ist.