Doktor Maxwells bedenklicher Zeitvertreib - Jodi Taylor - E-Book

Doktor Maxwells bedenklicher Zeitvertreib E-Book

Jodi Taylor

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Beschreibung

Kinder werden so schnell groß – besonders die von Zeitreisenden! Der achte Teil der urkomischen Erfolgsserie über die Zeitreisende Max Maxwell.

Doktor Madeleine »Max« Maxwell – zeitreisende Historikerin und außergewöhnliche Abenteurerin – ist endlich Mutter geworden. Doch kaum hält sie ihren Jungen in den Armen, wird es durch die Zeit entführt. Klar, dass Max, ihr Mann Leon und alle anderen Zeitreisenden von St. Mary's nichts unversucht lassen, um das Baby zurückzubekommen. Doch das ist noch nicht alles, denn natürlich muss sich die Zeitpolizei wieder einmal einmischen und alles noch schlimmer machen. Vor allem aber muss Max lernen, was alle Eltern irgendwann akzeptieren müssen: Kinder werden so schnell groß!


Verpassen Sie keins der bedenklichen und unabhängig voneinander lesbaren Abenteuer der zeitreisenden Madeleine »Max« Maxwell, zum Beispiel »Miss Maxwells kurioses Zeitarchiv« oder »Doktor Maxwells waghalsiger Zeitbetrug«.

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Seitenzahl: 582

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Buch

Doktor Madeleine »Max« Maxwell – zeitreisende Historikerin und außergewöhnliche Abenteurerin – ist endlich Mutter geworden. Doch kaum hält sie ihren Jungen in den Armen, wird er durch die Zeit entführt. Klar, dass Max, ihr Mann Leon und alle anderen Zeitreisenden von St. Mary’s nichts unversucht lassen, um das Baby zurückzubekommen. Doch das ist noch nicht alles, denn natürlich muss sich die Zeitpolizei wieder einmal einmischen und alles noch schlimmer machen. Vor allem aber muss Max lernen, was alle Eltern irgendwann akzeptieren müssen: Kinder werden so schnell groß!

Autorin

Jodi Taylor war die Verwaltungschefin der Bibliotheken von North Yorkshire County und so für eine explosive Mischung aus Gebäuden, Fahrzeugen und Mitarbeitern verantwortlich. Dennoch fand sie die Zeit, ihren ersten Roman »Miss Maxwells kurioses Zeitarchiv« zu schreiben und als E-Book selbst zu veröffentlichen. Nachdem das Buch über 60.000 Leser begeisterte, erkannte endlich ein britischer Verlag ihr Potenzial und machte Jodi Taylor ein Angebot, das sie nicht ausschlagen konnte. Ihre Hobbys sind Zeichnen und Malerei, und es fällt ihr wirklich schwer zu sagen, in welchem von beiden sie schlechter ist.

Die bedenklichen und unabhängig voneinander lesbaren Abenteuer der zeitreisenden Madeleine »Max« Maxwell bei Blanvalet:

1. Miss Maxwells kurioses Zeitarchiv

2. Doktor Maxwells chaotischer Zeitkompass

* Doktor Maxwells weihnachtliche Zeitpanne

3. Doktor Maxwells skurriles Zeitexperiment

* Doktor Maxwells römischer Zeiturlaub

4. Doktor Maxwells wunderliches Zeitversteck

* Doktor Maxwells winterliches Zeitgeschenk

5. Doktor Maxwells spektakuläre Zeitrettung

6. Doktor Maxwells paradoxer Zeitunfall

7. Doktor Maxwells waghalsiger Zeitbetrug

8. Doktor Maxwells bedenklicher Zeitvertreib

Weitere Bände in Vorbereitung

(bei den mit * versehenen Titeln handelt es sich um E-Only-Kurzgeschichten)

Besuchen Sie uns auch auf www.instagram.com/blanvalet.verlag und www.facebook.com/blanvalet.

Roman

Deutsch von Marianne Schmidt

Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »And the Rest is History (Chronicles of St. Mary’s 8)« bei Headline, London

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright der Originalausgabe © 2019 by Jodi Taylor

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2023 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Werner Bauer

Umschlaggestaltung und Artwork: © Isabelle Hirtz, Inkcraft unter Verwendung mehrerer Motive von Shutterstock.com (MuhammedKocadag; aarrows)

HK · Herstellung: sam

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-30375-4V001

www.blanvalet.de

Prolog

Da war ich also wieder: zurück im St. Mary’s. Und somit in Sicherheit. Mein Baby, Matthew, ebenfalls. Leon war sicher. Ich hätte nicht mehr geglaubt, dass ich das noch mal würde sagen können. Dieser Tage waren wir drei eine zufriedene kleine Familie. Ich liebte Matthew. Matthew liebte mich. Und Leon liebte uns beide.

Trotz seines dramatischen Eintritts in diese Welt war Matthew ein fröhliches, freundliches, normales kleines Baby, das zufrieden gluckste, wenn es von Arm zu Arm gereicht und nach Strich und Faden verwöhnt wurde. Die meiste Zeit über war er aber mein Junge. Ich war diejenige, nach der er zuerst seine Ärmchen ausstreckte. Er reckte sie immer mir entgegen, ich konnte es kaum glauben. Leon lachte darüber und nannte ihn Mamis Jungen, aber wir beide hatten einfach eine besondere Bindung. Für mich war das eine Zeit stiller Zufriedenheit, denn ich hätte niemals geglaubt, dass mir etwas Derartiges je zuteilwerden würde.

Es stimmte: Leon und ich waren noch immer im St. Mary’s. Nach Clive Ronans Versuch, mich zu entführen, hatte Dr. Bairstow darum gebeten, dass wir zu unserem eigenen Schutz im St. Mary’s bleiben würden, und das hatten wir dann auch getan. Wir hatten einige Räume unter dem Dach im Hauptteil des Gebäudes bezogen, wohin man, laut Peterson, so viele schmale Flure durchqueren und so viele verwinkelte Treppen hinaufsteigen musste, dass kein dahergelaufener Psycho-Killer jemals in der Lage sein würde, uns zu finden.

Auch Peterson war in diesen Tagen ein wahrer Sonnenschein. Keiner wusste, welche Methoden er angewandt hatte, um Dr. Foster davon zu überzeugen, ihn zu heiraten, aber was auch immer er getan hatte – es hatte funktioniert. Überall im Gebäude wurde er gleichermaßen mit Ehrfurcht, Bewunderung, Respekt – und Mitleid – betrachtet.

»Wurde ja auch verdammt Zeit«, hatte ich zu ihm gesagt und ihn angegrinst, und Markham hatte ein schnaubendes Geräusch gemacht, was ein grober Fehler seinerseits gewesen war, denn sofort wandte sich die allgemeine Aufmerksamkeit ihm zu.

»Also, was ist mit dir?«, wollte Peterson wissen und rutschte mit seinem Stuhl etwas näher heran, sodass Markham nicht flüchten konnte.

»Was soll mit mir sein?«, gab dieser zurück, und pure Unschuld quoll ihm aus jeder Pore.

»Bist du verheiratet?«

»Ich?«, fragte er überrascht.

»Ja, du.«

»Wer hat dich bloß auf so eine Idee gebracht?«

»Du selbst.«

»Ich? Wann das denn?«

Ein paar Tage nach Matthews eher unkonventioneller Ankunft auf der Welt hatte Markham nebenbei fallen lassen, dass er verheiratet war. Mit Hunter. Sie seien schon seit Jahren verheiratet, hatte er gesagt und war dann durch die Tür hinausgeschlüpft, während wir anderen viel zu perplex gewesen waren, um ihn aufzuhalten. Peterson und ich hatten seitdem versucht, der Sache auf den Grund zu gehen, aber wie Lehrer, Arbeitgeber, Polizisten, Verwaltungsbeamte, Armeeoffiziere und Dr. Bairstow bereits festgestellt hatten, konnte Markham sich wie ein Aal aus allem herauswinden, wenn man versuchte, ihm Informationen abzuringen. Auch jetzt war er wieder ein gerissener Kerl und griente uns über seinen Becher Tee hinweg an. Wir hatten es wirklich von allen Seiten versucht, waren aber immer noch nicht schlauer, und keiner von uns hatte die Nerven, einfach Schwester Hunter zu fragen, den Schrecken des St. Mary’s.

Wir alle arbeiten wie gesagt im St. Mary’s. Oder, um unseren korrekten Namen zu nennen, dem Institut für Historische Forschung auf dem Stiftsgelände des St. Mary’s. Unser Job ist es, größere historische Ereignisse in zeitgenössischer Umgebung zu untersuchen. Es sind keine Zeitreisen, worauf Dr. Bairstow nie hinzuweisen vergisst, denn wir entstammen nicht den Seiten eines Science Fiction- oder Fantasy-Romans. Und niemand würde ihm hier widersprechen, denn unser Leben ist auch so schon gefährlich genug, ohne dass man freiwillig nach Ärger sucht. Also erwähnen wir Zeitreisen niemals. Auch wenn es genau das ist, was wir unternehmen.

Wir sind unmittelbar vor den Toren Rushfords angesiedelt, am Ende einer Landstraße, die ins Nichts führt, weil die Regierung der Meinung war, in dieser abgelegenen Ecke einer ruhigen Grafschaft könnten wir nicht so viel Schaden anrichten. Diese Annahme war ungefähr so zutreffend, wie es die Annahmen der Regierung gewöhnlich sind. Ganz sicher sah es das Gesetz des Durchschnitts vor, dass die Leute in der Regierung eines Tages wenigstens einmal bei irgendetwas richtigliegen würden.

Wie dem auch sei: Mein Name ist Maxwell, und ich bin die Leitende Missionschefin. Gerade war ich aus dem Mutterschutz zu einem prall gefüllten Arbeitsplan zurückgekehrt. Wir hatten zurzeit jede Menge zu tun, denn es standen wichtige Jubiläen vor der Tür. Außerdem hatte die Thirsk-Universität, nach außen hin unser Arbeitgeber, eine eingehende Untersuchung der Ereignisse in Auftrag gegeben, die in der Schlacht von Hastings ihren Höhepunkt gefunden hatten. Wir sollten uns die Geschehnisse genauer ansehen, die auf Harald Godwinsons Schiffbruch folgten, der ihn in die Gewalt von Wilhelm II., dem Herzog der Normandie, brachte, gefolgt von der alles entscheidenden Zeremonie zur Eidablegung in Bayeux. Dann sollte es weitergehen nach Stamford Bridge – zu der Schlacht, die dort stattgefunden hat, nicht zum weit weniger interessanten Fußballstadion. Dorthin also, wo Harald die Streitkräfte von Tostig und Harald Hardrada schlug. Und dann, neunzehn Tage später, folgte die Schlacht bei Hastings selbst und das Ende des sächsischen Lebens in England. Wenn es die Zeit und die Finanzen zuließen, dann würde es auch noch einen Sprung zur Krönung von Wilhelm am Weihnachtstag des Jahres 1066 geben, doch dabei würde ich nicht mit von der Partie sein können. Wir hatten vor einigen Jahren schon mal einen Anlauf zu diesem Sprung unternommen, hatten uns dann allerdings ablenken lassen und die Sache vergeigt.

Auch die vergangenen paar Monate im St. Mary’s waren nicht ohne Zwischenfälle verlaufen. Erst vor wenigen Monaten war in unseren Wäldern das Schwert von Tristram und die Krone des Heiligen Römischen Reiches entdeckt worden, was für weltweite Aufregung gesorgt hatte. Ich befand mich gerade in Elternzeit, aber ich war ein paar Mal dorthin marschiert, hatte den kleinen Matthew unter einem Baum geparkt und mit angepackt. Das Schwert und die Krone waren genau da, wo wir sie hinterlassen hatten. Allerdings wäre es ja auch nicht sehr wahrscheinlich gewesen, wie Peterson während des folgenden Besäufnisses feststellte, dass die Dinger sich einfach woanders hinbewegt hatten, oder? Von dem Schwert war nicht mehr viel übrig; lediglich der Knauf und ein Stückchen Metall mit einem Bruchteil der ach so wichtigen Inschrift waren noch da. Der Rest war nur noch ein dunkler Umriss im Erdboden. Die Krone aber, zum größten Teil aus Gold gefertigt, hatte alles weitaus besser überstanden.

Dr. Chalfont, die die Ausgrabung geleitet hatte, war gerade rechtzeitig wieder als Kanzlerin der Universität Thirsk eingesetzt worden, um die Lorbeeren für diesen Fund einzuheimsen. Was der ganze Grund dafür gewesen war, dass wir das Zeug überhaupt erst für sie vergraben hatten. Sie war im Triumph an die Thirsk zurückgekehrt, und den Gerüchten nach war die Nacht der langen Messer nichts im Vergleich dazu gewesen. Die holzvertäfelten Flure der altehrwürdigen und hochgeschätzten Universität von Thirsk waren rot vom akademischen Blut gewesen. Metaphorisch gesprochen. Die Kanzlerin berichtete, noch immer mit dem Glanz der Schlacht in ihren Augen, dass es eine belebende Erfahrung gewesen sei und eine ganz ausgezeichnete Gelegenheit, eine große Menge an totem Holz zu entfernen. Aber sie wäre dankbar, wenn wir sie nie wieder in eine solche Position bringen würden. Wir hatten genickt und es ihr versprochen.

Und so waren wir alle hier, und alles war prima.

Ich war Teil einer glücklichen Familie, und zwar sehr zu meinem eigenen Erstaunen.

Peterson war in der Schulung als Dr. Bairstows Stellvertreter.

Markham war wieder als Major Guthries Nummer zwei eingesetzt worden. Und ja, alle Arten von schlechten Witzen waren gerissen worden.

Das St.-Mary’s-Institut lief einigermaßen auf Kurs und war in Geldangelegenheiten flüssig.

Alles war absolut wunderbar.

Kapitel 1

Der Tag begann wie jeder andere. Ich wachte an einem klaren, frostig kalten Morgen auf und beschloss, joggen zu gehen. Dass man gerade eine Geburt hinter sich gebracht hat, kann nicht für alle Ewigkeit als Ausrede herhalten. Ich war noch nie das gewesen, was man als durchtrainiert bezeichnen würde, aber selbst ich konnte mittlerweile sehen, dass es höchste Zeit wurde, wieder in irgendeine Art von Form zu kommen. Ja, ich war in Elternzeit gewesen, aber ich wollte sozusagen irgendwann im vollen Lauf den Löffel abgeben. Deshalb könnte ein bisschen Joggen zum jetzigen Zeitpunkt bedeuten, dass das mit dem Löffelabgeben deutlich später passieren würde.

Zielstrebig ließ ich Leon und Matthew im Badezimmer zurück, wo sie gerade Angriff der Tödlichen Waschlappen spielten. Und auch wenn ich mir nicht so ganz sicher bin, wie genau das Spiel abzulaufen hatte, gab es dabei immer jede Menge Herumspritzen und Kreischen – und das war nur Leon. Anschließend stand dann natürlich immer jede Menge Aufwischen an.

Ich warf den beiden ein Küsschen durch die Luft zu, ignorierte Leons Einladung, mich doch zu ihnen zu gesellen, und schoss los, um mir noch eine Flasche Wasser zu holen. Auf der Treppe stieß ich mit Miss Dottle zusammen.

Dottle war eigentlich kein Mitglied des St. Mary’s. Sie und ihr Boss, der Idiot Halcombe, kamen von der Universität Thirsk und waren uns letztes Jahr aufgedrückt worden. Das war meine Schuld gewesen, denn wir hatten etwas wirklich Blödes getan. Aber da niemand mehr darüber spricht, lasse ich es jetzt ebenfalls gut sein. Egal, er hatte jedenfalls versucht, eine Mission zu sabotieren, und Dr. Foster hatte bei ihm Lepra diagnostiziert, wie man das eben so macht, womit wir ihn vom Hals hatten und stattdessen mit der weitaus netteren Miss Dottle vorliebnehmen konnten.

»Entschuldigung«, sagte ich, als sie gegen das Geländer prallte.

»Ist schon in Ordnung.« Sie musterte mich.

»Ich will gerade laufen gehen«, sagte ich. »Muss einfach wieder in Form kommen, ehe wir zur 1066-Mission aufbrechen. Ein paar Mal um den See sollten reichen.«

Wie immer, so hielt sie auch jetzt über meine Schulter hinweg Ausschau nach Peterson. Sie ist ein zurückhaltendes Mädchen, und obwohl sie hier bei uns die Uni Thirsk vertritt, mögen die Leute sie ziemlich gerne. Außerdem, wie Peterson betont hatte, hatten wir denen Kalinda Black geschickt – diese eins achtzig große blonde Psychopathin, wie Leon sie immer nennt, wenn er über sie spricht. Also hatten sie es an der Thirsk wohl schlimmer als wir getroffen. Miss Dottle war eigentlich ganz liebenswert. Es stimmte schon, dass sie wahnsinnig in Peterson verschossen war und sich immer wie ein Sonnenuntergang verfärbte, wenn er am Horizont auftauchte, aber seien wir doch mal ehrlich: Wenn man sich schon in irgendjemanden verknallt, dann konnte man sich durchaus Schlimmere aussuchen als Peterson. Sehr viel Schlimmere.

Zum Beispiel könnte die Wahl auf Markham fallen, der nächsten Person zwischen mir und der frischen Luft.

»Wo willst du denn hin?«, fragte er.

»Ehrlich, ich bin nur ein einziges Mal gekidnappt worden …«

»Ganz genau«, sagte er, »und ich bin von Dr. B. damit beauftragt worden, dafür zu sorgen, dass das nicht noch mal passiert.«

»Du bist was?«

»Na ja, eigentlich hat er gesagt: ›Mr. Markham, sollte Dr. Maxwell irgendetwas zustoßen, dann werde ich Sie höchstpersönlich dafür verantwortlich machen, und die Konsequenzen werden ebenso gewaltig sein wie meine Verärgerung.‹«

Ich zuckte zusammen. »Autsch.«

»Ganz genau«, sagte er. »Also, ich wiederhole mich: Wo willst du hin?«

»Ein paar Mal um den See herum«, sagte ich und tätschelte meinen Bauch. Er wabbelte in sehr beunruhigender Weise.

Markham trat einen Schritt zurück. »Je eher, desto besser, würde ich sagen. Hast du dein Dingsbums dabei?«

Mein Dingsbums – wie die Sicherheitsabteilung es bezeichnete, denn die Leute da müssen die Sachen immer einfach halten, weil sie ansonsten nicht damit klarkamen – war ein persönliches Alarmgerät, falls man angegriffen wurde, und es hing um meinen Hals. Als weitere Sicherheitsmaßnahme war die Anzahl meiner Chips erhöht worden. Zusätzlich zu dem üblichen Marker, der sich in meinem Arm befand, hatten sie mir noch einen weiteren im Oberschenkel eingepflanzt: »Für den Fall, dass dir der Arm abgehackt wird«, hatte Helen tröstend erklärt und dann noch einen dritten unterhalb eines Schulterblattes ergänzt.

»Für den Fall, dass dir Arme und Beine abgehackt werden«, hatte Markham erklärt.

Es ist gut, wenn man Freunde hat.

Ich seufzte und verdrehte die Augen, als ich ihm mein Dingsbums zur Inspektion hinhielt. Mir wurde aufgetragen zu winken, wenn ich an Fenstern vorbeikam, es nicht zu übertreiben, immer daran zu denken, Wasser zu trinken, und zu versuchen, nicht über meine eigenen Füße zu stolpern und mich nicht zu verlaufen.

Da Markham Anstalten machte, mich begleiten zu wollen, fragte ich ihn, ob er wirklich verheiratet war, was ihn immer schneller abdampfen lässt, als eines von Helens Abführmitteln durch eine kleine Historikerin durchrauscht. Und so gelangte ich schließlich endlich hinaus ins Freie.

Verdammt noch mal, der halbe Vormittag war schon um.

Ich schlenderte zum See, dehnte einige nicht existente Muskeln und rannte los.

Ich habe meine eigene Mischung. Hundert Meter joggen. Hundert Meter stramm gehen. Hundert Meter sprinten. Und wieder hundert Meter joggen. Damit macht man sehr schnell erstaunlich viel Strecke wett. Allerdings auch wieder nicht so schnell, wie wenn ein Mob aufgebrachter Dorfbewohner auf einen losgeht, Mistgabeln und Fackeln schwenkt und so etwas wie Verbrennt die Hexe! brüllt. Dann kann man mich richtig in Bewegung sehen.

Es war gar nicht so schlimm, wie ich gedacht hatte. Alles wabbelte ein bisschen, aber wenn ich zurück an meine Tage vor der Schwangerschaft dachte, dann hatte auch immer das eine oder andere geschwabbelt, und so schenkte ich der Sache keine große Beachtung.

Es war ein wunderschöner Tag, der Himmel blau, die Wolken flauschig, und es war kühl genug, um mich wohlzufühlen. Die Schwäne, die sich immer so weit vom St. Mary’s fernhielten, wie es ihnen nur möglich war, glitten heiter und gelassen über den See oder stapften brummelnd durchs angrenzende Schilf. Wir alle machten immer einen weiten Bogen umeinander.

Ich beendete eine Runde, trank ein bisschen Wasser, und ermutigt durch die Tatsache, dass ich noch am Leben war, beschloss ich, es gleich noch mal zu versuchen.

Also brach ich wieder auf, dieses Mal in die entgegengesetzte Richtung. Und eigentlich hatte ich sogar Spaß daran.

Bis ich genau an dem Punkt, der am weitesten vom St. Mary’s entfernt ist, und zwar genau dort, wo die Sicht auf mich vom Schilf verborgen wurde, auf Clive Ronan stieß, der auf einem Baumstumpf saß und augenscheinlich auf mich wartete.

Angesichts der Erinnerung an die letzte Gelegenheit, bei der ich ihn gesehen hatte (als er mich entführte und zurückließ, damit ich mein Kind ganz allein und in der Zeit verloren zur Welt bringen würde), kam ich schlitternd zum Stehen und begann damit, hektisch nach meinem Dingsbums zu tasten. Blöderweise befand es sich unter meinem T-Shirt, damit es beim Laufen nicht auf und ab hüpfte, und so stand es mir nicht unmittelbar zur Verfügung.

»Es ist alles in Ordnung«, sagte Ronan. »Ich habe nicht vor, dir etwas zu tun. Ich bin nicht bewaffnet – sieh selbst.«

Seine Waffe lag ein Stückchen von ihm entfernt auf dem Boden. »Heb sie auf, wenn du dich dann sicherer fühlst.«

Und das tat ich. Wie ich erwartet hatte, war sie leer, aber ich könnte sie immer noch benutzen, um ihn damit zu Tode zu prügeln.

Er stand sehr langsam auf. »Ich bin nicht bewaffnet«, sagte er noch einmal, streckte die Arme in die Höhe und drehte sich um die eigene Achse. Er trug ein schwarzes T-Shirt und Jeans, deshalb war es leicht, zu erkennen, dass er keine Waffe dabeihatte.

»Auch kein Beinhalfter«, sagte er und zog seine Jeans ein Stück hoch, sodass ich seine Knöchel sehen konnte. »Und ebenfalls keine Messer. Keinerlei feindselige Intentionen. Ich kann verstehen, dass du nach unserem letzten Zusammentreffen einige … Vorbehalte mir gegenüber hast. Aber da du ganz offensichtlich heil und gesund zurückgekehrt bist, hoffe ich, dass du sie ein paar Minuten lang beiseiteschieben und reden kannst. Wie geht es übrigens dem jungen Burschen? Sieht er aus wie sein Papa?«

Ich ignorierte die Fragen. Mir würde er keine Informationen entlocken.

Er deutete auf einen anderen Baumstumpf. »Bitte setz dich doch.«

Auch das ignorierte ich.

Langsam und vorsichtig nahm er wieder Platz. »Ich habe dir etwas zu sagen, und …«

Endlich hatte ich mein Dingsbums ausfindig gemacht und zog es hervor. Ich war behutsam, denn ich hatte es schon mal aus Versehen losgehen lassen, woraufhin Vögel aus den Bäumen gestoben waren, Glas zersprungen war und jeder Hund im Umkreis von Meilen zu jaulen angefangen hatte. Dr. Bairstow hatte mich beschuldigt, dafür gesorgt zu haben, dass seine Uhr stehen blieb. Ich denke, das Bild ist klar geworden: Das Ding ist laut.

Ich habe jetzt schon seit Jahren mit Ronan zu tun. Er ist ein Mörder ohne eine Spur von Gewissen. Er ist skrupellos. Ein richtiger Bastard. Eigentlich war es unmöglich, dass er mir etwas zu sagen haben könnte. Sobald ich den Alarm betätigte, würde in wenigen Augenblicken die gesamte Sicherheitsabteilung hier auflaufen. Und wahrscheinlich auch Leon, triefend nass, das Baby in einer Hand, eine 9-mm-Glock in der anderen. Und selbstverständlich auch die Historische Abteilung, weil alle sehen wollen würden, was da passierte, und ganz heiß darauf wären, eine schlimme Situation noch schlimmer zu machen.

»Ich will aufhören.«

Es herrschte Stille, während mein Hirn mit diesem eigentlich ja ganz simplen Satz kämpfte.

»Wie bitte?«

»Ich will aufhören.«

Ich starrte ihn an.

Er seufzte und beugte sich vor, die Unterarme auf die Knie gestützt. »Ich will nicht mehr rennen. Ich will … Ich will nicht …«

Ronan verstummte und starrte auf seine Füße.

Allzu überrascht war ich nicht. Ich denke, ich habe früher schon mal gesagt, dass es nicht leicht ist, außerhalb der eigenen Zeit zu leben. Die heutige Gesellschaft ist so viel weiter aufgefächert als in der Vergangenheit; die Menschen sind nicht mehr in den traditionellen Familiengruppen verhaftet, in Stämmen, Gilden oder Dorfgemeinschaften. Aber selbst heute gibt es ohne eine Versicherungsnummer, eine Einstufung der Kreditwürdigkeit oder einen Personalausweis nur wenig Chancen darauf, in der Gesellschaft akzeptiert zu werden. Als Außenseiter zu leben, das ist nie einfach. Jeder gehört irgendwo hin. Vielleicht mag man sein Leben nicht, aber es passt ganz genau. Man ist da, wo man sein soll. Wenn man es für irgendeine Zeitspanne verlässt, reagiert die Geschichte darauf und macht einem die Sache so schwer wie nur möglich.

Ronan war schon seit Jahren auf der Flucht und fügte sich selbst und jedem in seinem Umkreis Schaden zu. Sein Weg war mit Leichen und den Wrackteilen der Leben anderer Leute gepflastert. Ich konnte verstehen, dass er einen Schlussstrich ziehen wollte. Vor allem jetzt, wo ihm die Zeitpolizei auf den Fersen war. Die Frage war: Würde es ihm gestattet werden, anzuhalten? Sollte es ihm gestattet werden?

Unwillkürlich dachte ich an Mary Schiller. Getötet und für vierhundert Jahre in eine Kiste gestopft. Und an Jamie Cameron. Umgebracht, um einer Sache Nachdruck zu verleihen. Und an Big Dave Murdoch, gestorben, als er mich rettete. Ich dachte an das, was Ronan Bashford und Grey angetan hatte. Und mir.

Ich sagte nichts, weil Stille das Beste ist, um die Leute zum Reden zu bringen.

Ohne mich anzusehen, fuhr Ronan fort: »Ich will nicht mehr ständig auf der Flucht sein. Ich habe einen Ort gefunden … Ich will mich niederlassen mit … Ich will, dass das alles aufhört. Früher oder später, Max, wird einer von uns beiden tot sein. Und das muss nicht geschehen. Ich kenne den … Wert dessen, was du hast, und das will ich auch. Deshalb schlage ich vor: Du ziehst dich zurück, ich ziehe mich zurück – und wir beide machen mit unserem restlichen Leben weiter.«

Irgendwann fand ich meine Stimme wieder. »Das ist es? Das ist es, was du willst? Zehn Jahre und länger tötest du alle möglichen Leute auf deinem Weg, und jetzt willst du einfach so die Tür zumachen und verschwinden?«

»Ja«, sagte er leise. »Ein Neuanfang.«

»Was ist mit all den Leuten, denen du den Garaus gemacht hast?«

»Ich kann Vergangenes nicht ändern. Aber ich kann etwas tun, das die Zukunft betrifft. Menschen, die in der Zukunft sterben würden, tun das nun vielleicht nicht. Wenn wir uns darauf einigen können, das alles zu beenden.«

»Darauf kann ich mich nicht einlassen. Ich meine, es ist nicht meine Entscheidung. Dr. Bairstow, Direktorin Pinkerton, die Zeitpolizei, Leon – ich kann die Leute, die dich in die Finger bekommen wollen, gar nicht zählen.«

Er blinzelte zu mir hoch. »Hast du je vom GdS gehört?«

»Gleichgewicht des Schreckens? Ja natürlich. Willst du sagen …?«

»Es ist zwar noch nicht passiert, aber du musst kein Genie sein, um herauszufinden, wo das alles hinführen wird. Wir sind alle in einer tödlichen Abwärtsspirale aus Gewalt und Rache gefangen, und das wird ein böses Ende nehmen, Max. Für uns alle. Du hast jetzt einen Sohn, trägst Verantwortung. Sicher willst du seinetwegen dafür sorgen, dass ihr – du und Farrell – am Leben bleibt. Du willst deinen Jungen doch aufwachsen sehen, oder?«

Lange überlegen war jetzt keine Lösung. »All das kann ich erreichen, indem ich dich festnehmen lasse. Und zwar jetzt gleich.«

»Ich werde längst weg sein, wenn sie hier eintreffen.«

»Nachdem du mich getötet hast, nehme ich an.«

»Nein. Ich werde einfach in meinen Pod steigen, der direkt dort drüben steht, wieder verschwinden und dich hier zurücklassen, damit du über eine verpasste Gelegenheit nachgrübeln kannst, die alles hätte verändern können.«

»Warum ich?«

Irgendetwas in seinem Gesicht veränderte sich. Sogar seine Stimme war jetzt anders. Weicher, aber irgendwie eindringlicher.

»Weil du, meine liebe Max, am Rande der Dunkelheit tanzt. Das hast du schon immer getan, und ich glaube nicht, dass es dich viel kosten würde, dich auf mich zuzubewegen. Ich kann mir sonst niemanden vorstellen, der mir als Fürsprecherin lieber wäre.«

»Aber ich habe dir doch schon gesagt, dass ich gar nicht die Macht dazu hätte.«

»Dein Wort ist gewichtig. Und zwar sehr. Was hast du zu verlieren? Ich finde es übrigens großartig, was du mit Halcombe veranstaltet hast.«

»Eins steht für mich fest: Wenn du in meiner Position gewesen wärst, hättest du etwas Ähnliches getan.«

»In der Tat. Warum hast du ihn denn nicht in eine echte Leprakolonie verfrachtet?«

Halb verzweifelt sagte ich: »Noch mal zum Mitschreiben: Er hat gar keine Lepra.«

»Nein, aber bestimmt hätte er sie bald, wenn du das getan hättest, nicht wahr?«

»Hör mal, ich glaube nicht, dass ich auch nur annähernd so nah am Rande der Dunkelheit tanze, wie du manchmal glaubst.«

»Nein? Na, wenn du das sagst.«

Ich starrte ihn geschockt an.

»Ach, komm schon, Max. Wir beide ticken auf dieselbe Art und Weise. Der einzige Unterschied ist, dass du über die Sachen nur nachdenkst, während ich sie auch tatsächlich tue.«

Langsam stand er auf.

»Du verschwindest?«

»Äh, ja. Ich habe den Samen gepflanzt, das ist alles, was ich tun kann. Sprich mit Edward, Max. Erzähl ihm, was ich gesagt habe.«

»Ich kann dir jetzt schon verraten, was er antworten wird.«

»Ach ja?« Er lächelte. »Frag ihn, was Annie gewollt hätte. Könnte ich bitte meine Waffe zurückhaben?«

Ohne ihm eine Antwort zu geben, drehte ich mich um, machte ein paar Schritte und warf sie in den See. Als ich mich wieder umwandte, war er schon weg.

Ein paar Mal noch wirbelte ich um die eigene Achse, aber er war wirklich fort. Ein plötzlicher heißer Wind fuhr raschelnd durch das abgestorbene, trockene Schilf, als sein Pod verschwand.

Da entdeckte ich etwas Weißes auf dem Baumstumpf, wo Ronan gesessen hatte. Ein unverschlossener Umschlag, auf dem mein Name stand. Darin befand sich ein Blatt Papier.

Danke, dass du mir zugehört hast. Wenn Edward diese Sache weiterverfolgen will – und ich hoffe, dass er das tut –, dann triff dich mit mir. Die Koordinaten dafür stehen unten. Es ist ein bisschen abgelegen, ich weiß, aber von allen Seiten gut einsehbar, was bedeutet, dass dieser Ort für uns beide gut ist, denn keiner von uns kann in einen Hinterhalt geraten.

Au revoir.

Ich faltete das Papier, schob es wieder zurück in den Umschlag und joggte zurück ins St. Mary’s.

»Er ist in einer Besprechung«, sagte Mrs. Partridge, ohne von ihrem Schreibtisch aufzublicken.

»Bitte unterbrechen Sie ihn.«

Sie musterte mich einen Moment lang, dann zog sie sich in sein Büro zurück. Ich konnte Murmeln hören, dann tauchte sie wieder auf.

»Bitte kommen Sie mit.«

Dr. Bairstow und Miss Dottle saßen am Besprechungstisch vom Boss und befanden sich gerade in einer Videokonferenz mit der Kanzlerin. Diese lächelte: »Guten Morgen, Max.«

»Guten Morgen, Madam Kanzlerin. Ich bitte um Verzeihung, aber ich muss umgehend mit Dr. Bairstow sprechen.« Dann wandte ich mich an ihn. »Es ist etwas passiert, Sir.«

Er nickte. »Madam Kanzlerin, Miss Dottle, bitte entschuldigen Sie mich. Wir werden unser Gespräch fortsetzen, sobald ich wieder verfügbar bin.«

Der Bildschirm wurde schwarz. Dottle schob ihre Unterlagen zusammen, nahm ihr Notizpad und eilte aus dem Zimmer.

»Nun, Dr. Maxwell?«

Kurzerhand weihte ich ihn in die Details ein und saß dann schweigend da, während er dasselbe tat. Sein Gesicht gab, wie immer, keinerlei Hinweise auf seine Gedanken, und man kann mir vertrauen, dass ich gründlich danach Ausschau hielt. Endlich fragte er: »Glauben Sie ihm?«

Ich machte nicht den Fehler, sofort zu antworten. Stattdessen saß ich da und ließ mir alles noch einmal durch den Kopf gehen. Was Ronan gesagt hatte. Wie er es gesagt hatte. Seine Körpersprache. Sein Gesichtsausdruck. Ich durchforstete meine Gedanken und Eindrücke und sagte schließlich: »Wenn ich nicht wüsste, wer er ist, dann: Ja, ich hätte ihm geglaubt.«

»Also, soweit Sie das allein aufgrund der Ereignisse dieses Morgens beurteilen können, hat er die Wahrheit gesagt.«

»Ja, ich denke schon, Sir.«

Dann wartete ich einfach, während er erneut die Nachricht zur Hand nahm.

»Sie haben diese Koordinaten natürlich überprüft.«

»Habe ich, Sir. Sie gehören zu einem Ort in der ägyptischen Wüste, ungefähr um 525 vor Christus.«

»Er ist sehr vorsichtig, Max. Es wäre ausgesprochen schwierig, mitten in der Wüste für einen Hinterhalt zu sorgen. Es dürfte meilenweit kein Versteck geben.«

»Das wäre ein Vorteil für uns beide, Sir.«

»Ja, in der Tat. Er scheint sich einige Gedanken über dieses Arrangement gemacht zu haben.«

Erneut machte sich Schweigen breit, während er einfach nur dasaß und aus dem Fenster starrte.

»Wenn ich Sie bitten würde, würden Sie dann gehen?«

»Jederzeit.«

»Warum?«

»Wenn er es ernst meint, dann ist das eine Gelegenheit, die wir nicht verstreichen lassen dürfen. Und wenn er es nicht ernst meint, dann kann ich diesen Bastard abknallen, und das ist eine Gelegenheit, die ich nicht verstreichen lassen kann.«

Er setzte sich anders hin. »Wenn ich die Zeitpolizei einschalte, wird sie dabei sein wollen.«

»Ja, Sir.«

»Und wenn ich sie nicht benachrichtige und Ronan gelingt die Flucht oder er greift Sie an – dann werden die uns rechtlich belangen wollen, und die Schuld wird einzig und allein bei mir gesucht werden.«

»Ja, Sir.«

»Gehen Sie und essen Sie zu Mittag, Max. Und dann kommen Sie in einer Stunde wieder. Kein Wort zu niemandem.«

»Ja, Sir. Und nein, Sir.«

Ich saß zusammen mit Markham und Peterson an unserem üblichen Tisch. Die beiden plauderten unbekümmert. Und ich saß dabei und hörte mit einem Ohr zu, während ich meinen eigenen Gedanken nachhing.

»Alles okay mit dir, Max?«, fragte Peterson. »Sag mir nicht, dein müder Dauerlauf heute Morgen hat dich völlig erledigt.«

»Natürlich nicht«, antwortete ich würdevoll. »Wenn du dein Sandwich nicht mehr willst, kann ich das haben?« Und er war so damit beschäftigt, sein Essen zu verteidigen, dass er keine Fragen mehr stellte. Markham spielte Jenga mit seinen Fischstäbchen und hörte sowieso nicht mehr zu.

Erst als ich aufbrechen wollte, stellte ich fest, dass Leon nicht da war. Da ich immer ein bisschen besorgt bin, wenn es um den Aufenthaltsort der männlichen Mitglieder meiner Familie geht, machte ich mich auf den Weg, um nach ihm und Matthew zu suchen. Schließlich fand ich sie in unserem Zimmer, wo Leon unter einem schützenden Handtuch damit beschäftigt war, Matthew zu füttern. Angesichts der Art und Weise, wie er aß – Matthew, meine ich –, war es eher der Fütterer als der Gefütterte, der ein Lätzchen brauchte. Eine einzige zerdrückte Banane kann sich im Umkreis von Meilen über jede nur denkbare Oberfläche verteilen, wie schon vielfach unter Beweis gestellt worden war.

»Da bist du ja«, sagte er. »Wie war dein Lauf?«

»Nicht, wie ich erwartet habe«, sagte ich und fragte mich, ob ich ihm etwas erzählen sollte oder nicht. Leon hatte sich nicht immer besonders gut im Griff, wenn es um das Thema Clive Ronan ging. Ich zögerte, dachte dann an Dr. Bairstows Anweisungen und sagte nichts. Wenn der wollte, konnte er Leon ja selbst in die Sache einweihen.

Kapitel 2

Noch an diesem Abend brach ich auf. Es war zu dieser merkwürdigen Zeit am Tage, als die Leute mit dem Essen fertig waren und sich fragten, was sie wohl als Nächstes tun sollten. In der Bar etwas trinken? In den Pub in die Stadt hinunterschlendern? Sich in irgendjemandes Auto quetschen und nach Rushford fahren? Wozu auch immer sie sich entschließen würden – es würde sie nicht in den Hawking-Hangar führen, der menschenleer sein sollte.

Dr. Bairstow humpelte neben mir her. »Sie haben Ihre Anweisungen, Dr. Maxwell.«

»Habe ich, Sir.«

»Gehen Sie kein Risiko ein.«

»Nein, Sir.«

Dem Arrangement entsprechend, hatte Dieter alle seine Mitarbeiter weggeschickt. Nur er war dageblieben. Der Hangar war verlassen und hallte. In zwei Reihen hockten die Pods stumm auf ihren Sockeln. Aus keinem der Radios plärrte blecherne Musik, es war kein Klirren von herunterfallenden Werkzeugen zu hören, niemand fluchte, keine Bohrmaschinen surrten. Beinahe hätte ich den Ort gar nicht wiedererkannt.

»Ich habe die Koordinaten überprüft und für dich eingegeben«, sagte Dieter.

»Danke, danke.«

Ich stopfte meine Tasche in ein Schrankfach und wandte mich der Konsole zu, um alles selbst zu überprüfen.

Pods sind der Mittelpunkt unserer Arbeit. Sie sind klein, eng, riechen nach Kohl, und ihre Klos funktionieren nur selten vernünftig. Gerade befand ich mich in Nummer acht, meinem Lieblingspod. Wir hatten schon einige Abenteuer zusammen erlebt, und es war schwer, zu entscheiden, wer von uns mitgenommener aussah. Die Konsole befand sich rechts von der Tür, und an der Wand darüber war ein Bildschirm befestigt. Ich ließ meinen Blick über verschiedene Anzeigen schweifen – alles sah völlig normal aus –, sank auf den unbequemen Sitz und rutschte mit dem Hintern darauf herum, um die unebenen Stellen und Beulen etwas auszubügeln.

»Sag mir nicht, du hast auch Würmer«, sagte Dieter, der mich beobachtete, wie ich mich hin und her schob, und dabei weiter auf seinem Notizpad herumhämmerte.

Ich hörte auf, mich zu winden. »Wie wer denn sonst?«

»Wie Markham.«

»O Gott, im Ernst? Ich habe gerade mit ihm zusammen gegessen.«

»Schön blöd.«

»Und es ist ja auch nicht so, als wäre es das erste Mal. Oder auch nur das dritte. Wie stellt er das denn bloß an?«

Dieter zuckte die Achseln. »Er ist eben Markham – Heimstätte für jeden vorbeilaufenden Parasiten, der nach einem dunklen, feuchten Ort Ausschau hält. Alles ist fertig eingegeben. Bist du bereit?«

Ich nickte.

»Viel Glück, Max.«

Ich fragte mich, wie viel Dr. Bairstow ihm verraten hatte.

»Danke. Bis bald.«

Die Tür schloss sich hinter ihm.

Plötzlich war ich nervös und holte tief Luft, um mich wieder zu beruhigen. Als ich auf den Schirm blickte, sah ich Dr. Bairstow hinter der Sicherheitslinie. Während ich ihn beobachtete, gesellte sich Dieter zu ihm, und die beiden blieben nebeneinanderstehen.

Unwillkürlich wischte ich mir die Handflächen an meinem Kampfanzug in Wüstentarnfarben ab. Wir hatten uns bei der Kleidung keinerlei Mühe mit historischer Genauigkeit gegeben. Himmel, ich würde mich in der Mitte der ägyptischen Wüste aufhalten. Es würde im Umkreis von Hunderten und Aberhunderten Meilen nichts geben, nur Ronan und mich.

Ich sagte: »Computer, Sprung initialisieren.«

»Sprung initialisiert.«

Und die Welt wurde weiß.

Ich landete mitten im Nirgendwo. Eine weite, trostlose Ebene schimmerte in der Hitze und wurde nur hin und wieder von felsigen Erhebungen durchbrochen. Ronan hatte eine gute Wahl getroffen. Abgesehen von einem großen Felsbrocken, in ungefähr hundert Metern Entfernung, gab es hier nichts. Die Sonne knallte von einem Himmel herunter, aus dem die Hitze alle Farbe gewaschen hatte. Es gab keine Spur von den üblichen goldenen Sanddünen; diese Landschaft war hart und trocken mit grobem braunem Sand, der in kleinen Verwirbelungen herumgepustet wurde. Ich sah auf die Temperaturanzeiger und stöhnte. Ronan war wirklich ein absoluter Bastard. Er hätte mühelos irgendeine kleine tropische Insel aussuchen können, dann hätten wir unsere Füße ins türkisfarbene Wasser baumeln lassen und Kokosnüsse futtern können.

Müßig schwenkte ich die Kameras. Ronan war nirgends zu entdecken, aber das bedeutete noch lange nicht, dass er hier nicht irgendwo steckte. Trotzdem würde ich nicht in die sengende Hitze hinaustreten, ehe ich nicht definitiv wusste, dass er da war.

Eine Weile saß ich herum, bis mir dämmerte, dass er, wenn er denn gekommen war, möglicherweise ganz genau dasselbe tat. Leons Pod hatte eine Tarnvorrichtung, die dafür sorgte, dass er in den meisten Umgebungen unsichtbar war, und ich wäre jede Wette eingegangen, dass Ronans Pod über etwas Ähnliches verfügte. Vielleicht befand er sich gerade weniger als drei Meter von mir entfernt? Einer von uns würde den ersten Schritt tun müssen, und ich vermutete, dass ich diejenige sein würde.

Also seufzte ich, griff nach meinem Hut und wickelte mir einen Schal um den Hals, um mich gegen den Sand zu schützen. Dann setzte ich eine Sonnenbrille auf, nahm einen kleinen Rucksack heraus, stopfte eine Wasserflasche, ein Fernglas und einen Kompass hinein und hängte mir ihn über die Schultern.

Noch ein letzter Blick auf die Konsole … Die Umgebungsmelder hatte ich zuvor aktiviert, aber sie hatten nicht angeschlagen. Soweit ich das sagen konnte, war ich im Umkreis von Tausenden von Meilen die einzige Person. Vielleicht war das ein bisschen übertrieben, aber so fühlte ich mich jedenfalls. Zeit, mir meinen völlig unzureichenden Lohn zu verdienen.

Als ich die Tür aufmachte, brachte mich die gleißende weiße Hitze zum Blinzeln, doch irgendwann trat ich nach draußen. Ich sorgte dafür, dass ich im Schatten des Pods blieb, und schaute mich um. Die Landschaft blieb leer, heiß und still. Ich wartete. Hin und wieder trieb mir eine starke Bö Sand ins Gesicht, dann legte sich der Wind wieder und tauchte alles erneut in brütende Stille.

Irgendwann zog ich in Erwägung, auf das Poddach zu klettern, um einen besseren Blick ringsherum zu haben, aber dann schoss mir in den Sinn, dass der vereinzelte Felsen dort drüben eine noch viel weiter reichende Aussicht bieten würde. Er befand sich nur ein paar hundert Meter entfernt. Nicht einmal ich konnte mich hier verirren. Also drückte ich mir meinen Hut fester auf den Kopf, lief los und lauschte auf das knirschende Geräusch des groben Sands unter meinen Füßen, als ich auf den Felsvorsprung zumarschierte. Er war das Einzige hier in dieser trübseligen Gegend, das eine genauere Untersuchung wert war.

Mit einem durchaus mulmigen Gefühl kletterte ich auf das heiße Gestein, drehte mich langsam im Kreis und spürte, wie mir der Schweiß über den Rücken lief, denn die Sonne knallte unbarmherzig auf mich nieder. Allem Anschein nach war Ronan nicht gekommen. Hier war niemand. Außer mir, klar. Ich drehte mich in die andere Richtung, nur um irgendetwas zu tun. Die einzige Bewegung kam vom Sand, der über den Boden trieb und hin und wieder von Windstößen in eine andere Richtung gepustet wurde. Nada – Ronan war nicht aufgetaucht.

»Einen schönen Nachmittag«, rief Ronan und schaute von unten zu mir hoch.

Ich wirbelte herum. Wo zur Hölle war er hergekommen?

Er stand reglos da, als ob wir beide darauf warteten, dass sich mein Herzschlag wieder normalisierte. Er trug dasselbe schwarze T-Shirt und Jeans, hatte sich aber zum Schutz vor der Sonne ein Tuch um den Kopf gewickelt. Allerdings entging mir nicht, dass er mir dieses Mal nicht versicherte, unbewaffnet zu sein.

»Tja«, sagte er, »ist das nicht hübsch hier? Natürlich ein bisschen heiß. Willst du herunterkommen, damit wir uns in den Schatten setzen können?«

Also rutschte ich von dem Gesteinsbrocken, und wir hockten uns nebeneinander in den tiefen Schatten am Fuß des Felsens. Höflich bot Ronan mir etwas Wasser an, das ich ebenso höflich ablehnte. Mich einmal unter Drogen setzen zu lassen – eine Schande. Mir zweimal Medikamente einflößen zu lassen – verdammt noch mal nicht sehr wahrscheinlich.

»Ich will dich nicht lange hier in der Hitze herumhängen lassen«, sagte er. Eine Behauptung, die ich so viel glaubwürdiger gefunden hätte, wenn er mich nicht die letzten zwanzig Minuten hier hätte herumhängen lassen, bis er sich vergewissert hatte, dass ich allein war.

Wir musterten einander. Dr. Bairstow hatte mir seine Entscheidung und eine Nachricht an Ronan mit auf den Weg gegeben, aber ich hatte die Erlaubnis, auf eigene Initiative hin zu handeln, sollte es die Situation erfordern.

»Also?«, fragte Ronan leichthin, auch wenn seine Stimme nicht ganz fest war. »Gibt es eine Antwort?«

»Ja, gibt es. Ich habe mit Dr. Bairstow gesprochen. Genau genommen haben wir den ganzen Nachmittag über die Angelegenheit diskutiert.«

Ich brach ab und dachte daran, wie ich auf dem Teppich vor seinem Schreibtisch auf und ab getigert war, mit den Armen gewedelt und herumgestritten hatte … Denn das, was wir nun vorzuschlagen hatten, war nicht ohne Risiko. Streng genommen hätten wir alles sofort der Zeitpolizei melden, deren Anweisungen abwarten und es ihnen überlassen müssen, die Angelegenheit zu regeln. Haha, als ob das je passieren würde. Die Zeitpolizei war nicht gerade dafür bekannt, mit Augenmaß zuzupacken. Uns bot sich hier eine Chance – eine echte Chance, das alles zu beenden. Ein für alle Mal.

»Ja?«, fragte Ronan ungeduldig. »Und?«

»Dr. Bairstow ist völlig …«

Weiter kam ich nicht.

Ich stand auf und starrte über Ronans Schulter hinweg. Am Horizont, weit zu meiner Rechten, hatte es einen kleinen Lichtblitz gegeben. Und dann noch einen.

Sofort starrte ich Ronan an. Was auch immer da war, war zu weit entfernt, um eine unmittelbare Bedrohung zu sein. Vielleicht war es eine Karawane auf dem Weg nach … Ich zermarterte mir das Gehirn. Natürlich hatte ich vor meinem Aufbruch die Karte der Umgebung gründlich studiert. Die Oase von Siwa lag viel zu weit im Norden, und überhaupt führte die traditionelle Route weiter östlich entlang, über die Oasen von Dachla und Farafra. Plötzlich wurde ich misstrauisch und wandte mich an Ronan: »Die Koordinaten stammen von dir. Ist das eine Falle? Was ist das da drüben?«

Auch er starrte zum Horizont. »Woher soll ich das denn wissen? Das könnte jeder sein.«

»Da draußen? Mitten im Nichts? Karawanen ziehen gewöhnlich nach Osten.« Ich deutete vage in eine Richtung, von der ich hoffte, dass es Osten war. »Hier gibt es nichts außer uns.«

Außer mir.

Dr. Bairstow und ich hatten die Möglichkeit eines Hinterhalts besprochen. Oder einer Entführung. Oder sogar eines Mordes. Ich war für alle Eventualitäten bewaffnet und ausgerüstet. Und Ronan genauso, da war ich mir sicher. So viel zum Thema Politik der Entspannung.

Ich öffnete meine Kom-Verbindung, und Ronan stieß mich mit dem Rücken gegen den Felsen. Eine Waffe tauchte aus dem Nichts auf. »Mit wem sprichst du?«

Ich schlug seine Hand weg. »Mit meinem Computer, stell dir vor. Computer!«

Dieser gab das gewohnt nervige leise Trillern von sich.

»Computer, benutze die augenblicklichen Koordinaten und stelle Vermutungen an über näher kommende Personen.«

Es gab eine kleine Pause, vermutlich, weil der Computer ein bisschen über die Situation nachdachte.

»Es gibt keine Hinweise auf irgendwelche größeren Handelsrouten in diesem Gebiet. Diesbezügliche Informationen könnten verloren gegangen sein. Oder …« Das macht er manchmal. Ich glaube, er mag es, Spannung aufzubauen. Irgendwann mal werde ich ihn an seinen Kabeln herausreißen und ihm klarmachen, wer hier die Chefin ist.

»Ausgrabungen in dieser Gegend haben eine beträchtliche Menge an menschlichen Knochen und einige Artefakte zutage gefördert, die auf eine Zeit vor ungefähr zweieinhalbtausend Jahren datiert werden. Es wird geschlussfolgert, dass es die Überreste einer ägyptischen Armee sein könnten, von der man glaubt, dass sie einem möglichen Sandsturm zum Opfer fiel, als sie zum Orakel des Amun in Siwa unterwegs war, was mit dem Tod von fünfzigtausend Mann endete.«

Der Computer machte eine Pause, wahrscheinlich, um mir ein bisschen Gelegenheit zu geben, diese Information zu verdauen.

»O mein Gott«, sagte ich und verspürte das langsame Aufflackern von Aufregung. »Die verschwundene Armee des Kambyses.« Ich stand auf Zehenspitzen – als ob das irgendeinen Unterschied gemacht hätte – und spähte in die Ferne. Ronan, seine Waffe, sein Friedensangebot, der momentane Standort seines Pods, all das war vollkommen vergessen. Denn ich bin Historikerin, und meine Prioritäten können sich manchmal ein bisschen von denen anderer Leute unterscheiden. Ist nicht meine Schuld.

Ronan drehte sich zu mir um und bebte förmlich infolge eines Verdachts, der dem meinen glich. »Wer sind die? Hast du irgendjemanden alarmiert?«

Mit zusammengekniffenen Augen schaute ich in das gleißende Sonnenlicht. »Ja, na klar. Ich weiß ja, wie du sein kannst, und da habe ich einfach gleich den Pharao selbst aktiviert, und der hat seine ganze Armee losgeschickt, nur um dich zur Strecke zu bringen. Wirklich, ein beeindruckendes Maß an Paranoia, Ronan. Bravo.«

Er sah zu mir herunter. »Ich kann doch auf keinen Fall der einzige Mensch auf der Welt sein, der dich umbringen will.«

»Gott, nein. Tut mir leid, wenn das dein riesiges Ego verletzt, aber du bist nur einer von vielen. Die halbe Menschheit steht vor dir in der Reihe.«

Während ich redete, versuchte ich, mich an ihm vorbeizumogeln, aber er stieß mich wieder zurück und wollte wissen, wo zur Hölle ich hinzugehen gedächte.

Ich warf ihm einen erschöpften Blick zu. »Zurück zu meinem Pod, um Aufnahmegeräte und Kameras zu holen und ein zweieinhalbtausend Jahre altes Geheimnis zu lüften.«

»Bist du verrückt geworden?«

»Ist das eine ernst gemeinte Frage?«

Er hielt mich immer noch am Arm fest. »Und während du dich amüsierst und deine Zeit verschwendest, erwartest du von mir, dass ich einfach nur abwarte?«

Ich ging ein wahnsinniges Risiko ein. »Nein, Mr. Ronan, ich erwarte, dass du dich nützlich machst.«

Er ließ meinen Arm los, und wir starrten einander an. Mir fiel auf, dass der Wind auffrischte, denn ich merkte, wie mir lose Haarsträhnen ums Gesicht flatterten.

Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube, du hast das entscheidende Wort vergessen.«

»Was denn für ein entscheidendes Wort?«

»Sandsturm.«

»Möglicher Sandsturm.«

»Wenn der fünfzigtausend ägyptische Elitesoldaten unter sich begraben kann, was zur Hölle wird er dann wohl mit uns anstellen?«

»Wir werden das alles gut überstehen.«

»Gut überstehen?«

»Ach, komm schon, Clive. Wann hast du denn das letzte Mal etwas nur so zum Spaß gemacht?«

Er schien ein bisschen überrascht davon, dass ich das S-Wort ins Spiel gebracht hatte, und während er sich noch sammelte, marschierte ich durch den Sand davon.

Er holte mich ein. »Halt mal, halt mal …«

»Sieh mal, vielleicht ist das auch nur eine Karawane außer der Reihe. In diesem Fall warten wir einfach ab, bis sie an uns vorbeigezogen ist, und setzen unsere Diskussion dann fort. Oder es könnten – nur ganz vielleicht – die Jungs von Kambyses sein, und diese Gelegenheit kann ich mir einfach nicht entgehen lassen. Und mach dir keine Sorgen wegen des Sandsturms. Er könnte heute einsetzen, aber genauso gut auch morgen oder nächste Woche.« Beruhigend tätschelte ich ihm den Arm. »Keine Angst, Clive. Ich passe auf dich auf.«

Er stand nachdenklich da. »Mir kommt gerade in den Sinn, dass ich dich auch jetzt gleich umnieten und deine Leiche verbrennen könnte, um dann ins St. Mary’s zurückzukehren und die Belohnung von deinen zweifellos sehr erleichterten Kollegen einzustreichen.«

Ich sah ihn an. »Du warst doch auch mal Historiker. Sei wieder einer. Nur für einen Tag.«

Kapitel 3

Ronan wartete draußen vor meinem Pod, wo er im Schatten hockte. Er wollte nicht mit hineinkommen, und in dieser Phase wollte ich die Sache nicht zu sehr vorantreiben. Als ich drinnen war, suchte ich alle Informationen über den Pharao Kambyses und seine Armee heraus, die ich finden konnte. Eigentlich ist das eine ziemlich bekannte Geschichte. Selbst Ronan hatte ja darüber Bescheid gewusst.

Im Jahr 525 vor Christus war Ägypten Teil des Perser-reiches, nachdem es von Kyros dem Großen erobert worden war. Nach seinem Tod gelang es seinem Sohn Kambyses nicht, die mächtigen Priester Amuns dazu zu bringen, sein Anrecht auf den Thron von Ägypten anzuerkennen, und so zog er eine gewaltige Armee, gut fünfzigtausend Mann stark, zusammen und schickte sie zum Orakel von Siwa, um denen dort auf eigene Art und Weise ihren Fehler vor Augen zu führen.

Keiner dieser fünfzigtausend Soldaten sollte je wiedergesehen werden.

Es hatte mal die Theorie gegeben, dass sie nicht der traditionellen Ostroute gefolgt, sondern stattdessen nach Westen gezogen waren, ehe es in Richtung Siwa weiterging, und die gesamte Armee war in einen furchtbaren Sandsturm geraten und vollständig darunter begraben worden. In letzter Zeit hatten archäologische Ausgrabungen dieser Theorie neue Nahrung gegeben, auch wenn sie weiterhin kontrovers diskutiert wurde und nichts je bewiesen werden konnte.

»Herodot zufolge«, sagte ich, auch wenn man mich auf diesen janusköpfigen, hinterhältigen kleinen Mistkerl besser nicht ansprechen sollte, »kommt der Sandsturm aus dem Süden.« Ich stand im Eingang des Pods und sah mich um. »Wo ist Süden?«

»Wie schaffst du es eigentlich, zu überleben?« Ronan zeigte in die Richtung, aus der sich uns etwas näherte, was auch immer das war.

»In Ordnung, also werden sie von hinten überrascht, was bedeutet …«

»Was bedeutet, dass sie wie verrückt in die entgegengesetzte Richtung rennen werden. Auf uns zu.«

»Nicht notwendigerweise. Ich meine – es gibt nichts, was uns sicher sagt, dass heute der Tag des Sandsturms ist. Wir könnten uns auch einfach auf diesem Felsen da oben verstecken und fantastische Aufnahmen machen, wenn sie hier vorbeikommen auf dem Marsch zu ihrer Verabredung mit dem Schicksal.«

»Ihrer was?«

Ich begann noch mal von vorne. Ein weiterer Blitz. Und dann noch einer. Und der Horizont verschwamm, was an dem Sand liegen könnte, der von Männern, Pferden und Streitwagen aufgewirbelt wurde, die allesamt unterwegs waren, um die Sache mit dem Orakel von Amun und seinen sturen Leuten zu klären.

»Was ist mit diesem Pod?«, fragte er. »Willst du ihn einfach hier stehen lassen?«

»Na ja, es ist ein winziger Pod mitten in einer riesigen Wüste. Und sie können nicht hinein, und er ist zu schwer, um weggeschleppt zu werden. Abgesehen davon, dass sie vielleicht ein paar Speere darauf werfen, gibt es nicht viel, was sie tun können. Was ist mit deinem?«, erkundigte ich mich, nicht ohne Hintergedanken, denn ich hoffte, dass Ronan mir seinen Standort verraten würde.

»Der ist sicher. Sie werden ihn auf keinen Fall finden.«

Aha. Tarnvorrichtung. Ich wusste es. Verdammt. Das könnte mir noch einige Probleme bereiten.

»Dann lass uns aufbrechen.«

Der Felsen war in weiten Teilen ein einziger riesiger, massiver Gesteinsblock, der aber zum südlichen Ende hin in fünf oder sechs kleinere Abschnitte auslief. Einer wölbte sich ein Stückchen vor und bildete etwa sechs Meter über uns eine Höhle, die uns sehr willkommenen Schatten spenden und auch ein bisschen Schutz bieten könnte. Wir kletterten hinauf, suchten alles gründlich nach Skorpionen und Schlangen ab und machten es uns dann bequem. Ronan griff nach einem Rekorder und nahm ihn in Augenschein.

»Einfach nur draufhalten und den Knopf drücken«, sagte ich. »Ist ganz simpel.«

Er warf mir einen Blick zu. »Das muss es wohl auch sein.«

»Du bist ganz schön grantig.«

»Das liegt an der Gesellschaft, in der ich mich befinde.«

Als Ronan aufstand und sich nachdenklich umsah, achtete er sorgfältig darauf, im Schatten des Felsens zu bleiben, sodass er nicht zu sehen war, denn Armeen können manchmal ganz schön unfreundlich zu jemandem sein, von dem sie denken, dass er sie gerade ausspioniert. »Bitte erinnere mich daran, deinen zukünftigen Vorhersagen über Armeen, Sandstürme oder überhaupt irgendetwas keinerlei Glauben mehr zu schenken.«

Ich stellte mich neben ihn. »Was ist denn?«

Er zeigte mit dem Finger Richtung Horizont, oder besser gesagt dorthin, wo der Horizont mal gewesen war. Eine dunkle gelbliche, trübe Wolke vernebelte alles und wurde immer größer. Wüstenstaub. Ich drückte die Daumen, dass dieser von einer marschierenden Armee aufgewirbelt wurde und nicht der Beginn eines Sandsturms war.

»Oh.«

»Oh? Ist das alles, was dir einfällt?«

»Was willst du denn sonst noch hören?«

»Ach, weiß ich auch nicht. Wie wäre es mit: Es tut mir so leid, Clive. Ich bin eine komplette Idiotin, die man nicht alleine rauslassen sollte. Und was noch schlimmer ist: Ich habe dein Leben für ein paar Schnappschüsse von einem Haufen Leute aufs Spiel gesetzt, die vor zweieinhalbtausend Jahren gestorben sind. Dabei hätte ich gerade etwas viel Wichtigeres im Hinblick auf den Weltfrieden zu tun gehabt.«

»Hey, du Stinkstiefel, das waren nicht meine Koordinaten. Hast du die denn überhaupt nicht überprüft?«

Stille. Nun, das beantwortete die Frage.

An diesem Punkt hätte er zurück zu seinem Pod gehen und mich mit der Sache allein lassen können. Ich wäre nicht im Mindesten erstaunt gewesen, wenn er gesagt hätte: »Maxwell, das mach mal schön allein. Wir sehen uns!«, und abgedampft wäre. Wahrscheinlich hätte er auf dem Weg nur noch kurz haltgemacht, um mich abzuknallen, falls er wirklich genervt gewesen wäre. Aber das tat er nicht. Er nestelte an seinem Aufnahmegerät herum, schwenkte zur Probe einmal rings herum und ließ sich dann auf den Boden sinken.

Ich war mir darüber im Klaren, dass ich mein Glück ganz schön überstrapazierte. Auf der einen Seite konnte ich es mir nicht leisten, in Kauf zu nehmen, dass Ronan einfach so verschwand, während die Situation, die er heraufbeschworen hatte, immer noch ungeklärt war. Aber natürlich wollte ich auf der anderen Seite auch unbedingt sehen, was vielleicht die verlorene Armee von Kambyses sein konnte. Als ich Ronan vorschlug, er solle sich an seine Wurzeln als Historiker erinnern und mir helfen, hätte ich es keinen Moment für möglich gehalten, dass er das tatsächlich tun würde. Aber er hatte recht: Eine anrückende Armee war keine gute Sache. Eine anrückende Armee, die von einem Sandsturm verfolgt wurde, war sogar noch schlimmer. Und ein Sandsturm, der die besagte wüstenerprobte Armee unter sich begraben würde, war das Allerschlimmste. Wenn das tatsächlich alles in unsere Richtung unterwegs war, saß ich hier mit einem psychotischen Killer in der Falle, der mir in der Vergangenheit nichts als Schaden zugefügt hatte. Eine vernünftige und umsichtige Historikerin würde sehen, dass sie wegkommt.

Ach, na ja …

»Aufgepasst«, sagte Ronan leise.

Zwei Streitwagen näherten sich uns.

Tja, damit war eine Sache geklärt. Was auch immer auf uns zu kam, war keine harmlose Karawane. Keine Ahnung, warum ich je gedacht hatte, dass das eine Möglichkeit hätte sein können.

»Kundschafter«, sagte ich, zog mich in den Schutz des Felsens zurück und aktivierte mein Aufnahmegerät.

Ein tiefes Seufzen links von mir verriet mir, dass Ronan sich, zumindest für den Augenblick, in sein Schicksal gefügt hatte.

Wir kauerten da und beobachteten alles.

Sie kamen ziemlich schnell näher. Auf jedem Streitwagen standen zwei Männer, die mühelos das Gleichgewicht hielten, während ihre Vehikel über den unebenen Boden schlingerten. Die Fahrer konzentrierten sich auf ihre Pferde, aber die Soldaten verständigten sich mit lauten Rufen und wilden Gesten. Sie nahmen unseren Felsen in den Blick.

»Ich habe Pläne für den Rest meines Lebens«, sagte Ronan leise. »Und ich wäre dir sehr verbunden, wenn du dich zügeln und nichts Dummes anstellen würdest. Auch wenn ich nicht sonderlich optimistisch bin, dass das geht.«

Wir rückten in unserem kleinen Schattenfleck ganz nach hinten und sahen zu, wie die Späher einmal um den Felsen herumfuhren. Ich war ganz zuversichtlich, dass meine Tarnkleidung mit dem Felsen ringsum verschmelzen würde, und Ronans dunkle Klamotten waren in den tiefen Schatten ohnehin fast unsichtbar.

Jeder Streitwagen wurde von zwei Pferden gezogen. Ich war überrascht, wie schlicht die Geschirre gehalten waren. Zeitgenössische Darstellungen zeigten immer prächtig gekleidete Soldaten und Wagenlenker mit kunstvoll herausgeputzten Streitwagen. Manchmal trugen sogar die Pferde Kopfschmuck. Allerdings nicht bei einem Marsch durch die Wüste. Vielleicht sparte man sich das gute Zeug für Siegesparaden auf. Oder für die Schlacht selbst, um die Gegner mit dem Reichtum und der Macht des ägyptischen Reiches zu blenden. Bei der heutigen Gelegenheit waren Pferde, Männer und Streitwagen von Wüstensand bedeckt, und alles war von einem schmutzigen Braun.

Beide Soldaten hatten Bögen im Anschlag, die Pfeile bereits eingelegt, und suchten jeden Zentimeter des Umlands ab. Sie umkreisten unseren Felsen mehrere Male und brüllten einander etwas zu.

»Sie sind sehr gründlich«, flüsterte ich.

»Würde ich auch sein«, sagte Ronan.

»Allerdings bei der Wahl der Koordinaten nicht gründlich genug, um sicherzustellen, dass nicht zufälligerweise eine ganze Armee an uns vorbeimarschiert.«

»Vor wenigen Augenblicken hast du dich noch wie ein kleines Mädchen über diese Gelegenheit gefreut. Vielleicht entscheidest du dich mal.«

Anscheinend waren die Besatzungen der beiden Streitwagen zufrieden, denn sie drehten ab, fuhren denselben Weg zurück, den sie gekommen waren, und verschwanden schon bald wieder in der Staubwolke.

»Bist du jetzt glücklich?«, fragte Ronan. »Können wir verschwinden?«

»Verschwinden? Warum denn das?«

»Temperaturen über hundert Grad? Fünfzigtausend anrückende Ägypter? Sandsturm?«

Ich zögerte. Schließlich war das hier nicht der eigentliche Grund, aus dem ich da war. Ich war hier, um mit Ronan zu verhandeln. Und wenn das erledigt war, könnte ich immer noch ganz einfach die Koordinaten an die Historische Abteilung weitergeben, und dann wäre es immer noch möglich, eine vernünftige Mission zu planen und den Job anständig zu erledigen.

»Okay«, sagte ich widerwillig. »Dein Pod oder meiner?«

»Weder noch«, sagte er und starrte Richtung Horizont. »Es ist zu spät.«

Und das war es in der Tat.

Rechts von uns näherte sich eine Sandwolke, und während ich hinsah, begannen sich winzige Gestalten daraus zu lösen. Weitere Streitwagen sprengten aus dem Staubnebel. Sie machten den Weg frei für die vorrückende Armee, die nur etwa eine Viertelmeile entfernt an uns vorbeimarschieren würde.

Ich fragte Ronan: »Irgendeine Möglichkeit, zu deinem Pod zu kommen?«

»Nein«, antwortete er schroff.

Mein Pod befand sich zwar nicht auf dem Weg, den die Armee einschlagen würde, aber er war mehrere Hundert Meter vom Felsen entfernt auf der anderen Seite abgestellt. Keine Chance also. Wir würden es hier aussitzen müssen. Ich zog mich tiefer in den Schutz der Gesteinshöhle zurück und wartete.

Wenn das der legendäre Sandsturm war, dann war er eigentlich gar nicht so schlimm.

Ja, der Sand wirbelte wie verrückt herum; er wurde zuerst aufgewühlt von Hufen, Wagenrädern und Füßen im Gleichschritt, dann vom Wind durch die Gegend gepustet. Ich konnte ihn überall spüren; er geriet mir unter die Kleidung, trotz des Hutes in meine Haare, in meinen Mund, einfach an jede Stelle. Aber ich konnte immer noch etwas sehen. Die Armee war ungefähr eine Viertelmeile entfernt. Ich stellte den Rekorder auf extreme Nahaufnahme und begann mit der Aufzeichnung.

Zuerst kam, was ich für die Kerntruppe des Pharaos hielt, die sich zu Fuß mit aller Kraft durch den Sand schob. Da sie sich vorne befand, war sie besser zu sehen als die armen hustenden Kerle, die sich hinter ihnen vorwärtskämpften.

Sie trugen Tuniken und Sandalen. In dieser Gluthitze hatte niemand eine Rüstung an, und die Helme baumelten an ihren Gürteln. In der rechten Hand trugen sie jeweils den sichelförmigen Chepesch und in der linken einen Schild aus Holz und Leder, auf dessen Rückseite ein Kurzschwert befestigt war. Praktisch und mühelos einfach zugänglich. Sie marschierten schnell, ja fast war es ein Trott. Ab und zu warfen sie Blicke zurück über ihre Schultern. Sie wussten, was da kam. Was hinter ihnen her war.

Ihnen folgte ein einzelner Streitwagen, gezogen von zwei Pferden. Dies müsste der Oberbefehlshaber sein. Der General. Keine Ahnung, wie er heißen mochte, deshalb wünschte ich mir, ich wäre besser auf diese Sache vorbereitet gewesen. Aber nach meiner Rückkehr würde ich ja immer noch nachschlagen können. Ich versuchte, mich ein bisschen weiter nach vorne zu schieben, um eine bessere Sicht zu haben, doch Clive Ronan zerrte mich an meinem T-Shirt zurück.

»Was aus dir wird, ist mir wirklich herzlich egal, und wenn die Mannschaft von Kambyses dich unter einem Wagenrad zerquetschen will, dann feuere ich sie an, das kannst du mir glauben. Aber was aus mir wird, ist mir wirklich alles andere als schnurz, also halt dich ruhig, oder ich haue dich mit einem Stein um und werfe dich den Geiern zum Fraß vor.«

Der Streitwagen des Generals fuhr ein gutes Stück hinter seiner Vorhut, und so schluckte er nicht so viel Staub wie sie. Ich konnte seine leder- und bronzefarbene Tunika erkennen. Auch er sah über seine Schulter zurück, vermutlich, um den näher kommenden Sturm einzuschätzen, und kein einziges Mal blickte er in unsere Richtung. Manchmal ist mein Job so frustrierend. Sein Wagenlenker sagte irgendetwas, und er wandte sich wieder ab, damit er nach vorne schauen konnte. Durch mein Sichtgerät erhaschte ich einen kurzen Eindruck von seiner hervorstechenden Nase und den dick mit Kohlestaub umrandeten Augen. Dann drehte er sich wieder um und suchte erneut die Horizontlinie ab. Unserem Felsen gönnte er keinen Blick.

Ihm folgten Bogenschützen, die vorne verstärkte Lendenschurze aus Leinen trugen, um ihre wichtigsten Stücke zu schützen. Ich hinterließ mir ein Sprachmemo, um später zu überprüfen, ob die Ägypter mit Leinenpanzern vertraut waren und ob sie einen Treffer von einem Pfeil oder einen Stoß mit dem Speer abfedern konnten. Ronan verdrehte die Augen.

Es gab drei Kompanien von Bogenschützen, und ihnen folgte die Infanterie. Reihe für Reihe Fußsoldaten, die beinahe vollständig in Staub und Sand gehüllt waren. Sie rannten nicht gerade – nicht in dieser Hitze! –, aber sie trödelten auch nicht herum. Sie wussten, dass etwas hinter ihnen her war, und sie kamen in einem strammen Laufschritt voran. Hofften sie darauf, dem Sturm davonzulaufen? Es gab keine Anzeichen von Panik und körperlichem Unwohlsein. Dies waren die Wüstentruppen, die an die Witterungsbedingungen dieser Gegend gewöhnt waren, aber man muss sich mal das Ausmaß eines Sandsturms vorstellen, der eine ganze Armee so vollständig unter sich begraben kann, dass keine Spur davon jemals wiedergefunden wurde.

Sie taten nicht einmal so, als würden sie in fester Formation marschieren. Um den unteren Teil ihrer Gesichter hatten sie sich Tücher gebunden, und mit gesenkten Köpfen machten sie Meile um Meile gut. Mehrere Streitwagen brachen aus den Reihen aus, um unseren Felsen in Augenschein zu nehmen. Ronan und ich zogen unsere Köpfe ein und verharrten völlig reglos, aber die Überprüfung war ohnehin nur oberflächlich. Die Gegend war bereits abgesucht worden, und jeder da draußen in der Hitze hatte ohnehin andere Dinge, über die es sich Sorgen zu machen galt.