Doktor Maxwells paradoxer Zeitunfall - Jodi Taylor - E-Book

Doktor Maxwells paradoxer Zeitunfall E-Book

Jodi Taylor

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein Mammut zum Mitnehmen, bitte! Der sechste Teil der englischen Erfolgsserie über die Zeitreisende Doktor Madeleine Maxwell!

Frisch verheiratet kehrt Max in den Dienst der zeitreisenden Historikerinnen und Historiker zurück. Ihr Jobprofil hat sich sogar ein wenig erweitert: Sie soll ab jetzt die neuen Rekruten ausbilden. Das wird Max selbstverständlich besser machen als ihre Vorgänger. Darum hat sie auch einen ausgeklügelten Trainingsplan, bei dem nichts schief gehen kann – außer es geht etwas schief! Und so treffen ihre Rekruten viel zu früh auf ein Baby-Mammut und auf sie Jagd machende Steinzeitmenschen, auf Johanna von Orléans und auf lästige Zeitpolizisten, die sich wie immer viel zu wichtig nehmen. Also eigentlich ist alles wie immer, wäre da nicht ein mieser, fieser, verkommener und vor allem unglaublich enttäuschender Verräter …



Die paradoxen und unabhängig voneinander lesbaren Abenteuer der zeitreisenden Madeleine »Max« Maxwell bei Blanvalet:
1. Miss Maxwells kurioses Zeitarchiv
2. Doktor Maxwells chaotischer Zeitkompass
* Doktor Maxwells weihnachtliche Zeitpanne
3. Doktor Maxwells skurriles Zeitexperiment
* Doktor Maxwells römischer Zeiturlaub
4. Doktor Maxwells wunderliches Zeitversteck
* Doktor Maxwells winterliches Zeitgeschenk
5. Doktor Maxwells spektakuläre Zeitrettung
6. Doktor Maxwells paradoxer Zeitunfall
Weitere Bände in Vorbereitung
(bei den mit * versehenen Titeln handelt es sich um E-Only-Kurzgeschichten)

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 523

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Buch

Frisch verheiratet kehrt Max in den Dienst der zeitreisenden Historikerinnen und Historiker zurück. Ihr Jobprofil hat sich sogar ein wenig erweitert: Sie soll ab jetzt die neuen Rekruten ausbilden. Das wird Max selbstverständlich besser machen als ihre Vorgänger. Darum hat sie auch einen ausgeklügelten Trainingsplan, bei dem nichts schiefgehen kann – außer es geht etwas schief! Und so treffen ihre Rekruten viel zu früh auf ein Babymammut und auf sie Jagd machende Steinzeitmenschen, auf Johanna von Orléans und auf lästige Zeitpolizisten, die sich wie immer viel zu wichtig nehmen. Also eigentlich ist alles wie immer, wäre da nicht ein mieser, fieser, verkommener und vor allem unglaublich enttäuschender Verräter …

Autorin

Jodi Taylor war die Verwaltungschefin der Bibliotheken von North Yorkshire County und so für eine explosive Mischung aus Gebäuden, Fahrzeugen und Mitarbeitern verantwortlich. Dennoch fand sie die Zeit, ihren ersten Roman »Miss Maxwells kurioses Zeitarchiv« zu schreiben und als E-Book selbst zu veröffentlichen. Nachdem das Buch über 60.000 Leser begeisterte, erkannte endlich ein britischer Verlag ihr Potenzial und machte Jodi Taylor ein Angebot, das sie nicht ausschlagen konnte. Ihre Hobbys sind Zeichnen und Malerei, und es fällt ihr wirklich schwer zu sagen, in welchem von beiden sie schlechter ist.

Die spektakulären und unabhängig voneinander lesbaren Abenteuer der zeitreisenden Madeleine »Max« Maxwell bei Blanvalet:

1. Miss Maxwells kurioses Zeitarchiv

2. Doktor Maxwells chaotischer Zeitkompass

3. Doktor Maxwells skurriles Zeitexperiment

4. Doktor Maxwells wunderliches Zeitversteck

5. Doktor Maxwells spektakuläre Zeitrettung

6. Doktor Maxwells paradoxer Zeitunfall

E-Book Short Storys:

Doktor Maxwells weihnachtliche Zeitpanne

Doktor Maxwells römischer Zeiturlaub

Doktor Maxwells winterliches Zeitgeschenk

Weitere Bände in Vorbereitung

Besuchen Sie uns auch auf www.instagram.com/blanvalet.verlag und www.facebook.com/blanvalet.

Roman

Deutsch von Marianne Schmidt

Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel »What Could Possible Go Wrong? (The Chronicles of St. Mary’s Book 6)« bei Accent Press, Cardiff Bay.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright der Originalausgabe © 2015 by Jodi Taylor

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2022

by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Werner Bauer

Umschlaggestaltung und Artwork: © Isabelle Hirtz, Inkcraft

unter Verwendung mehrerer Motive von Shutterstock.com (YKh; Al-Tair; Michal Sanca)

HK · Herstellung: sam

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-27970-7V002

www.blanvalet.de

Prolog

Ich glaube, ich bin einer der privilegiertesten Menschen auf diesem Planeten.

Zu tun, was ich tue – zu gehen, wohin ich gehe, zu sehen, was ich sehe –, ist ein wunderbares, einzigartiges, niemals als selbstverständlich anzusehendes Privileg.

Allerdings geht mit großen Privilegien auch eine große Verantwortung einher. In unseren Verträgen ist davon nichts zu lesen, aber es ist trotzdem jedem von uns klar. Sollte irgendetwas schiefgehen, dann liegt die Verantwortung dafür, alles wieder geradezurücken, bei uns allein. Uns ist klar: Nur das ist der Grund dafür, dass die Geschichte uns erlaubt zu tun, was wir tun.

Und wenn wir nicht einschreiten, wenn wir die Dinge, die unseretwegen falsch gelaufen sind, nicht wieder richtigstellen, dann erledigt die Geschichte das für uns. Und erledigt uns vermutlich gleich mit.

Wenn man also einen Fanatiker mit einer Waffe jagt, der felsenfest entschlossen ist, den Verlauf der Geschichte zu ändern, dann spielt es keine Rolle, ob es uns möglicherweise das Leben kostet, wenn wir versuchen, es zu verhindern. Wenn wir versagen, werden wir auf jeden Fall mit dem Leben bezahlen.

Kapitel 1 

Ich starrte Dr. Bairstow an.

»Ich bitte um Verzeihung, Sir. Könnten Sie das wohl noch einmal sagen?«

Das war gerade ein kleiner Fehler. Er mag es nicht, wenn er sich wiederholen muss. Von uns wird erwartet, dass wir die Dinge gleich beim ersten Mal kapieren.

»Welcher Teil genau war unverständlich, Dr. Maxwell?«

Ich holte tief Luft.

»Der Part, in dem es um die Amerikanerin ging, Sir.«

»Ach, wirklich? Ich dachte, ich hätte mich da klar und deutlich ausgedrückt.«

»Das haben Sie, Sir. Es sind weniger die Worte als viel eher der Inhalt, den ich nicht ganz richtig verstanden habe.«

»Ich habe fünf Auszubildende für Sie, Dr. Maxwell. Da Sie die Leiterin des Ausbildungsprogramms sind, hätte ich mehr Begeisterung erwartet. Von Dankbarkeit ganz zu schweigen.«

»Wie Sie wissen müssten, Sir, bin ich von Hause aus voller Begeisterung und Dankbarkeit. Es ist die Überraschung, mit der ich ringe.«

»Und ich habe keinen Zweifel, dass Sie jeden Augenblick die Oberhand gewinnen werden.«

Ich seufzte. »Schon geschehen, Sir.«

»Es werden fünf sein – zwei Männer und drei Frauen.«

»Ausgezeichnet, Sir.«

»Und von diesen Anwärtern kommt jemand aus Amerika.«

»Also – eine Amerikanerin, Sir?«

»Normalerweise wäre die Antwort ein Ja. Wie Sie so treffend bemerken, ist eine Frau aus Amerika gewöhnlich eine Amerikanerin. Aber in diesem Fall: nein.«

»Also – keine Amerikanerin, Sir?«

Er lächelte. Ich nahm an, dass er mich aufzog, und obwohl ich der Meinung war, dass man den Leuten aus dem oberen Management jede Gelegenheit bieten sollte, ihre alberne Seite zu zeigen, sollte das keinesfalls auf Kosten der Leiterin der Ausbildungsabteilung gehen, die frisch im Amt war.

»Vielleicht«, sagte ich nicht ohne Hintergedanken, »wäre es hilfreich für die Kandidatin, die neu in diesem Land ist, wenn sie einige Zeit an der Thirsk-Universität verbringen könnte, sozusagen, um sich ans Klima zu gewöhnen.«

Als ob das St. Mary’s auf der Spitze der Anden liegen würde.

»Genau genommen, Dr. Maxwell, ist diese Sie ein Er.«

»Nun, das ist gar nicht gut für uns, Sir. Wir brauchen mehr Frauen. Das Geschlechterverhältnis in der Historischen Abteilung ist so schon alles andere als ausgeglichen.«

»Immerhin sind wir uns mal in einer Sache einig. Wie Sie wissen, sage ich immer: Wenn zwei Parteien ihre Differenzen in einer ruhigen und vernünftigen Art und Weise besprechen, dann findet sich auch ein gemeinsamer Nenner.«

Diese atemberaubende Scheinheiligkeit von jemandem, dessen autokratischer Führungsstil bereits vor Jahren an der Vorstufe zur Diktatur angelangt war, verschlug mir kurzzeitig die Sprache. Während ich noch versuchte, mich wieder zu sammeln, setzte er schon zum nächsten Schlag an.

»Ich weiß wirklich nicht, was Ihnen solche Schwierigkeiten bereitet, Dr. Maxwell.«

»Tja, die Grenzen sind jetzt mittlerweile schon seit einer ganzen Weile geschlossen. Wie ist er denn rausgekommen?«

»Auf der Kanada-Route, soweit ich weiß.«

Und wieder verstummte ich. Die Kanada-Route war nicht gerade ein Spaziergang durch den Park.

»Wird er uns verstehen können, Sir? Die sprechen da drüben eine fremde Sprache. Ich habe gehört, dass sie pflügen ganz anders als wir schreiben.«

»Ich teile Ihr Entsetzen«, sagte Dr. Bairstow. »Aber da ich größte Zweifel habe, dass irgendjemand in der Historischen Abteilung das Wort pflügen in irgendeiner Sprache richtig schreiben kann, halte ich das nicht für eine unüberwindliche Hürde bei der Aufnahme in das St.-Mary’s-Institut.«

»Und vermutlich heißt er Otis P. Hackensacker III. Oder Gewürzteebeutel. Oder etwas anderes in dieser Art.«

Er tat so, als würde er in seinen Notizen nachsehen. »Nein, er gibt seinen Namen als Laurence Hoyle an.«

»Was ist das denn für ein Name? Ich meine, für einen Amerikaner?«

»Nun, ich dachte, das hätten wir schon besprochen, Dr. Maxwell. Er ist kein Amerikaner.«

»Sie sagten doch …«

»Ich sagte nichts dergleichen. Er ist Brite und wurde dort festgesetzt, als die Grenzen geschlossen wurden. Offenbar hat er die letzten zwei Jahre seines Lebens mit dem Versuch zugebracht, wieder in dieses Land zurückzukehren.«

Skeptisch erkundigte ich mich: »Was hat er denn da überhaupt zu suchen gehabt? Ist er ein Spion? Und was will er jetzt hier im St. Mary’s? Wirklich, Sir, das ist alles sehr verdächtig und verspricht nur Ärger.«

»Auch wenn Ihnen das seltsam vorkommen mag, Dr. Maxwell, so glaube ich nicht, dass Mr. Hoyle heimlich auf der Kanada-Route aus Amerika geflohen ist, sich eine Transportmöglichkeit über den Atlantik gesucht hat und dann per Anhalter quer durchs Land gereist ist, mit dem einzigen Ziel, Ihnen Ärger zu machen.«

»Und wem will er dann Ärger machen?«

Es gab ein kurzes Schweigen.

»In einer Organisation, der bereits Sie angehören, Dr. Maxwell, wäre es überflüssig, noch ein weiteres Ärgernis anzuwerben.«

Was sollte ich dazu noch sagen? Tapfer machte ich einen letzten Versuch.

»Wissen wir denn, was er in Amerika zu tun hatte?«

»Das ist kein Geheimnis. Er hat Forschungen betrieben und ist dann von den Ereignissen überrollt worden, als die Grenzen geschlossen wurden. Ich denke, Sie werden mir zustimmen, dass ihn das schon halb als Mitglied der Historischen Abteilung qualifiziert.«

Ich nickte düster. Damit hatte er mich erwischt.

»Fünf Auszubildende für Sie, Dr. Maxwell, und sie werden in zehn Tagen eintreffen. Sind Sie dann bereit für sie?«

Ich fuhr meinen Datensatz hoch.

»Der Ausbildungsplan ist fertig, Sir.«

»Wären Sie so freundlich, ihn mir vorzustellen?«

»Wie Sie sehen können, Sir, liegt der Fokus darauf, unsere Auszubildenden so schnell wie möglich nach draußen zu bringen.«

»Nicht vorschnell, hoffe ich.«

»Keineswegs, Sir. Sie werden natürlich zuerst die Grundausbildung erhalten. Theorie und Praxis. Sie werden fit gemacht, lernen Selbstverteidigung, Erste Hilfe, Überleben im Freien, den ganzen Kram. Anstatt allerdings abzuwarten, bis sie die gesamte Theorie durchgeackert und die endlosen podpraktischen Simulationen durchgeführt haben, schlage ich vor, schon ziemlich am Anfang des Prozesses einige kleinere Sprünge zu integrieren. Diese Sprünge richten sich nach dem jeweiligen Sinn und Zweck. Beim ersten Sprung beispielsweise, der sie in das Tal der Könige führt, soll es vor allem um Kartenlesen und Vermessungen gehen. Bei der dritten Mission, die uns nach Thurium führt, soll es um die Interaktion mit den Zeitgenossen gehen und so weiter. Natürlich muss ich mich mit Dr. Peterson abstimmen, denn all das wird von der Verfügbarkeit der Pods abhängen, und die Belange der Historischen Abteilung haben natürlich immer Priorität. Aber dieses neue Vorgehen bedeutet, dass wir viele Monate Ausbildungszeit einsparen.«

Er runzelte die Stirn. »Diese Sprünge, vor allem die frühen, werden natürlich streng überwacht werden?«

»O ja, Sir. Entweder von Historikern, der Sicherheitsabteilung oder einer Kombination von beiden. Außerdem werde ich selbst oder ein anderes Mitglied der Historischen Abteilung bei jedem Sprung mit dabei sein.«

»Es geht ein gewisses Risiko damit einher, unerfahrene und erst halb ausgebildete Anwärter im echten Leben auf Missionen zu schicken.«

»Da stimme ich Ihnen zu, Sir, aber es ist für beide Seiten besser so. Wenn es ein Problem mit irgendeinem unserer Neulinge gibt, dann ist es doch auf jeden Fall besser, das schon ziemlich früh im Programm zu merken, und nicht erst, nachdem wir ein Vermögen in die Ausbildung investiert haben. Oder noch schlimmer: Stellen Sie sich vor, die brechen mitten in ihrer ersten Mission zusammen, wenn andere von ihnen abhängen.«

Dr. Bairstow begutachtete den Datensatz noch ein Weilchen länger. »Sehr gut, Dr. Maxwell, der Plan ist so genehmigt. Machen Sie daraus ein vollständiges Ausbildungsprogramm. Und beziehen Sie dabei natürlich Dr. Peterson mit ein. Als Leitender Missionschef wird er Sie entsprechend unterstützen. Und Mr. Markham wird sich um die Sicherheitsaspekte kümmern.«

Ich schloss die Datei und sah hoch.

»Was ist mit Major Guthrie, Sir?«

»Es kann sein, dass er für eine Weile nicht zur Verfügung steht. Er hat um Erlaubnis gebeten, einige Zeit an der Thirsk-Universität zu verbringen.«

Elspeth Grey befand sich dort. Plötzlich fiel mir auf, dass sie inzwischen schon länger dort war. Sie und ihr Expeditionspartner, Tom Bashford, waren vor Kurzem gerettet worden, nachdem sie zehn Jahre lang vermisst gewesen waren, und sie hatten sich für einige Monate an die Thirsk zurückgezogen, um sich wieder einzugewöhnen. Bashford war zurückgekehrt und mischte lautstark bei uns mit. Anscheinend hatte er sich ohne Mühe in seiner neuen Welt zurechtgefunden. Bei Elspeth Grey schien das anders zu sein. Ich konnte es ihr beileibe nicht zum Vorwurf machen. Bashford war bei dieser ganzen Strapaze nur halb bei Bewusstsein gewesen. Das meiste hatte er mit seinem übel zugerichteten Kopf gar nicht mitbekommen. Sie jedoch war diejenige gewesen, die darum gekämpft hatte, sie beide am Leben zu halten.

Ich versuchte, so unverbindlich wie möglich zu wirken, als ich sagte: »Nun, der Major nimmt sonst nie Urlaub. Das könnte ihm mal ganz guttun.«

»Vielleicht«, sagte Dr. Bairstow mit neutraler Stimme.

»Sir, dürfte ich einen Vorschlag machen?«

»Natürlich.«

»Sie haben mich gebeten, jemanden auszuwählen, der uns bei der Expedition zu den Belvedere-Höhlen repräsentiert.«

Er sah mich an. »Wegen der Botticelli-Bilder?«

Ich drückte die Daumen. »Wenn sie sich noch dort befinden, natürlich.«

Mit einem Lächeln antwortete er: »Ich denke, die Welt würde es wissen, wenn sie zwischenzeitlich entdeckt worden wären, Dr. Maxwell.«

»Wohl wahr. Auf jeden Fall, Sir, würde ich gerne Miss Grey vorschlagen. Es könnte ein erster Schritt für sie sein, ehe sie dann hier wieder ihren vollen Dienst aufnimmt. Vielleicht wäre das eine Gelegenheit für sie, ihr Selbstvertrauen wiederzufinden.«

Der Boss schien über den Vorschlag nachzudenken. »Ich dachte, Sie würden anregen, dass ich mich für David Sands entscheide.«

Woher weiß er diese Dinge immer? Ja, ich hatte David Sands in Erwägung gezogen, aber ich konnte mich nicht daran erinnern, dass ich das irgendjemandem gegenüber erwähnt hätte.

Ein leichtes Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. »Miss Prentiss und Mr. Bashford sind für Coventry im 11. Jahrhundert vorgesehen. Mr. Clerk und Mr. Roberts kümmern sich gerade um die Riveaulx-Mission, und da bleibt als einziger Historiker noch Mr. Sands übrig. Ich bin nicht wirklich allwissend, Dr. Maxwell.«

»Ach! Und schon wieder eine Illusion zerstört.«

»Genau so, denke ich, wie das große Fenster in der Abteilung Forschung und Dokumentation. Dürfte ich in allernächster Zukunft mit einem Bericht über die letzte Katastrophe in der Historischen Abteilung rechnen?«

Ich antwortete mit dem vollen Selbstvertrauen derjenigen, die nicht mehr länger für eine zügellose Historische Abteilung verantwortlich war. »Eine unbedeutende Angelegenheit, Sir. Das Resultat einer – hitzigen – Diskussion zwischen Dr. Dowson und Professor Rapson über die alte Frage nach dem Verhältnis von Drehmoment und Spannung.«

»Und ist man zu einer Entscheidung gekommen?«

»Noch nicht, Sir. Dieses Mal sorgte die Drehrichtungskontrolle für ein Zerwürfnis. Buchstäblich, könnte man sagen. Auf jeden Fall lauten die Anweisungen von Dr. Peterson, dass alle weiteren Experimente draußen fortgesetzt werden müssen.«

»Sehr umsichtig. Und wie haben Sie sich in Ihrer neuen Situation eingelebt, Dr. Maxwell?«

»Wunderbar, Sir, danke sehr. Dr. Peterson und ich arbeiten immer gut zusammen.«

»Das war eigentlich nicht das, was ich meinte. Ich bezog mich auf Ihren neuen Stand.«

Ich blinzelte. »Verzeihung, Sir?«

»Chief Farrell?«

»Oh.«

Oh. Stimmt. Leon Farrell. Leiter der Technischen Abteilung. Mein … Ehemann.

Ja. Mein Ehemann. Ich war verheiratet. Mit Leon, meine ich. Ich hatte damit immer noch Schwierigkeiten. Nicht damit, verheiratet zu sein. Nein, das ist es nicht, was ich sagen wollte. Ich meine … Ach, ich weiß auch nicht. Fang noch mal von vorne an, Maxwell.

Leon und ich waren verheiratet. Dass es dazu mal kommen würde, hätten wir uns beide nicht träumen lassen, und ich bin mir verdammt sicher, dass es auch niemand sonst jemals für möglich gehalten hätte. Und dann, aus heiterem Himmel, war es passiert. An einem wunderbaren sternenklaren Abend, umringt von unseren Freunden, hatten wir geheiratet. Wir hatten uns später unbemerkt davongeschlichen, als niemand auf uns achtete, und waren in die magische Nacht verschwunden. Zehn Minuten später mussten wir die Polizei bei ihren Ermittlungen unterstützen. Dabei spielte ein Baum eine Rolle. Leon und ich hatten eine gemeinsame Vergangenheit mit Bäumen. Offenbar hat es die ganze Angelegenheit in den Legendenfundus des St. Mary’s geschafft, und unfreundliche Leute machen heute noch Witze auf unsere Kosten.

»Alles gut, danke schön, Sir.«

Und das war es auch. Größtenteils. Es gab die üblichen … Diskussionen, zu denen es immer kommt, wenn zwei Menschen, die sehr an ein Leben allein gewöhnt waren, plötzlich zusammenziehen. Aber wir konnten alles leicht lösen. Auf meinem neuen Posten bekam ich ihn nicht mehr so häufig zu Gesicht, wie es der Fall gewesen war, als ich noch Leitende Missionschefin gewesen war. Dieser Tage arbeitete ich praktisch von neun bis fünf. Leon ließ mir morgens einen Becher Tee stehen, wenn er losging, und ich sah ihn häufig erst zum Abendbrot wieder. Und Dr. Bairstow hatte gefordert, dass wir nach Möglichkeit nicht auf dieselben Missionen gehen sollten, was sinnvoll war. Also regelten wir alles ganz behutsam und nebenbei untereinander, und bislang war die Ehe nicht annähernd so schlimm, wie ich es mir ausgemalt hatte. Aber man musste halt mal abwarten, oder?

Ich holte die Personalakten von Dr. Bairstows persönlicher Assistentin, Mrs. Partridge, ab, nahm sie mit in mein Büro und ging sie gründlich und sorgfältig durch. Es gab die üblichen Diskrepanzen zwischen den Informationen, die die Auszubildenden selbst zur Verfügung gestellt hatten, und jenen, die Major Guthrie bei detaillierten Hintergrundchecks zutage gefördert hatte. Die Dinge, die die Leute nicht preisgeben, sind immer viel interessanter als die, die sie bereitwillig ausplaudern. Auf dem Papier sahen die Anwärter trotzdem allesamt relativ normal aus. Selbst der männliche Nichtamerikaner.

Sie waren, wie schon gesagt, zu fünft. In alphabetischer Reihenfolge hatten wir Mr. Atherton, Mr. Hoyle, Miss Lingoss, Miss North und Miss Sykes. Alle waren nicht liiert, und wo ich nun so darüber nachdachte, war ich tatsächlich die einzige verheiratete Person, die ich kannte. Abgesehen von Leon, klar. Atherton, der älteste der Neulinge, war mal kurz verheiratet gewesen. Sehr kurz. Sie hatte ihn verlassen, und er hatte seinen Job bei einer Bank an den Nagel gehängt und sich seiner ersten Liebe zugewandt, der Historie. Er war über die Thirsk-Uni an uns vermittelt worden.

Der Nichtamerikaner, Laurence Hoyle, war zwar erst Mitte zwanzig, sah aber älter aus. Jedes Mal, wenn ich sein Foto betrachtete, erinnerte er mich an jemanden, aber mir wollte und wollte nicht einfallen, an wen. Er hatte ein schmales Gesicht mit einer langen Nase, einem breiten Mund und tiefliegenden dunklen Augen, die nichts verrieten. Ich suchte in seinen Zügen nach irgendwelchen Anzeichen von Humor, fand allerdings nichts. Wenn ich seinen Beruf hätte raten sollen, dann hätte ich auf Mönch getippt. Oder Fanatiker. Er hatte etwas Fragiles an sich. Ich vermutete, dass dafür eine Krankheit in seiner Kindheit verantwortlich gewesen war. Auch er war von Thirsk geschickt worden. Genau genommen war er uns von unserer Verbindungsperson, Kalinda Black, ausdrücklich empfohlen worden. Davon abgesehen, wirkte er aber einigermaßen harmlos.

Ganz anders Miss Lingoss.

»Wow«, bemerkte Peterson, der neben mir auftauchte und auf das Foto starrte, das innen auf dem Aktendeckel klebte. »Das ist aber mal ein Hingucker.«

Ich nickte mit düsterer Miene. Er hatte recht. Man hat von Historikern häufig ein unglückliches Bild vor Augen, genau wie von Bibliothekaren. Man stellt sie sich still, mäuschenhaft, mit Flanellröcken, dicken Strümpfen und einer Brille vor, die an einer Kette vor der Brust baumelt – und das sind nur die Kerle.

Miss Lingoss trug ihr dickes schwarzes Haar im Irokesenschnitt, der sie gut fünfzehn Zentimeter größer machte. Außerdem hatte sie ein kurzes, knapp sitzendes Ledertop an und einen noch kürzeren und knapperen Lederrock. Ihre Strumpfhose war zerrissen, und ihre schweren Stiefel hatten keine Schnürsenkel. Allerdings, ja doch, sie hatte vielleicht das Zeug zu einer echten Historikerin, denn sie trug eine Kette mit fetten, schweren Gliedern um den Hals. Zu welchem Zweck, das erschloss sich mir allerdings nicht. Man frage mich nicht, wie sie in Wirklichkeit aussah. Vermutlich versteckte sich unter dem ganzen Make-up auch ein Gesicht. Auf ihrem Foto stand sie da, die Hände in die Hüften gestemmt, und blickte herausfordernd in die Kamera …

»Hat die auch einen Vornamen?«, fragte Peterson, der mir über die Schulter schaute.

»Ähm …« Ich blätterte die Akte durch.

»Ach, egal«, sagte er grinsend. »Alle werden sie Connie nennen.« Und damit verschwand er und lachte sich unterwegs halb kaputt.

Auf Miss Lingoss, die eindeutig nach Ärger aussah, folgte Miss North. Celia Norths familiärer Hintergrund war einwandfrei; sie selbst hatte die beste Ausbildung genossen, die man für Geld bekommen konnte, und anstatt sich wie die übliche verwöhnte Göre zu benehmen, hatte sie jedermanns Erwartungen übertroffen. Alles an ihr ließ sich mit dem Wort perfekt beschreiben. Perfekte Noten, perfekte äußere Erscheinung, perfektes Leben. Mir drängte sich der Eindruck auf, dass Miss North nur einen Blick auf irgendetwas werfen musste, und schon fiel es ihr in den Schoß. Das dürfte interessant werden.

Und schließlich kam diejenige, von der ich erwartete, dass sie uns die größten Sorgen bereiten würde. Elizabeth Sykes war das Nesthäkchen in der Gruppe. Sie war klein und dunkelhaarig, und ihr Gesicht lächelte mir engelsgleich vom Foto aus entgegen. Ich kannte diesen Blick, was kein Wunder war, denn ich hatte ihn mir patentieren lassen.

Ich seufzte. Was mir auf dem Papier als kinderleichte Übung vorgekommen war, schien nun, wo ich auch tatsächlich Auszubildende hatte, mit einem Schlag deutlich komplizierter.

Was positiv auffiel, war, dass wie gewöhnlich niemand von denen Kinder oder enge Familienbindungen hatte. Darüber war ich besonders froh. Denn falls mein Plan, sie so schnell wie möglich auf eine Mission zu schicken, fehlschlagen sollte – was durchaus passieren könnte –, dann würden wir ihnen einfach einen Stein um den Hals binden, sie in den See werfen und uns so schnell wie möglich und still und heimlich der nächsten Aufgabe zuwenden. Das dürfte nach Dr. Bairstows Geschmack sein: rasch, effizient, ohne großes Theater und – ganz wichtig – mit einem Minimum an Kosten.

Für die Ausbildungsdauer hatte ich rund sechs Monate veranschlagt. Ein paar Wochen konnte man abziehen oder für die gelegentlichen Verletzungen draufschlagen, die auskuriert werden mussten. Nur sechs kurze Monate. Ich würde die Neulinge fit machen, die Ausbildungsabteilung wieder an Peterson abtreten und mich erneut dem zuwenden, was ich immer noch als meinen richtigen Job ansah, nämlich der Leitung der Historischen Abteilung.

Ich dachte, es würde ungefährlich werden. Sogar öde. Genau der richtige Weg, um meine von ärztlicher Seite verordnete Zeit im leichten Dienst über die Runden zu bringen. Ich würde mich morgens mit einer netten kleinen Ansprache an die Auszubildenden wenden, und dann würden sie losziehen und den Rest des Tages entweder mit Leon verbringen, um alles über die Pods zu lernen, oder mit Markham beim Selbstverteidigungstraining. Oder sie wären in der Bibliothek, um irgendetwas nachzuschlagen. Ich selbst hingegen hatte noch eine Menge über das Unterrichten zu lernen, denn die Realität sah keineswegs so aus.

Was für eine Überraschung!

Kapitel 2 

Der große Tag brach an. Ich stand am Fenster und beobachtete, wie sie nach und nach die Auffahrt hochkamen und von unserem Hausmeister, Mr. Strong, und seinem Handscanner in Empfang genommen und aufgelistet wurden. Ich schickte sie los, damit sie sich die grauen Trainingsanzüge der Auszubildenden abholten, und scheuchte sie auf die Krankenstation, wo sie durchgecheckt wurden. Außerdem erhielten sie dort ihren Plan zum regelmäßigen Blutspenden und wurden gegen alles nur Erdenkliche geimpft, denn Dr. Foster erledigte gern alle unangenehmen Dinge in einem Aufwasch.

Anschließend schickte ich sie zum Mittagessen, wonach sie Dr. Bairstows anstrengenden Monolog über sich ergehen lassen mussten, der sie angeblich willkommen heißen sollte. Jetzt standen sie in der Großen Halle, etwas benommen, gespannt und leicht traumatisiert, und warteten auf mich.

Mein Plan sah vor, ihnen einen Augenblick Zeit zu lassen, um sich richtig umzusehen, und sie dann in den Ausbildungsraum zu führen, um sie mit meiner eigenen sorgfältig formulierten Willkommen-im-St.-Mary’s-Rede zu beglücken. Allerdings muss man wohl sagen, dass von diesem Augenblick in der Großen Halle bis zu dem Moment, wo die Überlebenden der Ausbildung ihren Abschluss machten, nicht besonders viel nach Plan verlief.

Wir sind das St. Mary’s. Wir schreien nicht. Wir neigen jedoch dazu, anderen Anlass zum Schreien zu geben. Man kann sich also vorstellen, dass mein Interesse geweckt war, als ein kreischender Bashford herbeistürmte, gefolgt von einer wilden Horde von Mitarbeitern des St. Mary’s, die alle unterschiedliche Anweisungen brüllten.

»Meine Füße! Meine Füße schmelzen!«

Ich gab meinen Auszubildenden ein Zeichen, dass sie bleiben sollten, wo sie waren. Je eher sie sich an so etwas gewöhnten, desto besser. Ich hatte keinen blassen Schimmer, was gerade los war. In Anbetracht der Beteiligten konnte es alles Mögliche sein – von der Rekonstruktion eines mittelalterlichen Folterinstruments bis hin zu einem Nachspielen der berühmten Szene aus dem Zauberer von Oz.

Wie schon gesagt: Wir sind das St. Mary’s. Um unseren vollständigen Namen zu nennen: Wir sind das Institut für Historische Forschung mit Sitz auf dem Stiftsgelände von St. Mary’s, unmittelbar vor den Toren Rushfords. Wir gehören zur Universität von Thirsk, und wir untersuchen historische Ereignisse in zeitgenössischer Umgebung. Ja. Wir machen Zeitreisen. Was auch die Ahnungslosen, für die ich die Verantwortung trug, bald schon feststellen würden.

Ich räusperte mich, um ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich zu lenken.

Reine Zeitverschwendung. Ehe ich fortfahren konnte, kam Dr. Dowson aus der Bibliothek herausgeschossen, seinen eigenen Mitarbeiterstab im Schlepptau, und alle waren ganz scharf darauf, sich einzumischen und dadurch beträchtlich zum allgemeinen Durcheinander beizutragen.

Er pflanzte sich vor dem herumhopsenden Bashford auf und erkundigte sich: »Was ist denn hier los? Was hat der alte Dummkopf diesmal angestellt?«

Damit meinte er Professor Rapson. Der Professor und Dr. Dowson waren – wie schon verschiedentlich erwähnt – alte Rivalen. Oder alte Freunde. Wie auch immer – sie hatten jeder großes Vergnügen daran, den anderen auf die Palme zu bringen.

»Meine Füße brennen! Aaaaaargghhh!«, wimmerte Mr. Bashford, der vermutlich das Gefühl hatte, dass sich niemand angemessen um seine Schmerzen scherte.

In einer aufeinander abgestimmten, geschmeidigen Bewegung wurde er erst von Mr. Clerk auf den Boden gerungen, und dann rollte Prentiss ihn herum und setzte sich auf seine Brust. Ich verspürte einen glühenden Stolz. Es kommt nicht oft vor, dass wir Historiker ein solches Maß an Koordination hinbekommen. Roberts und Sands zerrten Bashford die Stiefel von den Füßen. Mrs. Mack kam mit ihrem Team aus der Küche und hatte Eisbeutel dabei.

Professor Rapson fand seine Brille wieder, hob die Stiefel hoch und untersuchte sie eingehend, und er schien von Bashfords Flüchen gar nichts mitzubekommen. Dieser steckte mittlerweile bis zu den Knien in Eis und war vermutlich kurz davor, sich Erfrierungen zuzuziehen.

Dr. Dowson war, wie so häufig, außer sich.

»Was um alles in der Welt ist hier los? Darf ich dich – erneut – daran erinnern, Andrew, dass dies hier eine Forschungseinrichtung ist, und als solche …«

Weiter kam er nicht. Bashford, die Füße im Eis, unterbrach ihn. »Es könnte meine eigene Schuld gewesen sein, Sir. Ich denke, ich habe sie vielleicht überhitzt.«

Professor Rapson runzelte die Stirn. »Mein Junge, ich habe dir doch gesagt, zehn Sekunden für jeweils sechs Stein Körpergewicht.«

»Stein? Sie sagten Pfund!«

»Tatsächlich?«, antwortete der leichthin, denn er war bereits wieder unterwegs zum Planeten Rapson. »Ach du meine Güte. Wo war ich nur mit meinen Gedanken?«

»Nun, sie funktionieren, Sir.«

»Was funktioniert?«, fragte Peterson, der sich durch den inzwischen ziemlich großen Menschenauflauf drängelte, denn im St. Mary’s war man in null Komma nichts bereit, die eigene Arbeit stehen und liegen zu lassen – egal in welcher Abteilung.

»Für die Expedition in die prähistorische Zeit«, erklärte Miss Prentiss, die es sich auf Bashfords Brust gemütlich gemacht und es anscheinend auch nicht eilig hatte, sich wieder wegzubewegen. »Beheizte Stiefel.«

»Oh. Cool.«

Der Professor seufzte. »Nein, eigentlich eher im Gegenteil, und das scheint ja auch das ganze Problem gewesen zu sein. Bedauerlicherweise sieht es so aus, als wenn ich zurück ans Zeichenbrett sollte. Dabei muss ich sagen, dass ich wirklich stolz auf dieses Exemplar war. Wärmeregulierung, sage ich nur.«

Peterson nahm ihm einen Stiefel aus der Hand und inspizierte ihn gründlich. »Wie die menschliche Nase, Professor?«

»So ähnlich, ja, auch wenn dieses Design auf den menschlichen respektive männlichen Hoden basiert. Ich bin mir sicher, dass Sie alle mit dem Plexus pampiniformis vertraut sind, der die Temperatur des Blutes herunterkühlt und aufheizt, um für einen optimalen Samenfluss zu sorgen und … Nicht weiter wichtig jetzt.«

Miss Prentiss sprang auf. »Wenn das Design dieser Treter auf Bashfords Eiern beruht, dann ziehe ich die Dinger nicht an.«

»Du könntest es schlechter treffen«, mischte sich Bashford empört vom Boden aus ein.

»Nicht wenn man von dem ausgeht, was auf dem Damenklo im dritten Stock steht. Es gibt da auch eine Zeichnung an der Wand!«

»Ach wirklich?«, erkundigte sich Bashford geschmeichelt. »Geht die über die ganze Wand?«

»Der größere Teil davon passt auf ein Stückchen Wand ungefähr in der Größe einer Briefmarke.«

»Wie bitte?« Aufgebracht versuchte er, wieder auf die in Eisbeuteln steckenden Beine zu kommen.

Früher mal hätte ich mich dieser Angelegenheit annehmen müssen. Jetzt aber, als Chefin der Auszubildenden, konnte ich mich zurücklehnen und die Mühe anderen überlassen.

Die Anwärter standen mit offenen Mündern herum. Es war interessant, ihre Reaktionen zu beobachten. Hoyle, North und Atherton sahen ziemlich erschrocken aus. Hoyle ganz besonders. Wenn er heilige Hallen der Wissenschaft erwartet hatte, dann dürfte ihm noch so mancher Schock bevorstehen. Lingoss hatte sich einen der Stiefel gegriffen und sah sich die Sohle ganz genau an. Sykes’ Augen funkelten vor Vergnügen an dem ganzen Unfug. Beiläufig machte ich mir in Gedanken eine Notiz: Sie musste ich unbedingt im Auge behalten.

Ich riss die Auszubildenden von der aufgeheizten Diskussion los, die sich hier gerade unweigerlich anbahnte, und führte sie in ihren Ausbildungsraum.

Man sagt, es koste eine Lehrkraft ein ganzes Semester, um die eigene Klasse einschätzen zu können. Man sagt auch, dass diese Klasse nur eine Minute brauche, um ein Urteil über die Lehrkraft zu fällen. Ich fragte mich, was sie wohl sahen, als sie mich musterten. Eine kleine rothaarige Historikerin in einem blauen Jumpsuit, die sich immer noch auf einen Gehstock stützte. (Das allerdings weniger, weil ich es nötig hatte, sondern vielmehr, weil ich fand, dass mir das eine Art Würde verlieh. Außerdem könnte ich den Stock auch anderweitig zum Einsatz bringen, falls meine Lehrbefähigung sich bei der anstehenden Aufgabe als unzulänglich erweisen sollte.) Mein Name ist Maxwell. Ich war mal die Leitende Missionschefin, und dann brauchte ich ein halbes neues Knie. Also eine Teilprothese am Knie, meine ich damit. Deshalb war ich eine Weile nur für leichten Dienst eingeteilt. Tim Peterson hatte jetzt die Historische Abteilung unter sich. Ich wünschte ihm viel Glück dabei!

Wie dem auch sei: Ich winkte also alle in den Ausbildungsraum, baute mich vor ihnen auf und starrte sie an. Dabei erinnerte ich mich an Dr. Bairstows Trick, einige Zeit einfach nur schweigend dazustehen. Sie sahen mich an. Ich fixierte sie. Sie waren viel mehr als ich.

Ich ließ die Stille auf alle wirken.

»Willkommen im St. Mary’s. Mein Name ist Maxwell. Ich bin Ihre Hauptausbilderin.«

Dann machte ich eine Pause, damit das sacken konnte.

»Wie Sie sicherlich noch aus Ihrem Vorstellungsgespräch bei Dr. Bairstow wissen, untersuchen wir größere historische Ereignisse in zeitgenössischer Umgebung. Nennen Sie es nicht Zeitreisen. Wenn Dr. Bairstow hört, dass Sie es als Zeitreisen bezeichnen, dann kann ich Ihnen leider Gottes auch nicht mehr helfen.

Wenn Sie jetzt bitte einen Blick auf die Organigramme werfen würden, dann werden Sie eine Liste der verschiedenen Abteilungen und ihrer Funktionen entdecken. Das St. Mary’s ist ein großes Institut, aber die meisten Leute lassen sich leicht einordnen. Wie Sie sehen können, tragen die Auszubildenden graue Kleidung. Historiker tragen Blau. Die Technische Abteilung ist in Orange gekleidet. Die Sicherheitsabteilung in Grün. IT hat Schwarz an. Die Verwaltung trägt, worauf auch immer sie Lust hat. Und die Mitglieder der Abteilung Forschung und Dokumentation haben Schutzausrüstung an, Verbände um und einen leicht verwirrten Ausdruck im Gesicht.

Kommen wir nun zu Ihren Stundenplänen … Sie werden feststellen, dass der zeitliche Ablauf in drei Bereiche untergliedert ist. Der erste Teil Ihrer Ausbildung sollte vier bis sechs Wochen umfassen und wird Selbstverteidigung, Erste Hilfe und Überlebenstraining im Freien beinhalten. All das wird von der Abteilung Sicherheit überwacht. Dann werden Sie sich mithilfe von Chief Farrell mit den Pods vertraut machen. Der dritte Teil Ihrer Ausbildung besteht vor allem aus der Berechnung von Raum- und Zeitkoordinaten, und auch dort werden Sie von Chief Farrell unterwiesen werden. Außerdem von Professor Rapson – ja, Sie haben ihn gerade kennengelernt. Der mit den … Haaren. Jede Woche am Freitagnachmittag wird es Überprüfungen geben, die alles umfassen, was Sie in jener Woche gelernt haben. Die Marke zum Bestehen liegt bei achtzig Prozent. Es gibt keine Nachprüfungen. Wenn Sie irgendwo durchfallen, sind Sie raus.«

Alle nickten. Niemand sprach, und ich machte mir Sorgen, dass ich ihnen eine höllische Angst eingejagt hatte, ehe wir überhaupt angefangen hatten. Damit sie sich wieder ein bisschen beruhigen und etwas Hübsches anschauen konnten, führte ich ihnen die Zeitkarte vor.

Die Zeitkarte ist ein wunderschönes Ding – was nicht nur an dem liegt, was sie abbildet, sondern auch an dem, was sie ist: zwei sich ineinander drehende Doppelkegel aus Licht und Farbwirbeln. Ich könnte sie stundenlang anstaunen.

»Meine Damen und Herren, dies ist unsere Zeitkarte. Bitte kommen Sie näher und schauen Sie genau hin.«

Ich trat zurück, damit sie einen Moment für sich hatten.

»Diejenigen von Ihnen, die die Ausbildung erfolgreich abschließen, werden zu Wegbereitern ernannt. Diese Zeitkarte zu pflegen, das wird dann eine Ihrer Aufgaben sein.«

Sie starrten sie wie gebannt an.

»Was hat das alles zu bedeuten?«, fragte Lingoss. Ihr Yorkshire-Akzent war unüberhörbar.

»Also. Die vertikale Achse ist die Zeitlinie. Die horizontale Achse repräsentiert den Raum. Der Punkt, an dem sich die beiden überschneiden, ist das Hier und Jetzt. Ground Zero sozusagen. Alles oberhalb vom Jetzt ist die Zukunft, alles darunter die Vergangenheit. Die Linien, die vom Jetzt strahlenförmig nach außen abgehen, beschreiben die Grenzen der Kegel, und innerhalb dieser Grenzen müssen wir uns bewegen. Wir benutzen die Zeitkarte, um historische Ereignisse und ihre Koordinaten darzustellen. Wenn wir das getan haben, dann können wir anfangen, die Beziehung dazwischen zu erfassen. Hier zum Beispiel, wenn Sie einen Blick auf das Jahr 535 nach Christus werfen – das Jahr ohne Sonne –, dann können Sie sehen, dass dieses Ereignis mit gewaltigen Turbulenzen rund um den Erdball in Verbindung steht – mit Klimaveränderungen, Missernten, Dürren, Überflutungen und dem Tod des Papstes – es ist unklar, woran er starb, aber diese Tatsache half auch nicht gerade. Die ganze Welt wurde von Seuchen heimgesucht, Königreiche stürzten, und neue Religionen erhoben sich aus den Resten.«

Ich zeigte auf das filigrane silberne Lichtgeflecht, das größere Bereiche in verschiedenen Farben miteinander verband, und fuhr die Linien von einem Ereignis zum nächsten nach.

»Was sind das für winzige blaue Punkte?«, fragte Lingoss, die mit zusammengekniffenen Augen daraufstarrte.

»Dies sind die Sprünge der Wegbereiter.« Ich rückte einen anderen Bereich in den Fokus: »Zum Beispiel war das genaue Datum des Falls von Troja nicht bekannt. Die Wegbereiter sprangen ein paar Mal in die Vergangenheit, bis es ihnen gelang, den exakten Ort und das passende Datum zu ermitteln. Mit dieser Information ausgestattet, starteten wir zwei große Expeditionen. Eine, um die Stadt vor der Ankunft der Griechen zu beobachten, und eine, um die letzten Phasen des Krieges zu betrachten. Das sind die beiden größeren roten Punkte hier und hier. Wenn Sie reinzoomen, dann erhalten Sie die Koordinaten und die Nummern der Missionen. Und von da aus bekommen Sie Zugang zu den Details der jeweiligen Missionen. Sie können auch die silbernen Linien sehen, die nach außen wegführen; diese repräsentieren die Ereignisse, die zum Fall von Troja führten, und alles, was danach passierte. Denn natürlich geschieht nichts losgelöst vom restlichen Lauf der Dinge.«

»Es ist ziemlich ungleich verteilt, fast alle Punkte sind unten«, bemerkte Atherton und deutete auf die Kegel. Die Karte schimmerte, als er sie berührte. »Der obere Kegel ist praktisch leer.«

»Es hat mal einen Sprung in die Zukunft gegeben, aber die Koordinaten bleiben unter Verschluss.«

»Warum?«

»Wir sind Historiker«, sagte ich. »Die meisten von uns interessieren sich nicht fürs Hier und Jetzt, von der Zukunft ganz zu schweigen. Und außerdem: Zurück in die Vergangenheit zu springen ist nicht ohne ganz eigene Risiken, aber es ist deutlich weniger gefährlich als ein Sprung in die Zukunft. Angefangen damit: Woher will man wissen, dass es eine Zukunft gibt? Stellen Sie sich vor, Sie entscheiden sich dazu, London hundert Jahre nach unserer Zeit zu erforschen. Und nehmen Sie nun mal an, dass London in fünfzig Jahren von einer atomaren Explosion verwüstet wird. Oder der ganze Planet wird von einem Asteroiden zerstört. Wo wollen Sie landen? Im leeren Raum? Auf einer Sternschnuppe? In einem so stark verstrahlten Gebiet, dass Sie sich aus Angst vor Kontamination nicht mehr in die Sicherheit des St. Mary’s flüchten können?

Oder, falls das einfacher ist, stellen Sie sich die Zukunft als einen glitzernden Wirbel unendlicher Möglichkeiten vor, die sich alle zusammenbündeln, um die Hindernisse des Jetzt zu überwinden und Realität zu werden. Offenkundig schaffen es die meisten Möglichkeiten nicht. Sie verblassen einfach still und leise und hören auf zu existieren, was nur dann ein Problem ist, wenn Sie zufällig ein Historiker sind, der genau diese besondere Möglichkeit aufsucht. Mit anderen Worten: Nichts ist real, bis es tatsächlich geschieht. Ich persönlich bevorzuge die Gewissheit von Hastings im Jahr 1066, wo Sie an nichts anderes denken müssen als daran, nicht den Kopf zu weit rauszustrecken.«

Sie dachten darüber nach.

»Und noch eine praktische Anmerkung«, fuhr ich fort. »Wer von uns hier weiß schon, wie lange er oder sie lebt? Stellen Sie sich vor, Sie springen in die Zukunft und sind noch am Leben – die Konsequenzen wären katastrophal. Aus demselben Grund springen wir gewöhnlich nicht weniger als mindestens hundert Jahre in die Vergangenheit. Der offizielle Grund dafür ist, dass auf diese Weise ganz sicher jedes Zusammentreffen mit uns selbst in jüngerer Zeit, mit unseren Eltern und Großeltern vermieden werden kann. Wie gesagt: Das wird offiziell angeführt. Der inoffizielle Grund ist, dass Dr. Bairstow uns davon abhalten will, zurückzuspringen und Stephen Hawking aufzuziehen.«

Ich machte eine Pause, dachte dann aber, dass ich es auch gleich jetzt vollständig abhandeln könnte.

»Wo wir gerade beim Thema sind: Sie sollten wissen, dass es Gegenden gibt, in die wir nicht springen können. Zeitliche Hotspots, wenn Sie so wollen. Stätten mit besonderer Bedeutung.«

»Was?«, fragte Hoyle in scharfem Ton. »Ich meine: Welche Stätten sind das?«

»Hauptsächlich alle, die etwas mit Religion zu tun haben. Wir können nur zu bestimmten Zeiten nach Jerusalem springen. Oder nach Mekka. Oder Bethlehem. Oder Medina. Oder Varanasi. Oder Bodhgaya. Das sind die Orte, an denen Sie diese dreifachen roten S sehen.«

Ich zeigte auf verschiedene Punkte auf der Karte.

»Warum können wir nicht immer dort hin?«

»Weil es nicht unsere Sache ist, Belege für uralte Glaubenssysteme zu finden.«

»Aber«, warf Sykes ein, »man könnte doch ein für alle Mal beweisen …« Sie brach ab.

»Ja?«, fragte ich. »Reden Sie weiter.«

»Nun, man könnte beweisen, dass die Kreuzigung tatsächlich stattgefunden hat …« Ihr Satz hing in der Luft. »Oh. Ja. Ich verstehe.«

»Ich bin froh, dass Sie diesen Punkt so schnell durchschaut haben. Stellen Sie sich doch mal die Auswirkungen weltweit vor, wenn bestätigt würde, dass es die Kreuzigung gegeben hat. Wäre das mehr oder weniger fatal, als wenn wir feststellten, dass sie nicht stattgefunden hat?«

Es herrschte Stille im Raum, als sich alle die Folgen ausmalten.

»Aus diesem Grund gibt es bestimmte Gegenden, die ein Pod nicht ansteuern kann und auch nicht wird. Es ist entsprechend einprogrammiert.«

»Was würde geschehen, wenn man es trotzdem versuchen würde?«

»Der Pod würde Sie warnen – nur ein einziges Mal –, und wenn Sie nach einer kurzen Zeitspanne nicht selbst einen Rückzieher gemacht haben, würde der Pod automatisch eine Notrückholung initiieren. Ob Sie sich noch im Innern des Pods befinden oder nicht.«

»Also würden wir …«

»Für immer gestrandet sein, ohne eine Möglichkeit zu haben, wieder nach Hause zu kommen«, ergänzte ich absichtlich schonungslos, denn es gibt Regeln, die einfach nicht gebrochen werden durften.

»Also, wie genau funktioniert die Zeitkarte?«, hakte Lingoss hartnäckig und noch immer fasziniert nach. Sie fuhr mit einem Finger einen winzigen silbernen Bogen nach.

»Keine Ahnung«, antwortete ich, ohne lange zu überlegen. »Historiker und Wegbereiter laden die Infos für Professor Rapson hoch, und er und Dr. Dowson fügen die neuen Erkenntnisse der Karte hinzu.«

Ich war mir nicht ganz sicher, ob mir noch alle zuhörten. Hoyle schien in seiner eigenen Welt versunken zu sein, und Lingoss ließ ihre Blicke fast zärtlich über die Zeitkarte wandern.

»Es gibt Muster«, stellte sie versonnen fest.

»Das ist Teil dessen, was wir tun«, sagte ich. »Wir betrachten die Geschichte als Ganzes und versuchen, Muster oder wiederkehrende Themen zu entdecken. Schließlich sagt man ja, dass die Geschichte sich wiederholt.«

Ich konnte das bewundernde Staunen in ihren Augen sehen.

»Also, dann sind wir nicht direkt daran beteiligt, die Karte auszubauen?« Sie klang enttäuscht.

»Tja, nein. Der praktische Kram wird gewöhnlich von der Abteilung Forschung und Dokumentation, Dr. Dowson und dem IT-Team erledigt«, erklärte ich und war froh über diese Gelegenheit, die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Abteilungen hervorzuheben und dabei klugerweise, wie ich fand, die Unstimmigkeiten, das Geschrei und die gelegentlichen akademischen Wutanfälle auszuklammern.

Ich schloss die Karte, und alle setzten sich wieder auf ihre Plätze.

»Sie sind verpflichtet, ein Spezialgebiet zu benennen. Ich glaube, darüber haben Sie bereits mit Dr. Bairstow gesprochen. Mr. Atherton – Zeitalter der Aufklärung?«

Er nickte.

»Mr. Hoyle – spätes Mittelalter mit dem besonderen Schwerpunkt Rosenkriege und die Thronfolge der Tudors?«

Auch er nickte. Ich sah ihm etwas länger in die Augen. An wen erinnerte er mich nur?

»Miss Lingoss – Industrielle Revolution?«

Wieder ein Nicken.

Ich konnte mich nicht zurückhalten und fragte: »Warum?«

Sie grinste. Ihr großer schwarzer Iro war heute mit blauen Spitzen versehen, passend zu den blauen Jumpsuits der Historischen Abteilung.

»Es ist faszinierend. All diese riesigen Maschinen. Der Lärm. Der Geruch. Sich zu fragen, ob das Gerät ein Erfolg sein oder explodieren und die halbe Fabrik mit einreißen wird. Ich habe auf der Uni selbst eine Dampfpumpe gebaut.«

Mir fiel wieder ein, dass sie in Halifax geboren war, dem Herz der Baumwoll- und Wollindustrie mit dampfbetriebenen Maschinen in gigantischen Fabriken.

»Miss North – Renaissance?«

»Das ist korrekt.«

Zu ihr gehörte also diese hohe Stimme, die ich den ganzen Morgen lang überall im Gebäude gehört hatte und die Glas zum Bersten bringen könnte. Ich fragte mich, wie lange es wohl dauern würde, bis sie damit den Leuten auf die Nerven ginge, und riss mich dann zusammen. Als Ausbilderin durfte ich es mir nicht erlauben, mich allein von ihrer Stimme auf die Palme bringen zu lassen. Ich war mir ziemlich sicher, dass sich noch jede Menge anderer Dinge finden ließen, die mich an ihr stören würden.

Und Miss Sykes. Sie grinste mich liebenswürdig an.

»Frühes Mittelalter?«

Sie nickte.

»Dr. Dowson, den Sie ebenfalls gerade kennengelernt haben, ist für die Bibliothek und das Archiv verantwortlich und wird Ihnen alles zur Verfügung stellen, was Sie benötigen, um in Ihren Spezialgebieten auf dem Laufenden zu sein. Gibt es bis hierher irgendwelche Fragen?«

Die Hand von Miss North schoss als Erste in die Luft. War ja klar.

»Wie lange dauert es, bis wir wirklich …?« Sie zögerte.

»Springen?«, fragte ich.

»Ja. Springen.«

»Das hängt ganz von den Fortschritten ab, die Sie machen. Wenn Sie gar keine machen, werden Sie niemals springen.«

Ich konnte sehen, wie sie im Stillen beschloss, auf jeden Fall die Erste zu sein, die springen würde. Außerdem sah ich, wie Lingoss sie grinsend aus den Augenwinkeln heraus beobachtete.

Hoyle hob die Hand. »Was die … Koordinaten angeht …«

»Ja?«

»Legen wir die fest?«

»Normalerweise werden sie von der IT-Abteilung zur Verfügung gestellt und von der Technischen Abteilung eingegeben. Allerdings ist es natürlich mehr als sinnvoll, wenn Sie in der Lage sind, eigene Berechnungen anzustellen. Es ist Teil Ihrer Ausbildung, das zu lernen.«

»Werden wir alleine … springen?«

»Nein. Wir unternehmen nur sehr, sehr selten Solosprünge.« Zum Glück dachte ich rechtzeitig daran, unerwähnt zu lassen, dass wir immer jemanden dabeihaben sollten, der unsere Leiche nach Hause schafft. Für Historiker-Humor war es noch zu früh im Lehrplan.

Ich wartete ab, aber es kamen keine weiteren Fragen.

»Eine Info speziell für die Frauen: Sie müssen das Reiten im Damensattel üben. Melden Sie sich bei Mr. Strong für Ihre Stunden.«

Wieder hielt ich inne, kämpfte mit mir, konnte dann aber der Versuchung einfach nicht widerstehen. Man kann am Tag nur bis zu einem gewissen Grad fromm und gut sein.

»Als Pferd empfehle ich Turk. Ich habe mein eigenes Training auf ihm absolviert, und er kennt das Geschäft.« Was voll und ganz der Wahrheit entsprach. Nur dass sein Geschäft darin besteht, jede Reiterin ins nächstbeste Dornengestrüpp zu befördern und dann abzudüsen, sodass nur noch der schmähliche Weg zu Fuß zurück ins St. Mary’s übrigbleibt. Er ist dürr, boshaft und Fleischfresser. Ein unglückseliger Zusammenstoß mit Mr. Markham vor einigen Jahren hatte seine bösartige Natur erst richtig hervortreten lassen. Markham, der zu diesem Zeitpunkt in Flammen stand und verständlicherweise andere Gedanken im Kopf hatte, war in gestrecktem Galopp gegen Turks Hinterteil gerast, wobei er das Bewusstsein verlor. Es wäre interessant zu sehen, ob die Neulinge ihn in den Griff bekämen. Turk, meine ich. Markham ist der einhelligen Meinung nach eher schwer in den Griff zu bekommen, und außerdem, wie Peterson immer sagt: »Wer will das überhaupt?«

»Außerdem werden Sie sich die Haare wachsen lassen müssen. Die Frauen so lang wie möglich. Die Männer ungefähr auf Kinnlänge.«

Atherton meldete sich. »Keine kurzen Haare?« Er hatte denselben breiten Manchester-Akzent wie Kalinda.

»Nein. Es sei denn, Sie bekommen Läuse oder Krätze. Dann, so fürchte ich, muss alles ab.« Ich machte eine bedeutsame Pause. »Und ich meine: alles!«

Lingoss grinste ihn an. »Was für ein klasse Buchtitel: St. Mary’s und die unfreiwillige Wachsbehandlung.«

Atherton sah entsetzt aus, aber ob das an dem flachen Witz oder dem eigentlichen Gedanken an ein Follikel-Trauma lag, war schwer zu sagen. Apropos …

»Zu meinem Bedauern, Miss Lingoss, muss der Irokese verschwinden.«

Sie nickte, anscheinend ungerührt. »Kann ich ihn an Feiertagen und in den Ferien wieder rausholen?«

Sykes prustete los und versuchte, es in ein wenig überzeugendes Husten zu verwandeln.

»Natürlich. Wann immer der Monat ein X hat.«

Mein Kom-Gerät piepte.

»In Ordnung, alle zusammen, Sie können Ihr Zeug hierlassen. Wir gehen jetzt in den Hawking-Hangar. Mitglieder der Historischen Abteilung brechen zu ihrer nächsten Mission auf. Ich dachte, Sie würden vielleicht gerne den Grund sehen, aus dem wir alle hier sind.«

Ich brachte sie runter in den Hangar und sorgte dafür, dass sie oben auf dem Gerüst fern von jedem Ärger postiert waren. Sie wurden ganz still, während sie die Szene unten beobachteten.

Wir verfügen über acht reguläre Pods, die – wenig überraschend – von eins bis acht durchnummeriert sind, und einen großen Transporterpod – TB 2. Pods sind der Dreh- und Angelpunkt unserer Arbeit. Von außen sehen sie wie kleine, unauffällige Steinhäuschen aus. Im Innern gibt es eine Konsole mit zwei Sitzen, deren Design offenkundig einer mittelalterlichen Folterkammer entstammt. Über der Konsole befindet sich ein Schirm, damit wir sehen können, was draußen vor sich geht. Schränke enthalten die Ausrüstungsgegenstände, die wir für die jeweilige Mission brauchen, wie auch immer diese aussehen mag. Der Erste-Hilfe-Koffer ist riesig und befindet sich neben dem Teekocher. So haben wir alles Lebenswichtige an einem Ort zusammen. Dicke Drähte und Kabel laufen an den Wänden zu Bündeln zusammen. Man stelle sich schäbiges Hightech vor. Zwei oder drei Personen können einigermaßen komfortabel im Pod schlafen, für vier oder fünf ist es ausgesprochen beengt und unbequem. Wir leben und arbeiten in diesen Pods, ganz gleich in welche Periode man uns geschickt hat. Sie sorgen für ein leicht klaustrophobisches Gefühl, die Klos funktionieren nie vernünftig, und immer stinkt es nach Kohl. Sie sind oft so schmutzig, dass es einem die Tränen in die Augen treibt. Einmal steckte ich für drei Monate in der Kreidezeit, und als ich zurückkam, schwor die Technische Abteilung Stein und Bein, dass die Farbe an den Innenwänden des Pods vom Gestank Blasen werfen würde.

Orange gekleidete Techniker rannten überall herum, hantierten mit Versorgungsschläuchen und nahmen die allerletzten Überprüfungen vor. Ich sah Dieter, der Punkte auf seinem Klemmbrett abhakte und mit jemandem im Innern von Nummer drei sprach.

Ich stupste Atherton an und zeigte auf die Historiker, die vom anderen Ende des Hangars aus näher kamen. Prentiss und Bashford, der sich mittlerweile vollständig von seiner Stiefelmisere erholt zu haben schien, waren auf dem Weg ins 11. Jahrhundert nach Coventry, wo sie nach Belegen für die Godiva-Legende suchen wollten.

Also, ich für mein Teil fand ja, dass das Ärger geradezu einlud – eine Sicht der Dinge, die von Peterson geteilt wurde. Er hatte Prentiss beschworen, um Himmels willen ein Auge auf Bashford zu haben, und hatte verkündet, dass er sie höchstpersönlich für jeden Schlamassel verantwortlich machen würde, in den sie während dieser Mission geraten würden. Eine Warnung, auf die die beiden mit einem Ausdruck geradezu überirdischer Unschuld reagiert hatten.

»Du weißt genau, dass dort die Legende von diesem Spanner, von Peeping Tom, ihren Ursprung genommen hat, oder?«, hatte ich hinterher Peterson gefragt. »Und der wurde blind.«

»Wenn Bashford auch nur ein kleines bisschen kurzsichtig nach Hause kommt, gibt es Ärger«, hatte er gemurmelt. »Im Ernst, Max, ich hatte ganz vergessen, was für Nervensägen deine Leute sind. Kann ich meinen alten Job wiederhaben?«

»Nein. Mach die Tür hinter dir zu, wenn du rausgehst.«

Auf jeden Fall trug Prentiss das übliche unauffällige Wollkleid in schmutzigem Braun. Was man in dieser Hinsicht aus dem TV kennt – dahinzuschweben in wunderbar schwingenden Kleidern –, kann man vergessen. Unsere Kleider reichen immer bis zum Knöchel. Wenn man jemals eine mittelalterliche Straße gesehen hat, dann will man wirklich nichts anhaben, das über die Knöchel hängt. Noch lieber hätte man einen Chemieschutzanzug an. Urin, Innereien, verrottetes Gemüse, nasses Stroh, tote Hunde – na klar will man da nichts lieber, als dass der eigene Kleidersaum durch diesen Haufen wischt, das gute Zeug aufsaugt und einem dann für den Rest des Tages an den Beinen klebt.

Prentiss hatte eine graue Haube auf dem Kopf, die bis zu den Schultern hinunterreichte. Haare waren keine zu sehen. In den Händen hielt sie einen Weidenkorb.

Bashfords Kleidung war in dazu passenden Matschtönen gehalten; er hatte Stiefel an und trug einen dicken Stock.

Ich wandte mich an meine Schützlinge. Zeit, mir meinen spärlichen Lohn zu verdienen.

»Miss Prentiss und Mr. Bashford. Sie sind auf dem Weg nach Coventry im 11. Jahrhundert. Wir nennen es einen Nullachtfünfzehn-Sprung. Irgendjemand an der Uni Thirsk braucht eine Information, und schon springen wir. Sie werden die unauffällige Kleidung bemerkt haben. Wir wollen nie irgendwo Aufsehen erregen. Unser Benehmen ist immer diskret und nicht weiter bemerkenswert.«

Ich wartete einen Moment ab für den Fall, dass mich auf der Stelle der Schlag treffen sollte, aber nein: Wie üblich war der Gott der Historiker unaufmerksam.

»Irgendwo, versteckt an ihrem Körper, werden sie – nur zum Zweck der Selbstverteidigung – eine Betäubungswaffe und Pfefferspray tragen, außerdem Tabletten zur Wasserreinigung, einen Kompass und alles, was sie sonst noch wichtig finden. Dies ist eine zweitägige Mission. Wir erwarten sie morgen gegen drei Uhr zurück.«

Es war Atherton, der die Frage stellte: »Was, wenn sie nicht zurückkommen?«

Ich drehte mich zu ihnen herum, denn dies war wichtig.

»Dann machen wir uns auf den Weg, um sie zu holen. Wir nehmen jeden mit, der gerade entbehrt werden kann, springen ihnen hinterher und bringen sie zurück. Denn wir sind das St. Mary’s, wir werden niemals unsere Leute zurücklassen.«

Sykes sagte mit ihrem trügerisch weichen schottischen Akzent: »Ich habe gehört, dass zwei Leute mal zehn Jahre lang vermisst wurden.«

Verdammt. Ich hatte ja ganz vergessen, dass Gerüchte im St. Mary’s den Gesetzen der Physik trotzen und sich viel schneller als nur mit Lichtgeschwindigkeit verbreiten.

»Ja, das stimmt. Aber das waren nur für uns zehn Jahre. Nicht für sie. In Greys und Bashfords Wahrnehmung waren sie nur ein paar Stunden vermisst. Und am Ende haben wir sie gefunden. Das tun wir immer.«

Aber ja doch, das taten wir immer. Selbst dann, wenn es vierhundert Jahre zu spät war und wir auf einen kaputten Körper starrten, der zusammengefaltet in eine Kiste gequetscht und so deponiert worden war, dass wir ihn Jahrhunderte später finden würden. Schiller war mittlerweile ordentlich auf unserem kleinen Friedhof bestattet worden. Ein friedlicher, sonnenbeschienener Ort mit einem Stein, auf dem ihr Name zu lesen war.

Ich stand gemeinsam mit meinen Auszubildenden da, und wir sahen zu, wie Bashford und Prentiss den Hangar hinunterliefen. Es gab das vertraute Geplänkel und die furchtbar schlechten Witze. Dann betraten sie Nummer drei. Dieter, der andere Leiter der Technischen Abteilung, folgte ihnen hinein. Leon konnte ich nirgends sehen.

Fünf Minuten später kam Dieter wieder aus dem Pod heraus und winkte sein Team hinter die Sicherheitsmarkierung.

Ich trat zur Seite, um meine Auszubildenden zu beobachten, denn ich wollte ihre Gesichter sehen.

Von einer Sekunde auf die nächste war der Pod auf die übliche unaufregende Art und Weise verschwunden, und die Leute drängten an mir vorbei, bis das Gerüst, abgesehen von uns, leer war. Langsam kehrte im Hawking wieder Normalität ein. In Orange gekleidete Techniker riefen einander etwas zu und begannen damit, die Versorgungsschläuche wieder an ihren ursprünglichen Platz zu verfrachten. Irgendwo fiel klirrend ein Werkzeug aus Metall auf den Betonfußboden, und jemand fluchte.

Alle fünf Neulinge standen noch immer regungslos da und starrten auf die Stelle, an der sich eben noch Nummer drei befunden hatte. North sog tief die Luft ein, drehte sich um und schaute mich an. Natürlich war sie viel zu cool, um eine unangemessene Aufregung zu zeigen. Ganz anders als Sykes, die ein breites Grinsen von einem Ohr zum anderen zur Schau trug und ein »Wow!« ausstieß.

Atherton nickte. Auf Hoyles Gesicht waren keinerlei Emotionen zu sehen, aber ich bemerkte die weißen Fingerknöchel an seinen Händen, die das Geländer umklammerten. Abgesehen von der Frage, die er an mich gerichtet hatte, hatte er kaum gesprochen, sondern nur wortlos dagestanden und alles beobachtet, was rings um ihn herum vor sich ging. Jetzt aber erkundigte er sich: »Wie lange noch? Wie lange dauert es noch, bis wir das auch dürfen?«

»Das hängt wie gesagt von Ihnen ab«, sagte ich. »Auf jeden Fall nicht heute Nachmittag, also können Sie sich jetzt auch genauso gut alle was zu essen holen. Wir sind für heute fertig. Bitte finden Sie sich morgen früh um 9.30 Uhr zu Ihrer ersten Unterrichtseinheit im Ausbildungsraum zwei ein. Sie können gehen.«

Und sie verschwanden.

Unten ging wieder das Radio an, und irgendwo konnte ich Polly Perkins hören, die Leiterin der IT-Abteilung, die jemandem, den ich nicht sehen konnte, Zahlen zurief. Ein ganz gewöhnlicher Tag.

Als ich mich ebenfalls umdrehte und gehen wollte, stellte ich fest, dass Leon genau hinter mir stand. Wie lange war er schon da?

Er zog mich vom Geländer weg. »Was ist denn los?«

»Nichts. Gar nichts.«

Er sagte nichts dazu.

»Na ja, vielleicht ein kleiner Anflug von Nostalgie. Ich könnte einen Termin bei Dr. Foster machen und gucken, ob sie mich eher als geplant wieder auf die Liste der Aktiven setzt.«

Leon zeigte keine Regung.

»Stimmt irgendwas nicht?«

Er seufzte und schaute sich um, aber wir waren ziemlich für uns.

»Leon, was ist denn los?«

Er griff nach meiner Hand. »Du weißt, dass ich alles tun würde, worum du mich bittest?«

Ich nickte. Das klang ernst. »Ja, das weiß ich.« Dann versuchte ich, der Situation etwas von ihrer Schwere zu nehmen. »Deshalb bitte ich dich ja nie um irgendwas. Viel zu einfach.«

Er verstärkte seinen Griff. »Dann weißt du ja auch, warum ich dich ebenfalls nie um irgendwas bitte?«

»Ja.«

»Tja, jetzt aber schon. Jetzt bitte ich dich um etwas.«

»In Ordnung. Nur zu.«

»Bist du sicher?«

»Ja.«

»Ich weiß, dass du es kaum mehr abwarten kannst, endlich in deinen alten Job zurückzukehren, was ich dir kaum vorwerfen kann. Und wenn die Zeit reif ist, dann werde ich dich ermuntern, wieder aufs Pferd zu steigen – oder besser: in den Pod –, aber du bist sechs Monate lang freigestellt. Nimm dir die Zeit. Ich liebe es zu wissen, dass du hier bist. Ich liebe es, morgens loszugehen und zu wissen, dass du immer noch hier bist, wenn ich wiederkomme. Wir haben sechs Monate, und ich will wirklich, wirklich gerne, dass wir diese Zeit zusammen verbringen. Ich werde dich gerne wieder gehen lassen, wenn die Zeit gekommen ist, aber bitte, Max: Lass mir wenigstens diese sechs Monate.«

Ich schluckte, dann nickte ich. »Na klar, das werde ich.« Ich grinste ihn an. »Was willst du machen, wenn du feststellst, dass du nach sechs Wochen meinen Anblick nicht mehr ertragen kannst?«

»Erst nach sechs Wochen?«

»Techniker brauchen ja immer ein bisschen länger, und ich rechne im Zweifelsfall lieber etwas großzügiger.«

Kapitel 3 

Ihre erste Mission.

Ich hatte den Trainingsplan, für den eigentlich Monate vorgesehen waren, auf einen Bruchteil davon zusammengestrichen und auf sieben Wochen verkürzt. Das war immer noch ein bisschen länger, als ich erwartet hatte, aber wir hatten zwei verstauchte Knöchel und eine ausgekugelte Schulter zu beklagen gehabt. Leon hatte die Neulinge im Schnelldurchlauf durch den ersten Teil des Podkunde-Kurses geschleust. Die Sicherheitsabteilung hatte ihnen die Basics der Selbstverteidigung und die Grundlagen der Ersten Hilfe eingetrichtert, und unter der sprunghaften, aber gewöhnlich wohlmeinenden Anleitung von Professor Rapson waren sie in die Theorie und Praxis von so ziemlich allem anderen eingetaucht. Damals, in meinen eigenen Anfangstagen, waren wir gezwungen gewesen, zu unserem Spezialgebiet noch weitere Fachgebiete zu wählen, aber auch das hatte ich erst einmal aufgeschoben. Sie hatten sich für ihr Hauptfach entschieden, und das musste für den Augenblick reichen. Zwar würde das bedeuten, dass für die einzelnen Missionen eine Menge intensiver Forschung und Vorbereitung nötig werden würde, aber darum konnten wir uns später kümmern.

Heute sollte es losgehen; sie würden mit der Planung ihrer ersten Mission beginnen. Und wir würden damit anfangen, den Erfolg unseres neuen Ausbildungsgangs einzuschätzen, den ich entwickelt hatte.

In einem der kleinen Räume, die von der Halle abgingen, stand ich also vor den Anwärtern. Die Sonne fiel durch die Fenster herein und beleuchtete den tanzenden Staub. Draußen dachte der späte Winter darüber nach, dem Vorfrühling Platz zu machen. Auf der anderen Seite der Wand konnte ich das beruhigende Getöse der Historischen Abteilung bei der Arbeit hören. Es gab schlimmere Orte, an denen man an einem Mittwochmorgen sein konnte.

»Guten Morgen, meine Damen und Herren. Wenn Sie die Ordner vor sich aufschlagen, dann werden Sie die Einzelheiten bezüglich Ihrer ersten Mission vorfinden.«

Ich konnte den kleinen Schauder der Vorfreude bei den Neulingen beinahe selbst spüren. Sie schlugen den Hefter auf. Darin befand sich ein einziges Stück Papier, auf dem zu lesen stand:

Mission: SM/TC46/TdK

Ziel(e):

Das Tal der Könige untersuchen und kartografieren.

Alle bislang unentdeckten Grabstätten identifizieren.

Genaue Koordinaten festhalten.

Für weitere Forschungen Details an die Universität von

Thirsk weiterleiten.

Sie sahen hoch und starrten mich an.

»Es gibt viele Pharaonen, deren Gräber noch gefunden werden müssen. Möglich wäre, dass einige davon im Tal der Könige liegen. Oder auch nicht. Das müssen Sie abklären. Sie werden das Tal absuchen, die Position von allem festhalten, was bis dato unbekannt ist, und die Einzelheiten Thirsk melden, damit man sich dort zu einem späteren Zeitpunkt damit befassen kann. Mit Absicht habe ich Ihnen keine weiteren Anweisungen gegeben, denn die alleinige Verantwortung dafür, diese Mission zu planen, liegt bei Ihnen, und ich will sehen, wie Sie damit zurechtkommen. Sie werden den Zeitpunkt festlegen, an den Sie springen. Und auch den Ort. Es liegt an Ihnen, das Personal und die Ausrüstung auszuwählen. Wenn Sie erfolgreich zurückgekehrt sind, werden Sie Ihre Befunde auswerten und Dr. Peterson vorstellen, damit anschließend alles an die Thirsk-Universität gehen kann. Im heutigen Treffen soll zusammenlaufen, was Sie während des letzten Monats gelernt haben. Sie können alleine oder als Team arbeiten. Am Ende des Tages werden wir uns anschauen, was Sie zustande gebracht haben. Dies ist Ihre erste Mission, meine Damen und Herren. Dann wollen wir mal sehen, was Sie daraus machen.«

Sie waren schon dabei, ihre Notizpads herauszuholen.

»In Ordnung. Es ist 9.45 Uhr. Um 15.00 Uhr werden Sie mir Ihre Ergebnisse präsentieren, meine Fragen beantworten und all Ihre Überzeugungskraft ins Rennen werfen. Bitte behalten Sie im Hinterkopf, dass Ihre heutige Arbeit einer intensiven Prüfung unterzogen werden wird, und zwar von mir, der Hauptverantwortlichen für Ihre Ausbildung, von Dr. Peterson, dem Leitenden Missionschef, vom Rest der Historischen Abteilung und vom Sicherheitsteam. Ganz zu schweigen von Dr. Bairstow. Zum Glück bedeutet das keinerlei Druck für Sie. Viel Glück.«

Es war interessant, sie zu beobachten. Mir fiel sofort auf, dass sie anfangs furchtbar höflich miteinander sprachen, was ziemlich irritierend war, aber das hörte sehr schnell auf. Schon bald normalisierte sich ihr Umgang untereinander, und sie schmetterten verächtlich die Vorschläge der anderen ab, um stattdessen ihre eigenen Pläne durchzuboxen.

Ich war bereits zu dem Schluss gekommen, dass North und Lingoss vermutlich alleine arbeiten würden. North, weil sie Lob nicht teilen wollte, und Lingoss, weil sie von Natur aus selbstständig und unabhängig war. Atherton und Sykes könnten vielleicht kooperieren. Hoyle war selbst nach sieben Wochen noch unbekanntes Terrain für mich.

Ungefähr eine weitere halbe Stunde blieb ich bei ihnen, nur für den Fall, dass sie noch Fragen hätten oder dass es zu einer Schlägerei käme. Hatten sie nicht, und kam es nicht. Als sie damit begannen, ihre Datensätze zusammenzustellen, ließ ich sie allein damit. Natürlich gab es die vage Möglichkeit, dass es zu einem Blutbad kommen würde, sobald ich ihnen den Rücken zuwandte, aber irgendwann würden sie lernen müssen, sich zusammenzuraufen.

Ich war in meinem Büro und überlegte mir Fragen für den Test am Freitag, als Markham hereingeschlendert kam.

»Kann ich dich mal kurz sprechen, Max?«

»Na klar. Was ist denn los?«