Doktor Maxwells skurriles Zeitexperiment - Jodi Taylor - E-Book
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Doktor Maxwells skurriles Zeitexperiment E-Book

Jodi Taylor

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Beschreibung

Das dritte Abenteuer der Zeitreisenden Madeleine Maxwell – »Viel Humor, viel Action und sogar ein Hauch Romantik.« Library Journal

Madeleine »Max« Maxwells Woche beginnt nicht gut. Aus irgendeinem Grund sind beinahe sämtliche Mitarbeiter der zeitreisenden Historiker von St. Mary's blau gefärbt. Da sie so wohl kaum in eine andere Epoche reisen können, ohne dort aufzufallen, bleibt es an Doktor Maxwell hängen, einen Freund ihres Chefs zu einem Besuch bei Sir Isaac Newton zu begleiten. Dort werden sie von einem aufgebrachten Mob verfolgt. Im letzten Moment erreichen sie wieder ihre Zeitreisekapsel, die eine verhängnisvolle Fehlfunktion hat und die beiden Zeitreisenden im absoluten Nichts stranden lässt! Dieses Mal wird Max nicht nur vom Chaos verfolgt – es hat sie eingeholt!



Die skurrilen und unabhängig voneinander lesbaren Abenteuer der zeitreisenden Madeleine »Max« Maxwell bei Blanvalet:
1. Miss Maxwells kurioses Zeitarchiv
2. Doktor Maxwells chaotischer Zeitkompass
3. Doktor Maxwells skurriles Zeitexperiment
4. Doktor Maxwells wunderliches Zeitversteck
5. Doktor Maxwells spektakuläre Zeitrettung
6. Doktor Maxwells paradoxer Zeitunfall


E-Book Short-Storys:
Doktor Maxwells weihnachtliche Zeitpanne
Doktor Maxwells römischer Zeiturlaub
Doktor Maxwells winterliches Zeitgeschenk


Weitere Bände in Vorbereitung

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Seitenzahl: 514

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Buch

Madeleine »Max« Maxwells Woche beginnt nicht gut. Aus irgendeinem Grund sind beinahe sämtliche Mitarbeiter der zeitreisenden Historiker von St. Mary’s blau gefärbt. Da sie so wohl kaum in eine andere Epoche reisen können, ohne dort aufzufallen, bleibt es an Doktor Maxwell hängen, einen Freund ihres Chefs zu einem Besuch bei Sir Isaac Newton zu begleiten. Dort werden sie von einem aufgebrachten Mob verfolgt. Im letzten Moment erreichen sie wieder ihre Zeitreisekapsel, die eine verhängnisvolle Fehlfunktion hat und die beiden Zeitreisenden im absoluten Nichts stranden lässt! Dieses Mal wird Max nicht nur vom Chaos verfolgt – es hat sie eingeholt!

Autorin

Jodi Taylor war die Verwaltungschefin der Bibliotheken von North Yorkshire County und so für eine explosive Mischung aus Gebäuden, Fahrzeugen und Mitarbeitern verantwortlich. Dennoch fand sie die Zeit, ihren ersten Roman »Miss Maxwells kurioses Zeitarchiv« zu schreiben und als E-Book selbst zu veröffentlichen. Nachdem das Buch über 60 000 Leser begeisterte, erkannte endlich ein britischer Verlag ihr Potenzial und machte Jodi Taylor ein Angebot, das sie nicht ausschlagen konnte. Ihre Hobbys sind Zeichnen und Malerei, und es fällt ihr wirklich schwer zu sagen, in welchem von beiden sie schlechter ist.

Von Jodi Taylor bereits erschienen

Miss Maxwells kurioses Zeitarchiv

Doktor Maxwells chaotischer Zeitkompass

Doktor Maxwells skurriles Zeitexperiment

Weitere Titel in Vorbereitung

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Deutsch von Marianne Schmidt

Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel »A Second Chance (The Chronicles of St. Mary’s Book 3)« bei Accent Press, Cardiff Bay.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright der Originalausgabe © 2014 by Jodi Taylor

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2021 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Werner Bauer

Umschlaggestaltung und Artwork: © Isabelle Hirtz, Inkcraft unter Verwendung mehrerer Motive von Shutterstock.com (Michal Sanca; subarashii21; PPVector; Bourbon-88)

HK · Herstellung: sam

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-26650-9V001

www.blanvalet.de

Prolog

Troja war gefallen.

So heißt es in jedem Bericht seit Homer. Nur diese drei Worte. Knapp und nüchtern. Troja war gefallen. Worte, die auch nicht ansatzweise das Blutbad erahnen lassen, die Brutalität, das Leid, das Entsetzen, alles, was unvermeidlich das Ende eines zehnjährigen Krieges und den Untergang einer großen Zivilisation begleitet.

Denn ich war da, auf diesem blutgetränkten Sand, zwischen all den anderen trojanischen Frauen, die am Ufer aufgereiht worden waren, um mit den Schiffen weggebracht zu werden. Ihr Blick war leer vom Schock und von der Trauer.

Ich war dabei.

Ich sah Säuglinge, die ihren Müttern entrissen worden waren, während diese noch um ihre toten Ehemänner, Söhne und Brüder trauerten. Einige der Kleinkinder wurden achtlos beiseitegeschleudert, da sie wertlos waren. Andere wurden an Ort und Stelle aufgespießt. Manche wurden in die Brandung geworfen, wo sie noch einige Sekunden lang kreischend auf den Wellen schaukelten. Hin und wieder fand eine Frau genug Kraft, um sich zu wehren, und ein verzweifeltes Gerangel folgte. Überall am Ufer liefen Männer herum, fluchend, schubsend, schlagend. Sie versuchten nach Kräften, wieder Ordnung herzustellen, die Beute zu verteilen und dann zu verschwinden.

Ich kauerte mit gesenktem Kopf im Sand und beobachtete alles unter halb geschlossenen Lidern hervor. Und ich sah, wie Andromache vorbeigeführt wurde, schweigend in ihrer Trauer, und wie sie an Neoptolemos übergeben wurde. Nun würde die Zeit anbrechen, in der sie dem Volk zu dienen hatte, das ihren kleinen Sohn von der Stadtmauer geschleudert hatte.

Meine eigenen Leute waren irgendwo in Sicherheit – das hoffte ich zumindest. Ich war die Einzige von uns hier draußen. Ich war die Einzige, die dumm genug gewesen war, sich schnappen zu lassen. Es konnte nur noch Minuten dauern, bis mich grobe Hände nach vorne zerren und meine Tunika herunterreißen würden. Männer würden das, was sie zu sehen bekämen, genau begutachten und mich dann einem grinsenden Griechen zuweisen. Mit den anderen zusammen würde ich auf irgendein Schiff verfrachtet werden. Wenn ich Glück hatte. Falls ich nicht das Zeug zu einer guten Sklavin hätte – und man darf mir glauben, dass ich es nicht hatte –, dann würde man mich zu Boden stoßen und mich immer wieder brutal vergewaltigen, bis ich dort im Sand verbluten würde. Ich machte mir da keine Illusionen. Rings um mich herum geschah genau das.

Und das ist es, wohin einen die Leidenschaft für Geschichte bringt. Geradewegs an die vorderste Front. Hautnah dabei sein, wenn überall um einen herum Historie geschrieben wird. Und manchmal wird man auch selbst Teil davon. Ich hätte Bombenentschärferin werden können oder mich freiwillig für eine Mars-Mission melden oder als Feuerwehrfrau arbeiten können, irgendetwas Sicheres und Gescheites. Aber nein, ich hatte ja Historikerin werden müssen, hatte mich dem St.-Mary’s-Institut für Historische Studien anschließen müssen. Im Laufe der Jahre war ich von einem T-Rex gejagt, war unter der einstürzenden Bibliothek von Alexandria begraben worden, hatte mich mit Jack the Ripper herumgeschlagen und war von einem explodierenden Misthaufen in die Luft gejagt worden. Alles ganz so, wie es eigentlich zu erwarten gewesen war.

Jetzt leisteten mehr Frauen Widerstand, kratzend und kreischend. Sie wurden ohne Skrupel niedergemetzelt. Wir waren so viele, dass die Griechen es sich leisten konnten, verschwenderisch zu sein. Die Stadt war geplündert worden. Jeder Einzelne der Männer würde mit fetter Kriegsbeute heimkommen – mit Waffen, Tempelgütern, Gold … und Sklaven.

Lange Schlangen von Gefangenen schlurften zu den Schiffen. Ich weiß nicht, warum sie sich so beeilten. Es würde noch Tage dauern, die ganze Stadt zu räumen. Vielleicht fürchteten sie sich vor dem Nachbeben.

Schritte näherten sich. Ich duckte mich noch tiefer und zog mir mein Schultertuch über den Kopf. Die zwei Frauen vor mir wurden weggeschleift. Ich sah schmutzige Füße in schäbigen Ledersandalen. Irgendjemand packte mich an den Haaren und riss mich grob auf die Beine.

Jetzt war ich also dran.

Hinter uns stand die Stadt in Flammen. Schwarze Rauchwolken wölbten sich in den Himmel und sandten eine unmissverständliche Botschaft an Götter und Menschen.

Troja war gefallen.

1

Davor jedoch passierte dies …

»Ich verstehe wirklich nicht, wie Sie mich dafür verantwortlich machen können, Dr. Bairstow. Ich war ja nicht einmal hier.«

Und natürlich zählte auch das zu meinen Vergehen. Wenn ich hier gewesen wäre, dann wäre anscheinend nichts davon passiert. Die Logik dieser Behauptung wollte sich mir nicht erschließen.

»Mir erschließt sich diese Logik nicht, Sir. Wir wissen doch beide: Wenn ich zur fraglichen Zeit der … Vorkommnisse … hier gewesen wäre, dann wäre ich auch blau. War ich aber nicht, bin ich also nicht. Blau, meine ich. Aber bis er wieder seine normale Farbe hat, bin ich gerne bereit, Dr. Peterson bei dieser Mission zu vertreten.«

Was natürlich nicht stimmte. Ich hatte noch so viel für die bevorstehende Troja-Mission zu tun, dass ich um nichts in der Welt einen Tag mit einem ältlichen Professor der Thirsk-Universität verbringen wollte, ganz egal, wie viele Pluspunkte uns das einbringen oder wie sehr Dr. Bairstow diesen Gefallen für einen alten Freund zu schätzen wissen würde. Allerdings stand die Ehre meiner Abteilung, ganz zu schweigen von der von St. Mary’s, auf dem Spiel, und so blieb mir eigentlich keine Wahl. Dafür würden Köpfe rollen. Und ich wusste auch schon, wessen Kopf den Anfang machen würde.

Zurück in meinem Büro bat ich darum, dass Peterson mich mit seiner Anwesenheit beehren möge.

Meine Assistentin, Der Rottweiler, oder auch Miss Lee, falls man den Namen auf ihrem Lohnzettel bevorzugte, war hocherfreut von der Aussicht, jemanden ans Messer zu liefern, und sie erwiderte sehr zufrieden, dass Besagter bereits auf dem Weg wäre.

Natürlich war Peterson derjenige, den ich vorrangig in die Finger kriegen wollte, aber während ich darauf wartete, dass er auftauchte, war eine äußerst akzeptable Alternative greifbar.

Ich rief Major Guthrie an, den Leiter der Sicherheitsabteilung, der eigentlich kühl und besonnen sein sollte, aber genauso tief wie alle anderen in der Sache drinsteckte. Er ließ mich gar nicht erst zu Wort kommen.

»Du kannst nicht mir die Schuld in die Schuhe schieben.«

»Du unterschätzt mich.«

»Nein, im Ernst, Max, als ich endlich verstanden hatte, was da passierte, war der Schaden schon angerichtet.«

»Das sind Historiker, um Himmels willen. Was hast du denn erwartet, was los sein würde, sobald ich ihnen den Rücken zudrehe? Dass sie sich alle hinsetzen und was häkeln?«

Meine Stimme wurde schriller.

»Ja, aber …«

Ich ließ ihm keine Chance.

»Und was diese Idioten aus der Abteilung Forschung und Entwicklung angeht … Hättest du es dir nicht denken können?«

Ich wusste, dass er mich innerlich auslachte. Das machte die Sache nicht besser.

»Ich war nur einen Tag weg. Einen einzigen verfluchten Tag. Und dann komme ich zurück, und meine Abteilung – meine gesamte verdammte Abteilung – ist blau!«

»Nicht deine gesamte Abteilung«, verteidigte er sich.

»Mrs. Enderby und ein paar andere aus der Garderobe sind immer noch … rosa. Oder in einem Fall natürlich schwarz. Und eine hat immer noch die Farbe von Milchkaffee …«

Ich konnte Petersons Stimme auf dem Gang hören und fauchte: »Diese Unterhaltung ist noch nicht zu Ende.« Damit unterbrach ich die Kom-Verbindung und wandte mich meinem eigentlichen Opfer zu.

Peterson schob seinen blauen Kopf durch den Türspalt: »Du wolltest mich sprechen?«

Rosie Lee klappte einen Aktendeckel auf und tat so, als würde sie lesen.

Ich holte tief Luft.

»Bevor du loslegst«, sagte er, »es ist nicht meine Schuld.«

»Du bist blau.«

»Ja, genauso wie alle anderen. Warum hackst du auf mir herum?«

»In meiner Abwesenheit erwarte ich, dass du die Verantwortung für meine Abteilung übernimmst.«

»Und genau das habe ich auch getan. Ich habe ganz verantwortungsvoll so ein Dings … so eine Risikoabwägung vorgenommen …«

»Die sich wie genau gestaltet hat?«

»Ich habe Professor Rapson gefragt, ob er glaube, dass alles glattgehen würde, und er hat Ja gesagt«, erklärte er und setzte seine Was habe ich denn jetzt schon wieder falsch gemacht-Miene auf. »Und dann«, fuhr er fort und schwenkte auf sein Lieblingsthema um, nämlich Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz: »Dann habe ich einen Sicherheitscheck durchgeführt …«

»Der sich wie genau gestaltet hat?«

»Ich habe gegen den großen Felsen getreten, und er schien in Ordnung zu sein.«

Ich holte tief Luft. »Hast du irgendwann … zu irgendeinem Zeitpunkt … die Anweisung gegeben: Malt euch nicht blau an?«

»Nein, das kann ich leider nicht behaupten. Ich habe keine Notwendigkeit dafür gesehen.«

»Warum zur Hölle … Warum denn nicht?«

»Sie waren schon alle blau, Max. Es war zu spät. Sie waren blau, als sie auftauchten. Zu der Zeit schien das eine gute Idee.«

»Und wer ist auf diese fabelhafte Idee gekommen?«

Es gab eine vielsagende Pause.

Ich marschierte zur Tür, ging über die Galerie und brüllte zu der Reihe von schamlos lauschenden blauen Historikern hinunter: »Bringt mir augenblicklich den Kopf von Mr. Markham.«

Zehn Minuten später kreuzte er bei mir auf und setzte das blaue Thema fort.

»Hey, Max, wie ist es denn so gelaufen?«

Ich war an der Thirsk-Universität gewesen, um meine alte Freundin und Ex-Kollegin Kalinda Black zu besuchen und bei einer Präsentation dabei zu sein. Einen Tag lang. Ich war nur einen Tag lang weg gewesen …

»Das spielt jetzt keine Rolle. Erklär mir in Worten, die ich verstehe, was zur Hölle gestern los gewesen ist.«

»Na ja, es war so …«

Wenn ich die Abschweifungen, Entschuldigungen und das Herumgestotter abzog, lief es auf ungefähr diese Version hinaus:

Professor Rapson hatte sich entschlossen, alle vergangenen Katastrophen zu ignorieren, wie zum Beispiel das Ikarus-Experiment, bei dem Mr. Markham die Latte sehr hoch gelegt hatte, als er es fertigbrachte, in Flammen aufzugehen und sich selbst k.o. zu schlagen. Stattdessen hatte der Professor sich an das Monolith-Experiment gewagt. Die Idee war, einen Betonblock über den See zu einem Loch zu transportieren, das vorher auf Mr. Strongs geheiligtem Süd-Rasen gegraben worden war, und dabei die Methoden zu untersuchen, die benutzt worden waren, um die Steine von Stonehenge von einem Ort zum anderen zu schaffen.

Offenbar hatte sich die gesamte Abteilung der Historiker freiwillig gemeldet, gemeinsam mit einer stattlichen Zahl an Technikern und Sicherheitspersonal, die alles lieber taten, als zu arbeiten. Eine Entscheidung, die sie später noch bereuen sollten. Viele von ihnen hatten sich so in die Sache reingesteigert, dass auch ihr Äußeres der Zeit entsprechen sollte – ihrer Auffassung nach. Dazu gehörte, und das war es, womit ich mich jetzt herumschlagen musste, dass sie sich dafür blau anmalten (ohne dass es dafür einen wie auch immer gearteten historischen Grund gab, sollte hinzugefügt werden).

Tragischerweise hatten Markham zufolge Chief Farrell, der Leiter der Technischen Abteilung, und Major Guthrie die Sache ein bisschen vermasselt, indem sie darauf bestanden, dass für die prähistorische Zeit völlig unpassende orangefarbene Rettungswesten übergezogen werden mussten. Alle hatten das Gefühl, dass so etwas dem realistischen Touch des Experiments doch ziemlichen Abbruch tat.

Wie so oft bei den Experimenten des Professors lief erst mal alles prima. Der Monolith (in Gestalt eines großen Betonklotzes, der extra für diesen Anlass gegossen worden war) rollte in verdächtig manierlicher Art und Weise Richtung See. Die letzten paar Meter jedoch machten der ganzen Sache einen dicken Strich durch die Rechnung. Eine unvorhergesehene Zunahme an Geschwindigkeit führte zu einer entsprechenden Abnahme der Möglichkeit, den Block in die richtige Richtung zu lenken. Das ganze Ding, der Steinblock, die Rollen und all diejenigen, die dumm genug waren, die daran befestigten Seile nicht loszulassen (also alle Beteiligten), wurden daraufhin nach unten zum Anlegesteg geschleudert, erreichten unterwegs Höchstgeschwindigkeit und krachten schließlich in das wartende Boot. Das sank auf der Stelle, und zwar mitsamt allen Leuten drauf.

Eine vollständige Vernichtung wurde nur durch den Chief und durch Guthrie vermieden, denen es gelang, lange genug mit dem Lachen aufzuhören, um die auf und ab hüpfenden blauen Leute mit langen Stangen aus dem eiskalten Wasser zu fischen und sie am Ufer abzusetzen, wo sie beeindruckende Mengen an Seewasser aushusteten.

Erst das war der Moment, an dem deutlich wurde, dass die blaue Farbe nicht wasserlöslich war. Abgesehen davon, berichtete Mr. Markham strahlend, waren sich alle einig, dass das eine Wahnsinnssache gewesen sei.

Vierundzwanzig Stunden später war der Großteil meiner Abteilung immer noch blau und würde es vermutlich auch bleiben. Eine ganze Reihe von Seifen und Waschschaum hatte sich als unzulänglich erwiesen, und so schien eigentlich nur noch eine Hautabschleifung übrig zu bleiben. Ich malte detailliert ein Szenario aus, in dem Mr. Strongs Fußbodenschleifer und ich selbst die Hauptrollen spielten.

»Beruhige dich, Max«, sagte Peterson, nachdem Markham abgedampft war, sodass sich die Anzahl der Schlümpfe im Zimmer um die Hälfte reduziert hatte. »Was ist denn das Problem?«

»Das Problem ist, dass die größte Mission unseres Lebens immer näher rückt. Unser erstes wichtiges Briefing ist für nächste Woche angesetzt. Ich habe tonnenweise Material über Wilusa, das ich durchackern muss. Ich bereite einige Vorträge für die Technik- und die Sicherheitsabteilung vor, was den Untergang von Troja angeht, und Chief Farrell will mit mir über Nummer acht sprechen. Wieder mal. Ich habe wirklich keine Zeit dafür, einen betagten Professor durch das Cambridge des 17. Jahrhunderts zu begleiten, nur weil ich die einzige Person in diesem Gebäude bin, die nicht blau ist. Wie lange dauert es denn noch, bis dieses Zeug wieder verschwunden ist?«

»Keine Ahnung. Es sind jetzt schon mehr als vierundzwanzig Stunden vergangen. Ich habe das Gefühl, es fängt an zu verblassen. Meinst du nicht?«

»Nein.«

»Was denn? Nicht mal ein bisschen?«

»Nein.«

Er wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht und besah sich das Ergebnis. Genauso wie der Rest der Historischen Abteilung trug er einen blauen Jumpsuit, sodass die Allgegenwart von Blau überwältigend war. Die IT-Abteilung, die in Schwarz gekleidet war, sah aus wie gigantische Blutergüsse. Die technische Abteilung mit ihren orangefarbenen Anzügen und den blauen Gesichtern war vermutlich von allen drei Raumstationen aus zu erkennen.

»Nicht einmal ein ganz klein wenig?«

»Nein. Und wer überhaupt ist dieser Professor Penrose? Und was hat er mit uns zu schaffen?«

»Oh, du wirst ihn lieben, Max. Er ist ein wirklich anständiger alter Zausel. Hat eine Menge Wissenschaftskram im Hintergrund erledigt, als der Boss das St.-Mary’s-Institut aufbaute, und jetzt ist er endlich pensioniert, und der Boss ermöglicht ihm diesen Sprung als Abschiedsgeschenk. Offenbar war es immer sein großer Wunsch, Isaac Newton zu treffen – ein gewaltiger Held für ihn –, und der Boss hat Ja gesagt. Also soll morgen ein kleiner Abstecher ins siebzehnte Jahrhundert nach Cambridge stattfinden, damit er einen kurzen Blick auf diesen großartigen Mann werfen kann. Da ist nichts weiter dran.«

»Aha«, sagte ich und klammerte mich an einen letzten Strohhalm, als wäre das eine olympische Disziplin: »Ich war schon mal in dieser Zeit. 1666 war ich auf Mauritius und habe Dodos gejagt. Also kann ich diesmal nicht beim Sprung dabei sein. Oh, schade, schade.«

»Null problemo. Der Sprung ist für das Jahr 1668 angesetzt. Kein Grund zur Panik.«

Ich seufzte.

»Es wird dir guttun. Du steckst schon seit Monaten bis über beide Ohren in Vorbereitungen und Nachforschungen. Das wird ein netter Tagesausflug für dich.«

»Ich hatte gerade einen netten Tagesausflug. Und sieh dir an, wozu das geführt hat. Vermutlich komme ich zurück und …«

»Ach, komm schon. Du bist nur angefressen, weil du zu einer Präsentation an die Thirsk-Uni musstest, während wir hier unseren Spaß hatten. Du wirst es genießen, da bin ich mir ganz sicher. Und im Ernst, Max, er ist ein wunderbarer alter Knacker. Du wirst ihn lieben.«

Er hatte recht. Ich verliebte mich beim ersten Anblick in Professor Penrose, und ich bin mir sicher, dass es auf Gegenseitigkeit beruhte.

Er sprang begeistert von seinem Stuhl auf, als ich das Büro vom Boss betrat, und seine blauen Augen funkelten vor Aufregung. Er war nicht viel größer als ich, aber er hatte einen ordentlichen Bauchumfang, der sicher auf viele gute Abendessen in der Universität im Laufe der Jahre zurückzuführen war. Seine schlichte, kindliche Begeisterung für alles ließ ihn deutlich jünger erscheinen, als er tatsächlich war. Ich schätzte ihn auf Ende sechzig. Später aber fand ich heraus, dass er sechsundsiebzig war.

Dr. Bairstow, Direktor von St. Mary’s und ein Mann, der ganz gewiss noch nie in seinem Leben herumgehüpft war, machte uns miteinander bekannt.

»Dr. Madeleine Maxwell, darf ich Ihnen Professor Eddington Penrose vorstellen? Professor, dies ist Dr. Maxwell, Chefin der Historischen Abteilung, die Dr. Peterson vertreten wird, der seinerseits bedauerlicherweise … indisponiert ist.«

»Eddie, meine Liebe, nennen Sie mich Eddie. Ich bin hocherfreut, Sie kennenzulernen. So viel hübscher als der andere, auch wenn der natürlich ebenfalls ziemlich charmant war. Ich habe gehört, er hat sich blau verfärbt?«

Dr. Bairstow sagte auf seine ganz unnachahmliche Weise nichts.

»Ich fürchte, das stimmt, Professor, also müssen Sie mit mir vorliebnehmen.«

»Ausgezeichnet, ganz ausgezeichnet«, sagte er und rieb sich die Hände. »Ich kann es kaum erwarten. Glauben Sie, wir werden ihn tatsächlich zu Gesicht bekommen?«

»Da bin ich ganz zuversichtlich«, antwortete ich so überzeugend wie möglich.

Der Boss schaltete sich ein. »Dr. Maxwell, ich gehe davon aus, dass Dr. Peterson Sie umfassend über alles unterrichtet hat?«

»In der Tat, Sir. Wir werden gegen Mittag ankommen und darauf hoffen, dass wir einen Blick auf den großen Mann erhaschen können, wenn er entweder gerade zu seiner Mittagsmahlzeit eintrifft oder wenn er wieder geht.«

Es sei denn natürlich, er brütete in seinen Räumlichkeiten und steckte sich Nadeln in die Augen. Aber das sollte ich vermutlich besser nicht erwähnen.

»Das ist ja alles so aufregend! Ich kann es kaum mehr abwarten.«

Sein Enthusiasmus war ansteckend. Ich erinnerte mich an meinen eigenen ersten Sprung, der inzwischen viel mehr Jahre zurücklag, als ich zählen wollte. Auch ich war, von mir selbst überzeugt, voller Vorfreude durch das Institut getobt.

Also schob ich meine Vorbehalte dagegen, einen Zivilisten mit auf einen Sprung zu nehmen, beiseite und lud ihn ein, an diesem Tag mit mir zu Abend zu essen.

Wir saßen an einem der ruhigen Tische im Speisesaal und beschnupperten uns.

Das Essen war vermutlich nicht ganz das, was er gewöhnt war. Hier in St. Mary’s haben wir schlichte Bedürfnisse. Solange die Menge stimmte und es ordentlich Soße dazu gab – oder Senf – oder manchmal auch beides –, sind wir für gewöhnlich recht zufrieden. Wir sind halt ein ungehobelter Haufen.

Wir arbeiten für das St.-Mary’s-Institut für Historische Forschung, was wiederum lose an die altehrwürdige Universität von Thirsk angebunden ist. St. Mary’s ist in die Jahre gekommen und angekratzt, genau wie wir. Wir erfüllen zwei Hauptaufgaben: Wir zeichnen bedeutende historische Ereignisse in zeitgenössischer Umgebung auf und dokumentieren sie (oh, schon in Ordnung, wenn es sein muss, kann man es auch Zeitreise nennen). Und wir versuchen, dabei nicht draufzugehen. Ersteres gelingt uns schon ganz gut. An Zweitem müssen wir noch arbeiten.

Während des Abendessens plauderte Eddie ungezwungen. Ich fragte ihn, warum es Sir Isaac sein musste.

»Oh, er ist mein Kindheitsheld. Der Mann war ein Gigant – das Spiegelteleskop, Optik, Mathematik, Schwerkraft … Was für ein bemerkenswerter Intellekt. Und jetzt werde ich ihn tatsächlich leibhaftig zu Gesicht bekommen. Das ist wunderbar, Max. Eine lebenslange Leidenschaft steht kurz davor, befriedigt zu werden.«

Er kippte sein Wasser in großen Schlucken hinunter. Keinen Wein. Wir trinken nichts am Abend vor einem Sprung. Jedenfalls nicht mehr, nachdem Baverstock und Lower nach einer durchzechten Nacht die Koordinaten eingegeben hatten und sich etwas tiefer in die Belagerung von Paris verstrickt wiederfanden, als es ihnen lieb war.

»Aber, meine Gute, verraten Sie mir: Was ist mit Ihnen? Was ist Ihr großes Ziel?«

»Nun, Professor, auf kurze Sicht will ich, dass meine Abteilung wieder ihre ursprüngliche Farbe annimmt.«

»Ja, es hat Edward und mich ziemlich zum Kichern gebracht.«

Ich versuchte vergeblich, mir vorzustellen, wie Dr. Bairstow kicherte.

Manchmal, wenn er über irgendetwas erfreut war, zeigte er die Zufriedenheit eines in die Jahre gekommenen Geiers, der auf einen toten Esel stößt. Aber kichern …

Chief Farrell kam auf seinem Weg zurück zum Hawking-Hangar an uns vorbei, warf mir ein verstohlenes Lächeln zu und sagte dann höflich: »Guten Abend, Max. Guten Abend, Professor.«

Professor Penrose schaute ihm hinterher und wandte sich dann mit einem Blitzen in den Augen an mich: »Gehört der junge Mann zu Ihnen?«

Ihm entging nicht viel, so viel war offensichtlich.

»Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn einen jungen Mann nennen würde, Professor.«

Er lachte. »In meinem Alter, meine Liebe, ist jeder jung. Wollen wir ihn fragen, ob er sich zu uns gesellen möchte?«

»Er kann seine Arbeit nicht unterbrechen. Er ist mit unserem Pod beschäftigt. Wir nehmen Nummer acht.«

Pods bilden das Herzstück unserer Missionen. Sie springen mit uns in jede nur erdenkliche Periode, die uns zugewiesen wurde, und wieder zurück. Sie sind klein, sehen aus, als wären sie aus Stein gebaut, haben ein flaches Dach und sind in jedem Jahrhundert, das einem einfällt, völlig unauffällig. Wir essen, arbeiten und schlafen in ihnen. Auch sie sind angestoßen und mitgenommen. Ganz besonders mein Pod Nummer acht, der im Laufe der Jahre mehr als genug durchgemacht hat.

Tim hatte den Professor schon herumgeführt, sodass er mit dem einzigartigen Pod-Geruch bereits vertraut war – überlastete Elektronik, nasse Teppiche, schwitzende Historiker, ein verstopftes Klo und aus irgendwelchen Gründen Kohl. Eau de Pod.

»Und was ist mit Ihren langfristigen Zielen, Max?«

Also war er auch hartnäckig.

Ich musste ein bisschen grübeln.

»Na ja, natürlich war Troja immer mein allergrößtes Ziel …«

»Ja, das habe ich verstanden, aber was soll danach kommen?«

Ich spielte mit meiner Gabel herum.

»Tja, Azincourt wäre nett …«

»Ja?«

»Also …« Ich konnte mein Besteck nicht in Ruhe lassen.

»Gütiger Himmel. Ich vermute ja ein anstößiges Geheimnis. Selbstverständlich sollte ich jetzt höflich irgendetwas murmeln und das Thema wechseln, aber die anstößigen Geheimnisse anderer Leute sind immer so interessant.«

Das brachte mich zum Lachen. »Nun, es ist ein Geheimnis, aber nicht ernsthaft anstößig, Professor. Tut mir leid, dass ich Sie enttäuschen muss.«

Er beugte sich vor. »Erzählen Sie es mir trotzdem.«

Meine Gedanken wanderten zurück zu jenem besonderen Abend erst vor wenigen Monaten.

Nachdem sich der ganze Staub, den wir rings um Maria Stuart aufgewirbelt hatten, gelegt hatte, gab es zwischen uns – zwischen Leon Farrell und mir – ein Date. Ein richtiges, meine ich, mit schickem Kleid, hohen Absätzen, Make-up und allem Drum und Dran …

Und es war magisch gewesen. Dieses eine Mal war endlich niemand aus St. Mary’s in der Nähe. Es regnete nicht. Nichts ging in Flammen auf. Niemand machte Jagd auf uns. Es war einfach ein perfekter Abend.

Ich traf ihn in der Halle.

Er stand mit schräg gelegtem Kopf vor einem Whiteboard und las irgendetwas.

»Hat Marie Antoinette wirklich noch weitergeredet, nachdem man sie geköpft hatte?«

»Also der Legende nach haben sich ihre Lippen danach noch eine Zeit lang bewegt, falls das als Sprechen gilt. Wenn das Gehirn noch drei Minuten lang ohne Sauerstoff funktioniert, dann halte ich es für möglich, dass sie ihre letzten Gedanken auch noch für Bruchteile davon artikulieren konnte. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob ihr Stimmapparat noch seine Arbeit tat. Da müsste ich Helen fragen.«

Zu spät realisierte ich, dass es für ein Date vielleicht angemessener gewesen wäre, einfach nur Ja oder Nein zu sagen und die Sprache auf irgendetwas zu lenken, das weniger um morbide Themen kreiste. Ich war mir schmerzlich meiner mangelnden Sozialkompetenz bewusst.

Wir machten uns auf den Weg in den Dorf-Pub, The Falconberg Arms. Der Ort unserer Verabredung musste zu Fuß zu erreichen sein, weil ich kurz zuvor Leons Auto im See versenkt hatte. Eine lange Geschichte.

Es war ein wunderbarer Abend, warm und samtweich, und wir kosteten ihn aus.

Der Pub-Betreiber, Joe Nelson, nahm uns unmittelbar am Eingang in Empfang. Ihn kannte ich schon seit meiner Ankunft in St. Mary’s. In meiner Zeit als Auszubildende war dies hier mein zweites Zuhause gewesen. Nelson war klein und stämmig, und sein dichter dunkler Haarschopf konnte nicht verbergen, dass seine Ohren groß wie Satellitenschüsseln waren. Er hatte eine sichelförmige Narbe auf einem Wangenknochen. Ich wusste, dass er und Leon schon seit Jahren befreundet waren. Gleich und gleich gesellt sich eben gern, und hier war noch einer, der nie viel sagte.

»Leon.«

»Joe.«

Die beiden schwatzhaftesten Typen der Welt standen eine Weile voreinander, vermutlich erschöpft von der Anstrengung.

Schließlich rührte sich Nelson. »Ich dachte, ihr hättet vielleicht gerne eure Ruhe, also habe ich euch hier drinnen etwas vorbereitet.«

Er führte uns den Gang hinunter zu einer Tür auf der linken Seite.

»Der Frühstücksraum«, verkündete er und stieß schwungvoll die Tür auf.

Und ich betrat eine Märchenwelt.

Nur einer der drei Tische war gedeckt. Ein gestärktes weißes Tuch lag über der Platte eines kleinen Tisches am Feuer. Sanftes Kerzenlicht wurde von Kristallgläsern und vom Besteck reflektiert. In der Mitte des Tisches stand ein flaches Blumengesteck mit goldenen Rosen und erfüllte den Raum mit seinem Duft.

Im Hintergrund war leise Beethovens »Mondscheinsonate« zu hören.

»Bitte hier entlang«, sagte unser Gastgeber und führte uns zu unserem Tisch, wo mich eine wunderbare Margerita erwartete. Die Jahre spulten zurück, und ich war wieder in einem Hotel in Rushford. Damals hatte ich dasselbe Kleid getragen, und Leon hatte in seinem Anzug sensationell gut ausgesehen. Wir hatten getanzt und die ersten Schritte in Richtung einer zarten Annäherung gemacht.

Wenn ich mir die letzten rund zwölf Monate ansah, dann hatte es keine großen Fortschritte gegeben. Aber Leon versuchte sein Bestes, und ich hatte meinem Assistenten David kurz vor dessen Tod versprochen, dass ich mir ebenfalls Mühe geben würde. Immer noch vermisste ich ihn jeden Tag.

»Leon, das ist perfekt.«

»Danke. Trink das hier.«

»Was ist das?«

»Alkohol.«

»Großartig. Warum?«

»Weil ich mit dir sprechen will.«

»In diesem Fall könnte Alkohol der falsche Weg sein.«

»Ich will, dass du das trinkst und dir dann anhörst, was ich zu sagen habe.«

»Du füllst mich mit Alkohol ab, damit ich zu irgendetwas Furchtbarem Ja sage?«

»Nein, ich fülle dich mit Alkohol ab, damit du mir zuhörst. Ich habe schon nach der Sache mit Jack the Ripper versucht, mit dir zu reden. Und dann noch einmal nach Ninive, aber es gab damals wichtigere Dinge zu besprechen. Ich will jetzt keine Antwort von dir. Ich will nur, dass du mir ruhig zuhörst, ohne in Panik zu geraten, und da scheint mir Alkohol die beste Option.«

»Okay. Ich gebe mich geschlagen.«

Ich nahm einen Schluck, spürte, wie sich die vertraute Wärme in meinen Gliedern ausbreitete, und lutschte das Salz von meiner Unterlippe.

Er sah mich aus zusammengekniffenen Augen an. »Wie fühlst du dich?«

»Verdammt gut, eigentlich.«

»In Ordnung. Ich will dir einen Vorschlag machen.«

Nein, nein, nein. Keine Ehe. Ich dachte wirklich, dass ich meine Meinung bezüglich der Ehe unmissverständlich deutlich gemacht hätte. Als ich mal gefragt wurde, was die wichtigste Eigenschaft eines Ehemanns sei, hatte ich geantwortet: »Nicht vorhanden.« Niemand hatte mich danach je wieder gefragt.

»Nein«, sagte er und schob mir hastig mein Glas hin. »Beruhige dich und trink das.«

Wieder nahm ich einen Schluck und spürte, wie sich meine Panik im Tequila auflöste.

»Dann schnell weiter.«

»Wie bitte?«

»Tja, so bin ich. Ein Drink, und ich bin glücklich. Zwei Drinks, und ich bin hinüber. Dir bleibt ein Zeitfenster von ungefähr acht Sekunden. Also schnell weiter im Text.«

»Gut, wie du willst. Ich möchte, dass du das St. Mary’s verlässt.«

Ungläubig starrte ich ihn an. »Was? Warum? Was habe ich denn getan? Machst du mit mir Schluss? Warum sollte ich diejenige sein, die dann geht? Wenn du dich unwohl dabei fühlst, mich um dich herum zu haben, dann ist das dein Problem, nicht meins. Ich werde nicht meinen Job aufgeben, weil es zwischen uns aus ist. Du bist derjenige, der gehen muss.«

»In der Tat«, sagte er und nahm mir mein Glas ab. »Irgendetwas verrät mir, dass ich das Fenster verpasst habe.«

»Welches Fenster?«

Er seufzte tief.

»Ich habe kein Mitleid mit dir«, sagte ich. »Du hast mir Alkohol eingeflößt.«

»Ja, ich habe mir das wohl selbst zuzuschreiben. Warten wir einfach kurz ab, in Ordnung? Und dann versuche ich es noch einmal.«

Der erste Gang wurde aufgetragen – eine Platte mit Meeresfrüchten.

Ich konzentrierte mich auf mein Essen. Wenigstens etwas, das mir ganz leichtfiel. »Diese Garnelen sind köstlich. Isst du deine?«

»Ja. Du siehst heute sehr hübsch aus.«

»Danke, das ist nett. Ich hatte dieses Kleid damals im Hotel in Rushford an. Erinnerst du dich noch?«

»Tu ich. Das war eine besondere Nacht für uns beide.«

»Und am Ende bist du weggegangen.«

»Das musste ich«, stellte er nüchtern fest. »Du hast keine Vorstellung davon, welche Wirkung du auf mich hast. Oder?«

Ich schluckte. »Und du auf mich.«

Er nahm meine Hand. Der Raum drehte sich ein bisschen. Mein Herzschlag beschleunigte sich.

Die Tür ging auf, und man brachte den nächsten Gang.

»Ist hier alles in Ordnung?«

»Ja, danke sehr.«

Ich nickte, denn in genau diesem Augenblick war an Sprechen nicht zu denken.

Eine Zeit lang aßen wir schweigend. Das Essen war wirklich lecker. Die Umgebung war perfekt. Ich hatte noch nie etwas annähernd Vergleichbares erlebt. Dass er sich solche Mühe machte, nur für mich … Ich sah mich um und betrachtete die Kerzen, die Rosen, den Mann, der mir gegenübersaß …

Er fing meinen Blick auf. Wir wechselten kein Wort. Tatsächlich war es sogar ziemlich lange sehr still. Schließlich schaute ich weg und tastete nach meinem Glas. Ich musste krank sein. Es hatte mir gänzlich den Appetit verschlagen. Mein Atem ging schwer, und mit einem Mal war mir heiß. Sehr heiß sogar.

Leon schaute auf seinen Teller und sagte leise. »Wir hatten ein hartes Jahr, und ich wollte, dass dieser Abend was Besonderes wird.«

Ich griff nach seiner Hand, sah ihm fest in die Augen, machte einen Schritt über den klaffenden Abgrund und sagte: »Das wird er.«

Ihm stockte der Atem, er schob seinen Stuhl zurück und streckte die andere Hand nach mir aus …

In diesem Moment steckte Joe Nelson seinen Kopf durch die Tür. »Bereit für den Nachtisch?«

»Ja«, antwortete ich, und Leon seufzte. Schon wieder.

Wir beruhigten uns, und der Moment war verstrichen. Leon war klug genug, die Dinge nicht zu forcieren.

»Anstatt so viel über die Vergangenheit nachzudenken, sollten wir uns vielleicht Zeit nehmen und über unsere Zukunft reden.«

Ich zwang mich zu einem höflichen Lächeln und umklammerte mein Glas mit dem Griff einer Ertrinkenden.

»Ich will einfach ohne Umschweife zur Sache kommen. Alles, worum ich dich bitte, ist, dass du nicht Nein sagst, bevor du ein bisschen darüber nachgedacht hast.«

»Worum geht es denn überhaupt?«

»Nun«, sagte er langsam, »hast du dir schon Gedanken darüber gemacht, was du nach Troja tun willst?«

»Ich bin Historikerin. Wir planen nicht voraus.«

Auf diese Weise versuchte ich, vom Thema abzulenken, denn tatsächlich hatte ich sehr wohl nachgedacht. Die Kehrseite davon, seinen Lebenstraum zu verwirklichen, ist: Wohin willst du danach? Was tust du im Anschluss? Welche Herausforderung gibt es dann noch? Ich muss zugeben, dass mir der Gedanke zu schaffen gemacht hatte. »Ich bin mir nicht sicher, was du meinst.«

»Ich will etwas an dich herantragen.«

Meine Panik entging ihm nicht.

»Nein, nein, beruhige dich. Schlechte Wortwahl. Ich hätte sagen sollen, dass ich dir etwas vorschlagen will. Ich habe nämlich eine Idee.«

Das Atmen fiel mir wieder etwas leichter.

»Und die wäre?«

Er musterte mich. »Es könnte vielleicht nicht leicht sein. Eigentlich weiß ich sogar, dass es das nicht ist. Es könnte die schwierigste Mission sein, auf der du je gewesen bist. Vielleicht überlebst du nicht. Ich werde das fast mit Sicherheit nicht. Und selbst wenn es dir gelingt, werden die Dinge vermutlich nie wieder so sein wie vorher.«

Jetzt hatte er meine Aufmerksamkeit. Was meinte er?

»Ich weiß, dass du keine Pläne für eine Zukunft gemacht hast, von der du gar nicht erwartest, dass du sie haben wirst. Ich weiß, dass du deinen Job liebst und gut darin bist. Ich weiß, dass du dich nicht groß darum kümmerst, was außerhalb der Mauern von St. Mary’s passiert, aber ich will etwas … anstoßen. Nein«, sagte er schnell, gerade als ich erneut in Panik den Mund aufmachen wollte. »Bitte, hör mir bis zum Ende zu. Irgendwann in der Zukunft – wenn wir es beide wollen –, dann möchte ich, dass wir St. Mary’s verlassen und ein anderes Leben beginnen. Nein, bitte lass mich ausreden. Eines Tages wird dich dieser Job umbringen. Das könnte erst in vielen Jahren passieren, vielleicht auch schon morgen, aber eines Tages wirst du nicht mehr lebend zurückkommen. Eines Tages werde ich die Pod-Tür aufmachen, und du wirst tot sein. Und dann werde ich nicht länger in einer Welt leben wollen, in der es dich nicht irgendwo gibt. Was ich also sagen will: Ehe es so weit ist, gehen wir beide fort und beginnen ein neues Leben. Gemeinsam. Ich bin Ingenieur. Wir suchen uns einen Ort, an dem Platz zum Arbeiten ist, und dann kann ich mir die Zeit nehmen, einige Ideen zu verwirklichen, die ich habe. Und du, Max, du könntest nach Herzenslust malen. Du kannst die Hälfte unserer Werkstatt haben – oder einen Ort ganz allein für dich, wenn du das willst – und ein bisschen Zeit mit dieser anderen Sache verbringen, bei der du richtig spitze bist. Du kannst in Ruhe einige Werke schaffen, dir einen guten Ruf aufbauen … Wir könnten Hand in Hand spazieren gehen, die Enten füttern, ins Kino gehen, kochen lernen, neue Freunde finden, fernsehen. Es gibt so viele Dinge, die wir gemeinsam tun könnten. Tut mir leid, wenn das kitschig und öde klingt, aber ich glaube gar nicht, dass das nicht aufregend wäre. Und ganz sicher wird es nie langweilig werden, denn ich weiß ja, wie du kochst. Ich will einfach mein Leben mit dir verbringen. Jetzt mehr als je zuvor. Bitte sag nicht gleich Nein. Versprich mir, dass du darüber nachdenkst.«

Ich musste nicht groß darüber nachdenken. Mit einem Schlag hatte ich einen glasklaren Moment, und von sehr weit weg hörte ich Kal sagen: »Eines Tages reicht dir das hier nicht mehr.« Damals hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass das mal auf mich zutreffen könnte, aber jetzt begriff ich voll und ganz, was sie mir hatte sagen wollen. Andererseits war das sehr beängstigend. Hier ging es um Beziehungen, gemeinsame Aktivitäten, Häuslichkeit und all die Dinge, die ich tatsächlich für Erfindungen des Teufels gehalten hatte. Ich holte tief Luft.

»Nein.«

Ich hoffe, dass ich diesen Blick niemals wieder sehen muss.

»Kannst du dir nicht ein bisschen Zeit lassen, darüber nachzudenken?«

»Nein.«

»Es muss gar nicht jetzt sein. Es kann auch erst in vielen Jahren so weit sein.«

»Nein«, sagte ich. »Ich will nicht viele Jahre warten. Nach Troja – wie lange das auch dauern wird – werden du und ich kündigen, wegziehen und ein neues Leben beginnen. Wir werden all die Dinge tun, die du gerade aufgezählt hast. Und Gott stehe dir bei; wenn dann nicht vollkommener Friede und tiefe Glückseligkeit auf uns warten, werde ich dir das Leben zur Hölle machen.«

Er nahm meine Hände mitsamt dem Glas. »Ich kann warten.«

»Es könnte noch ein bisschen dauern. Troja könnte sich als mindestens zweijährige Mission entpuppen.«

»Ich kann warten.«

Ich holte tief Luft für einen riesigen Schritt. »Also gut, ist das eine Abmachung?«

Er schaffte es nicht, mich anzusehen. Stattdessen schluckte er und nickte.

»Das ist eine Abmachung.«

Einen Teil davon erzählte ich Eddie, der nachdenklich nickte und zu meiner Überraschung das Thema wechselte.

»Im Vergleich zu Troja – und Azincourt – muss der morgige Sprung doch zu harmlos für Sie sein.«

»Keineswegs, Professor. Dr. Bairstow sagte einmal: ›Es geht nicht immer nur um Schlachten und Blut.‹ Und er hatte recht. Ich habe zum Beispiel die Hängenden Gärten gesehen, und die sind atemberaubend schön.«

Nicht nötig, ihm zu erzählen, wie die Sache ausgegangen war. Oder der Whitechapel-Sprung. Oder die Mission in der Kreidezeit.

Das ist der Teil, über den wir nie sprechen, nicht einmal dann, wenn wir unter uns sind. Heutzutage ist die Todesrate nicht mehr annähernd so hoch, wie sie schon mal war. Beinahe ist es, als ob ein unsicherer Waffenstillstand ausgehandelt worden wäre zwischen uns Historikern, die wir wirklich unser Bestes tun, uns gut zu benehmen, wenn wir die Zeitlinie rauf- und runtersausen, und der Geschichte, die heutzutage weniger geneigt schien, uns wegen irgendwelcher kleinerer Vergehen gleich plattmachen zu wollen.

Das ist ganz und gar nichts, was man einem Zivilisten erklären will, der einen in weniger als vierundzwanzig Stunden ins siebzehnte Jahrhundert begleiten will.

Am nächsten Morgen suchte ich Doktor Foster auf, nur wegen der entfernten Möglichkeit, dass Eddie über Nacht irgendwelche ernsteren Gesundheitsbeschwerden entwickelt hatte. Sie saß auf dem Fensterbrett und pustete den Rauch ihrer Zigarette nach draußen.

Vielsagend schaute ich zum Rauchmelder. Sie schaute vielsagend zu der Batterie, die auf dem Tisch lag. So wie immer. Ich seufzte. Leon, der den Kampf bezüglich dieser Batterien führte und an allen Fronten verlor, würde nicht erfreut sein.

»Professor Penrose. Ist er fit?«

»Fitter als du, Max. Andererseits habe ich schon zehn Tage alte Leichen gesehen, die fitter waren als du. Eines Tages wird dich dein Knie im Stich lassen.«

»Vor Troja habe ich keine Zeit dafür.«

»Wir werden es sofort danach in Ordnung bringen. Ehe es noch richtig schlimm wird.«

Dann würde es eigentlich keine Rolle mehr spielen, aber das konnte ich ihr nicht sagen. Ich hatte es niemandem gesagt, abgesehen von Eddie. Ich konnte mich nicht einmal dazu bringen, darüber nachzudenken, wie Ian oder Tim es aufnehmen würden.

»Um auf Doktor Penrose zurückzukommen …«

»Ja, er ist fit wie ein Turnschuh für sein Alter. Das ist aber kein Freibrief für dich, ihn in Cambridge herumzuschubsen. Wir erinnern uns alle noch daran, was du mit Mr. Dieter gemacht hast.«

Dieter und ich hatten mal eine recht holprige Landung, als wir gerade so einem Erdrutsch in der Kreidezeit entkommen waren. Man hatte praktisch den gesamten Pod auseinandernehmen müssen, um uns da rauszuholen. Aber nach einigen Tagen auf der Krankenstation für uns beide und einer umfangreichen Reparatur von Nummer acht war alles wieder in Ordnung. Ich weiß wirklich nicht, warum die Leute diese alte Geschichte immer wieder aufwärmen müssen.

2

Wir machten uns auf den Weg.

»Also gut, Professor. Wenn Sie bitte Platz nehmen würden. Nein, nicht auf diesem Sitz – auf dem auf der rechten Seite. Das war’s. Machen Sie es sich gemütlich. Ich bin in einer Minute bei Ihnen.«

Er ließ sich nieder, rutschte ein bisschen auf dem eingedellten Sitz herum, sah sich mit großen Augen um und sog alles in sich auf. Vermutlich versuchte er auch, möglichst wenig vom Gestank in die Nase zu bekommen.

Wir waren im Innern von Nummer acht. In diesem Pod befand sich die Konsole rechts von der Tür, und auf dem Boden davor waren zwei unbequeme Sitze befestigt. Der Bildschirm über der Konsole zeigte die Außenansicht, und zu sehen waren eine Menge orangefarben gekleideter Leute von der Technik, die herumwuselten und Technikerzeug der letzten Minute erledigten. Im Innern des Pods gab es ringsherum Schrankfächer, in denen die Ausrüstung für Langzeitmissionen und unsere persönlichen Dinge verstaut werden konnten. Dicke Kabelbündel baumelten überall an den Wänden und verschwanden dann oben in der Decke. In einer abgetrennten Ecke gab es eine Dusche und ein Klo. In einem kleinen Kühlschrank waren die lebenswichtigen Dinge untergebracht, und auf einem Regal neben dem riesigen Erste-Hilfe-Schrank standen ein Wasserkocher und zwei Becher. Wir sind St. Mary’s – wir brauchen unseren Tee.

Die Türen der Schrankfächer waren voller Kerben. An einigen Stellen war die Konsole zerkratzt, doch an anderen Stellen glänzte sie. Einige der Flecken auf dem Fußboden könnten ohne Zweifel eine interessante Geschichte erzählen. Die Toilette funktionierte selten richtig und oft überhaupt nicht. Den Gestank habe ich, denke ich, schon erwähnt. Aber die Pods gehören zu uns, und wir lieben sie.

Leon zwinkerte mir zu. »Alles bereit, Max. Die Koordinaten sind eingegeben. Ich denke, du springst geradewegs rein und wieder zurück.«

»So ist es gedacht.«

Er zog sein Notizpad aus der Tasche neben seinem Knie und beugte sich über die Konsole, tippte ein paar Zahlen ein und richtete sich wieder auf. »Ich bin fertig. Gute Reise. Und viel Glück, Professor.«

Der Professor zappelte auf seinem Sitz herum, sprachlos vor Aufregung.

»Passt auf euch auf«, sagt Leon, hatte dabei aber nur Augen für mich. So wie immer.

»Uns wird schon nichts passieren«, sagte ich, aber das war alles andere als zutreffend.

Die Tür schloss sich hinter Leon.

Ein letztes Mal überprüfte ich die Konsole.

»Noch nicht zu spät, um es sich noch mal anders zu überlegen, Eddie.«

Er lachte.

»Computer, Sprung initialisieren«, sagte ich.

»Sprung initialisiert.«

Und die Welt wurde weiß.

Wir waren versteckt in einer stinkenden kleinen Gasse gelandet, die von der Trinity Street abzweigte, und so konnte ich Professor Penrose die traditionellen zwei Minuten lassen, die man immer brauchte, um sich darauf einzustellen, wo und in welcher Zeit man sich befand. Dann steckte er den Kopf zur Tür hinaus und rief: »Meine Güte. O Gott, du meine Güte«, immer wieder, während seine Sinne mit dem Anblick, den Geräuschen und ganz besonders mit den Gerüchen von Cambridge im 17. Jahrhundert kämpften.

Schließlich riss er sich zusammen.

»Entschuldigen Sie, Max. Das war sehr unprofessionell von mir.«

»Oh, keineswegs, Eddie. Bei meinem ersten Sprung habe ich draußen Rad geschlagen.«

Wir brachen auf in Richtung Trinity-College, wo, mit ein bisschen Glück, gleich ein junger Universitätsangehöriger namens Isaac Newton auftauchen sollte.

Cambridge war in jeder Hinsicht ganz genauso nass und trostlos, wie ich es erwartet hatte. Ich zitterte unter meinem Umhang, während wir wachsam über die Trinity Street liefen und darauf achteten, uns unauffällig durch die Menschenmengen zu schieben. Der Ort war randvoll mit Studenten, Bürgern, Händlern und Vieh, das lautstark über das ungleichmäßige Kopfsteinpflaster trampelte.

Eddie schaute sich aufgeregt um. »Wissen Sie, ich denke, dass gleich da drüben das Touristeninformationszentrum ist. Eines Tages jedenfalls.«

Ich gab ihm keine Antwort, denn ich war damit beschäftigt, mir einen Weg durch etwas Rosafarbenes und Blasiges zu suchen. Cambridge war seiner Zeit weit voraus und hatte schon 1575 eine richtige Straßenreinigung eingeführt. Gott weiß, wie es vorher hier ausgesehen hatte, denn selbst so versanken wir bis zu den Knöcheln in Urin, verrottenden Gemüseabfällen, Hundehaufen, nicht identifizierbaren Innereien, Kotze, Pfützen mit schmutzigem Wasser, Pferdeäpfeln, Matsch und Dingen, über die ich lieber nicht so genau nachdenken wollte. Was noch besorgniserregender war, das waren die Hundemeuten, die überall herumstromerten. Ich wünschte, ich hätte einen Knüppel mitgebracht. Die Stadt selbst war mal von irgendwem, ich habe vergessen, von wem, als heruntergekommen und schmutzig mit schlechtem Straßenbelag und ärmlichen Häusern beschrieben worden. Ich konnte weiß Gott in keinem Punkt widersprechen.

Die Trinity Street mit ihren Wirts- und Kaufmannshäusern mochte noch ganz hübsch sein, aber hinter der Hauptstraße erstreckte sich ein Netz von armseligen Gassen und dreckigen Höfen, das bis zum Fluss reichte. Wie immer war der Pod in einer dieser verwahrlosten Gassen geparkt. Man gebe mir eine armselige Gasse – irgendeine beliebige armselige Gasse –, und ich werde auf den Pod zeigen, der dort abgestellt ist.

Als wir uns dem Trinity College selbst näherten, konnten wir einige Leute sehen, die durch den Haupteingang ein und aus gingen. Beunruhigend war allerdings, dass keine einzige Frau darunter war.

Wortlos blieben wir in einem Hauseingang stehen und beobachteten die Menge, die sich an uns vorbeidrängte. Ich wollte noch ein bisschen abwarten, bevor wir schließlich ebenfalls das College betreten würden. Es sollten auf diesem Sprung keinerlei Schwierigkeiten auftauchen; immerhin hatten wir vor, uns eines der führenden Colleges der Welt anzusehen, nicht die Schlacht von Waterloo. Aber wir kommen vom St.-Mary’s-Institut und sind dafür bekannt, dass wir hin und wieder mal ein sonderbares Problem haben. Endlich nickte ich dem vor Aufregung bebenden Professor zu, und wir trotteten los.

Eddie schritt voran, ordentlich und seriös und wie ein Gelehrter in Schwarz gekleidet. Ich war wie eine Dienstbotin angezogen, ebenfalls schwarz. Die ganze Zeit über hielt ich mich einen Schritt hinter ihm, sodass ich ihn im Auge behalten konnte.

Selbstbewusst marschierte er durch die kleinere Tür im reich verzierten großen Eingangsportal. Ich sah hinauf zu der Statue von Heinrich VIII., der sein Zepter umklammerte. Irgendwann im Laufe der Geschichte würden Studenten ebendieses Zepter durch ein Stuhlbein ersetzen. Wo sich das Zepter momentan befindet, ist unbekannt.

»Eines Tages wird es wieder auftauchen«, sagte der Professor, der meinem Blick gefolgt war, zuversichtlich. »Sie wissen doch, wie es an Colleges zugeht. Irgendwo wird es schon stecken; vermutlich hält es irgendeine Schlafzimmertür offen, oder jemand hat es als Schürhaken in Benutzung.«

Wir wussten, dass Isaac Newtons Räume sich auf der rechten Seite befanden, nämlich zwischen dem Eingangstor und der Kapelle. Eine Holztreppe führte aus seinen Zimmern hinunter in den abgeschlossenen Garten, und es gab keinen anderen Ausgang, sodass er durch die Vordertür herauskommen musste. Wir hatten Glück, dass wir nicht zu weit ins College vorzudringen hatten. Folglich hielten wir Ausschau nach einem Ort, an den wir uns zurückziehen und dort unbehelligt abwarten konnten.

Ich war noch nie zuvor auch nur besuchsweise in Cambridge gewesen, vom Trinity-College ganz zu schweigen, deshalb war ich völlig erschlagen von der Größe und den Ausmaßen meiner Umgebung. Es ist mal als der beste Campus der Welt beschrieben worden, und ich konnte sofort zustimmen. Die Gebäude waren prachtvoll. Später würde noch genug Zeit bleiben, mir alles anzusehen, aber jetzt mussten wir uns erst mal irgendwo zum Warten hinstellen, wo wir nicht im Weg waren.

Ich zog mir die Kapuze über den Kopf und lief in respektvollem Abstand hinter dem Professor. Andere Frauen sah ich nicht auf dem Gelände, und ich hatte keine Ahnung, ob ich selbst überhaupt hier sein sollte. Das kommt davon, wenn man mit allzu kurzen Lagebesprechungen abgespeist wird. Trotzdem hatte ich immerhin einen Einfall gehabt, der mir damals als brillante Idee erschienen war: Ich hatte einen kleinen Taschenspiegel mitgebracht, sodass ich unauffällig hinter dem Professor stehen und meine Augen auf den Boden gerichtet halten konnte, damit durch sie auch ja keine Männer beschmutzt würden. Trotzdem würde ich auf diese Weise in der Lage sein mitzubekommen, was rings um mich herum geschah.

Ich weiß nicht, wie ich je hatte glauben können, dass das funktionieren würde.

Wir hatten uns darauf eingerichtet, mehrere Stunden warten zu müssen, aber mit etwas Glück würde es nicht so lange dauern. Wir trugen festes Schuhwerk und warme, wasserfeste Mäntel, und wir könnten den ganzen Nachmittag herumstehen, falls das nötig wäre. Die Luft war feucht, aber es regnete nicht richtig, und dafür, dass es schon beinahe Herbst war, war die Temperatur recht mild. Aus der Ferne drangen Krähenrufe durch die Windstille zu uns herüber.

Um uns herum gab es viele Leute, allesamt Männer, und die meisten von ihnen waren in Schwarz gekleidet. Jeder von ihnen hatte entweder einen Hut auf dem Kopf oder trug ihn in der Hand. Ich erblickte eine Menge unterschiedlicher Perücken, zumeist in einem matten Graubraun. Der trübe Nachmittag sog alle Farbe aus der Szenerie, aber ich bezweifelte, dass es hier ansonsten farbenfroh zuging. Alle liefen in kleinen Grüppchen mit gesenkten Köpfen hin und her und diskutierten, vermutlich die Geheimnisse des Universums. Alles war ganz genau so, wie ich es mir erhofft hatte – still, friedlich und kein bisschen bedrohlich.

Mein Plan war, unauffällig abzuwarten und dann den berühmten Mann vorbeilaufen zu sehen, entweder auf dem Rückweg zu seinen Räumen oder nachdem er sie verlassen hatte. Ich hatte mir vorgenommen, Professor Penrose davon abzubringen, sein Idol anzusprechen. Danach würde ich ihn heil und gesund zu Dr. Bairstow und ins St.-Mary’s-Institut zurückbringen, wo wir zur Feier des Tages anstoßen würden.

Aber es lief ganz und gar nicht so.

Eddie, der schon einmal hier gewesen war, zeigte auf verschiedene Gebäude und erläuterte ihre Funktion im Laufe der Zeit. Von dort aus war es nur ein kleiner Schritt im Gesprächsverlauf, auch über andere und – nach Eddies Meinung – weniger bedeutsame Colleges zu besprechen. Queens, zum Beispiel, das von der Königin aus dem Hause Lancaster gegründet worden war, nämlich von Margarete von Anjou, deren scharfe Zunge und hochgradige Paranoia zwei der Gründe für die Rosenkriege gewesen waren.

Da Eddie ein Anhänger des Hauses York war, während ich selber eher dem Hause Lancaster zuneigte, vertrieben wir uns die Zeit mit einer Diskussion, die lebhaft war und bisweilen stark abschweifte. Gerade war ich damit beschäftigt, über die gesamte Linie des Hauses York herzuziehen, als die Tür aufging und eine große, hagere Gestalt heraustrat. Ich hatte mir ein bisschen Sorgen gemacht, dass wir Newton vielleicht gar nicht erkennen würden, aber das kann man mir glauben: Seine Nase verriet ihn sofort. Er zog hinter sich die Tür zu, klemmte sich seine Papiere etwas fester unter den Arm, blieb einen Moment lang stehen und sah in den Himmel hinauf. Angesichts seiner üblichen Gedankenverlorenheit versuchte er wahrscheinlich herauszufinden, wo er sich gerade befand.

Professor Penrose versteifte sich wie ein Vorstehhund, der ein Federwild wittert, und machte unbewusst einige Schritte nach vorne.

Seine Bewegung zog die Aufmerksamkeit Newtons auf sich, und er drehte sich zu uns um. Mein erster Gedanke war, dass er viel zu jung war, um unser Mann zu sein. Er war höchsten Mitte zwanzig, mit einem langen bleichen Gesicht, einem großen Mund und einem entschlossenen Kinn. Eine sehr schlichte Perücke rahmte rechts und links sein Gesicht ein wie die Ohren eines Spaniels.

Ich war vollkommen überrascht. Wir erstarrten alle drei. Professor Penrose hielt seine Arme ausgestreckt, als wolle er Newton die Hand schütteln, ich umklammerte meinen Spiegel, und Isaac Newton hielt noch immer den dicken, mit einer Kordel zusammengebundenen Papierstapel unter dem Arm fest.

Minutenlang musterten wir uns gegenseitig.

Eddie vergaß meine sorgfältigen Anweisungen vollkommen – und genau das ist der Grund, warum wir gewöhnlich keine Zivilisten mitnehmen –, machte noch einen Schritt auf Newton zu und sagte: »Mein lieber Sir. Es ist mir eine Ehre, eine wirklich große Ehre …« Dann brach er ab, als offensichtlich wurde, dass sein großes Vorbild ihn ignorierte und stattdessen mich anstarrte.

O Gott, ich sollte nicht hier sein! Vermutlich gab es sehr strenge Regeln, was den Zutritt von Frauen anging, und ich würde auf dem Scheiterhaufen enden. Oder gesteinigt werden. Oder ausgepeitscht. Oder gepfählt. Historikerin am Spieß, sozusagen. Ich hatte gewusst, dass so etwas geschehen würde. Das war der Grund, warum ursprünglich Peterson für diese Mission ausgewählt worden war. Es gab keinen Zweifel, dass der Anblick von Frauen in diesen heiligen Hallen des Wissens und Lernens dem großen Mann zusetzte, der mit offenem Mund dastand und mich anglotzte.

Verwirrt drehte Eddie sich um und schaute mich ebenfalls an. »Was …?«

Wieder war ich mir der krächzenden Krähen überdeutlich bewusst, die auf dem stillen Hof unheilverkündend klangen. In welcher Art von Schwierigkeiten steckten wir denn jetzt?

Beide Männer blickten mich unverwandt an, und ich hatte noch immer keinen Schimmer, was da gerade vor sich ging. Also alles wie immer bei mir. Ich sah sogar an mir hinunter, um zu überprüfen, ob ich anständig angezogen war. Was war hier los?

Isaac Newton stieß einen heiseren Laut aus und streckte mir seine bebende Hand entgegen. Ich konnte mir keinen Reim darauf machen. Ganz offenkundig war er fest im Griff einer starken Gefühlsregung, aber was für einer? Dann dämmerte es mir langsam. Es ging überhaupt nicht um mich. Es ging um den Spiegel. Er hielt den Blick starr auf den Spiegel gerichtet. Warum? Gab es hier irgendwelche Regeln, die sich auf Spiegel bezogen? Ich weiß, dass das merkwürdig klingt, aber wenn man eine große Zahl von männlichen Gelehrten zusammenpfercht, ohne dass auch ein bisschen weibliche Intelligenz und ein ebensolcher Sinn fürs Praktische mit von der Partie sind, dann kann das zu allen möglichen bizarren Verhaltensmustern und Phobien führen.

»Natürlich«, stieß Newton hervor, und ich war verblüfft vom starken, ländlich gerollten R-Laut in seiner Kehle. In seinem Auftreten war er eher still und wirkte wie ein echter Gentleman, und ich schätze, ich hatte erwartet, dass seine Stimme dazu passen würde.

»Natürlich«, sagte er noch einmal, und es war überdeutlich, dass er weder mit mir noch mit Professor Penrose sprach. »Ein Spiegel.«

Und bevor ich mich versah, hatte er sich mit ein paar schnellen Schritten mir genähert, riss mir den Spiegel aus den Fingern und drehte ihn in den Händen hin und her.

»Ja … ja … natürlich … die Linsen müssen ersetzt werden …«

Er trat wieder ein Stück zurück, machte auf dem Absatz kehrt, und ehe ich ihn aufhalten konnte, eilte er mit langen Schritten davon in Richtung seiner Zimmer.

Mit meinem Spiegel.

Isaac Newton hatte mir meinen verdammten Spiegel geklaut!

Jetzt steckten wir wirklich in der Klemme. Das war ein moderner Spiegel, und auf keinen Fall konnten wir ihn einfach hierlassen. Das war wichtiger als Professor Penrose und auf jeden Fall auch wichtiger als ich. Sollte ich den Spiegel hier zurücklassen, würde ich gegen jede einzelne unserer Vorschriften verstoßen. Es war nicht so, dass dieser Spiegel irgendetwas Besonderes gewesen wäre, aber es geht nun mal einfach nicht, dass man die Zeitlinie mit anormalen Objekten zumüllt. Das gefällt der Geschichte ganz und gar nicht. Mit Geschichte ist Klio, Tochter des Zeus und unsterbliche Muse der Geschichte, gemeint. Oder, wenn es einem passender erscheint, Mrs. Partridge, persönliche Assistentin von Dr. Bairstow und ziemlich einschüchternd in jeder Inkarnation. Ich musste sofort alles daransetzen, den Spiegel zurückzubekommen. Und wenn wir ihn nicht mehr auftreiben könnten … oder wenn er bereits in etwas Wichtiges eingebaut worden wäre … zum Beispiel in das verfluchte Spiegelteleskop … dann würde uns das noch teuer zu stehen kommen.

Wenn ich ihn mir wieder zurückholen wollte, dann jetzt sofort, bevor sich Isaac Newton in seinen Wohnbereich zurückgezogen hatte. Aber ich musste auch an Professor Penrose denken. Ich konnte nicht einfach losrennen und ihn sich selbst überlassen.

Newton war bereits etliche Meter von uns entfernt und beschleunigte seine Schritte. Also zischte ich Eddie zu: »Bleiben Sie hier. Rühren Sie sich nicht von der Stelle.«

Zu spät. Der Professor hatte bereits in einer Art Schweinsgalopp, der gar nicht schlecht für jemanden in seinem Alter war, die Verfolgung aufgenommen. Also machte ich, dass ich hinterherkam.

Isaac Newton warf einen Blick über seine Schulter und bemerkte, dass wir auf ihn zuspurteten, und er tat, was jeder getan hätte: Er rief um Hilfe und fing an zu rennen.

Ich stieß halblaut ein paar grässliche Verwünschungen aus und raste an Professor Penrose vorbei, und ehe Newton wusste, wie ihm geschah, versuchte ich, ihm den Spiegel wieder zu entreißen. Sekundenlang zerrten wir hin und her, beide fest entschlossen, unsere Beute nicht loszulassen.

Die Leute begannen, sich umzudrehen, um uns zu beobachten. Wieder fluchte ich, entschuldigte mich insgeheim bei dem größten Mathematiker, den die Welt je gesehen hatte, und trat ihm mit voller Wucht gegen das Schienbein. Ich glaube, er ließ den Spiegel aus schierer Überraschung los. Ich drehte mich um, packte den Professor am Arm und zischte: »Rennen Sie«, und wir stürzten los Richtung Tor.

Hinter uns hörte ich jemanden schreien: »Haltet sie auf! Diebe!«

Merde! Scheiße!! Shit!!! Unser kleiner Zwischenfall war von Passanten auf dem Hauptgelände beobachtet worden, die die falschen Schlüsse gezogen hatten, und nun waren wir echt in Schwierigkeiten.

So einfach geht das.

Der Ruf wurde von anderen Stimmen aufgegriffen, und schon im nächsten Augenblick versperrte uns ein halbes Dutzend stämmiger junger Burschen den Weg.

Zur Hölle noch mal! Wie kann so schnell so viel schiefgehen?

Ich schlug alle Vorsicht in den Wind und kreischte: »Jetzt aber los, Eddie. Bewegen Sie sich endlich!«, und wir schossen durchs Tor hinaus auf die belebte Straße.

Wenn ich Peterson bei mir gehabt hätte, dann hätten wir beide unser Tempo gedrosselt, um keinerlei Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen, hätten uns aufgeteilt und uns unauffällig zurück zum Pod begeben. Aber ich hatte Professor Penrose an meiner Seite, und so stand dieser Plan nicht zur Debatte. Wir hielten die Köpfe gesenkt und drängelten uns rücksichtslos durch die Menschenmenge. Unmutsrufe begleiteten unseren Weg. Wir entschuldigten uns ein ums andere Mal, so gut wir konnten, aber die jungen Männer, die uns verfolgten, kannten keinerlei Zurückhaltung. In ihrem Eifer, uns in die Finger zu bekommen, stießen sie die Leute rigoros beiseite. Und sie rückten näher.

Hilfe kam von völlig unerwarteter Seite.

Ich bemerkte es nicht gleich, aber wir kamen nun besser voran. Die Menschen traten aus dem Weg, um uns durchzulassen, und schlossen dann hinter uns wieder die Reihen. Anfangs glaubte ich noch, ich würde mir das nur einbilden, aber nein: Der Lärm hinter uns schwoll an, als die Menschenmenge unsere Verfolger am Vorankommen hinderte.

Ich wusste, dass es nicht viel Sympathie zwischen einfachem Stadtvolk und Gelehrten gab. Im Jahr 1630 hatten sich die Colleges geweigert, den Opfern der Pest Hilfe zukommen zu lassen, und sie waren sogar so weit gegangen, ihre Tore vor den Kranken zu verschließen. Vielleicht war das Verhältnis daher immer noch ein bisschen angespannt.

Aber aus welchem Grund auch immer – wir schüttelten unsere Verfolger etwas ab und wurden langsamer. Was für eine angenehme Abwechslung, dieses eine Mal jemanden auf unserer Seite zu haben. Ich fing an, mein vielleicht vorschnelles Urteil über das wunderbare Cambridge und seine liebenswürdigen Einwohner zu bereuen.

Hinter uns konnte ich noch immer Aufruhr hören. Ein vertrauter Lärm – Leute schrien uns etwas nach, keiften die Studenten an, die uns nachsetzten, und herrschten die kläffenden Köter an. Die Studenten, die uns verfolgten, brüllten ihrerseits, und die Hunde bellten zurück. So einen Radau hat man noch nicht gehört.

Definitiv höchste Zeit, sich aus dem Staub zu machen.

Ich raffte meine Röcke und begann, wieder zu rennen. Professor Penrose neben mir hielt für sein Alter ziemlich beachtlich mit. Unter meinem Umhang tastete ich aufgeregt nach meinem Pfefferspray, nur für alle Fälle.

Eine Gruppe abgerissen aussehender junger Männer lungerte vor dem Black Bear herum, vom Geschrei hinter uns auf den Plan gerufen; sie drehten sich um, sahen uns laufen und verstreuten sich quer über die Straße, um uns an der Flucht zu hindern.

Um diesem, mit Alkohol abgefüllten Haufen Nichtsnutze – oder besser bekannt als Studenten – zu entgehen, bogen wir nach rechts ab. Verdammte Studenten. Warum müssen die sich immer vor Kneipen herumdrücken, wenn sie sich eigentlich um ihr Studium kümmern sollten? Ich hatte so was natürlich nie getan. Wir rannten eine Allee hinunter, die glücklicherweise in die richtige Richtung führte. Ich wusste, wo wir waren: Wir befanden uns hinter der Holy-Trinity-Kirche, irgendwo im Labyrinth zwischen der Sidney Street und der Trinity Street. Glücklicherweise waren wir in der richtigen Richtung unterwegs. Eine Hand packte meinen Umhang. Ich drehte mich um, schloss die Augen und gab einen Sprühstoß Pfefferladung ab. Mit einem Aufschrei ließ sich mein Angreifer zurückfallen und schlug sich beide Hände vors Gesicht. Der Lärm der Rufe hinter uns schwoll an.

Ganz am Ende der Gasse würden wir uns rechts halten müssen. Links von einem Torbogen konnte ich schon eine Ecke unseres Pods erkennen.