Don't worry, be Mami - Sandra Runge - E-Book

Don't worry, be Mami E-Book

Sandra Runge

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Beschreibung

Das juristische Standardwerk zu Schwangerschaft, Geburt und Elternsein – mit überlebenswichtigen Tipps und Tricks zu Elterngeld, Elternzeit & Co. - jetzt als aktualisierte Taschenbuchausgabe

Wer meint, die Geburt wäre das Heftigste am Kinderkriegen, irrt: Es ist der juristische Wahnsinn, der Eltern den Verstand raubt: Wo beantrage ich Elterngeld – und welches? Wer erhält das Sorgerecht im Falle einer Trennung? Und was ist noch mal der Unterschied zwischen Mutterschutz und Elternzeit? Ganz ohne Juristenkauderwelsch und mit Beispielen aus dem wahren Leben gibt Rechtsanwältin und Zweifachmutter Sandra Runge Tipps, um Mamas und Papas vor allen rechtlichen Fallgruben zu bewahren.

Ihr unverzichtbares Standardwerk zu Schwangerschaft, Geburt und Elternsein erscheint nun erstmals als aktualisierte Taschenbuchausgabe, die im Zuge neuer Gesetze um hilfreiche Checklisten, Linksammlungen und Tipps erweitert wurde. Denn wer sich nicht über verstrichene Fristen und einen mickrigen Kontostand ärgern muss, kann sich an den wirklich wichtigen Dingen des Lebens erfreuen: dem eigenen Kind zum Beispiel.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 367

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Buch

»Endlich wieder arbeiten!«, freut sich Juristin Sandra Runge nach dem Ende ihrer Elternzeit. Doch als sie an ihrem ersten Tag im Job die Kündigung ausgehändigt bekommt, wird ihr klar, dass Eltern es in unserer Gesellschaft alles andere als leicht haben. Dabei sollten Mamis und Papis den neuen Lebensabschnitt mit Kind doch sorgenfrei genießen, ohne sich durch Behördendschungel, Gesetzeswirrwarr und Versicherungsblabla zu quälen!

Da hilft nur tief durchatmen, ein entspanntes Ohhhhhmmmm beim Schwangerschaftsyoga zu singen und sich von Sandra Runge an der Hand nehmen zu lassen. Denn mit »Don’t worry, be Mami« hat die Zweifachmama und Rechtsanwältin den wichtigsten Rechtsratgeber für Eltern geschrieben – unterhaltsam aus dem Leben gegriffen und mit allen wichtigen Tipps und Tricks rund ums Kinderkriegen.

Autorin

Sandra Runge ist Zweifachmama, Rechtsanwältin und Bloggerin aus Berlin. Nach der Geburt ihrer Kinder hat sie festgestellt, wie viele rechtliche Themen plötzlich im Raum stehen. Dazu fehlte ihr ein fundierter und gleichzeitig verständlicher Rechtsratgeber für Mütter, sodass sie irgendwann entschied, das Buch selbst zu schreiben. Neben ihrem Anwaltsberuf hat sie in Berlin Coworking Toddler gegründet, Deutschlands erste Kita mit Coworking Space.

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Sandra Runge

DON’T WORRY,BE MAMI

Juristisches Know-howrund um Schwangerschaft,Geburt und Elternsein

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

1. Auflage

Copyright der Originalausgabe © 2017 by Blanvalet Verlag, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Copyright dieser Ausgabe © 2018 by Blanvalet Verlag, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Nadine Lipp

Umschlaggestaltung: semper smile, München

Umschlagmotiv: © shutterstock/vata

KW · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-18755-2V002

www.blanvalet-verlag.de

Für meine Familie

Wenn dir das Leben eine Zitrone gibt, mach Limonade draus.

Virginia E. Wolff

INHALT

VORGESCHICHTE

Der Urknall: Wie ich nach der Elternzeit zu einer arbeitslosen Mutter wurde

1

Schwanger! Wie sage ich es meinem Arbeitgeber? Oder: Vom Sonnengruß zum Mutterschutz

2

Wenn der Job zur Gefahr für Mutter und Baby wird: Beschäftigungsverbote und Mutterschutzgesetz-Weisheiten

3

Von Hebammenglück und Hebammenleid

4

Trotzanfälle, Kinderarzt-Termine und wie man das Kind beim Namen nennt

5

Teebeutel-Weisheiten und Sorgen um das Sorgerecht

6

Von Schlössern und Sandburgen: Wissenswertes rund um die Unterhaltsansprüche

7

Brotbox-Dramen und ein peinlicher Elternzeit-Vortrag

8

Wiedereinstiegs-Zoff auf dem Ponyhof und ein Elterngeld-Picknick

9

Wehen-Simulationen, ein Kindergeld-Taxi-Interview und der Abend in der Glühenden Gurke

10

Von der Kinder-Geschäftsfähigkeit zu »Elternzeit-Störfällen«

11

Vorsorge für den Ernstfall: Mithilfe von Vormündern und Testamenten und einer wild gewordenen Affenbande

12

Die unvergessliche Schweineparty und ein Leitfaden für die Kitaplatz-Suche

13

Zwei Kinder außer Kontrolle – und wer haftet jetzt für die Schäden?

NACHGESCHICHTE

Wie ich es letztlich doch schaffte, zwei Hasen auf einmal zu fangen

ANHANG

Tipps zur Elterngeldoptimierung

Mustertexte

Checkliste für Eltern

Linksammlung

Stichwortverzeichnis

Dank

Liebe Leserin, Lieber Leser,

dieses Buch ist ein Herzensprojekt, das ungefähr sechs Jahre lang in mir gereift ist und mithilfe vieler wunderbarer Unterstützer geboren wurde. Nach einer Reihe von einschneidenden persönlichen Erlebnissen als Mutter und Anwältin war es mir ein Anliegen, einen Rechtsratgeber für Eltern zu schreiben – aus dem Leben gegriffen, ohne Juristenkauderwelsch, ein bisschen lustig, ein bisschen traurig und sofort griffbereit für den praktischen Einsatz. Ich hoffe sehr, dass dir mein Buch Sicherheit bei der Beantwortung rechtlicher Fragen gibt und ein wertvoller Begleiter während der Schwangerschaft, Geburt und des Elternseins sein wird.

Gleichzeitig möchte ich darauf aufmerksam machen, dass Eltern, insbesondere Mütter, im Job und nach dem Wiedereinstieg immer noch benachteiligt werden. Das Buch soll dazu beitragen, dass Politiker und Gesetzgeber um- und weiterdenken und Mütter- und Elternrechte verbessern.

»Don’t worry, be Mami« beruht auf wahren Begebenheiten, die ich selbst erlebt und frei interpretiert habe – gewürzt mit einer Prise, manchmal auch mit einer großen Portion Fantasie. Alle Namen und Charakterisierungen der Personen, die Teil dieser Geschichte sind, wurden zum Schutz der Persönlichkeitsrechte verändert. Sollte dennoch jemand meinen, die eine oder andere Ähnlichkeit zu erkennen, ist das kein Vorsatz, sondern reiner Zufall.

Der Buchtext wurde weitestgehend geschlechtergerecht formuliert, an einigen Stellen habe ich jedoch zur besseren Lesbarkeit darauf verzichtet – was aber nicht heißt, dass nicht alle Geschlechter angesprochen sind. Ganz im Gegenteil: Das Buch wurde zwar von einer Mutter für alle Mütter geschrieben, enthält aber auch viele Informationen für Väter, die das Buch natürlich auch lesen dürfen und sollten.

Die überarbeitete und aktualisierte Ausgabe, die du in den Händen hältst, berücksichtigt unter anderem die Reform des Mutterschutzgesetzes und des Unterhaltsvorschussgesetzes. Zusätzlich habe ich den Anhang erweitert und natürlich auch LeserInnen-Feedback eingearbeitet (Danke dafür!).

Die rechtlichen Informationen und Tipps in diesem Buch wurden nach bestem Wissen und Gewissen zusammengetragen, ersetzen jedoch keine maßgeschneiderte rechtliche Beratung. Eine Haftung wird daher ausgeschlossen.

Aktuelle Entwicklungen, Updates und Änderungen zum Thema Elternrechte – manchmal auch kleine private Einblicke in das Leben einer Rechtsanwältin zwischen Kind, Kita und Gerichtssaal – findest du auf meinem Blog smart-mama.de sowie auf den dazugehörigen Social-Media-Kanälen, bei Facebook, Twitter und Instagram. Ich freue mich, wenn wir uns dort treffen und austauschen!

Wenn auch dir eine Ungerechtigkeit widerfahren ist, kannst du mir gerne über [email protected] schreiben. Anregungen und (nette) Kritik darfst du natürlich auch loswerden.

Jetzt aber Schluss mit dem Vorgeplänkel: Viel Freude beim Lesen!

Deine Sandra

Berlin, im April 2018

VORGESCHICHTE

Der Urknall: Wie ich nach der Elternzeit zu einer arbeitslosen Mutter wurde

Nick, mein kleiner Sohn, der bis eben noch tief und fest in meinen Armen schlummerte, ist aufgewacht. Erst meldet er sich mit einem leisen Glucksen, dann mit mehreren lauten Wähwähhhhs. Milchdurst! Er befreit seine Ärmchen und Beinchen mit heftigen Ruder- und Strampelbewegungen aus meiner Umarmung, krabbelt auf meinen Bauch und zieht erwartungsvoll an meinen Haaren und Ohren. Dann bohrt er kurz seinen Zeigefinger in mein rechtes Nasenloch. Autsch! Bereits im zarten Alter von zwölf Monaten und drei Tagen weiß er genau: Meine Mama ist ein Morgenmuffel und muss mit sanften Ritualen geweckt werden.

Ich taste schlaftrunken nach meinem Telefon, das irgendwo auf dem Nachttisch liegen muss. Das Display zeigt 5.17 Uhr. Verdammt, flucht meine innere Stimme. Wieso ist Nick so früh wach geworden? Normalerweise trinkt er doch erst um sieben Uhr seine Guten-Morgen-Nuckelflasche. Ausgerechnet heute, an meinem ersten Arbeitstag nach einem Jahr Elternzeit, raubt er mir den Schlaf.

Ich stehe auf, nehme das durstige Bündel in meine Arme und beruhige ihn mit einem langsamen Wiegewalzer, den ich mit ihm im Schummerlicht durch das Schlafzimmer tanze. Engtanzen und leise »Sch-Sch-Schs« helfen immer, wenn Nick unzufrieden ist. Wir tanzen im Dreivierteltakt zur Fensterbank, dort bereite ich eine Milchflasche für ihn zu. Zwischendurch schiebe ich das Rollo einen Spalt zur Seite und werfe einen Blick aus dem Fenster. Es ist dunkel, Berlin schläft noch. Vereinzelt blinkt die noch nicht abgehängte Weihnachtsbeleuchtung aus den Fenstern der gegenüberliegenden Häuser. Ein kitschiger einäugiger Schneemann mit Zipfelmütze grinst mich an. Ich habe das Gefühl, dass er mich auslacht – wie ich da so am Schlafzimmerfenster unserer Dachwohnung stehe: übermüdet, mit verquollenen Augen, in einem ausgewaschenen Micky-Maus-Schlafhemd, links das Baby wiegend und rechts eine Nuckelflasche schüttelnd. Ich strecke dem Schneemann kurz die Zunge raus – soll er doch woanders hingucken und grinsen.

Ich lege Nick in unser Bett, das seit geraumer Zeit in eine Familien-Schlaflandschaft umfunktioniert worden ist, und drücke ihm die Milchflasche in die Hand. Dann krieche ich unter die Bettdecke und stelle erleichtert fest: Er nuckelt mit geschlossenen Augen und zwirbelt seine goldbraunen Wuschelhaare um den Zeigefinger – ein sicheres Zeichen dafür, dass er wieder einschläft. Auch ich muss schlafen und Energie tanken. Dringend. Aber ich komme verflixt noch mal nicht zur Ruhe. In meinem Kopf dreht sich ein außer Kontrolle geratenes Gedankenkarussell mit der Aufschrift »Tschüss Elternzeit, hallo Job!«, in dem Nick, mein Mann Max, Nicks künftige Erzieherin und meine beiden Chefs, Herr Frey und Herr Werth, sitzen.

Nun beginnt er also – ein neuer Lebensabschnitt. In vier Stunden sitze ich im Büro und fange wieder an, als Inhouse-Juristin eines internationalen Logistikunternehmens zu arbeiten. Zweifel überkommen mich. Wird es mir gelingen, vom Windel-, Nuckel- und Bauklotz-Modus in den Paragrafen-Modus zu wechseln? Kann ich das überhaupt noch – eine Rechtsabteilung leiten und Verantwortung für mein Team und teure Transaktionen tragen? Gesetze studieren, Paragrafen jonglieren und Gutachten für meine Chefs schreiben? Das fühlt sich fremd an – und dazu noch meilenweit entfernt. Was ist, wenn ich meinen Job nach der Elternzeit verlernt habe? »So ein Quatsch«, ermahnt mich meine innere Anwältin, die langsam aus dem einjährigen Dornröschenschlaf erwacht, »du hast dich im letzten Jahr doch fortgebildet und deinen Fachanwalt für Arbeitsrecht gemacht. Ganz blöd kannst du ja nicht sein.«

Ich umarme Nick und ziehe ihn an mich. Er riecht gut und vertraut nach Elternzeit. Ein Cocktail aus Milch, Karamell und einem Hauch Lavendel-Gute-Nacht-Bad. Ich merke, wie das schlechte Gewissen an mir nagt. Der arme Zwerg, auch für ihn beginnt heute der Ernst des Lebens – sein erster Tag in der Krippe. Dagegen ist mein Wiedereinstieg doch lächerlich. Ich weiß immerhin, was auf mich zukommt, er dagegen muss sich an fremde Menschen und eine völlig neue Umgebung ohne Mama und Papa gewöhnen. Wie ein von Hand aufgezogenes Tierbaby, das plötzlich im Dschungel ausgewildert wird.

Das Gedankenkarussell nimmt Fahrt auf. Was ist, wenn die Erzieher doch nicht so nett sind wie bei unseren beiden Besichtigungen? Werden sie Nick trösten, ihn durch die Krippe tragen und mit ihm Wiegewalzer tanzen, wenn er weint? Haben wir für ihn die richtigen Menschen ausgesucht, die ihn ab jetzt Tag für Tag beim Wachsen begleiten, seine Stinkewindeln wechseln und Auas wegpusten werden?

Ich denke an das »Kita-Eltern-Casting« zurück. Was haben wir nicht alles über uns ergehen lassen müssen, um dort einen Platz zu ergattern: Mehrere Vorstellungsgespräche, zu denen ich Max mitgeschleift hatte (»Ja, Schatz, du MUSST da mitkommen, es macht immer einen besseren Eindruck, wenn wir zu zweit antanzen. Und bitte geh noch mal vorher zum Friseur und zieh dir ein schickes Hemd an.«), peinliche Betteltelefonate (»Es wäre so toll, wenn das mit dem Platz klappt, wissen Sie, wir haben so viele Einrichtungen gesehen, diese hier hat das überzeugendste pädagogische Konzept. Ach, und was ich noch sagen wollte, mein Mann ist handwerklich sehr geschickt und könnte bestimmt den kaputten Sandkastenrand reparieren.«) – und dann noch eine ärgerliche Zahlung für den Monat Dezember – obwohl wir den Betreuungsplatz erst ab Januar in Anspruch nehmen dürfen (»Ist doch kein Problem, das bezahlen wir gerne.«). Egal. Augen zu, Portemonnaie auf, Hauptsache, wir haben einen Krippenplatz.

Der Plan, am gleichen Tag mit der Eingewöhnung und mit dem Job-Wiedereinstieg zu beginnen, ist eigentlich völlig verrückt. Aber es ließ sich nicht anders organisieren. Eine Verlängerung der Elternzeit war von meinem Arbeitgeber abgelehnt worden, da Sylvie, meine Elternzeitvertretung, nur bis Ende Dezember gearbeitet hat. Und Max kann die Eingewöhnung leider nicht übernehmen, da er drei Tage unter der Woche nicht in Berlin arbeitet – deshalb muss meine Mutter einspringen. Ich verdränge mein schlechtes Gewissen. Das Leben ist kein Wunschkonzert, erst recht, wenn es um den beruflichen Wiedereinstieg und um einen Krippenplatz geht.

Das Gedankenkarussell dreht sich unkontrolliert weiter. Schlaf, wo bist du? Ich gehe gedanklich meinen Wiedereinstiegs-Masterplan durch, schließlich soll mein Start nach der Elternzeit perfekt sein:

–Handtasche ausmisten (Reiswaffelkrümel, abgelutschte Schnuller, Ersatzwindeln) und neu packen (Kopfschmerztabletten, Lippenstift, Ersatzstrumpfhose) ✔

–Schoko-Wiedereinstiegskuchen backen (damit die beiden Chefs und alle Kollegen um mich herum gut gelaunt sind) ✔

–Absatzschuhe entstauben und putzen (hat sich erledigt, da ich am Freitag neue Schuhe gekauft habe) ✔

–Pralinen für meine Mutter besorgen (sie wird Nervennahrung brauchen) ✔

–Foto von Nick für den Büro-Schreibtisch rahmen (zur Beruhigung bei plötzlichen Sehnsuchts-Attacken) ✔

–Gespräch mit den Chefs vorbereiten (bei guter Laune: flexible Arbeitszeiten und Homeoffice ansprechen, bei sehr guter Laune: Gehaltsentwicklung)

Ich stelle erleichtert fest, dass ich alles erledigt habe. Die Oma ist bereits angereist und wurde mit Pralinen versorgt, ich habe gepackt, gebacken, das Bild von Nick in einen silbernen Rahmen gesteckt und alles im Flur bereitgestellt. Ja, sogar das Gespräch, das ich am ersten Tag mit meinen beiden Chefs führen werde, habe ich zusammen mit Max vorbereitet. Aber warum mache ich mich verrückt, es wird bestimmt alles gut laufen, Herr Frey hat sich nach meinem letzten Bürobesuch kurz vor Weihnachten schließlich mit den Worten »Wir freuen uns schon sehr auf Ihre Rückkehr und sehen uns dann am 3. Januar« verabschiedet.

Ist doch klar, ich mache da weiter, wo ich aufgehört habe, und werde so schnell wie möglich meine ehrgeizigen Pläne, die ich in der Elternzeit geschmiedet habe, umsetzen: mehr Verantwortung, mehr Geld, Mitarbeiterin des Monats, ach Quatsch, des Jahres! Ich denke an meine Lieblingskollegen, meinen Arbeitsplatz, gebügelte Blusen, klappernde Absätze und an mein altes Gehalt, das bald wieder auf meinem Konto landen und endlich das Elterngeld ablösen würde.

Mein Bauchnabel kribbelt. Eigentlich ist es doch schön, wieder arbeiten zu gehen – irgendwie habe ich den Jahrmarkt der Eitelkeiten auch ein wenig vermisst. Es ist an der Zeit, dass ich endlich zu den Müttern gehöre, die ich im Sommer häufig auf dem Spielplatz beobachtet hatte: mit der Sonnenbrille auf der Nase, halb im Sandkasten sitzend, schick gekleidet im Büro-Outfit, barfuß oder in Nylonstrümpfen (die Stöckelschuhe liegen umgekippt am Sandkastenrand), tiefenentspannt mit dem Kind buddelnd, die gebügelte Bluse paniert mit Sand. Das schaffe ich doch mit links, oder? Und Nick wird das auch schaffen, die Krippe wird ihm bestimmt guttun. Die vielen Aktivitäten, die anderen Kinder – und wenn die Erzieher doof sein sollten, dann wird eben gewechselt. Punkt. Ich atme tief ein. Und plötzlich merke ich, dass sich das Gedankenkarussell langsamer dreht und stehen bleibt. Die Wiedereinstiegs-Zweifel und das schlechte Gewissen verflüchtigen sich langsam. Hallo, Welt da draußen, ich kann beides! Glückliches Kind und glückliche Mama, Sandkasten und Büro, Schnuller und Paragrafen, Sandburgen und Präsentationen.

Dann kuschele ich mich wieder an Nick, dem die leere Milchflasche gerade aus der Hand geglitten ist. Er schnarcht leise und friedlich. Ich schließe erleichtert die Augen, hülle mich noch einmal in den Elternzeit-Duft, dann schlafe ich endlich ein.

Zwei Stunden später sitze ich heulend im Auto. Ich denke an Nick, dem es überhaupt nicht gefallen hat, dass ich mit klappernden Absätzen, rotem Lippenstift und dem Wiedereinstiegskuchen aus dem Haus gegangen bin. Vielleicht hätte ich doch noch ein Jahr länger Elternzeit nehmen sollen? Ich schnäuze zum dritten Mal in das ausgefranste Taschentuch. Dann drehe ich das Radio bis zum Anschlag auf. »Somewhere over the Rainbow« schallt es aus dem Lautsprecher.

Drei Ampeln später bin ich wieder die Ruhe in Person. Ich halte kurz in der Brunnenstraße und gönne mir einen Kaffee auf die Hand. An der nächsten roten Ampel überprüfe ich mein Telefon: Keine Nachricht – gute Nachricht. Nick hat gefrühstückt und ist jetzt bereit für seinen ersten Tag in der Krippe. Dann poste ich auf Facebook stolz den Status »Working Mom«. Alle sollen es wissen. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ich fahre weiter durch die verstopften Straßen. Fünfzehn Minuten später biege ich in die Einfahrt zum Bürogebäude ein und parke in der Tiefgarage wie gewohnt auf meinem Parkplatz. Ha! Selbst den richtigen Einparkwinkel habe ich noch drauf.

Ping – die Aufzugstür öffnet sich. Und schon befinde ich mich in den heiligen Hallen meines Arbeitgebers, der LOGO Logistics GmbH. Der Büroduft hat sich nicht verändert. Eine beißende Mischung aus Kaffee, Synthetikteppich und Raumspray. Pina, meine Assistentin, kommt mir aufgeregt auf dem Flur entgegen und umarmt mich: »Mensch, du bist ja schon da, der Kleine hat dich bestimmt früh geweckt, stimmt’s? Siehst müde aus, und ein paar Kilo mehr auf der Kante könntest du auch vertragen. Schön, dass wir dich wiederhaben, aber komm erst mal wieder an, dann quatschen wir.«

»Ja, ähhh, ich freue mich auch … huch«, beinahe wäre mir der Wiedereinstiegskuchen aus der Hand gerutscht. Ich öffne die Tür zu meinem Büro, bleibe stehen und lasse meinen Blick durch den Raum wandern. Alles sieht so aus wie vor der Elternzeit: das Bild an der Wand, moderne Kunst in Ölfarbe, wilde Pinselstriche, die auch von Nick stammen könnten, das schwarze Regal mit den dicken Büchern und den Aktenordnern, die sich merklich vermehrt haben.

Seltsam, irgendetwas ist aber anders, denke ich plötzlich und suche den Fehler, der mir eigentlich gleich hätte auffallen müssen. Ich schlucke, Fehler gefunden. Zwei wichtige Büro-Accessoires stehen nicht mehr auf meinem Schreibtisch: Rechner und Telefon.

Ich versuche das ungute Gefühl, das aufkommt, zu unterdrücken und finde schnell eine Erklärung: Räuber und Ganoven! Wahrscheinlich hat sich jemand über die Feiertage eingeschlichen und den Rechner abmontiert, um ihn anschließend bei eBay zu versteigern. Ich alarmiere Pina, die in der Küche Kaffee kocht. »Neeee, das hat doch der IT-Paule gemacht«, erwidert sie. Ach so, denke ich zufrieden, dann bekomme ich zur Feier des Tages also neue Technik. Das wurde aber auch Zeit.

Zehn Minuten später klopft IT-Paule an meine Tür. Wie immer trägt er ein breites Grinsen auf den Lippen und ein gewagtes Hemd. Diesmal orange-grau kariert – im Achtzigerjahre-Fledermaus-Schnitt. Ich mag ihn, weil er immer gute Laune hat und sich nicht von den Chefs auf der Nase herumtanzen lässt. »Hallo und herzlich willkommen! Wie war der Mutterschaftsurlaub? Haben Sie sich gut erholt?«

»Guten Morgen«, sage ich freudig und schüttele seine Hand. Ich überlege noch, ob ich ihm kurz erklären soll, dass ich im letzten Jahr nicht im Urlaub, sondern in Elternzeit war und das Wort »Erholung« fehl am Platz ist. »Wann bekomme ich denn meinen neuen Rechner?«, frage ich.

»Neuer Rechner? Hä? Davon weiß ich nichts. Der alte steht jedenfalls in einem anderen Raum im Erdgeschoss. Das wollten die Chefs so. Zusammen mit Ihrem Telefon.«

Ich überlege kurz, ob ein Umzug in eine andere Etage Sinn macht, und beantworte die Frage mit nein, schließlich sitzt die Geschäftsführung, zu der ich im weiteren Sinne gehöre, in der fünften Etage. »Aha, verstehe ich nicht.« Das ungute Gefühl klopft wieder an.

IT-Paule geht konspirativ einen Schritt auf mich zu, sodass ich seinen muffigen Atem riechen kann. Dann flüstert er hinter vorgehaltener Hand: »Ich verstehe das auch nicht. War ganz eilig. Ich sollte deswegen sogar am Wochenende antanzen.« Er tippt sich mehrmals mit dem Zeigefinger an die Stirn und verdreht die Augen. »Fragen Sie am besten die Chefs, die müssten ja jeden Augenblick kommen.«

Ich laufe wieder zu Pina und versuche in Erfahrung zu bringen, was hier eigentlich los ist. »Keine Ahnung, ich weiß von nichts«, sagt sie und sieht mich mit großen Augen an. »Uns hat keiner gesagt, dass du in einem anderen Raum sitzen sollst. Macht doch auch gar keinen Sinn, dann müssten ja die Akten umgeräumt werden. Und Sylvie hat ja auch die ganze Zeit in deinem Zimmer gearbeitet.«

Sylvie. Vielleicht sollte ich sie kurz anrufen. Sie müsste als meine Elternzeitvertretung ja eigentlich über alles im Bilde sein. Ich beginne an meinem Mobiltelefon herumzudrücken und lese zuerst noch die Kommentare unter meinem »Working Mom«-Facebook-Status: »Viel Glück und einen großen Blumenstrauß auf dem Schreibtisch!«, »Energie, Kraft und gutes Karma für deinen ersten Arbeitstag« und »Happy Wiedereinstieg!« Schnell stecke ich das Telefon wieder zurück in meine Handtasche.

Vor wenigen Tagen hatte ich noch mit Sylvie telefoniert. »Alles läuft bestens«, hatte sie gesagt, »wir sehen uns nächste Woche im Büro, dann machen wir die Arbeitsplatzübergabe.« Da kann doch in der Zwischenzeit nichts Besonderes passiert sein, oder? Das mit dem leergefegten Schreibtisch ist bestimmt eine Verwechslung, für die es eine ganz banale Erklärung gibt. Ich überlege kurz, ob ich Sylvie vertrauen kann. Klar, denke ich, schließlich habe ich ihr den Job hier vermittelt, nachdem mein Chef kurz vor Beginn des Mutterschutzes noch immer keine Elternzeitvertretung für mich organisiert hatte. Sylvie zählt zwar nicht zu meinen allerbesten Freundinnen, aber wir hatten uns ab und zu auch privat getroffen und häufig telefoniert. Sie kam sogar nach Nicks Geburt zum Babybesuch – mit einem großen Blumenstrauß.

Ich blicke auf mein Mobiltelefon. 8.30 Uhr. Nick wird jetzt schon im Buggy sitzen und mit der Oma über den Helmholtzplatz fahren. Bestimmt hat er eine Brezel in der Hand. Die Oma wird aufgeregter sein als Nick. 8.30 Uhr bedeutet auch: Gleich wird Herr Frey im Büro ankommen, wenn er seine Gewohnheiten beibehalten hat.

Ich öffne die Tür einen Spaltbreit, damit mir seine Ankunft akustisch nicht entgeht. Normalerweise läuft er als Erstes an meinem Büro vorbei in die Küche, um sich einen Kaffee zu holen. Schwarz, ohne Milch, ohne Zucker. Ich stelle das Foto von Nick auf den leeren Schreibtisch und überlege kurz, ob ich mit dem Aufzug in das Erdgeschoss fahren soll, um mein neues Büro zu inspizieren. Nein, ich warte jetzt lieber auf Herrn Frey. Immerhin steht noch mein Name an der Tür. Wenn ich ins Erdgeschoss umziehen soll, hätte IT-Paule doch gleich das Schild abmontiert. Also bleibe ich sitzen und warte.

Mir ist langweilig. Komische Situation. Ich bin motiviert, energiegeladen und voller Tatendrang, gleichzeitig aber arbeitsunfähig, weil das Arbeitswerkzeug fehlt. Wie bestellt und nicht abgeholt. Ich setze mich auf meinen Bürostuhl, nehme Schwung und drehe mich im Kreis. Einmal, zweimal, dreimal. Ich schiele zur Backform, die ich auf dem Sideboard abgestellt habe, und beschließe, ein Stück Wiedereinstiegskuchen zu essen.

Fünf Minuten später ertönt ein kanarienvogelähnliches Pfeifen. Die Melodie von »Don’t worry, be happy«. Oha, Herr Frey ist im Anmarsch. Diese Marotte, die wirklich alle Kollegen nervt, hat er sich anscheinend immer noch nicht abgewöhnt. Ich wickle die Kuchenreste schnell in ein Taschentuch und wische die Krümel vom Tisch. Dann setze ich mich aufrecht in Position. Aber seltsam – er läuft einfach an meiner offenen Tür vorbei und wenige Minuten später zurück in sein Büro. Eigentlich hätte er sehen müssen, dass ich bereits da bin. Oder wollte er es nicht sehen? Ich beschließe einige Minuten zu warten und dann in sein Büro zu gehen. Ich mache Grimassen zur Lockerung meiner Gesichtszüge, streiche meine Bluse glatt und laufe in sein Büro.

Er begrüßt mich freundlich und schüttelt meine Hand mit einem kräftigen Händedruck. Kurz darauf höre ich mich schon fragen: »Wissen Sie eigentlich, warum mein Rechner und mein Telefon nicht mehr in meinem Zimmer stehen?« Er grinst und winkt mir eine verharmlosende Geste zu. »Ahahahach, das meinen Sie – wir sprechen später darüber, in Ordnung?«

»Gut, dann kann ich aber noch nicht anfangen zu arbeiten. Schließlich wollte ich jetzt schon einmal damit beginnen, die Rechtsfälle durchzugehen.«

»Nicht schlimm«, bemerkt Herr Frey und wendet sich geschäftig einer bunten Excel-Tabelle zu.

Bitte, was? Nicht schlimm? Ist es tatsächlich nicht schlimm, wenn ich an meinem ersten Arbeitstag nach der Elternzeit nicht arbeiten kann? Beim Verlassen des Büros schiele ich an die Decke und suche nach der versteckten Kamera. Verwirrt gehe ich zu meinem Arbeitsplatz zurück und rufe Max an. Wir orakeln zusammen, was das alles bedeuten könnte. Fest steht: nichts Gutes. Er versucht mich zu beruhigen, sehr überzeugend wirkt er nicht.

Ich öffne meine Tür sperrangelweit und setze mich wieder an den leeren Schreibtisch. Herr Werth, der Co-Chef, wird sich nicht so leicht aus der Affäre ziehen können. Ich betrachte das gerahmte Foto von Nick, das als einziger Gegenstand auf meinem nackten Schreibtisch steht. Es entstand während unseres ersten Urlaubs zu dritt. Er planscht mit überdimensionalen gelb-grünen Schwimmflügeln im Wasser und lächelt glücklich durch seine ersten beiden Zähnchen. Mein kleines Hasenkind, ich würde dich jetzt so gerne im Arm halten, denke ich traurig. Ich versuche einen Artikel aus einer juristischen Fachzeitschrift zu lesen, doch ich kann mich nicht konzentrieren. Fast eine Stunde vergeht. Ich langweile mich. Ist das schon Mobbing?

Plötzlich höre ich Schritte. Große, laute Schritte. Herr Werth ist im Anmarsch. Den Blick fest an meinen Türrahmen geheftet, überlege ich, was ich sagen soll, wenn er in mein Büro kommt. »Guten Morgen, wo sind eigentlich mein Telefon und mein Rechner?« Das hört sich doch dämlich an. Er soll mir diesen merkwürdigen Empfang erklären – ohne dass ICH ihm dazu eine Frage stellen muss.

Die Schritte kommen näher. Ich richte mich auf. Brust raus, Bauch rein. Doch er kommt nicht in mein Büro. Er läuft schnellen Schrittes vorbei in Richtung Küche und murmelt nur »Gutnn Moggän«. Wie ungehobelt, denke ich. Vielleicht holt er sich nur schnell einen Kaffee und kommt dann bei mir vorbei, versuche ich mir einzureden. Pustekuchen. Mit dem Kaffee in der Hand läuft er wieder zurück über den Flur. Stoisch geradeaus blickend, wie ein farbloser Schatten an meiner Tür vorbeihuschend. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder heulen soll. Das ungute Gefühl versuche ich ab jetzt nicht mehr zu unterdrücken. Ich stopfe aus Frust das zweite Stück Wiedereinstiegskuchen in mich hinein.

Fünfzehn Minuten später höre ich noch einmal Schritte, diesmal im Duett. Beide Chefs platzen in mein Zimmer: »Kommen Sie mal bitte kurz mit in den Konferenzraum, wir müssen etwas besprechen.«

Die beiden sitzen mir am langen Besprechungstisch gegenüber und blicken mich mit ernster Miene an. Was habe ich verbrochen, frage ich mich? Ich bin doch nur eine Mutter, die sich ein Jahr um ihr Baby gekümmert hat und jetzt wieder arbeiten möchte. Herr Frey räuspert sich. »Wir kommen gleich zum Thema: Es tut uns außerordentlich leid, wir können Sie nicht mehr bei der LOGO Logistics GmbH weiterbeschäftigen.«

Flutsch. Ich habe das Gefühl, dass mir der Synthetikteppich unter den Stöckelschuhen weggezogen wird. Mein Gesicht erstarrt zur Maske, mein Puls steigt, mein Herz rast – mit jedem unglaubwürdigen Erklärungsversuch ein bisschen schneller –, bis ich in Trance nur noch Wortfetzen aufschnappe. »Umstrukturierung« … »Auslagerung der Rechtsabteilung« … »Kosten einsparen« … »keine andere Beschäftigungsmöglichkeit« … »sofortige Freistellung« … »Alles Gute für die Zukunft« … »Sie werden Ihren Weg schon gehen« … Blablabla. Ich versinke langsam in einem dunklen Schlund und schnappe nach Luft.

Dann nestelt Herr Werth unbeholfen an einer Klarsichthülle herum und übergibt mir ein Schreiben mit der Überschrift »Ordentliche Kündigung und sofortige Freistellung«, ohne dabei die Miene zu verziehen. Eiszeit-Stimmung macht sich im Besprechungsraum breit. »Bitte quittieren Sie mir den Empfang der Kündigung, Sie wissen schon, der guten Ordnung halber, muss ich Ihnen ja nicht erklären.« Herr Frey reicht mir wortlos einen Kugelschreiber. Ich überlege, ob ich mit »Ihr Arschgesichter« unterschreiben soll, entscheide mich dann doch dagegen. Nicht dass ich noch eine zweite und diesmal fristlose Kündigung riskiere. Ich unterzeichne – mit zittriger Krakelschrift – und lasse Höflichkeitsfloskeln über mich ergehen. Ich stelle keine Fragen, stehe auf und schüttle roboterhaft zwei Hände.

Zurück in meinem Büro rufe ich zuerst Max an. »Waaaaaas? Du veräppelst mich, oder? Das ist unzulässig, du bist doch erst heute aus der Elternzeit zurückgekehrt! Da ist man doch noch im Kündigungsschutz, dachte ich.«

Leider hat er nicht recht, obwohl der gesunde Menschenverstand sagt: Eine Kündigung am ersten Tag nach der Elternzeit, die jegliche Chance und Perspektive für einen gelungenen Wiedereinstieg zunichtemacht, kann doch nicht zulässig sein. Aber die Rechtslage ist eine andere. Meine innere Anwältin ist jetzt hellwach und beginnt zu erklären: »Weißt du, das ist wie bei einem Kaninchen, das sich in seinem Bau um seine Kaninchenbabys kümmert. Es ist geschützt, wenn es die Elternzeit in seiner Erdhöhle verbringt. Sobald es den Bau nach der Elternzeit verlässt, kann sich ein Raubvogel vom Himmel stürzen und das Kaninchen packen. Einfach so. Zack und weg.«

ELTERN-KÜNDIGUNGSSCHUTZ, KÜNDIGUNG NACH DER ELTERNZEIT

Eine Kündigung am ersten Tag nach der Elternzeit ist der absolute Wiedereinstiegs-GAU. Bestimmt fragst du dich jetzt, wie das möglich sein kann – auch nach der Jobpause sollte man doch eigentlich vor dem Verlust des Arbeitsplatzes geschützt werden, oder? Gibt es da nicht einen besonderen Kündigungsschutz, der solche Fälle vermeidet?

Tatsächlich unterliegen Mütter gleich zweimal dem besonderen Kündigungsschutz:

Es gibt den Mutterschutz-Kündigungsschutz während der Schwangerschaft bis 4 Monate nach Geburt (§ 17 MuSchG) und den Elternzeit-Kündigungsschutz während der Elternzeit (§ 18 BEEG) – dieser gilt natürlich auch für Väter. Wenn deine Elternzeit nahtlos an den Mutterschutz-Kündigungsschutz andockt, führt das dazu, dass eine Kündigung vom ersten Tag der Schwangerschaft bis zum letzten Tag der Elternzeit unzulässig ist. Gleichzeitig bedeutet das auch: Ab dem ersten Tag nach der Elternzeit erlöscht der besondere Kündigungsschutz, sodass dir dein Arbeitgeber ohne gesetzliches Kündigungsverbot kündigen kann.

Gut zu wissen: Nach der Elternzeit kann es sein, dass der schwächere allgemeine Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz auf dich Anwendung findet (§§ 1, 23 Abs. 1 S. 3 KSchG). Eine Kündigung ist dann unter folgenden Voraussetzungen unwirksam:

– Du bist länger als 6 Monate bei deinem Arbeitgeber beschäftigt.

– Dein Arbeitgeber beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer.

– Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt, d. h., es liegen weder personen-, verhaltens- noch betriebsbedingte Gründe für eine Kündigung vor.

Wichtig: Falls du rechtlich gegen eine Kündigung vorgehen möchtest, musst du aktiv werden und zwingend innerhalb von 3 Wochen nach Zugang des Kündigungsschreibens eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einreichen – sonst wird die Kündigung wirksam.

Mehr-Geld-Tipp: Das Einreichen einer Kündigungsschutzklage kann teuer werden, da du im erstinstanzlichen Arbeitsgerichtsprozess unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits deine Anwaltskosten selbst tragen musst. Um das zu vermeiden, kannst du eine Rechtsschutzversicherung abschließen – am besten gleich zu Beginn deiner Schwangerschaft.

(Weitere Infos zum Mutterschutz-Kündigungsschutz findest du hier, zum Elternzeit-Kündigungsschutz hier.)

Ich rufe Sylvie an. Sie ist nicht überrascht. Ganz im Gegenteil. Zu meiner großen Verwunderung höre ich, dass sie bestens informiert ist. »Es tut mir so leid. Ich wusste es bereits seit letzter Woche und durfte es nicht erzählen. Habe noch hin und her überlegt, ob ich es dir sagen soll, aber man hatte es mir im Vertrauen gesagt.« BAM. Es fühlt sich an, als ob gerade ein Eimer Eiswasser über meinem Kopf ausgeleert wurde. Sylvie ist nicht auf meiner Seite. Sylvie ist im Team Werth und Frey. Und sie hat mich getäuscht und belogen, indem sie mir vorgegaukelt hat, dass alles in Ordnung sei.

Ich zittere. Mir ist übel. Ich verspüre den Drang, sofort das Büro zu verlassen. Schnell packe ich meine Sachen, lasse es mir aber nicht nehmen, noch einen Zettel auf den Wiedereinstiegskuchen zu legen: »Danke für den angenehmen Wiedereinstieg. Lassen Sie es sich schmecken.« Kurz darauf sitze ich wieder heulend im Auto. An einer roten Ampel poste ich bei Facebook einen neuen Status: »Mama arbeitslos!«

Meine Mutter staunt, als ich um 11.30 Uhr wieder vor der Tür stehe. »Mamaaaa«, johlt Nick und streckt mir freudig seine Ärmchen entgegen – es sieht so aus, als ob er den ersten Tag in der Krippe gut überstanden hat. Wenigstens einer, der mich heute nett begrüßt, denke ich. Ich nehme ihn auf den Arm und erzähle kurz, warum ich schon wieder zu Hause bin. Meine Mutter schüttelt den Kopf. »Und ich dachte immer, dass Mütter heutzutage von unseren Gesetzen ausreichend geschützt werden, wenn sie wieder arbeiten wollen.«

»Das dachte ich bis heute auch«, antworte ich und merke, dass ich gleich wieder heulen muss. »Die Gesetze, die Eltern schützen sollen, sind einfach nicht weitreichend genug.« Meine Mutter blickt mich fragend an. »Ach, weißt du, Mama, eigentlich sollte der besondere Kündigungsschutz nicht nur während der Schwangerschaft und Elternzeit, sondern auch noch einige Wochen nach dem Ende der Elternzeit gelten, damit Eltern eine faire Chance erhalten, ohne Kündigung wieder in den Job einzusteigen.« – »Beruhige dich erst mal. Wer weiß, wofür das gut ist«, sagt sie und nimmt mich in den Arm.

Nach dem Wiedereinstiegs-Schock verkrieche ich mich eine lange Woche hinter einer Mauer aus Tränen, Pfefferminzschokolade und den »Gilmore Girls«. Ohne Nick wären daraus wahrscheinlich Monate geworden. Seine Bedürfnisse, sein Lachen, sein Weinen und seine vollen Windeln erinnern mich daran, dass es Wichtigeres gibt, als sich wegen eines verlorenen Jobs selbst zu bemitleiden.

Und irgendwann schimpft meine innere Anwältin: Du lässt dich doch nicht auf diese Weise abfertigen! Schließlich bist du vom Fach und willst dich gegen diese Ungerechtigkeit wehren.

Irgendeine Instanz muss den beiden Chefs doch mal sagen: »So geht’s aber nicht, Herr Werth und Herr Frey, Sie können eine Mutter nach der Elternzeit nicht einfach so abservieren. Wo kämen wir denn da hin in diesem Land?«

Eine Woche später reiche ich beim Arbeitsgericht Berlin Kündigungsschutzklage ein. Kurz vor dem Gerichtstermin telefoniere ich mit meiner Freundin Denise, die als Journalistin bei einer großen Berliner Tageszeitung arbeitet. »Das ist doch ungeheuerlich. Soll ich darüber schreiben? So etwas muss an die Öffentlichkeit. Das ist pures Mütter-Mobbing.« Ich lehne dankend ab. Mir ist nicht nach Öffentlichkeit zumute.

ELTERN-MOBBING

Im Berufsleben kommt es vor, dass Eltern systematisch benachteiligt werden. Wenn du das Gefühl hast, dass du von Vorgesetzten oder Kollegen häufig belästigt, angefeindet oder schikaniert wirst, weil du Mutter oder Vater bist, kann das ein Mobbing-Fall sein, der zu einem Anspruch auf Schmerzensgeld (z. B. wegen der Verletzung der Gesundheit) und zum Ausgleich von Vermögensschäden (z. B. Verdienstausfall) führen kann.

Gut zu wissen: Nicht jede Konflikt- oder Stresssituation ist gleich ein Mobbing-Fall. Dafür müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein:

– Du befindest dich in einer unterlegenen Position.

– Die Handlungen erfolgen gehäuft, systematisch und über einen längeren Zeitraum.

– Es gibt für die Handlungen keine Rechtfertigung.

Tipp: Wenn du das Gefühl hast, dass du gemobbt wirst, solltest du, falls vorhanden, den Betriebsrat informieren. Zudem ist es wichtig, alle Vorfälle und deren Umstände (zeitliche Lage, beteiligte Personen, Anlass und Ablauf) schriftlich in einem »Mobbing-Tagebuch« dokumentieren, da du im Prozess die Beweislast trägst.

Bitte nicht vergessen: Falls in deinem Arbeits- oder Tarifvertrag Ausschlussfristen stehen, musst du die Schadensersatzansprüche rechtzeitig geltend machen.

Wichtig: Neben Mobbing kann auch eine Geschlechterdiskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) infrage kommen, dazu mehr siehe Kasten.

Zum ersten Gerichtstermin, der sich »Gütetermin« nennt, erscheine ich mit Kinderwagen. Nick ist erkältet und hat krippenfrei. Herr Grau, der Anwalt meines Arbeitgebers, fängt mich auf dem Gerichtsflur ab. Scheinbar gibt es eine Info, die er unbedingt noch vor der Verhandlung auf dem Gerichtsflur loswerden möchte. Er knetet unruhig seine Finger und streicht sich verlegen mit einer Hand durch die pomadigen Haare. An seinem Ringfinger prangt ein alberner Siegelring. Männer mit Siegelring waren mir immer schon suspekt. »Ach, übrigens, ich wollte Sie noch informieren, dass Sylvie jetzt bei mir in der Kanzlei arbeitet und von dort die Rechtsabteilung der LOGO Logistics extern weiterführt.« Ich lasse mir nichts anmerken, aber mir gefriert das Blut in den Adern. BAM. Meine Elternzeitvertretung hat mir meinen Job weggeschnappt. Ich überlege. Ist schon klar, die Rechtsabteilung wird ausgelagert, weil ich angeblich zu teuer bin, und Sylvie macht meinen Job. Nur schön, dass man mich vor der Kündigung noch nicht einmal gefragt hat, ob ich vielleicht weniger Stunden oder für weniger Geld arbeiten möchte. Langsam durchschaue ich das rechtliche Konstrukt, mit dessen Hilfe ich entsorgt werden soll.

Die Güteverhandlung endet ergebnislos. Auf der Rückfahrt denke ich über Denise’ Angebot nach. Was wäre, wenn vor jedem Berliner Spätkauf die Schlagzeile »Arbeitgeber mobbt Mutter am ersten Tag nach der Elternzeit aus dem Unternehmen« im Zeitungsständer zu lesen wäre? »Nein, das geht nicht«, sagt meine innere Anwältin entschlossen. »Damit würdest du den Prozess negativ beeinflussen. Das ist doch nicht deine Art.« Trotzdem beschließe ich, meine Erlebnisse und andere Ungerechtigkeiten zu dokumentieren, denn ich weiß, dass ich nicht die einzige Mutter bin, die ein Wiedereinstiegs-Desaster erlebt hat. Wer weiß, vielleicht packe ich eines Tages doch aus.

Noch am gleichen Abend klappe ich meinen Rechner auf und beginne die Fakten und das noch zu erwartende Szenario zu notieren. Nach zehn Minuten habe ich das Elternzeit-Rauswurf-Komplott, das bei Herrn Grau vermutlich unter dem Ordner »Kündigungs-Masterpläne«, Unterordner »Mütter in Elternzeit«, abgespeichert ist, durchschaut und zu Papier gebracht:

Elternzeit-Rauswurf-Masterplan

Abwarten, bis die Mutter aus der Elternzeit zurückkehrt, bis dahin nichts anmerken lassen.Mutter am ersten Tag nach der Elternzeit kündigen, dann ist der Sonderkündigungsschutz beendet. Mutter sofort freistellen und vom Unternehmen isolieren.Die Abteilung, in der die Mutter gearbeitet hat (Rechtsabteilung der LOGO Logistics GmbH), pro forma extern ausgliedern (Kanzlei Grau) – damit klar ist, dass der Arbeitsplatz weggefallen ist.Outsourcing sichtbar umsetzen, damit es vor Gericht beweisbar ist (Akten in die Kanzlei bringen, Beratervertrag zwischen der LOGO Logistics GmbH und der Kanzlei Grau schließen etc.).Anfallende Arbeiten der Mutter extern und mit weniger Personalkosten erledigen (Sylvie bearbeitet die Akten in der Kanzlei Grau und wird dort als freie Mitarbeiterin eingestellt). Der Mutter eine Abfindung anbieten, falls sie Kündigungsschutzklage erhebt. Wenn sie Ja sagt, wird ein Vergleich geschlossen, damit ist der Rechtsstreit erledigt. Die Rechtsabteilung wieder eingliedern, wenn der Prozess beendet ist (Sylvie wird als freie Mitarbeiterin in der Rechtsabteilung eingestellt).Ergebnis: Die Arbeitsaufgaben werden mit weniger Personalkosten und durch eine freie Mitarbeiterin ohne Sozialversicherungsbeiträge, Arbeitnehmer-Schutzrechte (z. B. Schwangerschafts- und Elternzeit-Kündigungsschutz) erledigt.

So ein Schweinekram, aber geschickt eingefädelt, fluche ich. Und Sylvie, der ich die Elternzeit-Vertretung vermittelt habe, macht eifrig mit beim Elternzeit-Rauswurf-Masterplan. Danke!

Ein halbes Jahr später scheide ich offiziell aus dem Unternehmen aus. »Das Arbeitsverhältnis der Parteien endet aufgrund arbeitgeberseitiger betriebsbedingter Kündigung der Beklagten …« steht im Vergleich, den wir vor dem Arbeitsgericht Berlin schließen. Der Rechtsstreit endet mit einer Abfindung.

»Nun akzeptieren Sie doch den Vergleich, das ist doch ein gutes Angebot«, drängelte der Richter mehrfach. Eigentlich wollte ich stur bleiben und in der nächsten Instanz, ja sogar notfalls bis zum Bundesarbeitsgericht weiterkämpfen, bis die Ungerechtigkeit schwarz auf weiß in einem Urteil zu lesen wäre. Doch ich hatte Kraft und Lust verloren, den Prozess weiterzuführen, nachdem mir der Richter im Kammertermin zu verstehen gegeben hatte, dass er der Version der Gegenseite Glauben schenkt. »Unternehmerische Freiheit« nannte er den Elternzeit-Rauswurf-Masterplan, von dessen Existenz ich überzeugt war, die ich aber leider nicht beweisen konnte. Der Richter schloss die Verhandlung mit den Worten: »Die Luft wird immer dünner, je mehr Verantwortung man im Unternehmen trägt.« Den Satz »Und wenn man Mutter ist, sollte man entweder schnell wieder in den Job einsteigen oder damit rechnen, dass der Job nach der Elternzeit nicht mehr vorhanden ist« traute er sich nicht zu ergänzen.

Wenige Wochen später weiß ich definitiv: Der Elternzeit-Rauswurf-Masterplan ist zu 100 Prozent aufgegangen. Genau so, wie ich es befürchtet hatte: Sylvie wird einen Monat später wieder bei LOGO Logistics GmbH als freie Mitarbeiterin beschäftigt – für einen Bruchteil meines Gehaltes. Sie arbeitet in meinem Büro, sitzt auf meinem Stuhl und benutzt meine Schreibtisch-Accessoires. Bestimmt hat sich IT-Paule mit dem Zeigefinger an die Stirn getippt und die Augen verdreht, als er den Rechner und das Telefon wieder in meinem Büro anschließen musste.

Doch das Leben geht weiter – auch ohne Job. Irgendwann verbanne ich die Schriftsätze in der Sache Runge./.LOGO Logistics GmbH in den Keller, richte meine Krone und fange an, Bewerbungen zu schreiben.

Drei Monate nach dem offiziellen Ende meines Arbeitsvertrages habe ich einen neuen Job, ein Jahr später bin ich wieder schwanger. Und ich fasse den in der Zwischenzeit gereiften Entschluss, nicht nur ein Baby, sondern gleich zwei Babys zur Welt zu bringen: Nicks Geschwisterchen und ein Buch über Mütter- und Elternrechte. Denn ich habe der Welt und insbesondere allen potenziellen und werdenden Mamas da draußen so einiges mitzuteilen.

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Schwanger! Wie sage ich es meinem Arbeitgeber? Oder: Vom Sonnengruß zum Mutterschutz

Ich sitze im hintersten Winkel der Kanzlei Dr. Schnietzel & Partner, genau genommen im dunklen Aktenarchiv – umgeben von chromfarbenen Büroregalen, gefüllt mit vergilbten Ordnern. Der Hocker, auf dem ich zusammengekauert sitze, ist unbequem. Ich rutsche hin und her, um eine optimale Sitzposition zu finden. Mit dem spießigen Kanzlei-Dresscode, dem ich mich fast jeden Morgen zähneknirschend unterwerfe, ist das nicht so einfach. Endlich sitze ich ruhig, die Beine übereinandergeschlagen und betrachte für einen Moment das gegenüberliegende Regal, dessen Regalböden sich bereits durchbiegen. An den Aktenzeichen sehe ich, dass sich in den Ordnern Unterlagen befinden, die teilweise älter sind als ich. Plötzlich muss ich an meinen ganz persönlichen abgelegten Rechtsfall denken. Wahnsinn, über ein Jahr ist es schon her, dass ich Opfer des »Elternzeit-Rauswurf-Masterplanes« wurde.

Das letzte Jahr ist im Sauseschritt vergangen. Kein Wunder, wir haben Vollgas gegeben: Der Umzug in ein Häuschen am Stadtrand, der neue Job in einer Anwalts-Kanzlei und Nicks 20 Wochen altes Geschwisterchen im Bauch – mehr Veränderung gab es in so kurzer Zeit noch nie in meinem Leben.

Nachdem ich den Kündigungs-Schmerz verdaut hatte und in meinen neuen Job eingestiegen bin, sah es tatsächlich so aus, als ob ich supermuttimäßig alles schaukeln kann: Kind, Mann, Vollzeit-Job, Haus, Garten, Freunde, Sport, Wellness und ein permanentes Lächeln im Gesicht. Doch irgendwann kam die Ernüchterung und Erschöpfung. Nach den ersten Monaten im neuen Job musste ich feststellen: Ich saß nach der Arbeit kein einziges Mal barfuß mit Sonnenbrille und sandpanierter Bluse am Sandkastenrand, um dort mit Nick Sandkuchen zu backen. Und tiefenentspannt war ich auch nicht. Im Gegenteil. Ich war ein schlecht gelauntes Nervenbündel, das nicht vor 19 Uhr nach Hause kam und um 20 Uhr erschöpft mit seinem Kind einschlief. Umgeben von einem gelangweilten Ehemann, einem unordentlichen Haus und einem verwilderten Garten. Mit Freundschaften, die nur noch aus gelegentlichen Telefonaten bestanden. Ohne Fitness und Wellness und immer seltener mit einem Lächeln im Gesicht.

Schuld daran waren die langen und unflexiblen Arbeitszeiten, das Homeoffice-Verbot und eine Chefin, die mich noch nach 22 Uhr, am Wochenende und während des Urlaubs mit Mails, Anrufen und Meetings nervte. Das ging sogar so weit, dass ich phasenweise um 18 Uhr nach Hause fuhr, Nick ins Bett brachte und nach dem Gutenachtkuss wieder zum Arbeiten in die Kanzlei zurückkehrte. Manchmal nahm ich mir einfach ein Taxi: Darin konnte ich kurz schlafen und Abendbrot, bestehend aus Schoko- und Müsliriegeln, essen. Und selbst in der wenigen Zeit, die mir blieb, um mit Nick zu spielen, sorgte der Arbeitsdruck dafür, dass ich ständig eine mahnende Stimme hörte, die mich an meine beruflichen Pflichten erinnerte.

Wie wäre es wohl gewesen, wenn ich noch meinen alten Job in der Rechtsabteilung von LOGO Logistics GmbH gehabt hätte? Schade, dass ich nicht bereits zum Ende der Elternzeit wieder schwanger gewesen war. Dann hätte ich bei der Übergabe der Kündigung verkünden können: »Den Wisch können Sie gleich wieder einpacken, ich bin schwanger!« Ich hätte meinen Mutterpass ausgepackt und auf den Konferenztisch geknallt. »Bitte schön, der guten Ordnung halber. Mutterpass sticht Kündigung, das muss ich Ihnen ja nicht erklären.«

Plötzlich reißt mich ein Kribbeln in der Nase aus meinen Gedanken. Ich muss niesen. »Hahaha-Hatschi!« Hoffentlich hat mich keiner gehört. Auf den Akten und Regalböden steht eine dicke Staubschicht, ein Anzeichen dafür, dass der Raum eher selten betreten wird. Dieser Umstand beruhigt mich, denn genau das habe ich gesucht – ein Versteck, in dem mich niemand findet. Hier bin ich sicher: vor meiner Chefin, vor meinen Kollegen und vor kollektiven Kanzleizwängen, denen man manchmal ausgeliefert ist. Und ganz akut vor dem gemeinsamen Mittagessen, an dem ich aus gutem Grund nicht teilnehmen möchte. Auch wenn sich ein nagendes Hungergefühl langsam in meiner Magengegend breitmacht, bin ich froh, dass ich mich vor dem Aufbruch in die Maultaschen-Manufaktur rechtzeitig in dem Archivraum versteckt habe: Deftig-dampfende Maultaschen mit Kartoffelsalat und Zwiebelschmelze – wenn ich an mein einst so geliebtes Leibgericht denke, wird mir sofort speiübel. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn ich in unserer Kanzlei-Stammkneipe plötzlich mit grünem Gesicht und Hand vor dem Mund zur Toilette rennen müsste. Spätestens dann werden sich alle mein bestgehütetes Geheimnis gegenseitig ins Ohr tuscheln: »Die ist bestimmt schwanger!«

Ich beschließe etwas gegen das Hungergefühl zu tun und widme mich dem Glas Kirschen und der Dose Sprühsahne, die neben mir auf dem grauen Teppichboden stehen. Nicht umsonst habe ich mich still und heimlich mit Nahrungsmitteln unterm Arm in das enge und ungeheizte Aktenarchiv begeben – nur dort kann ich ungestört ein Mittagessen ganz nach meinem Geschmack zu mir nehmen: süßsauer eingekochte Schattenmorellen mit Sprühsahne. Ich klemme das Glas zwischen meine Knie, öffne es mit einem Plopp und beginne genüsslich, eine Kirsche nach der anderen mit dem Löffel aus dem Saft zu fischen, mit einem Tupfen Sahne zu verzieren und zu verspeisen.

Noch vor zwei Monaten hätte ich beim Einkaufen im Supermarkt weder die Regalreihe »Eingemachtes« aufgesucht noch Gläser mit diesem Inhalt in die Hand genommen und zur Kasse geschoben. Doch seit einigen Wochen stehen Sauerkirschen in jeglicher Form auf meinem Speiseplan, in unserem Kühlschrank und in mehreren Küchenschränken – ja sogar in meiner abschließbaren Büroschublade.