Glückwunsch zum Baby, Sie sind gefeuert! - Sandra Runge - E-Book

Glückwunsch zum Baby, Sie sind gefeuert! E-Book

Sandra Runge

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Beschreibung

Kündigungen nach der Elternzeit, weniger Gehalt beim Wiedereinstieg, abwertende Bemerkungen bei Fehlzeiten aufgrund eines kranken Kindes – solche Fälle häufen sich laut der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Und das, obwohl zwanzig Millionen Eltern in Deutschland durch ihre Sorgearbeit den Grundstein für die langfristige Weiterentwicklung unserer Gesellschaft legen. Die Wertschätzung, die Eltern zukommen sollte, spiegelt sich derzeit nicht in den gesetzlichen Vorgaben wider. Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird meistens so verstanden, dass Eltern möglichst viel arbeiten können. Die Frage sollte aber eigentlich lauten: Welche gesetzlichen Rahmenbedingungen brauchen berufstätige Menschen, um Kinder zu bekommen? Die Autorinnen Sandra Runge und Karline Wenzel haben es sich zur Aufgabe gemacht, dass Elternschaft als Diskriminierungsmerkmal in das Allgemeine Gleichstellungsgestetz aufgenommen wird. Mit ihrer Initiative #proparents haben sie große mediale Aufmerksamkeit erlangt und viele prominente Unterstützer*innen gewonnen. Ihr Buch skizziert anhand von Fallbeispielen die Vielzahl der Benachteiligungen und gibt Eltern Tipps, wie sie sich gegen Diskriminierung im Beruf wehren können. Darüber hinaus zeigen sie Wege auf, wie Betriebe elternfreundlicher werden können und formulieren konkrete Forderungen an die Politik.

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Seitenzahl: 323

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Für unsere Kinder

Inhalt

Vorwort

Der Elefant im Raum

Elterndiskriminierung – was ist das überhaupt?

Was Elterndiskriminierung für unsere Gesellschaft bedeutet

Elterndiskriminierung – der blinde Fleck in unseren Gesetzen

Was Eltern im Diskriminierungsfall wissen sollten und tun können

Gekündigt, degradiert, gemobbt – Fallgeschichten diskriminierter Eltern

Alle sind gefragt – unser Appell für eine elternfreundlichere Arbeitswelt

Schluss mit Elterndiskriminierung

Danke

Anhang

 

 

 

 

Einer der Hauptgründe für die Diskriminierung von Frauen in der Arbeitswelt ist ein überkommener, aber weit verbreiteter Irrglaube, der jeglicher Grundlage entbehrt, nämlich dass Frauen und Kinder zusammengehören und Männer und Arbeit.

 

Ruth Bader Ginsburg, ehemalige Richterin am US Supreme Court

Vorwort

In Deutschland ziehen knapp 13 Millionen Eltern mindestens ein Kind unter 15 Jahren groß. Rund 67 Prozent dieser Mütter und 92 Prozent dieser Väter haben daneben noch einen zweiten, bezahlten Job.1 Dieses Land könnte einpacken ohne all die Mütter und Väter, die sicherstellen, dass auch noch in dreißig Jahren jemand die Renten bezahlt, die Pflege der immer älter werdenden Bevölkerung übernimmt und Produkte von Unternehmen kauft. Worüber bisher noch niemand gesprochen hat: Nach neuesten Statistiken fühlen sich 41 Prozent der erwerbstätigen Eltern im Job diskriminiert.2 Diese Zahl ist gewaltig.

Elterndiskriminierung findet in Deutschland alltäglich statt. Vermutlich auch genau in dem Moment, in dem du dieses Buch in der Hand hältst.

Trotz dieser alarmierenden Ergebnisse, die zeigen, dass es sich um ein ernstzunehmendes strukturelles Problem handelt, wird Elterndiskriminierung von einem Großteil der verantwortlichen Akteur*innen aus Politik, Wirtschaft und Verbänden nur mit Scheuklappen wahrgenommen und zur Bedeutungslosigkeit heruntergespielt. Das schadet nicht nur Eltern und Kindern, sondern spiegelt auch den erschreckend niedrigen Stellenwert von Fürsorgearbeit und Geschlechtergerechtigkeit in unserer Gesellschaft wider.

Wir, die Autorinnen dieses Buches, haben es beide persönlich erlebt, dass der Fakt, dass wir Mütter sind, in unseren Jobs plötzlich zum Problem wurde. Die Coronapandemie, eine nie da gewesene Krise und Belastung für Familien – mit einem Nährboden für Elterndiskriminierung –, war der Auslöser dafür, dass wir die Initiative #proparents gegründet haben. Unser Ziel: das strukturelle Problem der Elterndiskriminierung so laut beim Namen zu nennen, bis es endlich seinen verdienten Platz auf der politischen Agenda und in unserer Rechtsordnung erhält.

Mit diesem Buch wollen wir daher auch ein Sprachrohr, nein ein Megafon für alle Mütter, Väter und Kinder sein. Es muss Schluss damit sein, dass Eltern, die diskriminiert werden, allein auf der Bürotoilette weinen und beim Arbeitsamt Schlange stehen.

Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird in Deutschland meistens so verstanden, dass Eltern möglichst viel Erwerbsarbeit leisten können – die Fürsorgearbeit für Kinder oder zu pflegende Angehörige wird als privates Problem abgetan. Die zentrale Frage müsste aber eigentlich doch sein: Was können wir alle, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft, verändern, um diese Aufgabe gemeinschaftlich zu schultern? Welche Rahmenbedingungen brauchen berufstätige Menschen, um Kinder zu bekommen? Durch unsere Arbeit und unsere Initiative #proparents wissen wir: Viele Menschen in Deutschland bekommen kein Kind oder kein weiteres mehr, weil sie das Gefühl haben, es sich nicht leisten zu können, noch einmal im Beruf auszusetzen, und Angst davor haben, benachteiligt zu werden. Und diese Sorge ist berechtigt!

Neben den gesellschaftlichen Auswirkungen von Elterndiskriminierung sowie einer statistischen und juristischen Bestandsaufnahme ist es uns vor allem wichtig, Lösungswege aufzuzeigen. Daher haben wir in diesem Buch neben Betroffenen auch Arbeitgeber*innen zu Wort kommen lassen. Wir wollen erreichen, dass es selbst bei scheinbar gegensätzlichen Interessen in den Chef*innenetagen von nun an heißen wird: »Glückwunsch zum Baby, lassen Sie uns gemeinsam über Ihre Beförderung sprechen.«

Sandra Runge und Karline Wenzel

DER ELEFANT IM RAUM

Lynn ist eine kluge, lebensfrohe und offene Frau, die davon ausgehen kann, dass ihr gelingt, was sie anpackt. Als sie uns zum ersten Mal davon berichtete, welchen Bruch ihre Schwangerschaft für ihre Karriere bedeutete, waren wir fassungslos:

Lynn leitete gerade eine Besprechung ihres Teams in einer Kommunikationsagentur in Berlin, als der Anruf der Frauenärztin kam: Ja, ihre Vermutung stimmte – Lynn war schwanger! Mit Zwillingen! Als sie ein paar Wochen später ihren Chef über die Schwangerschaft informierte, traf sie seine Reaktion jedoch wie ein Schlag: Eine berufstätige Mutter in einer Führungsposition – das sei für ihn ein No-Go. Man könne sich nur auf eine Sache konzentrieren, es ginge nur eines von beiden: Job oder Kinder.

Lynn fühlte sich wie in einem Albtraum. Die letzten zehn Jahre hatte sie all ihre Zeit, Kraft und Energie in ihren Job investiert, und nun sollte ihre Karriere vorbei sein, weil sie Kinder bekam? Das konnte und wollte sie nicht akzeptieren. Aber ihr Chef blieb bei seiner Ankündigung: Als Lynn nach 14 Monaten Elternzeit zurück in ihren Job kam, lag gleich am ersten Tag die Kündigung auf dem Tisch. Lynn entschied sich dafür, gegen diese Ungerechtigkeit anzugehen und Klage einzureichen. Da die Firma weniger als zehn Mitarbeiter beschäftigte, hatte Lynn keinen Kündigungsschutz, auch der offenbar diskriminierende Charakter der Kündigung half ihr nicht weiter. Das Urteil des Richters war eindeutig: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das vor Diskriminierungen schützen soll, sei in Lynns Fall nicht anwendbar, da keine Geschlechterdiskriminierung vorlag – schließlich stehe die Kündigung zeitlich nicht mit der Schwangerschaft im Zusammenhang, außerdem könnten ja sowohl Mütter als auch Väter Elternzeit anmelden. Die Klage wurde abgewiesen, die Kündigung galt als rechtmäßig, Lynn verlor ihren Job und musste sich arbeitslos melden.

Da läuft etwas schief im System: unser persönlicher Blick auf das Thema Elterndiskriminierung

Schon vor dem Start von #proparents und bevor wir Lynns Geschichte hörten, der noch viele weitere, immer gleiche Geschichten folgten, wussten wir: Eltern und Erwerbstätigkeit – da läuft etwas ganz gewaltig schief im System. Elterndiskriminierung ist der Elefant im Raum, den alle sehen, aber keiner redet darüber – mit gravierenden Folgen für viele Familien in Deutschland. Aus unseren persönlichen Erfahrungen als berufstätige Mütter – eine als langjährige Fachanwältin für Arbeitsrecht, eine als Kommunikationsberaterin – waren wir täglich nah dran an den Erfahrungen und den Erlebnissen vieler Eltern, denen es nicht möglich war, unter fairen Rahmenbedingungen Familie und Job zu vereinbaren. Immer wieder berichteten uns Mandant*innen, Auftraggeber*innen, Freund*innen und Follower*innen in sozialen Netzwerken von Kündigungen, Degradierungen und sozialer Herabwürdigung, nur weil sie eine Mutter oder ein Vater waren. Wir fragten uns: Ist das die viel gepriesene Vereinbarkeit von Job und Familie in deutschen Unternehmen? Im 21. Jahrhundert? Frauen, denen wie Lynn trotz hervorragender Ausbildung ohne Begründung am ersten Tag nach der Elternzeit gekündigt wird? Frauen, die aufgrund einer Schwangerschaft nicht befördert werden? Frauen, die nach jahrzehntelangem Kampf für Gleichberechtigung durch Benachteiligungen wieder in ein Familienmodell zurückkatapultiert werden, in dem der Mann der Alleinverdiener ist? Männer, die nach Abgabe der Elternzeitanmeldung zuerst gefragt werden, ob sie darauf überhaupt einen Anspruch hätten? Denen plötzlich alle Fortbildungen gestrichen werden? Die zu dem Schluss kommen, dass es sicherer ist, im nächsten Job lieber keine Elternzeit mehr anzumelden?

Bereits 2017, beim Erscheinen ihres ersten Buches, dem Elternrechtsratgeber Don’t worry, be Mami, forderte Sandra, die bereits unzählige Diskriminierungsfälle als Anwältin vertreten hatte, dass Elternschaft als Diskriminierungsmerkmal in das AGG aufgenommen werden solle. Trotz mehrerer Berichterstattungen wurde das Thema in der Politik nicht aufgegriffen.

Fünf Jahre später, genervt und müde von den Folgen der Coronakrise, zwischen Quarantäne, Lockdown, Homeoffice und Homeschooling-Wahnsinn lernten wir zwei uns im September 2020 mit dunklen Augenringen bei einem virtuellen Gespräch mit dem Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, organisiert von der Initiative #Elterninderkrise, kennen. Wir hatten beide das Bedürfnis, das strukturelle Problem Elternbenachteiligung beim Namen zu nennen, laut und politisch zu werden und unseren eigenen Beitrag zu leisten, um künftig in einer Gesellschaft zu leben, in der es möglich ist, Beruf und Familie ohne Benachteiligung und mit gleichen Chancen für Mütter, Väter zu vereinbaren. Das war die Geburtsstunde von #proparents.

Die zentrale Forderung: Elternschaft – oder allgemeiner gefasst Fürsorgeleistung – muss als neues Diskriminierungsmerkmal im AGG verankert werden!

Bereits vor dem Launch von #proparents führten wir Hintergrundgespräche mit potenziellen Unterstützer*innen und Journalist*innen und merkten schnell, dass wir mit unserer Forderung in ein Wespennest gestochen hatten und dass daraus etwas Großes werden würde. Im Januar 2021 war es so weit: Unsere Website ging online, mit Zitaten vieler großartiger Unterstützer*innen, darunter Marie Nasemann, Schauspielerin, Autorin und Nachhaltigkeitsaktivistin; der Bundestagsabgeordneten und ehemaligen Staatsministerin im Bundeskanzleramt Dorothee Bär; der Rechtsanwältin, Autorin und Moderatorin Laura Karasek; der Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes, Prof. Dr. Maria Wersig, der Sprecherin für Frauenpolitik und Diversity der FDP-Bundestagsfraktion Nicole Bauer und vieler weiterer einflussreicher und schlauer Menschen sowie großer Verbände. Es erschien ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung mit dem Titel »Elternzeit: Und raus bist du«3. Und seitdem haben wir alles darangesetzt, unsere Forderung über soziale Netzwerke hör- und sichtbar zu machen. Schon nach wenigen Tagen hatten wir über tausend Instagram-Follower, unsere Postings wurden tausendfach gelikt.

Und danach ging es erst richtig los: Der Verlag Gruner + Jahr fragte uns, ob wir gemeinsam mit den Zeitschriften Brigitte und Eltern eine Petition gegen die Diskriminierung von Eltern starten wollen. Gesagt – getan: Unter dem Hashtag #GleichesRechtfürEltern ging im März 2021 auf der Plattform openPetition die Petition »#proparents, BRIGITTE und ELTERN fordern: Elternschaft als Diskriminierungsmerkmal ins AGG!« online. Innerhalb weniger Wochen sammelten wir 51.364 Unterschriften für unsere Forderung.4 Damit wurde erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik in der breiten Öffentlichkeit ein Zeichen gegen die Benachteiligung von Eltern gesetzt. Die Petition kam auch einem Aufschrei gleich: Von den Unterzeichnenden gaben über die Hälfte an, selbst betroffen zu sein.

Ganz besonders berührt haben uns die unzähligen Kommentare zur Petition – knapp dreizehntausend Eltern, Großeltern und Arbeitgeber*innen berichteten uns kürzer oder länger, wie sie auf das Thema blicken und warum sie unsere Forderung nach einem besseren Schutz für Eltern im Arbeitsleben mittragen:5

»Ich bin es leid, als junge Mutter bei Bewerbungsgesprächen gefragt zu werden, ob mein Kind a) auch ja in Betreuung ist und b) (indirekt) ob ich ein zweites Kind möchte. Es ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass ich bei Bewerbungsprozessen als Mutter per se aussortiert werde.«

Petitionsunterzeichnerin

»Als es zu Gehaltsgesprächen kam, wurde mir eine Gehaltserhöhung verweigert, da ich zu viele Kind-Krank-Tage hätte. Zur Einordnung: Meine Tochter war circa sechs Tage im Jahr krank, und diese Tage habe ich mir auch noch mit meinem Mann geteilt.«

Petitionsunterzeichnerin

»Mir wurde von meinem Chef ›geraten‹, keine Elternzeit zu nehmen, dies zeige sonst nur, dass ich kein Teamplayer sei und keine Verantwortung übernehmen könne.«

Petitionsunterzeichner

»Ich musste nach der Rückkehr aus der Elternzeit eine Gehaltsstufe tiefer gehen. Die Personalerin und mein Chef sagten, dass es ›einfache‹ Arbeit für mich gäbe, da ich sicher mit Kleinkind oft ausfallen werde. Wichtige Entscheidungen fänden nun mal nach fünfzehn Uhr dreißig statt.«

Petitionsunterzeichnerin

»Vor Kurzem wurde meine bisher alleinige Stabsstelle in einem Klinikum in eine eigene Abteilung umgewandelt. Nachdem ich die Abteilung geplant und den Inhalt konzeptioniert hatte, wurde mir ein Mann vor die Nase gesetzt. Mein Chef meinte, er habe mich nicht mal ›in Betracht gezogen‹. Ich hätte doch zwei kleine Kinder, auf die ich mich konzentrieren müsse.«

Petitionsunterzeichnerin

»Ich habe es nach der Geburt meiner zweiten Tochter selber erlebt, am ersten Tag nach der Elternzeit in den Betrieb zurückzukehren und direkt eine betriebsbedingte Kündigung auf dem Tisch zu haben.«

Petitionsunterzeichnerin

»Ich (Juristin) habe in der Pandemie meinen Job aufgegeben, weil ich durch das zusätzliche Homeschooling mit vier Kindern, einem pflegebedürftigen Vater und voller beruflicher Belastung einfach nicht mehr konnte. Es kamen Bemerkungen wie: ›Ja können denn die Kinder nicht mal einen Tag allein bleiben?‹ (von morgens um sieben bis abends um zweiundzwanzig Uhr …) und ›Ist Ihr Vater immer noch nicht im Heim?‹«

Petitionsunterzeichnerin

#proparents und die Petition schlugen ein wie ein Blitz. Wir wurden überrannt von Erfahrungsberichten von inzwischen tausenden Eltern. Der Elefant im Raum namens Elterndiskriminierung wurde mit jeder Geschichte, die an uns herangetragen wurde, größer und größer, setzte sich in Bewegung und fing an, die Schlagzeilen, Bühnen und auch ein Stück weit die zuständigen Bundesministerien und den Bundestag zu erobern. Im Juni 2021 überreichten wir die Petition und mehrere Hundert Diskriminierungsfälle benachteiligter Eltern gemeinsam mit den Magazinen Brigitte und Eltern der damaligen Justiz- und Familienministerin Christine Lambrecht. Diese beteuerte, dass ihr das Problem bekannt sei und sie angesichts der nicht mehr lang andauernden Legislaturperiode die Fälle an ihre Nachfolgerin oder ihren Nachfolger übergeben werde.

Nach einer kurzen Verschnaufpause glühten im Sommer 2021 unsere Laptops erneut heiß. Wir stürzten uns in den Endspurt des Wahlkampfes und platzierten unser Anliegen bei fast allen politischen Parteien im Bundestag. Wir führten viele virtuelle Hintergrundgespräche und erreichten, dass führende Politiker*innen unsere Petition offiziell durch Presseerklärungen und Statements unterstützten.6

Daraus eine kleine Auswahl:

»Als Mutter und Bildungspolitikerin ist mir wichtig, dass wir Kinder und Familien stärker in den Blick nehmen – damit kein Kind zurückbleibt und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtert wird. Außerdem möchte ich (…) erreichen, dass der Umstand der Elternschaft als Diskriminierungsmerkmal in das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aufgenommen wird. Damit Eltern nicht mehr erleben, einen Job nicht zu bekommen, weil in ihrem Lebenslauf kleine Kinder stehen.«

Dr. Wiebke Esdar, Bundestagsabgeordnete der SPD

»Wir wenden uns gegen jede Form der Diskriminierung, dazu zählt selbstverständlich auch eine Diskriminierung von Eltern am Arbeitsplatz. Vor diesem Hintergrund wollen wir gern prüfen, ob die Elternschaft als Diskriminierungsmerkmal in das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aufgenommen werden sollte.«

Silvia Breher, Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende der CDU

»Bündnis 90/Die Grünen befürworten notwendige Maßnahmen inklusive gesetzlicher Änderungen, damit Eltern nicht aufgrund der Tatsache, dass sie Kinder haben, in der Arbeitswelt benachteiligt werden (…).«

Annalena Baerbock, Bundestagsabgeordnete und Bundesaußenministerin, Bündnis 90/Die Grünen

»Menschen, die beruflich und privat Verantwortung übernehmen, dürfen nicht schlechter gestellt werden, sondern müssen die gleichen Verwirklichungs- und Aufstiegschancen haben. Ob und inwiefern eine Aufnahme von Elternschaft als Diskriminierungsmerkmal ins Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) der beste Hebel und zielführendste Weg ist, bleibt zu prüfen. Eine gute und faire Lösung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer liegt uns am Herzen.«

Nicole Bauer, Bundestagsabgeordnete und Sprecherin für Frauenpolitik und Diversity der FDP-Bundestagsfraktion

In der Woche vor der Wahl standen uns Politiker*innen von Bündnis 90/Die Grünen, der SPD, der LINKEN, der CDU und der FDP in unserem Interviewformat »5 Fragen – 5 Abgeordnete« auf Instagram Rede und Antwort.7 Knapp drei Monate nach der Bundestagswahl unterzeichneten die Ampelparteien den Koalitionsvertrag, in dem die Regierungsbeteiligten vereinbarten, das AGG zu reformieren: »Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) werden wir evaluieren, Schutzlücken schließen, den Rechtsschutz verbessern und den Anwendungsbereich ausweiten.«8

Was für ein großartiger Erfolg für uns und alle, die mitgemacht haben! Die vereinte Kraft und Lautstärke der vielen Eltern, die sich hinter #proparents versammelt hatten, trug zu dieser Formulierung bei – dies wurde uns von führenden Politiker*innen in Hintergrundgesprächen immer wieder berichtet.

Außerdem einigten sich die drei Parteien im Koalitionsvertrag auf die Einführung eines dreimonatigen Sonderkündigungsschutzes nach der Elternzeit – eine weitere Verbesserung für erwerbstätige Mütter und Väter.9 Diese Entwicklungen zeigen, dass die Forderung, endlich etwas gegen die strukturelle Diskriminierung von Eltern zu tun, angekommen ist, worüber wir uns riesig freuen. Jetzt müssen den Versprechen Taten folgen und aus dem Koalitionsvertrag Gesetze werden. Das wird nur passieren, wenn mutige Politiker*innen, nicht nur im Wahlkampf, sondern auch darüber hinaus das unbequeme Thema Elterndiskriminierung auf die Tagesordnung setzen. Insbesondere im Familienministerium sehen wir hier noch einen großen Handlungsbedarf.

Mit diesem Meilenstein hätten wir unser Engagement erst einmal herunterfahren können. Doch das Interesse der Medien an der Situation von Eltern im Arbeitsleben ließ nicht nach, so erschienen auch nach der Bundestagswahl zahlreiche Artikel zu #proparents in vielen regionalen und überregionalen Tageszeitungen, Zeitschriften, Online-Medien und Fernsehsendungen – es verging keine Woche ohne Presseanfrage.10 Parallel ging unsere politische Arbeit weiter, wir sprachen mit Vertreter*innen der neuen Regierung und zeigten auf, warum wir es für so wichtig halten, das Diskriminierungsmerkmal Elternschaft im AGG zu ergänzen.

Wir werden oft gefragt, wieso wir uns zusätzlich zu unserem Job, zum Familienleben, zur Kinderbetreuung und zu all den anderen Punkten, die täglich die To-do-Listen von Eltern füllen, für dieses Thema so intensiv und mit hohem Zeitaufwand ehrenamtlich engagieren. Ganz einfach: weil wir etwas verändern wollen und können. Wir alle gemeinsam können neue Rahmenbedingungen schaffen – und zwar jetzt! Indem wir uns als Mütter und Väter gegen Diskriminierungen wehren! Einige Reformen werden wir schon in dieser oder in der nächsten Legislaturperiode anstoßen können, der tiefgreifende Wandel wird allerdings Jahrzehnte dauern und dann hoffentlich unseren Töchtern und Söhnen zugutekommen.

Die Vorstellung, dass die Arbeitswelt, in die unsere Kinder starten, eine andere, eine gerechtere und gleichberechtigtere sein wird als die heutige, und die vielen Fälle benachteiligter Eltern, die uns anvertraut werden, der Mut, den wir vielen Eltern durch unsere Arbeit und #proparents machen, verleihen uns jeden Tag aufs Neue Kraft. Die Kraft, unsere Stimmen zu erheben, ein Netzwerk für Betroffene und Unterstützer*innen zu schaffen und dieses Buch zu schreiben. Das große Ziel, das wir dabei vor Augen haben: Wir wollen durch Öffentlichkeitsarbeit und konstruktiven Druck auf die Politik und den Gesetzgeber erreichen, dass die strukturelle Benachteiligung von Eltern sichtbar und sanktioniert wird. Gemeinsam mit allen Akteur*innen wollen wir Veränderungsprozesse anstoßen. Mütter, Väter, Fürsorgeleistende, Kinderlose und Eltern, Arbeitgeber, Arbeitgeberinnen, Interessenverbände und Politik – alle müssen mitmachen und verstehen, dass der Kuchen nicht kleiner, dass niemandem etwas weggenommen wird – ganz im Gegenteil: Am Ende gewinnen wir alle!

Zahlen und Statistiken zur Benachteiligung erwerbstätiger Eltern in Deutschland – ein Skandal für sich

»Haben Sie Zahlen dazu?« Die Antwort auf diese Frage war eine der größten Herausforderungen im Rahmen unserer Arbeit für #proparents. Leider mussten wir dann immer im Rechtfertigungsmodus antworten: »Äh na ja, in der Rechtsberatung gibt es täglich neue Fälle, wir hören von sehr vielen Müttern und Vätern, dass das ein Problem ist, natürlich sind das nur unsere subjektiven Erfahrungen – richtig aussagekräftige Zahlen existieren noch nicht, sollen aber bald kommen.«

Auch wenn bereits einige Studien Anhaltspunkte dafür gaben, dass Elterndiskriminierung am Arbeitsplatz keine Seltenheit ist, und auch wenn regelmäßig Beratungsanfragen und Beschwerden von Müttern und Vätern an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes gerichtet wurden:11 Das Zahlenwerk zur Benachteiligung erwerbstätiger Mütter und Väter in Deutschland war bislang dünn gesät.

Erst im Mai 2022 erschien die erste umfassende empirische Studie zur Benachteiligung von Eltern in Deutschland, beauftragt von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Der Zeitpunkt und die hinter der Studie stehende Behörde sagen bereits vieles aus: Zum einen ist es bedauerlich, dass jahrzehntelag keine differenzierten Zahlen erhoben wurden – eine Grundvoraussetzung, um das Problem genauer einzuordnen, zu beleuchten und zu versachlichen. Zum anderen ist es enttäuschend, fast schon beschämend, dass Studien und Statistiken, die Elterndiskriminierung eindeutig belegen, von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes – und nicht etwa durch das Familienministerium – beauftragt wurden. Auch bei der Präsentation der Ergebnisse der Studie im Mai 2022 blieb Familienministerin Lisa Paus trotz Einladung der Antidiskriminierungsstelle der Veranstaltung fern. Interessanterweise wurde die Studie, zumindest bis Ende Juni 2022, weder auf der Webseite des Familienministeriums noch auf der Webseite »Erfolgsfaktor Familie« veröffentlicht. Es gab nicht einmal eine Pressemitteilung des Familienministeriums dazu. Die Tatsache, dass Eltern in Deutschland jahrzehntelang auf eine derartige Studie warten mussten und das Familienministerium diese erschreckenden Zahlen nach außen ausblendet, ist ein Beweis dafür, dass Elterndiskriminierung trotz der Vereinbarungen im Koalitionsvertrag, das AGG zu reformieren, auf politischer Ebene oftmals immer noch als unbequemes Thema, das familienpolitische Versäumnisse offenbart, verdrängt wird und bislang auch nicht als strukturelles Problem im gesellschaftlichen und politischen Bewusstsein angekommen ist.

Studien bis 2022

Bis 2022 existierten nur einzelne Erhebungen, die allerdings bereits schon deutliche Hinweise auf die weite Verbreitung von Eltern-, vor allem von Mütterdiskriminierung gaben.

Die erste – und bislang einzige – Frankfurter Karrierestudie »Karriereperspektiven berufstätiger Mütter« aus dem Jahr 2015, verfasst von Prof. Dr. Yvonne Ziegler, Prof. Dr. Regine Graml und Caprice Weissenrieder von der Frankfurt University of Applied Sciences, blickt auf die Situation erwerbstätiger Frauen mit Kindern. Die Studie gibt einen Einblick in die persönlichen Erfahrungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie von rund 1.800 berufstätigen Müttern in Deutschland. Die Ergebnisse sind alarmierend: Nur 68 Prozent der Befragten sind nach Mutterschutz und Elternzeit zu ihrem alten Unternehmen zurückgekehrt.12

Diese Zahlen zeigten bereits im Jahr 2015 die erheblichen Brüche im Arbeitsleben von Müttern. Die Studie belegte zudem, dass eine Schwangerschaft unmittelbare Auswirkungen auf Karriere, Gehalt und Arbeitsplatz hat: Über siebzig Prozent der befragten Frauen berichteten, dass anstehende berufliche Verbesserungen während ihrer letzten Schwangerschaft auf Eis gelegt oder komplett gestrichen worden seien. Knapp die Hälfte der betroffenen Frauen musste die Streichung oder Reduzierung einer anstehenden Gehaltserhöhung hinnehmen.13

»Gesellschaftspolitisch ist dies ein fatales Signal. Beruflich engagierten Frauen wird vor Augen geführt, welche negativen Folgen eine Schwangerschaft für die eigene Karriere haben kann«, fasst Prof. Dr. Yvonne Ziegler die Ergebnisse zusammen.14

Leider stellt die Studie jedoch Benachteiligungen nicht in den Vordergrund, da diese nicht detailliert genug abgefragt wurden, zudem kommen Väter darin nicht vor. Und trotzdem: Die Frankfurter Karriere-Studie zeigt eindeutig, dass die Diskriminierung von Müttern weitverbreitet ist, ja sogar beinahe selbstverständlich zum Alltag von Müttern gehört und meist einfach hingenommen wird.

Zwei Jahre später führte die Soziologin Christina Mundlos qualitative Interviews mit (werdenden) Müttern durch und untersuchte dabei, welche diskriminierenden Erfahrungen sie gemacht haben. In einem Report und Ratgeber analysierte sie anhand der Erfahrungsberichte von 25 Müttern unterschiedlicher Berufe und Hintergründe, wie Arbeitgeber*innen versucht haben, sie aus dem Beruf zu drängen oder ihnen den Einstieg in den Beruf zu verwehren.15

Die Soziologieprofessorin Lena Hipp untersuchte 2018, wie sich die Dauer der Elternzeit von Müttern und Vätern auf deren Chancen im Bewerbungsprozess auswirkt. Und siehe da: Mütter, die lediglich zwei Monate Elternzeit beanspruchten, hatten eine um fünfzig Prozent geringere Chance, zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden, als Mütter, die zwölf Monate Elternzeit nahmen. Solch ein Effekt ließ sich bei männlichen Bewerbern nicht feststellen. Die Dauer der Elternzeit von Vätern hatte keinerlei Auswirkungen darauf wie oft sie zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen wurden.16 Wir staunten: Frauen, die nur kurz Elternzeit genommen haben, müssten doch bessere Chancen haben – oder nicht? Schließlich wird Frauen, die lange Elternzeit nehmen, ja gern vorgeworfen, dass sie sich selbst damit aus der Karriereplanung rausbefördern.

Auch Lena Hipp wunderte sich über die Ergebnisse und wollte ihnen auf den Grund gehen. Dazu befragte sie in einem Laborexperiment Student*innen. Diese sollten Lebensläufe erfundener Bewerber*innen lesen und ihnen anschließend Charaktereigenschaften zuordnen. Das erstaunliche Ergebnis: Mütter, die länger Elternzeit genommen hatten, wurden im Schnitt als intelligenter eingestuft als die besseren Führungskräfte, als warmherziger, gutmütiger, weniger intrigant und weniger einschüchternd. Frauen, die fiktiv nur zwei Monate auf dem Papier hatten, wurden als egoistischer und feindseliger eingestuft. Diese Studie zeigt eindrücklich, wie stark der Blick auf Mütter im Erwerbsleben von Vorurteilen und Stereotypen geprägt ist und wie schnell daraus Diskriminierungspotenzial erwachsen kann.

Die Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes

Im Mai 2022 erschien zum ersten Mal in der Geschichte in Deutschland eine umfassende, von einer Bundesbehörde beauftragte wissenschaftliche Erhebung zur Benachteiligung von Eltern im Arbeitsleben. Dabei handelte es sich um eine empirische Studie der Antidiskriminierungsstelle (kurz ADS) zu »Diskriminierungserfahrungen von fürsorgenden Erwerbstätigen im Kontext von Schwangerschaft, Elternzeit und Pflege von Angehörigen«.17. Parallel dazu veröffentlichte die ADS ein Rechtsgutachten mit dem Titel »Diskriminierungsschutz von Fürsorgeleistenden – Caregiver Discrimination«18 von Prof. Dr. Gregor Thüsing, Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit der Universität Bonn, und Lena Bleckmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin.

Im Rahmen der empirischen Studie wurden erwerbstätige Eltern mit jungen Kindern und Erwerbstätige, die Angehörige pflegten, zu ihren subjektiven Diskriminierungserfahrungen befragt sowie Expert*innen, die aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit über spezifische Erfahrungen und Kenntnisse verfügten. Die Ergebnisse sind alarmierend und zeigen, wie weitverbreitet Elterndiskriminierung tatsächlich ist:

1.Insgesamt 64 Prozent der befragten Eltern berichteten von mindestens einer negativen Erfahrung im Arbeitsleben. Davon waren Mütter (74 Prozent) häufiger betroffen als Väter (52 Prozent).

2.Geparkt auf dem Abstellgleis oder plötzlich vergessene Zusagen für eine Weiterbildung – die Bandbreite ist groß: Im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft berichteten insgesamt 56 Prozent der Eltern von mindestens einer negativen Erfahrung. In dieser Phase waren deutlich mehr Mütter (72 Prozent) als Väter (44 Prozent) betroffen.

3.»Ein Vater, der Elternzeit nimmt? Das hatten wir noch nie!« 52 Prozent der befragten Eltern berichteten von mindestens einer der abgefragten negativen Erfahrungen bei der Anmeldung oder Inanspruchnahme von Elternzeit.

4.Die Elternzeitvertretung ist übernommen worden und erledigt jetzt meine Aufgaben? Mein Chef ist während meiner Elternzeit gegangen und unsere Absprachen gelten nun nicht mehr? Nach Rückkehr aus der Elternzeit machten 62 Prozent der befragten Eltern mindestens eine negative Erfahrung am Arbeitsplatz. Mütter zu 69 Prozent und Väter zu 48 Prozent.

5.Kind da, Job weg: 15 Prozent der Mütter und dagegen nur 6 Prozent der Väter gaben an, dass ihnen im Zusammenhang mit der Schwangerschaft oder der Elternzeit gekündigt oder der Arbeitsplatz gestrichen wurde. Besonders stark ausgesprägt ist der Arbeitsplatzverlust im Zusammenhang mit befristeten Arbeitsverträgen: 48 Prozent der Mütter berichteten, dass ihr Vertrag nicht verlängert oder entfristet wurde, bei den Vätern waren es nur 15 Prozent.

6.Einige Gruppen waren besonders von Diskriminierungen bedroht: Eltern der niedrigsten Einkommenskategorie, alleinerziehende Mütter, Eltern mit befristeten Arbeitsverträgen, Mütter in Teilzeit und Eltern, die drei oder mehr Kinder betreuten. Interessant auch: Während und nach der Rückkehr aus der Elternzeit waren Mütter in Führungspositionen häufiger betroffen als Mütter in niedrigeren Positionen.

7.Branche und Größe des Unternehmens spielten keine ausschlaggebende Rolle für das Risiko, am Arbeitsplatz diskriminiert zu werden. Das heißt: Sowohl in großen Dax-Konzernen als auch in der Verwaltung und in kleinen Familienbetrieben wurden Eltern strukturell benachteiligt.

8.Besonders erschreckend ist: Ein Viertel der befragten Eltern hatten nichts gegen die erfahrene Diskriminierung oder die negativen Situationen unternommen. Häufigster Grund: Eltern empfanden es als zu belastend, sich damit auseinanderzusetzen.

9.Von den Eltern mit Diskriminierungserfahrungen berichteten mehr als die Hälfte von negativen Auswirkungen auf ihre finanzielle Situation, die Work-Life-Balance beziehungsweise die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder auf ihre Karriere- und Aufstiegsmöglichkeiten. Jeder dritte Elternteil gab an, dass von dieser Erfahrung auch die Gesundheit angegriffen und die Zufriedenheit mit der Arbeit deutlich gesunken sei.

10.Es muss dringend etwas getan werden: Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes sieht aufgrund der Ergebnisse der Studie und des Rechtsgutachtens Handlungsbedarf, um erwerbstätige Eltern, aber auch pflegende Angehörige zukünftig besser vor Diskriminierung zu schützen, unter anderem durch die Erweiterung des AGG um den Diskriminierungsgrund »familiäre Fürsorgeverantwortung«.

Die erschreckenden Zahlen der Antidiskriminierungsstelle belegen unseren subjektiven Eindruck und bringen Licht ins Dunkel der Elterndiskriminierung. Allerdings gibt es auch wichtige Fragen, die nicht oder nicht ausführlich genug Bestandteile der Studie waren und dringend weiter analysiert werden müssen – etwa inwiefern Eltern, insbesondere Frauen, bei Bewerbungen benachteiligt werden. Auch eine intensivere Befragung und Analyse zu Gründen, warum ein Arbeitsverhältnis nach der Elternzeit beendet wurde, und zu den Ablehnungsgründen der Elternteilzeit erfolgten leider nicht. Ebenso offen bleibt die Frage, ob mehr Eltern in Ost- oder in Westdeutschland diskriminiert werden. Nach unserem Eindruck ist Elterndiskriminierung deutlich stärker ein westdeutsches Phänomen, Indiz dafür ist die Beteiligung an unserer Petition: Nur wenige der Unterschriften kamen aus den ostdeutschen Bundesländern.19 Zudem stammt ein Großteil der an uns herangetragenen Fälle aus Westdeutschland. Zu diesem Ergebnis kam im Übrigen auch die Soziologin Christina Mundlos in ihren Erhebungen. Sie führt dies darauf zurück, dass die Einstellung zur Berufstätigkeit von Müttern deutlich aufgeschlossener ist und die öffentlichen Betreuungssysteme weiter ausgebaut sind. »Dass Frauen beides leben – Beruf und Familie –, ist in Ostdeutschland Alltag. Daraus kann man schließen, dass vermutlich Vorgesetzte nicht derart schockiert, überfordert, verunsichert und ängstlich reagieren, wenn eine Mitarbeiterin Kinder bekommt und dennoch weiterhin ihre Stelle behalten möchte oder sich eine Frau mit kleinen Kindern bei ihnen bewirbt.«20

Die Studie der ADS hat bei den teilnehmenden Eltern zudem abgefragt, ob diese Diskriminierungen auch in Bezug auf andere Gründe erlebt haben. Eltern, die mindestens einmal im Arbeitsleben aufgrund ihrer Elternschaft oder Kinderbetreuung diskriminiert worden zu sein, gaben auch an, aufgrund ihres Alters (53 Prozent), aufgrund des sozialen Status (43 Prozent) und aufgrund des Geschlechts (41 Prozent) diskriminiert worden zu sein. Väter gaben dabei häufiger die Merkmale Religion, Weltanschauung, Herkunft, rassistische Gründe, sexuelle Orientierung, sozialer Status an, Mütter als häufigsten Grund die Schwangerschaft (69 Prozent).21 An dieser Stelle sollten noch intensiver geforscht werden, insbesondere, welche konkreten besonderen Auswirkungen es hat, wenn Mütter und Väter weitere Diskriminierungsmerkmale erfüllen.

ELTERNDISKRIMINIERUNG – WAS IST DAS ÜBERHAUPT?

David kommt nach einer sechsmonatigen Elternzeit zurück und will nun wieder hoch motiviert in seinem alten Job loslegen. Also bewirbt er sich für ein Führungskräfteprogramm. »Schade«, sagt sein Chef, für dieses Programm komme er nicht infrage – schließlich habe er ja Elternzeit genommen. Ehrgeizige männliche Nachwuchskräfte stelle er sich anders vor. Klingt unfair? Ist es auch! Aber ist es auch diskriminierend?

»Stellt euch mal nicht so an, wer ein Kind hat, kann nicht alles haben!«; »Das sind halt mal ein paar unglückliche Kommentare, die man aushalten muss!«; »Wer soll denn noch alles vor Diskriminierung geschützt werden? Das kann man doch gar nicht mehr eingrenzen! Das wird doch missbraucht, um Schadensersatz einzuklagen!« Von Kritikern unserer Forderung hören wir diese Sätze immer wieder.22

Die Gretchenfrage lautet daher: Wie erkenne ich überhaupt Elterndiskriminierung? Reicht das Gefühl? Gibt es dafür Kriterien? Und wer sind eigentlich Eltern? Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) – unser Antidiskriminierungsgesetz – definiert das Wort »Elterndiskriminierung« zwar nicht, gibt uns anhand der bestehenden gesetzlichen Regelungen aber eine Orientierung.

Wagen wir nun also einen Versuch, die negativen Erlebnisse, die Mütter und Väter seit Jahrzehnten tagtäglich in deutschen Unternehmen erleben, einzugrenzen und zu umschreiben, damit du sie einordnen und leichter erkennen kannst.

Nachteil oder Gefühl? Was ist eine Diskriminierung?

Vom Gefühl her würden wir alle sagen, dass David diskriminiert wurde, aber hält das auch der offiziellen Diskriminierungsdefinition der Antidiskriminierungsstelle stand? Diese lautet:

»Eine Diskriminierung im rechtlichen Sinne ist eine Ungleichbehandlung einer Person aufgrund einer (oder mehrerer) rechtlich geschützter Diskriminierungskategorien ohne einen sachlichen Grund, der die Ungleichbehandlung rechtfertigt. Die Benachteiligung kann ausgedrückt sein z. B. durch das Verhalten einer Person, durch eine Vorschrift oder durch eine Maßnahme.«23

Klingt ganz schön kompliziert – ist es aber nicht. Wenn wir nun davon ausgehen, dass es bereits eine Diskriminierungskategorie für Eltern gäbe, müssten drei Voraussetzungen vorliegen, um das Vorliegen einer Diskriminierung zu bejahen: Elterneigenschaft, Benachteiligung und ein fehlender Rechtfertigungsgrund. Das erklären wir jetzt Schritt für Schritt anhand Davids Fall und erarbeiten so für euch eine Formel, mit der ihr Elterndiskriminierung schnell erkennen könnt.

Die Elterneigenschaft: Mutter, Vater, Kind, Fürsorge – Personen, die vor Elterndiskriminierung geschützt werden müssen

Wir unterstellen in unserem Beispielfall natürlich, dass David in rechtlichem Sinne Vater ist. Aber wie bestimmt sich Elternschaft? Wer ist nach unseren gesetzlichen Regelungen Mutter und Vater? Gemäß § 1591 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist Mutter eines Kindes die Frau, die es geboren hat. Vater eines Kindes ist gemäß § 1592 BGB der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet ist, der die Vaterschaft anerkannt hat oder dessen Vaterschaft gerichtlich festgestellt wurde. Das ist in vielen Fällen klar, doch nicht jede Familienkonstellation entspricht dieser Norm, daher ist es wichtig, Elternschaft möglichst weit zu verstehen. Prägend für die Elternschaft und gleichzeitig auch die Ursache für Elterndiskriminierung ist das Element der Fürsorge für die schutzbedürftigen Kinder. Daher muss der »Schutzkreis« für Diskriminierungen weiter als die biologische Elternschaft und die bisherige Definition von Mutterschaft und Vaterschaft gezogen werden. Das heißt: Geschützt werden müssen unter anderem auch fürsorgeleistende Stief- und Pflegeeltern sowie Personen, die Kinder in Co-Elternschaft oder in Regenbogenfamilien großziehen.

Eine ganz wichtige Frage dabei, über die wir immer wieder intensiv diskutieren: Sollen oder müssen nur die Personen geschützt werden, die auch wirklich Fürsorgeleistung übernehmen? Also aktiv etwas tun? Was ist, wenn sich David, der Vater aus unserem Fall, in seiner sechsmonatigen Elternzeit auf die faule Haut gelegt hat und allein in den Urlaub gefahren ist, während sich seine Partnerin zu Hause um das Kind gekümmert hat? Wenn er auch nach der Elternzeit keine Lust hat, Verantwortung für die Fürsorgeaufgaben in seiner Familie zu tragen?

Auch diese Thematik spricht sehr stark dafür, bei der Definition eines zusätzlichen Elterndiskriminierungsmerkmals die Fürsorge in den Vordergrund zu stellen und einen Diskriminierungsschutz nur dann zu gewährleisten, wenn wirklich Verantwortung und tatsächliche Fürsorgeleistung übernommen wird. Väter, die beispielsweise das Sorgerecht haben, sich jedoch nicht um ihr Kind kümmern und trotz entsprechender Verpflichtung keinen Unterhalt zahlen, hätten demnach keinen Anspruch auf rechtlichen Schutz. Wir geben zu: Wo hier Grenzen zu ziehen sind und wie das überprüfbar ist, wird im Einzelfall sicherlich nicht immer ganz leicht zu entscheiden sein. Hier wird es – sofern es eines Tages zu einem gesetzlichen Schutz vor Elternbenachteiligung kommen wird – im Zweifel einen Spielraum geben, über den unsere Gerichte entscheiden werden.

Bei der Definition von Elternschaft ist es wichtig, auch die zeitliche Dimension von Elternschaft im Blick zu haben, denn es stellt sich naturgemäß die Frage: Wie lange kann ich mich als Mutter und Vater auf Elterndiskriminierung berufen? Bis mein Kind seinen sechsten, zehnten, achtzehnten oder gar dreißigsten Geburtstag feiert? Die Lösung ist einfach – ihr könnt euch die Antwort schon denken: Entscheidend muss auch hier wieder die elterliche Fürsorgeleistung sein.

Das ist bei Kindern bis zum Kindergartenalter relativ eindeutig. Aber wie geht es danach weiter? Nach unseren Beobachtungen können auch Eltern von Kindern im Grundschulalter benachteiligt werden, also bis die Kinder, je nach Schulsystem, ungefähr zwölf Jahre alt sind. Daraus lässt sich schnell ein entsprechendes Elternalter von grob zwanzig bis fünfzig Jahren errechnen. Auch wenn Kinder ab zwölf Jahren zunehmend selbstständig sind, werden auch deren Eltern – etwa angesichts der Herausforderungen der Pubertät oder ganz aktuell aufgrund der Coronakrise – benachteiligt. Man kann sich also gut vorstellen, dass Mütter oder Väter, die erst mit 45 oder später Kinder bekommen haben, bis fast in das Rentenalter von Elterndiskriminierung betroffen sein können.

Was ist eine Benachteiligung und wer muss dahinterstecken?

Unterstellt, es gäbe bereits ein Diskriminierungsmerkmal »Fürsorgeleistung«, läge in unserem Beispielfall auf jeden Fall eine Benachteiligung vor. David, dem aufgrund seiner Elternzeit ein Zugang zum Führungskräfteprogramm verwehrt wurde, ist im Vergleich zu Personen, die sich nicht in Elternzeit befanden und daher für die Weiterbildung vorgeschlagen wurden, schlechter behandelt worden.

Denn: Entscheidend ist nach der Definition von »Benachteiligung« laut AGG die weniger günstige Behandlung einer Person aufgrund eines Diskriminierungsmerkmals im Gegensatz zu einer anderen Person in vergleichbarer Situation. Dazu zählen auch Belästigungen, mit Ausdrucksformen wie Beleidigungen, abwertende Äußerungen, Anfeindungen oder Drohungen.24

Benachteiligungen beziehungsweise Diskriminierungshandlungen gehen dabei meistens von Personen aus, die Arbeitgeber*innenfunktionen erfüllen, und treten typischerweise am Arbeitsplatz auf. Arbeitgeber*innen sind dabei im juristischen Sinne Gesellschaften oder Privatpersonen, Vorgesetzte, Teamleiter*innen oder Personalsachbearbeiter*innen – aber auch Kolleg*innen oder Kund*innen.

Wichtig: Eine Benachteiligung wird meistens ausgedrückt durch das Verhalten einer Person, aber auch durch eine Vorschrift oder durch eine Maßnahme. Dazu zählen beispielsweise betriebsinterne Regelungen, Vergütungsmodelle, Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen oder Sozialpläne.

Olga, eine betroffene Mutter, berichtete zum Beispiel, wie eine Benachteiligung auf dem Papier aussehen kann:

»In unserer Firma wurden massiv Stellen abgebaut. Im Sozialplan war festgehalten, dass alle Mitarbeiter*innen, deren Stellen gestrichen wurden, je nach Kündigungsfrist mindestens drei Gehälter mit Freistellung und eine Abfindung nach Betriebszugehörigkeit erhalten. Eltern, die in Elternzeit waren und gerade nicht aktiv arbeiteten, erhielten dagegen nur die Abfindung, nicht jedoch weitere Gehälter – unterm Strich also sehr viel weniger Geld für den verlorenen Arbeitsplatz und das nur weil sie in Elternzeit waren.«

Auch Greta berichtet von diskriminierenden Vereinbarungen, genau genommen über einen Tarifvertrag, der ihre Vergütung regelt:

»Ich arbeite als Krankenschwester in einer Klinik. Ich empfinde es als absolut unfair, dass der für mich zuständige Tarifvertrag vorsieht, dass der Zeitpunkt der nächsten Stufenerhöhung sich um die Länge der Elternzeit verlängert. Das hat für mich finanzielle Nachteilie, die sich nicht nur jetzt, sondern auch in der Höhe meiner Rente bemerkbar machen werden. Ich verstehe nicht, warum sich die Gewerkschaften nicht stärker für Mütter, aber auch Väter in Elternzeit einsetzen.«

Der sachliche Grund – kann Elterndiskriminierung gerechtfertigt sein?

Es klingt seltsam, aber unser Antidiskriminierungsgesetz sieht vor, dass Benachteiligungen unter sehr strengen Voraussetzungen erlaubt sein können. Das lässt sich gut an einem Fall erklären, den der Europäische Gerichtshof zu entscheiden hatte: Eine Frau, Anwärterin für die höhere Laufbahn der italienischen Justizvollzugspolizei, wurde von einem für ihre Beförderung wichtigen Ausbildungskurs nebst Prüfung ausgeschlossen, weil sie aufgrund ihrer Schwangerschaft und der darauffolgenden Elternzeit nicht daran teilnehmen konnte. In seinem Urteil stellte der Europäische Gerichtshof unter anderem fest, dass es im sogenannten »öffentlichen Schutzinteresse« zulässig sei, die Frau nicht zu befördern.25

Dieser Fall zeigt, dass sich unser Gesetzgeber bei Einführung eines neuen Diskriminierungsmerkmals Gedanken machen muss, ob und mit welchem Inhalt er in das AGG bestimmte Rechtfertigungsgründe für Elterndiskriminierungen aufnimmt. Im Rechtsgutachten der ADS gibt es dafür einen entsprechenden Vorschlag von Prof. Dr. Thüsing und Lena Bleckmann.26

Und um noch einmal auf David zurückzukommen: In seinem Fall ist ein Rechtfertigungsgrund wie zum Beispiel ein öffentliches Interesse nicht ersichtlich – und damit auch die letzte der drei eingangs genannten Diskriminierungsvoraussetzungen erfüllt. Wir können also nicht nur vom Gefühl, sondern auch nach der offiziellen Diskriminierungsdefinition der Antidiskriminierungsstelle sagen: David wurde – unterstellt, es gäbe bereits ein Diskriminierungsmerkmal »Fürsorgeleistung« im AGG – diskriminiert.

Wie erkenne ich Elterndiskriminierung?

Elterndiskriminierung in der Arbeitswelt erkennst du, angelehnt an die offizielle Diskriminierungsdefinition und an die Regelungen des AGG, grob zusammengefasst anhand folgender Checkliste:

1.Ich bin in weitem Sinne Fürsorgeleistende oder Fürsorgeleistender, das heißt, ich bin Mutter oder Vater eines Kindes und/oder pflege oder betreue ein Kind aufgrund rechtlicher oder gesetzlicher Pflichten, auch unabhängig von biologischer Elternschaft.

2.Ich wurde weniger günstig behandelt als eine andere Person, die keine Kinder hat beziehungsweise keine Fürsorgeleistung erbringt, oder wurde aufgrund der Tatsache, dass ich Kinder habe oder für sie sorge, herabgewürdigt.

3.Die Benachteiligung ging von Vorgesetzten, Kolleg*innen oder Dritten aus, die mit meinem*meiner Arbeitgeber*in in Verbindung stehen, oder erfolgte aufgrund einer betrieblichen Maßnahme oder Regelung.

Zuletzt noch ein abschließender Hinweis: Es handelt sich um eine Definition, die dir die Einordnung erleichtert. Wenn du hinter alle Punkte der Checkliste einen Haken setzt, heißt es jedoch nicht, dass du nach den aktuellen gesetzlichen Regelungen auch wirklich geschützt bist. Darauf gehen wir gleich noch näher ein.

WAS ELTERNDISKRIMINIERUNG FÜR UNSERE GESELLSCHAFT BEDEUTET

Gehen wir noch einmal zu Davids Fall aus dem vorherigen Kapitel zurück: Nachdem sein Chef das Führungskräfteprogramm für ihn auf Eis gelegt hat, schaut er seiner Partnerin Mia tief in die Augen. Er müsse jetzt echt im Job Vollgas geben und könne daher nicht den Sohn von der Kita abholen und auch nachmittags keine Hausarbeit machen. Er arbeitet wie verrückt, und drei Jahre später hat er es endlich geschafft: Der Schandfleck der Elternzeit ist aus dem Gedächtnis seines Chefs gelöscht, er darf endlich ins Führungskräfteprogramm. Und was macht Mia seitdem? Sie übernimmt sämtliche Fürsorgeaufgaben und merkt schnell, wie das ewige Jonglieren im Familienalltag plus Karriere an ihren Kräften zehrt, außerdem dauert die Kitaeingewöhnung aufgrund des ersten Corona-Lockdowns deutlich länger, und auch danach schließt die Kita wegen Personalmangel bereits um fünfzehn Uhr. Die Entscheidung ist klar: Es ist für alle besser, wenn Mia ihren Job bis auf Weiteres auf zwanzig Wochenstunden reduziert und »erst mal« jegliche Ambitionen begräbt. Obwohl Mia und David eigentlich ein anderes Modell leben wollten.

So bitter es ist: Das ist immer noch die Realität in vielen Familien – Wunsch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander und ein gleichberechtigtes Vereinbarkeitsmodell funktioniert in vielen Fällen nicht. Die Arbeitsbedingungen für Eltern entsprechen kaum ihren Bedürfnissen und führen, befeuert von struktureller Diskriminierung, dazu, dass sie in traditionelle Rollenverteilungen zurückfallen und insbesondere Mütter finanzielle Einbußen davontragen.

Unabhängig von den Folgen für einzelne Betroffene stellt sich darüber hinaus automatisch die Frage: Was heißt das eigentlich für uns als Gesellschaft, wenn Eltern systematisch benachteiligt werden? Und: Welche Ursachen hat dies und welche Auswirkungen zieht es nach sich?

Gesellschaftliche Ursachen für Elterndiskriminierung