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Jo Köhler

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Beschreibung

Ein literarischer Prozess umfasst sehr vieles ... die Entstehung der Welt zum Beispiel ist aus göttlicher Sicht vielleicht auch sowas wie ein literarischer Prozess, von dem wir selbst ein Teil sind wie in einem kosmografischen Roman die Fortsetzung des Urknalls, die Fortsetzung der Schöpfung: die alles enthält, was Geistmaterie sich vorstellen kann ... und alles, was ist, kommen und gehen lässt. Ihre Energie ist unsere Energie, und die war schon lange da, bevor es uns gab.

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Seitenzahl: 77

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Für Margarete

Vorwort von Aurelia Wendt

Germanistin, Journalistin Buchrezensentin – auch für den Hörfunk

Ein tiefes, unergründliches Blau, ein Blick in die unendliche Weite des Universums – das Titelbild des Buches zieht mich in seinen Bann und macht mich neugierig. Besonders auffallend sind die Sterne, die am Nachthimmel stehen. Was mag sich hinter diesen unzähligen Lichtpunkten verbergen? Sind es Hoffnungsschimmer, die dort in der Dunkelheit aufleuchten? Um es herauszufinden, tauche ich in dieses Werk ein und werde schnell fündig. Das Motiv der Hoffnung begegnet mir gleich zu Beginn in einer kurzen Erzählung. In „Selbstporträt“ beschreibt der Autor, wie er von Zweifeln geplagt wieder einmal abrutscht „ins Nichts, ins Bodenlose meines eigenen Ichs, meiner vergeblichen Hoffnungen und Erwartungen.“

Wie ein roter Faden zieht sich dann die „Hoffnung“ durch Gedichte, Essays, Gedanken und Erzählungen und erweist sich als Weg zur Heilung und Befreiung. In der Ich-Form erzählt Jo Köhler von einem Kind, das stets von der Hoffnung getragen wurde, wenn es verzweifelt war und bei Spannungen im Elternhaus zur Großmutter flüchtete. In einem anderen Text geht es um die tief sitzende Trauer eines Erwachsenen, der mit der ablehnenden Haltung seines Bruders zu kämpfen hat. Was ihm bleibt, ist die Hoffnung, irgendwann doch noch ein versöhnliches Ende zu finden.

Jo Köhler beschäftigt sich in diesem Werk mit verschiedenen Entwicklungsphasen des Lebens. Er berichtet von emotionalen Fortschritten und Rückschritten und von Gipfeln, die nach und nach erklommen, aber dann als notwendige Prozesse wieder verlassen werden müssen, um hinabzusteigen in ein unbekanntes Tal, „das unsere Vorväter und Vormütter / schon durchschritten haben“. Beim Betrachten von Entwicklungsschritten nimmt der Autor auch das Älterwerden unter die Lupe. „Je älter ich werde, / umso dünnhäutiger schaue ich in die Welt“, offenbart er in einem Gedicht.

Die Erkenntnisse, die Jo Köhler in seinem Leben gewinnen konnte, finden sich teils in lehrreichen kleinen Erzählungen wieder. Der Autor nimmt die Bedeutung von Kunst in Augenschein und scheint sogar in Fragen zu Ernährung und Gesundheit bestens informiert. Historische Texte stellt Jo Köhler in einen modernen Kontext und er hält bei politischen Belangen sinnvolle Tipps parat: „Keine Führungskraft / sollte in Zukunft / noch erklären dürfen, / warum etwas / nicht geht, / sondern nur noch / wie es gehend / gemacht / wird.“ Auch Folgen der Digitalisierung werden vom Autor auf den Prüfstand gestellt. „Je größer die narzisstische Störung, umso erfolgreicher der Mensch in den sozialen Netzwerken“ lautet das Fazit des Autors, das mich nachdenklich macht und nachhallt.

Der Autor beeindruckt konstant mit seinem Wissensreichtum, wirkt aber niemals dogmatisch. Es „geht jetzt nicht mehr um Wissen, es geht um Weisheit“, sagt er selbst. Vielleicht ist es eben diese Weisheit, die Jo Köhlers Hang zu Aufsässigkeit und Widerspenstigkeit etwas zurückhält. Hat er in den vergangenen Werken viel Konfrontationswillen und Kampfgeist gezeigt – sich echauffiert und aufgebäumt – ist er nun emotional zurückhaltender geworden.

Stattdessen beweist der Autor mehr Humor als zuvor. Ich finde so manche Stelle, wo ich laut auflachen muss. Besonders gut gefällt mir seine Art, Humor mit Weisheit gemeinsam zu verpacken, indem er beispielsweise feststellt, der Sieg sei „eine Kette von Niederlagen.“ Oder wenn er zugibt: „Ein gutes Gedicht / ist immer ein bisschen / klüger als sein Autor“. Zuweilen nimmt er sich selbst auf die Schippe. So zieht er in einem Gedicht in Erwägung, einmal als Rabe wiedergeboren zu werden: denn „ich mag / ihr schwarz / glänzendes Gefieder / (…) und besonders ihren Humor.“

Im Buch ist nun das letzte Wort gelesen. Ich drehe das Werk um und schaue auf die Rückseite. Der abgebildete Himmel zeigt sich nicht mehr ganz so dunkel. Es wird heller am Horizont – ein orangefarbenes Licht bricht sich Bahn, vermischt sich mit dem Dunkelblau und durchdringt das weite Universum. Jo Köhler hat das Bild gut ausgewählt. Denn er bringt Licht in dunkle Ecken, deckt unbequeme Themen auf und spricht aus, was in ihm gärt.

Bei Inspirationen „sind wir immer / auf Andere / oder Anderes angewiesen“, erklärt der Autor in einem Gedicht und zeigt uns direkt, wie es funktioniert. Er erhellt mit seinen Worten unseren Verstand, berührt unser Herz und entfacht ein Feuer aus Impulsen, wenn er „mit seinem Spirit Funken schlägt“.

„Ich schöpfe aus dem Realen meines Daseins, meiner Lebenserfahrung, meiner Seelenlandschaft und wandle es in etwas Fiktives, das, wenn es gut geht, zu einer neuen Realität führen kann.“

Inhaltsverzeichnis

Selbstporträt

Ladepunkt 1

Ladepunkt 2

Ladepunkt 3

Ladepunkt 4

Ladepunkt 5

Ladepunkt 6

Ladepunkt 7

Ladepunkt 8

Ladepunkt 9

Selbstporträt

Ich lauschte, wie unten vor dem Haus ein Fremder ein kleines Mädchen, das dort auf der Straße spielt, nach mir fragt. Sie überlegt einen Moment und sagte: Der wohnt da oben und ist sowas Ähnliches wie ein Dichter!

Was immer sich diese Kinderstimme beim Gedanken an mich als Nachbarn im zweiten Obergeschoss vorstellte, fühlte ich mich durch das Attribut „sowas Ähnliches“ und wie sie es aussprach, als setzte sie ein Ausrufe- und Fragezeichen in ein und demselben, auf eigenartige Weise sehr gut beschrieben.

Genau diese Unschärfe war es, mit der das kleine Mädchens ins Schwarze traf, das Glück und die Tragik eines ganzen Dichterlebens umschrieb, wenn ich an all die Ideale dachte, denen ein Schriftsteller wie ich zwischen widerstreitenden Sehnsüchten nachjagte.

Mal hatte ich das Gefühl, ich bin es, wie man es stärker nicht sein kann, als könnte mich nichts aufhalten, wenn ich wie ein Schmied mit Feuer und Flamme ein Wort nach dem anderen schuf.

Und dann wieder rutschte ich ab ins Nichts, ins Bodenlose meines eigenen Ichs, meiner vergeblichen Hoffnungen und Erwartungen. Ich dachte dann, ich bin es nicht und war es nie, woher auch, wenn sich mein Selbst anfühlte wie ein zerbrochenes Gefäß und ich wie ein Steine-Wesen in ein dunkles Meer aus Sprachlosigkeit stürzte und immer tiefer nach unten sank. Vielleicht aber auch nur der notwendige Wahnsinn eines Lyrikers.

Ein Wunder der Wendung jedes Mal, wenn ich wieder zu mir kam, für mich etwas zum Anstoß wurde, mich inspirierte, beflügelte… in ein neues Licht, in einen neuen Himmel. Zum Beispiel durch dich!

Ladepunkt 1

Sozial

den Schwachen

stark machen,

damit er

tragen,

mittragen

kann

* Nur die Ostasienkarten und dieses Gedicht nehme ich mit, sagte der leitende Direktor für Beschaffung, als er sein altes Büro räumte, um ein neues und noch viel größeres zu beziehen.

Selbstfindung

Je älter

ich wurde

umso

unergründlicher

unmöglicher

umso verstellter

erschien es

mir

erschien ich mir

ganz gleich

was ich

im Laufe meines

Lebens

auch

an Erfahrungen

machen

lernen sollte

und an Wissen

anhäufte

am klügsten

keine Frage

war ich am Tag

meiner

Geburt

danach

nie wieder

Weiß auch nicht, was das soll?

Er nannte es sichtbarwerdende Zeit. Und meinte nicht die äußere Zeit, wie die Uhr tickt. Nicht die sich verringernde Zeit. Nicht die bloße Zeitspanne. Sondern die Zeit, die wir für wahr nehmen. Der Moment, indem uns bewusst wird. Dem Meer unseres Bewusstseins etwas geboren wird. Aber auch der Moment, in dem es stirbt. Und wieder hinab sinkt.

Doch Vorstellungen, Glaubenssätze! sagt er, wollen haften bleiben, egal ob sie wahr sind oder nicht, ob sie noch zeitgemäß sind oder nicht. Gegen Transformation.

Politisch und gesellschaftlich verheißt das immer Unruhe oder wie andere sagen: eine Zeitenwende. Wenn es gutgeht, das Entlassen, das Auflösen der eigenen Vorstellungen. Und zwar lagerübergreifend, über ideologische Grenzen hinweg. Als würde das Schicksal unsere Welt neu würfeln. Es geht jetzt nicht mehr um Wissen, es geht um Weisheit. Egal ob mit einem lachenden oder einem weinenden Auge.

Wie gesagt: ich weiß auch nicht, was das soll?

Verschämt

Armut

in einem reichen

Land

ist noch viel

beschämender

als Armut

in einem armen

Land

Inklusion

Der Feind der Demokratie

ist nie der Andersdenkende,

egal wie abwegig

seine Weltanschauung

auch erscheinen mag,

sondern die Unfähigkeit

oder das fehlende Bemühen

der Beteiligten,

rechtzeitig

aufeinander zuzugehen

und einen Weg zu finden,

mit dem alle Seiten leben können.

Politische Bildung

würde daher heißen,

genau das zu trainieren

und zu lernen,

wie man trotz größter Gegensätze

aufeinander zugeht.

In der Ausführung

eine Form der Poesie

oder des poetischen Handelns,

was sonst.

Gewandelt

wenn Vergebung

nicht erst,

wie ich früher

glaubte

vielleicht am Ende

eines langen

Prozesses

der Aufarbeitung

sondern gleich

am Anfang

als maßgebender

Schritt

gestanden hätte

Woher kommt der Hass?

Die wachsende Aggressivität und Aufgeladenheit in der Kommunikation allenthalben.

Die viele überfordernde Komplexität unseres Zivilisationsmodells und seine vielfältigen, ja zum Teil erdrückenden Anpassungszwänge überschreiten für immer mehr Personen oder ganze Personengruppen die Grenze des transformativ Leistbaren. Und führt längst nicht nur in Ausnahme- und Extremsituationen sondern inzwischen auch im alltäglichen Leben zu Ohnmachtserfahrungen, die sich auf unterschiedlichsten Ebenen ansammeln und wie Echoräume wirken, die kausal von ihrer Entstehung her gar nichts miteinander zu tun haben müssen, aber dennoch durch ihre Gleichzeitigkeit in der Ungleichzeitigkeit zusammenhängen.

Wie ein randvolles Fass, das mit jedem weiteren Tropfen überläuft, überschießt und sich schließlich an unerwarteter, scheinbar willkürlicher Stelle in Aggressivität (Wut) oder gar Gewalt entlädt. Einfacher gesagt: der Stresspegel durch all die sozialen, bürokratischen, technischen, ökonomischen und moralischen Anforderungen ist für uns als biologisches Wesen deutlich zu hoch.