Übers Ziel - Jo Köhler - E-Book

Übers Ziel E-Book

Jo Köhler

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Beschreibung

Jeder Ort hat seinen eigenen Seelenzustand und wenn man ihn betritt, geht etwas von ihm auf einen über. Genauso ist es auch mit dem Lesen, dem Betreten eines Gedichtes. Ich schaue mich in ihm um. Ich begreife, ich spüre seine Architektur. Ich erfahre sein Geheimnis.

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Für Margarete

Inhaltsverzeichnis

Vorwort von Aurelia Wendt

Urlaubsgruß

Wer

Der Sohn schreibt

Der Vater erwidert

Bestimmt

Quantifiziert

Ansprache bei der Messe der Poesie in der St. Andreaskirche zu Hildesheim

Teil I: Stehe auf

Zauberspruch

Um 14:19 schrieb H. C.

Um 0:33 Uhr antworte ich

Nichts ist so heilsam wie ein Perspektivwechsel

Entrüstet

Nahtod

Mülltrennung

Dem Zwischenmenschen II

Chatbot

Missioniert

Verrechnet

Respekt

Nonverbal

Porträtiert

Bildungsgerechtigkeit

Entwichen

Beschildert

Was der Mensch durchmacht

Erster Akt

Zweiter Akt

Dritter Akt

Vierter Akt

Fünfter Akt

Märzen

Elementar

Frontlinie

In Anbetracht der Probleme

Ein großer Wurf

Das Versprechen

Alterserscheinung

Teil II: Verliere nicht den Mut

Muss ich

Happy End

Schwarmintelligenz

Zeitenwende II

Ostern

Seufz!

Kindergrundsicherung

Zynisch

Verfehlt

Würdelos

Gründe und Abgründe

Antiquiert

Austherapiert

Vorsehung II

Frage der Perspektive

Neue Medien

Aus heiterem Himmel

Sym-philosophiert

Anthroposophiert

Alles seine Ordnung

Teil III: Mache einen Schritt

Zahn-der-Zeit

Medial

Vorletzte Generation

Gänsehäutig II

Aufholjagd

Alter Ego

Das Leben ist Fragment

Satanisch

Apokalyptisch

Imagine

Teil IV: Egal in welche Richtung

Geschäftsmodell

Durchsichtiges Manöver

Kleines Glück

Anthropozentrisch

Teilgehabt

Sich gesammelt

Geschlichtet

Geortet

Psychosomatik

Happy End II

Wartezone

Falsches Alibi

Pausentaste

Romantik

Wolkenkuckucksheim

Teil V: Liebe – was gegeben ist

Alltag-des-Krieges

PISA und kein Ende

Verarmt

Heimat

Buchstabiert

Psychosomatisch II

Milchmädchenrechnung

Resilient

Jakob zum Ersten

Virtuos

My Way

Ein Wunder

Geheiligt

In Erinnerung an Elma

Jakob zum Zweiten

Vorausgedacht

Zusammengehängt

Teil VI: Lebe für das, was kommt

Über den Umgang mit Menschen

Lesen lernen

Achtzig Prozent zum Glück

Gestaut

Wem die Stunde schlägt

Kontinuum III

Gespiegelt

Morgenstunde

Wahre Liebe

Insel der Seligen

Der Farbe Grau

Rettungsaktion

Recht und Freiheit

Vorschlag zur Flüchtlingspolitik

Dem Hirten

Als Dank eine kleine Zugabe

Bewährt

Geleitwort

Antwort an einen Fremden

Zur Person

Vita

Vorwort von Aurelia Wendt

Germanistin, Journalistin Buchrezensentin - auch für den Hörfunk

Bereits beim ersten Aufschlagen des Buches ist die „Handschrift“ des Autors sofort wiedererkennbar: ein Mix aus Essays, Gedichten, kurzen Erzählungen und Gedankensplittern. Dabei setzt Jo Köhler auf eine bewährte Textgestaltung, die unverwechselbar ist. Jeder Essay füllt maximal zwei Seiten, Gedichte und einzelne Sätze sind oft mittig platziert.

Auch beim Themenangebot bleibt Köhler seinem Stil treu. Nahezu jede Seite präsentiert er einen neuen Aspekt in jeweils einer anderen Textform und sorgt damit für Abwechslung und Frische. „Nicht erschrecken, ich lasse jetzt einen Korken knallen und wechsele das Thema“, beschreibt der Autor humorvoll seine Methode.

Ganz gleich, welches Thema der Autor sich vornimmt - er erweist sich stets als guter Beobachter, der insbesondere Alltägliches interessant in Szene zu setzen vermag. Er nimmt aber auch Sozial-, Bildungs-, Migrations- oder Klimapolitik unter die Lupe, beäugt kritisch unsere Medienlandschaft und beklagt sich über Inflation und explodierende Energiepreise. Wir Leser spüren, wie nahe dem Autor viele aktuelle Ereignisse und Situationen gehen und wie sie ihn geradezu aufreiben. So ist es leicht nachvollziehbar, wenn er gedanklich an Grenzen stößt, ins Wanken gerät und mitunter resigniert: „Und ja, ich habe mich wohl in meinen Gedankengängen wie so oft wieder mal verlaufen“.

Es ist vor allem die Klimafrage, die den Autor partout nicht loslässt und in die er sich regelrecht festbeißt. Manche seiner Ansichten sind ziemlich rigoros. Und es ist ihm schwer abzunehmen, wenn er behauptet: „Interessiert mich nicht, wohin die Welt sich dreht. Was die Leute sagen oder denken. Was sie pupsen oder posten. (…) Lass sie doch“.

Das Gute aber ist, dass Jo Köhler bereit ist, andere Blickwinkel einzunehmen, um Ansichten, Beobachtungen und Argumente auf ein Neues zu beleuchten. Auffallend häufig bringt er das Wort „Perspektive“ ein, um vor allem unser aktuelles Gesundheitswesen in Frage zu stellen. Unter der Überschrift „Nichts ist so heilsam wie ein Perspektivwechsel“ fordert der Autor ein Umdenken bei der medizinischen Versorgung unseres Landes. Und schließlich fragt er sich generell, ob die Bewältigung des Alltags „immer nur eine Frage der Perspektive“ ist.

In seinen Gedichten gelingt es dem Autor sich zurückzulehnen und seine Gedanken schweifen zu lassen. Wir dürfen tief eintauchen in eine lyrische Welt, die sich jedem Leser anders offenbart: „Denn ein Gedicht, das einen berührt, grenzt nie aus oder ab, sondern weitet den Horizont und wirkt wie ein Fenster in eine andere Welt.“

Die köhlerschen Gedichte sind für mich kleine sprachliche Kunstwerke - eines schöner als das andere. Viele Worte darin richtet er an Margarete, seine Frau. Im Briefwechsel mit einem Bekannten beschreibt er sie als Mittlerin, die einen „Riesenanteil“ an seinem Wirken hat: „Und die Beziehung zu ihr gestattet dem Zwischenmenschen (an mir) erst die Erfahrung, sich so verletzlich und schwach zeigen zu dürfen, wie er nun mal ist.“

Insbesondere in den Gedichten kommt außerdem eine originelle Seite des Autors zum Vorschein, die uns Witz und Einfallsreichtum beschert und uns zum Innehalten inspiriert: „Ein großer Wurf ist der, der weit am Ziel vorbei geht und dennoch trifft, wenn auch ganz anders, als man dachte.“

Jo Köhler lässt seinen Gedanken und Worten viel Raum. Lediglich ein bis zwei Sätze füllen manchmal eine ganze Seite, die dadurch trotzdem keineswegs leer wirkt. Vor allem tiefgründige Gedanken brauchen diesen Platz, damit wir uns ganz und gar auf sie konzentrieren können: „Romantisch wird es, sobald du einen Bezug findest. Andockst, egal woran, egal wohin.“

Es ist diese besondere Fähigkeit des Autors, mit wenigen Sätzen viel zu sagen. So reichen auch zwei Sätze von Jo Köhler aus, um die Intention dieses Werkes treffend zu formulieren: „Es ist ein gutes Gefühl, wenn sich der Nebel lichtet. Ein sehr gutes.“

Urlaubsgruß

Die jungen Schwalben

rufen aufgeregt

und jagen einander

in flüchtigen

Flugformationen

als lobten sie

damit die Freiheit

und gäbe es

für sie

kein größeres

Glück

als im Wind zu segeln

und sich treiben

zu lassen

du sprichst

von Verletzlichem

von Ängsten

und von Sorgen

und vom Älterwerden

von Wünschen

an die du

nie gedacht hast

ich auch

die See - das Meer

ist genau da

wo wir es erwartet

erhofft haben

mit all seiner Kraft

seinen Farben, seinem

Schauen bis zum

Horizont

doch es erreicht

uns nicht

es bleibt nur außen

nur innen

als wäre seine Weite

gar keine Weite

sein Spiegeln

gar kein Spiegeln

sein Leuchten

gar kein Leuchten

ach

ich weiß nicht

wir versprechen

wiederzukommen

na klar

und versuchen

es dann

wie die Schwalben

zu halten

Wer

empfängt mich

mit einem Lächeln

und sagt: schön, dass du

da bist.

Wer

spricht geradeheraus

und nicht nur

in Floskeln.

Wer hält mich

wenn

ich unhaltbar

bin

Wer

vergibt mir, wenn ich

unmöglich bin.

Wer gibt mir Nähe

auch wenn

ich unnahbar

bin

Wer

sagt mir, es wird schon

und dann

wird es auch.

Wer - wenn du

nicht wärst

Der Sohn schreibt:

Unser Alltag plätschert so dahin und ehrlicherweise kann ich aktuell deine Frage nicht beantworten. Weder geht es uns gut, noch könnte ich sagen, dass es uns schlecht geht. Irgendwas dazwischen…

Der Vater erwidert:

Verstehe! Für mich als Übersechzigjährigen ist es so - das Gute wirkt leise. Je älter ich werde, umso dramatischer erscheint mir jedes Hindernis, das überwunden und jeder Knoten, der gelöst werden muss. Und umso dankbarer bin ich, wo dies geschieht.

Wir alle

sind Lügner

im Dienste einer

Wahrheit,

die wir

nicht kennen,

noch nicht.

Bestimmt

Nicht ich suche mir eine Geschichte, sondern die Geschichte sucht sich mich, um durch mich, durch meine Fasern gelebt, verfasst, realisiert – gewärtig zu werden.

„Fürchte nicht den, der deinen Leib tötet, sondern den, der deine Seele tötet!“

Was will Jesus uns damit sagen? In jedem Fall eine faszinierende Aussage, über die man erst mal nachsinnen muss, was und vor allem auch wen er damit meint.

Vielleicht die erfolgreichen Angstunternehmer in Medien und Politik. „Angst essen Seele auf!“ Die nur aus Gier, Neid oder Missgunst handeln. Die dich ausgrenzen, verleugnen, verspotten und nur darauf warten, dass du stürzt.

Oder auch die Neunmalklugen, die wissenschaftlichen, die politischen, die ökologischen und weltanschaulichen Eiferer.

Oder meint er damit immer auch eine dunkle Seite von uns selbst?

Wenn wir uns infantil, pubertär, verstockt oder narzisstisch gebärden.

Quantifiziert

Gesundheit

ist

für mich

an erster

Stelle

Gnade

an zweiter

Stelle

Gnade

an dritter

Stelle

Gnade

an vierter

Stelle

die Gene

und

an fünfter

Stelle

das

was wir

gesunde

Ernährung

oder

Lebensweise

nennen

Ansprache bei der Messe der Poesie in der St. Andreaskirche zu Hildesheim

Gut ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland beantwortet die Frage nach dem Lesen inzwischen mit einem klaren Nein - rund 35 Millionen Menschen lesen gar nicht oder schlagen weniger als 1mal im Monat ein Buch auf.

Ein alarmierendes Ergebnis im Lande der Dichter und Denker! Zum ersten Mal seit der Erfindung des Buchdrucks vor über 500 Jahren schrumpft der Anteil der Lesenden. Nach einer Statistik der Gesellschaft für Konsumforschung verbringen die meisten Menschen ihre Zeit lieber in sozialen Netzwerken, mit Computerspielen oder mit Videostreaming Angeboten.

Gleichzeitig fühlen sich – trotz Internet und Messengerdiensten - immer mehr Menschen verloren, vereinsamt und sprachlos in dieser Welt. Sie kommen nicht mehr mit. Und bleiben ohne eigenen Ausdruck, ohne Andockmöglichkeit für das, was sie im Innersten bewegt, was sie berührt.

Genau hier setzen die Poeten aller Epoche an, die mit ihren Werken Unsagbares sagbar und Unfassbares fassbar machen und damit eine Sprache schaffen, in der man sich wiederfinden, aufgehoben und geborgen fühlen kann. Hierin liegt die eigentliche Relevanz von Kunst und Literatur, von Musik und Poesie.

Wobei das Wichtigste an einem Text, an einem Gedicht nicht das ist, was uns der Dichter oder die Dichterin damit sagen will, sondern vielmehr das ist, was sich in unseren Köpfen und in unserem Herzen durch ihr literarisches Werk an Bildern erst herausbildet. Auflodert. Sich abzeichnet.

Das Geheimnis eines Gedichtes offenbart sich jedem, der es liest, anders - das ist ja grad das Faszinierende daran. Poesie kann überall sein. Egal unter welchen Umständen, in welcher Situation, in welcher Handlung, in welcher Beziehung.

Poesie entsteht dort, wo einander Dinge begegnen, die sonst weit voneinander entfernt sind. Wie Tag und Nacht zum Beispiel. In der Poesie treffen alle Ebenen des Daseins aufeinander.

Poesie hat nichts mit Bildung oder Gelehrsamkeit zu tun. Die Sprache der Seele ist keine akademische! Aber wem sag ich das an einem Ort, an dem sonst aus der Bibel und damit aus einer Sprache rezitiert wird, für die das gleiche gilt. Das sollten wir uns, je gebildeter und klüger wir uns dünken, immer wieder hinter die Ohren schreiben.

Denn ein Gedicht, das einen berührt, grenzt nie aus oder ab, sondern weitet den Horizont und wirkt wie ein Fenster in eine andere Welt. Vielleicht auch zu einem anderen Himmel und zu einer anderen Erde.

Trotzdem! Nicht jedes Wort, das ein Dichter oder eine Dichterin gebraucht, muss gleich ein künstlerisches Meisterwerk sein. Auch das in Teilen unfertige, noch in Gärung befindliche, vielleicht sogar falsche oder gar verstörende Wort kann eine Berechtigung haben. Deshalb sollte es nie heißen: Ein falsches Wort und du bist tot!

Ist es doch vielleicht so etwas wie eine Vor- oder Zwischenstufe, der erste Schritt hin zu etwas Wunderbarem? Der