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EIN WIRTSCHAFTSKRIMI AUS DEM WAHREN LEBEN. --- Sechs Männer, ein Wille: der Finanzdeal namens Omega55. Als Vorstände der HSH Nordbank genehmigten die Männer Ende 2007 dieses 2,4 Milliarden Euro Geschäft - hastig und übereilt, und obwohl es wirtschaftlich nutzlos war für die HSH. Unter ihnen: Prof. Dirk Jens Nonnenmacher, genannt Dr. No. Er wurde zum öffentlichen Gesicht der folgenschweren Entscheidung. Im Juli 2013 fanden sich die Ex-Landesbanker auf der Anklagebank wieder. Wegen schwerer Untreue im Fall von Omega55 beziehungsweise Bilanzfälschung. Der Prozess endete überraschend mit Freisprüchen. Die Staatsanwaltschaft legte noch im Juli 2014 Revision ein. Die Journalistin Dani Parthum hat den Skandal mit aufgedeckt und den einjährigen Strafprozess durchweg im Gericht verfolgt. Das ist ihr Bericht. Er ist nicht nur ein einzigartiges Dokument der Innenansicht einer Bank und eines richtungsweisenden Strafverfahrens mit zweifelhaftem Ausgang, bei dem weder die Motive der Vorstände für das nutzlose Geschäft Omega55 herausgearbeitet, noch die Umstände der Finanzkrise im Urteil berücksichtigt wurden. Es ist auch das erste Mal, dass ein deutscher Wirtschaftsstrafprozess für die Öffentlichkeit festgehalten wurde und damit für jeden nachvollziehbar wird, wie Richter und Anwälte agieren und was es heißt, vor einem Strafgericht zu stehen. Mit einem Vorwort des Hamburger Strafverteidigers Gerhard Strate, der unveröffentlichten Omega-Vorstandsvorlage, Auszügen aus dem Urteil und Einschätzungen namhafter Rechtsprofessoren. --- Erste Leserreaktion: "Liest sich wie ein Krimi!" --- Zum eBook ist Mitte April eine Druckausgabe unter demselben Titel erschienen: ISBN 978-3-7347-5904-8
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Seitenzahl: 507
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Dani Parthum
DR. NO
und die Unschuldigen
Der Prozess gegen
sechs Ex-Vorstände der HSH Nordbank
Alle Rechte vorbehalten.
Copyright: © Dani Parthum, Hamburg 2015
published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
ISBN 978-3-7375-4020-9
Covergestaltung: brandproject.de
Fotonachweise: alle nicht gekennzeichneten Fotos stammen von Nikolaus Herrmann und Dani Parthum, Autorinnenfoto: Ralf König
Website zum Buch unter http://drnounddieunschuldigen.de
„DR. NO und die Unschuldigen“ ist auch als Druckausgabe erschienen:
ISBN 978-3-7347-5904-8
Vorwort
Prolog
Die entscheidenden Gesetze
Die Protagonisten
D E R P R O Z E S S B E G I N N T
Tag 01: Auftakt nach Maß ins juristische Neuland
Wie Omega55 funktionierte - oder auch nicht
Tag 02: Ex-HSH-Chef lehnt Mitschuld ab
Keiner ist Schuld
Wer hat wann unterschrieben?
D I E W I C H T I G S T E N Z E U G E N
Tag 03: Erster Zeuge sagt aus
Tag 04: Schlagabtausch und Erinnerungslücken
Ex-HSH Vorstände reden miteinander
Verteidigungsstrategie: Jeder für sich
Tag 05: Quälende Beweisaufnahme
Nachmittags im Gerichtssaal: hitzig und bissig
Tag 06: Nicht viel Neues
Tag 07: Marc S.: „Ich war erschöpft.“
Tag 08: Das Kreuz mit den Fragen
Geschrei und harte Worte im Gerichtssaal
Tag 09: „Der Eilbeschluss war mein Vorschlag.“
Tag 10: Alles wartet auf Dr. No
Tag 11: „Omega55 war intellektuell interessant.“
Tag 12: Nonnenmachers Flucht nach vorn
Tag 13: Ohne interne Prüfung: Der ominöse Teil-B
Ein flüchtiger Moment der Wahrhaftigkeit?
Tag 14: Kein Geschäft zuvor war wie Omega55
Journalistisch schwierige Arbeitsbedingungen
U N G LA U B L I C H E D E T A I L S
Tag 15: Stand HSH Ende 2007 am Abgrund?
Tag 16: Lüge oder Lücke?
Tag 17: Zu kritisch mit Omega55? Kündigung
Tag 18: „Omega empfinde ich als Kreislaufgeschäft.“
Tag 19: Doch nicht aufsichtsrechtlich geprüft
CD-Beweis: Nonnenmacher doch früh unterzeichnet
Tag 21: Ein Wochenende für die Risikoprüfung
Tag 22: Falsche Zusicherungen aus London?
Tag 23: Vom Druck, der aus dem Königreich kam
Tag 24: Vertane Chance? Gericht fragt nicht nach
Tag 25: Ex-Chefjustiziar: „Ich war nicht eingebunden.“
Größenwahn: HSH in die TOP-10 weltweit
Tag 26: Erste rechtliche Würdigung des Gerichts
Tag 27: BaFin hat Omega55 nicht geprüft
Tag 29: Zweifel nicht ernst genommen
Tag 30: Zeuge belastet Strauß und Friedrich
Zweifelhafte Motive des Vorstands für Omega55
Tag 31: Tully: „Was haben Sie sich dabei gedacht?“
Tag 32: Harmlose Bankenaufsicht
Verhandlungspause und Zwischenbilanz
Tag 33: Warten auf den Sachverständigen
Tag 34: Der Zeuge, der nicht kam
D I E G U T A C H T E R
Tag 35: Verteidigung will Gutachter verhindern
Tag 36: Gerichtsgutachter: Omega war für HSH nachteilig
Tag 37: Tullys marginale Unhöflichkeit
Tag 38: Parteigutachter: Omega war ein günstiges Geschäft
Zweifelhafte Akteneinsicht
Tag 39: Parteigutachter: Vorlage war vollständig und eindeutig
Tag 40: Verteidiger diskutieren um Nichtigkeiten
Tag 41: Wortklaubereien und Dreistigkeiten
Aussagen der Gutachter über die Vorstandsvorlage
Tag 42: Anwalt Nonnenmachers belastet Mitangeklagte
War umfassende Akteneinsicht des Parteigutachters rechtswidrig?
Erste rechtliche Einschätzung: Reicht es, sich zu verlassen?
Tag 43: Zeuge der BNP Paribas - breite Brust und Erinnerungslücken
Tag 44: Gericht befragt erneut Parteigutachter
Tag 45: Mitarbeiter der Rechtsabteilung erinnern sich nicht
Zwei Verteidiger mahnen mich ab
Tag 46: Heiterkeit mit dem Mathematik-Professor
Tully: Gesamtbankvorstand trägt Verantwortung
Verteidiger Gatzweiler erwirkt „Einstweilige Verfügung“
E N D S P U R T
Tag 47: Die Bürde des „juristischen Neulands“
Ex-Vorstandschef Berger erklärt sich zum Gespräch bereit
Tag 48: Strauß: „Einen Pflichtverstoß kann ich nicht erkennen.“
Berger: „Für mich ergaben sich keine Zweifel.“
Erfolgreich Rechtsmittel eingelegt: „Einstweilige Verfügung“ war nicht notwendig
Tag 50: Der 10 und 50-Millionen-Schaden zu Vertragsbeginn. Theoretisch.
Tag 51: Die überraschte Zeugin aus der Rechtsabteilung
Zeuge P.: „Das muss übersehen worden sein.“
Verteidigung beantragt Vernehmung von Ex-BaFin-Chef Sanio
Tag 52: Ohne Sanio in den zähen Endspurt
KPMG-Prüfer: Die Bank war schlicht überfordert.
Tag 53: Verteidigung fordert Verschwiegenheit von KPMG-Prüfern
Entscheidet kreative Finanzmathematik über Urteil?
Gericht nähert sich den Plädoyers
Tag 54+55: Kammer urteilt vor Sommerpause
Wird Vorwurf der Bilanzfälschung fallen gelassen?
Tag 56: Gutachter: Regulatorische Trades ändern Risiko nicht
„financials“ oder „corporates“: Ist das wirklich die Frage?
Tag 57: Der letzte Zeuge - ein Anwalt von Freshfields
Nonnenmacher hat sich auch am Prozessende nichts vorzuwerfen
D I E P L Ä D O Y E R S
Tag 58: Für Staatsanwälte war es Untreue und Bilanzfälschung
Tag 59: Hans Berger kann „nicht verantwortlich“ gemacht werden
Dirk Jens Nonnenmacher war „nicht beteiligt“
Tag 60: Hartmut Strauß hat seine Pflichten nicht verletzt
Einundsechszig Currywürste?
Joachim Friedrich hat sich mit Entscheidung „wohl gefühlt“
Tag 61: Peter Rieck war „nicht ressortverantwortlich“
Wer ist eigentlich Herr Visker?
Das letzte Wort: Keine Reue. Kein Bedauern. Keine Fehler.
Die besten Sprüche aus 61 Verhandlungstagen
D A S U R T E I L
Richter will Angeklagte „nicht in die Pfanne hau'n“
Tag 62: Freisprüche trotz Pflichtverletzung
Freisprüche dritter Klasse - eine Notiz
Staatsanwälte können Urteil nicht nachvollziehen. Revision
N A C H W O R T
Urteilskritik: Freispruch-Argument ist Floskel
A N H A N G
Die wichtigsten Zeugen
Auszüge aus dem Urteil
Zitate aus der „Beweiswürdigung“
Zitate aus der „Rechtlichen Würdigung“
Vorstandsvorlage für Omega55 (credit application)
Votum Risikoabteilung: „Second Risk Assessment“
NPNM-Votum: „RWA Hedge BNPP“
Ein Dankeschön
Zur Autorin
Als zu Beginn des Jahres 2009 klar wurde, dass die HSH Nordbank AG kurz vor dem Kollaps stand und nur durch unmittelbare Finanzhilfen ihrer Anteilseigner, letztlich der Steuerzahler in Hamburg und Schleswig-Holstein, vorläufig gerettet werden konnte, begann die Ursachenforschung. Seit Anfang April 2009 befasste sich die Staatsanwaltschaft Hamburg mit den Geschäften der Bank. Wo anfangen und wo aufhören? In einer ersten Strafanzeige war die Staatsanwaltschaft auf einen Sachverhalt hingewiesen worden, den ihr damaliger Vorstandsvorsitzender bei einer Anhörung durch den Haushaltsausschuss der Bürgerschaft am 17. Februar 2009 selbst vorgetragen hatte: Den in den Jahren zuvor vollzogenen Aufbau eines „Credit Investment Portfolios“, von ihm etwas euphemistisch als „Kreditersatzgeschäft“ bezeichnet. Das bestand aus plötzlich – aufgrund der Finanzkrise – unverkäuflich gewordenen Kreditderivaten mit einem Volumen von 30 Milliarden Euro. Nonnenmacher wörtlich kurze Zeit später in einem Interview mit der FAZ:
„Wir müssen feststellen: Es fehlte dort einfach die angemessene Risikokontrolle. Das Kreditersatzgeschäft, in dem Sprengsätze steckten, hatte am Ende ein Volumen von 30 Milliarden Euro. Es wurde vor allem in Luxemburg aufgebaut, fern von der Risikokontrolle der Zentrale. Man hat die Gefahr unterschätzt und dafür einen extrem hohen Preis bezahlt.“
Eine Staatsanwaltschaft ist keine Bankenaufsicht. Die über längere Zeit entstandenen systematischen Kontrollmängel in einer Landesbank können allenfalls ein Ausgangspunkt strafrechtlicher Überlegungen sein, nicht aber Thema einer Anklage. Das in 2008 unverkäuflich gewordene Portfolio in Höhe von ca. 30 Milliarden Euro, das zum drohenden Zusammenbruch der Bank maßgeblich beigetragen hatte, blieb außerhalb der staatsanwaltschaftlichen Betrachtung. Bei der Feststellung eines strafrechtlich relevanten Sachverhalts kommt es nach wie vor auf individuelle Schuld an.
Die Staatsanwaltschaft hat sich in ihrer im Dezember 2011 erhobenen Anklage konzentriert auf die Ende 2007 durch den damaligen Vorstand der HSH Nordbank AG beschlossene Transaktion Omega55. Sie war eine von insgesamt zwölf Transaktionen, mit denen die HSH Nordbank AG Ende 2007 Kredite mit einem Volumen von insgesamt 17,31 Milliarden Euro aus ihrer Bilanz herausverlagerte und die Eigenkapitalquote künstlich heraufsetzte. Vertragspartner waren andere Großbanken, die – vermittelt über Zweckgesellschaften in Irland oder Off-Shore-Gebieten – die Risiken dieser Kredite scheinbar übernahmen. Nach wenigen Monaten wurden diese Transaktionen wieder rückabgewickelt und der vorherige Zustand wiederhergestellt. Wirtschaftlich eigentlich alles sinnlos. Sie „dienten lediglich der Verbesserung der genannten Quoten zum Jahresultimo“, wie es ungeschminkt in einer Vorlage des Vorstandes an den Risikoausschuss des Aufsichtsrats vom 7. April 2008 heißt – also der Aufhübschung der Bilanz und der so fingierten Darstellung einer höheren Eigenkapitalquote. Jede dieser wirtschaftlich völlig sinnlosen Transaktionen dürfte Millionen Euro an Kosten (Prämien und Anwaltshonorare) verschlungen haben.
Omega55 hatte allerdings eine Besonderheit. Der Vertragspartner, die französische Bank BNP Paribas, war etwas gewitzter als die anderen Kontrahenten der HSH. Die BNP Paribas hatte ihre Freude an den Hamburgern. Sie übernahm von der HSH Nordbank AG zwar Kredite in einem Volumen von 2 Milliarden Euro. BNP Paribas ließ sich jedoch auf diese Dienstleistung gegenüber der HSH Nordbank AG nur deshalb ein, weil die HSH sich wiederum bereit erklärte, für einen von der BNP Paribas zusammengestellten CDO namens Omega55 eine Ausfallkreditzusage in Höhe von 400 Mio. Euro zu übernehmen. In diesen CDO packte im Laufe des Jahres 2008 die BNP Paribas nun Bonds von Lehman Brothers, der isländischen Landsbanki und Instituten ähnlichen Kalibers, sodass die „Kreditfazilitäten“ schnell gezogen wurden (die HSH Nordbank AG die aus dem CDO resultierenden Verluste unmittelbar ausgleichen mußte). Die Banker aus Paris ließen die Banker aus Hamburg als Waisenknaben zurück.
Zu den Journalisten, die bei der Aufklärung des Skandals um die HSH Nordbank AG frühzeitig und wirklich investigativ tätig waren, gehörte ein Trio von „NDR Info“, bestehend aus den jungen Journalisten Peter Hornung, Jürgen Webermann und Dani Parthum. Sie waren es, die Informanten auftaten. Als erste hielten sie die „Credit Application“ zu Omega55 in den Händen und berichteten über diese Transaktion. Dani Parthum ist dem Thema treu geblieben und hat sich der unsäglichen Mühe unterzogen, jedem Tag des Prozesses, in dem über die Anklage der Staatsanwaltschaft verhandelt wurde, als Zuhörerin beizuwohnen. Den im Prozess anwesenden Journalisten war die Benutzung eines Laptops untersagt worden. Die Gründe hierfür sind mir nicht bekannt. Ihr dennoch entstandener umfangreicher Bericht beruht auf handschriftlichen Notizen. Eine Mühe war es mit Sicherheit auch deshalb, weil Wirtschaftsstrafprozesse, die sich über ein Jahr hinziehen, gähnende Längen mit sich bringen. Die Verfahrensbeteiligten können sich gegen gelegentliche Ermüdungen vielfältig behelfen, und sei es nur, indem sie sich durch Wortmeldungen wachreden. Der zur Stille verdammte Journalist – Dani Parthum beklagt an einer Stelle ihres Buches ihr Empfinden dieser Situation für jedermann einfühlsam – kann das nicht. Das nun vorliegende Buch zeigt, dass Dani Parthums Aufmerksamkeit dennoch zu keinem Zeitpunkt nachgelassen hat.
Dieses Buch ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil der Prozess gegen die früheren Mitglieder des HSH-Vorstandes durchaus darauf angelegt ist, ein neues Blatt aufzuschlagen. Wie weit reicht das Terrain unabhängigen unternehmerischen Entscheidens, das Privileg der sog. Business-Judgement-Rule, und wo beginnt die Pflichtverletzung, die einen strafrechtlichen Vorwurf (in der Regel den der Untreue) begründet?
Das ist die Frage, die letztlich der Bundesgerichtshof wird beantworten müssen. Das inzwischen vorliegende schriftliche Urteil (nachlesbar bei Juris) zeigt, dass Strafjuristen in der Lage sind, die auf Undurchschaubarkeit angelegten Finanztransaktionen des modernen Bankgewerbes auf den Begriff zu bringen. In diesem Falle ist das den Richtern des Landgerichts exzellent gelungen. Dennoch bleibt der Widerspruch weiterhin fühlbar, den Dani Parthum schon im Hinblick auf die mündliche Urteilsbegründung in ihrem Buch deutlich artikuliert und der sich bei der Lektüre der schriftlichen Begründung strukturell wiederholt.
Der Leser der ersten 347 Seiten gewinnt bei Fortschreiten der Lektüre Blatt für Blatt immer zwingender den Eindruck, hier solle eine (wenn auch im Ergebnis vielleicht milde) Verurteilung begründet werden. Die Erwägungen, mit denen dann auf gerade einmal viereinhalb Seiten für den verdutzten Leser die Freisprechung begründet wird, präsentieren sich als regelrechte Überraschung! Das ist eine jähe Wendung, die eher in einem schwedischen Kriminalroman zu erwarten ist, aber nicht in einem Urteil des Landgerichts Hamburg. Die Strafkammer stützt sich in ihrer plötzlichen Begründung des Freispruchs auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Juni 2010, demzufolge eine den Tatbestand der Untreue ausfüllende Pflichtverletzung „klar und evident“ vorliegen müsse. Dieses Evidenzerlebnis hätte die Strafkammer des Landgerichts Hamburg angesichts der Eindringlichkeit ihrer Feststellungen möglicherweise haben können, hatte sie aber offenbar nicht. Ihre Überlegungen sind jedenfalls allesamt nachvollziehbar. Deshalb soll hier, wenn auch meine Sympathie einem anderen Ergebnis eher gegolten hätte, keine Urteilsschelte betrieben werden. Die Verteidiger haben mit großem Einsatz für das erreichte Ergebnis gekämpft. Der Freispruch wird dennoch bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs über die Revision der Staatsanwaltschaft an einem seidenen Faden hängen.
So oder so: Es ist zu erwarten, dass der Bundesgerichtshof den Handlungsrahmen für leitende Manager von Banken (und Aktiengesellschaften) neu absteckt, jedenfalls präzisiert. Dafür bietet ihm das Urteil des Landgerichts Hamburg ausreichend Stoff. Mit dem Buch von Dani Parthum sind wir über die Verhandlung, die zu diesem Urteil geführt hat, bestens unterrichtet.
Gerhard Strate,
Hamburg, im März 2015
Alles fing mit einer Strafanzeige des Hamburger Rechtsanwalts Gerhard Strate im März 2009 an. Darin warf er Verantwortlichen der HSH Nordbank Untreue in einem besonders schweren Fall vor. Mehr als vier Jahre später, am 24. Juli 2013, standen tatsächlich sechs frühere Vorstände der Landesbank von Hamburg und Schleswig-Holstein, der HSH Nordbank AG, in Hamburg vor dem Strafgericht - wegen schwerer Untreue und Bilanzfälschung. Sie arbeiteten zu dieser Zeit längst nicht mehr für die Landesbank, die seit 2008 mit Steuer-Milliarden am Leben gehalten wird; sie waren zurückgetreten, entlassen worden oder hatten gekündigt.
Die Vorwürfe, die die Staatsanwaltschaft Hamburg gegen die Ex-Banker erhob, konzentrierten sich auf ein einziges Finanzgeschäft zwischen der HSH und der französischen Investmentbank BNP Paribas, genehmigt Ende 2007: Omega55. Es fiel in eine unübersichtliche und für die HSH sehr ambitionierte Zeit. Die Vorstandsriege sollte im Auftrag der Mehrheitseigentümerinnen Hamburg und Schleswig-Holstein die Landesbank 2008 als erste ihrer Art an die Börse bringen. Die Ausläufer der Finanzkrise aber zogen seit Anfang 2007 Milliardenverluste in den Banken nach sich, auch in der HSH. Diese Verluste zehrten am Eigenkapital. Eine fatale Entwicklung kurz vor dem Börsendebüt. Denn Ratingagenturen und Investoren lieben finanzkräftige Firmen, nicht strauchelnde. Die Vorstände suchten deshalb nach Lösungen, die sich häufenden Verluste zumindest optisch am Jahresende 2007 zu glätten. Eine Lösung sollte Omega55 sein. Dieser Bankdeal war insgesamt 2,4 Milliarden Euro schwer und vermeintlich so konstruiert, dass über einen legalen Bilanztrick das Eigenkapital der HSH zum Jahreswechsel 2007 um etwa 128 Millionen Euro höher ausfiel. Geld war mit Omega55 dagegen kaum zu verdienen.
Und obwohl dieses Finanzkonstrukt sehr umfangreich und komplex war, allein der Hauptvertrag soll 700 Seiten umfasst haben, unterschrieben es die sechs erfahrenen Banker nacheinander und im „Eilverfahren“. Jeder Vorstand für sich, ohne darüber miteinander gesprochen zu haben. Und, so stellte es sich für die Staatsanwaltschaft Hamburg dar, ohne angemessen geprüft und ohne Warnungen von Mitarbeitern wahrgenommen zu haben. Schwere Untreue sei das, durch vorsätzliches, grob pflichtwidriges Verhalten, befanden die Staatsanwälte. Zudem sollen zwei der Ex-Vorstände einen Teil des Geschäftes bewusst falsch bewertet haben. Das führte dazu, dass die HSH im ersten Halbjahr 2008 einen Gewinn auswies, obwohl längst ein Verlust aufgelaufen war. Der Vorwurf: Bilanzfälschung.
Die Staatsanwaltschaft Hamburg ermittelte zwei Jahre. Ihre Ermittlungsgruppe „091“ tauschte sie sogar einmal aus. Im Januar 2012 erhob sie Anklage. Die 8. Große Strafkammer des Landgerichts Hamburg ließ die Klage nach einjähriger Prüfung am 23. April 2013 zu (AZ 608 KLs 12/11). Sie erachtete die Angeklagten einer „gemeinschaftlich begangenen Untreue für hinreichend verdächtig“[1]: Eine falsche Darstellung in der Quartalsbilanz zum 31. März 2008 wurde zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen, schrieb die Strafkammer. Den ersten Verhandlungstag[2] datierte sie auf den 24. Juli 2013.
Das auf juristisch hohem Niveau geführte Verfahren endete ein Jahr später, nach 62 Prozesstagen. Am 9. Juli 2014 sprach die 8. Große Strafkammer die sechs Männer frei. Eine Überraschung. Denn die durchaus begangenen Pflichtverletzungen der Angeklagten seien „nicht evident“ beziehungsweise „nicht gravierend“ und die Bilanzfälschung „nicht schwerwiegend“ genug für eine Verurteilung, würdigten die Richter die Sachlage. Ein zweifelhaftes Urteil, denn das rechtliche Konstrukt der gravierenden Pflichtverletzung ist umstritten und die Strafkammer begründete am Urteilstag ihre Argumente für die Freisprüche seltsam realitätsfern und teils lapidar. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft legte umgehend Revision ein.
Die vorliegende Dokumentation ist eine Schilderung meiner persönlichen Eindrücke vom Verfahren. Damit können Sie sich selbst eine Meinung über die Verhandlung und das Urteil bilden und wie Landesbanken im Jahr 2007 agierten. Ich war an fast jedem Verhandlungstag im Gericht und habe darüber auf www.diedeutschenbadbanks.de geblogged. Im Buch werden sie 19 Protagonisten und 32 Zeugen begegnen, sich mit kompliziertem Bankervokabular konfrontiert sehen, schwieriges Juristendeutsch ertragen und verwirrende Ausführungen sortieren müssen. Die Plackerei aber lohnt sich:
Sie tauchen im Strafprozess in das Innere einer Landesbank ein - in das Chaos, das Ende 2007 dort herrschte. Sie lernen die Leichtfertigkeit kennen, mit dem Milliardengeschäfte eingegangen und eine wirksame Aufsicht vernachlässigt wurde, und unter welchem extremen Zeitdruck die Mitarbeiter schufteten. Sie erhalten Einblicke in die Arbeitsweise und Qualifikation des seinerzeitigen Vorstands und werden begreifen: Die HSH ist nicht einfach ein Opfer der Finanzkrise, auch wenn die Angeklagten nicht müde wurden, sich in dieser Weise zu rechtfertigen. Die HSH ist vor allem ein Opfer ihrer Führungskräfte, der Vorstände und regierenden Politiker in den Aufsichtsräten. Sie folgten fromm dem Zeitgeist und einer fiktionalen Finanzmathematik, ignorierten Fakten und bank-kaufmännische Erfahrungen, begegneten warnenden Mitarbeitern mit Desinteresse; sie glaubten wohl mehr als sie verstanden und die Vorstände kassierten hohe Gehälter und wohl auch Millionen-Boni, ohne für ihr Tun bisher zu haften.
Die Dokumentation wirft aber auch ein Schlaglicht auf einen Gerichtsbetrieb, der wenig daran interessiert zu sein scheint, die Allgemeinheit am Aufarbeiten von - für die Gemeinschaft bedeutenden - Straftaten teilhaben zu lassen, obwohl die Öffentlichkeit eines Strafverfahrens zu den Grundfunktionen des deutschen Rechtsprinzips gehört. Die Bedingungen der Berichterstattung waren journalistisch kaum vertretbar. Ich musste mich für die Berichterstattung auf meinem Blog sogar vor einem Pressegericht verantworten, berichtete dennoch weiter.
Eine vitale Eigenheit von Weblogs ist, dass Leser ihre Meinung kundtun können. Einige dieser Kommentare möchte ich Ihnen im Buch nicht vorenthalten. Sie stammen vor allem von zwei Bloglesern. Der eine ist mir bekannt; er saß selbst ab und zu im Gerichtsaal. Der andere Meinungsfreudige gab sich leider nicht zu erkennen. Ich habe die Kommentare ausgesucht, die meine Beobachtungen und Schilderungen ergänzen und das Thema weiterbringen.
Es fing mit einer Strafanzeige an, endete mit Freisprüchen und mündete nicht in einer öffentlichen Debatte darüber, welche Aufgaben (Landes)Banken in unserer Volkswirtschaft eigentlich haben sollten, womit sie ihr Geld verdienen und ob die Milliardengewinne der Geldhäuser gesellschaftlich überhaupt erwünscht sein können. Wir als soziale Gemeinschaft müssen dafür Sorge tragen, dass Banken nicht weiter eine Spielwiese machtversessener Manager, einflussreicher Kapitaleigner und manipulierbarer Politiker sind - auf unser aller Kosten. Banken erfüllen eine elementare Funktion in unserer Wirtschaftsordnung und sollten dem Wohle der Allgemeinheit dienen, nicht dem Wohle weniger.
Die Erkenntnisse aus diesem Untreue-Prozess um das wirtschaftlich völlig sinnlose Risiko-Kreislaufgeschäft Omega55 sind ungeachtet des Urteils und seiner juristischen Bewertung wie Aufarbeitung ein wichtiger Baustein, um die degenerierte Banken- und Finanzwelt zu begreifen, die Ursachen der Finanzkrise vor der eigenen Haustür zu erkennen und das bestehende Finanzsystem grundlegend zu erneuern. Das geht uns alle an.
„Das Problem des demokratischen Kapitalismus besteht darin, dass er Kritik braucht, dass er von ihr lebt. Wenn er nicht der Kritik ausgesetzt ist, zerfällt er.“
(Tomáš Sedláček)
Dani Parthum
Hamburg, April 2015
Anmerkungen:
[1] Pressemitteilungen des Oberlandesgerichts unter http://drnounddieunschuldigen.de
[2] Das Verfahren erhielt das Aktenzeichen 608 KLs 12/11.
§ 93 AktG - Sorgfaltspflicht von Vorständen (Business-Judgment-Rule)
(1) Die Vorstandsmitglieder haben bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. [...]
§ 266 StGB - Untreue
(1) Wer die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, missbraucht oder die ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
§ 263 StGB - Betrug, besondere Schwere der Schuld
(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter [...]
1. [...]
2. einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführt oder in der Absicht handelt, durch die fortgesetzte Begehung von Betrug eine große Zahl von Menschen in die Gefahr des Verlustes von Vermögenswerten zu bringen, [...].
§ 400 AktG - unrichtige Darstellung / Bilanzfälschung
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer als Mitglied des Vorstands [...]
1. die Verhältnisse der Gesellschaft einschließlich ihrer Beziehungen zu verbundenen Unternehmen in Darstellungen oder Übersichten über den Vermögensstand [...] unrichtig wiedergibt oder verschleiert, [...].
Die 8. Große Strafkammer
Dr. Marc Tully[3], Vorsitzender Richter
gelernter Bankkaufmann, Schnelldenker und -versteher, sich seiner Selbst sicher, redegewandt, beherrscht, ironisch, klare Fragetechnik
Volker Bruns, beisitzender Richter
zurückgenommen, fragte häufig mit vielen Kommas, fasste vielschichtige Gedanken locker aus dem Kopf zusammen, schrieb sich Zettelchen mit Tully
Dr. Malte Wellhausen, beisitzender Richter
eher beobachtend, zurückhaltend, fragte selten, sprach sanft
Laienrichter - eine Schöffin und ein Schöffe
hörten zu, notierten sich kaum etwas, fragten nichts
Die Ankläger
Karsten Wegerich, Staatsanwalt
wortgewaltig, angriffslustig, schlagfertig, stritt sich manches Mal mit Verve mit Verteidigern, überlässt anderen ungern das letzte Wort
Maximilian Fink, Staatsanwalt
ausgleichend, schrieb häufig am Laptop mit, stärkte Wegerich argumentativ den Rücken
Die Urkundsbeamtin
die Justizhauptsekretärin notierte sich fast alles per Hand, was der Vorsitzende Richter Tully ihr diktierte; Tully nannte sie scherzhaft „meinen M-1-Leiter“ in Anlehnung an die Hierarchie der HSH
Anmerkungen:
[3] sprich: [talli]; Dr. Marc Tully wurde im laufenden Untreue-Verfahren zum Vorsitzenden Richter am Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg berufen.
Die Angeklagten und ihre Verteidiger
Hans Berger, 63[4], Vorstandsvorsitzender
Bergers Ruf ist der eines Sparkassendirektors, freundlich und zugewandt
vertreten durch:
Otmar Kury, Hamburg
geistreicher Anwalt, manches Mal temperamentvoll
Peter Rieck, 60,stellvertretender Vorsitzender, Immobilien-/Schiffsvorstand
gilt als clever und bestens vernetzt in Politik und Wirtschaft
vertreten durch:
Prof. Norbert Gatzweiler, Köln
ficht mit Worten, hat gern Recht, angriffslustig
Joachim (Jochen) Friedrich, 49,Kapitalmarktvorstand
hat sich im Bankgeschäft hochgearbeitet, zurückhaltend, angepasst, emotional
vertreten durch:
Wolfgang Prinzenberg, Hamburg
intellektuell, routiniert
Hartmut Strauß, 64, Risikovorstand
gehört zu den Old-School-Bankern, gewissenhaft, kaufmännisch, scheu
vertreten durch:
Reinhard Daum, Hamburg
patent, sachlich, versuchte im Prozess eigene Impulse zu setzen
Prof. Dirk Jens Nonnenmacher, 50,Finanzvorstand
hoch aufgeschossen, selbstüberzeugt, liebt Fachjargon
vertreten durch:
Prof. Heinz Wagner, Ahrensburg
äußerst höflich, rechtschaffend
Bernhard Visker, 47,Vorstand Firmenkunden
fleißiger, sachlicher Fachmann, freundlich, unaufdringlich, ernst
vertreten durch:
Gaby Münchhalffen Köln
robust, sicher mit Formalitäten, wenig in der Öffentlichkeit
Anmerkungen:
[4] Alter zu Prozessbeginn
Mittwoch, 24. Juli 2013
Er war ein heißer Sommertag, dieser 24. Juli. Schon in den Morgenstunden zeigte das Thermometer über 30 Grad. In dieser Hitze begann also das jahrelang vorbereitete Strafverfahren gegen die sechs früheren Vorstände der HSH Nordbank AG - wegen schwerer Untreue beziehungsweise Bilanzfälschung. Ich hielt einige von ihnen für schuldig. Schuldig, die Landesbank der norddeutschen Länder Hamburg und Schleswig-Holstein mit ins Verderben gewirtschaftet zu haben, ohne Zweifel zu kultivieren, ohne innezuhalten und ohne Selbstreflexion - dafür großspurig, selbstgefällig, opportunistisch. Das hatten meine Recherchen für den Radiosender NDR Info ergeben. Jetzt wurde den Bankern der Prozess gemacht. Ob aber auch für das, wofür ich sie für schuldig hielt? Die Anklageschrift knüpfte ihren Vorwurf nur an ein einziges Finanzgeschäft, das die Vorstände Ende 2007 genehmigt und die HSH kurze Zeit später mit an den Rand des Ruins manövriert hatte. Es wurde unter dem Codenamen Omega55 bekannt.
Geduldsprobe
Ich war jedenfalls nervös. Nach Jahren würde ich die Vorstände wiedersehen und ich war dabei, mich auf ungewohntes Terrain zu begeben. Als Wirtschaftsjournalistin berichte ich gewöhnlich nicht aus Gerichtssälen. Weil ich aber durch meine Recherchen soviel über die HSH wusste, wollte ich mit eigenen Ohren hören, was vor Gericht zur Sprache kommt und selbst sehen, wie das ist, mittendrin in einem Strafprozess zu sein. Ich wollte mir eine eigene Meinung bilden und nicht auf sporadische Presseerzeugnisse und magere Gerichtsmitteilungen angewiesen sein. Also berichtete ich vom Prozessauftakt für die Hörfunkwellen der ARD. Für 9 Uhr hatte ich mich mit zwei Kollegen vom NDR vor dem Eingang des Hamburger Landgerichts verabredet, eine Stunde vor Beginn des Spektakels. Ich wollte nichts und niemanden verpassen.
Die Kontrolle an der Sicherheitsschleuse dauerte mir deshalb viel zu lang. Ohne Schleuse aber kein Zutritt zum Gericht. Alle Journalisten, Besucher, Anwälte und auch die Angeklagten mussten sich einzeln scannen lassen wie am Flughafen. Eine umständliche Prozedur. Entsprechender Rückstau. Endlich, gegen halb zehn, stand ich im zweiten Stock vor dem Großen Sitzungssaal 300 - dem Ort des wichtigsten Wirtschaftsprozesses des Jahres.
Große Anspannung
Immer mehr Journalisten fanden sich ein. Die Anspannung stieg minütlich. Ich schätzte, mehr als 40 Kollegen, Kameraleute und Fotografen waren gekommen. Sie fingen zusehends an, sich vor der Tür zum Zuschauerraum zu drängeln. Zwar waren extra Presse-Plätze reserviert worden und jeder hatte sich namentlich anmelden müssen. Aber würden diese Plätze reichen?
Ich wollte auf jeden Fall sehen, wer von den sechs Ex-Bankern wann kam, wollte aus ihren Gesichtern lesen und beobachten, wie sie sich geben, ob sie sich grüßten oder wegsahen oder versuchten, Anzeichen von Stress zu verbergen. Also stellte ich mich mit in die Schlange vor dem Presseeingang und saß als eine der ersten ganz vorn auf den reservierten Stühlen.
Sie sehen sich kaum an
Der bekannteste unter den sechs Angeklagten traf als erster im Gerichtssaal ein: Ex-Finanzvorstand Dirk Jens Nonnenmacher. Betont ruhig bahnte sich der hochgewachsene, schlaksige Mann mit dem gegelten Schopf einen Weg durch die auf ihn gerichteten Kamera-Objektive, vor und hinter ihm schützend ein Anwalt. Hochmütig sah er über die Journalisten hinweg. Im Gerichtssaal schritt er sofort mit einem aufgesetzten Lächeln lässig zum Fenster, maß mit jedem Schritt das Terrain ab. Er nahm sich Zeit. Für was eigentlich? Immer noch lächelnd ging er dann zu seinem Platz in der ersten Reihe, setzte sich aber nicht hin, sondern blieb stehen. Ein typischer Nonnenmacher-Auftritt.
Bernhard Visker, Ex-Vorstand für Firmenkunden, erschien als Nächster. Ein attraktiver, sportlicher Mann mit Glatze und Sinn für modische Details. Eine Anwältin begleitete ihn. Er grüßte Nonnenmacher kurz, strebte zu seinem Platz in der zweiten Reihe und setzte sich sofort hin; blickte ernst und konzentriert. Peter Rieck, Ex-Vorstand Immobiliensparte, folgte auf Visker. Rieck nahm wie Visker sofort Platz. Dann tröpfelten Joachim Friedrich, Ex-Vorstand Kapitalmarkt, und Hans Berger, Ex-Vorstandschef, in den Gerichtssaal. Berger wirkte schmaler als zu seinen Vorstandszeiten, gealtert, dabei ist er erst Anfang 60. Friedrich schien sich wegducken zu wollen, so zurückhaltend ließ er sich auf seinem Stuhl nieder - ein Mann um die 50, elegant gekleidet, sympathische Erscheinung.
Sie alle redeten kaum ein Wort miteinander, manche grüßten sich kurz per Handschlag, keiner wandte sich an Nonnenmacher für einen kurzen Plausch. Als Letzter erschien Hartmut Strauß, Ex-Risikovorstand. Strauß hatte seinen Posten wegen gesundheitlicher Probleme aufgegeben. Zwar wirkte der Ex-Banker zart und klein, krank sah er aber nicht aus. Stracks ging auch er zu seinem Stuhl in der zweiten Reihe. Insgesamt wirkte die Stimmung unter den einstigen Kollegen frostig. Sie schienen sich nicht viel zu sagen zu haben, wechselten nur wenige Blicke. Erst als die Richter und Schöffen den Saal betraten, standen alle sitzenden Angeklagten auf.
Hochkarätige Strafverteidiger
Vertreten werden die Ex-Bankvorstände von erfahrenen und bundesweit bekannten Strafverteidigern. Hans Berger setzt auf den Hamburger JuristenOtmar Kury, derzeit Präsident der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer Hamburg. Peter Rieck und Bernhard Visker greifen auf dieselbe Kölner Kanzlei zurück, das Ehepaar Gatzweiler und Münchhalffen. Und für Dirk Jens Nonnenmacher streitet der emeritierte Rechtsprofessor Heinz Wagner.
Und dann war es so weit. Die Vertreter der Anklage, die Staatsanwälte Karsten Wegerich und Maximilian Fink, betraten den Saal und nahmen links vom Gerichtspodest Platz. Die 8. Große Strafkammer folgte kurz darauf pünktlich 10 Uhr. Mit dabei eine Protokollantin, ein Ersatzrichter und ein Ersatzschöffe. Beinah geräuschlos sortierte sich das Gericht auf seine Plätze. Und auch die Gerichtszeichnerin positionierte sich strategisch günstig schräg gegenüber den sechs Angeklagten, um sie gut sehen zu können. Fotografen und Kameramänner durften noch rasch den Moment festhalten. Und dann eröffnete der Vorsitzende Richter den Strafprozess.
Die Angeklagten stehen in den beiden vorderen Reihen. ©Christian Carisius/dpa
10:00 Uhr
Drei Berufs-, zwei Laienrichter, eine Frau und ein Mann, bilden die 8. Große Strafkammer des Landgerichts Hamburg. Den Vorsitz führt Dr. Marc Tully. Der promovierte Richter gilt als versierter und kenntnisreicher Fachmann, wenn es um Wirtschaftsdelikte geht; er selbst absolvierte eine Banklehre. Zu seiner Richtervita zählen Urteile über die Hamburger Osmani-Brüder wegen Beihilfe zur Untreue und Betrugs und über die Millionen von Alexander Falk, Erbe des gleichnamigen Stadtplan-Imperiums. Tully spricht zu einem vollen Saal, viel Presse, wenige Bürger, unter ihnen der frühere Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, Dr. Werner Marnette. Und auch die HSH Nordbank ist vor Ort; sie hat zwei Rechtsanwälte als Beobachter geschickt: einen aus der Bank, einen externen Anwalt. Sie werden den gesamten Prozess begleiten.
10:05 Uhr
Richter Tully nimmt die persönlichen Daten der Angeklagten auf und will gerade das Wort an sie geben, als sich die Strafverteidigerin von Bernhard Visker, Gaby Münchhalffen, meldet und beantragt, die 15-seitige Kurzfassung der Anklageschrift nicht zu verlesen. Sie enthalte wertende Adjektive wie offensichtlich, erkennbar mangelhaft und unangemessen.
10:18 Uhr
Tully unterbricht die Sitzung und berät sich mit seinen vier Richterkollegen etwa zehn Minuten lang. Die Richter lehnen anschließend den Antrag ab. Tully ordnet an: Die Kurzfassung der Klageschrift wird verlesen, wie sie ist.
10:35Uhr
Daraufhin steht Staatsanwalt Karsten Wegerich energisch auf und verliest kraftvoll eine halbe Stunde lang die kurz gefasste Klage.
Die Staatsanwälte Maximilian Fink und Karsten Wegerich (r.)
Die Schrift ist gespickt mit Begriffen der Bankerwelt wie value-at-risk, Liquiditätsfazilität, Single Tranche Collateralized Debt Obligation STCDO, SPV, side letter ... Wegerich rattert Zahlenkolonnen herunter, die wohl kaum jemand im Saal nachvollziehen kann. Die gesamte Anklageschrift umfasst 606 Seiten, hinzu kommt eine Sammlung mit Zeugenaussagen, Dokumenten, eMails und Vernehmungsprotokollen. Zusammen ergibt das mehr als 260 Ordner.
Die Staatsanwälte werfen den sechs Angeklagten im Fall des Finanzgeschäftes Omega55 vor, in der Zeit zwischen dem 17. Dezember 2007 und dem 20. Juni 2008:
„gemeinschaftlich die ihnen kraft Gesetzes und Rechtsgeschäfts obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen sie zu betreuen hatten, Nachteil zugefügt zu haben, wobei sie einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführten, [...]“
Dirk Jens Nonnenmacher und Joachim Friedrich wird zudem Bilanzfälschung nach § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG angelastet:
„gemeinschaftlich als Mitglieder des Vorstandes die Verhältnisse der Gesellschaft einschließlich ihrer Beziehungen zu verbundenen Unternehmen in Darstellungen oder Übersichten über den Vermögensstand unrichtig wiedergegeben zu haben.“
11:15 Uhr
Richter Tully erklärt, dass die Beklagten zunächst keine Angaben zur Sache machen wollen. Es meldet sich der Anwalt von Peter Rieck, Norbert Gatzweiler, und propagiert eine Stunde lang eine Besetzungsrüge. Er findet, die 8. Große Strafkammer des Landgerichtes sei nicht zuständig für dieses Verfahren. Wegen des Rotationsprinzips hätte eine andere Kammer das Verfahren übernehmen müssen. Alle anderen Verteidiger schließen sich der Rüge an. Der Saal überhitzt immer mehr. Wir Zuschauer stöhnen.
12:32 Uhr
Der Vorsitzende Richter bleibt ruhig, trotz gefühlter 40 Grad im Saal. Besetzungsrügen gehören zu solchen Verfahren wie Pöbeleien zu Bundestagsdebatten. Keck fragt Tully zurück, ob Verteidiger Gatzweiler „herausbekommen hat, welche Kammer zuständig ist“, wenn nicht die Achte, also seine? Gatzweiler antwortet irritiert: „Nein“. Der Saal quittiert das mit Lachen.
Mittagspause. Richter Tully hat Hunger.
13:35 Uhr
Tully setzt den Prozess fort. Die Besetzungsrüge soll unter den Kollegen beraten und dann das Ergebnis allen bekanntgegeben werden. Die meisten Journalisten sind tatsächlich geblieben. Ich sauge alles auf.
13:50 Uhr
Strafverteidiger Gatzweiler möchte jetzt, dass ihm die Laienrichter, also die Schöffen, 14 Fragen beantworten. Er will damit testen, ob sie für diesen Prozess unbefangen sind. Gatzweiler will zum Beispiel wissen, ob die Schöffen für die HSH gearbeitet haben, ob sie dort Konten hatten oder sie schon spekulative Geldgeschäfte getätigt und dadurch Geld verloren haben. Richter Tully nimmt die Fragen auf und sagt, die Schöffen werden die beantworten, die sie beantworten müssen. Das werde nachgereicht.
14:00 Uhr
Richter Tully macht jetzt grundsätzliche Anmerkungen zum Fall, zu seiner Rechtsauffassung und wie es im Prozess weitergeht. Tullystellt unumwunden klar, was er von der Welt der Banker mit ihren Milliardentransaktionen und schnellen Entscheidungen hält. Der Prozess werde sich im „Ameisentempo fortbewegen“, sagt er. „Daran werden Sie sich gewöhnen müssen. Im Eiltempo geht hier nichts.“ Ironie wird diesen Prozess also begleiten. Das hat er nötig. Und weiter: Dass der Straftatbestand der Untreue nicht eigennütziger Natur sein muss, sondern auch bei uneigennützig getroffenen Entscheidungen greife, und dass er finde, dass bei komplexen Finanzgeschäften die Risiken umfänglich geprüft werden müssten auf Grundlage von Tatsachen und Informationen. Fahrlässigkeit könne hier schon Untreue bedeuten.
Der Vorsitzende Richter erklärt den Angeklagten auch, dass für den Vorwurf der Untreue der Zeitpunkt der Entscheidungsverfügung durch die Vorstände entscheidend sei und nicht der Zeitpunkt, an dem der Bank ein Vermögensschaden entstanden sei. Er gibt zudem zwei Dinge bei diesem Verfahren zu bedenken: Dass es erstens bisher keine gesicherte gerichtliche Rechtsprechung zu einem solchen Fall gebe, zur Kredituntreue bei Finanzgeschäften. Er betrete hier mit seiner Kammer „juristisches Neuland“. Und zweitens, dass in einer sozialen Marktwirtschaft auch unternehmerische Risiken eingegangen werden müssten; das dürfe nicht kriminalisiert werden.
14:45 Uhr
Der beherrscht auftretende Richter möchte jetzt die Angeklagten näher kennen lernen, genauer ihren beruflichen Werdegang, um sie besser einschätzen zu können. Privates interessiere ihn dabei nur am Rande, sagt Tully lächelnd, wie Verdienst und Freizeitinteressen. Und wenn er das wisse, wolle er als nächstes das Finanzgeschäft Omega55 von „hinten her“ aufarbeiten, auf Grundlage der schriftlichen Vorlage, die die Vorstände unterschrieben haben.
gg. 15:30 Uhr
Der Vorsitzende Richter beendet den ersten, schweißtreibenden Prozesstag. Die Journalisten strömen in ihre Redaktionen und ich eile zum Ü-Wagen des NDR und zu meinen beiden Kollegen, um den nächsten Radio-Bericht über die Eindrücke vom - wie wir ihn ab jetzt nennen werden - HSH Prozess zu texten, aufzunehmen und an die Rundfunkanstalten zu schicken.
Mammut-Prozess
Für die Suche nach der Wahrheit hat die 8. Große Strafkammer des Landgerichts Hamburg erst einmal 40 Verhandlungstage angesetzt, bis Ende des Jahres. Die Zeit wird nicht reichen. In ihrer Anklageschrift schlug die Staatsanwaltschaft allein 46 einfache Zeugen vor, dazu 6 sachverständige Zeugen. An Beweismitteln waren Verträge, Protokolle, Geschäftsberichte, Dokumente der Bankenaufsicht und vieles mehr zu sichten - wie auch mehr als eintausend eMails.
Das Bankgeschäft Omega55[5] bestand aus zwei Teilen, die durch Verträge aneinander gekoppelt waren: BNP-A und BNP-B hießen sie in der HSH. Hinter den beiden Teilgeschäften standen mehrere Zweckgesellschaften. Bei Teil-A ging es um rund 2 Milliarden Euro, bei Teil-B um 400 Millionen Euro. Ein Netz aus mindestens 25 Verträgen hielt sie zusammen. Um aus diesen Verträgen die Rechte und Pflichten der beteiligten Bankhäuser HSH Nordbank und BNP Paribas (BNPP) herauszulesen, brauchten Sachkundige Wochen.
Im Folgenden schildere ich Omega55 vereinfachend und wie ich es verstanden habe. Tatsächlich war das Finanzgeschäft viel verästelter:
Teil-A - die Eigenkapitalentlastung:
Mit diesem Teilgeschäft wollte die HSH ihre Bilanz aufpeppen. Sie hatte zu viele Kredite vergeben. Problem: Für jeden gewährten Kredit muss sie wie jede Bank einen Teil ihres Eigenkapitals reservieren - als Verlustvorsorge. Wegen der hohen Kreditvergabe fiel in der HSH-Bilanz 2007 das noch freie Eigenkapital ziemlich niedrig aus. Kein potentes Signal für den anstehenden Börsengang. Also gründete die HSH eine Tochter in der Steueroase Jersey Islands, die Zweckgesellschaft Mathias Ltd. In diese schob sie - einfach gesprochen - rund 2 Milliarden Euro ihres Kreditbestandes, größtenteils Kredite aus der Immobiliensparte. Die französische Investmentbank BNP Paribas wiederum versicherte die Kredite dieser Mathias Ltd. über eine so genannte Kreditausfallversicherung gegen Verluste. Solche Versicherungen heißen „Credit Default Swaps“, kurz: CDS. Grob funktionieren sie so: Kann beispielsweise ein Bauherr aus dem Kreditpool seine Schulden nicht tilgen, entschädigt die BNPP die HSH-Zweckgesellschaft Mathias Ltd. dafür - und somit letztlich die HSH.
Das war das Grundgeschäft, das die HSH von vornherein wohl im April 2008 wieder kündigen wollte.
Vorteil BNPP:Sie erhielt von der HSH eine hohe Prämie für die Verlustabsicherung - zwischen fünf und zehn Millionen Euro. Die BNPP forderte zusätzlich von der HSH, mit ihr einen zweiten Teil abzuschließen, den B-Teil, in dem die BNPP Verlust-Risiken loswerden wollte.
Vorteil HSH: Weil die BNPP bei Verlusten der HSH-Tochter Mathias Ltd. einsprang, sollte das in der HSH-Bilanz 2007 etwa 128 Millionen Euro Eigenkapital freisetzen. Ein schönes Bilanzlifting für den Börsengang. Hatten die HSH-Vorstände zumindest gedacht.
Rechtslage:Teil-A ist - für sich genommen - eine „Kapital-Entlastungstransaktion“[6], wie sie Banken zu jener Zeit am Jahresende einsetzten. Ein legaler Bilanztrick, den die Bankenaufsicht unter der Bedingung duldete, dass er mindestens ein Jahr lang lief. Die Bilanzaussage wird dadurch allerdings verzerrt. Im Fall von Omega55 wollte die HSH Teil-A aber nur bis April 2008 aufrecht erhalten. Die HSH hatte Ende 2007 mindestens zehn solcher Bilanzliftings am Start mit einem Gesamtvolumen von mehr als 17 Milliarden Euro.[7]
Teil-B - die Liquiditätsfazilität inklusive der Single Tranche Collateralized Debt Obligation, STCDO:
Mit diesem Teilgeschäft wollte sich die französische Investmentbank BNPP etwas Gutes tun. Hinter Teil-B verbargen sich drei Zweckgesellschaften, die der BNPP gehörten. Die größte: Omega Capital Funding Ltd. Auf diese Omega Ltd. übertrug die BNPP ihrerseits Kredite von 2 Milliarden Euro. Dazu addierte sie aus einer anderen Zweckgesellschaft das Abbild der HSH-Kredite aus der Mathias Ltd. (Teil-A) Damit lag in der Omega-Gesellschaft ein 4 Milliarden Euro Kreditbestand. Diesem Kredittopf stellten anschließend sowohl die BNPP als auch die HSH so genannte Liquiditätsfazilitäten jeweils über 2 Milliarden Euro zur Verfügung. Damit sollten eventuelle Zahlungen aus den Kreditgeschäften aufgefangen werden. Fazilitäten lassen sich mit dem Dispo eines Kontos vergleichen. Dem aber nicht genug.
Die Franzosen schichteten in die Omega Ltd. zusätzlich ein komplexes Kreditderivat in Höhe von 800 Millionen Euro: eine Single Tranche Collateralized Debt Obligation, kurz STCDO. In diesem Wertpapier hatte die BNPP Kredite und Anleihen von 161 Firmen gebündelt; verbrieft, wie es heißt. HSH und BNPP erteilten dieser Verbriefung ebenso jeweils eine Liquiditätsfazilität, einen „Dispo“, über 400 Millionen, für den Fall, dass der Wert der STCDO schwankt, so wie die Kilopreise gegen Ende des sonntäglichen Hamburger Fischmarkts. Wertschwankungen mussten die beiden Bankhäuser über diese Fazilitäten ausgleichen.
Im Ergebnis bedeutete das für die HSH: Sie gewährte der BNPP über die Omega-Gesellschaft insgesamt einen 2,4 Milliarden hohen Dispo. Vertragslaufzeit: ein Jahr mit jährlicher Verlängerung, sechs Mal hintereinander; macht sieben Jahre. Die BNPP ließ sich in einem Nebenvertrag[8] von der HSH Nordbank zusichern, dass diese der Bankenaufsicht BaFin von Omega55 bis April 2008 detailliert berichtet. Das tat die HSH aber nicht, sie kündigte vielmehr vor dem vereinbarten Termin Teil-A.
Vorteil BNPP: Sie bürdete der HSH Risiken aus ihrem heiklen Kreditpaket über die Liquiditätsfazilität auf - 400 Millionen Euro. Das ist in etwa der Gegenwert des Passagierflugzeuges A380. Sie durfte wohl zudem bestimmen, wann sie den „400-Millionen-Dispo“ in Anspruch nehmen darf.
Vorteil HSH: Sie erhielt durch dieses 2,4 Milliarden Teilgeschäft die vermeintlich dringend benötigte Kapital-Entlastung in Teil-A, dazu eine Prämie.
Rechtslage:Ein vielschichtiges, aber legales Bankgeschäft. Einjährige Liquiditätsfazilitäten mussten 2007 nicht bilanziert und nicht mit Eigenkapital „unterlegt“ werden. Allerdings war Teil-B - sich jährlich verlängernd - auf insgesamt sieben Jahre terminiert (Teil-A auf weniger als vier Monate).
Kernprobleme beim Omega-Deal für die HSH
Die beiden Teilgeschäfte waren über zwei Nebenabreden miteinander verbunden - dem „side letter“ und „unwind letter“, wobei der „unwind letter“ der entscheidende war. In diesem garantierte die HSH der BNPP, bis zum 31.1.2008 auch Teil-B abzuschließen, sonst hätte die BNPP den Vertrag auf Kosten der HSH rückabwickeln dürfen. Durch diese Kopplung des A-Teils an den B-Teil soll die HSH zu jeder Zeit die Verlustrisiken aus ihrem 2-Milliarden-Kreditpool behalten haben. Denn die Mathias Ltd. hatte ja eine Art Abbild der HSH-Kredite an die Omega-Gesellschaft weitergeleitet. Die HSH wiederum gewährte der Omega Ltd. einen „Dispo“ in gleicher Höhe, bei dem es die BNPP in der Hand zu haben schien, wann sie ihn einlöst. Das aber bedeutete: Das wirtschaftliche Risiko der Kredite drehte sich über die Zweckgesellschaften im Kreis und landete über die Liquiditätsfazilität wieder bei der HSH.
Konnte Teil-A also trotz dieses Risikokreisels wirksam sein und sein Ziel erreichen? Zumal die HSH die Kreditversicherung zwischen ihrer Tochter und der BNPP schon nach drei Monaten kündigen wollte. Um eine rechtlich legale Entlastung zu erreichen, hätte die Versicherung ein Jahr bestehen müssen.
Bei Teil-B lag der von der Staatsanwaltschaft postulierte Knackpunkt für die HSH in der Bilanzierung der 400-Millionen-Euro-Liquiditätsfazilität für die komplexe Verbriefung, der STCDO - nicht in der Bilanzierung der 2-Milliarden-Liquiditätsfazilität für den Kreditpool. Die HSH bilanzierte die 400-Millionen falsch, so der Klagevorwurf. Statt die Fazilität anteilig zum jeweiligen Marktpreis der STCDO zu bewerten, stand sie stabil wie ein Kredit mit 400 Millionen Euro in den Büchern der HSH - und damit zu hoch. Denn der anteilige Wert der STCDO für die HSH lag im März 2008 bei nur noch 288 Millionen Euro. Die HSH hätte den Wert der Liquiditätsfazilität also nach unten korrigieren müssen, so hätten es die internationalen Rechnungslegungsstandards IFRS verlangt. Das aber tat die HSH in ihrer Quartals-Bilanz nicht. Deshalb wies sie zum 31.3.2008 einen Gewinn statt eines Verlustes aus.
Und noch etwas wog aus meiner Sicht schwer: Die Vorstände hatten mit der Liquiditätsfazilität für die von Anfang im Wert stark schwankende STCDO eine folgenreiche Zusicherung gegeben: Die HSH musste jederzeit in der Lage sein, der Omega Ltd. bis zu 400 Millionen zu überweisen, um die Wertänderungen der STCDO auszugleichen. Diesen Betrag hätte sich die HSH leihen müssen; ihre Zahlungsfähigkeit war seit Mitte 2007 aber extrem angespannt. Mit der STCDO im B-Teil wurde die ohnehin dramatische Liquiditätslage der Bank also zusätzlich verschärft.
Die Franzosen nahmen schließlich 2008 mehr als 300 Millionen Euro davon in Anspruch. Im November 2008 geriet die HSH auch deswegen in einen existenzbedrohenden Notstand, Berger trat zurück und die HSH bat Bund und Länder um Milliarden.
Untreue-Vorwurf der Staatsanwaltschaft
Die HSH-Vorstände sollen mit Omega55 bewusst ein zu hohes, wirtschaftliches Risiko eingegangen sein, das sie vorher nicht sorgfältig und gewissenhaft abgewogen hatten, weil sie sich nicht umfassend und banküblich über Chancen und Risiken, Widersprüche und Mängel in der Omega-Vorstandsvorlage informierten. Verstießen sie damit gegen ihre Sorgfaltspflichten als Geschäftsleiter und verursachten einen Vermögensschaden großen Ausmaßes?
Auf der nächsten Seite habe ich Omega55 gezeichnet - vereinfachend und wie ich es verstanden habe (einmal quer und einmal hochkant gestellt). Und was soll ich sagen: Es war ein irres Ding, dieses Omega55.
Anmerkungen:
[5] Das Dokument ist im Anhang wieder gegeben.
[6] RWA-Entlastungstransaktion, RWA=„Risk Weighted Assets“, Risikogewichtete Aktiva
[7] vergleiche Urteil LG Hamburg vom 9.7.2014, S. 293
[8] Diese Nebenabrede wurde im „side letter“/„non reliance letter“ formuliert.
Montag, 29. Juli 2013
Zweierlei war für diesen 2. Prozesstag angekündigt: Der frühere Vorstandschef Berger wollte sich zum Vorwurf der Staatsanwaltschaft äußern und die Große Strafkammer die Vorstände besser kennen lernen. Eigentlich eine unverfängliche Angelegenheit, offenbar aber nicht vor Gericht. Bevor Richter Marc Tully das Wort an den ersten Angeklagten gab, wies er sämtliche Besetzungsrügen vom Prozessauftakt zurück, weil sie unzulässig und unbegründet seien. Und auch das Ansinnen von Verteidiger Gatzweiler lehnte die Strafkammer ab, wonach die Schöffen vierzehn Fragen beantworten sollten. Dann war Hans Berger an der Reihe.
Hans Berger hatte das, was er der Großen Strafkammer sagen wollte, schriftlich vorbereitet. Eine halbe Stunde lang las der ehemalige Vorstandsvorsitzende der HSH Nordbank seine Gedanken vor - eine Rechtfertigungsschrift[9], gerichtet an das „Hohe Gericht“. Seine Stimme wirkte brüchig und leise, er selbst körperlich schmaler als zu seinen Amtszeiten. Berger trat im November 2008 zurück, nachdem er als HSH-Chef überraschend einen Verlust von mehr als 360 Millionen Euro bekanntgeben musste - vorrangig verursacht durch Omega55. Noch im September 2008 hatte Berger von einem hohen, zu erwartenden Gewinn gesprochen. Die HSH bat den Bund um Staatshilfe. Für Berger rückte der damalige Finanzvorstand und Mathematiker Dirk Jens Nonnenmacher nach.
In fünf Akten wies Berger nun jegliche Mitschuld und Verantwortung für das Geschäft Omega55zurück - und im Grunde auch für die desaströse Lage der HSH. Welche Verantwortung er als Vorstandsvorsitzender seiner Meinung nach trug, darauf ging er nicht ein.
Schwieriges Umfeld
Als erstes erklärte er die geschäftspolitischen Herausforderungen seit der Fusion der Landesbanken in Hamburg und Kiel im Juni 2003 zur HSH Nordbank und bis zu seinem Rücktritt Ende 2008. Die Politiker haben für 2008 den Börsengang gewollt, sagte er. Das hieß für die Vorstände: Die Bank musste viel Geld mit neuen Geschäften verdienen. Dafür sollte aber möglichst wenig eigenes Kapital eingesetzt werden, weil die HSH ohnehin wenig davon hatte und die Neugeschäfte schon zu viel Kapital banden. Verschärft wurde die Situation durch die Vorläufer der Finanzkrise. Sie griffen seit Jahresbeginn 2007 ungestüm nach der HSH. Ende 2007 versuchte der Vorstand dann vieles, um die rasch sinkenden Eigenkapitalbestände zu stärken - unter anderem durch Omega55.
Mit leicht bebender Stimme fügte Berger an: „Der Vorwurf, der Vorstand habe persönliche Ziele verfolgen wollen, ist völlig inakzeptabel.“
Unbeteiligt
Dann ging er auf das Finanzgeschäft selbst ein. Er sagte: „Ich war in keiner Weise an den Vorbereitungen von Omega55beteiligt.“ Das sei Sache von Kapitalmarktvorstand Joachim Friedrich und dem Immobilienvorstand Peter Rieck gewesen, aus dessen Ressort Kredite aus der Bilanz mithilfe von Omega55 teilweise ausgelagert wurden. Die hohen Bestände an Neugeschäften bei gleichzeitig schwacher Eigenkapitalausstattung war der „Öffentlichkeit nicht zu vermitteln“, erklärte sich Berger.
Von Nebenabreden nichts gewusst
Er sei auch nicht über wesentliche Absprachen mit der BNP Paribas, mit der Omega55abgeschlossen wurde, informiert gewesen. Den Brief, in dem die Nebenabreden zum Geschäft stehen, kannte er nicht, den so genannten „side letter“. In diesem Brief hatte die BNP Paribas entscheidende Bedingungen für den Deal gestellt
Nach internen Vorgaben gehandelt
Berger habe sich zudem an interne Vorgaben für solche Geschäfte gehalten. Demnach sieht die „Kompetenzrichtlinie“ der HSH vor, dass bei „Eilbeschlüssen“ - und Omega55war von Mitvorstand Peter Rieck als „Eilbeschluss“ ausgegeben worden - zwei Vorstandsunterschriften genügten. Damit galt der Beschluss als rechtsverbindlich genehmigt. Seine Unterschrift für die Freigabe des Geschäfts sei also gar nicht mehr nötig gewesen, sagte Berger, weil vor ihm bereits Immobilienvorstand Rieck und Risikovorstand Strauß unterschrieben hatten. Seine Unterschrift will Berger dann auch nur als „zur Kenntnisnahme“ verstanden wissen, mehr nicht. Er habe Omega55geprüft und für aufsichtsrechtlich in Ordnung befunden. Berger sagte auch, er konnte nicht sehen, dass die Risiken, die die BNP Paribas der HSH im A-Teil abnahm, im Teil-B von der HSH wieder zurückgenommen werden sollten. Für ihn sah es so aus, als seien die Risiken zwischen den Banken verteilt. Deshalb habe er das Risiko möglicher Verluste aus dem B-Teil als „vertretbar“ wahrgenommen.
Börsengang ahoi
Bei seinem gesamten Handeln habe er sich „von der Geschäftspolitik der Bank leiten lassen“, sagte Berger zum Schluss seiner Rede.
(Und die hieß bekanntlich: Hübsch machen für den Börsengang.)[10]
Vom Sparkassendirektor zum Vorstandschef
Bergers beruflicher Werdegang ist typisch für viele Vorstände der HSH Nordbank. Er lernte das Bankhandwerk bei der Landesbank Schleswig-Holstein, bildete sich intern im Sparkassennetzwerk weiter, wurde 1986 Vorstand der Sparkasse Kiel. Zehn Jahre später wechselte er in den Vorstand der Landesbank in Kiel, also dorthin, wo er einst gelernt hatte. Im Fusionsjahr 2003 übernahm er deren Vorsitz. Mit der Fusion wurde Berger stellvertretender Vorstandschef der HSH. 2007 rückte er an die Spitze. Nur ein Jahr später trat Berger zurück; er ist heute pensioniert.
Zusammengefasst war Hans Berger als Vorstandsvorsitzender der HSH also unbeteiligt an Omega55, er hat intern alles richtig gemacht, hat zur Kenntnis genommen, sich verlassen und Vorgaben der Politik umgesetzt. Selbstkritik hat der Ex-Banker am 2. Prozesstag damit nicht gezeigt.
Blog-Kommentar
31. Juli 2013 @10:50 von: bescheidwisser
Die Vermutung, dass Herr Berger nur zu gerne der erste Vorstandschef gewesen wäre, der eine Landesbank an die Börse bringt, liegt mE sehr nahe - und das wäre ja sicher auch mit persönlichen Vorteilen für ihn verbunden gewesen.
Wenn bei der Bearbeitung des Geschäfts eklatante Versäumnisse vorgekommen sind, dann trifft den Gesamtvorstand zumindest ein „Organisationsverschulden“, denn er ist für die Einrichtung des ordnungsgemäßen Geschäftsbetriebes zuständig und dafür verantwortlich.
Anmerkungen:
[9] vergleiche auch Urteil LG Hamburg, vom 9.7.2014, S. 291
[10] Die Anmerkungen der Autorin zu den Zeugenvernehmungen sind in runde Klammern gesetzt.
weiter Tag 2
Nach Hans Berger, der eine halbe Stunde lang erzählt hatte, warum er nicht verantwortlich zu machen sei für das Omega55-Geschäft, erteilte Richter Tully den anderen Angeklagten Redezeit.
Herausgekommen dabei: Keiner ist Schuld.
Reglos
Dirk Jens Nonnenmacher begann seine Selbstvorstellung mit seiner akademischen Karriere. 1989 erhielt er sein Diplom als Mathematiker, 1990 Promotion, drei Jahre später Habilitation. Forschung im In- und Ausland, 2003 Honorarprofessur in Heidelberg, dann Stationen bei der Dresdner Bank und DZ Bank. Im Oktober 2007 heuerte er bei der HSH an. Er sollte als Finanzvorstand den Börsengang umsetzen, 2008 wird er HSH-Vorstandsvorsitzender. 2011 trennte sich die Bank mit einer 4-Millionen-Euro-Abfindung von ihm. Er soll heute als selbständiger Berater sein Geld verdienen. Zum Anklagevorwurf nahm Nonnenmacher nicht direkt Stellung. Auch äußerlich war ihm keine Regung anzumerken - wie so oft. Aber er erklärte seine Aufgaben als damaliger Finanzvorstand: So sei er für das Finanz-Controlling, Rechnungswesen für Steuern und die Bewertung von Vermögenspositionen zuständig gewesen.
(Aus diesem Grund trifft ihn auch der Vorwurf der Bilanzfälschung der Staatsanwaltschaft. Nonnenmacher war nach seinem Aufgabenprofil als Finanzvorstand ressortzuständig für die Bilanzierung der HSH durch das Rechnungswesen und vertraut mit der Relevanz komplexer Verbriefungen wie in Omega55.)
Verbittert
Joachim Friedrich wurde als einziger emotional. Der gelernte Industriekaufmann hat sich über ein Betriebswirtschaftsstudium an der privaten Eliteuniversität EBS in Östrich-Winkel und ein Trainee-Programm bei der Investmentbank JP Morgan empor gearbeitet. Anschließend war er Global Head Fixed Income der DZ Bank. Als Kapitalmarktexperte fing er im Mai 2007 bei der HSH an. Im November 2009 wurde Friedrich entlassen. Der Manager unterhält heute eine eigene Firma.
Seine Entlassung, sagte Friedrich mit belegter Stimme, könne er immer noch nicht nachvollziehen und akzeptieren. Die Ermittlungen haben ihn zudem persönlich sehr belastet. Den Anklagevorwurf wies Friedrich strikt zurück. Er hatte „alle Informationen vorliegen, um eine verantwortliche Entscheidung zu treffen“. Für Friedrich war Omega55ein „vorteilhaftes, strategiekonformes und steuerbares Geschäft“. Deshalb halte er seine Unterschrift immer noch für richtig und verantwortlich - basierend auf seinem damaligen Kenntnis- und Wissensstand.
Gefehlt
Hartmut Strauß ist wie Hans Berger ein Landesbanker durch und durch. 1975 fängt er nach seinem BWL-Studium bei der NordLB eine Banklehre an, zwei Jahre später wechselt er zur Hamburgischen Landesbank, wird rasch Führungskraft und ist zuständig unter anderem für das Kreditrisikomanagement, die Revision, das Rechnungswesen. Im Jahr 2000 wird Strauß zum Vorstand für Luftfahrtfinanzierung und Leasing berufen. Nach der Fusion der Hamburgischen Landesbank mit der Landesbank Schleswig-Holstein im Jahr 2003 erhielt er den Posten des Finanz- und Risikovorstands, ab 2007 war er ausschließlich Risikovorstand. Krankheitsbedingt schied Strauß 2008 aus der HSH aus und ist seitdem im Ruhestand.
Auf den Anklagevorwurf ging der pensionierte Risikofachmann nicht direkt ein. Am Ende seiner Kurzvorstellung sagte er aber einen Satz, der aufhorchen ließ: Als HSH-Vorstand habe er „auch Fehlentscheidungen getroffen“.
Geschwiegen
Bernhard Visker und Peter Rieck sagten selbst nichts. Sie ließen ihre Verteidiger für sich reden. Das Verteidigerpaar Gaby Münchhalffen und Norbert Gatzweiler, das die Angeklagten vertritt, ist für seinen Stil bekannt, ihren Mandanten das Schweigen nahe zu legen.
Statt Bernhard Visker wandte sich also Verteidigerin Münchhalffen an das Gericht. Sie wies mit Nachdruck den Vorwurf der schweren Untreue zurück. Visker sei ein „sorgfältig handelnder Kaufmann, der seine Pflichten nicht verletzt und auch die HSH nicht geschädigt“ habe. Er habe weder „eigennützig noch vorsätzlich gehandelt“. Für Visker waren die Mängel in der Vorstandsvorlage „nicht erkennbar“, er war nicht ressortzuständig und er „konnte auf die Mitarbeiter vertrauen“. Viskers berufliche Vita stellte Verteidigerin Münchhalffen nicht vor. Wieso blieb unerwähnt.
Dabei ist Visker berufliche Vita unverfänglich. Gemäß Urteil und eigenen Recherchen begann Visker 1988 bei der Hamburgischen Landesbank eine Banklehre. Danach berufsbegleitendes Studium an der Universität of Wales. 2001 stieg er zum Stellvertreter Schiffsfinanzierungen auf und wurde 2003 Leiter Immobilien in der fusionierten HSH. Ab Januar 2007 rückte er in den Vorstand auf, zuständig für Firmen- und Immobilienkunden. Visker kündigte als Einziger der Angeklagten im August 2011 selbst. Heute ist er geschäftsführender Gesellschafter der Münchner ABG Unternehmensgruppe.
Nach Gaby Münchhalffen ergriff als Letzter Verteidiger Norbert Gatzweiler das Wort für seinen Mandanten Peter Rieck. Dem Vorwurf der Untreue trete Rieck mit Nachdruck entgegen, sagte er. „Die Anklageschrift verstelle den Blick auf die Tatsache, dass die Vorstände nicht eigennützig gehandelt haben, sondern als Angestellte der Länder“ mit dem Ziel, mit Wegfall der Gewährträgerhaftung die Liquidität der Bank sicherzustellen, sagte Gatzweiler. Riecks beruflicher Werdegang war dem Verteidiger ebenfalls wie bei Münchhalffen keine Erwähnung wert.
Rieck heuerte nach seinem BWL-Studium 1978 bei der Landesbank Schleswig-Holstein in Kiel an. 1995 Wechsel zur Investitionsbank Schleswig-Holstein. Nur drei Jahre später zog er an die Elbe und wurde stellvertretender Chef der Hamburgischen Landesbank. Nach der Fusion der Hamburgischen Landesbank mit der Landesbank Schleswig-Holstein blieb er Mitglied des Vorstands. 2007 wurde er stellvertretender Vorstandschef der HSH. Rieck wird gemeinsam mit Friedrich 2009 entlassen und betreibt seither in Hamburg eine Beraterfirma.
Stattliche Gehälter und Boni für die HSH-Crew
Es ist schon erstaunlich: Da werden sechs Männer als Vorstände berufen, die die Bankenaufsicht als vorstandsfähig einstuft und die für diesen Job fürstlich entlohnt wurden, aber keiner übernimmt Verantwortung für sein Handeln als Vorstand, wenn es darauf ankommt. Keiner übernimmt wenigstens im Nachhinein eine Teilschuld.
Im Krisenjahr 2007, ist im Geschäftsbericht 2008 zu lesen, erhielt der HSH-Vorstand mehr als 4,1 Millionen Euro feste Vergütung, dazu Tantiemen in Höhe von mehr als 3,6 Millionen Euro. Welche Vergütungen davon auf die Angeklagten entfiel, schlüsselte der Geschäftsbericht nicht auf.
zwischendrin
Das entscheidende Dokument im Verfahren ist die in Englisch gehaltene Vorstandsvorlage, die die Angeklagten unterschrieben und damit Omega55 genehmigten: die „credit application“[11]. Zu ihr gehörten eine Einschätzung der Abteilung Neue-Produkte-Neue-Märkte und ein Votum der Riskofachleute. In welcher Reihenfolge die Angeklagten diesen Kreditantrag genehmigten, ist ein wichtiges Detail im Verfahren - vor allem für die Verteidigungsstrategien der Anwälte.
Zwischen dem 17. und 20. Dezember 2007 haben die Angeklagten wie folgt gezeichnet:
1. Peter Rieck, Vorstand Immobilien, am 17. Dezember
er hat die Sache zum „Eilbeschluss“ erhoben
2. Hartmut Strauß, Risikovorstand, unterschrieb auch am 17.
3. Hans Berger, Vorstandschef, erhielt die Vorlage am 19.
4. Bernhard Visker, Vorstand Firmenkunden, ebenfalls am 19.
5. Dirk Jens Nonnenmacher, Finanzvorstand, ebenso 19.
als Letzter unterschrieb
6. Joachim Friedrich, Kapitalmarktvorstand, am 20. Dezember
Die Unterschriften in der Vorstandsvorlage.
Die Anklageschrift weist Joachim Friedrich als zuständigen Ressortvorstand für Omega55 und Peter Rieck als Ressortvorstand des betroffenen Bereiches Immobilien aus. Rieck war Vorstand für die Immobiliensparte, aus der die meisten Kredite für Teil-A stammten. Friedrich dagegen verantwortete die Kapitalmarktsparte. Seine Mitarbeiter hatten in London in der Financial Institutional Group (FIG) das Geschäft ausgearbeitet, in Abstimmung mit der Rechtsabteilung, dem Credit-Risk-Management, der Abteilung Neue-Produkte-Neue-Märkte (NPNM), dem Rechnungswesen, dem Accounting. Das heißt: Die zuständigen Ressortvorstände haben als erstes und als letztes unterschrieben.
Anmerkungen:
[11] Die Vorstandsvorlage im Anhang dieses Buches oder auf der Website zum Buch unter: http://drnounddieunschuldigen.de
Mittwoch, 31. Juli 2013
Als ersten Zeugen hat das Gericht den Mann geladen, der in der Londoner HSH-Niederlassung die Vorstandsvorlage für das im Zentrum der Anklage stehende Geschäft Omega55federführend koordiniert hat. Es ist der Bankkaufmann Marc S., 37 Jahre alt. Richter Tully betonte, dass gegen S. nicht ermittelt werde, und er die Wahrheit zu sagen habe.
Marc S. erschien in Bankermontur - dunkler Anzug, randlose Brille, blau-grün gestreifte Krawatte; ein Mann mit früh ergrauten Haaren und weichen Gesichtszügen. S. antwortete zögernd, wog seine Worte ab, sprach leise. Er hatte sich einen Rechtsbeistand mitgebracht, einen Anwalt. Mit seinen früheren Vorgesetzten vermied er Blickkontakt, obwohl er seitlich zu ihnen saß. Ein Verteidiger hatte das angeregt, dass die Zeugen den Angeklagten und Verteidigern nicht den Rücken zukehren, wenn sie der 8. Großen Strafkammer gegenüber sitzen, sondern dass sie seitlich Platz von ihnen nehmen.
Die Berufsrichter der Strafkammer: Volker Bruns, Marc Tully, Malte Wellhausen (v.l.)
Der Zeuge S. gab an, er habe 1998 bei der HSH eine Banklehre absolviert und sei im April 2006 zum Gruppenleiter der Niederlassung London befördert worden, der Financial Institutional Group FIG. Die erste Befragung von Marc S. führte der Vorsitzende Richter Marc Tully, unterstützt von Richter Volker Bruns. Ich gebe die Befragung im Folgenden nur in Auszügen, sinngemäß und zusammengefasst wieder:
Richter Marc Tully: An was erinnern Sie sich bei Omega55?
Marc S: Omega55war artverwandt mit einem Geschäft, das wir vorher gemacht hatten. Außerdem habe ich es als Neugeschäft eingestuft. Ungewöhnlich war, dass ich in London damit beauftragt wurde - von meinem Vorgesetzten Luis Marti Sanchez -, weil für Geschäfte, die das Eigenkapital der Bank entlasten sollten, eigentlich eine andere Abteilung zuständig war. (Eine Abteilung der HSH in Kiel.)Mit solchen Transaktionen hatte ich selten zu tun. Meine Aufgabe bei Omega55war die Vorlage für den Vorstand zu koordinieren und gemeinsam mit meinen drei Mitarbeitern den Analyse- und Bewertungsprozess zu steuern.
Omega55war 2007 auch nicht das einzige Eigenkapitalentlastende Geschäft. Wir hatten mehrere abzuarbeiten, wie „Ruby“, eine Transaktion mit der Investmentbank Lehman Brothers und „St. Pancras“ mit der Hypo Real Estate. Eigenkapital-Entlastungen waren ein sehr prominentes Thema zu dieser Zeit, und sie wurden regelmäßig am Ende eines Jahres vorgenommen.
Tully: Gab es allgemein die Aufgabe, nach Kapitalentlastungen zu suchen?
Marc S: Der Niederlassungsleiter in London, Sanchez, sollte Ausschau halten, wie man das Eigenkapital von Risiken entlasten könnte. Ich sollte mit meinem Team dabei helfen.
Tully: An wen hatte Marti Sanchez direkt zu berichten?
Marc S: Ich glaube an Kapitalmarktvorstand Friedrich, ich vermute das.
Tully: Wann ist Omega55ins Gespräch gebracht worden und wem oblag das Projektmanagement?
Marc S: Oktober 2007 war das. Es war aber keine Abteilung federführend. Es wurde bei uns verwaltet. Ich habe am Ende viel koordiniert, aber ohne offizielle Anweisung, das zu tun.
Tully: Omega55bestand aus zwei Teilen, Teil-A und Teil-B. Mit Teil-A hat die HSH Risiken an die BNP Paribas abgegeben und damit ihr Eigenkapital entlastet. In Teil-B wiederum hat die HSH Risiken von der BNP in die eigene Bilanz aufgenommen, ihr Eigenkapital also belastet. Worin liegt da die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit?
Marc S: Wenn die BNP Paribas Risiken abnimmt, zahlt die HSH dafür an sie eine Prämie (für Teil-A). Bei Teil-B ist es umgekehrt. Da zahlt Paribas eine Prämie an die HSH. Als Risikoversicherer ist die HSH aber Verlustrisiken ausgesetzt.
Bruns: Warum wurde Teil-A mit Teil-B verknüpft?
Marc S: Weil dieses Geschäft eine günstigere Risikoentlastung für die HSH war als andere Maßnahmen.
Tully: Haben die Vorstände während der Planungsphase über Omega gesprochen?
Marc S: Soviel ich weiß, gab es viele Telefonate zwischen meinem Vorgesetzten Marti Sanchez und Kapitalmarktvorstand Friedrich. Besonders besprochen wurde die Risikoentlastung, wie sie aufsichtsrechtlich zu bewerten sei. Das wurde in der Rechtsabteilung bearbeitet. Omega55 war ein prominentes, ambitioniertes Projekt in der HSH und es wurde immer wieder diskutiert, ob die Entlastung des Eigenkapital aus aufsichtsrechtlicher Sicht wirklich funktioniert. Wurde kontrovers diskutiert. Die Rechtsabteilung hat letztlich gesagt: Ja, es ist aufsichtsrechtlich eine Entlastung.
Tully: Wieso wurde die Abteilung Neue-Produkte-Neue-Märkte (NPNM) eingeschaltet?
Marc S: Das habe ich angestoßen, damit Omega55 abgebildet werden kann. Und es war auch immer von beiden Teilen die Rede, von Teil-A und Teil-B. Der Fokus von NPNM lag aber auf dem A-Teil, weil die Liquiditätsfazilität in Teil-B nichts Neues für die HSH war, kein neues Produkt.
Tully: Wann hat die Rechtsabteilung Omega55beurteilt?
Marc S: Soweit ich mich erinnere - Mitte Dezember. Wir haben immer kommuniziert, dass es bei Omega55Teil-A und Teil-B gibt. Für die Rechtsabteilung war das eine wesentliche Frage, ob das Rückholen von Risiken aufsichtsrechtlich okay ist. Das hat die zuständige Juristin Vera S. geprüft. Für mich war aber klar, dass Omega nicht nur die Bilanz entlastet, sondern auch belastet.
Tully: Ist das nicht ein inhärenter Widerspruch? Erst Entlastung von Risiken dann Belastung mit Risiken?