Dr. Norden Bestseller 79 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 79 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Elisabeth Thiel ist eine glückliche Frau. An der Seite ihres Mannes führt sie ein ausgefülltes Leben und ist ihrem Stiefsohn Torsten eine liebevolle Mutter. Als eines Tages ein Brief ihrer Freundin Maria aus Sydney kommt, scheint ihre Welt ins Wanken zu geraten. Maria ist krank und will auf die Insel der Hoffnung zur Kur kommen, ihre Tochter Cindy soll während dieser Zeit bei den Thiels bleiben. Elisabeth ist damit einverstanden, denn Maria ist ihre einzige Freundin. Cindy fügt sich problemlos in die Familie ein, und ihre Mutter fühlt sich auf der Insel der Hoffnung wohl, aber Dr. Fröhlich pfeifend betrat Torsten Thiel sein Elternhaus. In der Diele jedoch verstummte er jäh. »Hallo, Mutti, nicht zu Hause?« rief er verwundert, denn er war es gewohnt, daß sie zumindest den Kopf durch die Küchentür steckte, wenn er heimkam. »Doch, ich bin da, Torsten«, kam vom Obergeschoß die Antwort, aber Elisabeth Thiels Stimme klang anders als sonst. »Ich komme gleich.« Torsten war besorgt. Daß Elisabeth nicht seine richtige Mutter war, hatte keine Bedeutung für ihn. Er hing mit zärtlicher Liebe an der schlanken blonden Frau, die nun langsam die Treppe herabstieg. Besorgt betrachtete er sie, und seinem klaren, aufmerksamen Blick konnte es nicht entgehen, daß sie geweint hatte. »Was ist denn, Mutti?« fragte er erschrocken. »Fühlst du dich nicht wohl?

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Dr. Norden Bestseller – 79 –

Ein Mädchen kam aus Übersee

Patricia Vandenberg

Elisabeth Thiel ist eine glückliche Frau. An der Seite ihres Mannes führt sie ein ausgefülltes Leben und ist ihrem Stiefsohn Torsten eine liebevolle Mutter. Als eines Tages ein Brief ihrer Freundin Maria aus Sydney kommt, scheint ihre Welt ins Wanken zu geraten. Maria ist krank und will auf die Insel der Hoffnung zur Kur kommen, ihre Tochter Cindy soll während dieser Zeit bei den Thiels bleiben.

Elisabeth ist damit einverstanden, denn Maria ist ihre einzige Freundin. Cindy fügt sich problemlos in die Familie ein, und ihre Mutter fühlt sich auf der Insel der Hoffnung wohl, aber Dr. Cornelius macht bei ihr eine erstaunliche Entdeckung…

Fröhlich pfeifend betrat Torsten Thiel sein Elternhaus. In der Diele jedoch verstummte er jäh.

»Hallo, Mutti, nicht zu Hause?« rief er verwundert, denn er war es gewohnt, daß sie zumindest den Kopf durch die Küchentür steckte, wenn er heimkam.

»Doch, ich bin da, Torsten«, kam vom Obergeschoß die Antwort, aber Elisabeth Thiels Stimme klang anders als sonst. »Ich komme gleich.«

Torsten war besorgt. Daß Elisabeth nicht seine richtige Mutter war, hatte keine Bedeutung für ihn. Er hing mit zärtlicher Liebe an der schlanken blonden Frau, die nun langsam die Treppe herabstieg. Besorgt betrachtete er sie, und seinem klaren, aufmerksamen Blick konnte es nicht entgehen, daß sie geweint hatte.

»Was ist denn, Mutti?« fragte er erschrocken. »Fühlst du dich nicht wohl? Komm, setz dich, ich rufe gleich Dr. Norden an.«

An diesem Tag, in diesem Augenblick empfand sie seine Zuneigung, seine Besorgtheit mit doppelter Rührung. Ihr Herz begann noch dumpfer, noch angstvoller zu klopfen.

»Ich habe eine schlechte Nachricht bekommen«, sagte sie bebend. »Der Mann von meiner Freundin Maria ist gestorben, und sie selbst scheint auch sehr krank zu sein.«

Torsten wußte von dieser Freundin Maria, die mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Australien lebte. Sie war eine Jugendfreundin von Elisabeth. Persönlich kennengerlernt hatte er sie nie, aber da regelmäßig Briefe getauscht wurden, war sie auch ihm irgendwie vertraut. Er fand es bewundernswert, daß eine Freundschaft so lange hielt, wenn man sich so viele Jahre nicht gesehen hatte.

Nachdenklich stimmte es ihn allerdings, daß Elisabeth so erschüttert war, als hätte sie einen nahen Angehörigen verloren. Allerdings spielte bei dieser Regung auch eine gewisse Eifersucht mit, denn Torsten war genauso eifersüchtig wie sein Vater auf alles, was neben ihnen einen Platz in Elisabeths Herzen einnehmen könnte. Die Freundin Maria Peel im fernen Australien war nur deshalb akzeptiert worden, weil sie persönlich nie in Erscheinung trat.

Elisabeth ging in die Küche. »Du bekommst dein Essen gleich, Torsten«, sagte sie tonlos.

»Das ist doch nicht so wichtig, Mutti. Ich mag es nicht, wenn du traurig bist.«

Das klang trotzig.

Torsten war vierundzwanzig, hochgewachsen, breitschultrig und eigentlich schon sehr männlich wirkend, aber manchmal war er eigensinnig wie ein kleiner Junge, so eigensinnig, wie er schon als Sechsjähriger gewesen war. Elisabeth hatte nicht vergessen, daß sie es ihm zu verdanken hatte, daß sie seit siebzehn Jahren an der Seite Reinhard Thiels ein glückliches Leben führen konnte, daß sie von Vater und Sohn gleichermaßen geliebt wurde. Aber Torsten war es gewesen, der diese Heirat zustande gebracht hatte.

Torstens Mutter, die exzentrische Frau des jungen Industriellen Reinhard Thiel war mit ihrem Sportflugzeug tödlich verunglückt, als Torsten drei Jahre alt war. Sehr attraktiv war Ina gewesen, sehr abenteuerlustig, nie zufrieden mit dem Leben als Ehefrau und Mutter. Reinhard Thiel hätte sich wohl niemals zu einer zweiten Ehe entschlossen, wenn Torsten nicht sein Herz an die junge Lehrerin Elisabeth Schenk verloren hätte, als er zur Schule kam.

Er war ein ebenso scheuer wie bockiger kleiner Junge gewesen, der von seiner sehr strengen Großmutter mütterlicherseits erzogen worden war, die auch nie gestattet hätte, daß er in eine Schule mit Proletarierkindern gebracht worden wäre. Zu Torstens Glück, anders konnte man es leider nicht sagen, starb sie sehr plötzlich nach einem Schlaganfall. Torsten kam also doch in die Volksschule, aber er fand keinen Kontakt zu den Mitschülern.

Er war nie mit anderen Kindern in Berührung gekommen und außerdem viel weiter als seine Mitschüler und langweilte sich während des Unterrichts.

Elisabeth, gerade erst in den Lehrdienst übernommen, nahm sich des kleinen Außenseiters besonders an, der oft gehänselt wurde, weil er so korrekt gekleidet war. Sie sprach auch darüber mit seinem Vater, den sie als einen recht unzugänglichen Mann kennenlernte.

Aber Torstens Zuneigung zu ihr wurde immer stärker, und so eigensinnig und beharrlich wie er war, verstand er auch das Interesse seines Vaters an dieser jungen Lehrerin zu wecken.

Reinhard Thiel wollte Elisabeth schließlich dazu überreden, ihren Beruf aufzugeben und die Rolle der Hausdame bei ihm zu übernehmen. Dem widersprach sie. Dann erkrankte Torsten plötzlich schwer und verlangte nur nach ihr.

Dr. Friedrich Norden, Daniel Nordens Vater, hatte den kleinen Jungen betreut und war der Überzeugung, daß sein labiler Zustand auf psychische Störungen zurückzuführen sei.

Die Sommerferien kamen. Elisabeth erklärte sich auf Bitten des Jungen bereit, diese mit ihm im Ferienhaus am Gardasee zu verbringen. Und schließlich kam alles so, wie Torsten es sich gewünscht hatte.

Reinhard Thiel und Elisabeth Schenk entdeckten ihre Liebe zueinander und heirateten. Von diesem Tag an gab es keine Schwierigkeiten mehr mit Torsten, obgleich Elisabeth dann nicht mehr seine Lehrerin war. Sie bezogen ein neues Haus, er kam in eine andere Schule, er hatte Eltern wie andere Kinder auch, der Schatten seiner strengen Großmutter war gebannt. Und Reinhard Thiel war ein vollkommen glücklicher Mann geworden.

Sie führten kein großes Haus, wie es zu Inas Lebzeiten gewesen war, Elisabeth blieb bescheiden. Sie hatte täglich zwar eine Haushaltshilfe, eine schon ältere Frau, die gern kam, weil sie gut behandelt wurde und fleißig war. Elisabeth kochte selbst für ihre beiden Männer, und sie führten ein überaus harmonisches Leben, das Elisabeth mit der Zeit auch vergessen ließ, was einst ihre Jugend überschattet hatte. In ihrem Leben gab es ein Geheimnis, das sie Reinhard nicht gestehen wollte.

Siebzehn Jahre waren sie nun verheiratet und unendlich glücklich.

*

»Bitte, Mutti, iß doch auch«, sagte Torsten, »sonst schmeckt es mir nicht. Wenn deine Freundin jetzt Hilfe braucht, wird Vati dazu doch gern bereit sein.«

»Sie war so glücklich mit John«, sagte Elisabeth leise. »Sie waren zwanzig Jahre verheiratet. Finanzielle Sorgen wird sie kaum haben. Sie macht sich Gedanken um Cindy, weil sie fürchtet, daß sie auch sterben könnte.«

Torsten blickte auf. »Wie alt ist Cindy eigentlich?« fragte er.

»Zwanzig«, erwiderte Elisabeth.

»Dann ist sie doch kein kleines Kind mehr.«

»Ihr scheint das Klima in Australien nicht zu bekommen.«

»Was hindert sie, das zu ändern?« fragte Torsten. »Ich würde auch nicht gern in Australien leben. Vielleicht sollten sie nach Europa kommen. Deine Freundin ist doch gebürtige Deutsche, soviel ich weiß. Vielleicht hat sie Heimweh.«

Torsten war völlig unbefangen. Er konnte nicht ahnen, was Elisabeth bewegte.

»Ihr kennt euch schon sehr lange«, sagte er beiläufig.

»Von Kindheit an«, erwiderte Elisabeth. »Unsere Eltern waren Nachbarn. Wir spielten zusammen, wir gingen zusammen zur Schule, wir verbrachten auch ein Jahr als Au-pair-Mädchen in England. Dort lernte Maria ihren John kennen und lieben, und sie heirateten bald.«

Soviel hatte sie noch nie von Maria gesprochen. Torsten sah sie so intensiv an, daß ihr das Blut in die blassen Wangen stieg.

»Ich bin sehr froh, daß du keinen John kennen- und liebengelernt hast, Mutti«, sagte Torsten. »Was wäre aus uns geworden, wenn wir dich nicht gefunden hätten?«

Elisabeth traten Tränen in die Augen. Sie dachte an den kleinen Jungen, der sich so sehr nach Mutterliebe gesehnt hatte. Cindy war vom ersten Tage ihres Lebens an von Maria so sehr geliebt worden. Sie hatte nie vermissen müssen, was Torsten von Geburt an gefehlt hatte.

Freilich hatte Reinhard seinen Sohn geliebt, aber was konnte ein Mann schon mit einem Baby anfangen, ein Mann, der ein Erbe übernommen hatte, das auf wackligem Fundament stand, das eine starke Hand und vollen Einsatz brauchte.

Jetzt sah alles anders aus. Reinhard leitete ein gesundes Unternehmen, er nahm sich auch Zeit für das Familienleben, und es war eine Ausnahme, daß er mal ein paar Tage geschäftlich auswärts war. Gerade jetzt.

»Maria hat mir ein Bild von Cindy geschickt«, sagte Elisabeth leise. »Sie ist so zart.«

»Zeig es mir doch mal, Mutti«, bat Torsten. »Ich kenne ja dein mitfühlendes Herz.«

Elisabeth holte das Bild. Sie betrachtete es nochmals lange, bevor sie sich dann zu Torsten auf die Terrasse setzte, auf der man schon die warme Frühlingssonne genießen konnte.

Sie reichte ihm die Fotografie, die ein junges Mädchen im weißen Kleid, das auf einer Wiese saß, darstellte.

»Das ist ja noch ein rechtes Krischperl«, sagte Torsten, »noch ein halbes Kind. Sieht nicht aus wie zwanzig.«

»In drei Monaten wird sie zwanzig«, sagte Elisabeth leise. »Es war ein heißer Sommertag. Ich war mit Maria im Kino. Wir haben uns den Film Cinderella angeschaut, da kamen die Wehen. Ein paar Wochen zu früh.«

»Du kannst dich aber genau erinnern«, sagte Torsten erstaunt.

Elisabeth schrak zusammen. »Ja, das vergißt man nicht. Wir haben sie dann Cindy genannt.«

Eine lange Pause trat ein. »Und wann hast du das Kind zum letzten Mal gesehen, Mutti?« fragte Torsten.

»Cindy war drei Monate, als Maria und John mit ihr nach Australien gingen.«

Er stand auf und legte seinen Arm um sie. »Und du bist Mutter von einem Schuljungen geworden«, scherzte er. »Ich bin froh, daß ihr euch keine weiteren Kinder angeschafft habt. Ich wäre schrecklich eifersüchtig gewesen.«

Er drückte ihr einen zärtlichen Kuß auf die Wange. »Nun lachst du aber wieder«, sagte er. »Wollen wir auch ins Kino gehen, damit du auf andere Gedanken kommst?«

»Nein, Torsten, vielleicht kommt Hardy doch früher zurück.«

»Und er wäre schön enttäuscht, wenn er nicht gebührend empfangen würde. Na, dann werde ich mich mal wieder auf die Hosen setzen und fürs Examen lernen.«

»Und ich muß noch ein paar Besorgungen machen.« Elisabeth stand rasch auf. So rasch, daß die Fotografie zu Boden fiel. Torsten bückte sich, betrachtete sie nochmals.

»Niedlich«, sagte er, »und so blond wie du. Aber Fotografien können ja täuschen.«

*

Elisabeth hatte ihre Besorgungen schnell erledigt. Den ersten Spargel hatte sie erstanden, noch reichlich teuer, aber Reinhard aß Spargel so gern, auf kernigem Schinken, mit neuen Kartoffeln und Butter.

Auch in den siebzehn Jahren sorglosen Lebens war Elisabeth sparsam geblieben. Sie hatte Reinhard Thiel nicht geheiratet, um sich ein sorgloses Leben zu verschaffen. Sie hatte ihn wegen Torsten geheiratet, und die Liebe war von selbst gekommen, gewachsen und immer stärker geworden, bei ihm wie auch bei ihr. Nicht nur er mußte mit Erinnerungen fertig werden, auch sie mußte es.

»Ich bin froh, daß du keinen John kennen- und liebengelernt hast«, klangen Torstens Worte in ihren Ohren, und wieder begann ihr Herz dumpf zu schlagen. »Ich bin froh, daß ihr euch keine weiteren Kinder angeschafft habt. Ich wäre schrecklich eifersüchtig gewesen.« Auch das hatte Torsten gesagt. Und sie hätte so gern ein Kind von Reinhard gehabt, von dem Mann, an dessen Seite ihr so bewußt geworden war, was wahre Liebe bedeutete.

Aber setzte wahre Liebe nicht auch völliges Vertrauen voraus?

Reinhard hatte über Ina nie gesprochen. Es sollte vergessen sein, hatte er gesagt, als sie seine Frau wurde.

»Wir beginnen ein neues Leben, Liz. Torsten bekommt die Mutter, die er sich gewünscht hat, ich die Frau, mit der ich alt werden möchte.«

All dies ging ihr durch den Sinn, als sie durch die Straßen fuhr. Und dann war sie bestürzt, als sie vor dem Hause hielt, in dem sich Dr. Nordens Praxis befand. Sie hatte doch gar nicht vorgehabt, ihn aufzusuchen.

Sie war nicht krank. Sie war nur traurig. Nur? Ihre Seele befand sich in einem Zwiespalt, war zerrissen und von Schmerz erfüllt.

Marias Worte standen vor ihren Augen. Der Gedanke, daß Cindy ganz allein zurückbleiben könnte, läßt mich nicht mehr ruhig schlafen. John hat sie so sehr geliebt, und ich habe jetzt nur noch sie. Ich habe nie gedacht, daß auch ich einmal früh sterben könnte, Betty, aber Johns früher Tod hat mich aus dem Gleichgewicht gebracht. Mir wäre wohler, wenn Cindy einen Mann zur Seite hätte, der ihr Halt gibt, aber sie schaut keinen Mann an, weil keiner so ist wie John, wie ihr geliebter Daddy. Ich wünsche mir so sehr, Dich noch einmal zu sehen, mit Dir sprechen zu können, zu erleben, daß Cindy Dir Zuneigung entgegenbringt, damit sie einen Menschen hat, der sie liebt, sollte auch ich von ihr genommen werden. Du hast mir viel gegeben, viel mehr, als man mit Worten sagen kann, Betty. Es ist so gut für mich zu wissen, daß du glücklich geworden bist.

Elisabeth hatte den Brief so oft gelesen, daß sich ihr jedes Wort eingeprägt hatte.

Ja, mit Dr. Friedrich Norden hätte sie über alles, was sie bewegte, sprechen können. Aber würde sein Sohn dies auch verstehen?

Mit Daniel Norden waren sie nicht so vertraut wie mit seinem Vater. Sie brauchten selten einen Arzt. Mehr als eine heftige Erkältung oder als eine Magenverstimmung gab es im Hause Thiel nicht zu behandeln. Torsten war ein sehr kräftiger und widerstandsfähiger junger Mann geworden. Der labile kleine Junge, den Dr. Friedrich Norden behandelt hatte, hatte sich prächtig entwickelt.

Aber von Friedrich Norden war etwas geblieben, woran sich Elisabeth an diesem Tage insgeheim klammerte. Die Insel der Hoffnung!

Vielleicht konnte Maria dort Genesung finden und so Cindy erhalten bleiben. Vielleicht war es auch bei ihr nur seelischer Kummer, hervorgerufen durch Johns Tod, der so düstere Ahnungen in ihr erzeugte.

Noch ein paar Minuten überlegte Elisabeth, dann stieg sie aus dem Wagen.

Wenig später betrat sie Dr. Daniel Nordens Praxis.

Loni, die Praxishelferin, blickte Elisabeth erstaunt an. Sie kannte zwar den Namen, aber persönlich war Elisabeth Thiel noch nie hier erschienen.

»Sie haben Glück, Frau Thiel«, sagte Loni. »Jetzt ist gerade der letzte Patient drinnen, und dann wollte Dr. Norden gleich Krankenbesuche machen. Er wird gleich fertig sein.«

Und da kam er schon heraus, groß, schlank, verwirrend attraktiv, was Elisabeth immer daran gehindert hatte, von ihm so viel Menschlichkeit zu erwarten, wie

Friedrich Norden sie vermittelt hatte.

»Frau Thiel!« Auch Daniel Norden war überrascht. Er verabschiedete den letzten Patienten und wandte sich nun ganz ihr zu.

»Wo fehlt es?« fragte er.

»Mir fehlt eigentlich gar nichts«, erwiderte Elisabeth leise. »Ich hätte Sie gern wegen meiner Freundin gesprochen, die in Australien lebt.«

Hoffentlich erwartet man von mir nicht einmal wieder eine Ferndiagnose, dachte Daniel. Aber die Thiels hatte er sozusagen auch als Erbe seines Vaters übernommen, von dem er auch wußte, wie es zu dieser Heirat gekommen war. Damals war Daniel selbst noch ein Junge gewesen, der seine Mutter früh verloren hatte.

Aber Daniel war ein guter Arzt geworden, er hatte sich seinen Vater zum Vorbild genommen, und er war auch ein glücklicher Ehemann und Vater geworden.

»Ich mache mir Sorgen um meine Freundin Maria«, begann Elisabeth stockend. »Sie hat ihren Mann verloren und scheint ziemlich krank zu sein. Ich dachte mir, daß man ihr vielleicht auf der Insel der Hoffnung helfen könnte.«

»Dazu müßte man erst wissen, was ihr fehlt«, sagte Dr. Norden.

»Sie hat mir darüber nichts geschrieben, nur so düstere Zukunftsgedanken geäußert. Sie war sehr glücklich verheiratet, und es hat sie bestimmt tief getroffen, ihren Mann so früh zu verlieren.«

»Wenn Ihre Freundin die weite Reise unternehmen will, stünde bestimmt nichts im Wege, eine Kur auf der Insel zu machen, Frau Thiel. Das könnten Sie ihr mitteilen.«

»Ich werde es Maria schreiben«, sagte Elisabeth leise. »Es geht ja auch um Cindy.«

Dr. Norden schien es, als wollte sie mehr sagen, aber Elisabeth blickte zu Boden.

»Sie können Ihrer Freundin auch einen Prospekt schicken«, sagte Daniel. »Ich gebe Ihnen einen mit. Sonst brauchen wir ja keine Reklame mehr, aber in Australien kann man sich wohl doch keine Vorstellung von der Insel der Hoffnung machen.«

»Ich wäre sehr froh, wenn Maria sich entschließen könnte zu kommen«, sagte Elisabeth stockend. »Wir kennen uns seit unserer Kindheit, aber wir haben uns viele Jahre nicht gesehen.«

»Es ist schön, wenn eine Freundschaft dennoch so lange hält«, sagte Dr. Norden.

»Ja, wir sind immer brieflich in Verbindung geblieben«, sagte Elisabeth leise. »Es liegt mir sehr viel daran, daß Cindy die Mutter erhalten bleibt. Ich werde Maria bitten zu kommen. Einstweilen vielen Dank, Herr Dr. Norden.«

Daniel blickte ihr gedankenverloren nach. Er hielt sehr viel von treuen Freundschaften, aber etwas merkwürdig berührte ihn Elisabeth Thiels Besuch doch. Warum, das hätte er zu dieser Stunde allerdings nicht zu sagen vermocht.

*

Kaum war Elisabeth wieder daheim angelangt, fuhr auch schon ein Taxi vor, das Reinhard Thiel vom Flughafen heimbrachte.

Elisabeth zögerte nicht, ihm entgegenzugehen. Sie hatte jetzt auch keine verweinten Augen. Und sie hörte auch schon, wie Torsten aus seinem Zimmer gestürmt kam.

Reinhard Thiel nahm seine Frau in die Arme und küßte sie innig. Seine Ähnlichkeit mit Torsten war frappierend, nur war er ein ganzes Stück kleiner als sein Sohn. Sein Haar war genauso dunkel und nur an den Schläfen leicht ergraut. Ein bißchen müde sah er aus, aber seine dunklen Augen leuchteten.

»Ich komme früher, aber ihr seid da«, sagte er mit seiner ruhigen, tiefen Stimme.

»Ich wollte Mutti verführen, mit mir ins Kino zu gehen, aber sie hat geahnt, daß du schon heute kommen würdest«, sagte Torsten.

»Spargel habe ich gekauft, aber zubereiten muß ich ihn noch«, meinte Elisabeth, um gar keine anderen Gedanken aufkommen zu lassen.

»Ach was«, sagte Reinhard, »du gehst jetzt nicht in die Küche. Den Spargel können wir morgen auch noch essen.«

»Aber du wirst doch Hunger haben«, sagte sie.

»Ich bin wunschlos glücklich, wieder daheim zu sein«, erwiderte er. »Liebes, du schaust ein bißchen angegriffen aus.«

»Du auch«, wollte Elisabeth schnell ablenken, doch Torsten sagte: »Mutti hat schlechte Nachrichten aus Australien bekommen.«

Man war es gewohnt, sich wirklich alles zu sagen, und Torsten hatte an diesem Nachmittag auch viel nachgedacht, weil diese Nachricht seiner Mutti so nahegegangen war.

Reinhard legte seine Hände um Elisabeths Gesicht und hob es zu sich empor. »Schlechte Nachrichten von Maria?« fragte er.

»John ist plötzlich gestorben«, entgegnete sie leise. »Ich bin froh, daß du wieder daheim bist.«