Dr. Norden Bestseller 99 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 99 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

0,0

Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Zweimal im Jahr kam Ellen Laskill nach München, um sich einer gründlichen Kontrolluntersuchung zu unterziehen. Da wurden dann die drei befreundeten Ärzte Dr. Norden, Dr. Leitner und Dr. Behnisch bemüht, und das hatte ganz persönliche Gründe. Ellen war bis vor drei Jahren eine berühmte Schauspielerin gewesen. Dann erkrankte sie nach einer Orientreise an einer schweren infektiösen Hepatitis. Dr. Norden hatte die erste Diagnose gestellt. Dann wurde es noch aufregender, denn die sehr gründliche, gewissenhafte Untersuchung ergab, daß Ellen auch ein Myom hatte. Vier Monate schwebte Ellen zwischen Leben und Tod, und die zarte Frau hatte es nur dem Bemühen der drei Ärzte zu verdanken, daß sie immer wieder neuen Lebensmut schöpfte und schließlich auch wieder gesund wurde. Während dieser schweren Monate hatte sie eine ganz andere Einstellung zum Leben bekommen. Erfolg und Ruhm bedeuteten ihr nichts mehr. Es fiel ihr nicht mehr schwer, auf ihren Beruf zu verzichten. Während der langen Krankheit hatte sie erfahren müssen, wie wenige Freunde es in der Not gab, wie selten diejenigen, die sich als ihre besten Freunde bezeichnet hatten, Zeit für einen Besuch am Krankenbett fanden, ja, wie manche sogar wünschten, daß sie lange fernblieb: die Konkurrentinnen, die Kolleginnen gewesen waren. Aber Ellen hatte andere Freunde gefunden, nämlich diese drei Ärzte, die auch dazu beitrugen, daß sie den Weg in ein anderes, neues Leben fand. Und dann war da auch noch der berühmte Fernsehautor Roger Bernet, der sich als ein ehrlicher Freund erwies und ihr den Vorschlag machte, mit ihm zusammenzuarbeiten. Finanziell war Ellen abgesichert, aber ein untätiges Faulenzerleben hätte sie nicht zu führen vermocht. Roger Bernet besaß ein Haus in den Bergen, und er besorgte für Ellen eines ganz in der Nähe. Sie konnten sich treffen und miteinander arbeiten, wenn sie Lust dazu verspürten, sie konnten sich aus dem Wege gehen, wenn jeder seinen eigenen Gedanken nachhängen wollte.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 150

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Dr. Norden Bestseller – 99 –

Sie trug sein Bild in ihrem Herzen

Patricia Vandenberg

Zweimal im Jahr kam Ellen Laskill nach München, um sich einer gründlichen Kontrolluntersuchung zu unterziehen. Da wurden dann die drei befreundeten Ärzte Dr. Norden, Dr. Leitner und Dr. Behnisch bemüht, und das hatte ganz persönliche Gründe.

Ellen war bis vor drei Jahren eine berühmte Schauspielerin gewesen. Dann erkrankte sie nach einer Orientreise an einer schweren infektiösen Hepatitis.

Dr. Norden hatte die erste Diagnose gestellt. Dann wurde es noch aufregender, denn die sehr gründliche, gewissenhafte Untersuchung ergab, daß Ellen auch ein Myom hatte.

Vier Monate schwebte Ellen zwischen Leben und Tod, und die zarte Frau hatte es nur dem Bemühen der drei Ärzte zu verdanken, daß sie immer wieder neuen Lebensmut schöpfte und schließlich auch wieder gesund wurde.

Während dieser schweren Monate hatte sie eine ganz andere Einstellung zum Leben bekommen. Erfolg und Ruhm bedeuteten ihr nichts mehr. Es fiel ihr nicht mehr schwer, auf ihren Beruf zu verzichten. Während der langen Krankheit hatte sie erfahren müssen, wie wenige Freunde es in der Not gab, wie selten diejenigen, die sich als ihre besten Freunde bezeichnet hatten, Zeit für einen Besuch am Krankenbett fanden, ja, wie manche sogar wünschten, daß sie lange fernblieb: die Konkurrentinnen, die Kolleginnen gewesen waren.

Aber Ellen hatte andere Freunde gefunden, nämlich diese drei Ärzte, die auch dazu beitrugen, daß sie den Weg in ein anderes, neues Leben fand. Und dann war da auch noch der berühmte Fernsehautor Roger Bernet, der sich als ein ehrlicher Freund erwies und ihr den Vorschlag machte, mit ihm zusammenzuarbeiten.

Finanziell war Ellen abgesichert, aber ein untätiges Faulenzerleben hätte sie nicht zu führen vermocht.

Roger Bernet besaß ein Haus in den Bergen, und er besorgte für Ellen eines ganz in der Nähe. Sie konnten sich treffen und miteinander arbeiten, wenn sie Lust dazu verspürten, sie konnten sich aus dem Wege gehen, wenn jeder seinen eigenen Gedanken nachhängen wollte. An intime Beziehungen dachten sie nicht, obgleich sie viel gemeinsam hatten.

Ellen hatte aus einer kurzen glücklosen Ehe eine Tochter, die jetzt zwanzig Jahre alt war. Während Ellen fast ausschließlich für ihren Beruf lebte, war Vicky bei ihrem Vater in England aufgewachsen. Er war ein bekannter Dirigent, und Vicky wurde der Fürsorge seiner Mutter überlassen. Die Granny hatte ihr Vater und Mutter ersetzt, doch vor drei Jahren war sie dann gestorben. Vicky kam in ein Internat, da Ellen zu dieser Zeit gerade so schwer erkrankte und Kevin Brown eine neue Ehe mit einer jungen Frau einging.

Vicky hatte weder für ihren Vater, noch für ihre Mutter viel übrig, aber Ellen hatte sich dann sehr bemüht, den Weg zum Herzen ihrer Tochter zu finden, und halbwegs war ihr das auch gelungen, obgleich Vicky zu einer sehr selbstbewußten jungen Dame herangewachsen war.

Sie besuchte ihre Mutter jetzt öfter, da sie in München studierte.

Roger Bernet war auch verheiratet gewesen, und er hatte einen Sohn Christopher, der jetzt fünfundzwanzig Jahre alt war. Christopher hatte seine Mutter gar nicht gekannt. Sie war bei seiner Geburt gestorben. Roger hatte sie sehr geliebt, und er hatte nicht wieder geheiratet. Es wurde später zwar über manche Romanze in seinem Leben berichtet, aber Roger selbst erklärte, daß alles maßlos übertrieben würde. Zu seinem Sohn, der bereits ein recht bekannter und sehr aktiver Journalist geworden war, hatte er ein außerordentlich gutes Verhältnis, Vicky und Christopher hatten sich angefreundet.

Dr. Daniel Norden und seine Frau Fee wußten dies alles. Obgleich Ellen nur zweimal im Jahr nach München kam, standen sie in telefonischer Verbindung.

Aber nun war Ellen mal wieder da, und nach den Untersuchungen, die glücklicherweise zufriedenstellend verliefen, gab es einen langen Plausch mit Fee Norden, und Ellen konnte sich an deren drei reizenden Kindern freuen.

»Ich werde jetzt Fernsehspiele und Hörspiele für Kinder schreiben«, erklärte Ellen. »Eure drei Schätze haben mir Anregungen dafür gegeben. Roger hat sich derzeit auf Krimis verlegt, und das macht mir keinen Spaß. Aber jetzt müßt ihr mich unbedingt mal besuchen, Fee. Das Haus ist groß genug, und ihr werdet doch mal ein paar Tage Urlaub machen können so zwischendurch. Ich kümmere mich um die Kinder, und ihr könnt euch erholen. Es würde mich so sehr freuen«, fügte sie hinzu.

Und so kam es denn tatsächlich auch dazu, daß Dr. Norden mal für drei Tage seine Praxis schloß.

»Katzenbuckel«, hatte Ellen ihr Haus getauft, weil es an einem Hang lag, der wie ein Katzenbuckel aussah. Hier hatte sie auch ihren Humor wiedergefunden, der ihr während der langen Krankheit abhanden gekommen war.

Als sie an einem sonnigen Märztag ihre Gäste mit den Worten empfing, daß dies der schönste Tag für sie sei, seit sie hier lebe, konnte man es ihr glauben.

Ihre schönen Augen strahlten und schimmerten doch gleichzeitig feucht. Für die Norden-Kinder Danny, Felix und Anneka war sie längst die Tante Ellen, die nie vergaß, ihnen was Hübsches zu den diversen Festen zu schicken. Und die drei Kleinen fanden das Haus wunderschön, und noch herrlicher fanden sie es, als das behäbige Roserl mit knallroten Wangen aus der Küche kam und ihnen sogleich einen herrlichen Pudding zum Empfang präsentierte.

Ja, man konnte sich hier wohl fühlen.

Vom großen rustikal eingerichteten Wohnraum mit riesigem Fenster hatte man einen traumhaft schönen Blick auf die Gebirgskette, die noch in einen silbrigschimmernden Schneemantel eingehüllt war.

Ellen, eine Frau von immerhin dreiundvierzig Jahren und doch knabenhaft schlank, erwies sich als hinreißende Gastgeberin und zugleich als eine unendlich geduldige, zu allen Spielchen aufgelegte »Tante«.

Die Bretter, die ihr einst die Welt bedeutet hatten, waren restlos vergesssen, davon konnten sich Fee und Daniel jetzt überzeugen, denn kein Bild, kein einziges wehmütiges Wort erinnerte an die berühmte Vergangenheit dieser Frau, die ihren inneren Frieden gefunden hatte.

Dies hier war ihre Welt geworden, und nur wenigen gestattete sie Eintritt. Doch einer der wenigen war Roger, und ihn lernten die Nordens am zweiten Tag ihrer Anwesenheit kennen.

Fee stellte überrascht fest, daß er sehr jung und drahtig aussah, eigentlich so, wie man sich einen feschen Skilehrer vorstellt, sonnengebräunt, und gar nicht intellektuell wirkend. Und einen erwachsenen Sohn hätte man ihm schon gar nicht zugetraut. Aber nett war er, leger und lustig, wie sich herausstellte.

Fee fragte sich, warum es eigentlich zu keinen engeren Beziehungen zwischen ihm und Ellen gekommen war. Sie fragte sich so etwas allerdings immer, wenn sie zwei Menschen nebeneinander sah, die so gut zueinander paßten. Aber sie benahmen sich eher wie Bruder und Schwester, neckten sich, warfen sich manche Eigenheiten humorvoll vor und bemängelten, daß sie ihre geistigen Sternstunden nie zu gleicher Zeit hätten.

Aber vielleicht hatten sie beide einen zu eigenwilligen, starken Charakter, um für die Dauer zusammenleben zu können.

Erstaunlich fand es besonders Daniel, wie gut Roger mit den Kindern umgehen konnte, denn er war überhaupt kein Vatertyp.

Aber die Kinder mochten ihn auf Anhieb, und obgleich sie sich jetzt besonders lebhaft gebärdeten, schienen sie ihm keineswegs auf die Nerven zu gehen.

»Das sind wenigstens normale Kinder«, stellte Roger fest. »Ihr macht sicher auch keinen Terror, wenn sie sich mal im Dreck wälzen.«

»Das kommt fast jeden Tag vor«, lachte Fee. »Wir sind froh, wenn sie sich nicht verletzen.«

»Kommt aber auch vor«, meinte Danny, »dann kann Mami immer erst gar nichts sagen.«

»Und Lenni regt sich auf«, schloß Felix sich an.

»Srecklich auf«, sagte Anneka. »Kriegen Pflasterle, alles wieder gut.«

Ellen bekam einen versonnenen Blick. »Ich weiß erst jetzt, um was ich mich gebracht habe«, sagte sie leise.

»Zum Glück ist Vicky auch ein ganz normales Mädchen geworden«, warf Roger ein.

»Ganz normal, bis auf die Tatsache, daß sie nie heiraten will«, meinte Ellen.

»Das gibt sich, wenn der Richtige kommt«, meinte Fee optimistisch.

»Vielleicht ist das mein Sohn«, sagte Roger. »Sie verstehen sich doch recht gut.« Er blinzelte zu Ellen hinüber.

»Sie verstehen sich so gut wie wir zwei«, sagte sie, »und das ist keine Ausgangsbasis für eine Ehe.«

»Es muß ja nicht immer die große Liebe sein«, meinte Roger darauf. »Toleranz und Übereinstimmung ist auch eine gute Basis.«

Es wurde jedenfalls ein sehr unterhaltender Tag und ein Abend, der sehr aufschlußreich war, denn Fee hegte die Vermutung, daß Ellen doch bedeutend mehr für Roger empfand, als sie zugeben wollte.

Es war ziemlich spät, als er aufbrach. Daniel begleitete ihn noch ein Stück. Nach dem guten Essen brauchte er noch Bewegung.

Fee und Ellen vertraten sich die Füße im Garten.

»Roger ist wirklich ein feiner Kerl«, sagte Ellen unaufgefordert. »Ein richtig guter Kamerad, mit dem

man durch dick und dünn gehen kann. Er hat seine

Frau sehr geliebt. In all seinen Büchern gleicht die

liebliche, anbetungswürdige Hauptperson immer Leslie. Ich kann Kevin nicht als Idealgestalt schildern.«

»Vielleicht umgibt man einen Menschen, der nicht mehr unter den Lebenden weilt, eher mit einem Glorienschein, Ellen«, meinte Fee.

»Roger hängt sehr an seinem Sohn. Er kann nicht vergessen, daß seine Frau ihr Leben für diesen Sohn geben mußte.«

Ellens Blick schweifte in die Ferne. »Es würde mich betrüben, wenn er die Hoffnung hegt, daß Christopher sich für Vicky entscheidet«, sagte sie leise. »Sie wäre nicht die richtige Frau für ihn. Vicky ist ein Mädchen, das einen Mann immer um sich haben will, ganz für sich, wenn sie sich überhaupt mal für einen Mann entscheiden wird. Das meine ich. Chris ist auch dauernd unterwegs, und sie hat es ja selbst erlebt, wie es ist, wenn man die Eltern nur besuchsweise sieht. Aber ich bin dennoch glücklich, daß Vicky jetzt wieder gern zu mir kommt. Ich würde nur gar zu gern ihren Kindern eine bessere Großmutter sein, als ich ihr eine Mutter gewesen bin...«

*

Roger stellte auf dem Weg, auf dem ihn Daniel begleitete, philosophische Betrachtungen über Ellen an.

»Sie wird mir ewig ein Rätsel bleiben«, sagte er. »Sie war eine so großartige Schauspielerin, und ich habe nie erlebt, daß eine solche in einem einfachen Leben auch ein großartiger Mensch sein kann. Ist es nicht eigentlich absurd, daß eine interessante, begehrenswerte Frau ganz für sich allein leben kann? Sehnt sie sich nicht doch nach Liebe? Gerade Frauen in ihrem Alter wollen doch geliebt werden. Männer begnügen sich mit Sex, wenn ihnen danach zumute ist. Dabei schreibt Ellen Geschichten, daß man meinen müßte sie würde jeden Tag eine neue Liebe erleben. Können Sie als Arzt mir dafür eine Erklärung geben?«

»Sie lebt in sich selbst. Früher, in ihren Rollen, mußte sie immer in eine andere Haut schlüpfen, in gute, in böse, in intrigante.«

»Sie hat jede Rolle perfekt gespielt. Ich habe ihren Weg verfolgt«, sagte Roger. »Sie hat mich immer fasziniert. Wie war sie als Patientin?«

»Vorbildlich. Sie war nicht bereit, sich aufzugeben und doch bereit, dem Tod gefaßt ins Auge zu blicken.«

»Es stand tatsächlich sehr schlimm um sie?«

»Bedrohlich. Einige Wochen hatten wir kaum Hoffnung, daß sie überleben könnte.«

Eine Weile ging Roger schweigend neben ihm. »Ich würde sie vermissen«, sagte er leise, »so wie ich meine Frau vermißt habe. Aber sagen Sie ihr das nicht.«

Daniel Norden blickte ihm nach, bis er hinter der Biegung des Weges verschwunden war, auf dem Rückweg dachte er über ihn nach, nicht ahnend, daß ihn, als er Ellens Haus betrat, schon ein Hilferuf von Roger Bernet erreichen würde.

Roger mußte zu seinem Haus noch dreißig Stufen emporsteigen. Der Hang war kein Katzenbuckel. Das Haus war direkt auf das Plateau gestellt.

Zwei Bänke standen am Wege zum Haus, damit jene, denen die dreißig Stufen auf einmal zu beschwerlich waren, ausruhen konnten, und neben jeder Bank stand eine Laterne. Roger ließ sie immer brennen, wenn er nicht im Haus war.

Doch in dieser Nacht verhielt er, der sonst diese Stufen so rüstig und ohne Schwierigkeiten emporklomm, den Schritt, denn auf der zweiten Bank lag etwas, und dieses Etwas war eine menschliche Gestalt. Roger stockte der Atem. Ihm wurde richtig übel, weil diese Gestalt sich auch nicht rührte, als er sie anfaßte.

Es war ein Mädchen mit blonden Haaren, es lag auf dem Bauch, einen Arm unter den Kopf geschoben, der andere hing herab.

»Großer Gott!« stöhnte Roger, aber er wagte nicht, das Mädchen anzurühren. Er stürmte ins Haus und griff zum Telefon.

Und gerade, als dieses bei Ellen läutete, betrat Daniel Norden das Haus Katzenbuckel.

Im nächsten Augenblick wurde er auch schon mit dem aufgeregten Ausruf empfangen, daß vor Rogers Haus ein bewußtloses Mädchen läge.

»Ich fahre Sie gleich mit dem Wagen hin, Daniel?« sagte Ellen. »Da sparen wir doch zehn Minuten.«

Sie besaß einen wendigen Geländewagen, den man hier auch brauchen konnte, denn manche Straßen waren doch recht unwegsam.

Daniel holte rasch seinen Arztkoffer aus seinem Wagen, denn den hatte er selbstverständlich auch auf Urlaubsfahrten dabei.

Bald waren sie bei Rogers Haus, aber die Stufen zu erklimmen, blieb ihnen nicht erspart. Roger hatte Decken aus dem Haus geholt und über das Mädchen gebreitet, das sich noch immer nicht fühlte.

Daniel schüttelte den Kopf als er Puls und Blutdruck gemessen hatte.

»Sie schläft«, sagte er.

»Sie schläft?« wiederholten Ellen und Roger wie aus einem Munde.

»So fest, wie man wahrscheinlich nur im jugendlichen Alter und bei solcher Temperatur schlafen kann, oder sie ist sehr erschöpft. Wer ist sie, Roger?«

»Keine Ahnung, nie gesehen«, stotterte Roger, der sonst weiß Gott nicht leicht in Verlegenheit zu bringen war. »Ist sie verletzt?«

»Nicht sichtbar. Kann ich sie ins Haus bringen?«

»Selbstverständlich«, erwiderte Roger. »Muß sie nicht sofort in eine Klinik?«

»Ich werde sie drinnen gründlich untersuchen«, sagte Daniel.

Sie war sehr leicht; so leicht konnte eine wirklich Bewußtlose nicht sein. Und sie war bildhübsch, wie Daniel Norden feststellte, als das Licht auf ihr Gesicht fiel. Sie trug einen Jeansanzug und darüber eine ärmellose zottelige Fellweste, die sie wohl auch weitgehend vor einer Unterkühlung bewahrt hatte.

Lange konnte sie nach Daniels Meinung ohnehin noch nicht schlafen. Aber jetzt nahm er sich nicht die Zeit, darüber nachzudenken. Sie wurde auf ein großes Sofa gebettet, und dort rekelte sie sich.

Roger und Ellen tauschten verwunderte Blicke. In Ellens Augen war ein kleines mißtrauisches Flimmern, das Roger veranlaßte zu sagen: »Ich habe sie wirklich nicht gesehen.«

Dr. Norden machte sich schon andere Gedanken, aber denen ließ er vorerst auch keinen Raum.

»Hallo, Fräuleinchen«, sagte er und rüttelte sie leicht.

Sie schlug die Augen auf, violette Augen, die schläfrig blinzelten.

»Hallo«, murmelte sie. »Wo bin ich?«

»Fragen wir erst einmal: Wer sind Sie?«

»Ich?« Ihre Augen weiteten sich noch mehr, wanderten zu Roger und Ellen. »Wer bin ich? Ich weiß es nicht.«

»Sie sind hier bei Roger Bernet«, sagte Dr. Norden.

»Kenne ich nicht. Wie komme ich her?«

Eine Schwindlerin, ging es Dr. Norden durch den Sinn, aber gar zu schnell wollte er nicht urteilen oder gar verurteilen.

»Wenn Sie es nicht wissen, wie sollen wir es dann wissen?« sagte Roger. »Ich kenne Sie nicht. Ich habe Sie auf der Bank vor meinem Haus gefunden.«

Das Mädchen richtete sich auf. »Ich kann mir nicht erklären, wie ich auf diese Bank gekommen bin. Haben Sie mich nicht mit dem Auto mitgenommen?«

Sie sah fraglos in ihrer Verwirrung entzückend aus. Und man sah es Roger an, daß er sie auch entzückend fand.

»Ich bin müde, so müde«, murmelte sie.

»Sie soll sich erst ausschlafen«, schlug Roger vor, »das heißt, wenn Sie nichts feststellen können, daß eine Überführung in die Klinik nötig macht.«

Da bemerkte Daniel ein leises Erschrecken in den violetten Augen.

»Sie sind Arzt?« fragte sie leise.

»Ja, ich bin Arzt«, erwiderte Daniel betont. »Aber Ihnen fehlt nichts, es sei denn, Sie haben sich eine Erkältung geholt.«

»Sie kann hier schlafen, ich habe genug Platz«, sagte Roger. »Wenn Sie morgen nach ihr schauen würden, wäre ich Ihnen sehr dankbar, Dr. Norden.«

»Ich bringe sie in ein Gästezimmer«, sagte Ellen.

»Das mache ich, wenn du ihr ein paar warme Sachen heraussuchst, Ellen? Von Chris müssen Schlafanzüge da sein.« Roger starrte das Mädchen an.

»Sie sind furchtbar nett«, flüsterte sie. »Ich möchte nur schlafen.«

»Aber Sie wollen uns nicht sagen, wie Sie heißen«, sagte Daniel.

»Ich weiß es nicht«, murmelte sie. »Ich kann mich an gar nichts erinnern.«

Sie lügt, dachte Daniel, aber das ist Rogers Angelegenheit, wenn er sie aufnimmt. Etwas Böses konnte man diesem reizenden Geschöpf allerdings wirklich nicht zutrauen.

Ellen schien darüber nicht so ganz ohne Mißtrauen zu sein, als sie eine halbe Stunde später heimwärts fuhren. Das Mädchen schlief in einem komfortablen Gästezimmer, und Roger hatte gesagt, daß er anrufen würde, sollte sie Fieber bekommen.

»Mir kommt das alles komisch vor«, sagte Ellen. »Fieber hat sie nicht, unterkühlt war sie auch nicht, und sie sieht nicht aus, als wäre sie mißlichen Umständen ausgesetzt gewesen.«

»Das mag stimmen, Ellen, aber ich glaube Roger, daß er sie nie gesehen hat. Er hätte nicht sofort angerufen.«

»Das stimmt.« Ellen runzelte die Stirn. »Vielleicht ist sie ein Lockvogel, und im Gebüsch lauern so ein paar Gammler«, meinte sie. »Aber Roger hat ja eine Alarmanlage, und er hat auch alle Jalousien herabgelassen. Vielleicht ist sie so ein Starlet, das sein Interesse erwecken will. Hübsch genug dafür ist sie. Und er ist empfänglich für diesen Typ. Leslie war auch so ein Typ.«

Daniel sagte nichts. Er dachte nach. Ellen hatte keinen boshaften Unterton, wenn sie so etwas sagte oder über Leslie sprach, aber Rogers längst verstorbene Frau schien doch irgendwelche Komplexe in ihr ausgelöst zu haben.

»Sie kann sich nicht einfach hierher verirrt haben«, fuhr Ellen fort.

»Das geht mir auch durch den Sinn. Vielleicht hat sie ein anderes Haus gesucht? Gibt es hier ähnliche Häuser?«

»Ja, nicht sehr ähnlich, aber doch in der Anlage gleich und alle ziemlich weit voneinander entfernt. Der Grund war mal enorm billig hier, da haben manche gleich zehntausend Quadratmeter oder noch mehr gekauft. Sie werden es nicht glauben, Daniel, aber ich habe für mein Haus mit allem Grund vor zwei Jahren gerade zweihunderttausend Mark gezahlt. Dann habe ich noch fünfzigtausend reingesteckt, und wie es jetzt steht, würde es in Stadtnähe mindestens fünfhunderttausend kosten.«

»Oder noch mehr«, sagte er.

»Rogers Haus war natürlich teurer, aber er hat ja auch öfter Gäste. Er wird auch mit diesem Mädchen fertig werden, aber ich glaube nicht, daß sie ihr Gedächtnis verloren hat.«