Dr. Norden Extra 105 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Extra 105 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Nun gibt es eine Sonderausgabe – Dr. Norden Extra Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. »Wie fühlen Sie sich heute, Frau Eckstein?« Daniel Norden stand am Klinikbett seiner Patientin Eleonore Eckstein und warf einen skeptischen Blick in ihr mürrisches Gesicht. »Wie soll es einer geplagten Frau wie mir schon gehen? Zuerst stirbt mein Mann so plötzlich und jetzt auch noch dieses Unglück mit dem Oberschenkelhalsbruch. Ich frage mich, was als Nächstes kommt.« »Sie dürfen nicht so schwarz sehen«, versuchte Daniel, die tristen Gedanken seiner Patientin aufzuhellen. »Ich denke, Sie haben Ihr Unglückssoll mehr als erfüllt. Jetzt werden bestimmt bessere Zeiten anbrechen.« In diesem Augenblick näherten sich Stimmen auf dem Flur der Behnisch-Klinik, es wurde geklopft, und gleich darauf betrat Albert Eckstein gemeinsam mit seiner Schwester Anna das Krankenzimmer. »Herr Dr. Norden, Sie hier? Damit haben wir ja gar nicht gerechnet«, begrüßte Albert den Hausarzt der Familie freudig. Der erwiderte den Gruß lächelnd. »Ich muss doch sehen, wie es meinen Sorgenkindern geht.« »Das ist wirklich nett von Ihnen. Findest du nicht auch, Mama?«, fragte Anna und beugte sich über ihre Mutter, um ihr einen Begrüßungskuss zu geben. »Noch lieber wäre es mir, ich wäre erst gar nicht von dieser unseligen Leiter gefallen«

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Dr. Norden Extra – 105 –

Hunger auf Leben

Die Zukunft hat Annas Gesicht

Patricia Vandenberg

»Wie fühlen Sie sich heute, Frau Eckstein?« Daniel Norden stand am Klinikbett seiner Patientin Eleonore Eckstein und warf einen skeptischen Blick in ihr mürrisches Gesicht.

»Wie soll es einer geplagten Frau wie mir schon gehen? Zuerst stirbt mein Mann so plötzlich und jetzt auch noch dieses Unglück mit dem Oberschenkelhalsbruch. Ich frage mich, was als Nächstes kommt.«

»Sie dürfen nicht so schwarz sehen«, versuchte Daniel, die tristen Gedanken seiner Patientin aufzuhellen. »Ich denke, Sie haben Ihr Unglückssoll mehr als erfüllt. Jetzt werden bestimmt bessere Zeiten anbrechen.« In diesem Augenblick näherten sich Stimmen auf dem Flur der Behnisch-Klinik, es wurde geklopft, und gleich darauf betrat Albert Eckstein gemeinsam mit seiner Schwester Anna das Krankenzimmer.

»Herr Dr. Norden, Sie hier? Damit haben wir ja gar nicht gerechnet«, begrüßte Albert den Hausarzt der Familie freudig. Der erwiderte den Gruß lächelnd.

»Ich muss doch sehen, wie es meinen Sorgenkindern geht.«

»Das ist wirklich nett von Ihnen. Findest du nicht auch, Mama?«, fragte Anna und beugte sich über ihre Mutter, um ihr einen Begrüßungskuss zu geben.

»Noch lieber wäre es mir, ich wäre erst gar nicht von dieser unseligen Leiter gefallen«, murrte Eleonore mit düsterer Miene.

»Dann hättest du eben nicht hochsteigen dürfen. Das kommt davon, dass du nie Zeit hast und immer alles sofort erledigt werden muss.«

»Was bleibt mir denn anderes übrig, wenn ich niemanden erreichen kann und sich niemand nach mir erkundigt?«

»Jetzt bist du aber ungerecht. Du weißt genau, dass ich zu dir komme, so oft es meine Zeit erlaubt. Und Albert kann nun mal nicht so häufig von der Firma wegbleiben.«

»Dafür kommt Roberta ab und zu, um dir zu helfen«, bemerkte Albert leicht beleidigt.

»Da hast du recht. Deine Frau sehe ich inzwischen öfter als dich.«

»Mutter, lass uns nicht schon wieder damit anfangen. Du weißt genau, wie eingespannt ich in der Firma bin. Da kann ich nicht einfach kommen und gehen, wie es mir in den Kram passt.«

»Dieses Problem wird sich in nächster Zeit ohnehin nicht stellen«, mischte sich Daniel Norden in das Gespräch, das mit leicht gereiztem Tonfall geführt wurde. »Mein Besuch hat nämlich durchaus auch einen praktischen Sinn. Ich möchte Ihnen vorschlagen, die Zeit der Rehabilitation auf der Insel der Hoffnung zu verbringen. Das ist ein wunderbarer Ort der Ruhe und Einkehr ...«, wollte er seine Erklärungen ausführen, weckte aber mit diesem Vorschlag doch nur Eleonores Widerspruchsgeist.

»Rehabilitation? Ohne mich. Erstens will ich mich nicht nur mit alten Frauen umgeben, die den ganzen Tag über ihre Krankheiten lamentieren. Und zweitens weiß ich nur zu gut, wie das alles abläuft. Zuerst wird man in einen Rollstuhl gesetzt, dann zur Rehabilitation geschickt, und anschließend landet man direkt in einem Pflegeheim. Das will ich nicht.«

»Davon hat doch gar kein Mensch geredet, Mama«, versuchte Anna, ihre aufgebrachte Mutter zu beruhigen.

»Gesagt vielleicht nicht, aber gedacht«, beharrte Eleonore eigensinnig.

»Wie haben Sie sich die Sache mit der Rehabilitation denn vorgestellt?«, fragte Daniel Norden irritiert nach.

»Ganz einfach, ich will zu Hause bleiben und Anna übernimmt die Gymnastikstunden. Schließlich ist sie ausgebildete Krankengymnastin.«

»Aber Mama, kannst du dir überhaupt vorstellen, wie viel Therapie nach so einem Unfall vonnöten ist? Muskelaufbau, Stabilisieren der Hüfte und Gehübungen sind nur die allerwichtigsten Maßnahmen. Das braucht viel Zeit und ich weiß nicht, wie ich das mit meinem Arbeitstag vereinbaren kann. Außerdem ist da noch dein Haushalt. Du kannst weder kochen noch einkaufen gehen, von Waschen und Bügeln ganz zu schweigen.«

»Nun, du könntest ja morgens und in der Mittagspause kommen und zwischendurch die Wäsche mitnehmen. Kochen ist kein Problem, da gibt es praktische Fertiggerichte. Und Albert teilt sich mit Roberta meine Abendbetreuung. Ich denke, das ist doch ein praktikabler Vorschlag.« Zum ersten Mal an diesem Tag huschte ein Lächeln über Eleonores düsteres Gesicht. Anna und Albert warfen sich fragende Blicke zu. Schließlich nickte Albert.

»Wenn Dr. Norden damit einverstanden ist, halte ich das für eine durchaus vernünftige Idee. Wozu hat man denn eine Familie? Und die Arbeitsaufteilung halte ich auch für vertretbar. Schließlich ist dein Alltag nicht so anstrengend wie meiner«, erklärte er Anna gegenüber, die ihren Bruder mit großen Augen anstarrte, aber nichts sagte. Ihr Alltag war ebenso ausgefüllt und anstrengend, doch sie wollte vor ihrer Mutter keine Diskussion beginnen. Als auch Daniel Norden dem Vorschlag zustimmte, gab es nichts mehr dazu zu sagen.

»Schön, dann ist es also beschlossene Sache. Mama muss nicht zur Rehabilitation und wird von uns in ihrem eigenen Haus versorgt. Bist du damit zufrieden?«

»Mehr als das, mein Junge. Ich danke euch, dass ihr so zu mir haltet«, erklärte Eleonore, gerührt von so viel Hilfsbereitschaft ihrer Kinder. So hatte sie sich das immer erträumt, und auch wenn dieser Traum viel zu schnell Wirklichkeit werden musste, war sie dennoch über alle Maßen zufrieden. »Wenn es schon mein Schicksal sein muss, den Lebensabend ohne euren Vater zu verleben, dann freue ich mich doch darüber, wenigstens nicht ganz allein und verlassen zu sein.«

»Das sind Sie auf keinen Fall. Bei derart prachtvollen Kindern. Man könnte glatt neidisch werden.«

»Dazu haben Sie doch keinen Grund, Herr Doktor«, widersprach Eleonore zufrieden. »Erst neulich habe ich Ihre Frau mit Ihrer großen Tochter getroffen. Was für ein liebes hilfsbereites Mädchen, ich muss schon sagen. Sie hat mir ganz selbstverständlich und ohne zu fragen, die Tasche abgenommen und nach Hause getragen. So gut erzogene Kinder findet man heutzutage nicht mehr allzu häufig.«

»Dabei ist das für uns eine Selbstverständlichkeit. Aber Sie haben recht. Meine Frau beschwert sich schon hin und wieder darüber, wie frech und unerzogen die Besuchskinder sind, die beinahe jeden Tag bei uns vorbeikommen. Da gelten noch nicht einmal mehr die einfachsten Anstandsregeln«, erklärte Daniel nachdenklich und erinnerte sich mit Schaudern an eine Episode am Abendbrottisch, als Felicitas einem Kind in Désis Alter erklären musste, wie man Messer und Gabel benutzt.

»Das kommt bestimmt daher, dass sich niemand mehr die Mühe macht, seine Kinder ordentlich zu erziehen«, tat Albert seine Meinung zu diesem Thema kund. »Wenn ich mal Kinder habe, wird Roberta ihnen ordentliche Manieren beibringen, soviel ist sicher.«

»Hoffentlich weiß Roberta schon davon«, bemerkte Anna spitz. Sie hasste den selbstgefälligen Ton, in dem Albert stets von seinen Plänen sprach und selbstverständlich voraussetzte, dass alle anderen seiner Meinung waren. »Außerdem denke ich, dass diese Sache wie alle anderen auch, zwei Seiten hat. Welche Familie kann es sich heutzutage schon noch leisten, dass die Frau zu Hause bleibt, um sich ausschließlich um die Kinder zu kümmern?«

»Ich finde, Anna hat ganz recht. Zu meiner Zeit war das alles noch ganz anders. Die Mutter war den ganzen Tag zu Hause und sorgte für eine anständige Erziehung der älteren Kinder, die sich neben ihren Aufgaben im Haus um die Jüngeren kümmerten. Es war selbstverständlich, dass alle zusammen halfen. Heutzutage ist eine Mutter nachmittags ausschließlich damit beschäftigt, ihre Kinder vom Musikunterricht zum Sportverein und danach zu Freunden zu fahren. Ich frage mich: Wie soll da noch ein Gefühl des Zusammenhaltes entstehen, geschweige denn eine gute Erziehung Platz finden?« Herausfordernd blickte Eleonore in die Runde, aber auf diese Frage konnte ihr niemand eine Antwort geben.

»Da kann sich jeder nur an seiner eigenen Nase packen und es für sich und seine Familie besser machen. Eine Besinnung auf die alten Werte ist dabei manchmal nicht das Schlechteste«, gab Daniel schließlich zu und warf einen Blick auf die Uhr. »Ich könnte ja noch Stunden hier mit Ihnen verbringen und diskutieren. Leider muss ich langsam weiter, sonst bekomme auch ich den Vorwurf, mich nicht genügend um die Kinder zu kümmern«, lächelte er verschmitzt.

»Na hören Sie mal, einen besseren Vater als Sie muss man erst mal finden«, gab Eleonore Eckstein zufrieden zurück. Mit der Entscheidung ihrer Kinder war ihr eine große Last von der Seele genommen, und sie konnte nun wieder etwas zuversichtlicher in die Zukunft blicken. Daniel freute sich über ihr Lob, verabschiedete sich aber trotzdem kurz darauf. Denn nicht nur die Kinder freuten sich über ihren Papi. Umgekehrt war es genauso und die gemeinsam verbrachten Stunden gehörten zu den Kostbarkeiten in Daniel Nordens Leben.

*

Nicht alle Familienmitglieder konnten die Zuversicht von Eleonore teilen. So maß Roberta Eckstein ihren Mann Albert nur mit einem fragenden Blick, als er ihr seine Entscheidung kundtat.

»Wie bitte? Wir sollen Mutter in ihrem Haus pflegen? Wie stellst du dir denn das vor, wo du doch ohnehin schon so wenig Zeit hast.«

»Mit vereinten Kräften bekommen wir das schon hin, Liebchen. Vielleicht kannst du in der Werbeagentur auch vorübergehend ein bisschen kürzertreten, und wir teilen uns die Betreuung. Einen Abend du, den nächsten Abend ich. Das ist doch nicht so schlimm. Außerdem solltest du nicht vergessen, was meine Mutter alles für uns getan hat. Ohne ihre finanzielle Hilfe wäre es uns nicht möglich gewesen, dieses Haus hier zu kaufen. Wir können Sie jetzt unmöglich im Stich lassen«, brachte Albert seine wohlüberlegten Argumente so schnell an, dass Roberta keine Möglichkeit hatte, zu widersprechen.

»Du hast ja recht«, seufzte sie ergeben und strich sich das dunkle Haar aus der Stirn. »Komm, lass uns gemeinsam zu Abend essen. Ich habe dir so viel zu erzählen.« Schon strahlten ihre Augen wieder vor Begeisterung, als sie an ihren erfolgreichen Arbeitstag dachte. »Die letzte Werbekampagne mit Röders war ein durchschlagender Erfolg. Ich habe viel Lob bekommen und man hat mir einen großen Auftrag in Aussicht gestellt. Ein richtig großes Werbebudget, stell dir das mal vor!«

»Liebchen, sei mir nicht böse, aber für solche Kleinigkeiten habe ich jetzt gar keine Zeit«, unterbrach Albert seine Frau mit einem nachsichtigen Lächeln. »Ich muss dringend noch Unterlagen für meinen Chef überarbeiten. Du weißt doch, morgen abend ist eine wichtige Besprechung. Wenn unsere Pläne aufgehen, haben wir die Nase vorn. Davon hast du auch etwas, weil ich ordentlich Provision bekomme.«

»Das freut mich für dich, mein Schatz. Es ist schön, wenn du so erfolgreich bist. Bemerkt dein Chef das eigentlich auch?«

»Was ist denn das für eine Frage? Natürlich weiß Bernauer, was er an mir hat. Spätestens bei der nächsten Beförderung bekommst du den Beweis.«

»Ich glaube dir auch so, mein Herz. Und du kannst wirklich nicht mit mir essen?«, fragte Roberta und versuchte so gut wie möglich, ihre Enttäuschung zu verbergen. »Dabei habe ich extra dein Leibgericht gekocht, Lachslasagne.«

»Oh, wenn das so ist, dann nehme ich einen Teller mit ins Arbeitszimmer hinüber. Da kann ich doch nicht widerstehen.«

»Na gut, dann geh schon mal. Ich bringe dir dein Essen.« Tapfer unterdrückte Roberta die Tränen, während sie in die großzügige Küche ging, wo der Tisch wunderschön mit Silberleuchtern und dem guten Porzellan gedeckt war. Hin und wieder machte sie sich die Mühe, um die Liebe in ihrer Ehe am Leben zu erhalten und den Alltag nicht zur Routine werden zu lassen. Aber immer wieder musste sie auch mit den Enttäuschungen und unerfüllten Erwartungen kämpfen, die damit verbunden waren. So saß Roberta schließlich allein am Tisch vor einem Teller mit köstlich duftender Lachslasagne und stocherte lustlos zwischen den Nudelschichten herum, ganz so, als wäre sie nicht eine glücklich verheiratete Ehefrau, die alles besaß, wonach sich ihr Herz so sehr gesehnt hatte.

*

Anna Eckstein hingegen war restlos zufrieden mit ihrem Leben. Sie bewohnte eine hübsche Altbauwohnung mitten in der Stadt mit einem kleinen Balkon, von dem aus sie direkt in den grünen Innenhof sehen konnte. Ihr Alltag verlief in geregelten Bahnen. Geschickt jonglierte sie zwischen ihrem Beruf als Krankengymnastin und ihrem Hobby als Geigerin in einem kleinen Kammerorchester. Viel Freizeit blieb da nicht übrig. So bedeutete es eine erhebliche Umstellung für Anna, jeden Tag ein paar zusätzliche freie Stunden für die Betreuung ihrer Mutter Eleonore herauszuschinden, die vor ein paar Tagen aus der Behnisch-Klinik entlassen worden und nun zu Hause war. So schwang sie sich schon in aller Frühe auf ihr Fahrrad, um Eleonore noch vor der Arbeit zu besuchen.

»Hallo, Mama, wie geht es dir heute Morgen?«, fragte sie und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Eleonore betrachtete sie kopfschüttelnd.

»Wann legst du dir endlich einen Wagen zu? Dann hättest du morgens viel mehr Zeit und wärst nicht schon erschöpft, wenn du bei mir ankommst.«

»Bisher habe ich wirklich kein Auto gebraucht. Ganz im Gegenteil genieße ich es morgens sehr, durch den Englischen Garten zu radeln. Aber wenn ich bei dir vorbeischaue, werde ich in Zukunft noch früher aufstehen müssen. Keine Sorge, alles nur eine Frage der Organisation«, erklärte Anna atemlos und beruhigte mit ihren Worten eher sich selbst als ihre Mutter. »Hast du gut geschlafen?«

»Ach, miserabel. Außerdem bin ich schon seit ein paar Stunden wach. Es ist wirklich nicht schön, so lange allein zu sein.«

»Entschuldige, Mama, aber das warst du vor deinem Unfall doch auch schon eine ganze Weile.«

»Das schon. Aber da konnte ich mich selbst beschäftigen. In so einem Haus gibt es immer etwas zu tun, Putzen, den Garten machen, Gardinen aufhängen ...«

»Und dabei von der Leiter fallen«, vollendete Anna den Satz ihrer Mutter lächelnd. Sie hatte sich von der Anstrengung erholt und kniete nun vor Eleonore, um ihr zur Verbesserung der Blutzirkulation die Beine zu massieren. »Da ist es mir schon lieber, dich in diesem Rollstuhl zu wissen. Da kannst du wenigstens keinen Unsinn anstellen.«

»Unsinn? Ein bisschen Pech kann jeder mal haben. Und wie gesagt, wenn ich niemanden erreichen kann, muss ich mir eben selbst helfen.«

»Manchmal geht eben alles nicht so schnell, Mama. Albert, Roberta und ich haben auch unsere Verpflichtungen. Wir tun ohnehin, was wir können. Soll ich dir jetzt eine Tasse Kaffee kochen? Du kannst inzwischen hinaus auf die Terrasse fahren und die Sonne genießen.«

»Eine hervorragende Idee. Frühstückst du mit mir?«, erkundigte sich Eleonore hoffnungsvoll.

»Tut mit leid, Mama, heute nicht. Gleich am Morgen habe ich eine Patientin, die es immer eilig hat. Aber ich werde sehen, dass ich meine Termine etwas anders legen kann. Mit der Zeit wird sich das schon einspielen«, versuchte Anna, ihre Mutter zu trösten. Eleonore jedoch stand die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben.

»Das geht ja gut los. Lasst mich nur alleine hier herumsitzen«, wollte sie anfangen, sich selbst zu bemitleiden. Dem musste Anna jedoch einen Riegel vorschieben.

»Es war deine eigene Entscheidung, Mama. Schließlich wolltest du nicht zur Rehabilitation auf die Roseninsel. Dabei hat Herr Dr. Norden so davon geschwärmt. Ich verstehe gar nicht, dass du das Angebot nicht wahrnehmen willst. Diese Gelegenheit hätte ich mir an deiner Stelle nicht entgehen lassen.«

»Wie oft soll ich noch erklären, dass ich nicht nur von Kranken und Pflegebedürftigen umgeben sein will. Ich brauche Jugend und Leben um mich, um wieder richtig gesund zu werden. Und das will ich ja wohl.«

»Daniel Norden hat das doch alles erklärt. Auf der Insel der Hoffnung verkehrt ein buntes Publikum. Nicht nur Kranke und Schwache, auch solche Menschen, die Erholung von ihrem anstrengenden Alltag suchen«, machte Anna einen letzten Versuch, ihrer Mutter das sagenumwobene Sanatorium schmackhaft zu machen, und ging schließlich in die Küche, um Kaffee zu kochen.

»Du verschwendest deine Zeit, Anna. Wenn es dein erklärtes Ziel sein sollte, mich von einem Aufenthalt auf dieser seltsamen Insel zu überzeugen, muss ich dich enttäuschen. Die Mühe kannst du dir beileibe sparen«, erklärte Eleonore bissig, als Anna mit dem duftenden Kaffee auf die Terrasse kam und ihrer Mutter alles hinrichtete.