Dr. Daniel Norden - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Daniel Norden E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Nun gibt es eine Sonderausgabe – Dr. Norden Retro Edition Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. Dr. »Insel der Hoffnung«, sagte Dr. Johannes Cornelius zu seiner Begleiterin, »nun geht Friedrich Nordens Traum seiner Erfüllung entgegen.« »Ein recht kostspieliger Traum«, sagte Anne Fischer gedankenvoll. Mit ihrer schmalen Hand strich sie sich eine aschblonde Haarsträhne aus der hohen Stirn. Sie war Mitte vierzig und noch immer eine anmutige Frau. Ihre Stimme war weich und melodisch. »Friedrich Norden dachte nur an die Genesungsuchenden«, sagte Dr. Cornelius. Anne Fischer errötete leicht. »Ich wollte keine Kritik üben«, sagte sie entschuldigend, »ganz im Gegenteil. Ich finde diese Anlage wundervoll. Man denkt dabei nicht an Krankenhaus oder Sanatorium. Eine Oase des Friedens ist diese Insel der Hoffnung.« »Den Namen hat ihr auch mein Freund Friedrich gegeben«, erklärte Dr.

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Dr. Norden – Retro Edition – 1 –

Dr. Daniel Norden

Roman um einen Arzt aus Berufung

Patricia Vandenberg

»Insel der Hoffnung«, sagte Dr. Johannes Cornelius zu seiner Begleiterin, »nun geht Friedrich Nordens Traum seiner Erfüllung entgegen.«

»Ein recht kostspieliger Traum«, sagte Anne Fischer gedankenvoll. Mit ihrer schmalen Hand strich sie sich eine aschblonde Haarsträhne aus der hohen Stirn. Sie war Mitte vierzig und noch immer eine anmutige Frau. Ihre Stimme war weich und melodisch.

»Friedrich Norden dachte nur an die Genesungsuchenden«, sagte Dr. Cornelius.

Anne Fischer errötete leicht. »Ich wollte keine Kritik üben«, sagte sie entschuldigend, »ganz im Gegenteil. Ich finde diese Anlage wundervoll. Man denkt dabei nicht an Krankenhaus oder Sanatorium. Eine Oase des Friedens ist diese Insel der Hoffnung.«

»Den Namen hat ihr auch mein Freund Friedrich gegeben«, erklärte Dr. Cornelius. »Wollen wir hoffen, daß er zu einem Symbol wird, und daß hier viele Leidende gesunden, wie es sein Wunsch war. Es ist ein Jammer, daß er selbst es nicht mehr erleben konnte.«

»Und sein Sohn hat keine Neigung, hier mitzuarbeiten?« fragte Anne Fischer. »Das ist mir nicht ganz begreiflich.«

»Daniel will seine Praxis in München noch behalten«, erklärte Dr. Cornelius. »Wir werden dennoch Hand in Hand arbeiten.«

»Und Ihre Tochter, Johannes?«

»Felicitas wird mich unterstützen. Einen Arzt habe ich auch schon gefunden, der viel Idealismus mitbringt, den wir hier brauchen werden.«

Anne Fischer warf ihm einen gedankenvollen Blick zu. »Könnten Sie vielleicht auch mich brauchen, Johannes? In Büroarbeiten bin ich perfekt. Und Idealismus würde ich auch mitbringen. Ich brauche jetzt so nötig eine Lebensaufgabe und –«, sie unterbrach sich und errötete leicht.

»Und Katja könnten wir auch hierherholen«, vollendete Dr. Cornelius verständnisvoll ihren angefangenen Satz. »Daran dachten Sie doch, Anne.«

»Betrachten Sie mich bitte nicht als aufdringlich«, flüsterte sie.

»Aber ganz im Gegenteil. Ich habe auch schon daran gedacht. Ich wollte Sie nicht so direkt fragen, Anne. Wenn alle Spezialisten für Katja nichts tun können, könnten wir hier gemeinsam versuchen, in ihr wieder neuen Lebenswillen zu wecken.«

»Danke, Johannes.« Ihre Augen waren tränenfeucht. »Es war alles zu schrecklich.«

Jetzt wollte Dr. Cornelius nicht über die harten Schicksalsschläge sprechen, die Anne Fischer hatte hinnehmen müssen. Man sollte mit Worten nicht Wunden aufreißen die noch nicht vernarbt waren.

»Dann überlasse ich Ihnen die Verwaltungsarbeiten«, sagte er aufmunternd, »und damit können Sie schon bald beginnen. Am Wochenende werden wir die Insel der Hoffnung offiziell ihrer Bestimmung übergeben. Dann werden Sie Daniel Norden kennenlernen.«

»Und wann kommen die ersten Pa-

tienten?«

»Später, so nach und nach«, erwiderte Dr. Cornelius. »Wir wollen alles ganz langsam anlaufen lassen. Daniel will nicht, daß die Reklametrommel gerührt wird. Neugierige wollen wir nicht heranlocken, auch nicht nur solche mit dicken Bankkonten. Die Insel der Hoffnung soll vor allem jenen offenstehen, die sich in der lauten Welt nicht mehr zurechtfinden und ihren inneren Frieden verloren haben.«

»Wenn sie diesen hier nicht finden, wo sonst?« bemerkte Anne Fischer gedankenverloren. »Sie haben sich ein großes Ziel gesetzt, Johannes.«

»Das ist mir von Friedrich und Daniel Norden gesetzt worden«, sagte der Arzt.

*

Dr. Daniel Norden hatte wieder einmal einen turbulenten Vormittag in seiner Praxis fast hinter sich gebracht.

»Wen haben wir jetzt noch, Molly?« fragte er seine tüchtige Sprechstundenhilfe.

Helga Moll ließ sich von ihm gern Molly nennen, obgleich sie eher mager war. Sie hatte sehr viel übrig für ihren jungen Doktor, ohne daß man ihr mißverständliche Absichten nachsagen konnte.

»Frau Seidel wartet noch«, erwiderte sie. »So was liebes und bescheidenes wie dieses alte Mütterchen gibt es nicht noch einmal.«

Doch Molly wußte, daß Dr. Norden auch mit der alten, bescheidenen Frau Seidel richtig umzugehen verstand.

»Ja, wen haben wir denn da?« begrüßte er die alte Frau herzlich. Sie war vor drei Jahren seine allererste Patientin gewesen und immer noch von einer rührenden Anhänglichkeit.

Er umfaßte die schmalen Schultern der alten Frau. »Wie fesch sie wieder ausschaut, unsere gute Frau Seidel«, sagte er lächelnd.

Ein Leuchten ging über das verhutzelte Gesicht. Auf schneeweißem Haar thronte ein Kapotthütchen, das gut und gerne ein halbes Jahrhundert miterlebt haben mochte, aber kein einziges Stäubchen aufwies.

Mit liebevollem, mütterlichem Blick hingen die immer noch lebhaften Augen hinter der Nickelbrille an dem markanten Gesicht des jungen Arztes. Er wurde immer ein bißchen verlegen, wenn sie ihn so anschaute.

»Na, wo fehlt es denn heute?« fragte er. »Wo tut es weh?«

Er wußte, daß sie sich manchmal mit schrecklichen Schmerzen plagte, für die er ihr nur vorübergehend Linderung verschaffen konnte, aber sie war unglaublich tapfer, und er bewunderte die Zähigkeit dieser fast achtzigjährigen Frau.

»Gar nichts tut mir weh, wenn ich Sie anschaue, Herr Doktor«, sagte sie verschmitzt. »Das Herz hüpft mir vor Freude. Ich darf es wohl sagen. Mir wird man doch nicht mehr nachreden können, daß ich es auf den Dr. Norden abgesehen habe.«

»Weiß man es?« ging er auf ihren Ton mit einem Schmunzeln ein. »Aber Sie kommen doch nicht nur her, um mich anzuschauen und festzustellen, wie ich mich so herausmoppele?«

»Na ja, das Wetter macht mir schon zu schaffen, und mit dem Laufen wird es auch immer schlechter. Aber wer weiß, wie lange ich überhaupt noch gehen kann, und Sie haben doch mehr zu tun, als zu mir zu kommen, um mir die Spritzen zu verpassen. Und ich schaue mir auch gern mal die Leute an, die in Ihrem Wartezimmer sitzen.«

»Sind Sie zufrieden mit meinen Patienten, Frau Seidel?« fragte Dr. Norden.

»Staunen muß ich immer wieder, daß Sie so gar keine Ausnahmen machen wie die anderen Ärzte. Und nie sind Sie grantig. Sie sind sogar nett zu einem alten Mutterl, von dem niemand mehr was wissen will, das niemand mehr anschaut. Daß mir die Medikamente nicht mehr helfen können, weiß ich doch selbst, wenn Sie sich auch noch so viel Mühe geben. Wenn man so alt geworden ist, ist jeder Tag ein Geschenk, und wenn Sie so nett zu mir sind, geht es gleich wieder viel besser.«

In diesem Augenblick kam Dr. Norden blitzartig ein Gedanke.

»Wissen Sie was, Frau Seidel, es gibt auch andere nette Menschen. Sie sollen solche kennenlernen, wenn Sie sich zutrauen, eine kleine Reise zu machen.«

»Eine Reise?« fragte sie staunend. »Dazu habe ich doch gar kein Geld.«

»Es kostet Sie auch nichts. Ich werde Sie mitnehmen zur Insel der Hoffnung, wenn ich am Samstag zur Eröffnung fahre.«

»Zur Insel der Hoffnung?« fragte sie staunend.

»So soll unser Sanatorium heißen. Es sind nur zwei Stunden Fahrt. Willigen Sie ein?«

»Mich wollen Sie dorthin mitnehmen, Herr Doktor?« fragte sie mit Tränen in den Augen. »Ausgerechnet mich?«

»Sie sind mein Talisman«, sagte Daniel lächelnd. »Sie waren hier meine erste Patientin und sollen es dort auch sein. Es wird uns Glück bringen. Und so wäre es ganz im Sinne meines Vaters.«

Ja, dachte er für sich weiter. So hätte Vater es gewollt. Einem armen Menschen, der immer auf der Schattenseite des Lebens gestanden hatte, eine Freude zu bereiten.

»Das kann ich gar nicht glauben«, murmelte Frau Seidel mit erstickter Stimme.

»Ich hole Sie ab«, sagte er. »Sie werden ganz bequem sitzen. Molly kommt auch mit. Soll sie Ihnen beim Kofferpacken helfen?«

»Das kann ich schon allein«, stammelte Frau Seidel. »Ich darf wirklich mitfahren?« Immer noch schaute sie ungläubig drein.

»Abgemacht«, sagte Dr. Norden aufmunternd. Molly wischte sich ganz geschwind und unauffällig ein paar Tränen aus den Augen. Er hat genau solch ein gutes Herz wie sein Vater, dachte sie.

Molly mußte es wissen. Als junges Mädchen war sie Sprechstundenhilfe bei Dr. Friedrich Norden gewesen. Sie hatte diesen wunderbaren Arzt und Menschenfreund in all seiner Seelengröße kennengelernt.

Sie hatte auch Daniel schon als Jungen gekannt, der nur ein Lebensziel hatte: Arzt zu werden, wie sein Vater.

Molly hieß damals noch Helga Schneider. Sie hatte geheiratet und war Mutter von drei Kindern geworden, aber ihre Ehe mit Heinz Moll war nicht von Bestand gewesen. Wieder mußte sie Geld verdienen, weil ihr Mann seine Familie nicht ernähren konnte. Wieder kam sie zu Dr. Friedrich Norden und mußte es nun miterleben, daß auch diesem gütigen Mann Schicksalsschläge nicht erspart blieben. Seine von ihm so sehr geliebte Frau litt an einer unheilbaren Krankheit. Für ihn, den Arzt, der immer nur helfen und heilen wollte, war es entsetzlich, dem liebsten Menschen, den er besaß, nicht helfen zu können.

Nach dem Tode seiner Frau zog er sich auf die kleine Roseninsel zurück, in das alte Bauernhaus, das schon seine Großeltern bewohnt hatten. Auf der Insel im Rosensee kam Dr. Friedrich Norden die Idee, hier ein Sanatorium zu erbauen, in dem Kranke und am Leben Verzweifelte Genesung finden könnten, jene, die die Hoffnung verloren hatten und solche, die unglücklich waren.

Insel der Hoffnung, dieser Begriff hatte Dr. Friedrich Norden fasziniert.

Alles durchdachte er in seiner Einsamkeit, und er plante und plante, wobei sein Herz jedoch müder und müder wurde.

Der junge Daniel Norden, der nun seine eigene Praxis eröffnet hatte, stand den Plänen seines Vaters anfangs skeptisch gegenüber. Auch das wußte Helga Moll, denn jetzt war sie seine Sprechstundenhilfe, geschieden von ihrem Mann, mußte sie allein für ihre Kinder sorgen.

Indessen hatte Friedrich Norden in seinem langjährigen Freund, Dr. Johannes Cornelius, einen Partner gefunden, der mit der gleichen Intensität und Leidenschaft an die Verwirklichung dieser Idee ging. Und als Friedrich Norden starb, war auch Daniel bereit, das Vermächtnis seines Vaters zu erfüllen.

Nun kam der Tag heran. Die Pforten zur Insel der Hoffnung sollten sich öffnen. Für sich aber hatte Daniel Norden eine eigene Entscheidung getroffen.

Er wollte seine Praxis behalten und die Leitung des Sanatoriums Dr. Cornelius überlassen. Daniel hatte seine Gründe dafür, denn er dachte realistischer als sein Vater. Der Unterhalt eines Sanatoriums verschlang viel Geld. Wollte man die Idee seines Vaters verwirklichen, auch mittellosen Patienten eine Kur zu ermöglichen, brauchte man andere, denen es nicht schwerfiel, ihre Rechnungen zu bezahlen. Er hatte solche Patienten. Er hatte gute Verbindungen. Er galt sogar als Modearzt. Dr. Daniel Norden wollte vor allem nicht, daß Dr. Cornelius seine Freundschaft und Loyalität mit einem Defizit büßen mußte.

Darüber verlor er kein Wort. Er schluckte es sogar, daß Felicitas Cornelius, die bildhübsche Tochter des väterlichen Freundes, ihn verächtlich einen Playboy schalt, der nicht auf das Großstadtleben verzichten wolle.

»Wir wissen, daß es Vaters Vermächtnis ist«, hatte er zu Dr. Cornelius gesagt, als sie ihre Vereinbarungen trafen. »Ich will mein Bestes tun, daß alles so wird, wie er es sich vorstellte, aber es soll nie ein Wort darüber fallen, was ich dazu beitrage.«

Mit einem Handschlag hatten sie dieses Übereinkommen besiegelt.

Wird alles so werden, wie Vater es sich vorgestellt hat? Ich will mein Bestes tun, Vater, sagte er leise vor sich hin. Den Anfang habe ich gemacht, indem ich dieser armen alten Frau noch ein wenig Freude in den Lebensabend bringe.

Es tat ihm weh, daß sein Vater die Verwirklichung seines Wunschtraumes nicht mehr erleben konnte. Er dachte auch an seine Mutter, der alle ärztliche Kunst keine Hilfe bringen konnte. Er dachte aber auch an die vielen anderen, denen noch zu helfen war.

Jetzt gönnte er sich ein paar Minuten der Besinnung und ließ seinen Blick auf der Fotografie seines Vaters ruhen, die auf seinem Schreibtisch stand. Dann kam Molly.

»Sie haben Frau Seidel eine große Freude bereitet«, sagte sie. »Sie haben ein gutes Herz. Sie sollten es nicht immer verleugnen.«

»Nun stimmen Sie nur nicht in Mutter Seidels Lobgesänge ein, Molly. Sie hat einen Narren an mir gefressen und ich mag sie auch. Es war doch eine gute Idee? Sind Ihre Kinder gut untergebracht über das Wochenende?«

»Meine Mutter kommt«, erwiderte Helga Moll. »Jedenfalls ist sie energischer als ich.«

»Und Ihnen tut es gut, wenn Sie mal Tapetenwechsel haben«, sagte Dr. Norden.

Helga Moll wollte ihm jetzt nicht mit ihren Sorgen kommen, denn frei von solchen würde sie an diesem Wochenende gewiß nicht sein, obgleich sie ihre drei Kinder in der Obhut ihrer resoluten Mutter zurücklassen konnte.

Sabine, die Älteste, war achtzehn und hatte seit einem Jahr einen festen Freund. Er war ein netter Junge, aber er ging noch zur Schule, und für Helga Moll, die geschiedene Frau, die allein für ihre Kinder sorgen mußte, gab es da schwere Bedenken. Dazu gesellten sich andere, doch Dr. Norden entriß sie diesen Gedankengängen.

»Na, Molly, dann wollen wir mal die Bude zumachen«, sagte er. »Ich gehe heute abend ins Konzert. Vorher muß ich noch ein paar Krankenbesuche machen. Kann ich Sie ein Stück mitnehmen?«

»Iwo, mit der S-Bahn ist es viel bequemer«, erwiderte sie. »Lassen Sie sich von Frau Brehmer nicht zu lange aufhalten, sonst verpassen Sie die Hälfte vom Konzert.«

Sie sagte es mit einem hintergründigen Lächeln, und er erwiderte es mit einem spöttischen.

»Was uns nicht umbringt, macht uns stärker«, sagte er heiter. Dann winkte er ihr zu und verschwand.

Ein Wunder ist es ja nicht, daß die Frauen hinter ihm her sind, dachte Helga Moll.

Marion Brehmer hegte allerdings ähnliche Gedanken. Sie litt nicht umsonst in letzter Zeit so häufig an Magenbeschwerden. Sie hatte eine fast erwachsene Tochter. Allerdings war Kirsten selbst für einen so attraktiven Mann wie Dr. Norden nicht zu begeistern und ganz so selbstlos war Marion Brehmer als Mutter auch nicht.

Sie hatte es zwar ganz geschickt zu verbergen vermocht, aber sie hätte durchaus nichts dagegen gehabt, mit Dr. Norden einen heftigen Flirt anzufangen, wenn sie die geringste Resonanz gespürt hätte. Die jedoch blieb aus.

Marion Brehmer war mit ihren acht-unddreißig Jahren noch immer eine recht verführerische Frau. Eine gute Kosmetikerin und ein sehr gekonntes Make-up machten sie sogar noch um einige Jahre jünger, wenn man ihr Geburtsdatum nicht kannte. Kirsten dagegen war alles andere als reizvoll. Sie war ein supermodernes Mädchen, und sie fand es »in«, so lässig wie nur möglich zu wirken.

In verwaschenen Jeans und viel zu weitem Pullover lehnte sie an der Tür zum Schlafzimmer ihrer schönen Mutter.

»Ich würde an deiner Stelle ein Bein herausstrecken, Mama«, sagte sie anzüglich, »und dann die Bettdecke noch etwas weiter herabziehen, damit dein Dr. Norden auch gleich deinen Busen sieht. Und dann –«

»Sei nicht so unverschämt«, fiel ihr Marion heftig ins Wort. »Wenn du nur ein wenig mehr Wert auf dein Äußeres legen würdest, müßte ich nicht –«

»Müßtest du nicht in ständiger Sorge leben, daß ich eine alte Jungfer werde«, wurde sie jetzt von ihrer Tochter unterbrochen. »Aber sei unbesorgt, das kann ich gar nicht mehr werden. Wenn du jedoch nicht willst, daß du bald Großmutter wirst, könntest du mir mal von deinem Leib- und Magenarzt Antibabypillen für mich verschreiben lassen.«

»Kirsten«, schrie Marion Brehmer auf, »das ist unerhört. Wenn das dein Vater wüßte.«

»Sag es ihm doch«, sagte Kirsten frech. »Ich sehe ihn ja kaum.«

Die Debatte wurde unterbrochen. Es hatte geläutet. Kirsten ging zur Tür, da das Hausmädchen Ausgang hatte.

»Na, da ist ja der Heißersehnte«, begrüßte sie Dr. Norden in frivolem Ton und so laut, daß auch ihre Mutter sie hören konnte. »Mama leidet schon Höllenqualen.«

Dr. Daniel Norden kannte Kirsten Brehmer. Er nahm ihren Ton nicht tragisch. Er war noch nicht so weit von dieser Generation entfernt, daß er sie in Grund und Boden verdammt hätte. Er wußte nur zu gut, daß die Teenager ihre Aggressionen auf verschiedene Weise abreagierten.

Durch einen Tränenschleier hindurch blickte Marion Brehmer ihn an. Die Tränen waren sogar echt. Kirsten brach-

te sie zur Verzweiflung. Sie hätte so

gern eine Tochter gehabt, mit der sie in der Gesellschaft Furore machen könnte.

»Ich komme mit diesem Kind einfach nicht mehr zurecht«, stöhnte sie. »Da muß man ja magenkrank werden.«

»Kirsten ist kein Kind mehr, aber auch noch nicht erwachsen, Frau Brehmer«, sagte Daniel Norden. »Sie ist einfach unreif, weil noch nie Anforderungen an sie gestellt wurden. Nehmen Sie es nicht gar so tragisch. Sprechen Sie lieber mal im gleichen Ton mit ihr.«

»Im gleichen Ton?« fragte Marion empört und ganz vergessend, daß sie ihre dekorative Haltung aufgab. »Jetzt verlangt sie schon, daß ich mir Antibabypillen verschreiben lasse. Für sie natürlich, nicht für mich«, fügte sie pikiert hinzu.

»Dann verschreiben wir ihr eben welche«, erklärte er. »Allerdings müßte sie sich dazu lieber von einem Gynäkologen untersuchen lassen, damit es nicht die falschen sind.«

»So einfach sagen Sie das?« stöhnte Marion Brehmer.

»Kirsten ist doch achtzehn, soviel ich weiß. Anbinden können Sie sie nicht mehr und vorschreiben läßt sie sich sowieso nichts. Antibabypillen sind noch das kleinere Übel. Sind damit Ihre Magenschmerzen wenigstens teilweise behoben?«

Er hatte seine eigene Art, mit seinen Patientinnen umzugehen. Frau Brehmer kannte er jetzt schon ziemlich genau. Er mokierte sich nicht darüber, daß sie so jugendlich wie nur möglich wirken wollte. Er mochte das sogar, denn ihm waren gepflegte Frauen lieber als solche, die sich gehenließen.

»Wenn ich mit meinem Mann doch sprechen könnte, wie mit Ihnen«, sagte Marion Brehmer seufzend.

»Versuchen Sie es mal. Vielleicht ist es ihm lieber, als wenn Sie ihm etwas vorjammern. Nehmen Sie sich nicht alles so zu Herzen«, fuhr er dann besänftigend fort, denn er wußte genau, wann der Zeitpunkt kam, daß er den verständnisvollen Arzt herauskehren mußte. »Sonst bekommen Sie wirklich noch Magengeschwüre, und damit kann man sich verflixt herumplagen. Das gibt auch Falten, und das wollen wir doch nicht.«

Sein Charme war faszinierend. Man konnte ihm nicht widerstehen. Allerdings wußte er auch in solchen Augenblicken Distanz zu wahren.

»Sie meinen also, daß man Kirsten wirklich Antibabypillen geben soll?« fragte Marion Brehmer.

»Vorbeugen ist besser, als ein Fiasko«, erklärte er. »Ich werde nachher selbst mal mit ihr sprechen.«

Nebenbei hatte er ihren Puls gefühlt und den Blutdruck gemessen. »Temperatur haben wir auch nicht«, meinte er lächelnd. »Ich bin drei Tage abwesend. Falls etwas sein sollte, müßten Sie mit Dr. Feldmann vorliebnehmen.«

»Fahren Sie weg? Ach ja, ich habe gelesen, daß das Sanatorium eröffnet wird. Insel der Hoffnung, das klingt vielversprechend. Vielleicht kann ich meinen Mann auch mal zu einer Kur bewegen.«

»Das wäre gar nicht schlecht«, sagte Dr. Norden freundlich.

Dieser Besuch war harmloser verlaufen, als er erwartet hatte, und er hatte nicht lange gedauert. Heute schien Marion Brehmer tatsächlich mehr mit ihrer Tochter beschäftigt zu sein, als Eindruck auf ihn machen zu wollen.

Draußen flegelte sich Kirsten in einem Sessel, die Füße auf den kostbaren Marmortisch gelegt.

»Eigentlich sind Sie in Ordnung«, sagte sie lässig. »Verraten Sie mir mal, wie Sie mit allen Versuchungen fertig werden?«

»Mit welchen Versuchungen?« fragte er gleichmütig. »Ich bin Arzt. Die Anatomie des weiblichen Körpers birgt keine Rätsel für mich.«

»Haha«, machte sie.

»Und auf die Verpackung kommt es auch nicht an«, fuhr er gleichmütig fort. »Ihre Mutter sagte mir, daß Sie Antibabypillen haben wollen. Gehen Sie doch in den nächsten Tagen mal zu Dr. Kent. Wenn Sie wollen, melde ich Sie an.«

Kirsten wurde knallrot. Mit einem Ruck nahm sie die Beine vom Tisch.

»Können Sie mir denn keine verschreiben?« fragte sie mit sehr gekünstelter Forschheit.

»Das überlasse ich lieber dem Facharzt. Er kann besser entscheiden, welches Medikament angebracht ist. Da gibt es nämlich auch verschiedene Sorten, und jeder Körper reagiert verschieden.«

»Ich mag mich aber nicht ausziehen«, stieß Kirsten hervor.

Dr. Norden lächelte. »Dann brauchen Sie ja auch keine Antibabypillen«, sagte er gelassen. »Wiederschauen, Fräulein Brehmer.«

*

Dr. Norden kam eben noch rechtzeitig zum Konzert. Die Türen wurden gerade geschlossen. Aber er hatte ohnehin seinen Platz ganz am Rande, weil er meist zu spät kam und manchmal auch mitten aus einem Konzert herausgeholt wurde. Aber wenn es nur irgendwie möglich zu machen war, ließ er sich keines mit einem guten Solisten entgehen.