Eine gefährlich Verwechslung - Patricia Vandenberg - E-Book

Eine gefährlich Verwechslung E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Nun gibt es eine Sonderausgabe – Dr. Norden Retro Edition Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. »Entschuldigen Sie bitte die Störung, Herr Doktor«, platzte Helga Moll ins Sprechzimmer, »aber Herr Grothe rief eben an. Uli hat hohes Fieber. Ob Sie möglichst schnell kommen könnten?« Dr. Daniel Norden nickte und schrieb der Patientin, die er eben untersucht hatte, ein Rezept aus. Wegen einer Lappalie würde ihn die gute Molly, wie er sie nannte, nicht stören. Und wenn Generaldirektor Grothe selbst anrief, brauchte er keinen falschen Alarm zu vermuten, wie bei dessen Frau, die jede Gelegenheit nützte, um ihn kommen zu lassen. Wenn Frau Grothe angerufen hätte, wäre Molly vorsichtig gewesen, denn sie kannte die Patientinnen sehr gut, die in ihrem Chef, den sie überaus schätzte, mehr den attraktiven Mann als den Arzt sahen. Ja, Molly kannte ihre Pappenheimer. »Herr Grothe war völlig fertig«, sagte sie zu Dr. Norden, als er seinen Arztkoffer ergriff und zur Tür eilte. »Der Mann ist wahrhaft nicht zu beneiden.« »Wie sieht es denn im Sprechzimmer aus?«, fragte Daniel Norden ablenkend. »Noch ein gutes halbes Dutzend«, erwiderte Molly. »Zwei Bestrahlungen. Das kann ich machen.«

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Dr. Norden – Retro Edition – 3 –

Eine gefährlich Verwechslung

Patricia Vandenberg

»Entschuldigen Sie bitte die Störung, Herr Doktor«, platzte Helga Moll ins Sprechzimmer, »aber Herr Grothe rief eben an. Uli hat hohes Fieber. Ob Sie möglichst schnell kommen könnten?«

Dr. Daniel Norden nickte und schrieb der Patientin, die er eben untersucht hatte, ein Rezept aus. Wegen einer Lappalie würde ihn die gute Molly, wie er sie nannte, nicht stören. Und wenn Generaldirektor Grothe selbst anrief, brauchte er keinen falschen Alarm zu vermuten, wie bei dessen Frau, die jede Gelegenheit nützte, um ihn kommen zu lassen.

Wenn Frau Grothe angerufen hätte, wäre Molly vorsichtig gewesen, denn sie kannte die Patientinnen sehr gut, die in ihrem Chef, den sie überaus schätzte, mehr den attraktiven Mann als den Arzt sahen. Ja, Molly kannte ihre Pappenheimer.

»Herr Grothe war völlig fertig«, sagte sie zu Dr. Norden, als er seinen Arztkoffer ergriff und zur Tür eilte. »Der Mann ist wahrhaft nicht zu beneiden.«

»Wie sieht es denn im Sprechzimmer aus?«, fragte Daniel Norden ablenkend.

»Noch ein gutes halbes Dutzend«, erwiderte Molly. »Zwei Bestrahlungen. Das kann ich machen.«

Er war schon an der Tür und nickte.

»Die anderen müssen halt warten, Molly. Oder sie müssen wiederkommen. Wenn Herr Grothe selber anruft, brennt es.«

Mit seinem schnellen Wagen war er bald am Ziel, und es war tatsächlich kein falscher Alarm. Blinddarmentzündung, war die Diagnose, die Dr. Norden nach kurzer Untersuchung gestellt hatte.

»Warum haben Sie mich nicht früher gerufen?«, fragte er vorwurfsvoll.

Werner Grothe fuhr sich mit dem Taschentuch über die Stirn.

»Ich bin erst heute Morgen zurückgekommen. Meine Frau ist gestern verreist. Sie dachte wohl, dass es nur eine Magenverstimmung sei.«

Typisch für sie, dachte Dr. Norden verärgert. Er kannte Marlies Grothe zur Genüge. Sie war eine überaus egoistische Frau, und zur Mutter taugte sie schon gar nicht.

Er überlegte, welchem Kollegen er Uli anvertrauen könnte. Dieter Behnisch, ja, der hatte ein Herz für Kinder.

Er rief in der Klinik an, und er erreichte ihn glücklicherweise sofort.

Uli war völlig apathisch, schon gar nicht mehr da. Er wusste nicht, was um ihn vorging, als der Krankenwagen kam.

»Ich fahre mit«, erklärte Werner Grothe heiser.

Dr. Norden nickte. »Mein Kollege Behnisch weiß Bescheid. Ihr Sohn ist in guten Händen. Sobald ich meine Sprechstunde beendet habe, werde ich in die Klinik kommen.«

»Danke, Herr Doktor!«, sagte Werner Grothe, dessen Mienenspiel seine innere Erregung verriet.

Dr. Daniel Norden widmete Marlies Grothe zornige Gedanken.

Diese eitle, selbstsüchtige Frau verdiente ein solches Kind nicht, und ihr Mann konnte einem leid tun. Er war ein netter Mensch. Trotz seiner exponierten Stellung war er mit den Füßen auf dem Boden geblieben.

Er hätte wahrhaft eine bessere Gefährtin verdient gehabt, die nicht nur darauf bedacht war, eine gesellschaftliche Rolle zu spielen und das Geld, das er verdiente, unter die Leute zu bringen.

Hoffentlich kommt der Junge durch, dachte er weiter. Schlimm genug sah es aus, und Dr. Norden wusste doch, dass Werner Grothes ganzes Herz an dem Kleinen hing.

Seine Miene war entsprechend düster, als er die Praxis wieder betrat.

»Schlimm?«, fragte Helga Moll.

»Sehr schlimm. Akuter Blinddarm. Sind noch welche geblieben?« Er blickte zur Tür des Wartezimmers.

»Alle. Ihre Patienten sind nicht abzuschrecken, Herr Doktor«, sagte sie aufmunternd.

Es würde noch gut zwei Stunden dauern, bis er mit der Sprechstunde fertig wurde. Auf die schnelle Tour wollte er keinen abfertigen, obgleich der kleine Uli nun sicher schon auf dem Operationstisch lag.

*

Uli war ein schmächtiges Kind. Dr. Behnisch stellte besorgt fest, dass dessen Konstitution wirklich Schlimmstes befürchten ließ.

Er war noch jung, aber als Chirurg hatte er sich dennoch schon einen Namen gemacht.

Er war gebürtiger Münchner, hatte mit Daniel Norden zusammen studiert und war dann mehrere Jahre als Assistenzarzt an einem großen Krankenhaus beschäftigt gewesen.

Ein vermögender Onkel hatte ihm den Kauf dieser Privatklinik ermöglicht, die er erst vor wenigen Wochen übernommen hatte.

Daniel Norden war einer der Ersten gewesen, bei denen er sich in Erinnerung gebracht hatte, aber Uli Grothe war nicht der erste Patient, den Daniel ihm schickte.

Er konnte sich nicht beklagen. Er hatte einen guten Start gehabt.

Größte Aufmerksamkeit bei der Narkose hatte er dem Anästhesisten geboten. Er selbst war jetzt ganz konzentriert.

Es war auch schlimm, was sich seinen Augen darbot, als er den Schnitt ausgeführt hatte. Der Blinddarm war bereits am Durchbruch. Leichtsinnig verschleppt, wie Dr. Behnisch kombinierte. Unmöglich konnte Daniel das übersehen haben.

Der Puls des Kindes war schwach, der Blutdruck sank zusehends ab. Dr. Behnisch durfte sich davon nicht irritieren lassen.

»Blutkonserven fertig machen«, sagte er ruhig. Besonnen führte er die Operation zu Ende.

Normalerweise war es eine Routineangelegenheit, doch wenn das Leben dieses kleinen Jungen gerettet werden konnte, war es nur Dr. Nordens schneller Entschlossenheit und dem Können dieses jungen Chirurgen zu verdanken.

Jetzt können wir nur noch beten, dachte Dieter Behnisch.

Für Werner Grothe hatte er dann, eine Viertelstunde später, aufmunternde Worte bereit.

Der Mann sah zum Gotterbarmen aus, und als Uli aus dem Operationssaal an ihm vorbeigefahren wurde, so weiß wie das Leintuch, auf dem er lag, brach er zusammen.

»Du lieber Gott«, bemerkte Oberschwester Martha, die schon dreißig Jahre im Dienst der Nächstenliebe hinter sich gebracht hatte, »nun brauchen wir noch ein Bett!«

»Wir können Vater und Sohn gleich in ein Zimmer legen«, erklärte Dr. Behnisch, nachdem er Herrn Grothe untersucht hatte. »Zumindest einige Tage Bettruhe wird er brauchen. Aber den Jungen legen wir erst zu ihm hinein, wenn er außer Lebensgefahr ist.«

Als Daniel Norden in die Klinik kam, erfuhr er, dass Werner Grothe einen Kreislaufkollaps erlitten hatte.

»Und die Dame des Hauses ist verreist«, sagte er bitter. »Sie hat mich wohl deshalb nicht zu Uli rufen lassen, um ihre Reise nicht infrage zu stellen. Sonst hat sie mich wegen jeder Kleinigkeit geholt.«

Dr. Behnisch sah seinen Kollegen nachdenklich an. Hinter Daniel waren die Frauen schon immer hergewesen, und jetzt sah er noch interessanter aus als früher.

Er musste wohl sehr diplomatisch sein, um sich seiner Haut zu wehren und allen auf ihn zukommenden Gefahren zu trotzen.

»Man müsste sie verständigen«, bemerkte er. »Der Junge schwebt in Lebensgefahr. Es war allerhöchste Eisenbahn, Daniel, und bei seinem Vater können wir froh sein, dass es nicht zu einem Herzinfarkt gekommenn ist.«

»Der Mann ist trotz seines Geldes nicht zu beneiden«, äußerte Daniel gedankenvoll. »Ich glaube, dass es wenig Sinn hat, seine Frau zu verständigen. Sie würde zwar eine dramatische Schau abziehen, aber Vater und Kind mehr schaden als nützen.«

»Ich bin in einer Zwickmühle. Du weißt, welche Vorwürfe ich mir einhandeln könnte, wenn ich es unterlasse, sie zu benachrichtigen.«

»Ist Herr Grothe ansprechbar?«, fragte Daniel.

»Augenblicklich noch nicht. Sie haben doch sicher Hausangestellte?«

»Eine ganze Reihe, aber es würde mich wundern, wenn sie wüssten, wo sich Frau Grothe derzeit aufhält.«

Und so war es auch. Allerdings konnte auch Werner Grothe darüber keine Auskunft geben, als er wieder bei Bewusstsein war. Er dachte nur an sein Kind.

»Es geht ihm schon etwas besser«, erklärte Daniel Norden, um ihn zu beruhigen. »Er wird nachher in dieses Zimmer gebracht werden. Könnten Sie mir sagen, wo Ihre Frau zu erreichen ist?«

»Nein.« Es klang müde, aber auch abweisend. »Wir hatten Differenzen. Sie hat ihre Koffer gepackt. Ihnen kann ich es ja sagen. Sie ahnen wohl, wie es um meine Ehe bestellt ist, Herr Doktor. Uli ist alles, was ich habe. Ich will ihn behalten! Ich darf ihn nicht verlieren!«, stöhnte er auf.

»Seien Sie zuversichtlich«, sagte Dr. Norden. Aber war das nicht ein billiger Trost?

Glücklicherweise schlief Werner Grothe unter der Wirkung der Spritze wieder ein.

Auf dem Gang traf Dr. Norden mit Dr. Behnisch zusammen, der eben aus einem Krankenzimmer kam.

»Da du einmal hier bist, Dan, könnten wir doch zusammen essen«, schlug er vor. »Du kannst dich gleich überzeugen, dass wir unsere Patienten gut versorgen.«

Daheim würde zwar Lenchen, seine getreue Haushälterin, warten, aber die war es ja schon gewohnt, dass er zu spät zu den Mahlzeiten erschien oder sie ganz versäumte.

Er unterhielt sich gern einmal mit dem Studienfreund. Dazu hatten sie bisher noch sehr wenig Gelegenheit gefunden.

»Du bist zufrieden, Dieter?«, fragte er.

»Es läuft alles wie am Schnürchen«, bestätigte der andere. »Das Personal ist gut geschult. Sie sind alle geblieben. Schwester Martha ist eine Perle, wie man sie nicht leicht findet. Ich kann nur hoffen, dass sie auch mit mir zufrieden ist.«

Warum sollte sie nicht. Dieter Behnisch war ein sympathischer Mensch. Er neigte schon jetzt ein wenig zur Behäbigkeit. Er war mehr als einen halben Kopf kleiner als Daniel Norden, hatte ein rundliches Gesicht, freundliche graue Augen, und dass er gern und gut aß, sah man seiner Figur an.

»Dass du immer noch Junggeselle bist, will mir gar nicht in den Sinn, Daniel«, bemerkte er lächelnd.

»Na, und du?«, konterte Daniel. »Du warst doch verlobt, als wir uns aus den Augen verloren.«

Dieter winkte ab. »Mich hat ein gütiges Geschick vor dem Fiasko bewahrt, das der gute Herr Grothe anscheinend erleiden muss. Irene hat einen andern begehrenswerter gefunden. Die Richtige ist mir noch immer nicht begegnet. Und dir?«

»Mir schon«, erwiderte Daniel, und dabei bekamen seine Augen einen sehnsüchtigen Ausdruck.

»Alte oder junge Liebe?«, fragte Dieter.

»Wie man es nimmt. Felicitas Cornelius.«

»Ach nee! Was sagt man dazu! Die kleine Cornelius? Ist sie denn schon erwachsen?«

»Na, hör mal! Sie ist bereits ein Fräulein Doktor und assistiert ihrem Vater auf der ›Insel der Hoffnung‹.«

»Da habt ihr euch ja einen romantischen Namen einfallen lassen. Der muss ja ziehen.«

Gehört hatte Dr. Behnisch schon von der »Insel der Hoffnung«, obgleich Daniel für das Sanatorium, das ihm und seinem zukünftigen Schwiegervater gehörte, keine Reklame mehr zu machen brauchte.

»Es ist auch romantisch dort«, erwiderte Daniel.

»Aber du gedenkst nicht, deine Praxis aufzugeben?«

»Vorerst nicht. Johannes Cornelius hat genügend Elan, um es mit seinem Team allein zu schaffen. Später einmal werde ich dort einsteigen. Ich bin außerdem ein bisschen egoistisch, denn ich möchte Fee für mich allein haben, wenn wir erst verheiratet sind.«

»Und wann soll das vonstatten gehen?«

»Am Jahresende, wenn eine im Sanatorium ruhiger ist.«

»Wie viele gebrochene Frauenherzen bleiben dann auf der Strecke?«, fragte Dieter anzüglich.

»So schlimm bin ich nun auch wieder nicht«, ging Daniel humorvoll auf die Bemerkung ein. »Es gibt schon lange keine Flirts mehr. Es gibt nur Fee.«

»Also die ganz große Liebe.«

»Ja, die ganz große Liebe«, bestätigte Daniel.

»Triffst du noch ehemalige Kommilitonen?«, fragte Dieter Behnisch.

»Schorsch Leitner ab und zu, aber auch erst in letzter Zeit. Er ist Chefarzt an der Frauenklinik und auch noch Junggeselle.«

»Immer noch unter Mutters Fuchtel?«

»Sie hat sich sehr geändert, seit sie auf der ›Insel der Hoffnung‹ war. Du siehst, der Name hat seine Berechtigung.«

»Wir sollten uns mal wieder zusammensetzen«, meinte Dieter. »War doch eine schöne Zeit damals. Man soll sich nicht zu sehr von der Arbeit auffressen lassen. Wohin das führt, beweist mal wieder der Fall Grothe.«

»Es ist schon schwer, zwei Ärzte unter einen Hut zu bringen, geschweige denn drei«, sagte Daniel. »Irgendetwas ist dann bei einem immer los. Aber Schorsch würde sich bestimmt freuen, dich mal wiederzusehen.«

»Spätestens anlässlich deiner Hochzeit, wenn wir für würdig befunden werden, eine Einladung zu bekommen.«

»Da müsstet ihr euch dann aber auf die Insel begeben. Die Hochzeit wird dort gefeiert.«

»Dann lerne ich das Paradies wenigstens auch mal kennen. Ja, ich bin sehr gespannt.«

Bevor Daniel wieder in die Praxis fuhr, sah er nochmals nach dem kleinen Uli.

Der Junge bekam eine Infusion. Sein Puls ging etwas kräftiger.

Er wurde rührend von Schwester Annelie umsorgt, die selbst erst vor einem Jahr durch die Unachtsamkeit ihrer Schwiegermutter ihr zweijähriges Söhnchen verloren hatte.

Es hatte sich tödliche Verbrühungen zugezogen, während sie im Dienst gewesen war. Ihre Ehe war darüber zerbrochen.

Nun gab sie alle Liebe, die sie ihrem Kind nicht mehr geben konnte, fremden Kindern.

»Wir werden es schon schaffen«, sagte sie leise, doch hinter ihren Worten stand ein leidenschaftlicher Wille, der dem schwermütigen Ausdruck ihrer schönen dunklen Augen widersprach.

Dr. Behnisch erzählte Daniel von dem schweren Schicksal der noch jungen Schwester, als er ihn zum Ausgang begleitete.

»Dem eigenen Kind hat sie nicht helfen können, wie tragisch«, meinte Daniel sinnend. »Wir sehen uns bald wieder, Dieter.«

»Das freut mich. Ich habe jetzt eine Untersuchung vor mir, vor der mir ein bisschen bange ist. Vielleicht kann ich mir bei dir Rat holen, wenn ich nicht weiter weiß.«

So verschieden sie im Äußeren waren, darin ähnelten sie sich. Sie betrachteten ihre Ansichten über eine Krankheit nicht als die unwiderrufliche Diagnose. Sie waren für kollegiale Zusammenarbeit.

*

Auch auf Dr. Norden wartete ein Patient, der ihm große Sorgen bereitete.

Er war das erste Mal vor einer Woche zu ihm gekommen. Seine Befunde lagen schon seit vier Tagen auf Dr. Nordens Schreibtisch.

Frau Moll hatte ihn anzurufen versucht, aber nicht erreichen können.

Sein Name war Martin Kraft. Er war fünfundvierzig Jahre alt, verheiratet und hatte einen erwachsenen Sohn. Daniel wusste das, weil ihn dieser Sohn fast gewaltsam hierhergebracht hatte.

Martin Kraft war Versicherungsvertreter und immer in Eile. Er hatte sich nie die Zeit genommen, sich um seine Gesundheit zu kümmern oder um seine Wehwehchen, wie er es nannte.

Nach den Befunden, die vor Daniel lagen, würde er sich künftig viel Zeit nehmen müssen, oder er hatte gar keine mehr.

Es war immer schwierig, einem Patienten klarzumachen, dass es eine tödliche Krankheit sein könnte, denn nur wenige konnten mit einer solchen Gewissheit weiterleben und kämpfen.

Dr. Norden kannte Martin Kraft zu wenig, um einschätzen zu können, zu welcher Kategorie er gehörte.

Er war schwer durchschaubar. In seinem Beruf, in dem er mit so verschiedenartigen Menschen zu tun hatte, hatte er gelernt, sein Mienenspiel zu beherrschen.

Er war schlank und hielt sich sehr aufrecht, obwohl ihm das schwerfallen mochte.

»Sie haben schon bei uns angerufen, Herr Doktor«, begann er stockend. »Entschuldigen Sie bitte, dass ich erst heute komme, aber ich war auswärts.«

Er sah sehr angegriffen aus, aber das wunderte Dr. Norden nicht. Die Blutsenkung war katatrophal, die übrigen Befunde ließen Schlimmes ahnen. Aber Dr. Norden wollte ganz sichergehen.

»Nun, was ist?«, fragte Martin Kraft ungeduldig. »Wahrscheinlich viel Lärm um nichts. Meine Frau hat sich hinter Jochen gesteckt und …«

»Das war richtig so«, sagte Dr. Norden, als er eine Atempause einlegte, die doch eine geheime Angst verriet. »Ich bin für eine klinische Untersuchung, Herr Kraft.«

»Noch mal untersuchen?«, fragte der andere erregt. »Sie haben mir doch schon genügend Blut abgezapft. Ganz schwach habe ich mich danach gefühlt.«

Ein deutlicher Vorwurf lag in seiner Stimme, aber darüber hörte Daniel hinweg. Er kannte auch solche Reaktionen zur Genüge.

»Ein Zeichen, dass Sie nicht so gesund sind, wie Sie meinen«, erwiderte er.

Er wollte Martin Kraft keinen Schrecken einjagen, aber als gewissenhafter Arzt musste er ihm deutlich vor Augen führen, wie bedenklich sein Zustand war.

»Ich kann mir einfach nicht leisten, mich ewig in eine Klinik zu legen!«, begehrte der Patient auf.

»Nicht ewig, drei Tage«, sagte Daniel, obgleich er starke Zweifel hegte, ob es damit abgetan sein würde.

»In meinem Beruf muss man am Drücker bleiben, Herr Doktor. So einfach ist das nicht. Mein Sohn studiert noch, und auf unserm Haus liegt eine Menge Belastungen. Es muss doch ein Mittel gegen diese Schmerzen geben, das wirklich hilft.«

»Mittel gibt es viele, die Schmerzen betäuben, aber wenn eine Krankheit in ihren Wurzeln bekämpft werden soll, muss ihre Auswirkung beobachtet werden. Das kann ich nicht, wenn Sie nur ab und zu mal eine Stippvisite bei mir machen.«

»Ein braves Pferd stirbt in den Sielen«, äußerte Martin Kraft leichthin.

»Und was wird dann mit dem Studium Ihres Sohnes und den Abzahlungen für das Haus?«, fragte Dr. Norden nun sehr direkt.

Martin Kraft sah ihn erschrocken

an.

»Das sollte eigentlich nur ein Scherz sein«, brummte er.

»Mir ist nicht zum Spaßen. Ich kann noch keine endgültige Diagnose stellen, aber die Schmerzen, die Sie haben, kommen nicht von einer chronischen Gastritis, wie Sie meinen.«

»Wie auch unser früherer Arzt meinte.« Es klang ungehalten.

»Jeder Arzt kann sich täuschen. Es ist menschlich. Sicher sprechen manche Symptome für eine Gastritis, und früher hatten Sie diese Schmerzen doch auch nicht so häufig, wie Ihr Sohn mir sagte. Ich denke, Sie würden den Weg des geringeren Übels wählen, wenn Sie möglichst bald in eine Klinik gehen würden. Zwingen kann ich Sie nicht, ich kann es Ihnen nur eindringlich raten.«

»Dann sagen Sie mir wenigstens die Wahrheit.«

»Das wäre voreilig. Ich möchte Sie gern zu Professor Wiese schicken. Er ist Spezialist für Nierenerkrankungen.«

»Ach was, Nieren, das ist die Bandscheibe«, widersprach Martin Kraft.

»Wenn Sie es besser wissen, ist Ihnen nicht zu helfen. Ich sage, es ist nicht die Bandscheibe und keine Gastritits, sondern es sind die Nieren.«

Dr. Norden konnte auch energisch werden. Sein Patient senkte den Blick.

»Gut, wenn Sie es sagen. Sie haben ja Medizin studiert. Aber wenn es nicht die Nieren sind und ich umsonst meine Zeit in der Klinik vertrödele, haben Sie einen Patienten weniger!«

»Daran werde ich nicht sterben«, erwiderte Daniel mit hintergründiger Betonung, die sein Gegenüber aber doch wohl verstand. Sein Gesicht wurde noch blasser.

»Na, schön, dann beiße ich eben in den sauren Apfel. Soll ich vorher noch mein Testament machen?«

»Das können Sie, aber besser wäre es, wenn Sie den Tatsachen ins Auge blicken und den Willen haben würden, gesund zu werden, Herr Kraft. Werden Sie Ihrem Namen gerecht.«

»So schnell bringt mich nichts um. Ich will ganz gern noch leben.«

»Das höre ich gern. Dann melde ich Sie bei Professor Wiese an und gebe Ihnen Bescheid, wann ein Bett frei ist.«

»Wenn schon, dann so bald wie nur möglich. Nächsten Monat will sich unser Jochen verloben, da möchte ich dabeisein und das Essen genießen können. Die Eltern seiner Braut haben nämlich eine Landwirtschaft.«

Hoffentlich kann er noch dabeisein, dachte Daniel.

Trotz dieser langen Unterhaltung hatte er nun eine kurze Ruhepause. Der nächste Patient war erst in einer Viertelstunde fällig.

»Ich fahre schnell mal raus in die Wohnung«, sagte Daniel zu Helga Moll. »Lenchen musste heute Mittag vergeblich auf mich warten. Ich habe mit Behnisch gegessen.«

»Wie geht es Uli?«, fragte sie. Endlich kam sie dazu.

»Hoffen wir das Beste. Sein Vater ist auch zusammengeklappt.«

»Kein Wunder bei der Frau. Sie kann einem den letzten Nerv töten. «

Molly, wie Dr. Norden sie nannte, weil sein Vater sie schon so gerufen hatte, konnte sich solche Bemerkungen erlauben. Sie war nicht gehässig. Sie war ehrlich.

»Nun wird sie sich wieder hysterisch in Szene setzen«, bemerkte Molly noch.

»Sie ist weit vom Schuss und amüsiert sich wahrscheinlich. Also, bis gleich.«

*

Er fuhr nicht nur hinauf in seine Penthouse-Wohnung, um Lenchen zu versöhnen, sondern auch um mit Fee zu telefonieren.